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Ein Problem, zwei Wissenschaftler,drei Instrumente1

Peter Von Heer ing* und Daniel Osewold†

Einleitung

Ende des Jahres 1781 wurde der französische Militäringenieur Charles Augu-stin Coulomb zum Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften er-nannt.2 Eine seiner ersten Aufgaben bestand darin, dem Astronomen JeanDominique Cassini bei Messungen zur Bestimmung der täglichen Verände-rung des Erdmagnetfeldes zu unterstützen. Das Phänomen der täglichen Ver-änderung der Deklination des Erdmagnetfeldes war als solches bereits seit1722 bekannt, als der Londoner Uhrmacher George Graham es nach Beob-achtungen einer Magnetnadel mit Hilfe einer Lupe beschrieb (Graham 1724/25, S. 96).3 Die von Graham verwendete Magnetnadel hatte eine Länge vonetwa 31 cm und war – wie im 18. Jahrhundert üblich – auf einer Spitzegelagert. Derartige Untersuchungen schienen grundsätzlich ein neues Poten-tial für die Navigation zu eröffnen und waren daher von besonderem Interes-se. Somit schrieb auch die Pariser Akademie der Wissenschaften 1773 einePreisaufgabe zu dieser Thematik mit dem nachfolgenden Titel aus: »Quelleest la meilleure maniere de fabriquer les aiguilles aimantees, de les suspendre,

* C.v.O. Universität Oldenburg, Institute of Physics, Physics Education/History and Philo-sophy of Science, P.O. Box 2503, D-26111 Oldenburg, Germany. E-mail: peter.heering/uni-oldenburg.de

† C.v.O. Universität Oldenburg, Institute of Physics, Physics Education/History and Philo-sophy of Science, P.O. Box 2503, D-26111 Oldenburg, Germany. E-mail: daniel.osewold/uni-oldenburg.de

Centaurus 2005: Vol. 47: pp. 115–139C Blackwell Munksgaard 2005. Centaurus ISSN 0008-8994. Printed in Denmark. All rights reserved.

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de s’assurer qu’elles sont dans le vrai meridien magnetique, enfin de rendreraison de leurs variations diurnes regulieres?« (Maindron 1881, S. 22). Bis1775 gab es keine befriedigenden Antworten, daher wurde die Eingabefristfür den Wettbewerb verlängert und der ausgesetzte Geldpreis verdoppelt.1777 wurden zwei Arbeiten ausgezeichnet, die von Jan Hendrik van Swindensowie von Coulomb eingereicht worden waren. Die Arbeit von van Swindenbestand aus einer umfangreichen Sammlung von Messwerten, die auf insge-samt 567 Seiten als Sonderband der ‘avants etrangers’4 erschien. CoulombsArbeit war dagegen völlig anderer Natur: Er beschrieb einige theoretischeÜberlegungen sowie ein neuartiges Gerät und einige der damit ausgeführtenMessungen.5 Ein ganz zentraler Unterschied zu den bisher für entsprechendeMessungen eingesetzten Geräten bestand in der Befestigung der Magnetna-del: Im Gegensatz zu der üblichen Spitzenlagerung war die Magnetnadel inCoulombs Kompass an einem Seidenfaden aufgehängt. Durch diese techni-sche Veränderung war Coulombs Gerät deutlich empfindlicher als alle bisherverfügbaren. Dies wird auch an der Formulierung deutlich, die Coulomb derBeschreibung des von ihm verwendeten Kompasses in der Eingabe zur Preis-aufgabe (s.o.) voranstellte:

..., j’ai fait executer une boussole, sans presque le secours d’aucun Artiste, avec laqu-elle j’observe, depuis cinq mois, la variation diurne avec une precision, que l’on nepourra jamais esperer avec des Aguilles a chappe [sic] suspendues sur des pivots(Coulomb 1780, S. 212)

Cassini wollte das Gerät anschließend verwenden, offensichtlich gab es abereine Reihe von Problemen, so dass Coulomb nach seiner Versetzung nachParis – die mit der Aufnahme in die Akademie eng verbunden war – zu diesenMessungen hinzugezogen wurde. Bereits in der veröffentlichten Fassung derAbhandlung hatte er einen weiteren Kompass beschrieben, der dem ur-sprünglichen überlegen sein sollte. In der Zusammenarbeit mit Cassini ent-stand dann ein drittes Gerät, das für entsprechende Messungen eingesetztwerden sollte.

In diesem Beitrag diskutieren wir die Entwicklung dieser drei Geräte sowiedie Konsequenzen, die die jeweiligen Veränderungen für den experimentellenUmgang mit dem resultierenden Instrument hatten. Im Gegensatz zu frühe-ren Studien (beispielsweise Gillmor 1971, Blondel 1994 und Licoppe 1995)greifen wir im Rahmen unserer Analyse auch auf Erfahrungen im Umgang

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mit dem Nachbau eines der Geräte zurück. Daneben werden wir möglicheMotive für die Entwicklungslinie des Geräts analysieren. In diesem Zusam-menhang erscheint es uns wesentlich, auch das Verhältnis der beiden an demExperiment beteiligten Wissenschaftler näher zu betrachten.

Die Geräte I: Evolution einer Messapparatur

Die erste Version seines Instrumentes (siehe Abbildung 1) beschrieb Coulombin dem Beitrag für die Preisaufgabe der Akademie der Wissenschaften. Beidiesem Gerät wird die Magnetnadel6 an einem Seidenfaden aufgehängt undihre Position mittels einer Lupe bestimmt.

Das Neue und Innovative bei diesem Instrument bestand in der Befesti-gung der Magnetnadel. An zwei Punkten der Magnetnadel wurde ein Seiden-faden befestigt; dieser wurde in einen S-förmigen Haken, der am Ende eineszweiten Seidenfadens hing, eingehängt. Hierdurch war die Magnetnadel imGerät frei drehbar und konnte sich entsprechend im Erdmagnetfeld ausrich-ten. Ihre Position konnte dann mit Hilfe einer Lupe bestimmt werden. DieLänge der Magnetnadel entsprach in etwa der Länge des zweiten Seidenfa-dens.

Das andere Ende des zweiten Seidenfadens wurde bei diesem Gerät imDeckel eines hohlen Quaders befestigt, der den Seidenfaden vor Luftbewe-gungen und anderen äußeren Einflüssen schützen sollte (siehe Abbildung 1,Fig. 12, no. 1 und 2). Der gesamte Korpus des Kompasses stellte damit einen

Abb. 1. Kompass der ersten Generation.7

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geschlossenen Kasten dar. Das Material dieses Kastens bestand nahezu aus-schließlich aus Kupfer, lediglich die der Ablesevorrichtung zugewandten Seitebestand aus einer Glasplatte, durch die die Position der Magnetnadel beob-achtet werden konnte.8

Am nach Norden weisenden (borealen) Ende der Magnetnadel war eineNadel als Zeiger befestigt, dessen Position mit Hilfe einer festinstalliertenLinse beobachtet werden konnte (siehe Abbildung 1, Fig. 12, no. 2). ZurErhöhung der Ablesegenauigkeit war innerhalb des Gehäuses ein Kreisbogeninstalliert worden (siehe Abbildung 2). Diese ist erforderlich, da sich die Ver-änderungen der Deklination im Laufe eines Tages in einer Größenordnungvon maximal 10ø bewegen.

