Kristallstruktur und Mikrostruktur
Teil II
2
Teil II (Übersicht)
1 Erstarrung/ Grundlagen
2 Erstarrung/ Gefüge (Mikrostruktur)
3 Praktische Aspekte: Schweißen; Thermisches Spritzen
4 Texturanalyse
Macherauch 1989
3
Vorlesung 1
Phasendiagramme
Phasenübergänge / Klassifikationen
Erstarrung
Struktur von Schmelzen (ungeordneten Materialien)
Keimbildungsvorgänge
Homogene Keimbildung
Heterogene Keimbildung
Literatur
4
Definition Phase
Eine Phase ist ein Zustand der Materie, in dem sie, bezüglich ihrer chemischen
Zusammensetzung und bezüglich ihres physikalischen Zustandes, durch und durch
homogen ist.
‚On the Equilibrium of Heterogeneous Substances‘, 1875-1876
Gibbssche Phasenregel
P = C – F + 2 ( 1)
P - Anzahl von Phasen
F – Anzahl von Freiheitsgraden (Zustandvariablen)
C - Anzahl der unabhängigen Teilchensorten
J.W. Gibbs 1839 - 1903
5
Phasendiagramme
Ein Phasendiagramm gibt an, welche Phase
eines Stoffes bei einer bestimmten Temperatur
und bei einem bestimmten Druck stabil ist.
Klassifikation nach der Zahl von Teilchensorten (C)
Unary (C = 1)
Binary (C = 2)
Ternary (C = 3)
6
Phasendiagramme
idealisiertes unary Phasendiagramm
Verdampfung (Übergang von flüssig zu gasförmig)
Sublimation (Übergang von fest zu gasförmig)
Erstarrung (Übergang von flüssig zu fest)
Kondensation (Übergang von gasförmig zu flüssig)
7
Unary Phasendiagramme - Beispiele
Xenon
8
Wasser
(C = 1 H2O)
Unary Phasendiagramme - Beispiele
Phase Dichte Raumgruppe
(g/cm3)
Ih 0.92 P63/mmc
Ic 0.93 Fd-3m
II 1.195 R -3
VIII 1.885 I 41/amd
9
Binäre Phasendiagramme - Beispiele
2 Elemente
C = 2 (zwei Komponenten)
10
Binäre Phasendiagramme - Beispiele
2 Verbindungen (Oxide)
C = 2 (zwei Komponenten)
Na2O SiO2
11
Binary Phasendiagramme - Beispiele
C = 2 (zwei Komponenten)
1 Element + 1 Verbindung
a (Ferrite) bcc
g (Austenite) fcc
12
Ternäre Phasendiagramme - Beispiel
Fo – Forsterit Mg2SiO4
An – Anorthit CaAl2Si2O8
C = 3
13
Binäre Phasendiagramme
Einfache Klassifikation
1/ Volle Mischbarkeit der Komponenten A und B
sowohl im Festzustand als auch in der Schmelze
LL + a
a
T > Liquidus homohene Schmelze
T < Solidus homogener Mischkristall
zwischen Si und Ge (a)
S < T < L Zweiphasenfeld L + a
14
2/ Volle Mischbarkeit der Komponenten A und B
nur in der Schmelze
Typisches Beispiel:
Eutektisches Phasendiagramm
Unterhalb der eutektischen Temperatur
TE = 183 oC kristalliziert die homogene
Schmelze direkt in zwei Mischkritallen
a(Pb) mit 18.3 at% Sn
und b(Sn) mit 97.8 at% Sn.
Binäre Phasendiagramme
Einfache Klassifikation
TE
15
Binäre Phasendiagramme
Einfache Klassifikation
3/ Keine Mischbarkeit der Komponenten A und B
sowohl in der Schmelze als auch im Festzustand
T > 1070 K homogene Schmelze
T < 1070 K flüssige Mischungslücke:
2 Schmelzen mit unterschidlichen
Zn Gehalt
T < 590 K 2-Phasen Gebiet:
fast rein Pb + fast rein Zn
praktisch keine Löschligkeit von Pb in Zn
und von Zn in Pb!
L1
L2
L1 + L2
L1 + Pb
Pb + Zn
Keine chemische Affinität zwischen der beiden Komponenten
16
Binäre Phasendiagramme
Einfache Klassifikation
4/ Phasendiagramme mit Verbindungen (intermetallischen Phasen)
Bei einer starken Affinität zwischen der beiden Komponenten ist die
Bildung von intermetallischen Phasen bevorzugt.
