LOUIS WEINMANN PROJEKT
Von der neuen Eigentümerin des Areals, der Isaria Wohnbau, ist der Bau von
etwa tausend Wohnungen auf 90.000 m² geplant. Hinzu kommt die Erschlie-
ßung von 60.000 m² für gewerbliche Nutzung. Der in großen Teilen unter
Beton begrabene Mühlbach, einst wichtig für die Stromgewinnung und als
Rohstoff bei der Papierproduktion, soll wieder freigelegt werden.
Die Geschichte der MD ist bei den Menschen in Dachau, in der Umgebung
und darüber hinaus noch immer sehr präsent. Dessen ist sich die Isaria Wohn-
bau bewusst, und sie möchte das historische Erbe besonders pflegen. So
sind die denkmalgeschützten Gebäude wichtiger Bestandteil des Bebauungs-
konzepts und die Geschichte der MD soll auch die gesamte Entwicklung des
Stadtviertelprojektes begleiten, unter anderem in Form der hier vorliegenden
Broschüre. Ein urbanes Areal wird entstehen, in dem die Geschichte der MD
gegenwärtig bleibt.
Das erste Logo der München Dachauer Aktiengesellschaft für
Maschinenpapierfabrikation, kurz „MD“. Das Unternehmen
wurde 1862 gegründet.
Der Besitzstand des Mühlenbesitzers Johann Dick in Dachau. Im Jahr 1871 veräußerte er das große Areal an die MD, die so in den Besitz der Steinmühle kam. Hier entstand eine Papierfabrik, die in den folgenden Jahrzehnten die Hauptfabrik der MD wurde.
Es war im Jahr 1862, also vor mehr als 150 Jahren, als der Ingenieur
Gustav Medicus ein Unternehmen für Papierherstellung gründete: die
München Dachauer Actiengesellschaft für Maschinenpapierfabrikation.
Aus dieser Gründung entwickelte sich in wenigen Jahrzehnten einer der
erfolgreichsten Papiererzeuger Deutschlands. Betriebliches Zentrum
der MD, wie die Papierfabrik kurz genannt wird, war das Werk in Dach-
au. Die Bedeutung der MD für die Region war außerordentlich hoch. So
waren erst mit der Ansiedlung der Papierindustrie die Voraussetzungen
gegeben, dass Dachau zu einer modernen Stadt werden konnte. Jahr-
zehntelang war die MD einer der wichtigsten Arbeitgeber in Dachau und
Umgebung. Die Wirkkraft der MD ging aber über die regionalen Grenzen
hinaus. Mittels ihrer Kunden hatte sie Verbindungen in ganz Europa
und auch bis nach Übersee.
Im Jahr 2007 wurde die Papierproduktion in Dachau eingestellt. Seit-
dem wird viel über die Zukunft des Fabrikareals diskutiert, das immer-
hin größer als der historische Stadtkern Dachaus ist und sich zugleich
in unmittelbarer Nachbarschaft zu diesem befindet.
Von der Papierfabrik zum Stadt-viertel
Eine Hochzeit stand am Anfang des Weges hin zur Gründung der München
Dachauer Actiengesellschaft: Im Jahr 1850 heiratete Gustav Medicus in die
Welt der Papierherstellung und Papierverarbeitung ein. Seine Frau Caroline
Rösl war die Tochter des Hofdruckereibesitzers Joseph Rösl. Ihre Familie be-
saß unter anderem eine Papiermühle in der Au in München. Diese Papier-
mühle übernahm Medicus ein Jahr nach der Hochzeit, und er war es gewesen,
der sich ambitioniert der Aufgabe annahm, aus der Rösl’schen Papiermühle
etwas Größeres zu machen. Er modernisierte das Unternehmen, vor allem
aber erwarb er 1859 die Paun‘sche Papiermühle in Dachau. Die beiden Pa-
piermühlen führte er in ein Unternehmen zusammen: in die neue Aktienge-
sellschaft, die offiziell am 12. November 1862 ins Leben gerufen wurde. Sitz
war München, erster Vorstand wurde Medicus.
Die Ursprünge der Papiermühle in der Münchner Au reichen vermutlich bis
in das 14. Jahrhundert zurück. Kaiser Ludwig der Bayer soll im Jahr 1347
dort eine Papiermühle errichtet haben lassen, wobei dies nicht zweifelsfrei
nachweisbar ist. Historisch sicher belegt ist aber, dass knapp anderthalb Jahr-
hunderte später, im Januar 1490, Balthasar Pötschner vom bayerischen Her-
zog Albrecht IV. die Genehmigung erhielt, eine Papiermühle in der Au zu
bauen, eben auf jenem Grundstück, auf dem die Mühle aus der Zeit Ludwig
des Bayern gestanden haben soll. Wie auch immer die frühen Anfänge genau
ausgesehen haben mögen: Die Papierherstellung in München hat eine sehr
lange Tradition.
Papierherstellung mit langer Tradition in München und Dachau
Durch das Königlich-Bayerische Kreis-Amtsblatt wurde die königliche Genehmigung zur „Bildung einer Aktiengesellschaft zur Uebernahme und zum Betriebe der Rösl’schen Papierfabriken in der Vorstadt Au und in Dachau“ bekanntgegeben.
Die Papierfabrik im Münchner Stadtteil Au Ende des 19. Jahrhunderts. Im Kreis ist die Fabrikmarke der
MD aus dem Jahr 1880 zu erkennen.
Der Mühlbach im Münchner Stadtteil Au. In der Mitte ist die Auer Papierfabrik zu
erkennen. Medicus hatte diese Papierfabrik 1851 erworben. Sie stand am Anfang der MD.
Gustav Medicus (1821–1883), der Gründer der MD, war vor seiner Karriere als Fabrikbesitzer Oberleutnant im bayerischen Ingenieur-Corps. Außerdem betätigte er sich schriftstellerisch und war Vorsitzender einer Dichterrunde in München.
In den folgenden knapp 400 Jahren wechselte die Auer Papiermühle wieder-
holt den Besitzer, brannte einige Male aus und erlitt auch durch Hochwasser
Schäden. Medicus selbst musste gleich zu Beginn seiner Karriere als Papier-
hersteller zwei Hochwasser in den Jahren 1851 und 1853, die seine Papier-
mühle erreichten, verkraften. Dies erschwerte sein Modernisierungsvorhaben,
doch letztlich gelang ihm die Erneuerung derart, dass aus der alten Papier-
mühle eine leistungsfähige Papierfabrik wurde.
