Download - FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

Transcript
Page 1: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

FACHTAGUNG5. NOV. 2010Europäisches Spezialmodellder österreichische Wohnbauals Best Practice?

Sonderbeilage der BBK

Page 2: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

2 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

Mehrmals wurde der„Busek-Preis“ verliehen,vorwiegend an junge mit-

tel- und osteuropäische Wissen-schaftler, die sich mit Fragen desWohnbaus und Wohnbaufinanzie-rung in ihren Ländern beschäftigenund Kreatives von der Finanzierungbis zur Raumplanung solide darge-stellt haben.

Nun aber schon zum dritten Malwird im Herbst eine Fachtagungabgehalten, wo Fragen etwas abseitsvon der tagespolitischen Aktualität,aber doch für die österreichischeund mitteleuropäische Wohnwirt-schaft von Bedeutung, behandeltwerden. Bei diesem Veranstaltungs-format steht das Zur-Verfügung-Stellen einer Diskussionsplattformim Vordergrund, um verschiedeneMeinungen abwägen zu können,ohne daraus gleich einen unmittel-baren Antrag an Aufsichtsbehördenoder Gesetzgeber formulieren zuwollen.Nun: im Jahr 2010 hat sich derVerein entschlossen, das österreichi-sche Wohnbaumodell unter demGesichtspunkt des EU-Wettbe-werbsrechts zu prüfen.

Was verstehen wir unter demösterreichischen Modell?Es zeichnet sich aus durch eine hoheWohnbauleistung und durch eine

über Jahrzehnte festzustellende qua-litativ hohe Wohnversorgung derBevölkerung. Es wird gestützt durchdie öffentliche Wohnbauförderung,beinhaltet einen starken gemeinnüt-zigen Sektor, der mehr als ein Dritteldes großvolumigen Wohnbestandesumfasst. In hohem Ausmaß wirdaber auch privates Geld durchBausparen und Wohnbauanleihenmobilisiert.

Im Zuge von Beratungstätigkeiten inSüd-/Ost- und Mitteleuropa (etwabei der Mitwirkung an einem neuenWohnrecht für Rumänien), wurdemir öfters die Frage gestellt, ob dennöffentliche Mittel zur Förderung desWohnbaus in einem marktwirt-schaftlichen System überhaupt zu-lässig seien? Meine Kollegen undich haben dann immer versucht dar-zulegen, dass all diese Ausprägun-gen „öffentlich starker gemeinnützi-ger Sektor, Wohnbaudarlehen, etc.“nicht verlängertes Handeln der Ver-waltung eines Staates sind, sondernPublic- Private-Partnership-Model-le. Diese Klarstellung ist notwendig,denn gerade in den ehemals real-sozialistischen Ländern werdenstaatliche Eingriffe unter sozialenoder Wohlfahrtsaspekten mit großerSkepsis aufgenommen.

Ähnliches gilt für die Betrachtungunseres Fördersystems im Kontext

des EU-Wettbewerbsrechts. Offizi-ell wurde nie angefragt. So nachdem Motto: „Geh nicht zum Fürst,wenn Du nicht gerufen wirst!“ Jetztzwingt aber ein aktueller Anlass zurStandpunktüberprüfung, nämlichdie Auflagen für die Gemeinnützi-gen der Niederlande. Dort hat dieEU-Wettbewerbsbehörde über dieKommission einen massiven Ein-griff in den bestehenden, voll priva-tisierten gemeinnützigen Sektor derNiederlande angeordnet. Und zwarin dem Sinn, dass ein „Quasi“-Monopol zurückgestutzt wird. InZukunft werden Förderungen nurnoch nach strikten Einkommens-obergrenzen, die sich ganz offen-sichtlich an der Armutsgefährdungs-linie bewegen, vergeben und werdendie großen – privatisierten – Gesell-schaften gezwungen, einen Teilihres Bestandes abzuverkaufen.

Aufgrund dieser Entscheidung derEU-Kommission bekam die Fachta-gung einen ganz aktuellen Bezug undso wurde auch heftig mit den Vertre-tern der Europäischen Kommissionin Österreich diskutiert. Plötzlich

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fachtagung: Europäisches Sozialmodell – derösterreichische Wohnbau Als Best Practice?Am 5. 11. 2010 hat der Verein für Wohnbauforschung und Wohnbaupolitik seinediesjährige Fachtagung im ERSTE-Eventcenter in Wien abgehalten. Dieser Verein istim Nahbereich der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft sowie der bestehendenWohnbauforschungsinstitute angesiedelt und wird von einigen gemeinnützigenBauträgern und der S-Bausparkasse gesponsertWalter Tancsits*)

*) Mag. Walter Tancsits ist Obmann desVereins zur Förderung des ‚Busek-Preises‘ für wissenschaftliche Arbeitenzum Wohnungswesen sowie Vorstands-mitglied der STUWO GemeinnützigeStudentenwohnbau AG in Wien.

Page 3: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 3

bekam die theoretische Frage einenanderen Drall und es wurde hinter-fragt, wie ernst denn die EuropäischeUnion ihr eigenes sozialpolitischesKonzept nimmt. Armutsbekämpfungist schließlich ein wichtiges gesamt-europäisches Ziel!

Armutsverhinderung stattArmutsbekämpfungDas österreichischeWohnbausystemhat Strukturen geschaffen, woArmut gar nicht entstehen soll. Dasist ein anderes Konzept, als vorhan-dene Armut durch Beihilfen/Subjektförderung zu bekämpfen.Einen anderen Weg schlägt Öster-reich etwa bei der Mindestsicherungein.

Der Grundsatz, der beim österrei-chischen Wohnbau nach wie vorherrscht, nämlich durch entspre-chende Strukturen Armut von vorn-herein zu verhindern, hat sich in denletzten Jahren und Jahrzehnten alsüberaus effizient erwiesen. Dement-sprechende Studien liegen inerklecklicher Anzahl vor, einigesdavon wurde bei der Fachtagungvon Vertretern des IIBW (Dr.Amann, Mag. Mundt) und des FGW(Mag. Oberhuber) referiert. Schonder Vergleich der Aufwendungen fürden Wohnbau als Anteile vomBruttoinlandsprodukt bestätigt iminternationalen Kontext alle dieseThesen über die hohe Effektivitätder Objektförderung mit den dar-gelegten Rahmenbedingungen, ins-besondere jener, die den Einsatzprivaten Kapitals stimulieren.

Aus anderen Ländern wissen wir,dass das EU-Recht direkte Förde-rungen für den Einzelnen zur leist-baren Erhaltung seiner Wohnungals Mittel der Armutsbekämpfungdurchaus akzeptiert; darin also kei-neswegs eine Wettbewerbsverzer-rung sieht.Es wird also in der jetzt anlaufendenund kommenden Diskussion nichtdarum gehen, Förderungen undUnterstützungen von und für ad-äquaten Wohnraum im europäischenWettbewerbsregime zu rechtferti-gen, sondern eine Lanze für die Plu-ralität der Wege zu brechen. Das

gleiche anerkannte Ziel, nämlichArmutsbekämpfung, in unseremFall die Bekämpfung von „Wohnar-mut“, ist europäisches Ziel! ImLichte des Subsidiaritätsprinzips(Vertrag von Amsterdam) wird esfür Österreich und andere Mitglieds-länder notwendig sein, auf seineneigenen Weg zur Erreichung diesesZieles zu bestehen.

Das österreichische Modell istohnehin wettbewerbsgerechtUntersucht man das österreichischeSystem genau, dann wird man auchmanche Unterschiede zum jetztpönalisierten holländischen Modellerkennen. Der mir am wichtigstenerscheinende ist, dass es de factokeine Wettbewerbsverzerrungen ge-genüber dem privaten Sektor gibt.Dies schon deshalb nicht, weilWohnbauförderung auch an privateBauträger vergeben wird. Der ge-meinnützige Bauträger hat lediglichden Vorteil der Steuerbefreiung.Aber der gemeinnützige Sektor istkein „closed Shop“. Jede,, der sichden Spielregeln unterwirft, kannhier Gemeinnützigkeit zuerkanntbekommen, also zum „Public-Pri-vate-Partner“ werden.Ein weiterer Unterschied ist, dass inÖsterreich – bundesländerweise ver-schiedene – Einkommensgrenzenfür die Inanspruchnahme vonWohn-bauförderung bestehen. Diese sindim Vergleich zu den jetzt in Hollandgetroffenen zweifellos großzügig,erfüllen aber wahrscheinlich eherden Zweck, die Entstehung vonArmut durch übermäßige Ausgabenfür das Bedürfnis Wohnen zu unter-binden. Geringe Einkommensgren-zen haben nämlich den Nachteil,dass sie die Menschen viel länger inAbhängigkeit halten. In Summe undüber die Jahre führt eine solchesSystem wahrscheinlich zu höherenAusgaben, als eine auf dem Prinzipder „Hilfe zur Selbsthilfe“ aufbau-ende Initialfinanzierung.Weitere erhebliche Unterschiedezwischen den Niederlanden undÖsterreich sind, dass die gemeinnüt-zigen Bauträger dann, wenn siegewerblich tätig werden, dies ohneBegünstigung tun müssen. Wesent-lich scheint mir auch die Tatsache,

dass seit der Wohnrechtsnovelle2000 bei nennenswerten Zuzahlun-gen des Wohnungsmieters zwingendeine Eigentumsoption, die nachzehn Jahren ausgeübt werden kann,entsteht. Damit wird der jetzt in denNiederlanden verordnete Abverkaufvon gemeinnützigem Wohnraumdurch ein wesentlich besseres Ver-fahren, das zusätzlich zur breitenEigentumsbildung beiträgt, erreicht.Dabei darf in Erinnerung gerufenwerden, dass auch Eigentumsbil-dung in Arbeitnehmerhand eine vonvielen EU-Zielsetzungen ist, dieetwa in der vorherigen Kommissionkräftig propagiert wurde.

Es gilt, das österreichische BestPractice politisch abzusichernund wissenschaftlich zu unter-mauernAus meiner Sicht gilt es nun, einer-seits politisch zu handeln, etwa dieEU-Abgeordneten zu einer initiati-ven Überprüfung der Kommissions-entscheidung in Holland zu drängen,aber auch andere Mitgliedsländer zusensibilisieren, dass hier von derKommission unter Missachtung desSubsidiaritätsprinzips das einzelneZiel „freier Wettbewerb“ zu Lastenanderer gleichwertiger Ziele wie derArmutsbekämpfung oder Daseins-vorsorge herausgestellt wurde. Dar-über hinaus orte ich Bedarf anzielgerichteter Wohnbauforschung.Die Effizienz des österreichischenWeges und Systems wurde schonmehrfach nachgewiesen. MeinerMeinung nach wären hier Langzeit-studien wünschenswert, die belegen,dass gerade die relativ früh einset-zende Förderung des EinzelnenArmut zu einem späteren Zeitpunktverhindert und darüber hinaus zurstarken Mittelstandsbildung bei-trägt. Ein starker Mittelstand ineiner Gesellschaft ist aber der besteGarant für sozialen Zusammenhaltund zur Verhinderung von Armut.Weiters wären die Anregungen, diein diesem Beitrag und bei dieserFachtagung gemacht wurden, insbe-sondere, dass im österreichischenSystem keine ungerechtfertigten,marktverzerrenden Aspekte vorhan-den sind, wissenschaftlich sauber zubelegen.

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Page 4: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

4 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

Beim „niederländischen Fall“handelt es sich um ein Ver-fahren der EU-Kommission,

das die Finanzierung und Organisa-tion des sozialen Mietmarktes in denNiederlanden genau unter die Lupegenommen hat, nachdem 2005gewerbliche Bauträger Bedenkengegenüber der Wettbewerbsverträg-lichkeit der selektiven Beihilfen andie niederländischen gemeinnüt-zigen Wohnbauträger („Wocos“)geäußert hatten. Dieses Verfahrenerfuhr im Jänner 2010 mit einer Ent-scheidung der Kommission ihrenvorläufigen Höhepunkt.

Im Grunde geht es um die Frage, obund in welcher Weise die EU-Wett-bewerbsregeln Einfluss auf einendem europäischen Sozialstaat zuzu-rechnenden Sektor, nämlich densozialen Wohnbau, haben können.Hier zeichnet sich eine Tendenz ab,dass das liberale Wettbewerbsrechteinen eingrenzenden Einfluss aufsoziale Leistungen, die an breite Be-völkerungsschichten gerichtet sind,haben kann. Und zwar obwohl dieEU eigentlich keine Zuständigkeitfür die unterschiedliche Gestaltungvon Wohlfahrtsstaaten hat.

Grundstrukturendes NL-Wohnungsmarktes• Starker staatlicher Eingriff überindirekte Förderungen, vor allemim Eigentumsbereich:

Mittlerweile gibt es in den Nieder-landen keine objektseitigen Förde-rungen an soziale Wohnungsanbie-ter mehr. Starke Bedeutung habenjedoch die Förderungen im Eigen-tumssegment, die vor allem über die

Reduktion von Steuerschuld abge-wickelt werden. Zum einen sindZinsen für Hypothekarkredite zu100% abzugsfähig. Zum anderenvergibt der Staat über die „Nationalmortgage guarantee“ Sicherheitenan Banken, um dasAusfallrisiko vonHypotheken zu reduzieren. Es wirdgeschätzt, dass sich die Förderungs-wirkung dieser Maßnahmen aufjährlich € 8 Mrd. beläuft. Zusätzlichwird der Staat im Eigentumsseg-ment durch Annuitätenzuschüsse fürHypothekardarlehen für Bezieherniedriger Einkommen und durchSonderkredite für Erstkäufer aktiv.• Umstellung auf Wohnbeihilfen:Die Umstellung von objektseitigenFörderungen, die den Neubau kon-trollieren, hin zu Wohnbeihilfen istweit fortgeschritten, so wie das inzahlreichen anderen EU-Staatengeschehen ist. Mittlerweile beziehenüber 1 Mio. niederländische Haus-halte Wohnbeihilfe, das sind über30% der Mieter. Mit ungefähr€ 2 Mrd. entsprechen die Wohn-beihilfen knapp 60% der wohnungs-politischen Ausgaben.• Starke Dynamik bei Wohnungs-preisen:

Im Vergleich zu anderen europäi-schen Staaten liegen die Preissteige-rungen noch immer hinter jenen vonGB, Irland und Spanien, sind aberdennoch beachtlich. Seit 1995 habensich die Häuserpreise verdreifacht.Stark steigende Wohnungspreisegingen einher mit der Erhöhung derBeleihungssätze. Ebenso ist dieAnzahl der Kredite gestiegen unddie Verschuldung der Haushalte hatzugenommen. Die oben erwähntenFörderungen im Eigentumsbereich

haben die Preise zusätzlich angekur-belt.• Sehr inelastischesWohnungsangebot:

Aufgrund der Inelastizität des Bau-landangebots, geringen Baulandre-serven, bereits sehr dicht besiedeltenFlächen, langen Planungsprozessenbis Bauland verfügbar ist und derschleppenden Vergabe von Baube-willigungen zeigen Preissteigerun-gen wenig Wirkung auf das Woh-nungsangebot.• Dominierende Bedeutung desSozialen Mietsegments:

Nirgends in Europa sind sozialeWohnungsunternehmen am Miet-markt so dominant wie in den Nie-derlanden. Bei den 430 „Wocos“handelt es sich um private Unterneh-men, die als Stiftungen oder pri-vatrechtliche Unternehmen tätigsind. Die Wocos halten genau einDrittel des Wohnungsbestandes (ca.2,4 Mio. von insgesamt 7,1 Wohn-einheiten) bzw. 75% des Mietwoh-nungsbestandes. Jährlich werdenungefähr gleich viele Wohnungenaus dem sozialen Mietbestand anansässige Mieter verkauft wie neuedurch die Bautätigkeit der Wocoshinzu kommen. Anteilsmäßig ist dersoziale Mietbestand seit den 1990erJahren zurückgegangen. PrimäresZiel der Wocos ist es, die Wohnver-sorgung niedriger Einkommensbe-zieher und Risikogruppen sicherzu-stellen. Doch dieWocos sind auch inanderen Märkten aktiv: Bau und

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

*) FH-Doz.Dr. Wolfgang Amann istgeschäftsführender Gesellschafter,MMag. Alexis Mundt wissenschaftlicher Mit-arbeiter des IIBW – Institut für Immobilien,Bauen und Wohnen in Wien.

