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Mittwoch, 22. Juni 2016 / Nr. 142 Neue Luzerner Zeitung Neue Zuger Zeitung Neue Nidwaldner Zeitung Neue Obwaldner Zeitung Neue Urner Zeitung 9Kultur

«Menschsein ist eine Kunst»POP Laura Mvula war 2013 das Gesicht des Blue Balls Festival. Jetzt legt sie eine neue, grossartige Platte vor und kehrt wieder nach Luzern zurück.

STEFFEN RÜTH [email protected]

Laura Mvula braucht nur schnell die Augen zu schliessen, schon ist sie ganz woanders. Nicht mehr in London, wo die 30-jährige Sängerin und Songschrei-berin am Abend ihr wundervolles zwei-tes Studioalbum «The Dreaming Room» vorstellen wird. Sondern in Marrakesch. «Mein Gehirn schiesst dauernd Bilder, die es nie mehr vergisst», so Mvula. «In Marokko war ich als Teenager mit der A-cappella-Gruppe, in der ich sang. Die Hitze, das Essen, die fremden Gerüche, die Kamele, es war so chaotisch und intensiv, einfach herrlich.»

«Es ging immer nur um mich»Mvulas fotografisches Sinnes- und Ge-

fühlsgedächtnis hat freilich auch seine Tücken. Wenn es zu voll wird im Kopf, bekommt sie Panikanfälle, früher lag sie in der Nacht oft schlaflos im Bett. Musi-kalisch setzt Laura die Attacken, die seltener und berechenbarer geworden seien, mittels klanglicher Kakofonie am Schluss des zunächst harmonischen Al-bumauftaktstück «Who Am I» um. «Ich war lange sehr narzisstisch, das hat die Anfälle begünstigt. Alles ging immer um mich, mich, mich.»

Auch die extreme Bühnenangst, die sie einst quälte, und wegen der sie den Kirchenchor im heimischen Birmingham lieber dirigierte als in ihm zu singen, hat sich mittlerweile gebessert. Verstecken konnte sich das nachdenkliche Mädchen mit der tollen, tiefen Stimme eh nicht auf Dauer, und gleich das Debütalbum «Sing To The Moon» war 2013 ein Erfolg. Lau-ra Mvula teilte die Bühne mit Prince und sang in Glastonbury direkt vor den Rolling Stones. Auch in Luzern kennt man sie seither bestens: Das Blue Balls kürte sie zu ihren «Face», und ihr Gesicht prang-te auf Hunderten Plakaten in der ganzen Schweiz – dieses Jahr kehrt sie an das Festival zurück (30. Juli).

«Ich will Erfolg haben, kein Nischen-thema sein», sagt die Sängerin mit den karibischen Wurzeln und der Leiden-schaft für Gospel, die Jill Scott, Nina Simone, Sade und Erykah Badu als wich-

tigste Einflüsse nennt und die ursprüng-lich klassische Komposition studierte.

Frisch getrenntFür ihr neues Album, auf dem sie

geradezu schwerelos mit Pop, Gospel, Soul und Jazz experimentiert, habe sie sich noch weiter entfernt von Genrebe-grenzungen. «Je länger ich eigene Songs schreibe, desto selbstbewusster werde ich», hat Laura beobachtet. «Die Zeit ist mein Freund. Mit jedem Lebensjahr blicke ich entspannter und grübelfreier auf mich selbst. Gerade feierte sie ihren Dreissigsten. «Im Laufe des Lebens er-kennst du, wie wenig du überhaupt unter Kontrolle hast.» Das Leben schreibt eben seine eigenen Geschichten, und nicht immer nehmen diese ein glückliches Ende. «Nach 23 Jahren haben sich mei-ne Eltern scheiden lassen, auch ich selbst habe mich vor kurzem von meinem Mann getrennt, die Mutter meiner besten Freundin ist gestorben.»

Das Schöne wie den Mist des Lebens in ihre Musik einzubauen, das gelingt Laura Mvula grandios auf «The Dreaming Room». Viele Lieder sind eher sanft und eindringlich, immer wieder kommt auch ein Chor zum Einsatz, richtig fulminant und hymnisch wird es ganz am Ende, in der Feminismus-Gospelsoul-Hymne «Phenomenal Woman». «Ich wollte einen Song schreiben für alle Frauen auf der ganzen Welt. Einen Song, zu dem du nackt vor dem Spiegel tanzt und weisst, dass du als Mensch einen hohen Wert hast.» Weitere Höhepunkte des Albums: Das energische, an der Gitarre von ihrem guten Freund Nile Rodgers veredelte, «Overcome», das vom Chor getragene «Bread» sowie das Popradio-taugliche, temporeiche «Let Me Fall».