Neue Maschinen waren auch dringend notwendig geworden, denn die Papier-
herstellung hatte sich in wenigen Jahrzehnten vollkommen verändert. Lan-
ge Zeit war Papier ein teures Gut gewesen, da zu dessen Herstellung nicht
im Übermaß verfügbare Textilreste, sogenannte Hadern, benötigt wurden. In
den 1840er Jahren aber wurde ein Verfahren entwickelt, mit dem Papier aus
Holzfasern hergestellt werden konnte. Der vergleichsweise günstige und nach-
wachsende Rohstoff Holz ermöglichte es, dass Papier zu einem Massenpro-
dukt wurde.
Die Wiege der MD Papierfabrik
liegt in der Münchner Au.
Gustav Medicus heiratet 1850
in die Papiermacherfamilie Rösl
ein, erwirbt deren Papierfabrik
in der Au und gründet nach
Erwerb einer weiteren Fabrik
in Dachau 1862 die München
Dachauer Actiengesellschaft für
Maschinenpapierfabrikation. Es
war nicht von Beginn an eine
Erfolgsgeschichte.
Traditionsreich in der Papierherstellung – aber lange nicht mit so alten
Wurzeln wie die Papiermühle in der Au – ist auch der Standort Dachau.
Die Paun’sche Papiermühle, die Medicus hinzugekauft hatte, geht auf
das Jahr 1837 zurück. In jenem Jahr bekam der Tischler Willibald Ruf
vom Dachauer Magistrat die Erlaubnis, seinen Besitz zum Bau einer
Papiermühle zu erweitern. Drei Jahre später erwarb Johann Paun die
Papiermühle und baute diese aus, bis schließlich Gustav Medicus von
München aus nach Dachau expandierte und die Paun’sche Fabrikation
übernahm.
So vielversprechend die Anfänge des Gustav Medicus auch waren, ver-
liefen die ersten Jahre der „MD“ alles andere als erfolgreich. Hinter-
grund war, dass das Kapital für den Betrieb von zwei Papierfabriken
gänzlich unzureichend war. Hinzu kamen Schwierigkeiten in der Unter-
nehmensführung. Gut ausgebildetes Personal war rar und die Führungs-
kräfte vor Ort agierten vielfach ungeschickt.
Die Wende brachte ein junger Mann: dem erst 25-jährigen Louis Weinmann,
der 1864 in die Papierfabrik eintrat, gelang es, das angeschlagene Unterneh-
men in wenigen Jahren zu sanieren.
Louis Weinmann war jüdischer Herkunft und wurde am 4. September 1839
im bayerisch-schwäbischen Wallerstein geboren. In München arbeitete er zu-
nächst als Buchhalter und Kassierer im Bankhaus Josef von Hirsch. Der junge
Louis Weinmann heiratete Julie Wassermann, mit der er drei Söhne hatte:
Rudolf, Friedrich Wilhelm und Kurt.
In die MD war er 1864 sogleich als 1. Vorstand eingetreten. Der Betrieb wur-
de von ihm durchorganisiert und auf seine Person zentriert. Alte Kräfte, die
dem Unternehmen geschadet hatten, wurden entlassen, neue zuverlässige
wurden eingestellt. Auf Louis Weinmann gehen einige wichtige Investitionen
zurück, wie der Kauf des weitläufigen Areals „Steinmühle“ in Dachau. Hier
entstand eine Papierfabrik, die sich in den kommenden Jahrzehnten zum
Herzstück der MD entwickeln sollte. Der Betrieb erhielt eine Werksfeuerwehr,
die auch im „Rayon des Marktes in Gemeinschaft“ mit Löschmannschaften
der Gemeinde Dachau „Hilfe leisten“ wollte. Neue Maschinen wurden an-
geschafft, so etwa eine Papiermaschine, die auf der Weltausstellung in Wien
1873 als technische Innovation präsentiert worden war. 1881 folgte der Kauf
Erfolgreich dank Louis Weinmann
einer Holzstofffabrik in Olching. Weinmann erweiterte diesen Standort wenige
Jahre später um eine neue Fabrik. 1883 kam noch die Pasinger Papierfabrik
hinzu. Parallel zu den Erwerbungen und Erweiterungen wurde die Fabrikation
in der Au schrittweise zurückgefahren.
All dies zeitigte Erfolge, die sich unter anderem in den Dividendenzahlungen
niederschlugen. Während in den Jahren 1863 bis 1867 keine Dividende aus-
gezahlt werden konnte, gab es 1868 immerhin sechs Prozent, im Jahr darauf
bereits acht Prozent.
Soziale Verantwortung wird in der
MD seit jeher großgeschrieben.
Untrennbar verbunden damit ist
der Name Louis Weinmann. Mit
ihm hielt nicht nur der Erfolg
Einzug, er brachte auch zahlreiche
Sozialleistungen auf den Weg. Bis
heute ist er als „Vater der Arbeiter“
in Erinnerung.
Weinmann musste während seiner Vorstandschaft auch Rückschlä-
ge hinnehmen wie den Großbrand der Grobmühle in Dachau und die
schwere Dampfkesselexplosion im Pasinger Werk, bei der fünf Arbei-
ter und ein Kind ums Leben kamen. Während die Papierpreise in den
1880er Jahren sanken, kam es gleichzeitig zu einer Erhöhung der Roh-
stoffpreise. Auch dieses Problem konnte der inzwischen zum Kommer-
zienrat ernannte und zum Handelsrichter avancierte Weinmann lösen,
indem er weiter rationalisierte, die Papierfabrik auf Illustrationsdruck-
papier spezialisierte und den Papierpreis durch die Gründung des Ver-
bandes der deutschen Druckpapierfabriken stabilisierte.
1890 wurde Louis Weinmann Hauptaktionär der MD und wechselte in
den Aufsichtsrat, welchem er ab 1894 vorsaß. Allgemein erfreute er
sich bei den Arbeitern aufgrund seines sozialen Engagements großer
Beliebtheit und wurde sogar als „Vater der Arbeiter“ bezeichnet. Wein-
mann gründete eine Betriebskrankenkasse und eine Pensionskasse für
die Werksangehörigen, sowie einen Wohltätigkeitsfonds, mit dessen
Zinsen in Not geratene Arbeiter und Beamte Unterstützung fanden.
Die hygienischen Verhältnisse im Betrieb wurden verbessert, so wurde
etwa ein eigenes Brausebad eingerichtet. Louis und Julie Weinmann
gründeten zudem eine Stiftung, die Kinder von verstorbenen oder ver-
unglückten Beschäftigten unterstützte sowie etwas zu den Lehrgeldern
von Arbeiterkindern beisteuerte.
