Hellenismus
Eine Welt im Umbruch
vonDAMALS – Das Magazin für Geschichte
1. Auflage
Hellenismus – DAMALS – Das Magazin für Geschichte
schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
Theiss Verlag, Stuttgart 2012
Verlag C.H. Beck im Internet:www.beck.de
ISBN 978 3 8062 2719 2
Hans-Ulrich Wiemer In der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. schickte sich ein makedoni-scher König an, das riesige Reich der Achaimeniden zu erobern. Es gelang ihm, die dortige Monarchie zu Fall zu bringen und seinerseits ein noch größe-res Reich zu schaffen. Langfristig entscheidender wurde jedoch der Wandel, den sein Feldzug mit sich brachte. So stellt sich in der Tat die Frage: Weshalb lässt man seit der Antike und bis zur heutigen Zeit mit seiner Herrschaft fast allgemein ein neues Zeitalter, den Hellenismus, beginnen?
Von Europa nach Asien
„Der Name Alexander bezeichnet das Ende einer Weltepoche, den Anfang einer neuen.“ Mit diesem Satz eröffnete Johann Gustav Droysen 1877 sei-ne dreibändige „Geschichte des Hellenismus“, und bis heute pflichten ihm Historiker aller Länder in diesem erstaunlichen Urteil bei. Denn erstaunlich ist es durchaus, dass der Beginn einer Weltepoche so einhellig mit einer einzigen Person verbunden wird. In der modernen Geschichtswissenschaft steht man dem Versuch, epochale Veränderungen auf das Wirken „großer Männer“ zurückzuführen, seit lan-gem skeptisch gegenüber; man betont in der Re-gel, dass der Gestaltungsspielraum des Einzelnen, mag er auch ein König oder Diktator sein, stets eng umrissen sei, da er unter Bedingungen handle, die er nicht selbst geschaffen habe und die er nicht nach Belieben ändern könne, weswegen er bei aller Machtvollkommenheit doch immer von der Unter-
stützung vieler abhängig bleibe. Im Fall Alexanders scheinen die-se grundsätzlichen Vorbehalte gegen die Geschichtsmächtigkeit des Einzelnen nicht zu bestehen.
Man versteht die Einmütig-keit, mit der Alexander unter die Gestalten eingereiht wird, die dem Verlauf „der“ Geschichte eine neue Richtung gaben, besser, wenn man sich vergegenwärtigt, wie die Welt der Grie-chen aussah, als Alexander im Jahr 336 v. Chr. die Nachfolge seines Vaters Philipp II. antrat. Die grie-chische Welt stellte sich damals als ein Netzwerk von Bürgerstaaten (poleis) dar, das sich von Em-porion (Ampurias, an der Ostküste Spaniens) und Massilia (Marseille) im Westen über Unteritalien und Sizilien sowie die Kyrenaika (im heutigen Li-byen) bis an die Küsten des Schwarzen Meeres, ins
Das sogenannte Alexander-Mosaik
aus der Casa del Fauno in Pompeji
(2. Jahrhundert v. Chr.) zeigt den ma-
kedonischen König im Kampf mit
Dareios III. in der Schlacht von Issos
(333 v. Chr.); oben ein Ausschnitt.
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Der Alexanderzug als Epochenwende
westliche Kleinasien (Türkei) und auf die Insel Zy-pern erstreckte, sein Zentrum aber eindeutig in der Ägäis hatte. Diese Bürgerstaaten – es mögen an die 1000 gewesen sein – waren zwar längst nicht al-le im vollen Sinn des Wortes unabhängig; alle aber hatten ihre eigenen Kulte, ihr eigenes Rechtssystem und ihr eigenes Militär; alle grenzten sich als Ge-meinde von Bürgern mit politischen Partizipations-rechten gegen ihre Außenwelt ab und strebten da-nach, ihre Geschicke jederzeit selbst bestimmen zu können, wenn nötig durch militärische Gewalt.