Es ist erkennbar, dass die Skala in vier gleichmäßige Bögen unterteilt ist.Die darauf erkennbaren Teilstriche sind in 16 Minutenteile untergliedert, sodass eine Skala mit vierminütigen Abständen entsteht. Unseres Erachtenssollte es einem geübten Beobachter möglich sein, eine derartige Skala minu-tengenau abzulesen.9

Problematisch erscheint dagegen die technische Realisierung der Ablese-vorrichtung: Durch die feste Verankerung der Beobachtungseinheit entstehtein Ablesefehler, da bei einer größeren Deklination ein zusätzlicher Durch-blickwinkel10 auftritt.

Dieses Detail des Geräts erfährt bereits eine Veränderung in der zweitenVersion des Kompasses, die Coulomb in einem Anhang der veröffentlichten

Abb. 2. Kreisbogen innerhalb des Gehäuses des Kompasses der ersten Generation.

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schriftlichen Fassung seiner ursprünglichen Abhandlung beschrieben hatte(siehe Abbildung 3).11

Die Modifikation der Ablesevorrichtung war die auffälligste und unseresErachtens auch wichtigste Neuerung bei dem Kompass der zweiten Generati-on: Diese war nun ein Zweilinsensystem, welches eine stärkere Vergrößerunggegenüber einem Einlinsensystem ermöglichte. Außerdem wurde in dieses

Abb. 3. Kompass der zweiten Generation.

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neue System an der Stelle f ein Seidenfaden eingezogen (siehe Abbildung 3,Fig. 2, no. 2), der als ein Hilfsmittel zur genauen Ablesung diente.

Aber auch das bezüglich der Ablesevorrichtung der ersten Version ange-sprochene Problem scheint erkannt worden zu sein, zumindest war die in derzweiten Version konstruierte Vorrichtung nicht mehr fest verankert, sondernwurde über das Ende der abzulesenden Magnetnadel geschoben. Dabei wardie Beobachtungseinheit mittels einer Alihade mit dem Teil des Kompassesverbunden, in dem der Seidenfaden aufgehängt war. Dieser war jetzt zylin-drisch, somit konnte die Ablesevorrichtung für die Messung über das Endeder Magnetnadel gedreht werden. An der Traverse PPø (Abbildung 3, Fig. 1)konnte dann die Deklination abgelesen werden. Durch diese Veränderungwar es möglich, dass die Ablesevorrichtung so eingestellt wurde, dass immersenkrecht auf die Magnetnadel gepeilt werden konnte und somit der Ablese-fehler minimiert wurde.

Die Veränderung der Ablesung hat sich auch auf das Design der Magnet-nadel ausgewirkt, diese bestand nicht mehr aus einem magnetischen Metall-plättchen mit angebrachtem Zeiger. Statt dessen war sie nun pfeilförmig undhatte am Ende ein Kupferplättchen, in das eine Markierung mittig eingear-beitet war (siehe Abbildung 3, Fig. 2, no. 2). Die Ablesevorrichtung wurdeim Experiment so verschoben, dass der eingesetzte Seidenfaden mit dieserMarkierung zur Deckung kam. Die Deklination konnte im Anschluss wiebeschrieben auf der Traverse PPø abgelesen werden. Zur Ablesegenauigkeitdieses Kompasses schreibt Coulomb: »... comme on le pratique pour tous lesInstruments a donner les angles avec precision.« (Coulomb 1780, S. 216).12

Darüber hinaus wurde auch die Aufhängung der Magnetnadel geändert:In dieser Version gab es lediglich einen Aufhängepunkt b (siehe Abbildung3, Fig. 2, no. 3). Dieser lag nicht im mechanischen Schwerpunkt der Magnet-nadel, sondern in deren magnetischem. Aus diesem Grund wurde auch einGegengewicht an der australen Seite der Magnetnadel angebracht.13

Eine weitere interessante Veränderung war das Verhältnis zwischen derAufhängung der Magnetnadel und deren Länge. Die Magnetnadel war beidieser Konstruktion nahezu doppelt so lang wie die Seidenfadenaufhängung,was eine Abnahme der Störanfälligkeit zur Folge haben musste.14

Offensichtlich entsprach dieser Kompass aber immer noch nicht den An-forderungen (oder den Ansprüchen) der Experimentatoren. In einer zweitenPublikation (Coulomb 1788) beschrieb Coulomb eine weitere Ausführung,die eine Weiterentwicklung der bisher diskutierten Instrumente darstellt.

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Dieses Gerät besteht aus drei Teilen, der Magnetnadel mit ihrer Aufhän-gung sowie der Ablesevorrichtung (Abbildung 4, Fig. 1) und dem Gehäuse(Abbildung 5, Fig. 5).

Dieses Gerät – das im Rahmen unserer Untersuchungen auch nachgebautworden ist – kann als konsequente Weiterentwicklung der vorherigen angese-hen werden. So sind die Vorzüge beider Vorgängermodelle in diese Konstruk-tion eingeflossen. Eine zusätzliche Neuerung ist die Trennung von Gehäuseund eigentlichem Messgerät. Bisher erfolgte die Befestigung des oberen Endesdes Seidenfadens im oberen Teil des Quaders bzw. der Röhre. Bei diesemGerät gibt es eine eigenständige Halterung, das Gehäuse wird in zwei Teilenauf den zusammengesetzten Kompass geschoben. Dies könnte den Vorteilgehabt haben, dass es hierdurch einfacher wurde, die Magnetnadel im Mess-instrument auszutauschen.15 Die Materialität des Windschutzes bleibt dabeiweitgehend unverändert, auch hier wird wieder Kupfer verwendet, nur ober-halb des borealen Endes der Magnetnadel war eine Glasscheibe in den Kup-ferkorpus eingesetzt.

Aus dem Kompass der zweiten Generation wurde die Aufhängung und dieForm der Magnetnadel übernommen; lediglich das Kupferplättchen an der

Abb. 4. Der Kompass der dritten Genera- Abb. 5. Der Kompass der 3. Generation mittion, die Messapparatur. Gehäuse.

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Spitze wurde durch ein Silberplättchen ersetzt.16 Die Aufhängung des Seiden-fadens wurde mittels einer Kupfergabel realisiert (siehe Abbildung 4, Fig. 1).Eine erneute Veränderung erfuhr die Ablesevorrichtung. Sie war nun nichtmehr mit der Aufhängung verbunden (und entspricht in dieser Hinsicht derdes Kompasses der ersten Generation). Allerdings erhielt sie einen eigenenMesstisch, unter dem der untere Teil des Gehäuses hindurch geschoben wer-den konnte. Durch diese Konstruktion der Ablesevorrichtung wurde zwar inKauf genommen, dass die Beobachtung nicht mehr auf der Kreisbahn derMagnetnadel verlief. Hieraus resultiert ein (wenn auch kleiner) Ablesefehler,gleichzeitig waren aber die für die Bestimmung des Messwertes erforderlichenEinstellungen unproblematischer. Aufgrund dieser Änderung musste auchdas Linsensystem verändert werden: bedingt durch die andere Art der Ein-stellung reichte es nämlich nicht mehr aus, einen Seidenfaden zwischen denLinsen der Ablesevorrichtung zu haben. Vielmehr war nun für eine exakteMessung ein Fadenkreuz erforderlich; dieses wurde mit zwei Seidenfäden rea-lisiert. Mit dem angebrachten Nonius (siehe Abbildung 4, Fig. 4) auf demMesstisch war es möglich minutengenau zu messen. Außerdem wurde einweiterer Aspekt der ersten Generation übernommen. Die Magnetnadellängeentsprach wiederum der Länge der Seidenfadenaufhängung.