„Der niederländische Fall“ –Auswirkungen auf ÖsterreichDer sogenannte „niederländische Fall“ hat unter Sympathisanten des sozialen Wohn-baus in Europa so sehr für Aufmerksamkeit gesorgt, weil er nicht nur für die Nieder-lande, sondern für alle EU-Staaten mit großen sozialen Wohnungssektoren Auswirkun-gen haben könnte, zumal er die aktuelle Richtung der EU-Kommission in Wettbe-werbsfragen vorgibt Alexis Mundt, Wolfgang Amann*)

Page 5: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5

Vermietung von teureren Wohnung,Verkauf von Wohnungen ins Eigen-tum, Bau und Vermietung vonGebäuden im öffentlichen Interesse,Unterstützung sozialer Dienst-leistungen, Integration von Immi-granten, städtische Erneuerungs-programme.

Im Prozess des „Brutering“ wurdeMitte der 1990er Jahre ein Abgleichzwischen der staatlichen Ebeneeinerseits und den Vertretungsorga-nen der sozialen Wohnungsunter-nehmen anderseits ausverhandelt.Dabei wurden die künftigen Zah-lungsverpflichtungen des Staatesgegenüber den Wocos (laufendeSubventionen) mit den ausstehen-den Schulden der Wohnungsunter-nehmen an den Staat in Abrechnunggebracht und der Sektor erhielt weit-gehende Unabhängigkeit. Die Woh-nungsunternehmen erhielten aufeinmal einen riesigen Pool angebundenem Kapitel, verzichtetenaber gleichzeitig auf zukünftige,laufende Zahlungsströme zur Finan-zierung ihrer Tätigkeit. Mittlerweileerhält der Sektor vor allem Unter-stützung durch zwei Fonds: derGarantiefonds (WSW) stützt Auslei-hungen der Wocos bei Banken undführt zu besseren Konditionen. DerZentrale Wohnungsfonds (CFV)gewährt Wocos in finanziellenSchwierigkeiten spezielle Projekt-hilfen und Rationalisierungshilfen.

Sozialer Wohnbau in Europaund EU RechtDa es keine gesetzliche Basis für dieGestaltung der Wohnungspolitikauf EU-Ebene gibt, fällt dieser Poli-tikbereich grundsätzlich in die Zu-ständigkeit der Mitgliedsländer.Dennoch existieren zahlreicheGesetze und Regulierungen aufeiner umfassenderen Politikebene,die großen Einfluss auf die national-staatliche Gestaltung der Woh-nungspolitik ausüben. Auch dieVielzahl von politischen Initiativenauf Gemeinschaftsebene, die vonder Etablierung eines „Rechts aufWohnen“ der EU-BürgerInnen biszu Vermeidung von sozialer Aus-grenzung reichen, wirken sich aufdie Wohnungspolitik in den Mit-

gliedstaaten aus. Diese zunehmen-den EU-weiten Einflussfaktorenstellen den Grund dar, warum voneinem „graduellen Abgang vomSubsidiaritätsprinzip“ gesprochenwird. Es ist insbesondere das EU-Wettbewerbsrecht, wie es in denArtikeln 107 bis 109 des Reformver-trages, in sachbezogenen Entschei-dungen der Europäischen Kommis-sion und in den Urteilen derEuropäischen Gerichtshöfe konkre-tisiert wurde, das in der Ausgestal-tung des sozialen Wohnbaus beach-tet werden muss.

Für Förderungen im Bereich dessozialen Wohnungsbaus, aber auchfür andere staatliche Leistungen inder Wohnungspolitik, bedeutet daskonkret Folgendes: Gemäß Artikel107 (1) des Reformvertrages sindstaatliche Beihilfen gleich welcherArt, insofern sie den Wettbewerbverfälschen oder zu verfälschen dro-hen, mit dem Gemeinsamen Marktunvereinbar, soweit sie den Handelzwischen Mitgliedsstaaten beein-trächtigen. Dies ist bereits dannder Fall, wenn ein internationalerAnbieter durch selektive Beihilfen,die den Wettbewerb verzerren, vomMarkteintritt in einem anderen EU-Land abgehalten wird. Im Grundebedeutet das, dass staatliche Förde-rungen gleich welcher Art, die densozialen Wohnungssektoren in denEU-Staaten zufließen, in der Regelverbotene Beihilfen darstellen.Daher ist für die Finanzierung dersozialen Wohnungssektoren meistder Artikel 106 (2) relevant. Er legteine Situation dar, in der staatlicheMittel in Übereinstimmung mit EU-Recht an bestimmte Unternehmengezahlt werden können. Unterneh-men, die mit Dienstleistungen vonallgemeinem wirtschaftlichem Inter-esse (DAWI) betraut sind, sindnicht an die Wettbewerbsregelungengebunden, wenn diese die Erfüllungder ihnen übertragenen besonderenAufgaben rechtlich oder tatsächlichverhindern würden. Dadurch wirddie generelle Möglichkeit eröffnet,die Unternehmen, die mit der Erfül-lung dieser Aufgabe durch dieöffentliche Hand betreut sind, durchöffentliche Gelder zu finanzieren.

Diese Gelder stellen nicht staatlicheBeihilfen (im Sinne des Artikel 107)dar, sondern „Ausgleichszahlungen“für die Kosten einer spezifischenGemeinwohlverpflichtung, und sinddaher zulässig. Eine genauereKlärung der angemessenen Höhedieser Abgeltung brachte das be-rühmte Urteil des EuropäischenGerichtshofes im „Altmark TransGmbH“-Fall 2003.

Basierend auf den Altmark-Krite-rien schlägt die Kommission vor,dass die Rechtsvorschriften derMitgliedstaaten, die Gemeinwohl-verpflichtungen vergeben, klareBestimmungen zu folgenden Punk-ten enthalten sollen:• genaue Art und Dauer derGemeinwohlverpflichtungen,

• beauftragte Unternehmen undräumlicher Geltungsbereich,

• Art der dem Unternehmen gege-benenfalls gewährten ausschließ-lichen oder besonderen Rechte,

• Parameter für die Berechnung,Überwachung und etwaige Ände-rung der Ausgleichszahlungen,

• Vorkehrungen, die getroffen wur-den, damit keine Überkompensie-rung entsteht bzw. etwaige über-höhte Ausgleichszahlungen zu-rückgezahlt werden.

Da die Mitgliedstaaten hinsichtlichder Art der Dienstleistungen, die alsvon allgemeinem wirtschaftlichemInteresse eingestuft werden können,über einen großen Ermessensspiel-raum verfügen, ist es Aufgabe derKommission zu gewährleisten, dassdie Mitgliedsstaaten nicht einen(recht unspezifizierten) „offenkun-digen Fehler“ bei der Definition vonDienstleistungen von allgemeinemwirtschaftlichem Interesse begehen.

Die oben angeführten Kriterien stel-len jedenfalls eine geeignete Vorlagedar, um staatliche Förderungen anUnternehmen mit Versorgungsver-pflichtungen gemäß ihrer Überein-stimmung mit EU-Wettbewerbs-recht zu evaluieren: Wenn die För-derungen als Ausgleich gemeinwirt-schaftlicher Verpflichtung zu sehen

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung auf Seite 6

Page 6: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

6 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

sind, und die obigen Voraussetzun-gen erfüllen, stellen sie keine „staat-lichen Beihilfen“ dar und sind somitrechtens.

Die gültige Finanzierung von DAWIswurde 2005 bis 2007 im Zuge dessogenannten Monti-Kroes-Paketsgenauer spezifiziert, wobei die „Alt-mark-Kriterien“ nicht abgeändert,sondern lediglich konkretisiert wur-den. Spezielle Regelungen für densozialen Wohnbau kamen hinzu, soder Entfall der Notifizierungspflicht.

Die EU-Entscheidungvom 14. Jänner 2010Auslöser für das Verfahren gegenden niederländischen gemeinnützi-gen Sektor war eine schriftlicheBeschwerde des Verbands institutio-neller Investoren der Niederlande(IVBN) bei der EU-Kommission, inder selektive Förderungen an Wocosund die daraus resultierende Wettbe-werbsbeeinträchtigung anprangertwurden. Vor allem amMarkt für teu-rere Wohnungen unterstellten diegewerblichen Wohnbauträger dasFehlen eines „level playing fields“.Die EU-Kommission leitete in Folgeeine genaue Begutachtung des nie-derländischen Sozialwohnungssek-tors ein und äußerte in einem Brief2005 deutliche Bedenken hinsicht-lich der Wettbewerbsverträglichkeit.Im Grunde galt die Kritik derDAWI-Definition im niederländi-schen Sozialmietsektor, bei derdurch das Fehlen einer klaren „Ziel-gruppe benachteiligter Bürger odersozial schwacher Gruppen“ ein„offenkundiger Fehler“ unterlaufensei. Ebenso sollten kommerzielleAktivitäten der Wocos auf Marktba-sis erfolgen und nicht durch staatli-che Beihilfen begünstigt werden.

Der Brief war zusätzlicher Zünd-stoff in einer bereits damals voll auf-brechenden öffentlichen Diskussionüber die Ziele, Errungenschaftenund Zukunft der Wocos. Diese hat-ten in der medialen Öffentlichkeitmit einem schlechten Image zukämpfen: exzessive Vermögens-rücklagen, zu hohe Gehälter, ineffi-ziente Mittelverwendung und feh-lende Zielerfüllung wurden ihnen

vorgeworfen. Die Wocos regiertenmit extra Investitionen in urbaneErneuerungsprojekte.

Vor diesem Hintergrund sind auchdie Änderungsvorschläge zur Neu-orientierung des Sektors durch dieNiederländische Regierung zu deu-ten. Sie wurden im Dezember 2009an die Kommission übermittelt undbildeten die Grundlage für die letzt-endliche Kommissionsentscheidungvom 14. 1. 2010.

Wie bereits im Brief von 2005 warder Hauptkritikpunkt der Kommis-sion in der endgültigen Entschei-dung eine ungenügende DAWI-Definition durch das Fehlen einerklaren Zielgruppe. Ebenso wurdebemängelt, dass die Wocos nicht imRahmen einer öffentlichen Aus-schreibung mit der entsprechendenGemeinwohlverpflichtung beauf-tragt wurden und die Höhe der Aus-gleichszahlungen nicht ausreichendbestimmt und überwacht wurde.Dennoch wurden die von der nieder-ländischen Regierung zugesichertenÄnderungen von der Kommissionals ausreichend angesehen, um dasSystem mit EU-Wettbewerbsrechtvereinbar zu machen. Diese Ände-rungen sind:• Einführung einer maximalen Ein-kommensgrenze von € 33.000(damit blieben rund 43% derBevölkerung begünstigt).

• Einführung einer maximalenSozialmiete von ca. € 650, jähr-lich indexiert. Höhere Mieten sinddem kommerziellen Sektor zuzu-rechnen.

• 90% der Neuvergaben sollen andie Zielgruppe vergeben werden,10% können aufgrund von objek-tiven Kriterien an Personen außer-halb der Zielgruppe vergebenwerden (Großfamilien, Sozialhil-feempfänger etc.).

• Regionale Ausnahmen (20% Be-legung außerhalb der Zielgruppe)nur durch zeitlich beschränkteVerordnung.

• Mechanismus zur Überwachungdieser Belegungsbestimmungenbei jeder Woco, Sanktionsmög-lichkeiten (Entzug der Hilfendurch WSW und CFV u. a.).

• Getrennte Buchführung zwischensozialen und kommerziellen Akti-vitäten, Überwachung.

• Je nach Größe der Zielgruppe inregionalen Wohnungsmärktenkann die Belegungsregel ein„Überangebot von Sozialwohnun-gen“ ergeben, d. h. der Verkaufnotwendig werden.

Am 30. April 2010 haben 133Wocos gemeinsam mit CECOD-HAS Housing Europe, dem nieder-ländischen Mieterbund, dem inter-nationalen Mieterbund (IUT) undAEDES, dem Schirmverband derWocos, Beschwerde beim EuGHgegen die Kommissionsentschei-dung eingereicht. Der Hauptkri-tikpunkt der Beschwerde ist einÜbertreten der Kompetenz bei derUnterstellung eines „offenkundigenFehlers“ bei der Bestimmung derDAWI. Da den Mitgliedsstaaten dasRecht zusteht, den Charakter und dieReichweite von DAWIs festzulegen,habe, so der Vorwurf, die Kommis-sion mit ihrer Beschränkung dessozialen Wohnbaus auf „benachtei-ligte Bürger und sozial schwacheGruppen“ einen Bruch des Subsi-diaritätsprinzips begangen und ihreKompetenz überschritten. Eine Ent-scheidung wird 2011 erwartet.

