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Das Kind als Projekt seiner Eltern
Reflexion eugenischer Praktiken und moderner Vorstellungen von Elternschaft in Relation zur Selbstzweckformel von Immanuel Kant
Kurztitel:ProjektKind
IstdieSelbstzweckformelvonImmanuelKantvereinbarmitgängigeneugenischenPraktiken,zukünftigenEntwicklungeninderpränatalenDiagnostikundeinerVorstellungdesKindesals
ProjektseinerEltern?
ZertifikatsarbeitzumZertifikatskursPhilosophieundMedizinKurs01anderUniversitätLuzern
vorgelegtvon
PDDr.KatharinaGlatz
InstitutfürPathologie
Schönbeinstrasse40
4031Basel
Tel.+41612652880
DatumderAbgabe:29.Februar2012
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Einleitung
RascheFortschritteinderMethodikderpränatalenDiagnostikundderReproduktionsmedizin,diebereitsjetztoderinwenigenJahrenfürdiebreiteAnwendungzurVerfügungstehen,werdenunsnochniedageweseneMöglichkeitenzurgezieltenpositivenSelektionvonEmbryonenmiterwünschtenErbanlagen(positiveEugenik)oderzurgezieltenEliminationvonEmbryonenmitunerwünschtenErbanlagen(negativeEugenik)eröffnen.ForschungsanstrengungenzurPerfektionierungpränatalerDiagnosemethodenunddiedarausfolgendeeugenischeSelektionsindmotiviertdurchdenWunschnacheinemgesundenKind,dasimmerhöherenNormvorstellungengenügensoll.DieserAnspruchsetztsichnachderGeburtfortinderzunehmendgeäussertenVorstellungheutigerElternvonihremKindalsihremProjektundineinerzunehmendenPathologisierungundMedikalisierungminimalnormabweichendenkindlichenVerhaltens.IndieserArbeitsolluntersuchtwerden,inwieferndieAnwendungmodernerMethodenderpränatalenDiagnostikunddieVorstellungvomKindalsProjektderElternimWiderspruchstehenzudervonImmanuelKantaufgestelltenSelbstzweckformelunddemdarausabgeleitetenInstrumentalisierungsverbot.
DasThemadieserArbeitistinsofernvonbesondererAktualität,alsinderSchweizvorKurzemdieVernehmlassungzumEntwurfeinesneuenFortpflanzungsgesetzesabgelaufenist,dasdieinderSchweizbisanhinverbotenePräimplanationsdiagnostikzulassensoll.DerRichtungsentscheiddesBundesratesbetreffenddesweiterenVorgehenswirdindennächstenMonatenbekanntgegeben.[1]
Fallbeschreibung
ImInstitutfürPathologiedesUniversitätsspitalsBaselwurdenimJahr2010fünfzehnObduktionenvonFetendurchgeführt,dienachder15.SchwangerschaftswochewegenNachweischromosomalerAberrationenodermittelsSonographiefestgestellterMissbildungenauseugenischenGründenabgetriebenwurden.ZweidieserObduktionenwerdenhierexemplarischherausgegriffen.
1. Fallbeispiel:
26jährigeMutter.FeststellungeinesTurnerSyndroms(XO)inderAmniozentese.Schwangerschaftsabbruchinder22.Schwangerschaftswoche.DerFetwarnormalwüchsig.AlseinzigerautoptischerBefundzeigtesicheingeringausgeprägtesundbehandelbaresAortenvitium(bikuspideAortenklappemitAortenisthmusstenose).
MöglicheKrankheitserscheinungendesTurnerSyndroms:
GehäufteFehlbildungendesHerzens(insbesondereAortenisthmusstenose),derNierenunddesSkelett‐Bandapparates.KleinwuchsundfehlendeGeschlechtsentwicklungkönnenmitWachstums‐undGeschlechtshormonenbehandeltwerden.BeiKinderwunschwäreeineSchwangerschaftperEizellspendemöglich.LetztereistinderSchweizverboten.LebenserwartungundIntelligenzquotiententsprechendemBevölkerungsdurchschnitt.
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2. Fallbeispiel:
26jährigeMutter.Inder32.SchwangerschaftswochedringenderVerdachtauftuberöseSklerosebeinegativerFamilienanamneseaufgrundvonUltraschallbefunden.DadervonderSchwangerengewünschteSchwangerschaftsabbruchbeidieserIndikationindiesemfortgeschrittenenGestationsalter(extrauterineÜberlebensfähigkeitdesFetenabca.24.Schwangerschaftswoche)vondenbehandelndenÄrzteninderSchweizabgelehntwurde,liessdieKindsmutterdenFetozidimAuslandvornehmenundreistezurGeburtdesintrauterinabgetötetenKindeswiederindieSchweizzurück.DieautoptischenBefundebestätigendasVorliegeneinertuberösenSklerose.
MöglicheKrankheitserscheinungendertuberösenSklerose:
EpileptischeAnfälletretenbeiüber70%derKindermittuberöserSkleroseaufundkönnenmedikamentösnichtimmerzufriedenstellendbehandeltwerden.
FehlbildungenundTumorendesHirnskönnenzueinemHydrocephalusführen.BeeinträchtigungenderSprach‐undBewegungsentwicklung,LernstörungenundVerhaltensauffälligkeitensindmöglich.
DasAusmaßderBehinderungistausgesprochenvariabelundzumZeitpunktderGeburtnichtvoraussagbar.IneinerStudiemit108Betroffenenzeigten56%einennormalenIntelligenzquotientenund31%eineschwereBeeinträchtigungmiteinemIQvonwenigerals21.[2]
Fragestellung
RascheFortschritteinderpränatalenDiagnostikundderReproduktionsmedizinermöglichenesbereitsheute,sehrvieleErkrankungenoderKrankheitsdispositionenpränatalodervorImplantationderausserhalbdesMutterleibserzeugtenEmbryonenfestzustellen.Indennächsten5bis10JahrenistaufgrundderraschenFortschrittederGenforschungmitrelevantenWeiterentwicklungenbeidernicht‐invasivenpränatalenDiagnostikundderPräimplantationsdiagnostikzurechnen.Esistdavonauszugehen,dasssichdieseneuenMethodenaufgrundihrergefahrlosenAnwendungfürMutterundKindinderPraxisraschundflächendeckenddurchsetzenwerdenundauchSchwangerenangebotenwerden,diekeinerRisikogruppeangehören.DiepränataleDiagnostikkannsowohlderpositivenSelektionerwünschterErbanlagen(positiveEugenik)alsauchderEliminationunerwünschterErbanlagen(negativeEugenik)dienen.DerEntscheidzumSchwangerschaftsabbruchmusszueinemZeitpunktgetroffenwerden,woaufgrundderunterschiedlichenPenetranzvonAberrationenimErbgutnochgarnichtvoraussehbarist,wieschwerdieErkrankungdesausgetragenenKindesausfallenwirdoderobesüberhauptKrankheitssymptomezeigenwird.DieGrenzenzwischenpositiverundnegativerEugenikwerdenzunehmendfliessend,wennwieindenbeidenFallbeispielenauchKindergezieltgetötetwerden,beidenenmanlediglicheinebestimmtepotentiellkrankheitsverursachendeErbanlagenachweisenaberinkeinerWeisedenvollenSchweregradderErkrankungfürdenEinzelfallvoraussagenkann.
DasBedürfnisderElternundderGesellschaftnachgesundemNachwuchsistgutnachvollziehbar.EsstelltsichaberdieFrage,mitwelcherMotivationeineimmerdetaillierterepränataleDiagnostikbetriebenwird.DieTatsache,dassheuteimmermehrElternihrKindalsihrProjektansehen,lässtZweifelaufkommen,obsichhinterderangeblichaltruistischmotiviertenMitleidseugeniknichtvieleherdas"Wunschkind"verbirgt,dasganzdenWünschenderElternundderGesellschaftmitihren
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ständigwachsendenAnsprüchenandiezuerfüllendenGesundheits‐undErfolgsnormenentsprechensoll.
