RA Gunther SchabioNiederrheinischer Pflegekongress
13.09.2012 Stadthalle Neuss
Wundmanagement und Wundversorgung
– ein rechtsfreier Raum?
AGENDA
Einführung
Rechtliche und regulatorischeGesichtspunkte
Ich verbinde die Naht, Gott heilt sie“
Ambroise Paré, Wundarzt, 16. Jhrd.
+
Einführung
Justitia schaut beim Verbandwechsel nicht hin!
Einführung
• Beide Aussagen sind selbstverständlich nicht richtig!
Was haben beide Aussagen gemeinsam?
• Weil eben doch in der Wundversorgung rechtliche Vorgaben zu beachten sind.
• Weil viele Faktoren zum Wundverschluß beitragen, die nicht (nur) aus Gottes Tatendrang bestehen.
Warum?
(nur)
Einführung
Einführung
Keine Angst!!
• Bei Beachtung des gesunden Menschenverstandes und wichtiger rechtlicher Vorgaben besteht kein Grund zur Beunruhigung
Warum
Rechtliche / regulatorische Gesichtspunkte
Selbstverständlichkeiten
Behandlung nach dem aktuellen
wissensch. Standard
durchführen.
Dokumentation der
Leistungen vornehmen.
Behandlungs-missstände aufzeigen
Rechtliche / regulatorische Gesichtspunkte
Pflegedienst
Rechtliche/regulatorische Rahmen-bedingunge
n
Pflichten und Konse-
quenzenAusblick
Rechtliche / regulatorische Gesichtspunkte
Gesetzliche Rahmen-
bedingungen
Arbeits-vertraglich
e Regelungen
Vertragliche
Regelungen mit
Patienten
Dokumen-tation
Qualitäts-gesichts-punkte
Gesetzliche Rahmenbedingungen
•steht unter Arztvorbehalt (richterliche Ausprägung im Arzthaftungs- und –strafrecht, sowie kodifiziert insbes. in §§15 Abs. 1, 73 SGB V, §1 Abs. 1 HeilprG, §2 BÄO)
•Etwas anderes nur wenn: Regelung in Modellvorhaben (§63 c SGB V) entsprechend der hierzu ergangenen Richtlinie des G-BAs Möglichkeiten zur Übertragung ermöglichen..
•§15 SGB V : persönliche Leistungsverpflichtung durch Arzt•Aber: Arzt muß nicht alle Leistungen in vollem Umfang eigenhändig erbringen, kann gem. §28 SGB V ärztliche Leistungen an nicht-ärztliches Personal delegieren.
Ärztliche Behandlung als Teil der Krankenbehandlung gem. § 27 Abs. 1 SGB V
Gesetzliche Rahmenbedingungen
• z.B. an PflegekraftVoraussetzung: entsprechende Ausbildung notwendig.
Delegation = Übertragung der Durchführungskompetenz heilkundlicher Tätigkeit in eigener Verantwortung
• Anamnese• Indikationsstellung• Stellen der Diagnose• Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer
Leistungen• Entscheidung über die Therapie• Durchführung invasiver Therapien einschließlich der
Kernleistungen operativer Eingriffe• Stationäre Wahlleistungen oder ermächtigte KH-Ärzte
Nicht delegationsfähig sind Leistungen unter Arztvorbehalt / höchstpersönliche Leistungen
Gesetzliche Rahmenbedingungen
• Übertragung der Entscheidungskompetenz• Kein Verantwortungsbezug mehr gegeben
Substitution ≠ Delegation
• Ausgestaltung in der dazugehörigen Richtlinie (noch Fragen offen)• ist am 22.03.2012 in Kraft getreten• enthält einen nicht –abschließenden Katalog von ärztlichen Tätigkeiten
aufgenommen, die auf Angehörige der Kranken-/Pflegeberufe übertragen werden können.
