Die Motettevon
Guillaume de Machautbis
Johann Sebastian Bach
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
G. de Machaut: O livoris feritas
Merkmale
- Isorhythmische Anlage
- Dreistimmigkeit
- Tenor – Motetus – Triplum
- Drei Texte:1 Choraltext
2 Text des Motetus
3 Text des Triplums
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Isorhythmische Anlage
Der Tenor baut sich aus immer
wiederkehrenden Bausteinen auf:
Color = Choralausschnitt
Talea = rhythmisches Muster
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Die Vorlage: Responsorium „Videns Jacob“
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Die isorhythmische Anordnung des Tenors:
Color:
+ Talea:
= Tenordurchlauf bei Machaut
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Der Color besteht aus 12 Tönen
Die Talea besteht aus 8 rhythmischen Positionen.
Nach dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen 24 kongruieren nach 3 Taleae und 2 Colores beide Strukturen wieder.
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Die Motette muss demnach aus einer geraden Zahl an Durchläufen des Colors bestehen.
Im Falle der Motette 9 lässt Machaut den Color sechs Mal durchlaufen, was 9 Taleae entspricht.
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Durch den um einen Ton verzögerten Beginn endet der Tenor nach sechs Colores mit einem singulären g als Schlusston.
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Klänge
Perfekt: Oktave, Quinte, Quarte
Imperfekt: Terz, Sexte
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Klangstruktur d. 1. Durchführung
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Der dreistimmigen Anlage korres-
pondieren in den Stimmen Notenwerte
von unterschiedlicher Länge
Tenor Longen
Motetus Breven
Triplum Semibreven und Kürzer
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Die Texte
Tenor: Bibeltext aus Gen 37,33-34
Jacob klagt über den (vermeintlichen) Tod seines Sohnes Joseph
Triplum: Fons totius superbie
Satan als Quelle (fons) alles Bösen
Motetus: O livoris feritasAllegorische Darstellung des Neides
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Verhältnis von Text und Musik
Der Negative Inhalt des Textes mit dem Neid als zentralem Thema schlägt sich in den auffällig zahlreichen Dissonanzen des Satzes nieder.
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Dissonanzen bei:
- A II a „ponere aquilone“ a/cis‘/g‘
- B IV c „per peccatum“ b/cis‘ (!)/g‘
- B V c „in speluncis et cavernis“
c‘/fis‘ – g/f‘/d – g/e‘/f‘
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Beispiele für
Aufführungsorte:
Die Kathedrale
von Reims
(13./14. Jh.)
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Die Kathedrale
Notre Dame
de Paris
(1163 bis 1345)
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Die Sainte-
Chapelle
de Paris
(Mitte 13. Jh)
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
HörbeispielGuillaume de MachautVierstimmige Motette: Tr, Mo, T, CtMo21 Christe qui lux es / Veni creator
Spiritus / Tribulatio proxima est et non est qui adjuvet
Komponiert im Zusammenhang mit der Belagerung von Reims im Winter 1359/60
Der neue Klang
Der neue Klang
Johannes Tinctoris (c. 1435-1511) Liber de arte contrapuncti 1477:
„Neque quod satis admirari nequeo quippiam compositum nisi citra annos quadraginta extat quod auditu dignum ab eruditis existimetur. ...
Der neue Klang
... florent compositores, ut Johannes Okeghem, Johannes Regis, Anthonius Busnois, Firminus Caron, Guillermus Fauges, qui novissimus temporibus vita functos Johannem Dunstaple, Egidium Binchois, Guillermum Dufay se praeceptores habuisse in hac arte divina gloriantur.“
Der neue Klang
Tinctoris setzt damit die „Epochen-wende“ des Klangs
40 Jahre vor seinem Traktat Liber de arte contrapuncti von 1477 an, also um 1437.
Der neue Klang
Damit trifft Tinctoris in etwa die Mitte der Schaffenszeit von Dufay (1397-1474) bzw. an den Beginn der Zeit von Ockeghem (1410/30-1497) und Busnois (1432/35-1492) etc.