GemässnaturphilosophischerHerleitungvonImmanuelKanthatderMenschalseinzigesvernunftbegabtesWeseneinenZweckansichselbst.[3]DieswirdbegründetdurchseineFähigkeit,sichselberZweckezusetzenunddamitübersichselberautonomzubestimmen.IndieserAutonomieerkennterden"GrundderWürdedermenschlichenundjedervernünftigenNatur".[4]KantleitetdarausdenpraktischenImperativab,vernünftigeWesenimmerzugleichalsZweckundniemalsblossalsMittelzumZweckzugebrauchen.
EssolldieFragegeklärtwerden,obundwieeugenischeEntscheidungenbasierendaufimmerpräziserenMethodenderpränatalenDiagnostikundmoderneVorstellungenvonElternschaftinEinklanggebrachtwerdenkönnenmitKant'sSelbstzweckformel.
Philosophie
1. Kants Selbstzweckformel:
VorläuferderSelbstbestimmunginderAntike:
DerAnspruchaufSelbständigkeitundSelbstdenkengaltschoninderAntikealsGrundlagederEthik.SokratesfordertedieMenschendazuauf,selberzudenken,nacheigenerEinsichtzuentscheidenunddamitauchnacheigenerEinsichtzuhandeln.WasjederalsdasSeinigezutunhat,erforderediePrüfungdereigenenGründe.DerRufnachSelbstverantwortungfürdaseigeneLebenistalsonichtersteinKindderModerne.[5](S.115‐120)
Kant'sSelbstzweckformel:
BevorwirunsderFragestellungwidmen,obundfallsjaunterwelchenBedingungenKant'sSelbstzweckformelmitmodernenMethodenderPränataldiagnostikunddarausfolgendeneugenischenEntscheidungenvereinbarist,solldieseSelbstzweckformelnähererläutertundderennaturphilosophischeHerleitungdargelegtwerden.
InderKritikderUrteilskraft[3]unterscheidetKanteineäussereZweckmässigkeitvoneinerinnerenZweckmässigkeit.UnteräussererZweckmässigkeitverstehteralleDingederzweckvollorganisiertenNatur,dieeinemanderenalsMittelzumZweckdienenundsomitäusserlichimVerhältnisaufdasandereWesenzweckmässigsind.EinzigeAusnahmebildenvernünftigeWesen,diesichdankihrerVernunfteinerseitseinenBegriffvonZweckenmachenundsichandererseitsselberZweckesetzenkönnen.DamitistderZweckderExistenzeinesvernünftigenWesensinihmselbst.EsistnichtnurZwecksondernzugleichauchEndzweck.Wennmanannimmt,dassalleDingederWelteinernachZweckenhandelndenoberstenUrsachebedürfen,mussderMensch,dersichdankseinerVernunfteinenBegriffvonZweckenselbermachenundsichselberZweckezusetzenvermag,alsEndzweckderSchöpfungangesehenwerden.AlsEndzweckdefiniertKantdenjenigenZweck,"derkeinesanderenalsBedingungseinerMöglichkeitbedarf".AufgrunddieserFähigkeit,sichmitHilfeseinesVerstandesselberwillkürlichZweckesetzenzukönnen,istderMenschHerrderNatur.Gottbrauchtesdazunichtmehr.DerMenschistautonomundhatalsgleichzeitignatürlichesundvernünftigesWesen,sichselberzubestimmen.
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DerMenschundjedesvernünftigeWesenalseinmoralischesWesenkannnichtgefragtwerden,wozuesexistiere,weilseinDaseindenhöchstenZweckinsichselbsthat,Selbstzweckist.
WichtiginZusammenhangmitdemThemadieserArbeitistdieTatsache,dassKantsagt,derMenschseinuralsSubjektderMoralitätfähig,einEndzweckzusein.DiesenSelbstzweckdrückterausinderFormeldeskategorischenImperativs:"Handleso,dassdudieMenschheitsowohlindeinerPerson,alsinderPersoneinesjedenanderenjederzeitzugleichalsZweck,niemalsblossalsMittelbrauchst."[4]KantdenktdabeianjedeseinzelneIndividuum,dassichselbstalsZweckansichselbstbegreifenmuss,damitdieinderEthikverlangteAllgemeinheiteinerHandlungsnormzustandekommenkann.[5]
DawiralleTeileinerzweckmässigorganisiertenNatursind,könnenwirunsgegenseitigbiszueinemgewissenGradinstrumentalisieren,ohnedabeigegendieSelbstzweckformelzuverstossen.Problematischwirdesaberdann,wenndasGegenübernichtmehralsvernünftiges,sichselberZweckesetzendesIndividuummiteinemZweckansichselbstanerkanntundgewürdigt,sondernalsblossesMittelzumZweckoderandersausgedrücktalsaustauschbarerErmöglichungsgrundeinerHandlungmissbrauchtwird.DieGrenzederInstrumentalisierungwirddannerreicht,wenndemGegenüberseinSelbstzweckunddamitdieMöglichkeit,sichselberZweckezusetzenundautonomzuhandeln,abgesprochenwird.
2. Motivation hinter eugenischen Entscheidungen
DieGesetzederEvolutionhabenschonimmerdafürgesorgt,dasssichMenschenzurOptimierungihresNachwuchsesdenbestmöglichenPartnerausgesuchthaben.DassElternWunschvorstellungendavonhaben,welchenBerufoderwelchenPartnerihrKindwählensollundVersucheanstellen,dassihreWünschediesbezüglicherfülltwerden,istebenfallskeinPhänomenneuererZeit.Esistauchdavonauszugehen,dasssichdiemeistenElternnurdasBestefürihrKindwünschen.Esfragtsichalso,obsichüberhauptetwasändernwürde,wennzukünftigeElterndanknichtinvasiverpränatalerDiagnostikzueinemsehrfrühenZeitpunktderSchwangerschaftderNaturetwasnachhelfen,indemsieEmbryonenmitunerwünschtengenomischenAberrationendurcheinenmedikamentösenSchwangerschaftsabbruchdaranhindern,sichweiterzuentwickeln.DiesgeschähezueinemZeitpunkt,wovieleEmbryonenaufgrundvonSpontanabortenabsterben.Nehmenwireinmalan,dieDNASequenzierungdes6WochenaltenEmbryosergibteinenX0Chromosomensatzwiebeim1.Fallbeispiel,alsoeinTurnerSyndrom.EinGrossteildieserEmbryonenstirbtspontanab.DieElternkönntenalsodenSpontanverlaufabwartenodersichvorAblaufder12.SchwangerschaftswochefüreinenstraflosenSchwangerschaftsabbruchentscheiden.AlsBegründungkönntendieElterndasaltruistischeMotivanführen,dassmandemKindunnötigesLeidenersparenwill.DieElternschriebensichalsodieFähigkeitzu,sichindieGedankenweltihresnochgarnichtgeborenenKindeshineindenkenzukönnenundkommenzumSchluss,dasseinLebenmitdieserGrunderkrankungfürihrKindnichtlebenswertwäre.DasbetroffeneKinderhieltekeineMöglichkeit,zudieserAnnahmeStellungzunehmenunddenElterndasGegenteilzubeweisen.
Mögliche,aberkeinesfallsinjedemFallschwerwiegendeEinschränkungenderLebensqualitätbestehenbeimTurnerSyndromaufgrunddererhöhtenMissbildungsrate,desKleinwuchsesundderdeutlicheingeschränktenFertilität.DieLebenserwartungistabernichteingeschränkt.AufgrunddieserTatsachenbestehtGrundzurAnnahme,dassdiemeistenFrauenmitTurnerSyndromeingutesunderfülltesLebenführenkönnen.DerAuszugauseinemGedichteinerBetroffenenistdafür
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eineindrücklicherBeleg:
WirsindFrauenmitTurner–Syndrom;
besondereFrauen,starkeFrauen,
dieeinenungleichenKampfgewonnenhaben;
nurzweiProzentvonunsüberleben,
umderWeltalsFrauenmitTurner–SyndrominsGesichtzusehen;
deshalbsindwirverdammtglücklichzuleben!