Diese chaotische Staatenwelt wurde im 4. Jahr-hundert v. Chr. nicht mehr vom Antagonismus zwei-er großer Hegemonialmächte bestimmt, wie das im 5. Jahrhundert v. Chr., der großen Zeit Athens und Spartas, der Fall gewesen war. Nachdem Spar-ta und Theben in der ersten Hälfte des 4. Jahrhun-derts v. Chr. bei dem Versuch, ganz Griechenland zu beherrschen, gescheitert waren, sah es für eini-ge Jahrzehnte so aus, als ob es in der griechischen Staatenwelt nicht mehr zu einer großen Macht-bildung kommen würde. Dann aber gelangte seit 359 v. Chr. in Nordgriechenland ein Staat zu gro-ßer Machtfülle, mit dem im Süden niemand gerech-net hatte: das makedonische Königreich Philipps II. Philipp konsolidierte sein Reich durch militärische
Erfolge und innere Reformen und baute binnen we-niger Jahre die schlagkräftigste Armee der griechi-schen Welt auf. Mit ihrer Hilfe dehnte er sein Herr-schaftsgebiet weit über die Grenzen Makedoniens hinaus aus, indem er ihm unter anderem Thessalien und Thrakien angliederte. 338 v. Chr. schließlich be-siegte er in einer großen Schlacht bei Chaironeia (in Boiotien) eine antimakedonische Koalition, die von Athen und Theben angeführt wurde. Anschließend gründete der König in Korinth ein Militärbündnis, das unter seiner Führung stand und die Mehrzahl der griechischen Staaten, wenngleich nicht Sparta, umfasste. Als Philipp 336 v. Chr. ermordet wurde, hatte er bereits begonnen, im Namen dieses Mili-tärbündnisses, des Korinthischen Bundes, in Klein-asien Krieg gegen das Reich der Achaimeniden zu führen. Das offizielle, schon damals wenig glaub-würdige Kriegsziel lautete, man wolle Rache neh-men für den Feldzug des Perserkönigs Xerxes ge-gen Griechenland im Jahr 480 v. Chr.!
Auf der asiatischen Seite der Ägäis gab es da-mals zwar ebenfalls eine große Anzahl teilwei-se sehr alter griechischer Städte; diese gehörten jedoch einem gewaltigen Reich an, das im 6. Jahr-hundert v. Chr. entstanden war und von Königen regiert wurde, die aus der Familie der Achaime-niden stammten und sich als Perser verstanden. Das Reich erstreckte sich von der Westküste Klein- asiens über das Zweistromland (Irak) und Iran bis nach Afghanistan und Pakistan; im Süden schloss es das alte Kulturland Ägypten ein. Die wichtigsten Residenzen der persischen Könige lagen weit ent-fernt von der Ägäis: in Persepolis (Persis), Ekbata-na (Medien), Susa (Elam) und in Babylon. In ihrem Reich herrschte eine bunte Vielfalt an Sozial- und Wirtschaftsformen, an Völkern und Kulturen. Es gab stark urbanisierte Regionen und solche mit dörflicher Siedlungsstruktur, sesshafte Bauern ebenso wie Nomaden. Zu den Untertanen der persi-schen Könige gehörten auch Griechen: Männer, die einzeln oder in Gruppen in den Dienst des persi-schen Königs oder seiner Provinzstatthalter (Satra-pen) traten, vor allem in Kleinasien aber auch grie-chische Bürgerstaaten, die Teil persischer Provinzen (Satrapien) waren.
Griechen wirkten mit beim Bau der Königsresi-denz in Persepolis und dienten in Kleinasien und Ägypten als Söldner. Die Achaimeniden begnügten sich damit, durch Tribute und andere Abgaben Res-sourcen abzuschöpfen, und wehrten äußere Bedro-hungen ab. Viel tiefer drang ihre Herrschaft jedoch kaum: Es gab weder eine einheitliche Währung
Unter Philipp II. (382 – 336 v. Chr.) wurde Makedonien
eine Macht, mit der man auch im Süden Griechen-
lands rechnen musste. Die Goldmünze aus Tarsos zeigt
ein Porträt des Makedonenkönigs.