Der neue Klang
Hörbeispiel
John Dunstable c. 1390-1453
Vierstimmige Motette Veni sancte spiritus / Veni creator
Der neue Klang
Was zeichnet den
„neuen Klang“
aus?
Der neue Klang
Gemeint ist von Tinctoris der Wechsel von Quarten und Quinten – wie bei Machaut – zu Terzen und Sexten.
Terzen und Sexten waren bereits im 14. Jh. das englische Klangidiom.
Beispiel: Dunstaple Veni sancte
John Dunstaple
- geb. um 1395, gest. 24. Dez. 1453
- bed. Komponist und Mathematiker, Astronom, Astrologe
- Stand in Diensten der Herzöge v. Bedford u. Gloucester sowie d. Königin Joan
- Beziehungen zur Abtei St. Albans, für die viell. div. Werke komponiert sind
St. Albans Cathedral,
Herfordshire,
erbaut 1077-1893
Dunstaple dürfte allenfalls um 1415/16 in Frankreich gewesen sein, kaum später.
Seine Karriere verlief vielmehr in der Umgebung von London.
Dennoch bezeichnet Johannes Tinctoris im Proportionale musices die englischen Komponisten als
„novae artis fons et origo quorum caput Dunstaple existit“.
Beispiel: Dunstaple Veni sancte
Dunstaples Motette ist
- isorhythmisch gebaut
- die Talea erklingt 4 mal
- der Color erklingt 2 malDamit umfasst 1 Color = 2 Taleae,
und damit eine Durchführung
Beispiel: Dunstaple Veni sancte
- Die beiden Durchführungen (also Talea 1+2 und Talea 3+4) stehen zu einander im Verhältnis 3 : 2
- der Tenor ist damit proportional angelegt
Beispiel: Dunstaple Veni sancte
9/4 : 3/2 = 9/4 : 6/4 = 3 : 2
Beispiel: Dunstaple Veni sancte
Als Color dient der Pfingsthymnus
„Veni creator spiritus“
Beispiel: Dunstaple Veni sancte
Die erste Durchführung
Beispiel: Dunstaple Veni sancte
Als zweiten Text verwendet Dunstaple die Pfingstsequenz „Veni Sancte Spiritus“.
Die Sequenzmelodie selbst findet keine Verwendung.
Beispiel: Dunstaple Veni sancte
Im vierstimmigen Satz sind die vollklingen-den Terzharmonien auffällig.
Beispiel: Dunstaple Veni sancte
Das Eingangsbicinium gestaltet Dunstaple
als zweistimmigen, in sich konsonanten Satz
Reduktion ohne Verzierungen:
Der neue Klang
Auch der der französische Kleriker Martin le Franc (um 1410 – 1461) formuliert:
„Et on pris de la contenance / Angloise, et ensuy Dompstable“
Der neue Klang
Mit der „contenance angloise“ verbindet Martin le Franc auf dem Festland zwei Namen:
Guillaume Dufayund
Gilles Binchois
aus: Martin le Francs
Le Champion des Dames
la contenance angloise
Wie aber kommt das englische Klangidiom
– die „contenance angloise“ –
aufs Festland?
„Imperia“
Kurtisane mit Kaiser und Papst „in der Hand“
(Konstanz, Hafen)
Politische Vermittlung
Im Rahmen des Konstanzer Konzils 1414-1418 trafen sich in Konstanz nicht nur
- Kaiser Sigismund und Königin Barbara- die Päpste Johannes XXIII. und Martin V.- 33 Kardinäle- 346 Patriarchen und (Erz-) Bischöfe- 2148 weltliche Doktoren- 546 Äbte oder Mönche
- einige ganz ungeistliche Personen ....
Politische Vermittlung
... sondern auch
- die päpstliche Kapelle
- 400 bis 500 Instrumentalisten und Spielleute
- englische Sänger
- und Guillaume Dufay
So berichtet es der Konstanzer Bürger
und Konzilschronist Ulrich von Richental
Singende Klerikerin der Liturgieanlässlich desKonstanzer Konzils(aus RichentalsChronik)
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