Nun,HerrEugeniker,
SiebrütenjageradedieneueSuperrasseaus;
WagenSienichtunszuerzählen,
daswirfehlerhaftundminderwertigsindunddeshalbbessertotwären.[6]
WennalsodasaltruistischeMotivdienegativeSelektioninvielenFällennichtannäherndausreichendbegründet,musseswohlnochandereungenanntegewichtigeGründedafürgeben.Artikel119desSchweizerischenStrafgesetzbuchessiehtvor,dasseineSchwangerschaftstraflosabgebrochenwerdenkann,wennnachärztlichemUrteilvonderschwangerenFraudieGefahreinerschwerwiegendenkörperlichenSchädigungodereinerschwerenseelischenNotlageabgewendetwerdenkann.MiteinerschwerwiegendenkörperlichenSchädigungderMutteristnichtzurechnen,wennsieeinKindmitTurnerSyndromausträgt.DieSchwangerekannalsonureineseelischeNotlagegeltendmachen.ImStrafgesetzbuchheisstesausserdem,dassdieGefahrumsogrösserseinmuss,jefortgeschrittenerdieSchwangerschaftist.DainunseremFallbeispieldieSchwangerschafterstinder22.SchwangerschaftswocheabgebrochenwurdealsolediglichzweiWochenvorErreichenderLebensfähigkeitdesKindes,mussvoneinersehrgrossenseelischenNotlageausgegangenwerden.WaskönntediesegrosseseelischeNotlageausgelösthaben?DassdasaltruistischeMotivinfolgedergeringenBeeinträchtigungenvonFrauenmitTurnerSyndromnichtausreichendseinkann,wurdeobengezeigt.DiezusätzlichenGründekönnennuregoistischmotiviertsein:Eltern,diesicheinKindmitbesserenErbanlagenwünschenoderdemDruckdesUmfeldsoderderGesellschaftnachgeben,dieebenfallsausegoistischenMotivenaufdienegativeSelektioneinesimperfektenKindesdrängen,dasnichtderIdealvorstellungentsprichtunddemGesundheitssystemvermehrtKostenverursachenwird.IndenmeistenFällenvonselektiverEugenikwirddieMotivlagegemischtsein.Esistdavonauszugehen,dasseigennützigeMotiveumsomehrüberwiegenwerden,jefrüherdiepränataleDiagnostikundderdarauffolgendeeugenischeEntscheiderfolgenundjewenigerRisikodieverwendeteDiagnosemethodefürdieMutterunddiegesundenunddeshalberwünschtenEmbryonenbeinhaltet.BeideKriteriensindbeidernichtinvasivenpränatalenDiagnostikerfüllt.
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InvielenrezentenPublikationenzuneuenTechnologienderpränatalenDiagnostikwerdenethischeFragestellungenentwedergarnichtodernuramRandeerwähnt.IneinerReviewzudenAuswirkungenmodernerTechnologiendermolekularenpränatalenDiagnostikwirdnuraneinereinzigenTextstelleBezuggenommenaufethischeFragestellungenindiesemZusammenhang:EswirddasBeispieleinerautosomalrezessivvererbtenMikrozephaliegenannt,diedankgenetischerAnalysebereitsinder11.Schwangerschaftswochefestgestelltwerdenkann,statterstinder30.SchwangerschaftswochemittelsUltraschall.DieseTatsachewirdfolgendermassenkommentiert:"Thisisbothamorereliablemethodofidentifyinganaffectedfetusandalsoallowstheofferoftimelyterminationofpregnancyinanethicallyacceptablewayifrequested."[7]
InderselbenPublikationwirdauchdietuberöseSklerose(2.Fallbeispiel)genannt,welcheseit5‐10JahreninbetroffenenFamilienmittelsChorionzottenbiopsieinder11.‐12.Schwangerschaftswochefestgestelltwerdenkann.BeiunseremFallbeispiellageineNeumutationvor,weshalbdieErkrankungerstmittelsUltraschallineinemsehrfortgeschrittenenGestationsalterfestgestelltwurde.Eswirderwähnt,dassderklinischePhänotypvariabelistundbetroffeneIndividuenteilsunterschwererintellektuellerBeeinträchtigung,Autismus,EpilepsieundHautveränderungenleiden,aberauchweitgehendasymptomatischseinkönnen.ThematisiertwirdaberlediglichdieProblematikderverzögertenDiagnosestellungundderVorteilderChorionzottenbiopsie.DasProblem,dassdurchdenAbbruchallerSchwangerschaftenvonKindernmitErbanlagenfürtuberöseSkleroseeinhoherProzentsatzanIndividuengeopfertwerden,dietrotzihrergenetischenAnlageeinpraktischsymptomfreiesLebenführenkönnten,wirdindieserArbeitnichterwähnt.
3. Mögliche Folgen einer liberalen Anwendung eugenischer Massnahmen
DasungeboreneKindkannkeinRechtaufExistenzeinklagenunderleidetkeinenSchadendurchseineNicht‐Existenz.Insbesonderedannnicht,wennesTrägereinerschwerenErkrankungist,diemitschwerstemLeidenundfrühemTodeinhergeht.InsofernscheinenausSichtdesnichtausgetragenenEmbryoskeinenegativenKonsequenzenerwachsenzukönnen.EssindaberzahlreicheindirekteausethischerSichtproblematischeFolgeneinernichtausschliesslichaltruistischenMotivlagefürnegativeeugenischeEntscheidedenkbar.EinTeildavonistempirischbelegt.SechsmöglicheFolgeneinerAusweitungeugenischerMassnahmenwerdenhiergruppiertnachdenhauptsächlichBetroffenenherausgegriffen.DieerstenzweiPunktewerdenanschliessendimHinblickaufeinemöglicheVerletzungvonKantsSelbstzweckformeldiskutiert.
FolgenfürdenNachwuchs:
1.
Eltern,dieeinereinegoistischmotiviertenegativeEugenikbetreiben,gebendenausgetragenenKinderndieunmissverständlicheBotschaft,dasssieihrÜberlebenausschliesslichihrenvondenElternerwünschtenErbanlagenverdankenundsomitindieserHinsichtdenElternalsblossesMittelzumZweckgedienthaben.DieGrenzenzurpositivenEugeniksindfliessend,wennEmbryonenaufgrundsehrgeringfügigerErkrankungennichtausgetragenwerden,weilgewisseErkrankungenuntergünstigenUmweltbedingungenkeinNachteilodergareinVorteildarstellenkönnen.AlsBeispielfüreinreinegoistischmotiviertesSelektionskriteriumkannmandie
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GeschlechtsbestimmungdesEmbryosansehen,soferndadurchkeinex‐chromosomalvererbteStörungvermiedenwerdensoll.Methodenfürdienicht‐invasivepränataleGeschlechtsbestimmungzueinemsehrfrühenZeitpunktderSchwangerschaftbefindensichineinemfortgeschrittenenZustandderEntwicklung.[8]IndenUSAerfüllenvieleFertilitätsklinikenunterdemBegriff"FamilyBalancing"denbehandeltenPaarennichtnurdenKinderwunsch,sondernauchnochgleichdenTraum,dasGeschlechtdiesesWunschkindesdurchgezielteAuswahlderimplantiertenEmbryonenselberzubestimmen.[9]TestszurGeschlechtsbestimmungundfürdenNachweishäufigergenetischerAberrationeninderFrühschwangerschaftwerdenbereitsheuteüberdasInternetvermarktet.[10]EinkomplexesProduktmithohenEntwicklungskosten,dasMarktreifeerlangt,weistinderRegelaufeinegrosseNachfragebeimpotentiellenKonsumentenhin.
InLändernmitPräferenzfürmännlichenNachwuchswieIndienistdurchdieselektiveAbtreibungweiblicherFetenindenletzten20JahreneindeutlicherÜberschussmännlicherNachkommenentstanden.InsbesonderegutausgebildetewohlhabendereMütter,derenerstgeborenesKindeinMädchenwar,habennachpränatalerGeschlechtsbestimmungFolgeschwangerschaftenmiteinemweiblichenFetenabgebrochen.[11]
2.
BeidenausgetragenenKindern,dievoroderanlässlichderSchwangerschaftaufgrundihrerfürgutbefundenenEigenschaftenpositivselektioniertwurden,entstehteinAutonomiedefizit,dasnurbeiderFolgegenerationwiedereingelöstwerdenkann.DasführtzueinerPerpetuierungderInstrumentalisierungdesNachwuchsesdurchdieVorgängergeneration.