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Von Europa nach Asien
noch ein Reichsrecht, erst recht keine „Staatsreli- gion“ oder „Leitkultur“. Das Reich der Achaimeniden war ein multiethnisches Reich. Die Ethnien, die ihm angehörten, wurden jedoch keineswegs alle gleich behandelt. Vielmehr vertrauten die Könige Stellun-gen, die mit einer umfassenden Befehlsgewalt ver-bunden waren – wie diejenige eines Provinzgou-verneurs –, fast ausschließlich Personen an, die aus iranischen Adelsfamilien stammten. In diesem Sinn ist es also durchaus zutreffend, von einem Perser-reich zu sprechen, auch wenn das Reich eine abso-lute Monarchie war, in welcher es keine verbrieften Mitspracherechte irgendeiner Gruppe gab.
So ungefähr nahm sich die Welt für einen Grie-chen aus, der 336 v. Chr. von der Ägäis aus nach Os-ten blickte. Wie veränderte der Alexanderzug diese Welt? Auf der Hand liegt zunächst, dass Alexander innerhalb von nur zehn Jahren (334 – 324) das ge-samte Reich der Achaimeniden eroberte und seiner Herrschaft unterwarf. Die Dynastie der Achaime-niden erlosch mit dem Tod Dareios’ III. 330 v. Chr.; der baktrische Adlige Bessos, ein Verwandter des Großkönigs und Satrap seiner Heimatprovinz, be-anspruchte zwar ihre Nachfolge, konnte sich gegen Alexander aber nicht behaupten und wurde schon 329 v. Chr. getötet. Auf dem beispiellosen Erobe-
rungszug legte Alexander mit seinen Soldaten vie-le tausend Kilometer zurück; er zog vom Hellespont nach Ägypten, von dort ins Zweistromland und in den Iran, dann weiter bis nach Afghanistan, Us-bekistan, Tadschikistan und Pakistan und schließ-lich zurück ins Zweistromland. Als er am 10. Juni 323 v. Chr. im Alter von nur 32 Jahren in Babylon starb, waren die Vorbereitungen für eine amphi-bische Expedition, die der Eroberung Südarabiens hätte dienen sollen, bereits abgeschlossen.
Die Revolutionierung der Staatenwelt und der Ideen
Zu diesem Zeitpunkt war das makedonische Reich Philipps II. mit dem ehemaligen Reich der Achai-meniden in einer Art Personalunion vereint – das größte Herrschaftsgebilde, das die antike Welt bis dahin gekannt hatte. Dieses in der Forschung durchaus treffend als Alexanderreich bezeichne-te Herrschaftsgebilde zerbrach jedoch, kaum dass sein Begründer tot war. Die in Babylon vom Heer bestimmten Nachfolger – Alexanders Bruder Phil-ipp (III.) und sein damals noch ungeborener Sohn (Alexander IV.) – waren nicht regierungsfähig und wurden schon bald beseitigt; die Dynastie der Ar-
Turin
Genua
Mailand Aquileia
Venedig
Bologna
Modena
Piacenza
Lucca
Florenz
Cagliari
Pisa
Ravenna
Siena
Verona
Neapel
PompejiHerculaneum
CassinoSperlonga
Rom
Aquileia
Syrakus
KorinthNemea
Sparta
Epidauros
MegalopolisMessene
DelphiTheben
Lamia
ChaironeiaAigosthenaEleusis
123
Amphipolis
Pergamon
Troja
Ephesos
MiletPriene
Smyrna
Halikarnassos
Rhodos
Gortyn
ByzanzPerinthos
Pydna
PellaAigai
AthenPiräus
Olympia
Kephallenia
Melos
DelosKeos
Lesbos
Naxos
Samothrake
Samos
Lemnos
Chios
Peloponnes
Chalkidike
Kythera
Antikythera
Kreta
Sizilien
Rhodos
Korkyra N
S
IonischesMeer
Kret isches Meer
Ägäis
M i t t e l m e e r
Adr ia
TyrrhenischesMeer
Marmarameer
Bosporus
Hellespon
t
SchwarzesMeer
THESSALIEN
EPEIROS LYDIEN
LYKIEN
PHRYGIEN
KARIEN
PHTHIOTIS
CAMPAGNA
BOIOTIEN
ATTIKA
AITOLIEN
PIERIEN
ARKADIEN
ACHAIA
LAKONIEN
0 15010050 km
T H R A K I E NM A K E D O N I E N
Tiber
Donau
Mäander
LATIUM
Helikon
Vesuv
Parnass
Kurupedion
ThermopylenActium
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Die Revolutionierung der Staatenwelt und der Ideen
Clemens Koehn Alexander dem Großen vergleichbar, führten die hellenistischen Herrscher zahl-reiche Kriege. Entsprechend aufwendig statteten sie ihre Flotten und Heere aus. Die Heere wurden nicht nur immer größer, sondern die anhaltende Kon-kurrenz beförderte zudem die militärtechnische Innovation: Man entwickelte neue Waffengattungen, und es kam immer mehr Technik zum Einsatz. Auch diese hochgerüsteten Imperien sollten aber letztlich ihren Meister finden.
