Familienarbeitsrecht
als Motor des gesellschaftlichen Wandels?
Inhaltsübersicht
• Vorverständnis
• Aktuelle Regelungen
• Zielsetzungen
• Rechtspraxis
• Zukunft
Vorverständnis Nr. 1
Familienarbeitsrecht ist Frauensache:
Es ermöglicht der Frau, neben ihrer Rolle in der Familie erwerbstätig zu sein.
Vorverständnis Nr. 2
Familienarbeitsrecht ist Grundbedingung für Vereinbarkeitsprogramme:
Es ermöglicht, grundlegende Karrierekonzepte und gesellschaftliche Zuständigkeiten neu zu denken. Vätern und Müttern wird neben ihren Familienaufgaben eine berufliche Laufbahn ermöglicht.
Vorverständnis Nr. 3
Familienarbeitsrecht ermöglicht es, neue Arbeitskräftemärkte zu erschließen und die Folgen des demographischen Wandels teilweise auszugleichen.
Das Etikett „familienfreundlich“ kann eine positive Außenwirkung für das Unternehmen erzielen.
Wesentliche Regelungen:Vorgaben aus Verfassung und europäischem Recht
• Art. 6 Abs. 1 und 4 GG
• Art 3 Abs. 2 GG
• Art. 33 EU-Grundrechtecharta
• Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG
• Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und
Beschäftigungsfragen 2006/54/EG
• Richtlinie zum Elternurlaub 2010/18/EU
Wesentliche Regelungen:Mutterschutzgesetz idF vom 23.05.2017 (MuSchG)
• § 17 MuSchG: Kündigungsschutz, auch nach Fehlgeburten
• Beschäftigungsverbote:Schutzfristen vor und nach der Geburt (§ 3 Abs. 1 und 2 S. 1 MuSchG)
arbeitszeitrechtliche Beschäftigungsverbote in § 4 (maximale Tages-
und Wochenstundenzahl), § 5 (Verbot der Nachtarbeit) und § 6 MuSchG
(Verbot der Sonnen- und Feiertagsarbeit)
ärztliches Beschäftigungsverbot für schwangere Frauen (§ 16 MuSchG)
• Freistellungsanspruch für ärztliche Untersuchungen und zum Stillen (§7 Mutterschutzgesetz)
Wesentliche Regelungen:Mutterschutzgesetz idF vom 23.05.2017 (MuSchG)
Betriebliche Schutzpflichten – Reihenfolge (§ 13 Abs. 1-3 MuSchG):
1. Umgestaltung von gefährlichen Arbeitsbedingungen
2. Umsetzen auf zumutbaren Arbeitsplatz
3. betriebliches Beschäftigungsverbot
Instrument: Gefährdungsbeurteilung nach 5 ArbSchG iVm § 10 Abs. 1 und 2, 9 Abs. 1 MuSchG
Wesentliche Regelungen:Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)
vom 05.12.2006 mit den Neuregelungen vom 18.12.2014
Anspruch auf Elternzeit (§§ 15 Abs. 1-4, § 16 BEEG):
• grundsätzlich bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes – aber: bis zu 24 Monate können zwischen dem 3. Geburtstag und dem 8.
Geburtstag des Kindes genommen werden
• beide Elternteile haben jeweils Anspruch auf bis zu 3 Jahre, verteilt auf bis zu 3 Zeitabschnitte
• Pro Kind ist die Dauer der Elternzeit auf Gesamtzeitraum von 3 Jahren beschränkt
Wesentliche Regelungen:Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)
vom 05.12.2006 mit den Neuregelungen vom 18.12.2014
Rechtsfolgen der Elternzeit :• Kündigungsschutz nach § 18 BEEG
• Teilzeitanspruch gegen den Arbeitgeber (§ 15 Abs. 5-7 BEEG) in Unternehmen mit mehr als 15 AN – Umfang der Teilzeitarbeit 15 bis 30 Wochenstunden
• Teilzeitarbeit bei anderem Arbeitgeber oder selbstständige Tätigkeit bis 30 Wochenstunden ist mit Zustimmung des Arbeitgebers möglich (§ 15 Abs. 4
BEEG)
• Der Arbeitgeber darf den Teilzeitanspruch bzw. die Zustimmung zur Teilzeitarbeit bei anderem Arbeitgeber/Selbstständigkeit nur aus dringenden betrieblichen
Gründen ablehnen.