Aus unserer Sicht stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie diehier beschriebene Evolution eines neuen wissenschaftlichen Instruments zuerklären ist. Diese Frage erscheint uns in diesem Fall besonders interessant,weil zwei von ihrer fachlichen Sozialisation her sehr unterschiedliche Wissen-schaftler an der Weiterentwicklung beteiligt waren: der Militäringenieur Cou-lomb und der Astronom Cassini. Daher wollen wir im Folgenden diese Zu-sammenarbeit dahingehend hinterfragen, wie hieraus die oben beschriebenenWeiterentwicklungen des Geräts erklärt werden können.

Die Praxis I: Eine Zusammenarbeit mit Hindernissen

Im August 1780 stellte der damalige Leiter des Pariser Observatoriums JeanDominique Cassini de Thury (1748–1845), besser bekannt als Cassini IV,17

den Gebrauch von spitzengelagerten Kompassen nach dem Vorbild von Le-monnier ein und bestellte entsprechende Geräte nach Coulomb (Gillmor1971, S. 146).18 Dies ist darauf zurückzuführen, dass Cassini das Potential angrößerer Genauigkeit, das die neuen Geräte versprachen, nutzen wollte (Cas-

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sini 1791, S. 9). Hiermit schienen Messungen zur täglichen Veränderung desErdmagnetfeldes möglich; diese wurden mit den neuen Geräten in der Zeitvon August 1780 bis September 1781 im Observatorium durchgeführt. Beiden Experimenten traten Probleme auf, so dass die Messwerte keine sinnvolleAuswertung erlaubten. Wesentlich für diese Einschätzung war die Beobach-tung, dass die Magnetnadel sich bei der Ablesung sofort stark bewegte. Cou-lomb erklärte sich diese Probleme durch vorbeifahrende Kutschen, die Vibra-tionen verursachen sollten und damit die Magnetnadel in Schwingung ver-setzten (Gillmor 1971, S. 147). Als weitere Störungsquelle vermutete Cassinimeteorologische Veränderungen, wie beispielsweise Schwankungen im Luft-druck, Veränderung der Windrichtung, etc. (Cassini 1791, S. 9).

Im Dezember 1781 wurde Coulomb in die Pariser Akademie aufgenom-men und praktisch sofort mit der Unterstützung Cassinis bei den Untersu-chungen zur täglichen Veränderung der Deklination beauftragt. Eine seinerersten Aktivitäten im Rahmen dieser Zusammenarbeit bestand in der Anord-nung, dass zwei identische Geräte gebaut werden sollten. Diese sollten dannmit gleichartigen Magnetnadeln bestückt werden, von denen die eine gesät-tigt, die andere deutlich schwächer magnetisiert worden war. Da beide Ma-gnetnadeln bei den Messungen gleiche Ergebnisse zeigten, konnten Luftwi-derstandseffekte als Erklärung der Irregularitäten ausgeschlossen werden.

In der Folgezeit wurde systematisch versucht, die Messungen der täglichenVeränderung der Deklination mit den Kompassen zu stabilisieren. Dabeischeint es eine Art Arbeitsteilung gegeben zu haben, zumindest entsteht die-ser Eindruck aus der Kommunikation zwischen Coulomb und Cassini, die ineiner Reihe von Briefen dokumentiert ist.19 Letzterer beschrieb in seinen Brie-fen die Ergebnisse und die bei den Messungen aufgetretenen Probleme. Indiesen Briefen wird deutlich, dass Cassini die Messungen selber durchgeführthat. Coulomb beantwortete diese Briefe mit Verbesserungsvorschlägen, dieer im Wesentlichen theoretisch entwickelt zu haben scheint. Zumindest gibt esin den Briefen keinerlei Hinweise darauf, dass Coulomb ebenfalls mit einementsprechenden Kompass gearbeitet hatte. Allerdings – und dies ist ein weite-rer Aspekt ihrer Arbeitsteilung – beschäftige sich Coulomb verstärkt mit derVerbesserung der Magnetnadeln;20 hier scheint Cassini sich vollständig aufCoulombs Kompetenzen verlassen zu haben.

Bevor auf die Zusammenarbeit näher eingegangen werden wird, soll zu-nächst ein Aspekt angemerkt werden, der für die Diskussion bedeutsam ist:Es ist nicht klar, mit welchen Geräten Coulomb und Cassini gearbeitet haben.

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Licoppe (1995) nimmt zwar an, dass es sich hierbei um einen Kompass derersten Generation gehandelt habe, aber wie sich aus unserer Analyse zeigenwird, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass spätestens die beiden identischenKompasse Geräte der zweiten Generation waren.

In den Briefen Cassinis wird deutlich, dass die Geräte weiterhin das Verhal-ten zeigten, dass sich die Magnetnadel bewegte, sobald er in die Nähe derApparatur kam (Licoppe 1996, S. 274). Als eine Erklärung schlug Coulombvor, dass Cassinis Körper statisch aufgeladen sein könnte. Er forderte daher,dass sich der Ablesende vor der Ablesung des Messgeräts länger im Vorraumaufzuhalten habe. Daneben begann Coulomb zu fordern, dass die Geräte aneinem anderen Ort aufzustellen seien: bislang waren sie im ersten Stock desObservatoriums, in unmittelbarer Nähe zu Cassinis Appartement, aufge-stellt.21 Nach Coulombs Vorstellungen sollten sie in einen der Kellerräumeverlegt werden.22 Diese Forderung begründete Coulomb damit, dass dieFeuchtigkeit des Raumes dazu dienen sollte, mögliche elektrische Ladungenabfließen zu lassen, die zu einer Beeinflussung der Messungen führenkonnten.

Il est probable que l’humidite qui regne dans les caves detruit l’electricite de l’air, ouqu’au moins, comme les courants d’air n’y peuvent pas penetrer, le degre d’electricitedoit etre partout uniforme [...] mais il est essentiel que celui qui sera charge desobservations reste quelque temps dans ces caves avant observer pour se degager detoute l’electricite dont il pourrait etre charge avant descendre (Coulomb: Brief anCassini (A.O.))

Außerdem schloss die gleichmäßige Temperatur des Raumes die Möglichkeitvon thermischen Strömungen als Störungsquelle nahezu aus (Cassini 1791,S. 10–13).