Louis Weinmann wohnte mit seiner Familie in München. Hier erwarb
er in der Leopoldstraße 5 eine Villa, die nach Plänen des bekannten
Architekten Albert Schmidt errichtet worden war. Schmidt war auch
Architekt der alten Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße im Zent-
rum von München. Wie der Zufall es will, befindet sich der Firmensitz
der Isaria Wohnbau AG in der Leopoldstraße 8, genau gegenüber der
einstigen Weinmann-Villa.
Das 25-jährige Bestehen der MD wurde am 12. November 1887 im Bürgerlichen Brauhaus
in der Au gefeiert. Im Jubiläumsjahr entstand auch dieses Foto, das die festlich gekleideten
Papiersaalfrauen und ihren Meister zeigt.
Louis Weinmann (1839–1902) wurde im Mai 1864 in den Vorstand der MD gewählt. Zunächst als Beamter auf drei Jahre angestellt, erhielt er ein Jahresgehalt von 2.000 Gulden sowie eine sechs prozentige Beteiligung am Reinertrag.
Um den Mitarbeitern günstigen Wohnraum in der Nähe ihres Arbeitsplatzes anbieten zu können,
errichtete die MD mehrere Häuser nahe der Fabrik, hier zu sehen auf einer Postkarte, datiert auf den
1. Januar 1904.Die Villa des Kommerzienrats Louis Weinmann in der Leopoldstraße 5. Ihr Architekt: Professor Albert Schmidt, der auch für andere Unternehmerpersönlichkeiten Villen entwarf.
Dachau und Umgebung waren Mitte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich
landwirtschaftlich geprägt gewesen. Dies änderte sich mit dem Beginn der
Papierproduktion vor Ort, wodurch auch Arbeitskräfte von außerhalb angezo-
gen wurden und die Bevölkerung stark anwuchs. Zwischen 1871 und 1900
verdoppelte sich die Einwohnerzahl Dachaus auf 6.000.
Mittlerweile war Dachau sogar zu einem Zentrum des Kunstschaffens gewor-
den. Einige der bedeutendsten Vertreter der deutschen Freilichtmalerei wie
Lovis Corinth, Max Liebermann und Max Slevogt wirkten hier. Die Moosland-
schaft im Dachauer Umland inspirierte die Künstler, und Carl Spitzweg malte
im Dachauer Schloss sein bekanntes Werk „Der Bücherwurm“. Eine Gruppe
um Ludwig Dill, Arthur Langhammer und Adolf Hölzel gründete um 1897 die
Malschule „Neu-Dachau“.
Inwieweit die Künstler das Papier der MD etwa für ihre Skizzen nutzten, ist
unbekannt, aber man weiß, dass der Schriftsteller Ludwig Thoma seine „Hei-
lige Nacht“ auf Papier schrieb, das die MD hergestellt hatte. Papier von der
MD war zudem bei der Herstellung für illustrierte Zeitungen sehr geschätzt.
Hierzu zählten etwa die Satirezeitschrift Simplicissimus oder die Kunst- und
Literaturzeitschrift Jugend.
Weiterer Aufstieg und Krisen Die Bedeutung der MD für Dachau als Arbeitgeber kann nicht überschätzt
werden. Zur Jahrhundertwende arbeiteten hier immerhin mehrere hundert
Personen. Die Expansion der Papierfabrik hatte auch Einfluss auf die Topogra-
phie der Gemeinde. So erhielt das Werk Steinmühle einen Industriegleisan-
schluss. Und das Unternehmen baute zu Beginn des 20. Jahrhunderts einige
Häuser und Wohnungen für seine Arbeiter im Umfeld der Fabrik. Besonders
markant ist das Weinmann-Haus mit seinen 19 Wohnungen für Angestellte.
Es wurde zum Andenken an Louis Weinmann so genannt. Er war am 13. Mai
1902 in seinem Haus Leopoldstraße 5 in München gestorben.
Ihren Erfolg hatte die MD nicht nur dem umsichtigen Management Wein-
manns zu verdanken, sondern auch der konjunkturellen Entwicklung in
Deutschland. Die Wirtschaft boomte, womit ein erhöhter Bedarf an Papier
einherging. Damit bekam man zugleich aber auch mehr Konkurrenz. 1907
gab es in Bayern über 2.000 Papierfabriken mit knapp 20.000 Beschäftig-
ten. Die Produktionskapazitäten und Arbeitsplätze hatten sich innerhalb von
30 Jahren etwa verdoppelt.
Deutschland Anfang des
20. Jahrhunderts:
Die Industrialisierung schreitet
zusehends voran, was vielerorts
zur Urbanisierung führt. Dachau
erfährt in dieser Zeit einen großen
Zuzug. Die MD als attraktiver
Arbeitgeber ist dafür maßgeblich
verantwortlich. Jedoch sollten die
„Goldenen Zwanziger“ auch Krisen
für die Papierfabrik bereithalten.
Die Hochkonjunktur fand allerdings mit Ausbruch des Ersten Weltkrie-
ges ein jähes Ende. Auch bei der MD machte sich der Krieg sogleich
bemerkbar. Viele Arbeiter wurden zum Kriegsdienst eingezogen. Ange-
hörige der einberufenen Männer erhielten vom Unternehmen einen mo-
natlichen finanziellen Zuschuss: zehn Mark für Frauen, sechs Mark für
jedes Kind unter 14 Jahre.
Prompt wurde der Arbeitskräftemangel zu einem Problem. Immer mehr
Frauen wurden daher eingestellt, die auch Arbeiten zu übernehmen hat-
ten, die bislang von Männern erledigt wurden. Es kam zum Einsatz von
30 französischen Kriegsgefangenen. Rohstoffengpässe wurden im Lau-
fe des Krieges immer akuter. Von den einberufenen Arbeitern der MD
verloren 54 ihr Leben an den Fronten.
Generell war die Geschäftslage der MD aber günstig. Es konnten Im-
mobilien erworben werden, sogar der Werkswohnungsbau wurde voran-
getrieben. Die MD war vielfältig in der Lage zu spenden und Sonderver-
gütungen zu zahlen.
Auch 1912 feierte man bei der MD das Firmenjubiläum, wenn auch im kleineren
Umfang. Für das Vorstandsmitglied Hans Kullen war es zugleich das 25-jährige Dienstjubiläum,
was die „Damen der Geschäftsführung“ zum Anlass nahmen, für dieses Foto zu posieren.