Auswirkungenauf die NiederlandeDie niederländische Regierung wirddie EU-Entscheidung über geeig-nete Gesetze ab 2011 umsetzen undeiniges spricht dafür, dass diemomentane Mitte-Rechts-Regie-rung über die Bestimmungen derEntscheidung noch hinaus gehenwird. Die Festlegung von restrikti-ven Einkommensgrenzen wird ca.eine halbe Million mittelständischerBewohner des sozialen Wohnungs-sektors ausschließen. Dies soll nichtnur durch die Neubelegung, sondernauch durch geplante Fehlbelegungs-abgaben erreicht werden: Für Bezie-her mittlerer Einkommen sollen dieMieten jährlich übermäßig steigen,sodass ein Auszug angeregt wird.Dadurch, so wird befürchtet, wird eszu einer gesellschaftlichen Segrega-tion über unterschiedliche Woh-nungsteilsegmente kommen und vor

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung von Seite 5

Page 7: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 7

allem zu einer Residualisierung dessozialen Sektors. Besonders für denMittelstand tut sich ein enormesLeistbarkeitsproblem auf: Ein Marktfür teurere (über dem Sozialmietbe-reich von € 650 liegende) Wohnun-gen ist kaum vorhanden und diePreise des Wohnungs- und Hausei-gentums liegen sehr hoch. Diemomentane Eigentumsförderungder niederländischen Wohnungspo-litik wird im jetzigen Maße nichtaufrecht erhalten werden können,wenn der gesamte Mittelstand insEigentumssegment drängt. Pikanter-weise werden die indirekten Förde-rungen für das Wohnungseigentum,auch bei einer Reduktion der Förde-rung, ein Vielfaches der Staatsaus-gaben ausmachen, die momentanüber den Sozialmietsektor dem Mit-telstand zufließen. Die Wocos selbstwerden in Finanzierungsengpässekommen, zumal ihre kommerzielleTätigkeit bereits jetzt von Bankenerschwerte Finanzierungskonditio-nen vorfindet. Wenn es keinenRückfluss aus dem breiten Tätig-keitsspektrum der Wocos in die„Gemeinwohlverpflichtung“ derWohnversorgung unterer Einkom-mensschichten gibt, wird auch dieseAufgabe mit Schwierigkeiten kon-frontiert sein. Denn die momentanenindirekten Vorteile, die durch diebeiden Fonds an die Wocos fließen,reichen nicht aus, um gute Wohn-qualitäten im zulässigen Bereich derSozialmieten zu realisieren. ImGegensatz zu Österreich, wo diegemeinnützige Bautätigkeit in derWirtschaftskrise nicht eingebrochenist, sondern vielmehr gezielt antizy-klisch wirkt, ist die Bautätigkeit derWocos in den Niederlanden starkbetroffen: Im ersten Quartal 2010wurden um 52% weniger Bautenbegonnen als im ersten Quartal2009. Langfristig wird es zu einemAbbau des Sozialsektors kommen,vor allem durch Verkauf in denfreien Markt.

Zusammenfassend kann festgehal-ten werden, dass der nunmehrigeUmbau des holländischen ge-meinnützigen Sektors mit dem„Brutering“ in den 1990er Jahrenseinen Ausgang genommen hat. Die

damals vollzogene Entkoppelungdes Sektors von öffentlichen Förde-rungen bedeutete eine massive Ent-machtung staatlicher Wohnungspo-litik. Wenngleich das „Brutering“ökonomisch überzeugend wirkte,erwies es sich mittelfristig alskontraproduktiv. Denn seit damalsbetreiben die gemeinnützigenWohnungsunternehmen ihre eigeneWohnungspolitik, eine privatisier-te Wohnungspolitik. Es erscheintnachvollziehbar, dass sich der Staatdas auf Dauer nicht gefallen lassenkonnte. Er musste seinen Alleinver-tretungsanspruch in puncto Woh-nungspolitik behaupten. Aufgrundder spezifischen Situation hat er dasmit einigermaßen eigenartigen Mit-teln unter Missbrauch der Kommis-sion getan.

Auswirkungen auf EU-StaatenDie Sozialmietsektoren sind in EU-Staaten sehr unterschiedlich aufge-stellt. Nur wenige Staaten habengroße Mietsektoren und sehen dem-entsprechend auch einen breitenBegünstigtenkreis innerhalb derBevölkerung vor. Die EU-Entschei-dung im „niederländischen Fall“geht zwar auf die Vorschläge derniederländischen Regierung zurückund ist, wie die EU-Kommissions-entscheidung klar hervorhebt, eineEinzelentscheidung, die nicht einszu eins auf alle EU-Staaten umge-legt werden kann. Dennoch ist sieein Signal an universelleWohnungs-systeme, das anregt, dass einegenaue Zielgruppe definiert werdenmuss, die sich auf „benachteiligteBürger und sozial schwache Grup-pen“ begrenzt. Für die Sozialmiet-sektoren in neuen Mitgliedsstaaten,die sich gerade im Aufbau befinden,wird damit die Möglichkeit unter-bunden, ihn auf eine breite Basis zustellen. Es wird eine Entwicklunghin zu liberalen, nur auf untere Ein-kommensbezieher und Risikogrup-pen beschränkte Wohnungspolitikbegünstigt. Damit setzt die EU-Kommission eindeutig falsche Sig-nale: Transformationsstaaten wer-den der Möglichkeit beraubt, dieempirisch eindeutigen Vorteilsmo-delle der Wohnungspolitik in man-chen alten EU-Mitgliedsstaaten

(Niederlande, Schweden, Däne-mark, Österreich) in ihren Grund-strukturen zum Vorbild zu machen.

Das IIBW ist seit vielen Jahren mitdem Aufbau sozialer Wohnungssek-toren in Transformationsländernbefasst. Dabei wird ein Ansatz ähn-lich dem holländischen oder demösterreichischen mit einer starkenMittelstandsorientierung verfolgt.Die mit dem Holländischen Fallverbundene Positionierung der EU-Kommission ist diesen Bemühun-gen nicht eben förderlich.

Es scheint, dass die EU-Kommissionhinsichtlich des sozialen Wohnbausden eigenen Anspruch an ein demsozialen Zusammenhalt verpflichte-tes, europäisches Sozialmodell miss-achtet. Die Option, sozialen Wohn-bau (als Dienstleistungen von allge-meinem wirtschaftlichem Interesse)im Sinne eines integrierten oder uni-versellen Modells aufzufassen, wirdunterbunden.

Das Ende universeller wohlfahrt-staatlicher Systeme?Die EU-Kommission hat mit ihrerEntscheidung den Umbau desholländischen Sozialwohnungssek-tors in ein residuales System alsgangbaren Weg klassifiziert. Es istaus der Entscheidung allerdingskeine ausführliche Auseinanderset-zung mit den Vor- und Nachteileneines residualen gegenüber einemuniversellen System erkennbar. DieEU zeigt sich in dieser Frage indiffe-rent. In einem ähnlich gelagertenFall, einer seit 2005 anhängigenBeschwerde bei der EU-Kommis-sion gegen den schwedischenSozialwohnungssektor, wurde einWeg gefunden, den universellenZugang zu Sozialwohnungen, diedort von gemeindeeigenen Wohn-bauunternehmen angeboten werden,aufrecht zu erhalten. In der jetzigenLösung arbeiten die gemeindeeige-nen Wohnbauunternehmen untermarktwirtschaftlichen Rahmenbe-dingungen. Der Staat ist in Mieten-festlegung nicht involviert. Im Juni

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung auf Seite 8

Page 8: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

8 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

2010 hat der Riksdag ein entspre-chendes Gesetz angenommen, dasab 1. 1. 2011 in Kraft tritt. Die neuenRegeln wurden unter starker Zusam-menarbeit von SABO (Dachverbandder gemeindeeigenen Wohnbauun-ternehmen) und dem SchwedischenMieterbund ausverhandelt. DerSchwedische Verband gewerblicherImmobilieneigentümer, der in derauslösenden Beschwerde von derEuropean Property Federationunterstützt wurde, konnte in die Ver-handlungen eingebunden werden.Dadurch konnte ein breit angelegterKompromiss erzielt werden, in demdie wichtigsten Anliegen der zentra-len Akteure berücksichtigt werdenkonnten. Dadurch stand auch diePolitik und das Parlament hinter derEinigung. Nachdem der Verbandgewerblicher Immobilieneigentü-mer die Beschwerde bei der Kom-mission zurückgezogen hat, gilt die-ser Fall von Seiten der Kommissionals geklärt. In Zukunft wird der uni-verselle Zugang zum sozialenWohnbau in Schweden nicht mehrals DAWI im Sinne des Art. 106 (2)gesehen, sondern als staatliche Bei-hilfe, die jedoch nach Art. 107 mitdemWettbewerbsrecht vereinbar ist.

Auswirkungen auf ÖsterreichDie EU-Entscheidung im „nieder-ländischen Fall“ basiert auf denVorschlägen der niederländischenRegierung und hätte daher auch aufandere Art und Weise geregelt wer-den können. Die Entscheidung ist inihren Details daher sicher nicht einszu eins für Österreich relevant.Außerdem ist das österreichischeSystem gut auf das EU-Wettbe-werbsrecht abgestimmt, auch weilfolgende Unterschiede gegenüberden Niederlanden bestehen:• Die Wohnbauförderungsbestim-mungen der Bundesländer sorgenin der Kombination mit den imWGG vorgegebenen Kostenmie-ten für klare Vorgaben hinsicht-lich der „Ausgleichszahlungen“für Gemeinwohlverpflichtungen,die durch gemeinnützige Woh-nungsunternehmen erbracht wer-den, und für die Weitergabe derZuwendungen an die Nutznießer.

• Aufgrund der genauen Kontrolle

der WGG-Bestimmungen durchden GBV-Revisionsverband unddurch die Aufsicht der Bundeslän-der selbst ist eine ausreichendeKontrolle der Förderungsflüssegewährleistet.

• Der Sozialmietsektor läuft inÖsterreich nach wie vor durchgezielte Objektförderungen, dieein „Vorbeiproduzieren“ der Ge-meinnützigen an den Zielvorga-ben der Bundesländer unmöglichmachen.

• Die niederländische Regierungwar selbst an einer Neuordnungdes Sektors interessiert. In Öster-reich hingegen steht der sozialeWohnbau auf breiten Beinen undgenießt sowohl breite politische,wie auch regionale Unterstützung.Die im internationalen Vergleichpositiven wohnungspolitischenErgebnisse rechtfertigen dieseUnterstützung.

• Auch wenn die Einkommensgren-zen im österreichischen geförder-ten Wohnbau durchaus höher aus-fallen als die in der EU-Entschei-dung für die Niederlande nun vor-gegebenen, ist der Sozialsektor inÖsterreich durchaus auf bestimmteEinkommensbezieher beschränktund nicht undifferenziert ausge-richtet. Alle Bundesländer sehenEinkommensgrenzen vor.

Dieser Unterschiede eingedenk, istes jedoch auch für das österreichi-sche Modell möglich, die Überein-stimmung mit dem EU-Wettbe-werbssystem nachhaltig sicherzu-stellen und antizipativ vorzugehen:• Es empfiehlt sich die vertiefendeAnalyse und Dokumentation derGemeinwohlverpflichtungen desgemeinnützigen Sektors, die weitspezifischer sind als die im WGGvorgegebenen „dem Gemeinwohldienenden Aufgaben des Woh-nungs- und Siedlungswesens“.Von aktuell besonderer Relevanzsind Aufgaben im Bereich derKlima- und Energieziele, dersozialen Durchmischung und derIntegration. Deren gesetzlicheVerankerung erscheint zweck-mäßig.

• Die Versorgungsfunktion spezifi-scher sozialer Risikogruppen

durch den gemeinnützigen Sektorkönnte fortlaufend dokumentiertwerden.

• Die EU-Kommission wendet einebreite Definition von „staatlichenBeihilfen“ an. Es empfiehltsich, alle Förderungsmaßnahmen,einschließlich etwa auch derKapitalaufbringung über Wohn-baubanken, hinsichtlich Förde-rungseffekt undWirkung zu doku-mentieren.

• Der gemeinnützige Wohnbau istin Österreich interessenpolitischgut verankert. Die aktive fort-währende Sicherung breiterBündniskoalitionen ist eine be-sonders effektive Maßnahme zurAbsicherung des Sektors. Insbe-sondere sollte auch der gewerb-liche Immobiliensektor als Part-ner gesichert werden.

Zusammenfassend bedeutet der „nie-derländische Fall“ also, dass die EU-Kommission (momentan) eine resi-duale Definition von DAWIs imBereich des sozialen Wohnbausbefürwortet und dass dadurch univer-sell ausgerichtete Gemeinwohlver-pflichtungen in die Defensive geraten.Eindeutig entfaltet dadurch das EU-Wettbewerbsrecht limitierende Wir-kungen auf Bereiche der sozialenWohnungspolitik, was auch als Kom-petenzüberschreitung gedeutet wer-den kann. Dennoch: die Entscheidungbasierte auf Vorschläge der Regierungund entstand im Zuge von Verhand-lungen. Für Österreich bedeutet das,dass zur Absicherung des sozialenWohnungssegments antizipativeAnpassungen möglich sind.

Wichtige LiteraturElsinga, M. & Hoekstra, J. (2010) Studyon housing exclusion: Welfare policies,housing provision and labour markets,Country report for the Netherlands,OTB Delft.

van der Wal, D. & Lub, H. (2009) Housingfinance in the Netherlands – the impactof structural developments on house-holds and banks, in: IFC Bulletin No 31,81–96.

Gruis, V. & Priemus, H. (2008) EuropeanCompetition Policy and National Hou-sing Policies: International Implicationsof the Dutch Case, in: Housing Studies,Vol. 23 (3), 485–505.