Ein Triumph neuer Techniken?
Das Geschoss konnte man hören, aber es war nicht zu sehen. Es schlug mit fast derselben Geschwindigkeit auf, mit der es wenige hundert Meter entfernt von einem schiffsbasierten Katapultgeschütz abgefeuert worden war. Die Folgen waren verheerend: Einem Mann auf der Mauer riss es den Kopf ab, dann raste es in eine Gruppe von Kämpfern und hinterließ einen Haufen zerfetzten Fleisches und zertrümmerter Knochen. Dutzende weiterer Geschosse waren zur gleichen Zeit abgefeuert worden: Brandpfeile, Steinkugeln, Geschossbolzen. Flammen loderten empor, Masten brachen, Mauerteile brachen zusammen, die Männer fielen wie die Fliegen herunter. Immer intensiver wurde der Beschuss von den teils miteinander vertäuten und in die Hafeneinfahrt bugsierten gegnerischen Schiffen. Panik breitete sich aus in der großen Seestadt Rhodos. Die Ratsherren beriefen hastig eine Sondersitzung ein und erließen einen Aufruf, dass sich die kampffähigen Bürger an der Verteidigung des
Hafens beteiligen sollten, damit dieser – und damit womöglich auch die Stadt – nicht genommen würde.
Zwei Wochen zuvor war ein Sohn des Antigonos Monophthalmos – des „Einäugigen“, eines ehemaligen Generals Alexanders des Großen und seit kurzem König – auf der Insel gelandet. Er hatte sich einen Namen als Spezialist für Belagerungen und die dafür nötige Gerätetechnik gemacht, weshalb man ihn Demetrios Poliorketes nannte, „Städtebelagerer“. Auf unzähligen Schiffen hatte er nicht nur ein großes Heer herangeschafft, sondern auch zahlreiche Belagerungsmaschinen. An der Leistungsfähigkeit dieser Maschinen hatte Demetrios einen bedeutenden Anteil: „Seine Geschicklichkeit in technischen Fragen“, schreibt der antike Geschichtsschreiber Diodor, „war bei allen seinen Planungen ganz außergewöhnlich, und über das Kön
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Das attische Relief aus dem 4. Jahr-
hundert v. Chr. zeigt eine athenische
Triere, ein rudergetriebenes Kriegs-
schiff. Vom 6. bis zum 3. Jahrhun-
dert v. Chr. war sie das wich tigste
Kriegsschiff im Mittelmeer.
Strategien der Kriegführung
nen seiner Techniker hinaus war er es selbst, der häufig eigene Erfindungen machte. Daher nannte man ihn den Städtebelagerer. Bei Angriffen pflegte er ein solches Maß von Überlegenheit und Tatkraft an den Tag zu legen, dass man der Meinung war, keine Mauer sei so stark, dass sie denen Sicherheit gewähren könne, die von ihm belagert wurden.“
Diesem Problem standen im Winter 305 / 04 v. Chr. die Rhodier gegenüber. Angesichts der heftigen Beschießung fragten sie sich, wie lange die Mauern noch standhalten würden. Die Rhodier waren an
der Situation freilich nicht unschuldig. 312 v. Chr. hatten sie mit Demetrios’ Vater ein Bündnis geschlossen. Mehrfach schickten sie ihm anschließend für seine Operationen Einheiten ihrer Kriegsflotte und erlaubten ihm, auf ihren Werften Kriegsschiffe bauen zu lassen. Jetzt befand sich Antigonos im Krieg mit seinem ärgsten Rivalen, Ptolemaios I. Antigonos hatte ihn 306 in einer großen Seeschlacht vor dem zypriotischen Salamis besiegt und sich danach zum König proklamiert, doch hinderte diese Niederlage Ptolemaios nicht,
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Ein Triumph neuer Techniken?
sich ebenfalls zum König auszurufen. Der Kampf um das Erbe Alexanders des Großen hatte eine neue Dimension erreicht.