Wesentliche Regelungen:Das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)
vom 05.12.2006 mit den Neuregelungen vom 18.12.2014
Elterngeld in drei Varianten:
• als Basiselterngeld ohne Erwerbseinkommen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG)
• als Basiselterngeld in Monaten mit Einkommen aus Teilzeitbeschäftigung nach Variante 1 (§ 2 Abs. 3 Satz 3 iVm. § 4 Abs. 2 Satz BEEG)
• als Elterngeld Plus für Monate mit Einkommen aus Teilzeitbeschäftigung nach Variante 2 (§ 2 Abs. 3 Satz 3 iVm. § 4 Abs. 3 Satz 1 BEEG)
Wesentliche Regelungen:Das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)
vom 05.12.2006 mit den Neuregelungen vom 18.12.2014
Elterngeld :
• Basiselterngeld max. 12 Monate lang; weitere 2 Monate, wenn der andere Partner sie nutzt (§ 4 Abs. 4 Satz 2 BEEG)
• 67 % (Grundsatz) bzw. 65 % (bei höheren Einkommen) der Nettodifferenz zum Erwerbseinkommen vor der Geburt /werden erstattet (bis zu einem Nettoerwerbseinkommen von 2.770,00 € vor der Geburt)
Wesentliche Regelungen:Das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)
vom 05.12.2006 mit den Neuregelungen vom 18.12.2014
Elterngeld plus:
• § 4 Abs. 3 Satz 1-3 BEEG: In Teilzeit tätige Elternteile erhalten 24 Monate
lang den wegfallenden Teil des Nettoeinkommens höchstens bis zur
Hälfte des monatlichen Basiselterngeldes, das sie ohne Erwerbsarbeit
erhielten
• Jedes Elternteil kann vier weitere Monatsbeiträge Elterngeld plus
beanspruchen, wenn beide Eltern in vier aufeinanderfolgenden
Monaten je 25-30 Stunden Teilzeit arbeiten (§ 4 Abs. 4 Satz 3 BEEG)
Wesentliche Regelungen:Betreuung und Pflege
Erkrankung des Kindes
• § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V: Anspruch auf unbezahlte Freistellung, solange
Anspruch auf Krankengeld nach § 45 Abs. 2 SGB V besteht (pro Jahr 10
Arbeitstage, für Alleinerziehende 20 Arbeitstage je Kind)
• Der Anspruch ist subsidiär: Er tritt zurück, solange es einen Anspruch auf
bezahlte Freistellung – beispielsweise aus § 616 Abs. 1 BGB – gibt
Wesentliche Regelungen:Betreuung und Pflege
Pflegezeitgesetz (PflZG)
Vollständige oder teilweise Freistellung für
• Akutpflege nach § 2 Abs. 1 PflZG: Bis zu 10 Arbeitstage, subsidiärer Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld in Höhe von 90% des Nettos (§44 a Abs. 3 SGB XI)
• Pflegezeit (bis 6 Monate, § 3 Abs. 1 PflZG), Betreuungszeit (bis 6 Monate, § 3 Abs. 5 PflZG), Begleitzeit (bis 3 Monate, § 3 Abs. 6 PflZG) in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten
Wesentliche Regelungen:Betreuung und Pflege
Pflegezeitgesetz (PflZG)
Rechtsfolgen der (Teil-)Freistellung nach § 3 PflZG:
• Hauptpflichten sind (teilweise) suspendiert
• Kündigungsschutz nach § 5 PflZG
• Kein Anspruch auf Entgeltersatzleistungen, aber Förderung durch zinsloses Darlehen nach dem Familienpflegezeitgesetz möglich (§ 3 Abs. 7 PflZG, §§ 6-10 FPflZG)
Wesentliche Regelungen:Betreuung und Pflege
Familienpflegezeitgesetz (FPflZG)
• Anspruch auf Teilzeitarbeit (mind. 15 Stunden) bei Betreuung eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung für maximal 24 Monate (Pflegezeit nach PflZG wird angerechnet)
• Gilt nur in Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten
• Kündigungsschutz nach § 5 PflZG, Verweis in § 2 Abs. 3 FPflZG
• Kein Anspruch auf Entgeltersatzleistungen, aber Förderung durch zinsloses Darlehen möglich (§ 3 Abs. 7 PflZG, §§ 6-10 FPflZG)
Gesetzgeberische Ziele
Mutterschutzgesetz
• Schutz der Gesundheit von Mutter und Kind;
• Jetzt auch: Teilhabesicherung der schwangere und stillenden Frau
• Diskriminierungsvermeidung
Gesetzgeberische Ziele
Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz:
• Erhöhung der Geburtenrate
• Vereinbarkeit von Beruf und Familie
• (Teil-)Ausgleich der Einkommenseinbußen wegen des Wegfalls von Erwerbseinkommen
• Gleichstellung von Männern und Frauen bei der Übernahme von Betreuungsaufgaben (Partnermonate)