3.
DieEntwicklungvonTherapienfürsehrselteneErkrankungen(sogenannteOrphanDiseases)istschwierigundfinanziellnichtlukrativ.[12]WenndieAnzahlIndividuenmitsolchenErkankungenaufgrundeugenischerMassnahmennochstärkersinkt,wirdderAufwandfürdieEntwicklungwirksamerTherapienfürsolcheErkrankungennochunattraktiverunddamitderDruckaufdieEltern,solchenNachwuchszuverhindern,nochhöher.
FolgenfürSchwangere/werdendeEltern:
4.
EineSchwangere,diedaskrankeKindaustragenmöchte,sichvonderGesellschaftoderihremfamiliärenUmfeldaberzurAbtreibunggezwungensieht,weilmanihrsonstUnverantwortlichkeitvorwerfenkönnte,erleideteinestarkeEinschränkungihrerFortpflanzungsautonomie.DieFolgenfürdieMuttersindnochgravierender,wennsieaufgrundihresfortgeschrittenenAltersodereingeschränkterFertilitätdurchdenSchwangerschaftsabbrucheinedauerhafteungewollteKinderlosigkeitriskiert.
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5.
DiezunehmendeAnwendungvonPräimplantationsdiagnostikundnichtinvasiverMethodenderPränataldiagnostikführtzueinerzunehmendenEliminationvonEmbryonenmitunerwünschtenErbanlagen,dennzudiesemZweckwerdendieseMethodenhauptsächlichentwickelt.DerProzentsatzvonNeugeborenen,dieTrägergetesteterErbanlagensind,wirdsinken.DarausfolgteinezunehmendeAnspruchshaltungderwerdendenElternundderGesellschaftaufgesundenNachwuchs,derauchdenDruckaufSchwangereerhöhenkönnte,einenSchwangerschaftsabbruchvornehmenzulassen,wennbeimFetenerstzueinemdeutlichspäterenZeitpunktderSchwangerschaftimUltraschallErkrankungenfestgestelltwerden,wiediesimBeispielmitdertuberösenSklerosederFallwar.
FolgenfürdieGesellschaft:
6.
IneinigenLändernisteingenetischesScreeningzukünftigerEhepartneraufvererbbareErkrankungengesetzlichodervonreligiösenAutoritätenvorgeschrieben.[13]EingesetzlichvorgeschriebenesnationalesScreeningprogrammexistiertbeispielsweiseinverschiedenenarabischenLändernfürdieDetektionvonTrägernderindiesenPopulationenhäufigenThalassämieundSichelzellanämie.ImIranwurdenachEinführungdesobligatorischenScreeningseineGesetzesanpassungvorgenommen,diedieAbtreibungausmedizinischenGründenunterbestimmtenUmständenerlaubt.InanderenLändernwieSaudiArabienisteinSchwangerschaftsabbruchnichterlaubt.DenjenigenPaaren(1%),dieaufgrunddesScreeningsdasRisikoaufeinerkanktesKindhaben,lässtmandieWahl,aufdieHeiratoderaufNachwuchszuverzichtenoderdasRisikoeineskrankenKindesinKaufzunehmen.
InChinawurdenab1995alleheiratswilligenPaarezurmedizinischenUntersuchungzwecksIdentifikationvonTrägerneinerschwerenvererbbarenErkrankungverpflichtet.WenneinTrägerstatusermitteltwurde,durftedasPaarnurnachderEinwilligungindieTubensterilisationderFrauoderderVerpflichtungzukontrazeptivenMassnahmeneineEheeingehen.AusserhalbvonChinawurdedieseMassnahmeaberalseineVerletzungderMenschenrechteangesehen,waszueinerAbschaffungderobligatorischenUntersuchungführte,dieauffreiwilligerBasisweiterhinangebotenwird.
DiskussionderunterPunkt1.und2.genanntenmöglichenFolgen
DiefolgendeDiskussionbeschränktsichaufdieerstenzweiaufgelistetenmöglichenFolgeneinerAusweitungeugenischerMassnahmenfürdenNachwuchs,alsodiezunehmendegoistischmotivierteinstrumentalisierendeEinstellungzumNachwuchsunddasdarausfolgendeAutonomiedefizitbeiletzterem.
Kinder,dieeinemeugenischenEntscheidunterworfenundpositivselektioniertwurden,werdensichberechtigtfühlen,dasRechtaufSelektionbeimeigenenNachwuchsebenfallseinzufordern,auchwennsichherausstellensollte,dasseugenischeEntscheidungenethischverwerflichsind.AndernfallswürdesichdieseGenerationnachvollziehbarerweisegegenüberihrerElterngenerationbenachteiligtfühlen.
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WennGesetze,welcheeugenischeEntscheidungenregeln,stetigdensteigendenGesundheitsnormvorstellungenderGesellschaftangepasstundimmerliberalergehandhabtwerden,wirdmitjederFolgegeneration,diedasselbeRechtaufSelektiondeseigenenNachwuchsesfürsicheinfordert,einimmerbrutalererSelektionsdruckgeschaffen.DasGewichtdiesesDammbruchargumenteshängt(a)vonderGrössedesSchadensab,dereintretenkönnte,fallsderDammbruchdurchdieflächendeckendeEinführungneuerpränatalerDiagnosemethodentatsächlicheintrittund(b)davon,wiewahrscheinlichesist,dassdieseneuenMethodentatsächlicheinenDammbruchzurFolgehabenwerden[14](S.156).
ImmerhäufigerenegativeSelektionvonEmbryonenmitimmergeringerenMängelnführtzuimmerhöherenAnspruchshaltungenvonElternundGesellschaftandaswerdendeKind.NureinperfektesKindistgutgenug.EinenegativeEugenikkönntesichaufdieseWeiseschleichendineinepositiveEugenikumwandeln,dieexplizitzwecksgenetischerOptimierungnachPräimplantationsdiagnostiknichtmehrnurEmbryonenmitschwerenErbkrankheitenvonderWeiterentwicklungausschliesst,sonderndenmutmasslichgenetischüberlegenenEmbryofürdieWeiterentwicklunginuteroselektioniert.DamithättenauchHabermasArgumentegegeneineoptimierendeSelbstinstrumentalisierungdermenschlichenGattungGültigkeit,dieerzunächstinseinemVortragzurliberalenEugeniknuraufPraktikenderpränatalenGenmanipulationbezog.[14]ImPostskriptumzudiesemVortragweisteraberaufdieSchwierigkeithin,eineklareGrenzezwischenaltruistischenundegoistischenMotivenfürdenEntscheidüber"lebenswertes"und"lebensunwertes"Lebenzuziehen[14](PostskriptumS.160).ErstelltandieserStelledieFrage,obdiePräferenzfüreingesundesKind,dieVerletzungdesembryonalenLebensschutzesaufwiegenkönne.DaHabermasgleichzeitigbefürchtet,dassesdurchsolchePraktikenzueinerschleichendenRevisiondesAutonomiebewusstseinsundderintergenerationalenGleichstellungkommenkönnteunddamitzueinerUnterminierungderVoraussetzungenfürunsereMoral[14](PostskriptumS.156),mussmanseineobenzitierteFragealsrhetorischauffassenunddieGrössedesSchadens,derdurcheineschleichendeEinführungeinerpositivenEugenikeintretenkönnte,alsganzerheblich.EntsprechendhättederPunkt(a)desDammbruchargumentseinhohesGewicht.
DieAussagenvonHansJonaszurSchwierigkeitinZusammenhangmitderAnwendungderGentechnologieamMenschen[15]kannmanauchaufdieSchwierigkeitbeieugenischenEntscheidungenimRahmenderpränatalenDiagnostikanwenden.Erfragtsich,wasüberhauptderZweckeiner"erfindendenBaukunstammenschlichenSubstrat"undwasdasLeitbildoderderMassstabfüreinenbesserenMenschenseinsoll.AufdiepränataleDiagnostikumgemünztkönntemansichfragen,wassollderMassstabseinfür"lebenswertes"und"lebensunwertes"Leben?NachwelchenKriteriensollenausdenüberzähligenEmbryoneneinerkünstlichenBefruchtungdiejenigenfürdieImplantationimUterusausgewähltwerden,diedenbesserenMenschenergeben?WelcheEmbryonenhabengenügendunerwünschteErbanlagen,dasseinSchwangerschaftsabbruchdemAustragenderSchwangerschaftvorgezogenwerdensollundzuwessenNutzen?
