Einführung in die Sprachvermittlung
3. Fragen Kapitel 34. Irreguläre Formen: Ergebnisse des
Tests und der Korpuslinguistik5. Im Zweikampf: Konnektionistische und generative Modelle im Konflikt
Klassiker: 61% 39% 57% 43% 42% 58%
Präteritumstest 1 / WS = 181 / SS = 136
0,00%10,00%20,00%30,00%40,00%50,00%60,00%70,00%80,00%90,00%
100,00%
gärten / goren glimmten /glommen
schallten /schollen
WS06schwach
SS07schwach
WS06stark
SS07stark
Teilnehmerbefragung WS06 / SS07: Nebenformen
WS 06/07 SS 07glimmte 93 51,7 % 66 45,6 %
glomm 82 45,6 % 53 39,0 %
glimmte /glomm 2 6 4,4 %
glimmte /glamm *2
glamm *1 *9 6,6 %
gärte 123 70,7 % 87 64,0 %
gor 49 28,2 % 38 27,9 %
gärte / gor 6 4,4 %
gar *2
görte *2
gorte *1
gegoren 2
Klassiker: 69% / 31% 0% / 32% / 68%
Präteritumstest 2 / WS06 = 181, SS07 = 136
0,00%10,00%20,00%30,00%40,00%50,00%60,00%70,00%80,00%90,00%
100,00%
fragt
en
fruge
n
schw
örte
schw
or
schw
ur
erlö
scht
e
erlo
sch
WS06schwachWS06starkSS07schwachSS07stark
Teilnehmerbefragung WS06 / SS07: Nebenformen
WS 06/07 SS 07fragten 175 96,7% 115 84,6%
frugen 6 3,3% 13 9,6%
fragte / frug 7 5,1%
schwörte 19 10,5% 29 21,3%
schwor 115 63,5% 70 51,5%
schwur 45 24,9% 32 23,5%
schwörte / schwor 4 2,9%
schallte 164 91,6% 115 84,6%
scholl 8 4,5% 9 6,6%
schall / schallte *2
scholl / schallte 2
schall *5 2,8% *5 3,7%
Gebrauch starker neben schwachen Formen (Korpuslinguistik)
Klassiker Zeitung
reg irreg reg irreg reg irreg
glimmte glomm 28 21 6 2
schallte scholl 99 135 17 0
gärte gor 14 9 8 0
fragte frug >1000 661 1975 0
schwörte schwor
schwur0 123
263
4 70
5. Im Zweikampf
1. Problem: Wie können Muster in der Lexikon + Regel-Theorie erklärt werden?
2. Welche Muster gibt es?3. Das Modell der generativen Phonologie:
Muster Regeln (es gibt nur Regeln)4. Das Modell des Konnektionismus:
Regeln Muster (es gibt nur Muster)5. Das dualistische Modell6. Bezug zur Frage der Sprachvermittlung
5.2. Muster der Präteritumsbildung (S. 117-119)
1. Ähnlichkeit von Stammform und Präteritumsformreiten ritt schreiben schrieb
Die Konsonanten stimmen in beiden Formen überein.2. Ähnlichkeit der Änderungen
reit rittschmeiß schmiss reiß riss
Die Stammvokale verändern sich auf dieselbe Weise.3. Ähnlichkeit der Stämme
singen sang gesungenklingen klang geklungen
Die Stämme haben bestimmte Konsonanten gemeinsam.
1968
5.3. Das regelbasierte Modell (Chomsky / Halle)
• Die Muster der irregulären Verben können durch spezielle Regeln rekonstruiert werden
• Diese Regeln sind im Lexikon eingetragen, stellen aber Verknüpfungen mit den Modulen Morphologie + Phonologie her (S. 121)
• Die Regeln beziehen sich nicht auf einzelne Verben oder einzelne Phoneme, sondern phonologische Merkmale (S. 122)
• Der Sprachnutzer greift zur Berechnung der Präteritumsform auf eine Tiefenstruktur zurück (S.125f.)