Antigonos rüstete zum entscheidenden Schlag. Er wollte den Herrscher von Ägypten in seinem eigenen Territorium angreifen. Zuvor musste er die wichtigste Verbindung kappen, über die Ptole maios in den Herrschaftsbereich des Antigonos hinein verfügte: die wirtschaftlich und zunehmend auch politisch wichtige Insel Rhodos. Doch dieses Mal machten die Rhodier nicht mit und verweiger
ten dem König ihre Unterstützung – aus verständlichen Gründen, denn das Reich des Ptolemaios war ihr wichtigster Handelspartner. Noch etwas spielte eine Rolle: Halfen die Rhodier Antigonos dabei, Ptolemaios auszuschalten, gab es niemanden mehr, der ihm künftig Paroli bieten konnte. Das in verschiedene Herrschaftsbereiche zerfallene Alexan derreich würde sich in ein unipolares Mächtesystem verwandeln.
Es gab ein gewisses diplomatisches Hin und Her, dann reichte es Antigonos. Er drohte den
Skizze von Rhodos etwa 100 Jahre
nach Gründung der Stadt. Zu er-
kennen ist die neue Verteidigungs-
mauer, welche die Rhodier bauten,
nachdem sie 304 v. Chr. die Belage-
rung durch Demetrios Poliorketes
überstanden hatten.
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Strategien der Kriegführung
Die Wucht des Materialeinsatzes
Der Plan, den Hafen von See her zu erobern, scheiterte etliche Male am heftigen Widerstand der Rhodier. So zog Demetrios das nächste Register. Er verlegte den Angriff aufs Land und ließ einen gigantischen Belagerungsturm bauen. An dessen Konstruktion und Betrieb waren fast 30 000 Mann seines Heeres beteiligt. Die sogenannte helepolis war im Quadrat 20 Meter breit und mindestens 30 Meter hoch, nach anderen Quellen sogar über 40. Außen aufwendig geschützt, um zu verhindern, dass sie in Brand geschossen würde, verbargen sich in ihrem Inneren auf neun Stockwerke verteilt alle möglichen Typen von Katapulten und Torsionsgeschütze. Innen wie außen waren unten 3400 Mann damit beschäftigt, die acht riesigen Räder der Monstermaschine in Bewegung zu setzen. War sie einmal in Position gebracht, ließ sich jede Stadtmauer mit einem Trommelfeuer aus unterschiedlichen Geschossen belegen: große Steinkugeln, um Breschen in die Mauer zu schlagen, schwere Eisenbolzen, um die Verteidiger auf der Mauer abzuschießen, Brandpfeile, um über die Mauer hinweg die dahinterliegenden Gebäude in Flammen zu setzen.
Den Rhodiern, die den Bau der Maschine aufmerksam verfolgten, war bald klar, dass sie einem solchen Beschuss nicht allzu lange standhalten konnten. Eilig begannen sie, hinter der Stadtmauer eine zweite hochzuziehen, um im Fall des Falles eine neue Verteidigungslinie aufbauen zu können. Für die zweite Mauer brachen sie etliche der öffentlichen Gebäude ab und nutzten deren Steine für den Neubau. Sie taten gut daran. Denn es gelang der Besatzung der helepolis, unterstützt von mehreren riesigen Rammböcken, den größten Turm der Stadtmauer sowie einen mächtigen Mauerabschnitt zu zerstören. Es war nur eine Frage der Zeit, wann der Sturm auf die Stadt beginnen konnte. Die Lage der Rhodier wurde immer verzweifelter, aber sie behielten die Nerven. In der Nacht eröffneten sie ihrerseits mit allem, was sie zur Verfügung hatten, das Feuer auf die fürchterliche Maschine. Beinahe wäre es ihnen gelungen, sie in Brand zu schießen. In letzter Minute brachten die erschöpften Männer des Demetrios sie außer Schussweite der rhodischen Katapulte.