• Nach Ansicht des G-BA:Krankenkassen und Leistungserbringer müssen nun entsprechende Modellvorhaben vereinbaren und umsetzen.
NEU: Übertragung ärztlicher Leistungen auf Pflegeberufe (gem § 63 Abs. 3c SGB V)
Arbeitsvertragliche Regelungen
• Die Pflegekräfte unterliegen dem Weisungsrecht der Pflegedienstleitung (ambulant und stationär)
• daneben im Krankenhaus noch zusätzlich fachliches Weisungsrecht des Arztes als Fachvorgesetzter (wird sehr oft nicht durchgeführt).
• Im ambulanten oder stationären Pflegebereich ist der Vertragsarzt grundsätzlich kein Fachvorgesetzter.
Pflegekräfte
• Im Krankenhausbereich: Weisungsrecht des Vorgesetzten.• Im MVZ: ärztlicher Leiter (weisungsfrei)
Ärzte
• Bei nicht ausreichender Qualifizierung der weisungsgebundenen Person.
• Keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen, wenn weisungsgebundene Person beabsichtigt, sich fortzubilden.
Grenzen des Weisungsrechts
Vertragliche Regelungen mit Patienten
• dem Arzt,• dem Krankenhaus,• der Pflegestation, oder• dem Pflegedienst• Ab 01.01.2013 – Inkrafttreten des Patientenrechtegesetz (Gesetz zur
Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten).
Der Pflegebedürftige schließt einen Vertrag mit einem oder mehreren der folgenden Gruppen ab:
Dokumentation (1/2)
• Dient der Erfüllung der vertraglichen Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag und den gesetzlichen Vorschriften (§3 Abs 2. KrPfG, §3 Abs 1 AltPfG, §10 MBO-Ä)
• Soll sach- und fachgerechte Erst- und Anschlußbehandlung ermöglichen.
• Dient der Wahrung des Persönlichkeitsrechts der Patienten (Art. 2 in Verbindung 1, GG, Recht des Patienten zu wissen, was mit ihm passiert).
• Dient der Qualitätssicherung• Bestandteil der Abrechnung nach EBM, bspw. EBM Nr.
023 12 – Fotodokumentation• Dient dem Schutz vor haftungsrechtlichen
Konsequenzen bis hin zur Beweislastumkehr.
Dokumentation
Dokumentation (2/2)
• Zur Vermeidung der Anwendbarkeit des folgenden Satzes:„Was Du tust, das dokumentiere. Was Du nicht dokumentiert hast, hast Du nicht getan.“
• Siehe auch BGH Urteil vom 18.03.1986„Die Unterlassung der erforderlichen Dokumentation ist ein Indiz dafür, dass im Krankenhaus der Beklagten die ernste Gefahr der Entstehung eines Durchliegegeschwürs nicht erkannt und die Durchführung vorbeugender Maßnahmen nicht in ausreichender Form angeordnet wurden und dass daher das Pflegepersonal nicht so intensiv auf die Prophylaxe geachtet hat.Die Beklagte hat die indizielle Wirkung der fehlenden Krankenunterlagen zu entkräften.“
• Inhalte sollten mindestens sein: gesicherte Kausaldiagnose (bzw. Verdachtsdiagnose), gemessene Wundgröße, Beschreibung von sichtbarer Wundfläche, Wundrand und Wundumgebung, Therapieanordnung, Therapiedurchführung und Anlass für einen Therapiewechsel. (Empfehlung 9 aus der S3-Leitlinie)
• Zukünftig – ab Inkrafttreten des Patientenrechtegesetztes in §630 f BGB
Dokumentation
QS-Vorgaben
• aus eigenem Qualitäts-managementhandbuch• MDK-Anleitung stationär S. 150 (Link)• MDK-Anleitung ambulant S. 129 (Link)
Mögliche Vorgaben aus QM-Gesichtspunkten (z.B.)