Laufendes KopfkinoGemein haben alle diese Songs, dass

Laura Mvula inhaltlich ihren Erfahrungs-schatz mit ihrer ganz persönlichen Sicht aufs Sein verwebt. «Am Leben zu sein, ist so eine schrecklich komplizierte Sache. Aber auch so eine herrliche. Uns Men-schen passieren tragische Dinge, immer wieder. Das Menschsein zu meistern ist eine Kunst, aber es ist möglich.» Als sich beim Schreiben von «Overcome» mal wieder Laura Mvulas Kopfkino anschal-tete, stellte sie sich vor, im Stockdunkeln auf einen Berg zu kraxeln. «Als ich den Gipfel erreichte, ging die Sonne auf.»

HINWEISLaura Mvula: The Dreaming Room (Sony) •••••

Live: 30. Juli, Blue Balls Festival, KKL, Luzern, 20.00, Infos und Tickets: www.blueballs.ch

Gregor Törzs vergrössert das Kleinteilige unserer Welt LUZERN Gregor Törzs ging den Weg vom Gute-Laune- Fernsehen zur Fotografie. Er lässt viele Special Effects in seine Werke einfliessen.

Wer als Kind einmal ein vom Baum gefallenes Blatt gegen die Sonne gehalten hat, weiss um die tiefen Einsichten in Äderchen und Verästelungen, die uns Licht gewähren kann. Den deutschen Fotografen, Regisseur und Ex-Schauspie-ler Gregor Törzs hat diese Magie des Lichts nie losgelassen. Heute intensiviert der 46-Jährige den Blick seiner Kinder-tage in seiner Fotografie, die derzeit in der Luzerner Galerie Bernheimer be-wundert werden kann. Und er tut das mit dem technischen Rüstzeug einer vielseitigen beruflichen Vergangenheit.

Ausflug vor die KameraEs war ein Werbespot für den Musik-

sender MTV, der Törzs Mitte der Neun-zigerjahre ins Schauspielfach katapultier-te. Eigentlich als Kameramann vorgese-hen, wurde der gut aussehende Kerl vom Regisseur kurzerhand ins Bild geschubst. Mit einer coolen Fellmütze faselte Törzs etwas von Konzept, und MTV und war nach ersten schauspielerischen Gehver-suchen im Independent-Film schon bald für die Rolle des netten Kerls in deutschen Fernsehschnulzen abonniert.

Doch die Einsicht, dass diese Welt mit seinem Selbstkonzept nicht deckungs-gleich sei, kam Törzs schon bald. Der Erwerb der Kastenkamera Boy der Firma Bilora auf einem Berliner Flohmarkt war Törzs’ künstlerische Initialzündung. Mit dem technisch arg limitierten Bestseller der 1950er-Ära fand Törzs zu seinem eigenen Stil. Den Namen der Kamera hat er auch namentlich in einer Fotoreihe verewigt. Sie heisst herrlich-doppeldeutig: «Boy on Safari». Fünf Werke daraus sind in Luzern zu sehen.

Museumssafari Für «Boy on Safari» begab sich der

Künstler in die selten gewordenen Dio-ramen kunsthistorischer Museen. Dass es sich bei seinen Aufnahmen um Foto-grafien von Schaukästen handelt, in denen ausgestopfte Tiere vor gemalten Landschaften stehen, ist diesen in einen nuancenreichen weichen Grauschleier getauchten Fotos, auf denen sich raub-tierhafter Freiheitsdrang in unheimli-cher Stille Bahn bricht, nicht anzusehen. Den deutschen Modedesigner Wolfgang Joop inspirierte Törzs’ Safari-Reihe gar zu einer eigenen Herbstkollektion. Joop liess Törzs’ Motive – etwa das stolze Geweih eines Hirsches – als Tierprints dezent unter einem Mantel hervorspit-zeln und zitierte das Grau in Grau der Törzs’schen Ästhetik im Grau in Grau der Textilschichten.

Nun also ist Törzs, der mit 20 nach L. A. auswanderte, wo er sich bei all den Jobs im Hintergrund (Kameramann,

Lichttechniker) grosses handwerkliches Wissen angeeignet hat, nach seiner Schauspielkarriere als Fotograf wieder im Hintergrund angekommen. Und eben bei diesem Licht, das bei ihm nicht auf Objekte fällt, sondern sie von hinten durchleuchtet – wie das Baumblatt sei-ner Kindertage.

Originell, wenn nicht einmalig sind die Umsetzungsideen dieses Tüftlers, der von seinen Lehrjahren in den Special-Effects-Abteilungen der Traumfabrik Hollywood profitiert hat. Für die Reihe «Ciel Lourd»

hat der passionierte Taucher Motive auf Plexiglas gedruckt und unter Wasser ab-fotografiert. Aus 2000 Negativen entstan-den 26 Traumbilder, die dem Orkus oder dem Unbewussten entstiegen zu sein scheinen. Auf den im Platindruckver-fahren entstandenen Fotos, für die Törzs eine alte Fotokamera unterwassertauglich machte, schwebt ein Gartentor oder ein altes Flugzeug zeitlos im Meer, davor ziehen Fischschwärme.