Cassini sträubte sich zunächst gegen diese Vorschläge Coulombs, vermut-lich auch deshalb, weil er derjenige war, der mehrmals täglich die 171 Stufenzum Keller hinab und wieder hinauf steigen musste. Letztlich setzte sich Cou-lomb durch und am 15. Mai 1782 wird eine Messreihe im Keller des Observa-toriums gestartet, die elf Tage andauerte. Diese Maßnahme scheint aber im-mer noch nicht ausreichend gewesen zu sein, auch ein Schutz der Magnetna-del durch ein metallisches Gehäuse führte nicht zu einem befriedigendenErgebnis.23 Als letzte Maßnahme wird der Seidenfaden durch einen Metallfa-den ersetzt. Nun verhält sich zwar die Magnetnadel so, dass Coulomb undCassini davon ausgehen können, die Irregularitäten in deren Bewegung besei-

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tigt zu haben, gleichzeitig wurde aber zumindest aus Sicht Coulombs einneues Problem geschaffen: er hatte den linearen Zusammenhang zwischenTorsionskraft und Winkel der Torsion lediglich für Seidenfäden demonstriert,nicht aber für Metallfäden. Diese Untersuchung wurde die nächste eigenstän-dige Arbeit Coulombs, ihre Ergebnisse präsentierte er im Rahmen der öffent-lichen Akademiesitzung vom 4. September 1784.24 Cassini setzte dagegen sei-ne Untersuchungen der täglichen Veränderung des Erdmagnetfeldes fort.Hierbei arbeitete er mit Cotte25 zusammen, wobei sie einen weiteren Kompassverwendeten, der sich in einigen Details von dem der dritten Generation un-terscheidet; auf dieses Gerät werden wir am Ende unseres Beitrags zurück-kommen. Zuvor soll aber auf die Erfahrungen im Umgang mit dem Nachbaudes Kompasses eingegangen werden.

Die Praxis II: Erfahrungen mit dem Nachbau im Rahmen derReplikation

Für die Analyse der experimentellen Praxis wurde ein Kompass der drittenGeneration nachgebaut; die Entscheidung, sich auf dieses Gerät zu konzen-trieren hatte mehrere Gründe. Zunächst einmal stand es am Ende einer Ent-wicklungskette und besaß somit möglicherweise das Potential, nachträglicheine Beurteilung über die Funktionalität des Messgeräts und die Notwendig-keit der Weiterentwicklungen zu treffen. Ein weiterer Grund war die guteQuellenlage, welche sich insbesondere durch eine detaillierte Beschreibungder Maße anhand eines Kupferstiches in Coulomb (1788) darstellte. Hieraufwaren wir im Rahmen der Analyse mit der Replikationsmethode angewiesen,da kein Originalinstrument im Pariser Observatorium vorhanden war.26

Der Nachbau wurde in den Werkstätten der Universität Oldenburg mitquellengetreuen Materialien ausgeführt. Die Aufbauten (Aufhängung, Able-sevorrichtung) wurden aus Kupfer gefertigt, wie es in der Veröffentlichungbeschrieben ist. Die Seidenfadenaufhängung ist mittels eines Bundes von 45handgezogener Seidenfäden realisiert worden. Die Konstruktion der Ablese-vorrichtung, insbesondere die Herstellung eines Fadenkreuzes innerhalb desTubus, war eine handwerklich anspruchsvolle Aufgabe. Die Seidenfäden wur-den mit Hilfe von Schellack in dem Tubus befestigt. Bei der Herstellung derMagnetnadeln traten die größten Probleme auf. Die vorliegenden Magnetna-deln wurden aus einem niederlegierten Kohlenstoffstahl hergestellt. Dieses

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Abb. 6. Nachbau des Kompasses der 3. Generation Abb. 7. Ansicht des Nachbaus desohne Gehäuse. Kompasses der 3. Generation mit

Gehäuse.

Material entspricht weitestgehend dem Stahl, der historisch zur Herstellungvon Magneten genutzt wurde (Bartels 1998). Coulomb forderte, dass derStahl der Magnetnadel gehärtet werden sollte (vgl. Coulomb 1788, S. 561f.).Dies war nur von einer Spezialwerkstatt durchführbar, die noch die soge-nannte Salzbadhärtung praktizierte.

Um die Messungen mit dem Nachbau (siehe Abbildung 6 und Abbildung7) beginnen zu können, musste ein Ort für die Messungen gefunden werden.Es wurde entschieden, an zwei Orten mit unterschiedlichen Schwerpunktenzu messen; zum einen im Freifeldversuch, um die Funktionalität zu überprü-fen und die Deklination bestimmen zu können; zum anderen in der Laborsi-tuation, um Einflüsse auf die Messung (die neben der Erwähnung in denVeröffentlichungen von Coulomb (s.o.) auch im Freifeldversuch auftraten)beurteilen zu können.

Für die Durchführung der Messungen im Freifeldversuch mussten äußereRahmenbedingungen geschaffen werden, die in etwa denen von Coulomb undCassini entsprachen. Außerdem war zu beachten, dass aufgrund der geringenVeränderung der Deklination und der geringen Stärke des Erdmagnetfeldesein Ort gewählt werden musste, der möglichst störungsfreie27 Messergebnissegewährleistete. Es wurde ein Waldstück außerhalb jeglicher Bebauung ge-wählt. Die Messungen wurden in einem umgebauten Messschrank für terre-

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strische Vermessungen von Ölfeldern durchgeführt. Zur Abschätzung derGüte der gemessenen Deklinationsveränderungen wurden die Messergebnissemit dem erdmagnetischen Observatorium in Wingst verglichen.28 Es zeigtesich im Freifeldversuch, dass valide Messungen nach Ausschluss potentiellerFehlerquellen mit dem nachgebauten Kompass kaum möglich waren. Diebereits in den Originalveröffentlichungen behauptete hohe Störanfälligkeitdes Geräts (Coulomb 1788 und Cassini 1791) zeigte sich im Vorfeld auch beidem Nachbau. Diese beschränkte sich nicht nur auf mechanische Störungendurch Erschütterung, sondern betraf auch solche hervorgerufen durch gerin-ge Luftbewegungen. Es war selbst bei allergrößter Vorsicht29 nicht möglicheine Messreihe aufzunehmen. Sobald man sich an das Gerät annäherte er-folgte ein deutlicher Ausschlag und die Magnetnadel, die mehrmals am Tagabgelesen werden musste, konnte sich kaum in ihrer derzeitigen Ruhelageeinschwingen. Aus diesem Grund wurde der Aufbau des Messgeräts modifi-ziert. Wie Abbildung 5 zeigt, fehlt bei der dritten Generation ein Schutz amaustralen Ende der Magnetnadel, d.h. das Gehäuse ist hier offen. Es wurdenun ein zusätzlicher Holzwinkel angefertigt, der diesen Teil abschloss. Hier-durch wurden Luftbewegungen in unmittelbarer Nähe der Magnetnadel aus-geschlossen. Die folgenden, mit dem Windschutz durchgeführten Messungenwaren vergleichbar mit denen des erdmagnetischen Observatoriums Wingst,30

woraus die Funktionalität der Messapparatur gefolgert werden kann. DieMessungen wurden zwei Wochen mit dem modifizierten Aufbau durchge-führt, wobei bei der Ablesung größte Vorsicht und Sorgfalt zu beachten war,im Hinblick auf die Empfindlichkeit durch mechanische Störungen. Bei Her-antreten an den Kompass kam es lediglich zu kleinen Schwingungen, so dassein Ablesen nach kurzer Zeit möglich war.31 Die Frage nach der Herkunftder Schwingungen führte zu Experimenten im Labor, welche hauptsächlichdazu dienten, definierte Bedingungen herzustellen und Einflussfaktoren zuüberprüfen. Diese Experimente waren aufgrund der bereits beschriebenenRahmenbedingungen nicht als quantitative Messungen geeignet. Sie befass-ten sich zunächst mit dem Einfluss von Luftbewegungen, d. h. die Experimen-te sind zunächst ohne Windschutz durchgeführt worden. Dabei war eine Be-stimmung bzw. Ablesung von Messwerten nicht möglich, da die Magnetnadelpermanent schwang und nicht zur Ruhe kam. Es hatte den Anschein, alsseien allein die Konvektionsströmungen, die durch die Körperwärme des Ex-perimentators entstehen, ausreichend, um die Magnetnadel zum Schwingenzu bringen. Bei weiteren Experimenten, in denen das Gehäuse geschlossen