• Folge:zivilrechtliche und strafrechtliche Haftung des Betroffenen
Verletzung dieser Pflichten führt auch zur Sorgfaltspflichtverletzung, da zumindest Fahrlässigkeit bejaht wird.
Pflichten und Konsequenzen
• Verpflichtung zur Nachvollziehbarkeit der Leistungen und Dokumentation• auch aufgrund sonstiger sozialrechtlicher Vorgaben.
• Der Leistungserbringer (Arzt, Pflegekraft) muß die Leistung dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse (z.B. die Beachtung von einschlägigen Leitlinien) und in der fachlich gebotenen Qualität erbringen,
• Soweit eine Delegation stattfindet, muß sich der Arzt (z.B. §28 SGB V) von der erforderlichen Qualifikation der Pflegenden überzeugen und auch das Durchführungsergebnis, soweit es für die Diagnostik und Therapie Bedeutung hat, neu beurteilen
• Beachtung der Remonstrationspflicht = Pflicht, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer Anordnung zu äußern. Im ambulanten Bereich auch Mitteilung gegenüber dem Patienten. Wird die Anordnung aufrecht erhalten, so ist sie auszuführen, sofern nicht objektiv erkennbarer Schaden für Patienten droht.
Pflichten
Verantwortung
Anordnungsverantwortung• Unabhängig davon ob Krankenhaus, Altenheim oder ambulante Pflege
Durchführungsverantwortung• z.B. bei Delegation§3 Abs 2 KrPfG oder §3 Abs 1 AltPfG.Hier ist die eigenständige Durchführung ärztlich veranlasster Maßnahmen als Ausbildungsziel festgehalten.
Patient
PflegefachkraftArzt
(Therapiehoheit)
Spannungsfeld zwischen Arzt und Pflegekraft
~Oft geprägt durch differenzierende Interessen,
obwohl die Leistungserbringer aufeinander angewiesen sind.
Weisungsbefugnis (nur KH)
Konsequenzen
Zivil- und strafrechtliche Konsequenzen Beispiel 1
Durchführung einer Wundversorgung durch die Pflegekraft. Nur das Verbandmaterial steht der Pflegekraft zur Verfügung, jedoch keine sterilen Handschuhe, keine Pinzetten. Auch das Verbandmaterial ist unsteril. Die Pflegekraft führt dennoch den Verbandwechsel durch. Daraufhin kommt es zur Wundinfektion
• Vertraglich (+)Ansprüche des zu Pflegenden gegenüber dem Pflegedienst /-institution und Arzt
• Sterile Wundversorgung ist ein allgemein anerkannter Standard. Daher Verstoß gegen die vertragliche Zusicherung, dass die Therapie/Behandlung nach dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Kenntnisse erbracht wird. Zum anderen Verstoß gegen die entsprechenden Berufspflichten.
• Deliktische Ansprüche (Ansprüche zur Wiedergutmachung von Schäden – unabhängig von einem Vertragsverhältnis, §§823, 831 BGB)
• Grund s.o.
zivilrechtlich
• §229 StGB – fahrlässige Körperverletzung (+) wegen Sorgfaltspflichtverstoß
Strafrechtlich
Problem:
zivil- und strafrechtliche Konsequenzen
Abwandlung 1:Gleicher Fall, aber Pflegekraft erkennt die Problematik der unsterilen Behandlung.
Verpflichtung, auf diese „falsche Weisung“ hinzuweisen
Ggfs. Verweigerung der Ausführung, ansonsten Gefahr der Strafbarkeit
• Dokumentation des Sachverhalts• Information des Patienten• Evtl. Verweigerung der Ausführung
Handlungsempfehlung:
Konsequenz
zivil- und strafrechtliche Konsequenzen
Abwandlung 2:Abgewandelter Fall: Die Pflegekraft nimmt von sich aus einen sterilen Verbandwechsel vor, dokumentiert dies aber nicht und es kommt dann dennoch aufgrund nicht vorhersehbarer Gründe zu einer Wundinfektion.