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung von Seite 7

Page 9: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 9

eine Schwerpunktverlagerung zuSubjektsförderungen, wenngleich inunterschiedlicher Ausprägung undArt. Zweitens und drittens eine for-cierte Privatisierung marktfernerBestände (also von unter Zuhilfe-nahme öffentlicher Mittel errichte-ten Wohnraums mit dem Effekteines Wohnkostenniveaus unterMarktwert) an renditeorientierteInvestoren sowie eine Deregulie-rung von Mietpreisregelungen undschließlich Viertens eine tendenzi-elle Dezentralisierung der Woh-nungspolitik in diesen Ländern.Damit verbunden war die Zielset-zung eines Bedeutungszuwachsesvon Regionen und Städten als woh-nungspolitische Akteuren mit einerdezidierten Vorrangigkeit von wirt-schafts- und standortpolitischenZielen.Diese mittlerweile in der wohnungs-politischen Landschaft Europas weitverbreiteten wohnungspolitischenKonzepte decken sich in keinerWeise mit den Entwicklungen inÖsterreich. Hinsichtlich der woh-nungs- und förderungspolitischenAusrichtung ist seit Jahrzehntenkein erheblicher Systembruch fest-zustellen; vielmehr zeichnet sich dasösterreichische System durch eineaußerordentlich hohe Kontinuität inder systemischen Gestaltung undvor allem Erhaltung von öffentli-chen und privaten Finanzierungs-strukturen aus. Daran knüpfen sichmehrere Effekte, deren positiveEigenschaften mittlerweile weitge-hend unbestritten sind. Zu nennensind, speziell in der aktuellen Kri-

In der wohnungs- und wirt-schaftspolitischen Zielsetzungübereinstimmende Wiederauf-

bauprogramme und im Wesentli-chen anschließende Aktivitäten zurBestandsverbesserung wurden inerster Linie unter Zuhilfenahmedirekter öffentlicher Mittel im Rah-men von Objektsförderungen rea-lisiert. Infolge des dringendenBedarfs an neuem Wohnraum nachdem ZweitenWeltkrieg und mangelsgeeigneter privater Finanzierungs-systeme und -strukturen bzw. in-folge von Knappheit an privatemKapital wurden daher entsprechenddotierte Fördersysteme geschaffenund in Zusammenhang mit derSchaffung bzw. unter Einbindungdes Konzepts der Wohnungsge-meinnützigkeit (durchaus unter-schiedlicher Ausprägung) die damitverbundenen Zielsetzungen erreicht.Die etwa seit Beginn der 1980erJahre eingesetzten Unterschiede inden internationalen Entwicklungenerfolgten aus diversen Beweggrün-den und nicht zuletzt auch mangelseiner relevanten zentralen woh-nungspolitischen Kompetenz derEuropäischen Union.

Diese Veränderungen sind in ersterLinie auf vier Gemeinsamkeiten ineiner neuen Konzipierung und Aus-richtung der internationalen Woh-nungspolitik zurückzuführen. Zumeinen erfolgte in mehreren Ländern

sensituation, ein weiterhin hohesVertrauen in den Bestand von zu-verlässigen Finanzierungspartnernsowie rechtlichen Rahmenbedin-gungen, die Entwicklung eines effi-zienten PPP-Konzeptes zwischenöffentlicher Hand, privaten Kofi-nanzierern und der österreichischenWohnungsgemeinnützigkeit, einerelativ stabile baukonjunkturelleEntwicklung, hohe Wohnqualitätund -zufriedenheit, ein starker Trendzu einer weiteren Ökologisierungdes österreichischen Wohnbaus undder Gebäudesanierung sowie vorallem sozialpolitische Effekte einernachhaltigen Wohnkostensenkung.Hervorzuheben ist nicht zuletzt derhohe Informations- und Erfahrungs-stand zu Wirkungsweisen infolgejahrzehntelanger wissenschaftlicherBegleitung wohnungs- und förde-rungspolitischer Entscheidungenbzw. Aktivitäten.

Die grundsätzliche Definition undUnterscheidung von sog. integrier-ten und geteilten Mietenmärkten istin der internationalen Wohnbaufor-schung weithin anerkannt. Im Vor-dergrund steht regelmäßig dieBewertung der Konkurrenz zwi-schen gewinnbeschränkten undkommerziellen Wohnungsanbieternam Wohnungsmarkt. Der renom-mierte Wohnbauforscher JimKemeny definierte drei Bedingun-gen für das Vorhandensein einesintegrierten bzw. geteilten Woh-

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

*) Mag. Andreas Oberhuber ist Geschäfts-führer der FGW – Forschungsgesellschaftfür Wohnen, Bauen und Planen, Wien.

Lenkungseffekte der österreichischenWohnbauförderungDie Entwicklung von wohnungs- und förderpolitischen Schwerpunkten, Strukturen undSystemen verlief in Österreich bis vor wenigen Jahrzehnten, speziell in der Periodenach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre, zu jener in zahlreichen andereneuropäischen Ländern weitgehend parallel

Andreas Oberhuber*)

Fortsetzung auf Seite 10

Page 10: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

10 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

nungsmarktes, nämlich erstens einausreichend großes Volumen desgewinnbeschränkten Wohnungsan-gebots; zweitens, dass gewinnbe-schränkte Anbieter einen ähnlichenKundenkreis wie kommerzielleAnbieter ansprechen können unddrittens die gewinnbeschränktenAnbieter einen ausreichend hohenGrad an wirtschaftlicher Soliditätund finanziellen Rücklagen aufge-baut haben, um ihren Bestand zusichern sowie eine kontinuierlicheNeubautätigkeit zu entfalten undidentifizierte dementsprechendmehrere Länder, auf welche dieseEigenschaften am Wohnungsmarktzutreffen. Unbestritten ist, dassÖsterreich über einen integriertenWohnungsmarkt verfügt (nachKemeny darüber hinaus z. B.Deutschland, Schweden, die Nieder-lande sowie Dänemark). Zu beach-ten ist allerdings, dass innerhalb die-ser Märkte große Unterschiedeerkennbar sind.

Vor allem im Zusammenhang mitdem Bestand an Instrumenten derWohnbauförderung unterscheidensich auch Systeme innerhalb vonintegrierten Wohnungsmärkten nachdem Anteil der Ausgaben fürObjekts- und Subjektsförderungensowie der jeweiligen Marktnäheoder -ferne erlangter Wohnkosten-niveaus.

Zusammenfassend und vereinfa-chend lassen sich die Internationalewohnungspolitische Entwicklungund der wissenschaftliche Diskussi-onsstand mittlerweile reduzierenauf: einerseits etablierte Systememit einem hohen Anteil an Objekts-förderungen inklusive einem hohenAusmaß an Wohnqualität, einemrealisierten Konzept der Mittel-standsförderung und Effekten einernachhaltigen Wohnkostensenkung(dies im Sinne eines integriertenMietenmarktes) und andererseitsSysteme mit einem hohen Anteil an(oder ausschließlich) Subjektsförde-rungen inklusive einer partiell nied-rigen Wohnqualität, einer feststell-baren Residualisierung des Sozial-wohnungsbestands und einemMarktpreisniveau sämtlicher Seg-

mente (iS eines geteilten Mieten-marktes). Hervorzuheben ist diehäufig anzutreffende Vielfalt anMischformen und unterschiedlichenPrioritäten; generell sind Vor- undNachteile verschiedener Systemesorgfältig abzuwägen und eine prin-zipielle Bevorzugung bestimmterRahmenbedingungen strikt abzuleh-nen. Bemerkenswert ist andererseitsdie hohe Abhängigkeit geteilterMietenmärkte von der kontinuierli-chen Erreichung nachhaltigerWohnbauraten. Eine Bedingung,welche speziell in Perioden (tem-porär) gesättigter Wohnungsmärktesowie in Krisenzeiten besondererwohnungs- und förderungspoliti-scher Aktivitäten bedarf. EineBedingung, welche, wie sich geradeaktuell zeigt, in Ländern mit geteil-ten Wohnungsmärkten keinesfallsausreichend erfüllt wird.

Traditionell wird der öffentlicheAufwand für die Wohnbauförderungmit den damit erzielbaren Sonderef-fekten bzw. auch positiven externenEffekten (Externalitäten) gerechtfer-tigt. Vor allem die so genanntengebundenen Transfers bieten demStaat weitgehende Möglichkeiten,bestimmte rechtspolitische Anliegenumzusetzen.

Die Transferleistungen dienen ent-weder dazu, die Bezieher anzuhal-ten, ein bestimmtes Gut in höheremMaße zu konsumieren, als dies ohnedem der Fall wäre (z. B. aufgrundmangelnder Information oder Zu-gangsbeschränkungen), sie bildenAnreizeffekte zur Überwindung desMarktversagens oder sie dienen derKompensation bei regulativen Auf-lagen (z. B. zwingenden Auflagenhinsichtlich umweltpolitischer Ziel-setzungen). Dabei sind quantitativeEffekte (mehr Wohneinheiten) vonqualitativen Effekten (bessereWohneinheiten) zu trennen, da sieunterschiedliche Marktwirkungenaufweisen. Die Wohnbauförderunghatte zur Zeit ihrer Einführung vorallem die Aufgabe, nicht vorhande-nes Privatkapital zu substituieren. Indieser Funktion diente sie als Kon-junkturlokomotive in den Jahren desWirtschaftswunders - nicht umsonst

wurde Julius Raab, Bundeskanzlerzwischen 1953 und 1961, als „Bau-meister Österreichs“ bezeichnet –und als sozialpolitisches Instrumentzur Sicherung der Wohnversorgungder mittleren und unteren Einkom-mensschichten. Die volkswirtschaft-lichen und politischen Rahmenbe-dingungen haben sich im abgelaufe-nen halben Jahrhundert weitgehendgeändert.

Dies betraf auch einige der ur-sprünglichen Kernaufgaben derWohnbauförderung. LeistungsfähigeKapitalmärkte sind heute in derLage, langfristige und zinsgünstigeFinanzierungen in ausreichendemUmfang zur Verfügung zu stellen.

Wenngleich wesentliche Aufgabender Wohnbauförderung aus ihrenAnfangsjahren teilweise an Bedeu-tung verloren haben, sind mittler-weile andere an deren Stelle getre-ten, die mit dem Instrument derWohnbauförderung erfüllt werdenkönnen. Die Wohnbauförderungstellt sich daher auch heute als einesder zentralen Politikinstrumente aufLandesebene dar.

Für die Wohnbauförderung sindunterschiedliche externe Effekte inwirtschafts-, sozial- und gesell-schaftspolitischer ebenso wie intechnologie- oder raumordnungspo-litischer Hinsicht nachweisbar.

Zusammengefasst lassen sich fol-gende sozialpolitische Wirkungender Wohnbauförderung benennen:• Zurverfügungstellung von Wohn-raum für Haushalte mit nachge-wiesenem Bedarf;

• Dämpfung der Wohnkostenbe-lastung;

• Erhöhte Transferleistungen füreinkommensschwache Haushalte,kinderreiche Familien, Alleiner-zieherinnen, Jungfamilien etc.;

• Verbesserung der Ausstattungs-qualität insbesondere auch beieinkommensschwachen Bevölke-rungsgruppen;

• Anreiz zur Schaffung qualitativhochstehender Neubauten auch füreinkommensschwächere Haus-halte;

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung von Seite 9

Page 11: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 11

• Beitrag zum sozialen Friedendurch Maßnahmen zur Integrationaller Bevölkerungsschichten undzur Verbesserung der sozialenQualität der Wohnumgebung.

Als Lenkungseffekte im Bereichder Stadt- und Regionalentwick-lung werden gesehen:• Umsetzung planerischer Zielset-zungen im ländlichen Raum;

• Realisierung von Stadtentwick-lungsprojekten;

• Instrument gegen Segregation undGhettobildung.

Als umweltpolitische Lenkungs-effekte werden gesehen:• Umsetzung von Maßnahmen zurErreichung der Kyoto-Ziele;

• Bodenverbrauch: abgestufte För-derungen je nach Bebauungs-dichte;

• Anreize für Bauökologie.

Als ein Regulativ zur Bestandspoli-tik haben die gedämpften Baukostenzusammen mit dem aktuell niedri-gen Stand der Kapitalmarktzinsensowie anhaltender Neubautätigkeitdazu geführt, dass bei tendenziellsinkendem Förderungseinsatz dieNutzerkosten im geförderten Neu-bau seit Jahren auf niedrigemNiveau gehalten werden konnten.

Eine der wesentlichen Eigenschaf-ten der österreichischen Wohn-bauförderung besteht in derenPotenzial, meritorische Wirkungenzu erzielen, indem Förderungsneh-mer angeregt werden, bestimmteGüter in höherem Maße zu konsu-mieren, als dies ohne die Wohn-bauförderung der Fall wäre, zuihrem eigenen und zum Vorteil derGemeinschaft. Dies traf in der Ver-gangenheit insbesondere auf diedurchgehend gute Ausstattung vonneu errichteten oder sanierten Woh-nungen oder bestimmte Zielgrößenfür Wohnungen und Eigenheime zu.In den letzten Jahren war davon vorallem die starke Orientierung anökologischen Aspekten betroffen.

Die Politik der Sozialmietensteht im Spannungsfeldzwischen liberalen und

kommunitären Ansätzen. Wirt-schaftsliberale, und insbeondersneoliberale Ansätze befürworteneine wettbewerbsneutrale Woh-nungspolitik, und vermeinen, denZugang zu leistbarem Wohnen aus-schließlich über den Weg einkom-mensabhängiger Subjektförderun-gen sichern zu können, oder sie wol-len, sozialpolitisch bedenklicher,Kommunalbauten lediglich für dieuntersten Einkommen zulassen.Dieser Weg wurde in Österreichzum Glück nie beschritten. Statt des-sen sind Wohnungspolitiken öster-reichischer Spielart bestrebt, densozialen Zusammenhalt durch Ob-jektförderungen für weiter gefasstesoziale Schichten zu sichern. Dochin der Praxis geht es auf lokalerEbene oft mehr um den kommu-nitären Zusammenhalt einer Mittel-schicht als um die Einbindung mar-ginaler Gruppen.

Wie internationale Vergleiche zei-gen, neigen in der Praxis sowohlliberale als auch kommunitäre Poli-tiken zur Ausgrenzung benachteilig-

ter Schichten. Dieses Resultat istjedoch nicht unvermeidlich. ImPrinzip steht mit den österreichi-schen Sozialmieten eine Institutionbereit, die eine Brückenfunktionzwischen sozialer Einbindung undkommunitärer Stabilität herstellenkann. Dies setzt nebst anderem vor-aus, dass die EU-Wettbewerbspoli-tik den Begriff der Förderungswür-digkeit angemessen auslegt.

Der Beitrag bietet zunächst einenkurzen Abriss der gegenständlichenpolitisch-philosophischen Ansätze.Es folgt ein Modell der sozialenAusgrenzung, aus dem sich dieerforderliche Brückenfunktion desSozialmietsektors unmittelbar able-sen lässt. Daraus ergeben sich zumAbschluss einige offene Fragen andie EU-Politik.

Liberale versus kommunitärePolitikenWährend der Ära des „Fordismus“,die zwischen den 50-er Jahren bisetwa 1980 anzusetzen ist, war West-europa vom politischen Paradigmades Korporatismus geprägt. ZweiZiele des Korporatismus betrafendie Sphäre des Wohnens in besonde-rem Maße 1):

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Offene Fragen an die EU aus derSicht politisch-philosophischerGrundlagenDer vorliegende Beitrag bietet einen kurzen Einblick inpolitisch-philosophische Aspekte des sozialen Wohn-wesens und seiner Folgerungen für die praktischePolitik. Den Themenschwerpunkt bilden die Sozial-mieten, deren Ausmaß und Förderung derzeit imRahmen der EU-Wettbewerbspolitik diskutiert wird.