Am Tag darauf musste Demetrios die unangenehme Feststellung machen, dass die rhodische Artillerie zumindest in quantitativer Hinsicht mithalten konnte. Seine Leute sammelten über 2000 Geschos
Rhodiern mit Krieg. Die bekamen es mit der Angst zu tun und knickten ein. Dann aber verweigerten sie – der gegebenen Zusage zum Trotz – dem König den Wunsch, den rhodischen Hafen als Logistikzentrum für seinen Feldzug gegen Ägypten zu nutzen. Die Angst, eine Garnison aufnehmen zu müssen und somit dauerhaft besetzt zu werden, war zu groß. Daraufhin entsandte Antigonos seinen Sohn samt Truppen und einem beeindruckenden Artilleriepark.
Die moderne Male-
rei rekonstruiert
das Bau- und Funk-
tionsprinzip der
Helepolis, des riesi-
gen Belagerungs-
turms, den Deme-
trios Poliorketes
gegen Rhodos zum
Einsatz brachte.
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Ein Triumph neuer Techniken?
se ein, welche die Rhodier in der Nacht abgefeuert hatten. Große Teile seines Maschinenparks mussten repariert werden. Das verschaffte den Rhodiern eine Verschnaufpause, in der sie vorsorglich eine dritte Mauer errichteten. Das Spiel begann von vorn und endete mit demselben Resultat: Die technisch ausgeklügelten Kriegsmaschinen des Demetrios pulverisierten Teile der rhodischen Mauern. Wieder kam es zum Sturm auf die Stadt. Am Ende war ihm kein Erfolg beschieden. Die 1500 Mann des eigens zusammengestellten Sonderkommandos wurden blutig abgewiesen. Zwar gelang es ihnen, ins Zentrum vorzudringen und sich in dem Viertel rund um das – für den Mauerbau teilweise abgebrochene – Theater zu verschanzen, aber sie blieben auf sich gestellt.
Unterstützt von einem neueingetroffenen Korps von Elitesoldaten des Ptolemaios, kesselten die Rhodier jetzt den Gegner ein. Es rächte sich, dass Demetrios darauf verzichtet hatte, den Hafen einzunehmen. Alle Versuche, mit seinen vor den Mauern verbliebenen Truppen eine Verbindung zu den Soldaten in der Stadt herzustellen, scheiterten an der Hartnäckigkeit der Verteidiger. Demetrios war drauf und dran, trotz des Misserfolgs einen neuen Sturmangriff zu befehlen, als von seinem Vater die Weisung kam, die Belagerung aufzuheben. Unter Vermittlung anderer griechischer Mächte schlossen beide Parteien einen Vertrag: Die Rhodier würden im Bündnis mit Antigonos verbleiben, doch sollte dies nicht für den Krieg gegen Ptolemaios gelten.
Die Belagerung von Rhodos, so spektakulär einzelne hochdramatische Facetten auch waren, blieb eine Episode in dem epischen Kampf der AlexanderGeneräle um das Erbe ihres einstigen Dienstherrn. 301, drei Jahre nach den Ereignissen vor Rhodos, fanden in der blutigen Schlacht bei Ipsos mit dem 80jährigen Antigonos Monophthalmos auch dessen Visionen eines wiedervereinten Alexanderreichs ein Ende (sofern er diese je für realistisch gehalten hatte). Demetrios Poli orketes überlebte ihn um fast 20 Jahre und blieb ein gewichtiger Akteur auf der Bühne, ohne die Machtstellung seines Vaters jemals wieder zu erreichen.
Trotz ihres kurzzeitigen Charakters wirft die Belagerung von Rhodos aber ein grelles Licht auf den operativen Alltag des Krieges dieser Zeit, auch wenn er meist weniger spektakulär war. Charakteristisch für die Kriegführung in hellenistischer Zeit
waren nicht so sehr neuartige Taktiken oder Waffen als vielmehr ein in allen Belangen gesteigerter Aufwand: an Geld, an Menschen und an Material. Die Kriegskasse, mit der Alexander samt seinem Heer nach Asien übersetzte, beinhaltete lächerliche 70 Talente. Mit der Eroberung des Perserreichs und dessen märchenhaften Schätzen eröffneten sich immer neue Geldquellen. Je mehr Geld zur Verfügung
Die Bronzeskulptur des ma-
kedonischen Königs Deme-
trios Poliorketes befindet
sich heute im Archäologi-
schen Nationalmuseum
Neapel.