Das Logo der MD ab 1927. Von nun an ziert das sogenannte Münchner Kindl das „M“ sowie das jetzt liegende „D“. Beim Münchner Kindl handelt es sich
um die Wappenfigur der Stadt München. Es stellt einen oft verkindlichten Mönch in Kutte dar, der in seiner linken Hand
ein Buch hält und mit der rechten einen Schwur leistet beziehungsweise einen
Segen erteilt.
In Dachau entstand seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Künstlerkolonie. Hierzu gehörte auch der Maler Hans von Hayek. Er kam 1900 nach Dachau, wo er eine Malklasse leitete. Auf dem Foto sieht man ihn,
wie er die Arbeit einer Schülerin korrigiert.
Das Weinmannhaus bot 19 Beamten- und Arbeiterfamilien günstigen
Wohnraum. Jahrzehnte später wurde es abgerissen und an seiner Stelle die
Zentralwerkstatt errichtet.
Im Jahr 1906 ließ die MD auf dem Gelände der Steinmühle das sogenannte
Weinmannhaus errichten.
Während die MD in den Kriegsjahren also erfolgreich wirtschaftete, stand das
Unternehmen in den Nachkriegs- und Revolutionsjahren vor existentiellen
Schwierigkeiten. Die Marktsituation war dabei weniger ein Problem. So heißt
es im Bericht des Vorstandes über das Geschäftsjahr 1919: „Die Nachfrage
nach unserem Fabrikat war während des ganzen Jahres eine sehr lebhafte.“
Vielmehr war die Beschaffung von Rohstoffen gegenüber den Kriegsjahren
noch schwieriger geworden und „wegen vieler Hemmungen in der Fabrika-
tion“ war es schwer, „auch nur einigermaßen unsere Kundschaft zu befriedi-
gen“.
Die dezentralisierte Lage der Produktionsstätten erschwerte ein rationelles
Arbeiten. Die Hyperinflation trug zur angespannten Lage beachtlich bei. Es
wurde versucht, an allen Ecken zu sparen. Mit Vermietung von ungenutztem
Lagerraum konnten zumindest einige Nebeneinnahmen generiert werden,
und es wurde eine „Ermahnung, den privaten Gebrauch der Dienstwagen ein-
zustellen“ formuliert.
Auf das Ende der Inflation folgten die „Goldenen Zwanzigerjahre“, aber noch
nicht für die MD. Sie konnte sich nicht so schnell erholen. 1926 übernahm
eine Berliner Finanzgruppe, zu der unter anderem Adolf Jandorf, der Gründer
des KaDeWe in Berlin gehörte, die Mehrheit der MD-Aktien. Die neuen Be-
sitzer benötigten ein Jahr, um das Unternehmen so umzustrukturieren, dass
wieder Gewinne mit Dividendenausschüttung möglich wurden.
Gegen Ende des Jahrzehnts verschlechterte sich die allgemeine wirtschaftli-
che Lage erneut. Die Arbeitslosenzahl stieg rasant, die Anzahl der Betriebe in
der bayerischen Papierindustrie reduzierte sich auf etwa 1.350, die Zahl der
Beschäftigten von etwa 24.000 auf rund 18.400. Auch bei der MD kam es
zu Kurzarbeit und Entlassungen. Vor allem mit den Stammkunden gelang es
der MD aber, auch diese Krise zu überstehen. Etwa 40 Prozent der gesamten
Lieferungen gingen an die Verlage Knorr & Hirth in München und, über Bay-
erns Grenzen hinaus, Ullstein in Berlin.
Am 30. Januar 1933 kamen in Deutschland Adolf Hitler und die NSDAP
an die Macht. In den folgenden Monaten schalteten die Nationalsozialisten
systematisch politische Gegner aus. Die deutsche Gesellschaft wurde „gleich-
geschaltet“, das heißt, an die politisch-ideologischen Ziele des Nationalso-
zialismus angepasst. Das geschah über politischen Druck und mit Gewalt.
Oftmals waren aber Maßnahmen von außen gar nicht notwendig, denn viele
Organisationen gaben ihre Eigenständigkeit auch ohne konkrete Forderungen
vonseiten der Machthaber auf. Auch Unternehmen passten sich zum Teil aus
sich heraus an.
Die MD bildete hier keine Ausnahme. Schon im April 1933 kam es zu einem
politisch-rassenideologisch motivierten Wechsel in der Unternehmensfüh-
rung, indem fünf Aufsichtsräte entlassen wurden. Das waren Rudolf Wein-
mann, der Sohn von Louis Weinmann, Emil Krämer, Julius Meyer, Ludwig
Weil und Dr. Ludwig Kurzmann, alles Bürger jüdischer Herkunft. Von Krämer
und Meyer ist bekannt, dass sie sich aufgrund der Verfolgungssituation unter
dem Nationalsozialismus mit ihren Frauen das Leben nahmen. Kurzmann ge-
lang es, in die USA zu emigrieren.
Zeitgleich zur Verdrängung der jüdischen Aufsichtsräte bekam die MD einen
Großauftrag vom Zentralverlag der NSDAP, Franz Eher Nachfolger, wodurch
der Betrieb in Pasing vor einer bereits anberaumten Stilllegung bewahrt wer-
den konnte. Pasing sollte Papier für den Illustrierten Beobachter liefern. Im
Völkischen Beobachter vom 6. April 1933 wurde der Auftrag unter dem Titel
„Wir schaffen Arbeit und Verdienst“ propagandistisch als großartige Tat der
Arbeitsbeschaffung beschrieben. Später produzierte auch die Fabrik in Dach-
au für den Parteiverlag.
Die MD in der Zeit des Nationalsozialismus
Ende des Jahres 1936 übernahm die Familie Nicolaus die Aktienmehrheit.
Gut ein Jahr später wurde die MD von einer Aktiengesellschaft in eine Ein-
zelgesellschaft namens München Dachauer Papierfabriken Heinrich Nicolaus
umgewandelt. Auf Veranlassung des neuen Besitzers, Heinrich Nicolaus, zog
die Verwaltung im selben Jahr von München nach Dachau um. Nicolaus hatte
im Allgäu bereits zwei Fabriken geleitet, ehe er die MD übernahm.