Edwin Deutsch*)

*) ao. Univ.Prof. Dr. Edwin Deutsch ist amInstitut für Wirtschaftsmathematik, For-schungsgruppe EOS, der TechnischenUniversität Wien tätig. Fortsetzung auf Seite 12

Page 12: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

12 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

• Ökonomisches Wachstum unterStabilität,

• Wohlfahrtspolitik für die „Mittel-schicht“.

Unbeschadet ihrer Wachstumser-folge ging diese Politik zulastenmarginalisierter sozialer Schichten,indem sich mit zunehmendemWohl-stand immer deutlicher eine Kluftzwischen etablierten und prekärenLebensverhältnissen auftat.

Von den 80-er Jahren an erfolgteein politischer Paradigmenwechselin Richtung Neoliberalismus, viaDeregulierung, Privatisierung unddem Rückbau staatlicher Interven-tionen. Eher als Transmissionsrie-men denn als Verursacher trug derVormarsch des Individualeigentumszum Wandel bei, in Österreich vorallem über den Weg einer zurückge-drängten Parteipolitik, welche dieVerteilung der Wohnressourcenlange zu beherrschen schien. DieAusgrenzung marginaler Schichtenwurde damit jedoch nicht behoben,im Gegenteil. Europaweit setzteeine fortschreitende Polarisierungder Einkommen und Vermögen ein,mit der gestiegenen Mobilität ab1990 auch eine Polarisierung derHerkunft, Stichwort Immigration.Der Paradigmenwechsel soll anzwei Gegensatzpaaren verdeutlichtwerden, die in der politisch-philoso-phischen Literatur umfassend disku-tiert wurden:1. Politische Philosophie: (classi-cal-)liberal versus kommunitär(communitarian)

2. Politische Praxis: (neo-)liberalversus kommunitaristisch (com-munitarianism) 2)

Auf der sozusagen „höheren“ Ebeneder politischen Philosophie, die sichvon der politischen Praxis vielfachund deutlich unterscheidet, begeg-nen wir der Auseinandersetzungzwischen liberalen und kommu-nitären Ideen.3)

Der klassische Liberalismusansatz,wie er von John Rawls ausformuliertwurde, basiert auf den Prinzipien derChancengleichheit und der Solida-rität gegenüber den Benachteiligten.

Der demokratische Staat fungiertdarin als Anwalt der erforderlichenmateriellen Umverteilung.4)

Dem hält die „communitarian philo-sophy“ entgegen, dass eine Politikder Umverteilung zu kurz greift.Eine gewichtigere Rolle kommt demPrinzip der Anerkennung zwischenIndividuum und der umgebendenGesellschaft zu.5) Wesentlich ist dieErlangung einer Identität innerhalbder (lokalen) Tradition einer Ge-meinschaft. Zum Mitglied derGesellschaft zu werden verlangtnach Anerkennung der Werte einerGemeinschaft, und umgekehrt kon-stituiert sich die Gemeinschaft indiesem Prozess selbst. Es genügtdaher nicht, Individuen für einenMangel an Ressourcen zu entschädi-gen. Ein ausschließlich auf materi-elle Abgeltungen abgestimmtesSystem, wie es unter anderem eineauf Wohnbeihilfen gestutzte Woh-nungspolitik darstellt, kann von sichaus keinen sozialen Zusammenhaltbewirken – im übrigen ein Prinzip,das von der österreichischen Woh-nungspolitik immer schon umge-setzt wurde.

Ausgesprochen lesenswert ist in die-sem Zusammenhang die Debattezwischen Nancy Fraser (Umver-teilung und Anerkennung sindgetrennte Aufgaben im liberalenStaat) undAxel Honneth (Umvertei-lung ist ein natürliches Nebenpro-dukt der vorrangigen Anerken-nung).6) Wir kommen im Rahmender Sozialwohnungspolitik nochdarauf zurück, inwiefern die beidenStandpunkte unvereinbar sind, oderin welchem Ausmaß eine institutio-nelle Struktur wie die Gemeinnüt-zigkeit zur Anerkennung via Um-verteilung beitragen kann.

Es verdient erwähnt zu werden, dassder Gegenpol zur communitarianphilosophy oft in der libertären Poli-tik-Philosophie des Minimalstaateserblickt wird.7) Der libertäre Ansatzbasiert auf „Naturrechten“ des Indi-viduums, insbesondere auf einerunbehinderten Verfügung über dasIndividualeigentum. Im Gegensatzzum klassisch-liberalen Ansatz

kommt dem Staat keine Rolle in derTransaktion von Solidarität zu, ein-zig karitative Transfers sind zugelas-sen. Daher gibt es auch keinenRaum für eine soziale Wohnversor-gung8), was die kommunitäre Poli-tik-Philosophie so nicht behauptet.Auch der „Communitarianism“, hier„Kommunitarismus“ oder kurz KMgenannt, hebt sich in wichtigenPunkten von der kommunitären Phi-losophie ab. In grober Vereinfa-chung kann der KM als Populärver-sion des kommunitären Politikansat-zes betrachtet werden. Ein hervor-stechendes Merkmal, besonders inder populistischen und ressenti-mentgeladenen „Vulgärversion“, istdie Ablehnung der gesamtstaatli-chen Sozial- und Wirtschaftspolitik.Der KM sieht seine politische Rolledarin, die sozialen Beziehungen,Präferenzen und Interessen einerGemeinschaft gegenüber einer oftnur willkürlich postulierten „Außen-welt“ zu verteidigen. Das hindertden KM nicht daran, gesamtstaatli-che Ressourcen im Interesse vonLobbies auszubeuten. In der Woh-nungspolitik führt der KM zur Aus-grenzung sozialer Schichten, wassich am Extrembeispiel der gatedcommunities bildhaft ablesen lässt.Auch die Debatte, ob Individual-eigentümer bessere Bürger sind,zählt dazu. 9)

Ohne extreme Auffassungen in denVordergrund zu rücken, besteht dasPrinzip des KM generell in derMaximierung der gemeinschaftli-chen Wohlfahrt. Das wiederumerfordert die Anerkennung einesbestimmten Lebensstils.10) Auf dieEbene der Politik-Philosophie ge-rückt, wird das gleiche Prinzip auchin verschiedenen kommunitärenAnsätzen sichtbar. Wir greifensofort darauf zurück.

Ausgrenzung oder Brücken-funktion: ein einfaches ModellDer Gegensatz zwischen liberal-Rawlsian und kommunitären Politi-ken kann in Gestalt eines einfachenModells illustriert werden. DiesemZweck dienen zwei stilisierte Wohn-projekte, die Nachbarschaft 1 und 2genannt werden. Sie stehen für zwei

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung von Seite 11

Page 13: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 13

Situationen, die sich auf die Mikro-ebene der Individuen und die Meso-ebene der Gemeinschaft beziehen:• Chancengleichheit auf Mikro-ebene: benachteiligte Haushaltewerden vom Staat der Nachbar-schaft 1 zugewiesen, sofern dieöffentlichen Transfers dazu aus-reichen,

• Wohlfahrtseffizienz auf Meso-ebene: Haushalte bilden eineNachbarschaft 2 im Interesse derMaximierung einer gemeinsamenund nachhaltigen Wohlfahrt.

Das Problem der sozialen Wohnver-sorgung besteht darin, dass beideNachbarschaften aus unterschiedli-chen Gründen soziale Ausgrenzungbewirken können. Die Zuweisungvon benachteiligten Haushalten indie Nachbarschaft 1 hängt vom ver-fügbaren öffentlichen Budget ab.Bei beschränkten Mitteln werdendie niedrigen Einkommen ausge-grenzt. Ähnliches widerfährt denvon der Nachbarschaft 2 ausge-grenzten Haushalten, mit demUnterschied, dass ihr Einkommenwomöglich genügt, jedoch ihreEigenmittel bzw. ihre Kreditwürdig-keit nicht ausreichen, die Einstiegs-barrieren zu bedienen.

Im österreichischen System tritt derAspekt hinzu, dass zumindest beimBetreten einer Neubauwohnung einreguläres und regelmäßiges Ein-kommen nachzuweisen ist. Aufdiese Weise wurde zwar eine effizi-ente Riskenteilung zwischen Eigen-leistung und öffentlicher Förderungherbeigeführt, im Endeffekt tendiertdieses System jedoch dazu,Schlüsselarbeitskräften und anderen

Angehörigen der Mittelschicht denVorzug zu geben.11)

Interessanterweise hat die „sozialeTreffsicherheit“ im österreichischenSozialmietwesen während der letz-ten Dekade zugelegt, d. h. der Anteilder unteren Einkommen im Belaghat zugenommen.12) Das hat zumeinen Teil damit zu tun, dass einbeträchtlicher Anteil der geförderterrichteten Sozialmieten für Zuwei-sungen von bedürftigen Haushaltenreserviert ist, zum anderen Teil ist esschlicht ein Resultat der fortschrei-tenden Polarisierung in niedrige undhöhere Einkommen. Die klassischeMittelschicht hat dabei an Domi-nanz eingebüßt und ist heute denRisken des Arbeitsmarkts stärkerausgesetzt als je zuvor. Um dem ent-gegenzuwirken und die sozialeKohärenz zwischen unterschied-lichen Einkommensgruppen zu stär-ken, wurden die Einkommensober-grenzen beim Zutritt zu Sozialmie-ten schrittweise angehoben, undzwar bei den Gemeindewohnungenebenso wie bei den gemeinnützigen(inklusive der genossenschaftlichen)Mietwohnungen.

Während nun die Gemeindewoh-nungen unter einem sozialen Auf-trag vergeben werden, ist dies beider Gemeinnützigkeit im Prinzipnicht so. Der Auftrag der Ge-meinnützigkeit ist die stabile Wohn-versorgung zu kostendeckendenMieten.13) Ob die Miethöhen fürniedrige Einkommen auch tatsäch-lich leistbar sind, hängt vom Aus-maß der begleitenden Förderungensamt den damit verknüpften Aufla-gen ab.

Die österreichische Gemeinnützig-keit übernimmt eine wesentlicheRolle in der Bildung von Nachbar-schaften in der Stadtentwicklungund im kleinstädtischen Raum.Diese Rolle war immer schon vomRisiko der Ausgrenzung marginalerSchichten begleitet, andererseitseröffnen die typisch kommunitärenStrukturen des gemeinnützigen undgenossenschaftlichen Wohnwesensdie Chance, nachhaltige und stabileNachbarschaften aufzubauen. Eine

wesentliche Aufgabe, die in Hin-kunft noch an Bedeutung gewinnenwird, ist deshalb der Brückenschlagzwischen• Chancengleichheit: Zuweisungbedürftiger Haushalte in Sozial-wohnungen, und

• Gemeinschaft: Schaffung vonNachbarschaften mit nachhaltigerDurchmischung.

Eine wesentliche Voraussetzung zurFörderung des Zusammenhalts istdie Erzielung einer geeigneten Pro-portion zwischen den Bedürftigenund jener Mittelschicht, die zur Sta-bilität einer Nachbarschaft beiträgt.Eine möglichst weite Streuung derbenachteiligten Schichten, die eineKonzentration in problematischenWohnblocks vermeidet, kann dabeinur von Vorteil sein.

Soziale Wohnversorgung und EUDas soziale Wohnungswesen in dereuropäischen Union ist von tiefgrei-fenden länderspezifischen Unter-schieden geprägt.14) Die Palettereicht von universalen Systemen wiein Schweden, den Niederlanden undin Österreich bis hin zu residuali-sierten Sozialmietsektoren wie inSüdeuropa und in den Mitgliedslän-dern im Osten. Es ist daher fraglich,ob innerhalb der EU eine Harmoni-sierung des Sozialmietwesenserreicht werden kann, mehr noch, obein derartiges Vorhaben überhauptwünschenswert wäre.

Während die EU-Politik die Bedeu-tung der sozialen Kohäsion imsozialen Wohnungswesen durchausanerkennt und darin auch länderspe-zifische Unterschiede erblickt,drängt die Wettbewerbskommissionauf eine Vereinheitlichung derRegeln. Um mehr Raum für Wettbe-werb zu schaffen, wären ungerecht-fertigte Wettbewerbsvorteile desSozialmietsektors abzustellen. Daswürde im Endeffekt dazu führen, dieBandbreite der sozialen Wohnver-sorgung auf bedürftige Haushalte zubeschränken. Dies wiederum könntegravierende Konsequenzen zurFolge haben:

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung auf Seite 14

Page 14: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

14 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

1. die Konzentration auf eine reinnachfrageseitige Sozialwoh-nungspolitik kann auf Kosten derVielfalt des Angebots gehen;

2. eine rein statische Marktbetrach-tung unterschätzt die länger-fristige Dynamik der Gefährdungder sozialen Kohäsion durch dieResidualisierung des Sozialmiet-sektors;

3. der Rückzug des Staates aus demSozialmietbereich schafft Raumfür kommunitaristische Investo-ren, die Mieten und Eigentum fürhöhere Einkommen herstellen,ohne dass gesichert wäre, dassder Wettbewerb für ausreichendeInvestitionen zugunsten der nied-rigen Einkommen sorgt;

4. letztlich kann die Residualisie-rung jenen populistischen Bewe-gungen Auftrieb verleihen, diesich die Ängste vor sozialemAbstieg zunutze machen.

Die Alternative kann nur darinbestehen, disintegrierenden kommu-nitaristischen Politiken entgegenzu-wirken. Um der sozialen Ausgren-zung mehr noch als bisher zu begeg-nen, ist eine effiziente Ausstattungund Kontrolle der institutionellenSozialwohnungsanbieter erforder-lich. Die Weiterentwicklung dessozialen Wohnungswesens kannaber immer nur im Rahmen der imjeweiligen Land vorgegebenen So-zialstrukturen und produziertensozialen Räume erfolgen.15) JedeReform hat darauf Bedacht zu neh-men, dass das Soziale Wohnen einkulturelles Produkt verkörpert.

Fußnoten und Verweise

1 Hartmut Häußerman und Walter Siebel,Soziologie des Wohnens. 2. Aufl.Juventa, München, 2000

2 Die Begriffe sind von der führendenangelsächsischen Literatur geprägt.Mangels eindeutiger Entsprechungenbezeichnen wir „communitarian philo-sophy“ als kommunitär, während wirdie Praxis des „Communitarianism“ mitKommunitarismus übersetzen wollen.

3 Ein hervorragender Überblick über dieIdeengeschichte zwischen liberalenund kommunitären Ansätzen findet sichin Will Kymlicka, Contemporary Politi-cal Philosophy. Clarendon Press, 1990.

4 John Rawls (1971). Im Sinn eines kan-tianischer Imperativs fordert dasRawls-Prinzip, dass sich das Augen-merk des Wohlfahrtsstaats auf die ammeisten Benachteiligten zu richten hat.