FürdasZutreffenvonPunkt(b)desDammbruchargumentsfindensichvieleHinweiseinderLiteratur.DieZunahmeselektiverAbtreibungenvonMädcheninIndienwurdeobenbereitserwähnt.[11]AlszusätzlicherBelegsollenhiernochzweirezenteUmfrageergebnisseausdenUSAzurPräimplantationsdiagnostikhinzugefügtwerden.DieerstePublikationberichtetvondenErgebnisseneinerUmfragederJohnsHopkinsUniversityausdemJahr2006unteramerikanischenFertilitätskliniken,dieinvitroFertilisationstechnikenanbieten.[16]InderEinleitungderPublikationwirdzunächstbeklagt,dassgarkeinegenauenDatenverfügbarsind,wer,wieoftundzuwelchem
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ZweckPräimplantationsdiagnostikinAnspruchnimmt.87%derbefragtenKlinikengehendavonaus,dassdasAngebotanPräimplantationsdiagnostikzunehmenwird.42%von137befragtenKlinikenbieteneinenichtmedizinischbegründeteGeschlechterselektionan.In9%allerkünstlichenBefruchtungszyklennahmendiezukünftigenElterndiesenDienstinAnspruch.DiesenichtmedizinischbegründeteGeschlechterselektionmussmanalsBeispielfürpositiveEugenikwerten,dasieaufeinerinstrumentalisierendenEinstellungderElterngegenüberdemNachwuchsberuht,welcheausschliesslichaufdieOptimierungderBedürfnissederElternausgerichtetist.
28%derbefragtenKlinikenbieteneinenegativeSelektionvonEmbryonenmitRisikoanlagenfürErkrankungenan,dieerstimErwachsenenalterausbrechen,wieerblicherBrustkrebsoderMorbusAlzheimer.DreiProzentderKlinikenbietenElternmiteinerbestimmtenErkrankungwieTaubheitdieSelektioneinesEmbryosan,deranderselbenErkrankungwiedieElternleidenwird.DasaufgrundseinerKrankheitausgewählteKindwirdvonseinenElterninstrumentalisiertzumMitleiden.DasaltruistischbegründeteundnachvollziehbareMitleidsmotivwirdsoaufgroteskeWeiseumgekehrtinein"Mitleidensmotiv".
InderzweitenUmfrageausNewYorkausdemJahr2009zurErhellungder"Konsumentenwünsche"imHinblickaufpränatalegenetischeTestung,dieunter999TeilnehmerneinerpränatalengenetischenBeratungdurchgeführtwurde,wünschtensichimmerhinje10%einepränataleTestungfürhoheKörpergrössebzw.überdurchschnittlicheathletischeFähigkeitenund13%wünschtensicheinensolchenTestfürüberdurchschnittlicheIntelligenz.[17]
DerVerdachtaufMissbrauchdesKindesdurchdieElternalsblossesMittelzumZwecktrifftumsomehrzu,jegeringfügigerdieAuswirkungenderkrankenErbanlagenaufdasspätereWohlergehenoderdieVernunftfähigkeitdesKindessind,diezueinemnegativeneugenischenEntscheidführen.DerVerdachtwirdzurGewissheit,wennessichumdieselektiveEliminationvonEmbryonenoderFetenmitunerwünschtemGeschlechthandelt.IndenbeidenFallbeispielenistderVerdachtgrösserbeimTurnerSyndromalsbeidertuberösenSklerose,daletztereineinemerheblichenProzentsatzderFällezueinerschwerwiegendenBeeinträchtigungderHirnleistungsfähigkeitführt.
ImEntwurfzumneuenBundesgesetzüberdiemedizinischunterstützteFortpflanzung[1]heisstesinArt.5:"...EinFortpflanzungsverfahrendarfnurangewendetwerden,wenndieGefahr,dasseineschwereKrankheitaufdieNachkommenübertragenwird,andersnichtabgewendetwerdenkann."WasalsschwereKrankheitgilt,wirdnichtdefiniert.WeiterheisstesunterArt.5a(neu):"DieUntersuchungdesErbgutsvonEmbryoneninvitroundderenAuswahlnachGeschlechtodernachanderenEigenschaftensindnurzulässig,wenn:
a.dieGefahr,dasssicheinEmbryomiteinerVeranlagungfüreineschwereKrankheitindieGebärmuttereinnistet,andersnichtabgewendetwerdenkann;
b.eswahrscheinlichist,dassdieschwereKrankheitvordem50.Lebensjahrausbrechenwird;
c.keinewirksameundzweckmässigeTherapiezurBekämpfungderschwerenKrankheitzurVerfügungsteht;und
d.dasPaargegenüberderÄrztinoderdemArztschriftlichgeltendmacht,dassihmdieGefahrnachBuchstabeanichtzumutbarist."
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DerSchweregrad,derausreichendist,umeinenEmbryozuverwerfen,richtetsichalsoprimärdanach,obdenElterneinKindmiteinersolchenEkrankungzumutbarist.Esistdavonauszugehen,dasswegenvermehrterAnwendungselektiverEugenik,dieInzidenzvielergenetischbedingterundpränatalfeststellbarerErkrankungenstarksinkenwird.DiesistbeimDownSyndromanvielenOrtenbereitseingetroffen.GemässeinerStudieauseinernördlichenRegionEnglandswurden81%von477KindernmitpränataldiagnostiziertemDownSyndromimZeitraumvon1985‐2004abgetrieben.[18]JestärkerdieInzidenzvonKindernmitgenetischenDefektensinkt,destogrösserwirddieBelastungfürEltern,dieeinsolchesKindhabenunddamitdieimmerstrengerengesellschaftlichenNormennichterfüllen.AuchhierfürgibtesHinweiseinderLiteraturbeispielsweiseinZusammenhangmitderDiskriminierungvonElternvonKindernmitDownSyndrom.[19]DieVorstellungendavon,waseingesundes,derNormentsprechendesKindsei,wirdstetigstrengerenKriteriengenügenmüssen.DadurchkönntederSchweregradeinerpränatalfeststellbarenStörung,welchedenElternnochzumutbarist,ständigsinken.DaserhöhtdenDruckaufdieEltern,solcheEmbryonenzueliminieren,umihneneinAufwachsenineinerWeltderGesundenzuersparen.WassolleinKrankeroderBehinderterdenken,dessenmiteinergutenLebensqualitätverbundeneStörungfürwerdendeElternalsunzumutbargilt?DieAntwortaufdieserhetorischeFragegibtunsdasobenzitierteGedichtderPatientinmitTurnerSyndrom.
WaswirddieGesellschaftüberdenWertvonMenschendenken,derenErkrankungfürihreElternalsunzumutbargilt?KindermitBehinderungendurchGeburtskomplikationen,mitpostnatalerworbenenBehinderungenoderKinder,diewegenunterlassenerPränataldiagnostikmitBehinderunggeborenwerden,müssendemnachjenachSchweregradderBehinderungalsfürihreElternunzumutbargelten.DieAuffassungvomMenschenalsSelbstzweckbleibtaussenvor.
ElternmüssensichzunehmendvorderGesellschaftfüreinkrankesKindverantworten.SiewerdenimEndeffektdankderErrungenschaftenderReproduktionsmedizinundPränataldiagnostikinihrerReproduktionsautonomienichtgestärkt,sondernvonderGesellschaft,diesiefürdieGeburteineskrankenKindesverantwortlichmacht,unterDruckgesetzt.EsentstehtzunehmenddieVorstellung,dassesinjedemFallmöglichist,eingesundesKindhervorzubringen,daseinerimmerhöherenGesundheitsnormderGesellschaftentspricht.
4. Das Kind als Projekt seiner Eltern - moderne Vorstellungen von Elternschaft:
UmdenmöglichenMotivenhinterdennegativeneugenischenEntscheidungenindenbeidenFallbeispielenaufdieSpurzukommen,sollenindieÜberlegungenmoderneVorstellungenvonElternschaftmiteinbezogenwerden.