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wurde, war eine Messung eher möglich, allerdings waren die verbliebenenSchwingungen größer als bei den Freifeldmessungen. Diese ließen sich aufelektrische Störungen, hervorgerufen durch mögliche elektrostatische Ladun-gen auf dem Körper des Experimentators,32 zurückführen. Um diesen Ein-flussfaktor genauer zu untersuchen, wurde anschließend eine Messung einerzusätzlichen Aufladung des Experimentators mittels einer Elektrisiermaschi-ne durchgeführt, bei der es zu deutlich größeren Ausschlägen kam als zuvor.Hieraus erscheint es plausibel, dass die Umstände des Freifeldversuches(feuchte Umgebung) positiv auf das Gelingen des Nachvollzugs gewirkt ha-ben.33 Außerdem ist aus dem oben dargestellten Versuchen im Labor deutlichgeworden, dass eine bereits geringe und nicht detektierbare elektrostatischeLadung zum Misslingen des Versuches führen kann.

Diese Schlussfolgerung wurde durch Experimente mit einer Kupferaufhän-gung gestützt; alle bisher beschriebenen Messungen wurden mit einer Seiden-fadenaufhängung (wie es ursprünglich auch von Coulomb beschrieben wur-de) durchgeführt. Für die Bestimmung des Einflusses von Luftbewegungenauf die Messung sind die Ergebnisse mit der modifizierten Aufhängung (Kup-ferdraht) vergleichbar mit denen mit der Seidenfadenaufhängung. Es reichtenebenfalls kaum spürbare Luftbewegungen aus, eine Ablesung unmöglich zumachen. Bei den Überprüfungen des Einflusses von elektrostatischen Ladun-gen auf die Experimente zeigte sich, dass die beschriebenen Effekte nun (beiden Freifeldversuchen) nicht mehr vorhanden waren. Dass heißt, dass dieInfluenzwirkung durch elektrostatische Aufladungen keinen Einfluss auf dasVerhalten der Magnetnadel ausübte. Auch unter den Laborbedingungen zeig-te sich, dass die Kupferdrahtaufhängung diesen Effekt so deutlich ab-schwächte, dass eine Messung grundsätzlich möglich war.

Aus diesen Experimenten ergibt sich, dass bei den Freifeldmessungen miteiner Seidenfadenaufhängung auch geringe elektrostatische Ladungen vor-handen waren, diese jedoch die Messung nicht signifikant beeinflussten. Da-gegen konnten die Influenzeffekte im Labor nicht kompensiert werden, wes-halb hier keine Messungen möglich waren. Dass dies aber unter Verwendungeiner Kupferdrahtaufhängung gelang, zeigt, dass die angesprochenen Schwie-rigkeiten auf die durch die Ladung des Experimentierenden verursachte In-fluenzwirkung zurückzuführen ist. Insofern hat Coulombs entsprechende An-nahme, die er in einen Brief an Cassini beschrieb (s.o. Coulomb: Brief anCassini (A.O.)), durch die Erfahrungen im Nachvollzug an Plausibilität ge-wonnen.

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Die Geräte II: Neuinterpretation der Evolution

Wenn die Ergebnisse und vor allem die Erfahrungen im Umgang mit demNachbau zur Analyse der drei oben beschriebenen Geräte herangezogen wer-den, dann lassen sich eine Reihe von konstruktiven Veränderungen plausibelbeschreiben: So hat sich gezeigt, dass die Nadel sehr empfindlich auf jeglicheArt von Erschütterungen reagiert. Insofern ist es mit diesen Erfahrungendurchaus plausibel, dass vorbeifahrende Kutschen zu einer Störung der Mes-sung führen konnten, wenn das Gerät an einem ungünstigen Ort aufgestelltworden war. In diesem Zusammenhang sind zwei der konstruktiven Verände-rungen beim Übergang von der zweiten zur dritten Generation sehr plausibelgeworden: Derartige Vibrationen haben sicherlich einen kleineren Einfluss,wenn das gesamte Gerät auf einem Marmorblock steht. Dagegen erscheintdie Konzeption der Ablesevorrichtung des Kompasses der zweiten Generati-on aufgrund der gemachten Erfahrungen nicht praxistauglich: Der mechani-sche Kontakt der Alihade mit der Aufhängung der Nadel kann dazu führen,dass beim Verstellen der Alihade zum Ablesen der Position der Nadel diesein Schwingungen gerät. Insofern erscheint die Trennung von Nadelaufhän-gung und Ablesevorrichtung, wie sie dann beim Kompass der dritten Genera-tion erfolgte, eine folgerichtige Weiterentwicklung des Geräts.

Gleichzeitig bietet dieser Aspekt auch einen Hinweis auf das Gerät, das wäh-rend der Zusammenarbeit von Coulomb und Cassini verwendet worden ist:

..., je m’appliquois de mon cote a perfectionner leur monture, leur enveloppe & leuretablissement. Jusqu’alors l’etrier, qui portoit le fil de suspension, n’etoit fixe que surune forte semelle, d’un bois, a la verite, tres-sec & tres-epais; la boıte de bois quiservoit d’enveloppe, & le micrometre, etoient egalement assis sur cette meme base,dont le moindre jeu pouvoit communiquer du mouvement a tout l’equipage. (Cassini1791, S. 16)34

Dieses Zitat bezieht sich auf die Messungen vom 14.06.1782–25.07.1782, alsounmittelbar nach dem »Keller-Intermezzo«. Außerdem wird in der Veröffent-lichung von Cassini nicht die Verwendung eines neuen Kompasses beschrie-ben. Das ist auch ein deutlicher Hinweis auf die Nutzung eines Kompassesder zweiten Generation. Ein weiterer Hinweis auf diese Schlussfolgerung wirdgeliefert durch das folgende Zitat:

... puisque monsieur De Cassini a presque toujours trouve [qu’en] touchant memeinsensiblement le micrometre oscilloit et changeoit du place: il a egalement trouve

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qu’en d’approchant [...] sans toucher a la boussole, elle prenait [...] un mouvementoscillatoire considerable ... (Coulomb: Brief an Cassini (A.O.)).

Der von Coulomb angesprochene Appell der höheren Vorsicht und die Auf-forderung den Kompass nicht zu berühren (siehe oben) macht nach unsererEinschätzung nur beim Kompass der zweiten Generation Sinn. Im Rahmender Messungen mit dem Nachbau sind derartige Schwierigkeiten nicht aufge-treten und es erscheint uns auch nicht ersichtlich, wie es zu derartigen Proble-men mit diesem Gerät kommen könnte. Ebenso wenig ist es klar, wie dieseSchwierigkeiten mit einem Kompass der ersten Generation entstehen würde,insofern ist dies nach unserer Lesart ein deutlicher Hinweis darauf, dass zudiesem Zeitpunkt der Zusammenarbeit ein Kompass der zweiten Generationverwendet worden ist.