Da also dieser Künstler, der sich frü-her im strahlenden Wetter des Gute-

Laune-Fernsehens sonnte, und da diese introvertierte, melancholische Kunst, die sich feinfühlig den Techniken des 19. Jahrhunderts zuwendet.

Das Ego zurückfahren«Beim Fotografieren ist es wichtig,

dass man sein Ego auf absolute Molekül-grösse reduziert», hat Törzs einmal ge-sagt. Und ebenso wichtig scheint ihm zu sein, seine Objekte auf absolute Molekülgrösse heranzuzoomen – seien es Salzkristalle oder Schmetterlingsflü-gel: In der von Martina Kral kuratierten Ausstellung blickt man in und durch die Dinge hindurch. Manche seiner Arbeiten hat der Künstler auf durchscheinendem, japanischen Gampi-Papier realisiert. Das ist mindestens so fragil ist wie Törzs’ Motive. Weil das Papier im Schaffens-prozess zerknittert, wird die Textur der Beinchen und der Fühler auch haptisch erfahrbar.

Martina Kral, welche die Luzerner Sammlung Rosengart betreut, vergleicht Törzs denn auch mit Paul Klee. Denn Törzs vergrössert das Kleinteilige unse-rer Welt mit allem, was die altmodische Fototechnik hergibt, um nur noch mehr von dieser Kleinteiligkeit fürs Auge sicht-bar zu machen.

JULIA STEPHAN [email protected]

HINWEISGregor Törzs: «Fragile Welten». Bis 16. Juli in der Galerie Bernheimer, Haldenstrasse 11, Luzern. www.bernheimer.ch

«Im Laufe des Lebens erkennst du, wie wenig du überhaupt unter Kontrolle hast», sagt Laura Mvula (30).

PD

Gregor Törzs’ «Pérolle» zeigt einen Falter, wie man ihn noch nicht gesehen hat.

PD/Bernheimer Fine Art Photography

Die Stärken im MusikalischenZÜRICH sda. Bereits während des Vorspiels zu Vincenzo Bellinis Oper «I Puritani» geht es auf offener Bühne hochdramatisch zur Sache: Ein Paar von hohem Stande (historisierende Kostüme: Barbara Drosihn) ist auf der Flucht. Verfolgt werden die beiden von einer Meute mordlustiger Ge-sellen in schwarzen Kleidern und breitrandigen Hüten. Das Paar wird gefangen, der Mann gefesselt, ent-hauptet, sein Kopf der Frau unter Hohn und Spott zugeworfen.

Am Opernhaus Zürich setzt Regis-seur Andreas Homoki dieses Ereignis derart drastisch ins Bild, um die be-wegten Zeitläufe der englischen Bür-gerkriege zu unterstreichen, die in der Exekution des Stuart-Königs Charles I. endeten. Und am Schluss wird sich die grause Eingangsszene mit anderen Protagonisten wieder-holen: Der Enthauptete ist Arthur Talbot, Stuart-Anhänger, seine ver-zweifelte Geliebte Elvira ist Tochter eines Puritaner-Gouverneurs. Auch das steht nicht so im Libretto zu Bellinis Oper: Dort wendet eine Ge-neralamnestie die Tragödie in letzter Minute zum Guten.

Grosses Hin und HerIn Homokis Inszenierung schieben

sich zwischen die beiden Hinrichtun-gen zweieinhalb lange Stunden alt-backene Bühnenregie, wie man sie nach seiner grossartigen «Wozzeck»-Regie nicht erwartet hätte. Die schwa-che Handlung macht es der Regie nicht leicht. Dennoch ist das plakative Ge-stenrepertoire schwer zu goutieren. Dazu kommt ein Hin und Her von Protagonisten und Chor, der sich per-manent selbst im Wege steht. Als sei das nicht genug, kreist die Drehbühne praktisch ohne Unterlass: Ein Rund-bau, in dem hochzeitliche Kerzen leuchten, Erhängte baumeln oder sich Berge von Leichen türmen.

Ihre Stärken hat die Produktion im Musikalischen. Unter Fabio Luisis Di-rigat erklingt Bellinis Musik geschmei-dig, mit subtilen Bläserstellen und fern aller Larmoyanz. Und zum belcanti-schen Fest wird der Abend allemal. An der Spitze eines sich steigernden Ensembles steht die Sopranistin Pretty Yendes als Elvira: Deren jugendlich reine Stimme hebt sich mit gerunde-tem Glanz auch über die opulentesten Chorwogen hinweg und ist wie ge-schaffen für diese Rolle.

HINWEISWeitere Aufführungen bis 10. Juli. Infos: www.opernhaus.ch