5 Im Rahmen der Theorie der Anerken-nung bzw. „recognition“, Charles Tay-lor, Sources of the Self: The making ofModern Identity. Cambridge UniversityPress, Cambridge MA, 1989, sowieAxel Honneth, Fußnote 6. Wir könnenhier nicht auf die vielfältigen dogmen-historischen Wurzeln und Nuancen dercommunitarian philosophy eingehen.

6 Nancy Fraser und Axel Honneth,Umverteilung oder Anerkennung? Einepolitisch-philosophische Kontroverse.Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2003.

7 Richard Nozick, Anarchy, State andUtopia. Blackwell, Oxford, 1974. DieIdee eines im Naturrecht begründetenAnspruchs auf Individualeigentumwurde von Friedrich von Hayek vertre-ten. Milton Friedman ist einem pragma-tisch-libertären Ideenkreis zuzurech-nen.

8 Peter King, Housing, Individuals andthe State. The Morality of GovernmentIntervention. RICS Issues in Real Estateand Housing Series, Routledge, Lon-don, 1998.

9 In einem erstrangigen Journal untersu-chen DiPasquale und Glaeser für dieUSA die Frage, ob sich der Zusam-menschluss von Eigenheimbesitzern inabgegrenzten Siedlungen in erhöhtenLiegenschaftspreisen niederschlägt,welche die Lebensqualität kapitalisie-ren und unerwünschte niedrigere Ein-kommen fernhalten. Die gemeinsamenAktivitäten in der Siedlung, wie Kinder-betreuung und Parties (!) erzeugendann ein Klima der Bürgerschaft,während städtischen Mietern unterstelltwird, als Solitäre vergleichsweisegeringe Beiträge zur Zivilgesellschaftzu leisten. Denise DiPasquale undEdward Glaeser, „Incentives and SocialCapital: Are Homeowners Better Citi-zens?“ Journal of Urban Economics,vol. 45, 1999, 354–384.

10 Die gemeinschaftliche Wohlfahrt ver-körpert das utilitaristische Prinzip desgrößten erreichbaren Nutzens innerhalbder Community, gewissermaßen als„Summe“ der individuellen Nutzen.Dabei können zwischen den Individuendurchaus größere Wohlfahrtsunter-schiede bestehen. Zur Grundlegungdes Kommunitarismus siehe vor allemRobert Putnam, Bowling Alone: TheCollapse and Revival of AmericanCommunity. Simon & Schuster,New York, 2000.

11 Im angelsächsischen Bereich existie-ren Sozialwohnungsprogramme für„Schlüsselarbeitskräfte“ (key workers),das sind die für öffentliche Einrichtun-gen unentbehrlichen Arbeitskräfte.Österreich kennt dafür zwar kein expli-zites Programm, die Regeln der Wohn-bauförderung wurden jedoch durchausfür vergleichbare Schichten entwickelt.

12 Edwin Deutsch, „The Social RentedSector at the Crossroads for HousingChoice“. European Journal of HousingPolicy, 2009, 285–311.

13 Eine hervorragende Diskussion desGewährleistungsprinzips der Gemein-nützigkeit findet sich in Karl Korinekund Michael Holoubek, „Wohnungsge-meinnützigkeit als Modell staatlicherDaseinsvorsorge“. In W. Amann (Hrsg),Die österreichische Gemeinnützigkeit:ein europäisches Erfolgsmodell. Manz,Wien, 2008, 53–60.

14 Siehe den Sammelband von KathleenScanlon und Christine Whitehead,Social Housing in Europe II. A Reviewof Policies and Outcomes. LondonSchool of Economics, London, 2008.

15 Ausführlich erörtert in den Standard-werken von Lefebvre und Bourdieu.Henri Lefebvre, La production de l'e-space. Anthropos, Paris, 4e ed., 2000,Pierre Bourdieu, Bourdieu, P. The fieldof cultural production. Edited and intro-duced by R. Johnson. Columbia Uni-versity Press, 1993.

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung von Seite 13

Page 15: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 15

1. EinleitungDie Finanzwirtschaft erlebt derzeiteine Neupositionierung. Die Verwer-fungen auf den Aktienmärkten,die Unsicherheiten der staatlichenSchuldner lassen wieder deutlich wer-den, dass Zukunft in der Finanzwirt-schaft etwas äußerst unsicheres ist.

Umso mehr werden in der Finanz-wirtschaft nicht mehr allein künftigeKonzentration und Ertragsstärkungsondern immer mehr die Notwendig-keit von Stabilität und Sicherheitfokussiert. Die ausreichende Liqui-dität wird wesentlich mehr in denBlickpunkt gerückt. Neue Regelnder internationalen Bankenaufsicht(abgekürzt: CEBS), Basel III und diein Umsetzung befindlichen BrüsselerBankregeln CRD 1 – 4 spiegeln eineswieder: die Zeiten der imaginärenMöglichkeiten in der Finanzwirt-schaft sind vorbei. Wenn ein Kundeein 25jähriges Darlehen zur Wohn-bauerrichtung benötigt, sollte dieBank weitgehend dafür vorsorgen,einen Anleger mit ebensolcher Lauf-zeit zu finden. Wenn dieser Kundefür seine Veranlagung nach denRegeln des hl. Thomas von Aquinam Ende genau das wieder habenmöchte, was er am Beginn seinerVeranlagung hingegeben hat, so

muss die Bank in der Darlehenskon-dition einen Ausgleich für den Wert-verlust des Geldes, für das Risiko desAusfalles und für den Gewinnent-gang des Anlegers (da er ja mit sei-nem Geld auch selber wirtschaftenhätte können) schaffen. Sicherheitder Ausleihung und Wertbeständig-keit, d. h. Abgeltung der Inflation,sind damit essentielle Kriterien. Sinddiese Elemente gegeben, bedeutetdies für den langfristigen Anlegeraber auch eine gewaltige Chance,diesen künftigen Anlagehorizont ein-zugehen und ist er vermutlich auchbereit, im Hinblick auf die fehlendenAlternativen seinen Gewinnauf-schlag zu reduzieren. Da der Anlegerbeim Wertausgleich und Risikoaus-gleich am Ende seiner Veranlagungs-periode gerade einmal soviel anGeldwert hat wie am Beginn, istdiese Gewinnkomponente ein wichti-ges Asset für seine Veranlagungsent-scheidung, aber eben nur eine und imHinblick auf seine Alternative selbstHand anzulegen und mit seinemGeld Unternehmer zu sein, eine garnicht so bequeme.

Die Finanzkrise und ihre Folge, dieWirtschaftskrise, haben bei diesen3 Kriterien, die Thomas von Aquinfür das Zinsnehmen aufgestellt hatund damit den nützlichen Kapitalis-mus vom wucherischen „finanz-wirtschaftlichen“ Imperialismus ab-grenzt, eine deutliche Neupositionie-rung verursacht. Risikopotentiale

sind plötzlich deutlich geworden –auch Staatsanleihen erleiden schwereKurseinbrüche – Inflation und Wirt-schaftswachstum sind gegen Nulltendiert und die Zinslandschaft damitniedrig geworden wie noch nie. Dielangfristige Veranlagung von Gelderleidet damit einen gewaltigen Ver-trauensbruch, der wiederum fürdie Finanzwirtschaft die langfristigeAusleihung von Geld fast vollständigverunmöglicht, will diese nicht neu-erlich in eine große Liquiditätskriseabgleiten. Staaten haben mit riesigenund unvorstellbaren Unterstützungs-paketen durch Garantien, Eigenkapi-talzuschüssen, Anleiheprogrammenversucht, sich dagegen zu stemmenund kommen, wie die Beispiele inIsland und Irland zeigen, selbst inschwerste Bedrängnis. Wir habennunmehr 2 grundsätzliche Hand-lungsalternativen: Wir ignorieren dasGeschehene und sagen uns, es wirdsich ja wieder alles normalisierenund wir werden es schaffen oder wirversuchen, schrittweise Neuansätze,um das künftige Anlagesystem stabi-ler zu machen.

Einen Weg möchte ich im Folgen-den aufzeigen, der mir eine solideBasis für einen Kern unsererzukünftigen Veranlagungen – derprivaten Pensionssicherung – bietenkann: Die Investition in den öster-reichischen Wohnbau.

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Die österreichische WohnbaufinanzierungEin Erfolgsmodell für die PensionssicherungEine Standortbestimmung zum best practice Modell des österreichischen WohnbausJosef Schmidinger

*) Dr. Josef Schmidinger ist General-direktor der Bausparkasse der öster-reichischen Sparkassen AG. Fortsetzung auf Seite 16

Page 16: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

16 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

Der Input in die österreichischeWohnbaufinanzierung erfolgt auf4 Säulen:• Die Finanzierung durch die öf-fentliche Hand,

• durch Spezialbanken wie Bau-sparkassen und Wohnbaubankenund

• durch die Finanzwirtschaft (Ban-ken, Versicherungen).

• Ein vierter wesentlicher Beitragerfolgt durch die Bewohner (Be-triebskosten, Eigenmittel) oderImmobilienabsparen in Form vonDarlehensrückzahlungen sowiedie GBV’s in Form ihres Eigen-kapitaleinsatzes.

Der Output ist eine internationalgesehen sehr niedrige Investitions-miete und eine hohe Preisstabilität.

Die quantitative AnalyseDie Wohnbaufinanzierung weist fürdie letzten 7 Jahre in Österreich einstabiles Wachstum auf. Lediglichdas Teilsegment mit den Fremd-währungskrediten – ein österreichi-sches Spezifikum – hat seit derFinanzkrise fallende Tendenz. Eben-falls rücklaufig ist die Emissions-kapazität der Wohnbaubanken.(Siehe Grafiken rechts)

Der Wohnungsbau ist generell inEuropa rückläufig. Verglichen mitLändern gleicher Bewohnerzahl inEuropa weist Österreich nicht nureine höhere Anzahl neugeschaffenerWohnungen / 1000 Einwohner son-dern auch einen deutlich geringerenRückgang auf.(Siehe Grafik Seite 18)

Die RisikoanalyseDieAusfallsrate vonWohnbaukredi-ten ist in Österreich extrem niedrig.Die Ursache ist zum einen im diffe-renzierten, stabilen Finanzierungs-system zu sehen. Andererseits wir-ken sich niedrige Belastungen derWohnungskosten in Relation zumlaufenden Einkommen dämpfendauf die Ausfallsrate aus.

Ziehen wir andere Finanzierungs-systeme, wie etwa das amerikani-sche Wohnbaufinanzierungssystemmit dem Steuerabsetzmodell sowie

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung von Seite 15

2. Das System der österreichischen Wohnbaufinanzierung

Die Input – Output Analyse

Der Input: System der österreichischen Wohnbaufinanzierung

Der Output: Die Kosten

m2 WNFI monatliche BelastungGesamtbaukosten (inkl. Grund) : 2.200,00Eigenmittel : 550,00 : 0,00Förderdarlehen Land : 650,00 : 0,54Finanzierung (Bauspardarlehen, 25 Jahre) : 1.000,00 : 4,82

: 5,36

Entwicklung Wohnbaufinanzierung EuropaGrowth in house prices and in loans for house purchase (1999 – 2007), Seite 24

Source: ECBNotes: Panel b – house price increases refer to the 1999-2007 average, except in the case ofLuxembourg (1999–2006) and Finland (2001-2007). Loan growth data also refer to 1999–2007averages.

Page 17: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 17

Die qualitative AnalyseDurch die hohe Konnexität derösterreichischen Neubauerrichtungoder Sanierung mit dem öffentlichenFörderinstrumentarium – ca. 90%des Neubauvolumens werden aufWegen des Fördersystems durchge-schleust – liegt ein äußerst geringerHeizenergiebedarf vor. Die Förder-systeme sehen in der Regel Niedrig-energiestandard als Voraussetzungfür die Förderung vor.Durch den Steuerungseffekt derWohnbauförderung der Länderkommt es außerdem zu einer regio-nal verdichteten Wohnversorgungund dem Hintanhalten von Mengen-fehlsteuerungen.Außerdem wird aufgenerationenübergreifende Modelle,wie kindergerechte und altersge-rechte Wohnmodelle ausreichendBedacht genommen.

3. Herausforderungen für dasösterreichische Modella) Finanzmarktregulierung und

deren AuswirkungenDie durch die Finanzkrise ausgelös-ten Wellen an Reglementierungenfür die Finanzwirtschaft nehmen aufdas österreichische Wohnbaumodellnicht Rücksicht, sondern sind

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung auf Seite 18

Kredite zur Schaffung und Erhaltung von Wohnraum per 30. 6. 2010

Veränderung zu 12/09: –4,5 %

Kredite zur Schaffung und Erhaltung von Wohnraum1. Halbjahr 2010 in Euro – Fremdwährung (wechselkursbereinigt)EUR 24,18 Mrd.

WechselkursEUR/CHF:31. 12. 20091,483630. 6. 20101,3283

dem Garantiesystem heran, so wirddeutlich, dass das österreichischeSystem deutlich überlegen ist unddas amerikanische Modell praktischgescheitert ist. Das amerikanische

System kann nur durch exorbitanthohe staatliche Zuschüsse am Lebenerhalten werden.

NEWS – Homepage ORF, 3. 11. 2010

Wieder Milliardenverlustbei Freddie MacDie verstaatliche US-HypothekenbankFreddie Mac hat im dritten Quartalerneut einen Verlust von 4,1 Mrd.Dollar (2,9 Mrd. Euro) aufgehäuft Dassind allerdings 38,8 Prozent wenigerals im Vorjahresquartal, als das Defizit6,7 Mrd. Dollar betrug, wie die in derUS-Hypothekenkrise vor zwei Jahrenbeinahe untergegangene Bank heutein Washington mitteilte.Im aktuellen Verlust sind 1,6 Mrd.Dollar an Dividendenzahlung an dasFinanzministerium enthalten. Die US-Regierung hatte Freddie Mac und dasSchwesterunternehmen Fannie Maemit Milliardenbeträgen retten müssen,als massenweise minderwertigeHypothekenkredite zusammen-brachen.Die beiden Hypothekenbanken besit-zen oder garantieren rund die Hälfteder Hypothekenkredite in den USA.Von der Subprime-Krise ging letztlichein globales Bankenbeden und diegrößte Rezession seit den 30er Jahrenaus, die erst in diesem Jahr überwun-den scheint.

Page 18: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

18 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

alleine Kapitalmarktstärkungsre-geln. Die neuen Liquiditätsvor-schriften fokussieren auf eineFinanzwelt, die vor allem dem ame-rikanischen System der Refinanzie-rung über die Emissionen an denFinanzmärkten nachgebildet sind.Wir stehen vor dem perversenBefund, dass alles neue Regelwerkauf ein praktisch gescheitertesSystem – nicht zuletzt war das ame-rikanische Wohnbaufinanzierungs-system Auslöser der Finanzkrise –ausgerichtet wird.