Nach Plänen des NS-Regimes sollte die gesamte Wirtschaft in den Dienst der
Aufrüstung und der angestrebten Autarkie gestellt werden. Hiermit war eine
Vielzahl an Reglementierungen, unter anderem zur Beschaffung von Maschi-
nen, verbunden, was einen engen Rahmen für das unternehmerische Handeln
der MD-Firmenleitung bedeutete. Mit Hinweisen auf Konkurrenzfähigkeit und
Einsparungen, die an anderen Stellen durch die jeweilige Investition möglich
wurden, gelang es Nicolaus aber meistens, Genehmigungen etwa für den An-
kauf von Maschinen zu erhalten. So konnte die MD ihre Produktivität letztlich
sogar steigern.
Einerseits werden die Parteiaufträge eine Rolle gespielt haben, zum anderen
wurde Papier auch für die Aufrüstung gebraucht. Das Werk Alling bei Regens-
burg, das 1937 erworben wurde, stellte solche Papiere her. Durch den Bau
der Autobahnen änderte sich die Produktpalette zudem. Nun gab es Großauf-
träge für Bitumenpapiere, die man beim Bau als Dichtungsplanen einsetzte.
In den Kriegsjahren verwendete man diese Bitumenpapiere dann auch als
Verdunklungspapier.
Für die MD bedeutete der Kriegsbeginn wie schon im Ersten Weltkrieg Arbeits-
kräftemangel. Nicht nur dass qualifiziertes Personal eingezogen wurde, die Pa-
pierfabrik musste auch 20 Mann an den Rüstungsbetrieb Krauss-Maffei abgeben.
In den Jahren 1933 bis 1945
herrscht in Deutschland das
nationalsozialistische Terrorregime.
Wirtschaft und Gesellschaft werden
auf die politisch-ideologischen
Vorstellungen der neuen Macht-
haber ausgerichtet. An der MD ging
diese Zeit nicht spurlos vorüber,
konnte sie sich dem Einfluss der
NS-Ideologie doch nicht völlig
entziehen.
Arbeitskräftemangel war ein Problem der gesamten deutschen Wirt-
schaft, weshalb schließlich millionenfach Zwangsarbeiter vor allem
aus dem Ausland eingesetzt wurden. Das waren einerseits sogenannte
Fremdarbeiter, die anfangs zum Teil freiwillig nach Deutschland gekom-
men waren, sodann Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Heinrich Nico-
laus stellte bei der Wehrwirtschaftlichen Abteilung der Industrie und
Handelskammer einen Antrag auf Zuweisung ausländischer Arbeitskräf-
te. Er erhielt etwa 30 sowjetische Arbeiter zugeteilt, die in zwei Bara-
cken untergebracht wurden. Zudem sind zehn französische Zivilarbeiter
nachgewiesen, die in einem Gebäude beim Eingang Steinmühle unter-
kamen. Im Holzstoff-Werk Olching arbeiteten mehrere Kriegsgefangene
aus dem Lager Moosburg.
Von den Bombenangriffen blieben die in und um München gelegenen
MD-Fabriken im Wesentlichen verschont. Einzig der Wohnblock bei der
Fabrik in Pasing sowie die Werkhalle der ehemaligen Oberen Fabrik
wurden beschädigt. Zerstörungen, die den Betriebsablauf unterbrochen
hätten, gab es jedoch nicht. Am 29. April 1945 nahmen US-amerikani-
sche Truppen die Stadt Dachau kampflos ein. Tags darauf übernahmen
sie die Kontrolle über die Papierfabrik.
Für Dachau, das 1933 zur Stadt erhoben wurde, hatte die Herrschaft
der Nationalsozialisten Folgen, die die Stadt mehr als andere deutsche
Städte noch heute mit dem NS-Terror in Verbindung bringen. Im März
1933 wurde auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsfabrik eines
der ersten Konzentrationslager des „Dritten Reichs“ errichtet. In den
folgenden zwölf Jahren durchliefen etwa 200.000 Menschen das Da-
chauer KZ. 30.000 bis 42.000 kamen ums Leben. KZ-Häftlinge haben
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht als Zwangsarbeiter in der Papier-
fabrik gearbeitet.
Das Bild zeigt Julius Meyer, einer der 1933 aus rassisch-ideologischen Gründen entlassenen Aufsichtsräte.
Er nahm sich 1941 aufgrund des zunehmenden Verfolgungsdrucks auf Bürger jüdischer Herkunft zusammen
mit seiner Frau das Leben. Als angeblicher Grund des Suizids wurde
„zuckerkrank“ angegeben.
Eine 100-Reichsmark Aktie der MD aus dem Jahr 1937,
als die MD in eine Einzelfirma
umgewandelt wurde.
Das Erscheinungsbild einer Jubiläumsurkunde zur NS-Zeit. Man beachte die Hakenkreuzornamentik des Rahmens und das Zeichen der Deutschen Arbeitsfront in den Ecken.
Die Dachauer Papierfabrik Steinmühle im Jahr 1937, als sie von Heinrich Nicolaus übernommen wurde.
Schon am 11. Juli 1945 begann das Dachauer Werk wieder mit der Produk-
tion von einfachem Durchschlag- und Dünndruckpapier, wenn auch nur im
kleinen Rahmen und im Auftrag der alliierten Militärregierung. Parallel dazu
liefen die Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten, denn das Werk war in der
unmittelbaren Nachkriegszeit wiederholt Ziel von Plünderern geworden. Bei
den Aufräumarbeiten wurde auch die 1938 von einem SA-Mann im Mühlbach
versenkte Büste von Louis Weinmann wiedergefunden und wieder aufgestellt.
Schnell, bereits im Jahr 1950, erreichte das Unternehmen das Produktions-
volumen der Vorkriegszeit. Produziert wurden nun Druck- und Schreibpapiere.
Ein Jahr später liefen in Dachau erstmals täglich 100 Tonnen Papier übers
Band. Das deutsche „Wirtschaftswunder“ hatte begonnen. Der Wiederauf-
bau in Deutschland führte zu einer erhöhten Nachfrage in allen Bereichen,
so auch an Papier. Mit dem Marshallplan, dem von den USA initiierten wirt-
schaftlichen Hilfsprogramm für Europa, erhielt die deutsche Industrie wichti-
ge finanzielle Mittel, die auch in die Papierindustrie flossen.