Das Vokaltrapez (American English)
i:
e:
æa
u:
o:
oə
ı
u
ε
beat [i:], bid [ı], boot [u:], good [u], obey [ej], bed [ε], bad [æ], bird [ə], but [a], bode [ou], pot [o]
Die fünf vokalischen Merkmale
i:
e
æa
u:
o:
o
1 vorne
2 tief /offen
1 hinten,
3 Lippen ungerundet
5 ungespanntə
ı u
5 gespannt
4 lang4 kurz
3 Lippen gerundet
2 hoch/ geschlossen
ε
Die drei Vokaländerungsregeln
i:
e:
æ
a
u:
o:
o
1 vorne
2 tief /offen
1 hinten,
3 Lippen ungerundet
5 ungespanntə
ı u
5 gespannt
4 lang4 kurz
3 Lippen gerundet
2 hoch/ geschlossen
Vokal- Senkung: R1
Vokalkür-zung: R3
Vokalverschiebung nach hinten: „backing Ablaut“: R2
ε
Regeln für irreguläre Verben (S.124)
• R1: Der Stammvokal wird durch einen Vokal ersetzt, bei dem der Zungenbuckel tiefer liegt:
sit – sat / flee – fled / choose – chosei æ/ i: e / u: ou
• R2: Der Stammvokal wird durch einen Vokal ersetzt, der weiter hinten artikuliert wird:
bear – bore / sell – soldæ o / e ou
• R3: Der Stammvokal wird gekürzt (überlagert sich mit der Vokalverschiebung!):
flee – fled / hide - hidi: e / ai i
Kritik an Chomsky / Halle
• Kinder hören nur Oberflächenformen• Tiefenstrukturen sind keine
psychologische Realität und spielen beim Lernen keine Rolle (S. 132f.)
• Regel für Vokalkürzung setzt Kenntnis der Bildungssprache voraus (S. 133f.)
• Ähnlichkeit zwischen Stämmen nicht erklärt: diese ist aber nicht kategorisch fassbar (S. 134f.)
1986
5.4.Das konnektionistische Modell (Rumelhart / McClelland 1986)
• Computersimulation des Lernprozesses der Präteritumsformen starker Verben
Gemeinsamkeiten mit Chomsky / Halle:• Input: Lautung des Verbstammes• Ein einziger Mechanismus der Berechnung• Kontinuum von regulär (völlig vorhersahbar) –
irregulär – suppletiv (völlig willkürlich)• Sprachlaute als Bündel von Merkmalen
gespeichert
Unterschiede zu Chomsky / Halle
• Einheiten sind keine Wörter, sondern kleine Lauteinheiten (Wickelphone)
• Es gibt keine Tiefenstruktur, nur Output- und Inputeinheiten
• Es gibt keine Regeln, nur größere oder geringere Wahrscheinlichkeiten der Aktivierung von Einheiten
• Es gibt keine getrennten Module (außer einer morphologischen Verarbeitungseinheit)
• Die Einheiten bilden Netzwerke, in denen jede Einheit mit jeder anderen Einheit „kommuniziert“
Der Musterassoziationsspeicher[ Kons Kons d r
Kons V:hoch Nasal r i n
Kons V:tief Nasal r æ n
K:Nasal K:plosiv ] n k
V:hoch K:Nasal K:plosiv i n k
[ Kons Kons d r
Kons V:tief Nasal r æ n
K:Nasal K:plosiv ] n k
V:tief K:nasal K:plosiv æ n k
Kons Kons V:hoch d r i
Kons Kons V:hoch d r i
Kons V:hoch Nasal r i n
V:tief K:nasal K:plosiv æ n k
V:hoch K:Nasal K:plosiv i n k
Kons Kons V:tief d r æ
Kons Kons V:tief d r æ
INPUT OUTPUT
Funktionsweise des Speichers
• Bestimmte Inputeinheiten eines Verbstamms werden aktiviert (blaue Knoten links: Bsp. „drink“)
• Die aktivierten Einheiten „feuern“, geben Impulse an die Outputeinheiten weiter
• Im Output (der Präteritumsform) werden - wieder einige Inputeinheiten (blau), - einige nicht (grün) aktiviert, - einige neue Einheiten aktiviert (orange)
• Das Ergebnis muss nicht (wie im Beispiel) schon korrekt sein; evt. entsteht eine falsche Prätform wie „drinked“ oder „drunk“
Korrekte Form
OUTPUT TRAINING
[dr [dr
Korrekt: Aktivierung erleichtert;Schwellenwert gesenkt
dri dræ
nked nk]
nicht korrekt: Aktivierung erschwert;Schwellenwert erhöht
nicht korrekt: Aktivierung erschwert;Schwellenwert erhöht
Korrektur / Training
• Der Output wird mit korrekten Formen verglichen.