F m -3 m
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Phasenübergänge
Die Umwandlung einer Phase eines Stoffes in eine andere Phase ist
Phasenübergang (bzw. eine Phasenumwandlung oder
Phasentransformation) genannt.
Klassifikationen
Strukturelle Thermodynamische Kinetische
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Strukturelle Klassifikation
von Phasenübergängen
Diskontinuierliche Bond-Breaking und Bond-Rekonstruktion
der primären chemischen Bindungen
Graphit → Diamant
hcp → fcc, fcc → hcp
Martensitische Kooperative Bewegung der Atome durch
Scherung
NiTi
Fe-Mn, Fe-Ni, Stahl
Kontinuierliche
Dizplazive Bond-Breaking und Bond-Rekonstruktion
nur in der zweiten (dritten) Koordinationsspäre
ß-Quarz → α-Quarz
Ordnung-Unordnung AuCu
19
Strukturelle Klassifikation
von Phasenübergängen
Diskontinuierliche
Änderung der Koodinationzahl (CN 3 → 4)
P 63/mmc Fd3m
20
Strukturelle Klassifikation
von Phasenübergängen
Displazive
Raumgruppe RaumgruppeP 31 21 P 62 2
Die ersten Koordinationen von Si und O in der beiden Phasen sind
gleiche, nur kleine Rotationen der Tetrahedra (SiO4) findet statt.
21
Kinetische Klassifikation
von Phasenübergängen
Nullte Ordnung Ṙ ist konstant
Erste Ordnung Ṙ = f(Konzentration einer Ausgangsphase)
Zweite Ordnung Ṙ = f (Konzentrationen von zwei Ausgangs-
Phasen)
Ṙ - Reaktionsrate
22
Thermodynamische Klassifikation
(Ehrenfest Klassifikation)
Paul Ehrenfest
(1880 – 1933)
Gibbssche Energie
G = H – pV – ST (2)
S = - ∂G/∂T│P
(3a)
V = - ∂G/∂p│T
(3b)
Cp = T (∂S/∂T│p
) = - T (∂2G/∂T2│p
) (3c)
ß = -1/V (∂V/∂p│T
) = 1/V (∂2G/∂p2│T
) (3d)
23
Thermodynamische Klassifikation
(Ehrenfest Klassifikation)
1. Ordnung 2. Ordnung
Die ersten Ableitungen der Die ersten Ableitungen der
Gibbsschen Energie zeigen Gibbsschen Energie zeigen
Sprünge. keine Sprünge.
Die zweiten Ableitungen
zeigen Sprünge.
24
Thermodynamische Klassifikation
(Ehrenfest Klassifikation)
25
1. Ordnung 2. Ordnung
Beispiele
Erstarren
(Kristallization) Ferroelektrizität
Kondensation Ferromagnetismus
Sublimation Supraleitung
Martensitische Umwandlungen
_______________________________________________________________
Merkmale
Keimbildung Keimbildung
Aktivierungsschwelle für die keine Aktivierungs-
Keimbildung schwelle für Keimbildung
Latente Wärme L = T(S1 – S2) keine latente Wärme
Koexistenz der beiden Phasen
Thermodynamische Klassifikation
(Ehrenfest Klassifikation)
26
Phasenübergang Flüssig → Festzustand
Erstarrung
Festzustand:
Kristalline Stoffe
Quasikristalle
Nicht-kristall. Festkörper (Gläser)
Flüssigzustand:
Flüssigkeiten
Schmelzen
27
GL
G
T
Tm
GS
Thermodynamische Bedingung für Erstarrung
GS < GL bei T < Tm (4)
Phasenübergang Flüssig → Fest
Erstarrung
Welcher Festzusand formiert sich?
Die Triebkraft für die Erstarrung
ist die Differenz
DG = GL – GS ~ DT (Unterkühlung) (5)
T
DT
28
Phasenübergang Flüssig → Fest
Erstarrung
Abkühlen Zustand Prozess
‚langsam‘ Kristalle (kristalline Festkörper) Kristallisation
‚schnell‘ Gläser (amorphe Festkörper) Amorphisation
29
rasches Abkühlen
Phasenselektion/Unterkühlungsgrad
Glas
Abkühlrate
und/oder
Unterkühlungsgrad
30
SchmelzeFestkörper
(Glas oder Kristall)①
① Unterkühlte Schmelze
Rössler (2000)
Tg Glasübergangstemperatur
Tg ist abhängig von dem Abkühlgrad
Glasübergangstemperatur
31
Glasübergangstemperatur
32
Stoffe TS LRO MRO SRO
Kristalline √ √ √ √
Quasikrist. √ √ √
Amorphe √ √
Arten räumlicher Ordnung
TS – Translationssymmetrie
LRO – Fernordnung
MRO – Mittelreichweitige Ordnung
SRO - Nahreichweitige Ordnung
Strukturvergleich von kristallinen und amorphen Stoffen
Das Verständnis der Struktur von Schmelzen ist notwendig für die
Beschreibung der Keimbildungsvorgängen.