Wirtschaftswunder
Rasch konnte die Arbeitslosigkeit abgebaut werden, wodurch Arbeitskräfte
allerdings knapp wurden. Mittels Anwerbeabkommen versuchte die Bundes-
regierung ab 1955 den Arbeitskräftebedarf der heimischen Industrie durch
ausländische „Gastarbeiter“ zu decken. Die MD stellte 1961 zwei Griechen
und zwei Italiener als erste „Gastarbeiter“ zur Montage einer Papiermaschine
ein. Bald arbeiteten rund 300 ausländische Mitarbeiter in den Werken der
MD. Die zunehmende Zahl der ausländischen Kollegen machte sich auch in
der Mitarbeiterzeitung bemerkbar. 1964 wurden die darin geäußerten Weih-
nachtsgrüße an die Belegschaft zum ersten Mal ins Griechische übersetzt,
1965 dann zusätzlich ins Türkische und Englische.
Die Stadt Dachau erlebte in der Wirtschaftswunderzeit ebenfalls einen Auf-
schwung. Die Einwohnerzahl hatte weiter zugenommen, auch bedingt durch
die Zuwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen. Lebten vor Kriegsbe-
ginn gut 18.200 Menschen in Dachau, waren es 1950 knapp 24.600. Unter
den Neudachauern waren viele qualifizierte Arbeitskräfte aus den ehemaligen
sächsischen, schlesischen oder sudetendeutschen Papiermacherzentren. Der
starke Bevölkerungszuwachs machte Wohnraum rar. Die MD unterstützte ihre
Werksangehörigen unter anderem mit dem Bau von Wohnungen.
Das Unternehmen war in vielerlei Hinsicht wichtigster Arbeitgeber für Stadt
und Region. Vor diesem Hintergrund war es verständlich, dass der Dachauer
Stadtrat Firmenchef Heinrich Nicolaus im März 1962 zum Ehrenbürger er-
nannte. Vier Jahre später, am 17. März 1966, starb Nicolaus, im Alter von
fast 74 Jahren. Sein Sohn Karl Heinz übernahm von nun an die Geschicke
der MD, mittlerweile eine Unternehmensgruppe, die etwa 2.700 Menschen
beschäftigte und über 200 Millionen DM Umsatz generierte.
Die Geschwindigkeit, mit der sich
die Wirtschaft nach dem Krieg
wieder erholt, ist beispiellos.
Dank US-amerikanischer
Fördergelder werden die Weichen
auf Wiederaufbau und Wachstum
gestellt. Auch die MD profitiert
von dem Boom und entwickelt sich
zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor
der Region. Vollbeschäftigung heißt
die Devise.
Heinrich Nicolaus führte die MD auch nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich weiter. Er war ein Unternehmer „alter Schule“. Der Patriarch ging durch das Dachauer Werk und nannte die Mitarbeiter beim Namen. Traf er einen Arbeiter unerlaubterweise beim Zeitunglesen an, soll er gesagt haben: „Lesen Sie ruhig weiter. So lange Sie Zeitung lesen weiß ich, dass die Maschine läuft.“
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 waren die Arbeiter im Dachauer Werk zunächst mit
Aufräumarbeiten beschäftigt. Hier sieht man einige von ihnen,
vermutlich in einer Pause.
Die Arbeit in der Papierindustrie war auch noch in den 1950er und 1960er Jahren oftmals körperlich anstrengende
Handarbeit. Gleichzeitig bot sich ungelernten Arbeitern hier die Chance, gutes Geld zu verdienen und über die Zeit beruflich aufzusteigen. Erst 1975 wurde der Papiermacher
als Ausbildungsberuf anerkannt.
Der Holzplatz im Dachauer Werk, dahinter das Dampfkraftwerk. Das Holz kam sowohl aus großen staatlichen wie privaten
Wäldern, als auch von mittelgroßen wie kleinen Holzlieferanten. Lange Zeit war es sogar möglich, das Holz persönlich im
Dachauer Werk abzuliefern.
Werkswohnungen der MD in Dachau.
Der Generationenwechsel von Vater auf Sohn Nicolaus brachte frischen Wind in
das Unternehmen. So wurden unter anderem Verkauf, Marketing und Manage-
ment modernisiert. Am augenscheinlichsten zeigte sich der neue Schwung im
Firmenlogo: aus München-Dachau wurde jetzt offiziell MD und das Münchner
Kindl, das bis dahin das Signet zierte, verschwand. Auch technisch gab es
Neuerungen. So hielt etwa 1969 der Computer bei der MD Einzug.
1974 stellte das Kraftwerk des Werks Dachau von Kohlefeuerung auf Erdgas
um. Das für die Anwohner lästige „Rußblasen“ wurde damit obsolet. Hierbei
wurde der Schornstein durchgeblasen, um den Ruß zu entfernen. Dieser wur-
de in die Umgebungsluft verbreitet und sank später ab.
Überhaupt bemühte sich die MD um ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn
und finanzierte beispielsweise den Einbau schalldichter Fenster. Auch um die
Mitarbeiter kümmerte sich die Firmenleitung weiterhin. So eröffnete die MD
Mitte Juli 1976 ein eigenes 11.000 Quadratmeter großes Freizeitgelände,
mit Sportzentrum und verschiedenen Spielfeldern.
Wirtschaftlich waren die 1970er Jahre aber wieder recht schwierig. Dem so-
genannten Ölpreisschock am Anfang des Jahrzehnts folgte eine weltweite Wirt-
schaftskrise, die alle Branchen traf. „Plötzlich gab es keine Oasen mehr, weder
sektoral noch geographisch“, wie Karl Heinz Nicolaus in der Mitarbeiterzei-
tung der MD 1976 notierte. Verlage, Druckereien und andere Papierverarbeiter
gerieten in wirtschaftliche Probleme, die Papiernachfrage brach ein. Verschär-
fend kam hinzu, dass gleichzeitig relativ hohe Lagerbestände an Papier exis-
tierten. Die Branche reagierte mit Produktionsstilllegungen und Kurzarbeit.
Als Konsequenz setzte die MD nun auf Zentralisierung. Die Werke Dachau
und Pasing waren die Säulen des Unternehmens, wo sich die Produktion
konzentrieren sollte. Mit Dachau bediente die MD den Markt für holzhaltiges
graphisches Papier, mit Pasing die Abnehmer für Dekopapier. Dagegen soll-
ten Hygienepapier, Verpackungspapier und Thermopapier, was zuvor teilweise
produziert worden war, aus dem Portfolio verschwinden.
Neuer Schwung
Doch es wurde klar, dass für den Bau neuer Großanlagen im Dachauer Werk
keine Kapazitäten vorhanden waren. 1977 begannen daher die Planungen für
ein neues Werk, das im niederbayerischen Plattling errichtet werden sollte.
Am 30. September 1982 konnte dort das neue Werk einweiht werden.