Kleinere Finanzmärkte wie etwaÖsterreich, noch dazu ohne einenbreit aufgestellten Anleihe-Invest-mentmarkt müssen daher kreativneue Lösungen suchen.

b) Austausch am Finanzmarktermöglichen

Gebührenrecht, Gerichtsgebühren,Regelungen für Deckungsstöcke beifundierten Anleihen sowie Versiche-rungen oder Pensionskassen ermög-lichen den Weg vom Finanzierungs-bedarf zum besten Refinanzierungs-wirt derzeit entweder überhauptnicht oder nur über Umweg mitzusätzlichen Kosten. Da noch dazuin der österreichischen Finanzwirt-schaft die Privatveranlagung steuer-lich sehr unterschiedlich bewirt-schaftet wird (z. B.: KESt auf Anlei-hen, aber nicht bei Lebensversiche-rungen oder besondere Prämie beider Zukunftsvorsorge, keine Ein-gangssteuer bei der Pensionskasse)findet eine optimale Mittelalloka-

tion zwischen Veranlagung undFinanzierung derzeit nicht statt.Eine strukturelle Begradigung die-ser Vorschriften wird daher geradeim Lichte der neuen finanzwirt-schaftlichen Regulierungen geradeaus österreichischer Sicht gebotensein. Andernfalls wäre eine substan-tielle Verteuerung der monatlichenWohnungskosten um fast € 80,– bis€ 100,– zu befürchten.

c) Riesterrente auf Wohnen auchin Österreich

Das deutsche Zukunftsvorsorgemo-dell (bei uns auch bekannt unter derBezeichnung seines Erfinders, dieRiesterrente), also die 3. Säule derprivaten Altersvorsorge sieht eineGleichstellung der Förderung so-wohl für kapitalgedeckte Modelleals auch Investition in das Wohnenvor. Dieses Modell lässt sich auchfür die 2. und 3. Säule in Österreich,also für das Pensionskassenmodellund die private Zukunftsvorsorgemit Recht als zukunftsträchtigeSteuerungsmaßnahme vertreten.

Es schließt sich damit der Kreis zuden eingangs erwähnten grundsätz-lichen Überlegungen. LangfristigerVeranlagungshorizont und stabilerlangfristiger Investitionsmarkt er-gänzen sich sowohl in RichtungSicherheit, Wertbeständigkeit undVeranlagungserfolg. Betrachten wirdie durchschnittliche Ertragssitua-tion der Pensionskassen in den letz-ten 10 Jahren, die sich um 1,5 – 2%pa. bewegt, hätte die österreichischeWohnbauinvestition einen deutlichhöheren Ergebnisbeitrag gebracht.Es kreuzen sich damit zwei Inte-ressenskreise. Das österreichischeWohnbaufinanzierungsmodellkönnte damit auch zum Sozial-modell einer tragfähigen Zukunfts-sicherung bei Rente und Pflege wer-den. Sind wir mutig genug, diesenSchritt zu gehen? Nicht die Systemeder 2. oder 3. Säule sind schlecht,sondern die Umsetzung vermutlichverbesserungsfähig. Ich wollte da-mit einen Beitrag leisten, diesenDialog fortzusetzen.

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Wohnungsbau in Europa – Vergleich Belgien, Österreich, Tschechien(Zahl der Fertigstellungen in 1.000 Wohnungen)

Risikoentwicklung im Wohnbau 2005 – 2009

Fortsetzung von Seite 18

Erklärung: 1 bp ist 0,1 %oD.h. bei 1 Mrd. € Ausleihung ist der Ausfall p.a. 100.000,– €

Page 19: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 19

Darin skizziert sie etwa Eck-punkte für eine europäischePolitik in den Bereichen

Beschäftigung und Soziales, Bil-dung und Jugend, Gesundheit undInformationsgesellschaft. Sozial-politik sollte demzufolge heute„bereichsübergreifend und mehr-dimensional“ gedacht und gemachtwerden. Die Kommission sieht imrichtigen Mix aus europäischer undnationaler Handlungsebene einenpotenziellen Mehrwert für einegerechte und effiziente Sozialpolitikim 21. Jahrhundert. Sie stellt dieFrage, ob es Spielraum für sektor-übergreifende Maßnahmen auf EU-Ebene gibt und ob die Instrumente,die der EU „zur Unterstützung undErgänzung der Mitgliedstaaten zurVerfügung stehen, überarbeitet wer-den sollten“.

Diese Frage greift natürlich in dasbestehende Gefüge der EU und indas Verhältnis zu den Mitglieds-staaten ein, was die zunächst rechtkritischen Reaktionen auf die So-zialagenda erklärt. Dabei geht deneinen die Agenda nicht weit genug,andere wiederum sehen sie über dasZiel hinausschießen und die Rolleder EU unnötig aufwerten. DieFrage nach „der richtigen“ europä-ischen sozialen Dimension ist und

bleibt Gegenstand schwieriger undsensibler Debatten. Versuche dahereinen Überblick zum Thema zugeben.

Der Begriff "Europäisches Sozial-modell" stellt einen Versuch dar,Gemeinsamkeiten der (kontinental-)europäischen Wohlfahrtsstaaten zuerfassen und diese zugleich von denWirtschafts- und Sozialsystemenanderer Staaten, insbesondere derUSA, abzugrenzen.

1. Bedeutung und Entwicklungdes Begriffs – Empirische undnormative Dimension

Deskriptiv verwendet beschreibt„Europäisches Sozialmodell“ densystematischen und in Form vonGesetzen und wohlfahrtsstaatlichenEinrichtungen institutionalisiertenVersuch, wirtschaftliche Dynamikmit sozialem Ausgleich zu verbin-den. Dies gelang vor allem in derZeit zwischen dem Zweiten Welt-krieg und der Ende der 1970er Jahreeinsetzenden Wachstumskrise. Indiesen Zeitraum fällt beispielsweisedas deutsche Wirtschaftswunderebenso wie die damit vergleichbaren'trente glorieuses‘, d. h. die goldenendreißig (Jahre), in Frankreich. Das„Europäische Sozialmodell“ war –ohne dass man es damals so nannte –ein Erfolgsmodell.Neben der deskriptiven Dimensionbesitzt der Begriff „Europäisches

Sozialmodell“ auch eine normativeDimension, da er vielfach auch füreine politisch anzustrebende Ziel-vorstellung bzw. ein zu bewahrendesund/oder zu reformierendes Sub-system der Wirtschafts- und Sozial-ordnung verwendet wird.Popularisiert wurde der Begriff vonJacques Delors, Kommissionspräsi-dent der EU von 1985–1995, zueiner Zeit, als das EuropäischeSozialmodell politisch und wirt-schaftlich bereits stark unter Druckgeraten war.

2. Charakterzüge einesEuropäischen Sozialmodells

Die Grundidee lautet:Der Staat trägt Verantwortung fürdas Wohl seiner Bürger. DiesesModell hat die Sozialpolitik vieleranderer Weltregionen beeinflusst,vor allem in Lateinamerika, Austra-lien und Neuseeland und ist deshalbvon diesen nicht mehr klar abzu-grenzen. Auch innerhalb Europasunterscheidet man vier Typen –mache bewusste Schematisierung;in Realität oft Mischformen:• das angelsächsische oder liberaleModell basiert auf der Armen-hilfe. Es bildete auch die Grund-lage des US-amerikanischen Mo-dells; welches aber noch viel stär-

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

*) Mag. Richard Kühnel ist Leiter der Ver-tretung der Europäischen Kommission inÖsterreich.

Die erneuerte Sozialagenda der EUDie »erneuerte Sozialagenda«, mit der die EU-Kommission Anfang Juli 2008 an dieÖffentlichkeit trat, trägt den viel versprechenden Untertitel „Chancen, Zugangs-möglichkeiten und Solidarität im Europa des 21. Jahrhunderts“

Richard Kühne*)

Fortsetzung auf Seite 20

Page 20: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

20 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

ker die Eigenverantwortung be-tont

• das nordische Modell basiert aufeinem steuerfinanzierten Univer-salismus;

• das Modell Kontinentaleuropasbasiert auf dem BismarckschenSystem der Sozialversicherungen;

• das südeuropäische Modell ist(noch) stark familiengeprägt.

In den postsozialistischen StaatenOsteuropas scheint sich trotz massi-ven Drucks der Weltbank und damitdes US-amerikanischen Modellseine Mischform der Typen desEuropäischen Sozialmodells durch-zusetzen.

Unter Sozialmodell wird gemeinhindie Gesamtheit der Maßnahmen ver-standen, die Staat und Zivilgesell-schaft ergreifen, um negative Folgendes freies Marktes abzufedern. Jenach Auslegung fällt darunter nurdie Sicherung der Grundbedürfnisseoder zusätzlich die Gewährleistungvon gesellschaftlicher Teilhabe (z. B.durch Bildungspolitik) bis hin zurStärkung des sozialen Zusammen-halts. Die Gemeinsamkeiten desEuropäischen Sozialmodells werdenoft auch als Grundlage für eineeuropäische Identität herangezogen.Die Sozialpolitik fällt aber nicht inden Gestaltungsraum der Europäi-schen Union sondern ist Sache derMitgliedsstaaten. Die EU hat abertrotzdem im Rahmen ihrer Binnen-marktkompetenzen einige beglei-tende soziale Maßnahmen ergriffen.So gibt es europaweit einheitlicheRegeln zum Gesundheitsschutzam Arbeitsplatz, den EuropäischenSozialfonds und die EuropäischeSozialcharta. Außerdem wendet dieEU die offene Methode der Koordi-nierung in den Bereichen Gesund-heits-, Alten-, Renten-, Arbeitslo-sen- und Beschäftigungspolitik an.In allen Mitgliedsstaaten stehen dieSozialsysteme vor den gleichen Pro-blemen: Überalterung der Gesell-schaft und steigende Arbeitslosig-keit als Folge der Globalisierung.

Aufgrund der gemeinsamen Pro-bleme könnte es meines Erachtenszu einer weiteren Kompetenzverla-

gerung auf die europäische Ebenekommen. Es geht nicht um Verein-heitlichung, sondern um gemein-same Ziele.

Der Kerninhalt des europäischenSozialmodells verbindetgemeinsame Elemente derverschiedenen Modelle:• guter Zugang zu Aus- und Weiter-bildung

• Mindestregeln für Arbeitsverträge• allgemeiner Sozialschutz und all-gemeiner Zugang zum Gesund-heitssystem

• aktive Politik, um die sozialeGeschlossenheit zu fördern, Aus-grenzung zu vermeiden

• aktive Arbeitsmarktpolitik• Sozialer Dialog• die öffentliche Hand finanziertGesundheits- und Erziehungs-systeme durch Steuern und Abga-ben, wobei ein Umteilungseffektgewollt ist

• Beeinflussung der Wirtschaftspo-litik durch öffentliche Budgets

• Wettbewerbsrecht gekoppelt mitIndustrie-, Forschungs- und Re-gionalpolitik

• regulierte Finanzsysteme undBanken.

Dank dieses gemeinsamen Grund-konsenses ist in Europa eine Diskus-sion wie derzeit in den USA übereine Krankenversicherung für alleundenkbar.

3. Ist das Europäische Modellwettbewerbsfähig?

Das Europäische Modell ist dasambitiöseste vergleichbare Modell:effizient + sozial + umweltfreund-lich

Das Europäische Modell ist keinHindernis für dieWettbewerbsfähig-keit• Wenn es anpassungsfähig ist anneue Realitäten

• Wenn die Reformen in RichtungVeränderung, Anreize, Zukunfts-faktoren gehen

• Wenn die Regierungen solcheVeränderungen forcieren, nichtbremsen

• Wenn die Politik proaktiv intelli-gentes und nachhaltiges Wachs-

tum forciert, um die Rahmenbe-dingungen für ein funktionieren-des Sozialmodell zu erhalten bzw.zu schaffen.

In der Krise hat sich gezeigt, dassautomatische Stabilisatoren derSozialsysteme eine positive Wir-kung hatten und einen tieferenAbsturz verhinderten.

Proaktive Politik ist notwendigDie Politikstrategien erfolgreicherLänder sind problemorientiert undvorausschauend• Wachstum stärken• Technologie fördern• Leistungsanreize schaffen• ausgewogene Flexibilität ermögli-chen

• Obergrenzen für Staatsausgabenvorsehen

• Wohlfahrtsreform mit einer lang-fristigen Perspektive angehen

Die neuen Ansätze• Flexibilität mit Sicherheit verbin-den

• Externalitäten fördern und mana-gen

• Gewinne für Ausbildung undStandort nutzen

• Teilzeit als Übergangslösung,gendergerechte Arbeitsplätze

• Leistungslöhne ohne Entsolidari-sierung

• Altersgerechter Tätigkeitswechsel• Aktivierung statt Transfers• Prävention statt Korrektur

Neben dem Friedensprojekt Europaist das europäische Sozialmodell einEckstein der europäischen Integra-tion. Die soziale Dimension hat har-monische Arbeitsbeziehungen zwi-schen Arbeitgebern und Arbeitneh-mern zum Ziel. Harmonisch heißtaber bewusst nicht harmonisiert –das europäische Sozialmodell ba-siert auf gemeinsamen Wertvorstel-lungen, die konkrete Ausformungund Umsetzung bleibt weitgehendSache der Mitgliedstaaten.