DasKindalsProjekt:
DerZeitpunkteinerSchwangerschaftistseitwenigenJahrzehntendanksehrverlässlicherantikonzeptiverMethodenundimmererfolgreichererMethodenderReproduktionsmedizinzunehmendplanbargeworden.DiesePlanungbeschränktsichaberdankpränatalerDiagnostikimmermehrnichtmehrnuraufdieBestimmungdesZeitpunktesderSchwangerschaft,sondernbeinhaltetzunehmendauchdieZielvorstellungvongesundemNachwuchs.WereinkrankesKindzurWeltbringt,hatzuweniggutgeplant.
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IneinerindividualisiertenGesellschaft,diegrossenWertaufdieAutonomiedesIndividuumslegt,wirddieReproduktionsfreiheitderElterngegenüberstaatlichenEingriffenundgegenüberdennochnichtabsolutgültigenGrundrechtendesEmbryosvielfachbevorzugt.DieswirdersichtlichbeimStudiumaktuellerPublikationenzuNeuentwicklungenderReproduktionsmedizin,indenendieRechtederwerdendenElterndeutlichstärkerimVordergrundstehen.[20]Esmagdeshalbwenigerstaunen,wennRemoLargo,wohlderbekanntestePädiaterderSchweizmitinternationalerAusstrahlungdankseinerinden90erJahrenherausgegebenenLongseller"Babyjahre"und"Kinderjahre",ineinemInterviewmitderKundenzeitungderKrankenkasseSanitasdieAussagemacht,dassheutevielezukünftigeElternihrKindalsProjektansähen,fürdasmansichbewusstentscheide.DamitverbundenseiengrosseErwartungenandenNachwuchs.DasKindistnichtmehreinZufallsprodukt,sonderneinvomZeitpunktderZeugungangeplantesProjekt.[21]DieVorstellungvomKindalsProjektderElternwirdfastzeitgleichauchinzweiverschiedenenlokalenTageszeitungenthematisiert.[22][23]
WennElterndieAussagemachen,dasssieihrKindalsihrProjektbetrachten,sagtdasnochnichtsdarüberaus,wassiedaruntergenauverstehen.Eltern,diemitallenverfügbarenMittelneingesundesKindeinplanen,daszumpassendenZeitpunktzurWeltkommt,werdensichmitdertermingerechtenGeburteinesgesundenKindesmiterwünschtenErbanlagenalleinwohlkaumzufriedengebenunddenweiterenLebenswegihresKindesnichtdemZufallunddenkindlichenBedürfnissenüberlassen.InAnbetrachtaktuellergesellschaftlicherEntwicklungendesUmgangsmitdemNachwuchs,dergeprägtistvonimmerintensiverenFördermassnahmenundzunehmenderMedikalisierungvonNormvariantendesVerhaltens,[24]istdavonauszugehen,dassElterndiesenausderManagementweltentlehntenBegriffdurchausimwörtlichenSinnverstehen.DieElternalsozugleichalsProductOwnerundProjektmanager,dasKindalseinProjekt,dessenZieledieElternvorgeben.DasProjektziel"Wunschkind"nichtverstandenimSinneeinesgenerativenWunschesderElternnacheinemKind,dessenSelbstenfaltungoptimalgefördertwerdensollundvondessenEntwicklungmansichüberraschenlässt,sondernimSinneeinesKindes,dasdenWünschenseinerProjektauftraggeberentspricht.
DieWunscherfüllungderProjektmanagerfängtdamitan,dasssienachBestimmungdesZeitpunktesfürdenProjektstart,denfürdasProjektzielbestgeeignetenNachwuchsnachvorgängigerGenomanalyseselektionieren.BeiFeststellungmangelhafterErbanlagenlohntsichdieweitereInvestitionindiesesProjektnicht,weildasProjektziel,dieWunscherfüllungderEltern,nieerreichtwerdenkönnte.DasProjektwirdvorzeitigabgebrochen.
DefactowirdheuteschonbeifastjedemFeteneineugenischerEntscheidgefällt.RoutinemässigwirdinderFrühschwangerschaftimUltraschalldieNackenfaltealsmöglicherHinweisaufchromosomaleAberrationengemessenundinderSpätschwangerschaftwirdeinMissbildungsultraschalldurchgeführt.IndenmeistenFällenistallesinOrdnungundmanbrauchtsichkeineGedankenzumachenübereineFortführungderSchwangerschaft.DieseSelbstverständlichkeitmitderheutzutagepränataleUntersuchungenvorgenommenwerden,fördertdieEinstellung,dassdieBestimmungüberdenkindlichenLebenswegalleindemAutonomiebereichderElternalsProjektmanagerihresKindeszuzurechnensei.DievorgeburtlicheÜberprüfungderkindlichenGesundheitwirdkauminFragegestellt.Eltern,dieihrKindalsProjektbehandeln,verwirklicheneigeneLebensoptionenundWünscheimKindaufKostenderfreienLebensplanungundderAutonomiedesKindes,demletztendlichalleindieVerfügungsgewaltüberdeneigenenLebenswegzuzugestehenwäre,soweitesseineAutonomieentwicklungzulässt.
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Kinder,diealsProjektegemanagedwerden,erhaltenvonihrenElternandauernddasSignal,dassmansiefürnochverbesserungsfähigundverbesserungswürdighält.MitWunschkindistdannnichtmehrdieblosseTatsachegemeint,dassichmireineigenesKindwünsche,sonderndassichmireinKindwünsche,dasmeineneigenenWünschenentspricht.DasKindwirdsozumWunscherfüllungswerkzeugderElterninstrumentalisiert.
DiepränataleDiagnostikzwingtElternstellvertretendfürihreKinderzuantizipieren,obderenLebenlebenswertist.WenndieseÜberlegungenzurRoutineeinerjedenSchwangerschaftwerden,liegtdieVersuchungnahe,dasssichdieElternauchnachderGeburtdesKindesEntscheidungsgewaltdarüberanmassen,welcherweitereLebenswegfürihrKindderbestesei,ungeachtetderpersönlichenPräferenzendesKindes.
Kinder,dievonihrenElternalsihrProjektbetrachtetwerden,müssensichdannwieeinblossesMittelzumZweckvorkommen,wennderBegriffProjektimSinnedesProjektmanagementbegriffsverstandenwird.EinProjektentsprichtinderManagementwelteinemzeitlichbegrenztenUnternehmen,dasunternommenwird,umeinProdukt,eineDienstleistungodereinErgebniszuerzielen.DaeinMenschwedereinProduktnocheineDienstleistungist,bleibtbeimProjektKindalseinzigmöglichesProjektziel,einbestimmtesErgebniszuerzeugen.WennalsodieElternfürihrProjekt"Kind"dieTermineundProjektzieleselberfestlegen,alsProjektleiterüberdieArbeitderProjektmitarbeiter(Schule,Gesundheitsfachleute...)wachenundüberdieErreichungdesProjektzielsbestimmen(dasKindentsprichtunserenVorstellungen),kannmandavonausgehen,dassdasKindvonseinenElternalsWunscherfüllungssklaveinstrumentalisiertwird.WennreihenweiseDreijährigeinChinesischkursegestecktwerden,Pädiaterbeklagen,dassmittlerweiledieHälfteallerKinderwegenirgendeinemMangeltherapiertwird[25]unddieRitalinverschreibungenineinigenSchweizerKantonenmassivzunehmen,[24]bestehtderbegründeteVerdacht,dassdieserausderManagementweltentlehnteBegriffvondenElternnichtseltendurchauswörtlichinterpretiertwird.AufdieseWeisewirddasProjektkindseinerautonomenLebensgestaltungberaubtundimausSichtderProjektleitungbestenFallzumWunscherfüllerseinerElterndegradiert,wenndasvondenElterngesteckteProjektzielvollumfänglicherreichtwird.DiesenProjektkindernkannmannurwünschen,dassesihnengelingt,ihreeigenenLebenszieleunabhängigvondenVorstellungenderProjektleitungzuverfolgenunddurchzusetzen.