Die 270 Millionen DM schwere Investition glückte, vor allem weil die mo-
derne Anlage zu einem Zeitpunkt fertiggestellt wurde, als die Papierindus-
trie einen Boom erlebte. Gründe für den Aufschwung waren unter anderem
die zunehmende Werbung via Zeitschriften- und Zeitungsreklame, die den
Papierverbrauch ankurbelte. Besonders in den USA erfreuten sich Zeit-
schriften und Magazine wieder großer Beliebtheit. Hochwertiges LWC(Light
Weight Coated)-Papier war dort allerdings bald Mangelware. Technisch waren
die US-amerikanischen Papierhersteller nicht auf dem Niveau, wie die deut-
schen, skandinavischen oder niederländischen Produzenten. Die MD gewann
dadurch einen prestigeträchtigen Kunden: den US-amerikanischen Playboy.
„Hugh Hefners Hasen“ wurden ab 1986 auf MD-Papier gedruckt.
Der Ölpreisschock von 1973
trifft die internationale Wirtschaft
hart. Dennoch bleibt soziales
Engagement ein Markenzeichen
der Firma. Trotz der schwierigen
Lage für die Branche weiß die
MD immer noch „wie der Hase
läuft“. Und speziell ein Bunny
steht prestigeträchtig für die
internationale Vernetzung der
Firma.
Anfang September 1988 schied die Familie Nicolaus aus der MD aus.
Damit ging eine 50-jährige Ära zu Ende. Ihre Anteile gingen an die
Unternehmensbeteiligungs-Holding F & F Burda, die gemeinsam mit
Holmens Pappersbruk aus dem schwedischen Norrköping das Unter-
nehmen weiterführte.
Mitarbeiter vor dem Tambour der Papiermaschine (PM) VIII. Der Tambour ist der Stahlstab auf dem das Papier nach dessen
Herstellung aufgewickelt wird. Die Maschine tat 5.363 Tage ihren Dienst für die MD, ehe sie 1973 nach Frankreich verkauft wurde. Die Handhabung der Maschine war nicht immer einfach,
doch wenn sie lief, lief sie sehr zuverlässig. Die Mitarbeiter gaben ihr deswegen den Spitznamen „Simsalabim“.
Anfang der 1980er Jahre: Die Papiersaalfrauen beim Sortieren und Prüfen des Papiers. Ihre Arbeitsplätze waren von dem einsetzenden Personalabbau besonders betroffen.
Im Oktober 1993 wurde das alle zwei Monate erscheinende Münchner Obdachlosenmagazin „BISS“ mit einer Erstauflage von 10.000 Stück gegründet. Die MD unterstützte dieses soziale Projekt und stellte Papier zum Sonderpreis zur Verfügung.
Die MD wagte unter Nicolaus junior den Sprung nach Südamerika und gründete 1973 ein deutsch-brasilianisches Joint
Venture namens Meliorpel, das fünf Jahre später gänzlich übernommen wurde.
Die Nachfrage nach dem Papier MD-Brillant war so groß, dass dafür schließlich eine eigene Feinpapiermaschine, die PM IX, angeschafft wurde. Im Dezember 1961 ging die PM IX in Betrieb und lief, mehrfach modernisiert, mehrere Jahrzehnte lang.
Das geänderte Firmenzeichen der MD ab 1967.
Zum 1. Februar 1996 wechselten die MD-Werke in Dachau und Plattling ihre
Besitzer: die finnischen Papierhersteller Metsä-Serla und Myllykoski übernah-
men je 50 Prozent der Anteile. Ein Jahr zuvor war die Papierfabrik Pasing
geschlossen worden, wobei sie seit einigen Jahren schon nicht mehr zur MD
gehörte.
2001 erwarb Myllykoski noch den 50-Prozent-Anteil seines strategischen
Partners, wodurch der Familienkonzern alleiniger Eigentümer der MD wurde.
Myllykoski, hinter dem die Familie Björnberg stand, hatte bereits seit 1987
stark in die deutsche Papierindustrie investiert und besaß Werke in Finnland,
den USA und der Schweiz.
In den beiden bayerischen Werken wurde weiterhin produziert. Allerdings hat-
te Myllykoski mit einer schlechten Auftragslage und mit Überkapazitäten auf
dem Papiermarkt zu kämpfen. In Dachau beklagten die Finnen die veralteten
Anlagen und dass das Dachauer Werk eingeengt im städtischen Gebiet lag,
sodass Investitionen in die dortige Infrastruktur vergleichsweise teuer waren;
weitaus kostenintensiver als etwa in Plattling, im auf der „grünen Wiese“ ge-
legenen Schwesterwerk. Letztlich entschied Myllykoski im Oktober 2006 die
MD-Papierfabrik in Dachau zu schließen und die dortige Produktion in das
rund 130 Kilometer entfernte Plattling zu verlegen.
Diese Entscheidung, die für die Belegschaft doch überraschend kam, be-
deutete das Ende einer jahrzehntelangen Ära, und sie bedeutete den Verlust
des größten Arbeitgebers der Stadt. 350 Stellen gingen durch die Schließung
eines der ältesten Betriebe der Region verloren.
Welchen Stellenwert das MD-Werk für Dachau und Umgebung, für die Ge-
nerationen von Papierwerksarbeiterinnen und -arbeitern über den reinen Ar-
beitsplatz hinaus hat, zeigen die Worte, die der Betriebsratsvorsitzende Wer-
ner Popfinger bei Schließung des Werkes Ende Juli 2007 formulierte:
„Wir können alle stolz sein auf das, was wir erreicht haben und erhobenen
Hauptes das Werk verlassen. Zurück bleiben Erinnerungen und Gedanken, die
wir nie vergessen werden.“
Das Ende der Papierproduktion in DachauAm Standort Dachau wird,
nach über 140 Jahren, 2007 die
Papierproduktion eingestellt. Dies
bedeutet für Stadt und Umland
das Ende einer prägenden Ära.
Die Nachfolgenutzung soll an die
Tradition der sozialen Entwicklung
Dachaus anknüpfen.
Historische Spurensuche: Noch immer ist das alte MD-Firmenlogo mit dem Münchner Kindl erkennbar. Das Motiv wurde 40 Jahre lang
verwendet und 1967 durch ein moderneres ersetzt.
Impressionen vom stillgelegten Werksgelände der MD.