33
Struktur von ungeordneten Materialien
SRO - SiO4 Tetraeder
MRO - Ringe von SiO4 Tetraeder
34
Paarkorrelationsfunktion g(r)
g(r) = N(r)/(ro4pr2dr) (6a)
ro = N/V mittlere numerische Dichte des Stoffes
N(r) – die Zahl von Teilchen zwichen
der Schichten mit Radien r und r + dr
g(r) hat zentrale Bedeutung für die Beschreibung von Schmelzen, Flüssigkeiten und
amorphen Festkörper.
35
Experimentelle Bestimmung
der Paarkorrelationsfunktion g(r)
● Beugungsmessung → Intensität I(Q);
● Structure Factor
S(Q) = I(Q)/<f2(Q)> = 1 + (I(Q) - <f2(Q)>)/ <f2(Q)> (6b)
Al0.67Zr0.33: <f2> = 0.67fAl2 + 0.33 fZr
2 ;
● Paarkorrelationsfunktion (Fourier Transformation)
Q = 4p/l sin(Q)
g(r) = 1 + (1/4pror)2/p ∫ Q [S(Q) – 1]sin(Qr)dQ (6c)
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 110
100
200
300
400
500
600
700
800
I(Q
)
Q (A-1)
I(Q)
f2
0 5 10 15 20 25
0.0
0.5
1.0
1.5
2.0
g(R
)
R (A)
Am –AlZr Dünnschicht
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Paarkorrelationsfunktion - Beispiele
Liquid Ar
A. Leach (2001)
r → ∞ g(r) → 1
37
Struktur von unterkühlten Schmelzen
Holland-Moritz (2002)
S
US
S
S - Schmelze
US
US –untrekühlte Schmelze
38
Struktur von unterkühlten Schmelzen
Struktur der Schmelze ≈ Struktur der unterkühlten Schmelze ≈ Glasstruktur
Die Peaks in g(r) oder S(Q) sind ein Hinweis für die Existenz von SRO Clusters!!!
Na2O.4SiO2 Glas und
unterkühlte Schmelzen
Neutronenbeugung
Zotov (2000)
Q = 4p/l sin(Q)
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Struktur von unterkühlten Schmelzen
Dynamische Clusterbildung in metallischen Schmelzen
Gerlach et al. (2006)
Dynamische Prozesse!
Diffusion
Bindung von Atomen (b) (c)
Atom Attachment/Abtrennung (e) (f) (g) → Clusterbildung
fcc pentagonale
DipyramideIcosahedron
Cluster sind metastabile unterkritische Keime
40
Struktur von unterkühlten Schmelzen
Clusterbildung in metallischen Schmelzen
Verteilung von kugelförmigen Clustern mit Radius r in einer unterkühlten Schmelze
n(r) - Anzahl von Clustern mit Radius r; r = r(M); M – Anzahl von Atomen im Cluster
Attachment bevorzugtBildung von Clustern
Abtrennung bevorzugtZerfall von Clustern
n
Anzahl von Atomenim Cluster
41
Keimbildung
Homogene Keimbildung
alle Stellen sind gleichberechtigt
Heterogene Keimbildung
Keimbildung findet bevorzugt an Grenzflächen
(Wände; Rissen, Fremdkörper, etc.) statt.