Daneben zeigte sich auch, dass ein feuchter Raum günstiger für die Mes-sung ist und die elektrische Aufladung des Körpers des Ablesenden zu einerStörung führt, wenn diese Person zum Ablesen an das Gerät tritt. Insofernerscheint Coulombs Forderung, das Gerät im Keller aufzustellen, rationalnachvollziehbar. Allerdings, und dies relativiert diese Aussage, ist überhauptnicht einsichtig, warum das Gehäuse des Kompasses der dritten Generationnicht vollständig geschlossen worden ist und aus welchen Gründen die Sei-denfadenaufhängung verlängert wurde. Dies erscheint umso unverständli-cher, als sich hierdurch eine deutlich erhöhte Störanfälligkeit ergeben hat.35

Plausibel wird diese vermeintliche (und vermeidliche) Schwäche des Ge-räts, wenn die Diskussionen zwischen Coulomb und Cassini zur Analyse hin-zugezogen werden: Coulomb wollte das Gerät in einem speziellen Raum auf-gestellt haben, zu dem nur Cassini oder ein vergleichbar guter Experimenta-tor36 Zugang hatte. Zudem sollte diese Person zunächst im Vorraum wartenund sich dann nur sehr langsam und vorsichtig bewegen, damit sie sich nichtweiter elektrisch auflädt. Genau dieses Verhalten wird aber durch eine kon-struktiv bedingte Empfindlichkeit des Geräts gegen jegliche Art von Zugluftund kleinster mechanischer Störungen produziert. Dies bedeutet, dass diescheinbare Unzulänglichkeit eine materialisierte Verhaltensanweisung für denBeobachter darstellte. Gleichzeitig machte die Störanfälligkeit des Gerätsdessen Aufstellung in einem separaten Raum erforderlich und eine Demon-stration der Messung für ein Publikum unmöglich. Dies lässt sich gerade amBeispiel Coulombs für eine Reihe weiterer Experimente konstatieren, so sind

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auch weitere elektrische Experimente Coulombs aufgrund der Störanfällig-keit der Instrumente nicht vorführbar (Heering 1998).37

Dieses Verschieben des experimentellen Raums aus der Öffentlichkeit inabgeschlossene, nur noch für wenige Experten zugängliche Räumlichkeitenlässt sich retrospektiv als ein wesentlicher Aspekt einer Professionalisierungder experimentellen Praxis auffassen. Gleichzeitig ist diese Veränderung, diesich gerade in Frankreich in den 1780er Jahren entwickelte, auch politischinterpretierbar: Es ist nicht mehr der aufgeklärte Mensch, der die Natur inihren Gesetzmäßigkeiten durch eigenes in Augenschein nehmen versteht, son-dern es sind wenige Personen einer elitären Führungsschicht, die dieses lei-sten.

In diesem Kontext ist der Keller des Observatoriums ein idealer Raum,denn er ist einerseits unzugänglich, andererseits aber auch durchaus promi-nent als abgeschlossener Raum: Hier hatte Lavoisier – einer der Wissen-schaftler, die mit Coulomb ein Denkkollektiv bildeten – seine thermometri-schen Untersuchungen durchgeführt, die zum Zeitpunkt der Zusammenar-beit zwischen Coulomb und Cassini großes Ansehen besaßen.

Wenn die Zusammenarbeit zwischen Coulomb und Cassini betrachtetwird, so ist deutlich, dass Coulomb als treibende Kraft die Verschiebung desexperimentellen Raums forciert. Cassini dagegen ist derjenige, der dies zu-nächst vermeiden will. Dies muss aber nicht in dem skizzierten politischenKontext gelesen werden, Cassini ist schließlich derjenige, der die Messungtatsächlich ausführen muss. Coulomb dagegen hat – zumindest in dieser Zu-sammenarbeit – einen eher theoretischen Zugang zu dem vordergründigenProblem, der Bestimmung der täglichen Veränderung des Erdmagnetfeldes.Und hierbei kann dann allerdings die anfangs angesprochene unterschiedli-che Ausbildung der beiden Wissenschaftler einen ganz wesentlichen Anteilan der Rollenverteilung gehabt haben: Es ist der Astronom, der eine Vielzahleinzelner Beobachtungen durchführen muss. Der Ingenieur dagegen ist mehran der prinzipiellen Fragestellung der Machbarkeit der Messungen interes-siert. Aber möglicherweise resultiert dieser Unterschied auch aus der Vorge-schichte der Zusammenarbeit: Es war Cassini, der die Messungen ursprüng-lich durchführen wollte, und Coulomb, der von der Akademie aufgefordertworden war, bei der Überwindung der aufgetretenen Schwierigkeiten mitzu-arbeiten. Und diese Rollen haben beide erfolgreich ausgefüllt.

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Epilog

Wie bereits angedeutet endete mit der Zusammenarbeit von Coulomb undCassini nicht der Versuch, die tägliche Variation des Erdmagnetfeldes zu be-stimmen. Cassini arbeitete weiterhin mit Cotte an entsprechenden Messungenund konnte schließlich 1791 eine umfangreiche Abhandlung hierzu publizie-ren, in der er neben der Beschreibung des Messprinzips auch eine Reihe vonTabellen mit Messwerten veröffentlichte (Cassini 1791, S. 60f.).38 Bemerkens-werterweise wurden diese Messungen aber nicht mehr im Keller des Observa-toriums durchgeführt, sondern das Gerät wurde wieder in einem der übli-chen, für Beobachtungen verwendeten Räume aufgestellt. Aber auch das Ge-rät, das Cassini in seiner Abhandlung beschreibt (siehe Abbildung 8), wies

Abb. 8. Kompass von Cassini.

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eine wesentliche Veränderung zu dem von Coulomb beschriebenen auf: Ne-ben der Modifikation der Aufhängung der Magnetnadel ist insbesondere auf-fällig, dass das Gehäuse jetzt wieder geschlossen ist. Wie sich im Nachvollzuggezeigt hat, ist diese Modifikation ganz entscheidend für die täglich Verwend-barkeit des Geräts für Messungen.

Coulomb hingegen beschäftigte sich in der Folgezeit mit der unmittelbaraus dieser Abhandlung resultierenden Untersuchung des Torsionsverhaltensvon Metallfäden. Bereits zum Ende dieser Abhandlung wurde dann das Tor-sionsprinzip auf die Untersuchung der Reibung eines Zylinders in Wasserangewendet. In der Folge setzte Coulomb dieses Messprinzip auch für elektri-sche Untersuchungen ein. Bemerkenswert ist hierbei – und auch dies hat sichin entsprechenden Analysen seiner Experimente mit der Replikationsmethodegezeigt –, dass auch bei diesen Experimenten eine extrem hohe Empfindlich-keit und die damit verbundene Störanfälligkeit der Geräte in Kauf genom-men oder sogar bewusst herbeigeführt worden ist.39 Insofern erscheint auchder Entwurf der dritten Generation des Kompasses eindeutig von Coulombdominiert worden zu sein, während Cassini nach Ende ihrer Zusammenarbeitdarauf abzielte, das Gerät in ein alltagstaugliches Messinstrument zu uber-fuhren.