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Die Wucht des Materialeinsatzes
Peter Scholz Die hellenistischen Staaten waren geprägt von einer enormen kulturellen Vielfalt. Zugleich breitete sich in den neueroberten Territorien die griechische Kultur aus. Dies war weniger auf eine zielgerichtete Politik der Herrscher zu-rückzuführen als auf den Wunsch der dortigen Bewohner, an der machtpoli-tisch überlegenen Kultur teilzuhaben – und auf das Bedürfnis von Griechen und Makedonen, die gewohnte Lebensform auch in nicht-griechischer Umge-bung zu pflegen.
Die Durchdringung der Welt
sche Kultur und Erziehung, Lebens und Wissensformen bis an die Ränder der damals bekannten Welt aus. Den militärischen Siegen folgten seit Alexander Bemühungen der griechischen Eroberer, die lokalen Eliten einzubinden. Da ihnen keine politische Konzeption und Strategie zugrunde lag, besaßen sie freilich einen halbherzigen und episodenhaften Charakter und blieben letztlich fruchtlos. Langfristig folgenreicher und historisch bedeutsamer waren die Reisen von Händlern, Abenteurern, Söldnern und Gelehrten, die in die erweiterte Oikumene – wie die von griechischer Kultur und Zivilisation durchdrungene Welt in hellenistischer Zeit genannt wurde – reisten.
Die individuelle Mobilität verlief im Großen und Ganzen in einer Richtung: nach Osten – dieses Bild
Es gehört zum Allgemeingut historischen Wissens, dass das rasch zerbrochene Alexanderreich weder eine religiöse noch eine ökonomische oder eine politische Einheit darstellte und dies von dem Makedonenherrscher auch niemals systematisch konzipiert und praktisch vorangetrieben worden wäre. Vielmehr bestimmten vielfältige kulturelle Unterschiede das äußere Gesamtbild: In Griechenland gab es städtische Gemeinwesen, in denen die Menge der Bürger dominierte, sowie Heiligtümer, die von Laienpriestern verwaltet wurden, in Phoinikien Kaufmannsrepubliken, in Ägypten einen agrarisch orientierten Staat mit Königtum und starker Priesterschaft, im iranischen Hochland Nomaden und zoroastrische Lehren. Auch gab es eine große Sprachenvielfalt, die vom Griechischen über das Ägyptische und Aramäische bis zum Persischen reichte. Im Zeitalter des Hellenis mus breiteten sich gleichwohl griechi
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Hellenistische Pai deia, Wissenschaft und Religion
Die Palaistra war ein Teil des
Gymnasions. Auf dem von Säulen-
hallen umschlossenen Hof wurden
ursprünglich Boxen und Ringen
trainiert (oben ein Beispiel aus
Olympia, 3. Jahrhundert v. Chr.).
vermitteln jedenfalls die verstreuten Zeugnisse der literarischen, historiographischen und inschriftlichen Überlieferung. Auch wenn die griechische Perspektive sich bei den diesbezüglichen Nachrichten überproportional abbilden dürfte, wird die Aussage grundsätzlich zutreffen: Es waren vornehmlich Griechen und Makedonen, welche die neugegründeten militärischen Stützpunkte und griechischen Städte bis zu den Grenzen der damals bekannten Welt aufsuchten. Weitaus geringer war der Austausch in umgekehrter Richtung – so suggerieren es zumindest die griechischen Quellen. Die Durchdringung der Welt war eine weitgehend griechische Angelegenheit.
Das Gymnasion und die Ausbreitung hellenistischer Paideia
Die Ausbreitung hellenistischer Kultur und Bildung (paideia) verdankte sich vor allem der Institution des Gymnasions, eines Erbes der aristokratischen Kultur der archaischen Zeit und zugleich eines der wesentlichen Bestandteile jeder griechischen Stadt. Das örtliche Gymnasion war der Ort, an dem die jungen Männer einer Stadt ihre körperliche, charakterliche und intellektuelle Erziehung empfingen und ihnen ihre Identität als Bürger vermittelt wurde .