Bereits kurz nach der Werksschließung beschloss die Stadt Dachau die Auf-
stellung eines Bebauungsplans, um für das Areal die künftigen städtebau-
lichen Weichen zu stellen. Aus dem Ideenwettbewerb ging 2007 das renom-
mierte Büro Trojan + Trojan aus Darmstadt als Sieger hervor. Am 29. Januar
2008 entschied der Stadtrat, die Planung von Trojan + Trojan als Grundla-
ge für einen noch aufzustellenden Bebauungs- und Grünplan zu verwenden.
Die Grundzüge dieser Planung werden seither von allen Beteiligten verfolgt.
2012 trat der lokale Projektentwickler Herbert R. Ullmann in die Projektge-
sellschaft als Partner ein und beschleunigte die Entwicklung. Im September
2017 übernahm der Münchner Projektentwickler Isaria Wohnbau die Anteile
von Myllykoski und kam so in den Mehrheitsbesitz des Areals der Dachauer
Papierfabrik.
Die Isaria, 1994 gegründet, hat viel Erfahrung mit der Entwicklung indust-
riegeschichtlich interessanter Areale und historischer Quartiere, anfangs vor
allem im Großraum München, seit 2014 auch in Hamburg. Mit dem Da-
chauer Projekt vergleichbare Immobilienobjekte der Gesellschaft sind das
Siemens-Hochhaus in Obersendling, das ehemalige Diamalt-Werksgelände in
Allach oder das Wohnprojekt mynido auf dem einstigen Areal des Bayern-
werks in Karlsfeld. Das MD-Gelände in Dachau ist aber gleichsam das Leucht-
turmprojekt der Isaria.
Über 150 Jahre hat die MD mit ihrem Fabrikgelände das Stadtbild von
Dachau entscheidend mitgeprägt. Mit dem Erwerb des Geländes durch
die Isaria Wohnbau AG 2017 wird das Areal nun einer neuen Nutzung
zugeführt. Dachau bekommt somit ein neues Wohnviertel und, zumin-
dest in Zügen, ein neues Gesicht.
Ausblick: Das Projekt Louis Weinmann
Zwei markante Wahrzeichen des Firmengeländes: die alte Turmuhr aus dem Jahr 1887 sowie der
1951 erbaute Wasserturm.
Das Areal der Papierfabrik soll nach den Vorstellungen der Planer zu ei-
nem urbanen Stadtquartier umstrukturiert werden. Wichtig ist die Nähe
zum Stadtkern von Dachau. Mit diesem soll es organisch verbunden
werden. Bei der Gestaltung des „Quartiers an der Steinmühle“ werden
sowohl der dann freigelegte Mühlbach als auch die historisch bedeu-
tenden und denkmalgeschützten Bauten mit einbezogen. Besonders er-
freulich ist, dass dort in Trägerschaft der Regierung von Oberbayern, der
Stadt und des Landkreises Dachau ein Museumsforum entstehen wird.
Dieses soll aus einem Arbeiter- und Industriekulturmuseum (AIKM), den
im Zweckverband Dachauer Museen und Galerien zusammengefassten
Kultureinrichtungen sowie weiterer kultureller Einrichtungen bestehen.
Die Historie des Ortes bleibt so auch in Zukunft greifbar. Dass die Isaria
die für die Entwicklungsarbeiten eigens gegründete Gesellschaft nach
Louis Weinmann benannte, verstärkt den Geschichtsbezug.
Vorentwurf des Bebauungs- und Grünordnungsplans aus dem Jahr 2014. Eingezeichnet sind u. a. Grünflächen, Wohngebiete, Straßenverkehrsflächen und Sondergebiete.
HerausgeberISARIA Wohnbau AGLeopoldstraße 880802 MünchenDeutschlandTelefon: +49 89 – 38 99 84 - 0Telefax: +49 89 – 38 99 84 - [email protected]
VorstandMichael Haupt
Text und RechercheTobias Birken, Dorothea Cornette, Michael KampSebastian Schrall, Lukas WollscheidNeumann & Kamp Historische Projekte, München
Die Bilder entstammen dem Bildarchiv der MD. Mit Ausnahme von: Villa von Louis Weinmann in München – Stadtarchiv München; Aufnahme des Künstlers Hans von Hayek in Dachau – SZ-Photo.de; Bild von Julius Meyer – Stadtarchiv München/ Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933 – 1945. Die Autoren und Herausgeber haben sich bemüht, alle Urheber der abgebildeten Fotos zu ermitteln. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an den Herausgeber.
Fotografiein den Kapiteln ‚Das Ende der Papierproduktion in Dachau‘, sowie dem ‚Ausblick‘Fotostudio Black Box, Tommy Lösch
Konzept, Gestaltung und ProduktionLiebreich, Medienproduktion, MünchenKatharina Lichtner, Gestaltungsfragen, München
DruckDruckerei Vogl GmbH & Co. KG
Archive und LiteraturArchiv KZ-Gedenkstätte DachauBayerisches Hauptstaatsarchiv, München: Akten zu Heinrich NicolausPressearchive von HWWA und IFW: Bestand München Dachauer Papierfabriken AGStadtarchiv Dachau: Bestand MD PapierStadtarchiv München: Akten zu Louis Weinmann
Birling, Hans: Wir „Papyrer“. München Dachauer Papierfabriken Heinrich Nicolaus GmbH. 1862–1962, Stotzheim bei Köln 1962.Christmann, Hansjörg: Der Landkreis Dachau heute 1945–1991, in: Gerhard Hanke, Wilhelm Liebhart (Hgg.): Der Landkreis Dachau, Dachau 1992, S.38–46 (= Kulturgeschichte des Dachauer Landes, Bd. 1).Götschmann, Dirk: Wirtschaftsgeschichte Bayerns im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2010.Göttler, Norbert: Die Sozialgeschichte des Bezirkes Dachau 1870 bis 1920. Ein Beispiel struktureller Wandlungsprozesse im ländlichen Raumes, [Diss.] München 1988.Hubrich, Eugen: München-Dachauer Papierfabriken: 1837–1937, Dachau 1999.Ders.: München-Dachauer Papierfabriken: 1937–1988, Dachau 1999.Neumann, Florian/Georgi, Matthias: Zwangsarbeit in der Papierfabrik Redenfelden. 1939–1945, München 2012.Sandermann, Wilhelm: Papier. Eine spannende Kulturgeschichte, Berlin, Heidelberg 1992.Schalm, Sabine: Überleben durch Arbeit? Außenkommandos und Außenlager des KZ Dachau. 1933–1945, Berlin 2009.Steinbacher, Sybille: Dachau – Die Stadt und das Konzentrationslager in der NS-Zeit. Die Untersuchung einer Nachbarschaft, Frankfurt am Main 1993.
Impressum
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