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ANMERKUNGEN

1. Wir bedanken uns bei der Landesbibliothek Oldenburg für die Erlaubnis, die Abbildun-gen 1, 2 und 3 aus Coulomb 1780 und die Abbildungen 4 und 5 aus Coulomb 1788nutzen zu dürfen, sowie bei der Bakken Library and Museum in Minneapolis für dieErlaubnis zur Verwendung der Abbildung 8 aus Cassini 1791. Die Abbildungen 6 und7 stammen von W. Golletz, Universität Oldenburg. Wir sind dem ‘Archive de l’Observa-toire’ zu Dank verpflichtet für die freundliche Unterstützung und für die Erlaubnis, das

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Archivmaterial nutzen zu dürfen. Außerdem danken wir dem ‘Archive de l’AcademieRoyale des Sciences de l’Institut de France Paris’ für die Möglichkeit der Nutzung derProces-Verbaux.

2. Als Standardbiografie für Coulomb kann immer noch Gillmor (1971) angesehen wer-den, für zusammenfassende und ergänzende Darstellungen sei auf Sibum (1997) undHeering (2003) verwiesen.

3. Die Veränderlichkeit des Erdmagnetfeldes war bereits seit dem 15. Jahrhundert bekannt;diese Arbeiten werden hier nicht diskutiert, da das Phänomen der Veränderung desErdmagnetfeldes in der historischen Situation unterschiedlich aufgefasst wurde (Balmer1956).

4. »Savants etrangers« ist die Kurzform für Memoires de mathematique et de physiquepresentees a l’Academie Royale des Sciences, par divers savants. Hierin publizierte diePariser Akademie der Wissenschaften ihnen übermittelte Arbeiten von Wissenschaft-lern, die nicht Mitglied der Akademie waren.

5. Das Gerät entstand vermutlich in Cherbourg, wo Coulomb als Militäringenieur statio-niert war und die entsprechende Abhandlung verfasste (siehe Brief von Coulomb anCassini (A.O.)). ((A.O.) steht als Abkürzung für Manuskripte aus dem ‘Archive del’Observatoire’ in Paris, welche die Signatur D533 tragen.)

6. Der Begriff der Magnetnadel wird bei der Beschreibung des Kompasses der erstenGeneration gewählt, obwohl es sich nicht um eine Magnetnadel im herkömmlichenSinne handelt, sondern um ein magnetisiertes Metallplättchen mit einem Zeiger. DieseForm wird sich später verändern und einer Nadel annähern. Aus diesem Grund haltenwir es für inhaltlich unproblematisch und für den Leser für verständlicher, bereits beider Beschreibung des ersten Kompasses von einer Magnetnadel zu sprechen.

7. Wir verwenden zur Bezeichnung der drei von Coulomb beschriebenen Kompasse denBegriff der Generation, da es sich nach unserer Auffassung hier um die Evolutioneines Instrumentes handelt, bei der sich bestimmte Eigenschaften im zeitlichen Verlaufverstärken, während andere zum Verschwinden gebracht werden.

8. Kupfer wurde zum Bau von Kompassen häufig verwendet, da es antimagnetisch ist undsomit im Gegensatz zu anderen Metallen die Magnetfeldmessung nicht beeinflusst.

9. Entsprechende Skalen zur möglichst genauen Ablesung von Winkeln waren in derAstronomie bereits seit langem üblich; sie finden sich beispielsweise an dem von TychoBrahe um 1569 beschriebenen Sextanten (Suhr & Nielsen 1995, S. 10 ff.). Eine entspre-chende Abbildung einer derartigen Skala findet sich in Brahes Astronomiæ instauratæmechanica (http://www.sil.si.edu/DigitalCollections/HST/Brahe/sil4-3-108a.htm, 09.Aug. 2004), für eine weitergehende Diskussion dieser Skalen siehe (http://courses.science.fau.edu/∂rjordan/bios/Brahe/Brahe_bio.htm, 09. Aug. 2004); für die entspre-chenden Hinweise sind wir Wilfried Suhr (Essen) zu Dank verpflichtet.

10. Der Durchblickwinkel beschreibt den resultierenden Winkel beim Ablesen der Skaladurch das Peilen über die Magnetnadelspitze.

11. Diese zweite Version stammt vermutlich aus dem Jahr 1780, zumindest findet sich inden Proces-Verbaux der Pariser Akademie der Wissenschaften unter dem Datum 26.April folgender Eintrag: »M. Coulomb est entre et a lu la description d’une nouvelleboussole pour observer les differences diurnes de la variation du compas ...« (S. 112r).Diese Arbeit wurde von Lemonnier, Borda, Bory, Leroy und Bossut begutachtet, dasGutachten wurde bereits am 10. Mai 1780 vorgestellt (Proces-Verbaux 1780, 124r–126r).

12. Coulomb selbst macht keine konkrete Maßangabe zur Genauigkeit der Ablesung. Ausder beschriebenen Verwendung eines Nonius zur Ablesung (Coulomb 1780, S. 216),

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lässt sich schlussfolgern, dass ebenso wie bei der vorhergehenden Generation eine minu-tengenaue Ablesung möglich gewesen sein sollte.

13. Daneben wurden möglicherweise auch Veränderungen bezüglich des Materials desKompasses vorgenommen: So sollte der Korpus zumindest bei den eingezeichneten Tra-versen BBø und PPø (siehe Abbildung 3 Fig. 1) aus Kupfer sein (Coulomb 1780, S.215). Jedoch existiert ein der Beschreibung im Wesentlichen entsprechender Kompassim ‘Instituto e Museo di Storia della Scienza di Firenze’ (Hackmann 1995, Bild Nr. 48und 49, S. 71–73 und Basso Ricci et al. 1997, Bild Nr. 29 und 31, S. S. 80–82), beidem die entsprechenden Bauteile aus Marmor sind (Wir sind Paolo Brenni zu Dankverpflichtet, der uns auf dieses Gerät aufmerksam gemacht hat, sowie Falk Rieß, deres für uns dokumentiert hat).

14. Aus physikalischer Sicht musste mit dieser Veränderung die Störanfälligkeit gegenüberErschütterungen und ähnlichen mechanischen Einflüssen gemindert worden sein, da dieFadenlänge im Verhältnis abgenommen hat.

15. Aus der Korrespondenz zwischen Coulomb und Cassini wird deutlich, dass sie verschie-dene Magnetnadeln in ihren Experimenten eingesetzt haben, die zum Teil unterschied-lich stark magnetisiert waren.

16. Dies ist möglicherweise damit zu erklären, da auf Grund der Materialeigenschaften inein Silberplättchen eine dünnere Markierung oder Einkerbung geritzt werden kann alsin ein Kupferplättchen.

17. Das Pariser Observatorium wurde über vier Generationen durch die Dynastie der Cassi-nis geleitet, den Anfang machte ab 1672 Jean-Dominique Cassini (Cassini I (1625–1712)). Sein Sohn Jacques Cassini (Cassini II (1677–1756)) setzte die Tradition fort.Nach dessen Tod übernahm Cesar-Francois Cassini (Cassini III (1714–1784)) die Lei-tung, der seinen Sohn nach seinem Großvater benannte. Cassini III leitete die Sternwar-te formal bis zu seinem Tod, allerdings wird in der Literatur darauf verwiesen, dass seinSohn zunehmend seine Aufgaben übernahm. Insofern war Cassini IV vermutlich bereitszu Beginn der 1780er Jahre die zentrale Figur dieser Einrichtung, zudem war er bereitsseit 1770 Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften. Für eine ausführlichebiographische Diskussion siehe Delacour (1853) und Taton (1971).