DerPerfektionsanspruchandasKindwirdsichauchnachderGeburtfortsetzen,solangedieElternihrKindalsihrProjektbetrachten,überdessenZielsiebestimmen.SpätestenszudemZeitpunkt,wodasKindaufgrundseinerAutonomieentwicklungfähigseinsollte,eigeneBedürfnisseinBezugaufseinenweiterenLebenswegzuäussernundsichmitHilfeseinerVernunft,selberZweckezusetzen,verletztdieBehandlungdesKindesalsProjektseinerElterndessenAnspruchaufSelbstbestimmung.Nunkönntemansagen,dassdienegativeSelektioneineskrankenEmbryoskeinRechtaufSelbstbestimmungverletzt,daderEmbryonochkeinvernunftfähigerMenschist,denKantfürseineSelbstzweckformelvoraussetzt.Niemandwürdeaberannehmen,dassethischeGrundsätze,diedenmenschlichenUmgangbetreffen,deswegenausschliesslichfürvernunftbegabteErwachseneGeltunghabensollen.
InderfrühenKindheitmüssendieElternstellvertretendfürdasKindEntscheidungenfällen,wobeisiedemKindparallelzuseinerAutonomieentwicklungzunehmenddieFreiheitzugestehensollten,selbstbestimmtzuhandeln.DieElternstehenalsovorderschwierigenAufgabe,dieWünscheundBegabungenihresKindesmöglichstpräzisewahrzunehmen,damitsieesbeiderautonomenBeschreitungdeseigenenLebenswegesoptimalunterstützenkönnen.DieseUnterstützung
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beinhaltetaberkeinesfalls,dassdieElternsämtlicheLebenszieledesKindesselbervorbestimmen,denndannwürdensiedasKindalsblossesMittelbehandeln,daskeinenZweckansichselbsthat.StellvertretendeEntscheidungenamLebensanfangsolltenElternfürihreKindersotreffen,dasssiedavonausgehenkönnen,dassdieerwachsenenKinder,wennmansiedanachfragtundsiedarübernachgedachthaben,mitdiesenEntscheidungenretrospektiveinverstandensind.DieserÜberprüfungmüssenaucheugenischeEntscheidungenstandhalten.Kinder,dienurdankperfekterErbanlagenausgetragenwurdenundvonihrenElternvonAnfangangemanagedwerdenwieeinProjekt,dessenZieledieElternbestimmen,müssensichzuRechtalsblossesMittelzumZweckbegreifen.
BeipränatalemNachweiskrankerErbanlagenmüssendieElternmutmasslichvorwegnehmen,wasfürihrKindgutwäre.AlternativkönnenwirTrägerdieserabweichendenErbanlagefragen,obsieeinergezieltenEliminationvonEmbryonenmitdemgleichenMerkmalzustimmenwürden,weilsiedieNicht‐ExistenzihremleidvollenLebenklarvorgezogenhätten,wennsiedarüberselberhättenentscheidenkönnen.DasGedichtderPatientinmitTurnerSyndromverneintdieseFragefürdieseErbanlageklar.GeradezuabsurdwirddieseFrage,wennElternihreKindernachdemvonihnenbevorzugtenGeschlechtselektionieren.WennbeideElternteileunterderselbenErkrankungleidenundgezieltdenEmbryodanachaussuchen,dasserdenselbenDefektträgt,istgutvorstellbar,dasssichdiesesKindspäteralsblossesMittelzumZweckseinerElternvorkommenwird,mitdenenesdasLeidenteilenmuss.
DieseBeispielezeigen,dassesnichtunbedingtdaraufankommt,obessichbeimpränatalfestgestelltenMerkmalumeinpositivesodereinnegativesMerkmalhandeltundobdiesemwieimFalldesGeschlechtsüberhaupteinKrankheitswertzukommt.EntscheidendistvielmehrdieMotivlagederElternfürdenpositivenodernegativeneugenischenEntscheid.DientdieserausschliesslichderWunscherfüllungunddemEigennutzderEltern,kannmanauchretrospektivvoneinemMissbrauchdesKindesalsblossesMittelzumZweckausgehen.BesondersproblematischistdieTatsache,dassdieseEntwicklungnichtnurdasVerhältniseinigerElternzuihrenKindernbeeinträchtigt,dieihrenNachwuchsalsProjektmanagen.DurchdiezunehmendenegativeSelektionvonKindernmitimmergeringfügigerenErkrankungenunddiedamitverbundenenimmerstrengerenGesundheistnormenwirdauchdiereproduktiveFreiheitvonPaarenmitKinderwunschgefährdet.ImEndeffektistdieFreiheitallerbedroht,wennwireinergesellschaftlichenEntwicklungnichtEinhaltgebieten,diedengegenseitigenMissbrauchdesanderenalsblossesMittelzumZwecknichtnurzulässt,sondernnochbefördert.LetzteresistinLändernbereitsRealität,wodurchdiegezielteGeschlechterselektiontraditionelleUngleichbehandlungenderGeschlechterzementiertwerdenzumNachteilnichtnurderFrauen,sondernzunehmendauchderMänner,dieaufgrunddesGeschlechtsmissverhältnisseskeinePartnerinmehrfindenwerden.
WieschonbeieinerfreizügigenAnwendungeugenischerMassnahmengiltauchfürdieVorstellungvomKindalsProjektimSinneeinesProjektmanagement,dassdieFolgegenerationdurchdieseInstrumentalisierungdurchdieElterngenerationeinAutonomiedefiziterleidet,dassienurbeiderNachfolgegenerationzurückfordernkann,womitsichderVorganginderGenerationenfolgeperpetuiert.DadurchwirdeinerUngleichheitderintergenerationalenRechteVorschubgeleistet,wiesieHabermasauchfürdiepränataleManipulationamErbgutdesNachwuchsesbefürchtet.[14]Kinder,dievonAnfangannichtmehralsZweckansichselbst,sondernalsErfüllereinergesellschaftlichenNormundErfüllerdesElternwunschesnacheinemperfektenKindbehandeltwerden,sindnichtmehrgleichberechtigtmitderElterngeneration.EsentstehteinSelbstbestimmungsdefizitundeinDefizitanWürde,dasbeimeigenenNachwuchsaufgefülltwerdenmuss.StattsichselberalsZweckansichansehenzukönnen,wirderneutdieNachfolgegenerationals
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MittelzumZweckmissbrauchtwerdenmüssen,umdieMöglichkeitzurSelbstbestimmungnachträglichstellvertretendameigenenNachwuchsauslebenzukönnen.Kant'spraktischerImperativverbietetaberdasAuslebenderSelbstbestimmunganeinemanderenMenschen.
Waspassiert,wennsichdieserProzessindenFolgegenerationenwiederholt?Wirhabensoebengesehen,dassdasAutonomiedefiziterstbeimeigenenNachwuchswiedereingefordertwerdenkann.Könnenwirwollen,dasszukünftigeMenschennichtmehrAutorenihreseigenenLebenswegessind,sondernanstelledeseigenenLebensüberdasihrerKinderentscheidenunddamitdieAutorschaftnurnochstellvertretendbeiihrenNachkommenunterVerletzungderSelbstzweckformelausüben?VielleichtstelltsichdieseFrageabergarnicht,daMenschen,derenAutonomieentwicklungdurchdieElterngenerationblockiertwurde,überhauptnichtfähigwären,dieseVerantwortungfürihreeigenenKinderstellvertretendzuübernehmen.IndiesemFallbräuchteeseinenErsatzfürdieelterlicheAutorität.Denkbarist,dasszunehmenddieinsozialenNetzwerkenorganisierteGesellschaftindereinpaarwenigeMeinungsmacherbestimmen,dieseElternrolleübernehmenkönnteunddeninihrerAutonomieentwicklungbehindertenundderFähigkeit,sichselberZweckezusetzenberaubtenIndividuenVorgabenzurLebensgestaltungmacht.EslägedanninderVerantwortungeinigerwenigerVorgängergenerationen,wennNachfolgegenerationenineinenZustanddervoraufklärerischenUnmündigkeitzurückfallen,dieaberindiesemFallnichtselbstverschuldet,sonderndurchVorgängergenerationenfremdverschuldetist.