• Gleichstellung von Männern und Frauen bei der beruflichen Entwicklung (Elterngeld plus)
Gesetzgeberische Ziele
Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz:
• Erhöhung der Bereitschaft, Pflegeaufgaben in der Familie zu übernehmen
• Vereinbarkeit von Beruf und Pflege
Rechtspraxis
• Geburtenrate von 1,37 Kindern pro Frau in 2007 (684.862 Geburten) auf 1,59 Kindern pro Frau in 2017 (784.901 Geburten)
• Väterbeteiligung an Elternzeit von 3,5 % in 2007 auf 34 % in 2017 gestiegen
• Gender Pay Gap: von 2006 bis 2015 im Westen nur von 24% auf 23% gesunken, im Osten von 6% auf 8% gestiegen
• von Januar 2015 bis Mai 2016 nur 39.000 Freistellungen nach den Pflegezeitgesetzen (im Vergleich: 1.640.118 Elternzeitler in 2016)
• von Januar 2015 bis Mai 2016 nur 168 Darlehen nach dem FPflZGbewilligt
Elterngeld beziehende Personen im Jahr 2016
Land
Beziehen
de
insgesamt
Davon Beziehende
mit Wahl-
möglichkeit
Elterngeld
Plus1
Darunter
Beziehende mit tatsächlich
geplantem Elterngeld Plus1Mütter Väter
Anzahl Anteil in % AnzahlAnteil der Spalte 5
an Spalte 4 in %
1 Eltern, deren Kind nach dem 30. Juni 2015 geboren wurde.
Baden-
Württe
mberg 223 078 74,8 25,2 172 311 27 202 15,8
Bayern 283 791 75,7 24,3 201 949 27 456 13,6
Berlin 77 979 75,2 24,8 57 576 8 782 15,3
Branden
burg 44 137 77,2 22,8 32 603 4 764 14,6
Bremen 11 929 81,8 18,2 8 573 1 923 22,4
Hambur
g 44 184 76,8 23,2 31 857 3 747 11,8
Hessen 127 987 79,8 20,2 89 895 14 434 16,1
Mecklen
burg-
Vorpom
mern 29 501 81,1 18,9 21 041 2 685 12,8
Nieders
achsen 153 303 79,0 21,0 115 255 24 839 21,6
Nordrhe
in-
Westfal
en 336 413 80,1 19,9 246 643 45 630 18,5
Rheinla
nd-Pfalz 74 784 80,8 19,2 55 277 12 800 23,2
Saarland 15 865 83,0 17,0 11 922 2 039 17,1
Sachsen 84 523 73,5 26,5 59 942 13 024 21,7
Sachsen
-Anhalt 35 122 79,2 20,8 26 980 4 488 16,6
Schlesw
ig-
Holstein 52 847 81,2 18,8 37 465 6 608 17,6
Thüring
en 44 675 76,6 23,4 31 129 8 366 26,9
Deutschla
nd 1 640118 77,8 22,2 1 200 418 208 787 17,4
https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/06/PD17_213_22922.htmlhttps://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/06/PD17_213_22922.html
ZukunftRechtlich gebotene Entwicklung:
Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Gleichberechtigung der Geschlechter in der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchzusetzen und überkommene Rollenverteilungen zu überwinden. Der Verfassungsauftrag will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen.
Dies verpflichtet den Gesetzgeber auch dazu, einer Verfestigung überkommener Rollenvertei -lung zwischen Mutter und Vater in der Familie zu begegnen, nach der das Kind einseitig und dauerhaft dem "Zuständigkeitsbereich" der Mutter zugeordnet würde.
(BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09. November 2011 – 1 BvR 1853/11 –, Rn. 18, juris)
Zukunft
• Das Vorverständnis Nr. 1 „Familienarbeitsrecht ist Frauensache“ steht mit der Rechtsordnung nicht im Einklang.
• Im Pflegebereich ist der Verfassungsauftrag, für die Zukunft die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen, noch nicht angekommen. Hier besteht Entwicklungsbedarf.
Zukunft
• Im Bereich der Elternschaft: Hier hat das Arbeitsrecht Rahmenbedingungen für eine gleichmäßige Verteilung von Betreuung und Erwerbsarbeit geschaffen
• Diese Ansätze werden durch steuer- und sozialversicherungsrechtliche Regelungen (Ehegattensplitting, Familienversicherung) konterkariert
• Zudem steht der Gleichstellung von Männern und Frauen das bei Vorgesetzten verbreitete „Vorverständnis Nr. 1“ im Wege
ZukunftAber vor allem:
Wir müssen uns jeden Tag der Aufgabe stellen, das Ziel der Gleichstellung von Männern und Frauen bei der Übernahme von Familienaufgaben und im Beruf hochzuhalten, zu fördern und vor politischen Angriffen und vor Missachtung zu schützen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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