Pflegekraft hat eigenständig die Therapieanordnung des Arztes nicht beachtet und eigene Therapieentscheidungen getroffen
Verstoß gegen die Remonstrationspflicht
Verstoß gegen die berufsrechtlichen Vorgaben
• Konsequenz:Sorgfaltspflichtverstoß liegt nahe, denn die Pflegefachkraft kann nicht nachweisen, dass sie den Patienten nach dem neuesten Stand der Erkenntnisse behandelt hat, sich also sorgfaltsgetreu verhalten hat. (siehe Punkt „Dokumentation“)
Beweis des ersten Anscheins spricht dafür, dass die Pflegekraft die Wundbehandlung mit unsterilen Produkten vorgenommen hat, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall war.
Mehrere Probleme:
Zivilrechtliche Ansprüche
Strafrechtliche Ansprüche
Rechtliche Würdigung
aus Vertrag (Behandlungsvertrag)
Aus Gesetz (§§823, 831 BGB)
z.B. §229 StGB (Fahrlässigkeit)
gegenüber dem Vertragspartner
gegenüber der Institution und der
Pflegekraft
Gegen die Organisation (aus
Organisationsverschulden)
Gegen den Handelnden
Mangels fehlender Dokumentation schlechte Beweislage!
(+)
(+)
Anderer Fall: Eindeutiger Behandlungsfehler!?
Beispiel (OLG Köln vom 27.06.2012, AZ 5U38/10):(versehentliche) Spülung einer infizierten Wunde mit einem propanolhaltigen Flächendesinfektionsmittel.
Sachverhalt:Bei der Klägerin traten rezidivierend Abzesse in der linken Brust auf. Zuletzt wurde ein Abzess in der linken Brust der Klägerin am 19.05.2006 im Krankenhaus der Beklagten gespalten. Postoperativ wurde die Wunde mit einem Wunddesinfektionsmittel gespült. Am 01.06.2006 spülte eine bei der Beklagten beschäftigte Ärztin die Wunde in der linken Brust (versehentlich) mit einem Flächendesinfektionsmittel. Noch am 01.06.2006 wurde die Wunde mehrfach mit einer Kochsalzlösung gespült.
Die Klägerin begehrte Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,00 EUR. Ferner beantragte sie festzustellen, dass ihr sämtliche materiellen Schäden aus dem Vorfall vom 01.06.2006 zu ersetzen sind, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen werden oder übergegangen sind.
Urteil: LG Köln hat nur 4.000 EUR Schmerzensgeld zugesprochen und die begehrte Feststellung bejaht. Das OLG Köln hat das Schmerzensgeld noch um 1.500 EUR erhöht.
Begründung:Den für die Beklagte handelnden Ärzten ist mit der Spülung der Wunde in der linken Brust mit einem Flächendesinfektionsmittel ein grober Behandlungsfehler unterlaufen.Die (versehentliche) Verwendung eines Flächendesinfektionsmittels zur Spülung einer Wunde ist ein eindeutiger Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich ist und einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.
Ausblick
Dennoch: tatsächlich nur wenige „Schadenseintritte“ beschäftigen die Gerichte
• Beurteilung möglich, ob Schadenseintritt aufgrund fehlender Compliance des Patienten und/oder sonstiger Umstände eingetreten ist (z.B. aufgrund neurologische Erkrankungen oder Stoffwechselstörungen)
• Also nicht aufgrund einer Falschbehandlung
Gründe: Gerichte sind durch Sachverständige oft sehr gut beraten
• Behandlung nach dem aktuellen wissenschaftlichen Standard durchführen und mit qualifizierten Personal
• Dokumentation der Leistungen vornehmen• Information aller Beteiligter und Behandlungsmissstände aufzeigen
Wichtig dabei immer Beachtung der Selbstverständlichkeiten:
Ausblick
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