L
ß
42
Erstarrungsvorgänge
Klassifikation nach Konzentrationsänderungen
Erstarrung ohne Konzentrationsänderungen
(z.B. bei reinen Metallen oder bei kongruent-schmelzenden
intermetallischen Verbindungen)
Erstarrung mit Konzentrationsunterschied zwischen der Schmelze (a) und
der erstarrten Phase (ß)
Erstarrung mit der Bildung von zwei Phasen unterschiedlicher Zusammensetzung
43
Klassisches Keimbildungsmodelhomogene Keimbildung ohne Konzentrationsänderungen
Spezifische Gibbs-Energie (per Volumeneinheit)
[J/m3]
GL = HL – TSL (Gibbs-Energie der Schmelze)
GS = HS – TSS (Gibbs-Energie des Festkörpers)
DGV= GL – GS = DH – TDS
(die Triebrkraft der Erstarrung)
DGV = DGV│Tm + ∂∆GV/∂T │Tm (T-Tm) + ∙∙ ≈
≈ DGV│Tm + DS│Tm DT ; DT = Tm – T > 0 (7)
DGV ≈ LDT/Tm (10)
Bei T = Tm sind die Schmelze und der Kristall
im Gleichgewicht:
DGV│Tm = 0 ( 8a)
oder
DS│Tm = DH/Tm (8b)
Erstarrung ist ein Phasenübergang 1. Ordnung
DH ~ L (Latentwärme)
DS│Tm ~ L/Tm (9)
(Schmelzentropy)
44
Klassisches Keimbildungsmodel
Gottstein (2001)
Richard‘s Regel DS│Tm ~ R (8.3 J/mol.K)
45
Klassisches Keimbildungsmodelhomogene Keimbildung ohne Konzentrationsänderungen
DGhom = -VS DGV + ASLgSL (11)
Für kugelförmigen Embryo mit Radius r:
DGhom = -4/3 p r3 DGv + 4pr2 gSL (12)
gSL - Grenzflächenenergie Solid-Liquid (J/m2)
ASL – Solid-Liquid Fläche
r < r* instabile Keime (Embryos)
r > r* stabile Keime
DG* kritische Energie für
Keimbildung
Embryos Keime
46
Klassisches Keimbildungsmodelhomogene Keimbildung ohne Konzentrationsänderungen
Die Größe des kritischen Radius r* folgt von der Bedingung:
∂DG/∂r = -4pr2DGV + 8prgSL = 0 (13a) →
r* = 2gSL/DGv (13b)
r* = (2gSL/L) Tm/DT (14)
DG*hom = (16 p gSL3 Tm
2/3L2) 1/(DT)2 (15)
47
Klassisches Keimbildungsmodel
homogene Keimbildung ohne Konzentrationsänderungen
Keimbildungsrate
Ṅhom = No exp(-DG*hom/kT) =
= No exp (- A/(DT)2 ); A = 16 p gSL3 Tm
2/3L2kT (16)
DTN – kritische Unterkühlung für
homogene Keimbildung
DTN~ 0.2 TM (die Turnbull-Regel)
48
Klassisches Keimbildungsmodel
heterogene Keimbildung ohne Konzentrationsänderungen
1 die Minimisierung der gesamten Grenzflächenenergie führt zu
Der Winkel (ABC) = 2Q
gML = gSM + gSL cos(Q) (17a)
(gSL ist isotrop) gML die Grenzflächenenergie Mould-Schmelze
gSM die Grenzflächenenergie Solid-Mould (Gussform)
gSL die Grenzflächenenergie Solid-Liquid
Q der Benetzungswinkel
2 Änderung der Gibbsschen Energie:
DGhet = -VS DGV + Grenzflächenbetrag =
-VS DGV + ASLgSL + ASM(gSM–gML ) =
= -VS DGV + ASLgSL – ASMgSLcos(Q) (17b)
2QA
B
C
49
Klassisches Keimbildungsmodel
heterogene Keimbildung ohne Konzentrationsänderungen
DGhet = {-4/3 p r3 DGv + 4pr2 gSL } S(Q) =
= DGhom S(Q) (18a)
S(Q) = (2 + cosQ)(1 – cosQ)2/4 (18b)
Q = 10o S(Q) = 10-4
Q = 30o S(Q) = 0.02
Q = 90o S(Q) = 0.5
DG*het = DG*hom S(Q) (18c)
VS = (p/3)[2 – cos(Q) + cos3(Q)]
ASL = 2p(1-cos(Q)]r2;
ASM = p[rsin(Q)]2;
50
Klassisches Keimbildungsmodel
heterogene Keimbildung ohne Konzentrationsänderungen
Heterogene Keimbildung:
kleinere kritische Unterkühlung DTN
Ṅhet = No exp(-DG*het/kT) = No exp(-DG*homS(Q)/kT) (19)
51
Literatur
HauptquellenK. E. Estarling
Introduction to the physical metallurgy of welding, 1992
D.V. Potter, K.E. Easterling, M.Y. Sherif
Phase Transitions in Metals and Alloys
CRC Press, 2009
G. Gottstein
Physikalische Grundlagen der Materialkunde
Springer, 2001
E.J.Mittemeijer
Fundamental of Material Science, 2010
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