Die Kombination von sozialem Zu-sammenhalt mit hoher Wirtschafts-leistung, von sozialer Gerechtigkeitmit Wirtschaftswachstum und Wett-bewerbsfähigkeit machen das eu-

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung von Seite 19

Page 21: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 21

ropäische Modell aus, wobei sichdie Elemente wechselseitig bedin-gen: Ohne Wettbewerbsfähigkeitund Wirtschaftswachstum könnendie Sozialleistungen nicht oder nichtim ausreichenden Ausmaß erbrachtwerden. Und umgekehrt ist auchSozialpolitik ein Produktivfaktorund trägt zum Wirtschaftswachstumbei: Ein Beispiel: gute Normen derSicherheit am Arbeitsplatz verrin-gern Unfälle und Krankenstandszei-ten und verhindert damit Kosten…

4. Ist der Vertrag von Lissabonsozial?

Der Vorwurf, sie sei „unsozial“,spielte bei der Ablehnung derEuropäischen Verfassung in Frank-reich eine wesentliche Rolle undgeistert immer noch herum, weshalbich etwas Zeit aufwenden möchte,Ihnen zu zeigen, dass dies nichtzutrifft. Der Vertrag von Lissabon,seit 1. 12. 2009 in Kraft, enthält eine„Sozialklausel“, derzufolge sozialeFragen (Förderung eines hohenBeschäftigungsniveaus, Gewähr-leistung eines angemessenen sozia-len Schutzes und Bekämpfung dersozialen Ausgrenzung) bei der Fest-legung und Durchführung aller poli-tischen Maßnahmen zu berücksich-tigen sind. Der Vertrag weist auchdarauf hin, dass sowohl der sozialeals auch der territoriale Zusammen-halt der Union Ziel der Integrations-politik ist. Unter sozialen Aspektensind auch Beihilfen an Verbraucherim Binnenmarkt erlaubt, wenn sienicht-diskriminierend vergebenwerden. Mitgliedstaaten stimmensich bei der Förderung der Beschäf-tigung ab und konsultieren die Sozi-alpartner. Je ein Beschäftigungsaus-schuss sowie Ausschuss für Sozial-schutz beraten den Rat d. h. die Mit-gliedstaaten. Ein eigenes Kapitel X,im wesentlichen aus dem gültigenVertrag übernommen, legt die Zieleder Sozialpolitik unter Beachtungnationaler Unterschiedlichkeitenfest, nämlich „die Förderung derBeschäftigung, die Verbesserung derLebens- und Arbeitsbedingungen,um dadurch auf demWege des Fort-schritts ihre Angleichung zu ermög-lichen, einen angemessenen sozialenSchutz, den sozialen Dialog, die

Entwicklung des Arbeitskräftepo-tenzials im Hinblick auf ein dauer-haft hohes Beschäftigungsniveauund die Bekämpfung von Ausgren-zungen.“

Auf der Ebene der Union könnenhierbei unterstützende Tätigkeitenausgeübt werden, die Harmonisie-rung nationaler Systeme ist aus-drücklich ausgeschlossen – so vielzum Einheitsbrei Europa. ImVertragvon Lissabon werden auch dieGrundrechte anerkannt, und zwardurch einen rechtsverbindlichenVerweis auf die Grundrechtecharta.In dieser sind beispielsweise dasRecht in jedem Mitgliedstaat zuarbeiten oder eine unternehmerischeTätigkeit auszuüben, das Verbot jeg-licher Diskriminierung, die Gleich-heit von Frau und Mann in allenBereichen, der Anspruch Behinder-ter auf Eingliederung in die Gesell-schaft enthalten. Unter dem Ab-schnitt über Solidarität, werden eineReihe von Rechten und Grundsätzenmit direktem Bezug zum sozialenBereich aufgezählt, zum Beispieldas Recht auf Unterrichtung undAnhörung in Unternehmen, dasRecht auf Kollektivverhandlungenund Kollektivmaßnahmen, derAnspruch auf Zugang zu kostenlo-sen Vermittlungsdiensten undSchutz vor ungerechtfertigter Ent-lassung, das Recht auf Zugang zusozialer Sicherheit und sozialerUnterstützung sowie auf gerechteund angemessene Arbeitsbedingun-gen. Die Charta verbietet Kinderar-beit, schützt Jugendliche, fordertden Schutz der Familie und verlangtVereinbarkeit von Familien- undBerufsleben in dem Mutterschutz,Mutterschutz und Elternurlaub undSchutz vor Entlassung wegen Mut-terschaft verankert werden.

Festzuhalten ist jedoch, dass wich-tige Bereiche der Sozialpolitik, wiedie Ausgestaltung der sozialenSchutzsystemen die Rentenpolitik,die Arbeitsmarktpolitik, die Bil-dungspolitik in der Kompetenz unddamit in den Händen der Mitglieds-staaten liegen, ein Beispiel fürgelebte Subsidiarität. Die Rechtsset-zung auf europäischer Ebene beg-

nügt sich meist mit der Festsetzungvon Mindeststandards im Form vonRichtlinien wie z. B. zu Gesundheitund Sicherheit amArbeitsplatz, Ver-bot der Diskriminierung amArbeits-platz, Leiharbeit.

5. Die Europäische Sozialpolitik

Die soziale Dimension Europas• Ziel der Sozialpolitik der EU istdie Beseitigung der größten ge-sellschaftlichen Ungleichheitenin Europa. Der Europäische So-zialfonds (ESF) wurde 1961gegründet, um die Schaffung vonArbeitsplätzen zu fördern und denArbeitsplatz- und Ortswechselvon Arbeitnehmern zu fördern.Für 2000–2006 erhielt der ESF 60Mrd. Euro aus dem EU-Haushalt.Der gegenwärtige Programmzy-klus des ESF läuft von 2007 bis2013 unter dem Motto „In Men-schen investieren“. Über diesenZeitraum werden rund 75 Milliar-den Euro – fast 10% des EU-Haushaltes – für Projekte zurBeschäftigungsförderung einge-setzt.

• Sozialer Fortschritt stützt sich vorallem auf Wirtschaftswachstumund wird sowohl von der nationa-len als auch von der EU-Politikgefördert.

• Sozialer Fortschritt wird auchdurch Rechtsvorschriften gestützt,die allen EU-Bürgern solideGrundrechte garantieren, vondenen einige in den Verträgen ver-ankert sind – beispielsweise dasRecht von Männern und Frauenauf gleiche Bezahlung für gleicheArbeit. Andere Rechte finden sichin Richtlinien über den Schutzvon Arbeitnehmern (Gesundheitund Sicherheit am Arbeitsplatz)sowie grundlegenden Sicherheits-standards.

• Bereits im Dezember 1991 verab-schiedete der Europäische Rat vonMaastricht ein Sozialkapitel zurUmsetzung der Gemeinschafts-charta der sozialen Grundrechteder Arbeitnehmer, in der dieRechte enthalten sind, die alle

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung auf Seite 22

Page 22: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

22 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

Arbeitnehmer in der EU genießen:Freizügigkeit, angemessene Be-zahlung, verbesserte Arbeitsbe-dingungen, sozialer Schutz, Verei-nigungsrecht und Tarifverhand-lungen. Im Juni 1997 wurde dieseCharta in Amsterdam Bestandteildes Vertrages. Sie gilt in allenMitgliedsstaaten.

Die Europäische Sozialagenda• Die neue sozialpolitische Agendaist ein wesentlicher Pfeiler derneuen Strategie fürWachstum undArbeitsplätze der EU

• Die neueAgenda konzentriert sichauf die Schaffung vonArbeitsplät-zen und gleicher Chancen für alleund soll gewährleisten, dass dieVorteile der Wachstums- undArbeitsplatzinitiative der EU allenMitgliedern der Gesellschaft zu-gute kommen. Durch die Moder-nisierung der Arbeitsmärkte undder Sozialschutzsysteme werdendie Menschen Chancen nutzenkönnen, die sich ihnen im Zugedes internationalen Wettbewerbs,des technologischen Fortschrittsund der gewandelten Bevölke-rungsstruktur bieten. Damit leistetdie sozialpolitische Agenda einenBeitrag zum Schutz der schwäch-sten Mitglieder unserer Gesell-schaft.

Schwerpunkt 1: Beschäftigung• Schaffung eines europäischenArbeitsmarkts, z. B. dadurch, dassArbeitnehmern die Mitnahmeihrer Renten- und Sozialversiche-rungsansprüche ermöglicht wird,wenn sie eine Beschäftigung ineinem anderen Mitgliedstaat auf-nehmen, und durch Bereitstellungeines optionalen Rahmens fürgrenzübergreifende Kollektivver-handlungen; die Kommissionwird ferner die für Arbeitnehmeraus den neuen Mitgliedsstaatengeltenden Übergangszeiten einerPrüfung unterziehen;

• Schaffung zusätzlicher und besse-rer Arbeitsplätze, insbesondere imRahmen der europäischen Ju-gendinitiative und durch Förde-rung der (Wieder-)Eingliederungvon Frauen in den Arbeitsmarkt;

• Aktualisierung des Arbeitsrechts,

um dieses den durch neue Formender Arbeit (z. B. befristeteArbeitsverträge) entstandenen Be-dürfnissen anzupassen; Ausarbei-tung einer neuen Arbeitsschutz-strategie;

• Bewältigung des Umstrukturie-rungsprozesses durch sozialenDialog.

Schwerpunkt 2: Armut• Analyse der sich aus der Alterungder Bevölkerung ergebenden Fol-gen sowie der künftigen Bezie-hungen zwischen den Generatio-nen durch Veröffentlichung einesGrünbuchs zur demografischenEntwicklung;

• Unterstützung der Mitgliedsstaa-ten bei der Reform ihrer Renten-und Gesundheitssysteme sowiebei der Bekämpfung von Armut;

• Bekämpfung von Diskriminierungund Ungleichheit: die Kommis-sion wird die Mindesteinkom-mensregelungen in den Mitglieds-staaten untersuchen und ein Kon-zept für die Bekämpfung von Dis-kriminierungen – insbesonderevon ethnischen Minderheiten,z. B. der Roma – ausarbeiten;

• Förderung der Chancengleichheitvon Frauen und Männern, z. B.durch Einrichtung eines Gender-Instituts;

• Klarstellung der Rolle und Merk-male von Sozialdienstleistungenim allgemeinen Interesse;

6. 2020Europa 2020 baut auf die Arbeit derLissabon-Strategie der EU fürWachstum und Beschäftigung aufund verspricht eine genauere wirt-schaftspolitische Koordination, diedie Mitgliedstaaten in die Lage ver-setzt, ihre eigene Volkswirtschaftwieder auf Kurs zu bringen und dieglobalen Herausforderungen wirk-sam und konsequent zu meistern.

Intelligent, nachhaltig –und integrativEuropa 2020 legt drei zusammen-hängende Prioritäten bzw. Wachs-tumsmotore fest, die durch Maßnah-men auf EU-Ebene und auf natio-naler Ebene umgesetzt werden.

• Intelligentes Wachstum, d. h. dieEntwicklung einer aufWissen undInnovation gestützten Wirtschaft

• Nachhaltiges Wachstum, also dieFörderung einer wettbewerbsfähi-gen und ökologischen Wirtschaft,die schonend mit den Ressourcenumgeht, und

• Integratives Wachstum, um inEuropa eine Wirtschaft zu för-dern, die für hohe Beschäftigungsorgt und den Bürgern hilft, ihreberuflichen Kompetenzen zu ver-bessern und die sich gleichzeitigdem Kampf gegen Armut undAusgrenzung widmet.

Die Fortschritte bei der Erreichungdieser Ziele werden an den fünfKernzielen der EU gemessen:• 75% der Bevölkerung im Altervon 20 bis 64 Jahren sollten inArbeit stehen.

• 3% des BIP der EU sollten fürF&E aufgewendet werden.

• Die Klimaschutz- und Energie-ziele der Gemeinschaft müssenerreicht werden.

• Das Bildungsniveau muss ange-hoben werden; dazu gehörenMaßnahmen zur Verringerung desAnteils der Schulabbrecher undzur Erhöhung des Anteils derHochschulabsolventen.

• Die soziale Integration soll geför-dert werden, und zwar besondersdurch die Verringerung derArmutsgefährdung. Die Botschaftlautet, dass jeder vom Wachstumprofitieren und niemand davonausgeschlossen sein soll.

Die Umsetzung der Ziele und diepolitische ArchitekturDamit diese Ziele erreichbar sind,startet Europa 2020 eine Reihe vonLeitinitiativen, von denen einigezeigen, dass die EU entschlossen ist,eine wettbewerbsfähige Wirtschaftaufzubauen, die auch die sozialenBelange nicht aus den Augen ver-liert.

So wurde z. B. eine „EuropäischePlattform zur Bekämpfung derArmut“ vorgeschlagen, die den wirt-schaftlichen, sozialen und territoria-len Zusammenhalt gewährleistenund dafür sorgen soll, dass Men-

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Fortsetzung von Seite 21

Page 23: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 23

schen, die unter Armut und sozialerAusgrenzung leiden, inWürde lebenund sich aktiv am gesellschaftlichenLeben beteiligen können.

Durch eine Agenda für neue Kom-petenzen und neue Beschäftigungs-möglichkeiten werden die Arbeits-märkte modernisiert, die Erwerbs-quote erhöht und sichergestellt, dasssich das europäische Gesellschafts-modell weiterhin an Nachhaltigkeitund Integration orientiert.

Das System der Länderberichte hilftden Mitgliedstaaten bei der Erarbei-tung und Umsetzung von Strategienzur Überwindung der Rezession undzur Wiederherstellung der Stabilität.Mit einem thematischenAnsatz wer-den die Fortschritte bei der Verwirk-lichung der vereinbarten Kernzielevon Europa 2020 gemessen undüberwacht. Die Mitgliedsstaatenberichten über die von ihnen ergrif-fenen Maßnahmen im Rahmen ihrernationalen Reformprogramme.

Die Mitgliedsstaaten müssen diewichtigsten anstehenden Herausfor-derungen sorgfältig analysieren, undzwar besonders im Hinblick auf dieGewährleistung gesunder öffentli-cher Finanzen und die Vermeidungeiner Überschuldung. Die Berichter-stattung zu diesen Themen erfolgtmithilfe der Stabilitäts- und Konver-genzprogramme.

Die Berichte, die im Rahmen dieseszweigleisigen Ansatzes erstellt wer-den, müssen der Kommission undden anderen Mitgliedstaaten jeweilsim 4. Quartal vorgelegt werden.

Jedes Jahr wird dann die Kommis-sion die Umsetzung der Programmeim Rahmen der Strategie 2020 durchdie Mitgliedstaaten bewerten unddarüber Bericht erstatten. Dabeiwerden die Fortschritte gewürdigt,aber auch etwaige Schwächen oderVerzögerungen benannt.

Die Berichte der Kommission wer-den also nicht nur einen umfassen-den Überblick über die Fortschritteder einzelnen Länder bei den zentra-len Themen der Strategie 2020geben, sondern auch Informationenzur wirtschaftlichen, beschäfti-gungspolitischen, haushaltsplaneri-schen und finanziellen Situation ent-halten.

Der Europäische Rat erstellt eineGesamtbewertung der Fortschritte,die bei der Umsetzung der Strategiein der EU und auf einzelstaatlicherEbene erzielt wurden. PolitischeEmpfehlungen ergehen an die Mit-gliedsstaaten im Rahmen der Län-derberichte und des thematischenAnsatzes von Europa 2020. DieseEmpfehlungen werden präzise for-muliert sein und einen zeitlichenRahmen beinhalten, in dem dasbetreffende Land handeln muss.

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010

Page 24: FACHTAGUNG 5. NOV. 2010iibw.at/documents/2010 IIBW. Fachtagung Europaeisches...06/2010 BBK-SONDERBEILAGE 5 VermietungvonteurerenWohnung, VerkaufvonWohnungeninsEigen-tum, Bau und Vermietung

24 BBK-SONDERBEILAGE 06/2010

SONDERBEILAGE DER BBK ZUR FACHTAGUNG AM 5. NOVEMBER 2010