Als Gymnasion bezeichnete man einen größeren Baukomplex, der neben einer Palaistra – einem von Säulenhallen umschlossenen Innenhof, in dessen sandbestreuter Mitte ursprünglich vor allem Ringen und Boxen trainiert wurden – mehrere Laufbahnen (dromoi) und Wandelgänge (peripatoi) umfasste. Von der Palaistra unterschied sich ein Gymna
Der Holzstich von Friedrich von Thiersch sucht das
antike Olympia zu rekonstruieren. Dazu gehörten das
Gymnasion (links), das Theater vor dem Kronos-Hügel
(im Hintergrund), der Zeus-Tempel (im Vordergrund)
und das Stadion (rechts hinten).
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Die Durchdringung der Welt
sion vor allem darin, dass es über eine größere Zahl von Einrichtungen für sportliche Übungen, vor allem für Laufen, Speer und Diskuswerfen, und gegebenenfalls sogar über eine Parkanlage verfügte und deshalb erheblich weitläufiger gestaltet war.
Bauliche Ausgestaltung erfuhr das Gymnasion allerdings erst im Lauf des 3. Jahrhunderts v. Chr. In seiner hellenistischen Form diente es vielfältigen Zwecken. Es war die zentrale städtische Institution, an der praktisches und theoretisches Wissen, physische Fähigkeiten sowie intellektuelle Techniken und Kompetenzen vermittelt wurden: Hier erwarben die Kinder elementare Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen, erlernten musische Künste und maßen sich erstmals in verschiedenen sportlichen Wettbewerben; hier wurden die Epheben vor ihrer Aufnahme in die Bürgerschaft im Kriegshandwerk unterwiesen und besuchten zusammen mit den jungen Männern Vorträge und Kurse von Wandergelehrten; und hier übten sich alle Altersstufen nach dem Erhalt des Bürgerrechts sportlich, pflegten lokale Kulte und begingen Feste.
Daher liegt es auf der Hand, dass das griechische Gymnasion sich schwerlich mit einer staatlichen Erziehungsanstalt moderner Prä gung vergleichen lässt: Im Gymnasion gab es kein vom Staat angestelltes Lehrpersonal, auch keine Schulbürokratie oder staatlichen Lehrpläne; keineswegs war es ausschließlich oder in erster Linie
ein Ort des schulischen Unterrichts, sondern es diente vor allem der öffentlich gepflegten urbanen Muße – sowohl für die städtische Jugend als auch für die erwachsenen Bürger. In der Palaistra traf man ebenso auf Lehrer und Trainer jeder Art wie auf Müßiggänger und stadtbekannte Schwätzer. Hauptsächlich hier erfolgte die Sozialisation in den Bürgerverband, und hier vergewisserte sich die städtische Gemeinschaft ihrer politischen und kulturellen Identität. Letztlich war das Gymnasion fester institutioneller Bestandteil und konstitutives Element für den Status einer Polis. Berücksichtigt man dies, so ist klar, warum der französische Historiker Louis Robert zu Recht vom Gymnasion als einer zweiten Agora spricht.
Der Blick auf die enge Verbindung von Gymnasion und Philosophie verleitet jedoch dazu zu vergessen, dass andere Gruppen das Gymnasion sowie die dazugehörigen Räumlichkeiten oder Parkanlagen weitaus früher als Ort des intellektuellen Austauschs und regelmäßiger Zusammenkünfte nutzten als die Philosophen, deren Zirkel verhältnismäßig spät institutionalisiert wurden. Der Zugang zum Gymnasion war in der Regel nur den männlichen Bewohnern einer Stadt gestattet: Bürgern ebenso wie Metoiken, also den Fremden, denen der Auf
Die hellenistische Architektur und
Kunst durchdrangen den gesamten
Nahen Osten; ihre Einflüsse wirk-
ten bis in die Zeit der römischen
Herrschaft nach (oben ein Beispiel
aus Gerasa im heutigen Jordanien).
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Das Gymnasion und die Ausbreitung hellenistischer Paideia
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