18. Aus der uns zur Verfügung stehenden Literatur sowie dem Archivmaterial geht nichthervor, bei welchem Instrumentenmacher Cassini zu dieser Zeit bestellte.

19. Die heute noch existierenden Briefe werden im Archiv des Pariser Observatoriums auf-bewahrt (A.O.). Ihre Existenz ist bereits ein deutliches Indiz für eine arbeitsteilige Zu-sammenarbeit, da andernfalls eine mündliche Kommunikation möglich gewesen wäre.

20. Diese Arbeiten verfolgte Coulomb auch nach Ende der Zusammenarbeit mit Cassini.Er magnetisierte Magnetnadeln bis zur Sättigung und setzte sich mit ihrer Rückkehrin den magnetischen Meridian auseinander. In seiner Arbeit untersuchte er auch die»magnetische Intensität jedes Punktes« der Magnetnadel (Coulomb 1795, S. 301) undversuchte die Grenzen der Hypothese der Anziehung und Abstoßung im Vergleich derTheorie und der Erfahrung aufzuzeigen. In einem weiteren Abschnitt widmete er sicheiner neuartigen Methode der Magnetisierung von Magnetnadeln (Coulomb 1795, S.301ff.). Ein weiteres Indiz für diese Vermutung sind die Darstellungen in den Proces-Verbaux der Pariser Akademie der Wissenschaften. Es finden sich hier folgende Einträgezu magnetischen Fragestellungen: (1) am 24.05.1783 »M. Coulomb a depose un metho-de d’aimanter les aiguilles des bossoles [sic]« und (2) am 17.12.1785 »M. Coulomb a luun memoire sur la maniere des placer un meridien magnetique« (Gillmor 1971, S. 232).

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21. Der Aufstellungsort bezieht sich auf die Messreihe vom 18.03.1782 bis zum 3.04.1782und vom 30.04.1782 bis zum 11.05.1782 (Cassini 1791, S. 10–13).

22. Für eine ausführlichere Diskussion der Ortsproblematik siehe Licoppe (1996), S. 273f.23. Der Schutz einer Magnetnadel vor dem Einfluss elektrischer Ladungen durch ein metal-

lisches Gehäuse wurde in Anfang der 1780er Jahre wiederholt vorgeschlagen, vgl. Gat-tey (1781) sowie Le Dru (1781).

24. Für Coulombs Untersuchung des Torsionsverhaltens von Metallfäden siehe Coulomb(1787), für eine wissenschaftshistorische Analyse dieser Arbeit siehe Heering (2005).

25. Louis Cotte (1740–1815) beschäftigte sich mit meteorologischen Erscheinungen. 1758trat er in einen Orden ein und unterrichtete später in Juilly. Er wurde 1769 zum Korre-spondent der Academie ernannt und 1803 Mitglied des Instituts (Taylor 1971, S. 435).Ihm wurde ein Kompass zugeschickt, um seine Ergebnisse mit denen von Cassini zuvergleichen (Cassini 1791, S. 20); dies resultierte sicherlich auch aus Cassinis Ansicht,Cotte sei ein »habile Observateur« (Ebd.).

26. Die Originalinstrumente wurden mit großer Wahrscheinlichkeit während der französi-schen Revolution durch Revolutionäre zerstört. »Indeed, they [Kontrollen der Revolu-tionäre] were capable of outright damage. The very first invasion [am 16. Juli 1789], forexample, broke into a cabinet which was located deep underground and contained amagnetic compass and a thermometer. The instruments were upset. They had beenplaced in the cellars for the purpose of studying the variation of the magnetic compassunder the conditions of constant temperature which prevailed there. Thus, this one rashaction destroyed an experiment which had been running for several years.« (Chapin1990, S. 241).

27. Es musste gewährleistet werden, dass in unmittelbarer Umgebung keine magnetfeldbe-einflussende Faktoren waren, was somit eine Messungen im Labor ausschloss.

28. Das erdmagnetische Observatorium in Wingst veröffentlicht die Werte für die Horizon-talkomponente und für die Vertikalkomponente des Erdmagnetfeldes, sowie die Wertefür die Deklination im Internet (http://www.bsh.de/Meereskunde/Erdmagnetismus/1806.htm).

29. Die Vorsicht ist hier darauf bezogen, dass der Experimentator keine unnötigen Bewe-gungen machte, die einen Windstoss oder eine mechanische Schwingung verursachenkönnten.

30. Die Messwerte waren sowohl in der Größenordnung als auch im Tagesverlauf nahezuidentisch.

31. Die Ablesung dauerte dementsprechend ca. eine Minute. Diese Zeit benötigte die Ma-gnetnadel, um sich wieder einzuschwingen. Für den Experimentator war es in dieserZeit wichtig, die Körperspannung aufrechtzuerhalten und absolut ruhig zu atmen. Die-se körperliche Disziplin ist aufgrund der hohen Empfindlichkeit des Geräts absolutnotwendig, andernfalls war eine Messung nicht möglich. Ein zusätzlicher Vorteil derFreifeldmessungen war, wie sich später herausstellen sollte, dass sie in einem feuchtenGebiet durchgeführt wurden.

32. Diese Ladung kann nicht detektiert werden, scheint jedoch latent vorhanden zu sein,da auch mehrmalige Versuche ein negatives Ergebnis zeigten.

33. Die feuchte Umgebung kann unter zweierlei Gesichtspunkten als positiv beurteilt wer-den. Zum einen sorgte sie dafür, dass der Körper des Experimentator besser geerdetund damit nicht bzw. wenig elektrostatisch aufgeladen war und zum anderen, dass derfeuchte Seidenfaden leitend wird.

34. In diesem Zitat bezog Cassini sich auf Messungen, die vom 14.06.–25.07.1782 durchge-

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führt worden sind. Licoppe (1994, S. 15) behauptet, dass Coulomb und Cassini in ihrerZusammenarbeit (zumindest zunächst) den ersten Kompass verwendet haben. Zumin-dest zu diesem Zeitpunkt muss Cassini, da er ein Mikrometer erwähnt, aber bereitseinen weiterentwickelten Kompass benutzt haben.

35. Bei einigen Messungen wurde das Gehäuse vollständig geschlossen (s.o.), durch dieseMaßnahme war das Gerät deutlich weniger empfindlich gegenüber Luftzug.

36. Coulomb beschreibt die Beobachtungen von Cassini folgendermaßen: »... elles sontfaites avec une intelligence et un soin que promet le plus grande sucees [sic] ...« (BriefCoulomb an Cassini (A.O.)).

37. Diese Verlagerung des experimentellen Raumes stellt ein ganz wesentliches Kennzeichendes Experimentierstils dar, der bei den Arbeiten von Wissenschaftlern, die mit Coulombdas entsprechende Kollektiv bildeten, festzustellen ist.

38. Cassini und Cotte hatten zwischenzeitlich im ‘Journal de Physique’ wiederholt Messun-gen publiziert, vgl. Cassini (1784, 1792a, 1792b) sowie Cotte (1786, 1788, 1789, 1792).

39. Beispiele sind Heering (1998) für elektrische Untersuchungen und Heering (2005).