• Die Korrektur erfolgt dadurch, dass der Schwellenwert, der die Stärke des erforderlichen Reizes zur Aktivierung einer Einheit regelt, verändert wird; nach oben: die Einheit ist schwerer zu aktivierennach unten: die Einheit ist leichter zu aktivieren
• Der Schwellenwert wird in kleinen Schritten überzahlreiche Übungseineiten so angepasst, dass ein korrektes Ergebnis immer wahrscheinlicher wird.
Ausschnitt einer Einheit (Knoten) des Speichers
Hohe Gewichtung der Eingabeaktivität bedeutet einen niedrigen Schwellenwert, begünstigt Aktivierung
Lernen besteht in der Anpassung der Eingangsgewichtung an das gewünschte Resultat.
„dræ”
[K K
K K V:hoch
K V:hoch plosiv
K K ed
nasal plosiv ]
„Lernen“ Computer / Mensch
• Lernen kann die Vernetzungsstruktur nicht ändern; geändert werden nur die „Gewichtungen“, d.h. die jeweiligen Schwellenwerte, die bei entsprechendem Input den korrekten Output auslösen
• Der Musterassoziationsspeicher ähnelt einem neuronalen Netz wie z.B. dem Gehirn.
• Radikale Konnektionisten vertreten die Auffassung, dass Sprache kein Symbolsystem ist, sondern nur nach empiristischen Annahmen (Erfahrung, Ähnlichkeit) funktioniert.
Kritik an Rumelhart / McClelland
Das Modell • kann die Formen nur produzieren• erlaubt keine Vereinfachung phonologischer gegenüber
morphologichen Regeln (es ist nicht modular)• erkennt keine Unterschiede zwischen Wörtern mit
gleicher Lautung, aber unterschiedlicher Bedeutung (es ist nicht symbolisch)
• kennt nur unmittelbare Lautfolgen, aber keine Silbenkonstituenten und Wortelemente
• Ist besonders ineffizient bei der Ableitung regulärer Endungen
Das dualistische Modell (Pinker et. al.)
Lexikon• Funktioniert auch über
lautliche Muster und Assoziationen
• Keine wilkürliche und zusammenhanglose Liste von Einträgen
• Irreguläre Flexion: Vorteile für Gedächtnis und gewohnte, häufige, tägliche Sprachpraxis
Regeln• greifen auf Lexikon-
einträge für Wörter und für Affixe zu
• Werden erst aktiviert, wenn der Musteras-soziator keine Einträge liefert
• Reguläre Flexion: Ausweichmechanismus bei fehlendem Gedächtnis / neuer, ungewohnter, seltener Sprachpraxis
Bezug zur Sprachvermittlung• „Wäre der Streit zugunsten der
Netzwerktheoretiker entschieden und könnte man mit guten Gründen annehmen, es seien wir, die wie Netzwerke lernen, dann könnte man zwar im Unterricht auf „Prototypen“ setzen, auf das permanente Lernen anhand von „guten“ Beispielen, die immer wieder zu üben wären. Man könnte dann darauf vertrauen, dass die SchülerInnen die Reihe der Beispiele immer sicherer selbständig fortzusetzen vermögen, ohne dass man sie mit Regeln konfrontiert.“ (Albert Bremerich-Vos: Zum Grammatikunterricht in der Grundschule: wie gehabt, gar nicht, anders? In: Bremerich-Vos (Hg.) Zur Praxis des Grammatikunterrichts. Freiburg 1999, S. 47)
… aber
Netzwerklernen gegen Regellernen
• Prototypen• Häufiges Üben guter
Beispiele• Einschleifen korrekter
Formen• Immer sicherere
Erweiterung der Beispiele
• Klar abgegrenzte Kategorien
• Regeln erarbeiten• auf neue Fälle
übertragen• Immer sichere
Anwendung der Regel auf immer neue Fälle
Lernen durch Reflexion über Sprache?
• „Aber auch dann wäre ja nicht nur zu fragen, ob das von der Lehrperson – wie auch immer – „gut begleitete“ Regellernen nicht doch effektiver ist, sondern vor allem auch: Sollen die Schüler nicht zu reflektieren lernen über das, was sie (immer besser) können?“ (a.a.O.)
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