BeiderRealisierungunsererLebensoptionensindwiranunsererealenMöglichkeitengebunden.DerMissbrauchderKindergenerationdurchihreElterngenerationzurreproduktivenSelbstbestimmungoderzurVerwirklichungvonOptionen,fürdiederElterngenerationwährenddereigenenbegrenztenLebenszeitnichtgenügendZeitblieboderfürdiesiedienotwendigenEigenschaftennichtmitbrachte,entziehtderKindergenerationdasRechtaufSelbstbestimmungunddamitdieunerlässlichePrämissederMoralphilosophie.DennerstdieSelbstbestimmungunddasselbstbewussteeigeneHandelnmachtdenMenschenzueinemmoralischenWesen[5](S.143).
Praxis:
Alternative Denkweisen:
Autonomie‐Paradoxon
GernlässtsichdermenschlicheGeistvondengrossenVorteileneinerneuenTechnologietäuschenundverdrängterfolgreichdieintellektuelloftvielschwerernachvollziehbarenGegenargumentegegeneineneueTechnik.WerdendenElternzuerklären,dasssiedankPränataldiagnostikehereingesundesKinderwartenkönnen,istvieleinfacherzuvermittelnalsHabermaswohlbegründeteGegenposition,dieinderEinführungeinerliberalenEugenikeineBedrohungdesethischenSelbstverständnissesdermenschlichenGattungsieht.[14]Esfragtsich,wiemanauchdiewohlbegründeteGegenpositionensoweitvereinfachenkann,dasssiejedemIndividuumspontaneinleuchten.VielleichtdurcheinGedankenexperiment:Eltern,denenoffenbarsovieldaranliegt,dietotaleKontrolleüberihrenNachwuchszuerhalten,sollensichvergegenwärtigen,wasesfürsiebedeutethätte,wennihreElternsienachihrenWünschen"gemacht"hätten.Mankanndavonausgehen,dassjemand,derindiesemAusmassungebetenundungefragtdieKontrolleüberdenLebenslaufseinesNachwuchsesausübenwill,auchdieKontrolleüberseineneigenenLebenswegbeansprucht.DadurchentstehtdieparadoxeSituation,dassEltern,diedieseAutonomiefürsich
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radikaleinfordern,gleichzeitigihremNachwuchsdasgleicheRechtaufebendieseentziehen.DamitschaffensiegegenüberderNachfolgegenerationeineRechtsungleichheit.
DerWunschnachBestimmungüberdeneigenenNachwuchsentsprichteinemBedürfnisnachmaximalerAutonomieinBezugaufdieFortpflanzung.DurchdieManipulationdesNachwuchseswirdinden"gemachten"KinderneinDefizitanAutonomiegeneriert,dasnurwiederdurchKontrolleüberanderekompensiertwerdenkannoderdurchVerzichtaufeinenzentralenTeildereigenenAutonomie.SowirdsichdasBedürfnisnachKontrolleüberdeneigenenNachwuchsüberdieJahreineinerGesellschaft"gemachter"Individuenperpetuierenundzunehmendverstärken.Soweit,dassdieeigeneAutonomienurnochameigenenNachwuchsausgelebtwerdenkann,stattameigenenLeib.EinesolcheStellvertreterautonomiegefährdetseitderAntikegeltendeGrundlagenmoralischenHandelnsundtreibtunszurückindieselbstverschuldeteUnmündigkeit,ausderunsdieAufklärungendgültigbefreienwollte.DieersteGeneration,dieihrenNachwuchsalsProjektbehandelt,trägtdamitdieVerantwortungfürdieseunheilvolleEntwicklung.
AlternativeInterpretationdesProjektbegriffs
DenProjektbegriffinZusammenhangmitdemNachwuchskönntemanauchsodefinieren,dassdiesesKonzeptnichtinWiderspruchgerätzurForderung,jedemvernünftigenWeseneinenZweckansichselbstzuzugestehenundesnichtblossalsMittelzubetrachten.Dannnämlich,wennmandenBegriffProjektsoauslegt,dassessichdieElternzurAufgabestellen,demKinddiebestmöglichenRahmenbedingungenzubieten,damitesseinePersönlichkeitundseineFähigkeitengemässseinemeigenenWillenundseineneigenenLebenszielenzuroptimalenEntfaltungbringenkann.DamitbleibtdasRechtdesKindesaufeinenfreiwählbarenselbstbestimmtenLebenswegunterBerücksichtigungderBedingungenderRealitäterhalten.DerSelbstzweckformelKantswäreGenügegeleistet.Daswürdeaberauchbedingen,dassElternihrKindunabhängigvonseinenErbanlagenvorbehaltlosakzeptieren,soferndiesemiteinemselbstbestimmtenLebenvereinbarsind.EinelediglichbedingteAkzeptanzdesKindesinAbhängigkeitvonseinenErbanlagenentsprächebereitseinerWunsch‐undZielvorstellungderEltern,wieihrKindundseinLebensweginihrenAugenaussehensoll.
DasobenzitierteGedichtderFraumitTurnerSyndrombelegt,dasseinerfülltesautonomesLebenauchmiteinemaberrantenChromosomensatzsehrwohlmöglichist.DieGesellschaftmusssichdeshalbdieFragestellen,obsiebereitist,durcheineAusweitungeugenischerMassnahmenzurPerfektionierungdesErbgutesdieFortpflanzungsautonomiezugefährdenundeineAnspruchsspiraleinGangzusetzen,diedemeinzelnenIndividuumdurchSteigerungderGesundheitsnormenimmermehrPerfektionabverlangt.AusSichtdesIndividuumswäredieseEntwicklungauchkaumvereinbarmitKant'skategorischemImperativ:"HandlenurnachderjenigenMaxime,durchdieduzugleichwollenkannst,dasssieeinallgemeinesGesetzwerde."[4]
EugenischeMassnahmensindnurinwenigenAusnahmefällenuneingeschränktvereinbarmitderSelbstzweckformel.ZudiesenAusnahmengehörtdieAbtreibungvonFetenmitchromosomalenAberrationen,welchemiteinemsostarkvermindertenIQeinhergehen,dassdasbetroffeneIndividuumnichtvernunftfähigistoderfürschwere,unbehandelbareLeiden,diebereitsinderfrühenKindheitzumTodführen.IndiesenFällenkannmanfürdeneugenischenEntscheidreinaltruistischeMotivepostulieren.
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BeiderFestlegungdieserAusnahmenbleibeneinigepraktischeProbleme.EineswirdillustriertdurchdaszweiteFallbeispielmitdertuberösenSklerose.DieErkrankungkannzwarpränataldiagnostiziertwerdenaberderenSchweregrad,dervonpraktischasymptomatischbisschwerstgeistigundkörperlichbehindertreicht,istnichtvoraussagbar.DasselbegiltauchfürsehrvieleanderepränatalfeststellbareErbrankheiten.AbwelchemSchweregradderpotentiellenErkrankungoderabwelchemProzentsatzschwererVerläufesollesgerechtfertigtsein,beipränatalerFeststellungdieserErkrankungsdispositionalleFeten,auchallespäterpotentiellsymptomfreienIndividuenmitdieserErkrankung,abzutreiben?EinweiteresProblemergibtsichausderTatsache,dassSchweregradevonErkrankungenunddasdamitverbundeneLeideneinKontinuumdarstellenunddavonabhängen,inwelcheGesellschaftundwelcheUmweltbedingungeneinbetroffenesIndividuumhineingeborenwird.FürdieEntscheidung,welcheErkrankungensoschwersind,dasseinSchwangerschaftsabbruchmitreinaltruistischenMotivenbegründetwerdenkann,lassensichkaumeindeutigeKriteriendefinieren.Esistauchschwierig,hinteraltruistischenMotivenverborgeneoftverdrängteegoistischeMotivezuerkennenundkaummöglich,sichineineungeborenePersonsoweithineinzuversetzen,dasswirderenLebenszufriedenheitunddasAusmassdessubjektivenLeidensverlässlichvoraussagenkönnen.
BeijederschwerenErkrankungsindbeimeugenischenEntscheidauchegoistischeMotiveimSpiel,daeinkrankesKindsowohlfürdieElternalsauchdieGesellschafteinestarkeBelastungdarstellt.WirsolltendeshalbdieGelegenheitergreifen,aufdiejenigenMenschenzuhören,dieanErkrankungenleiden,welchedankpränatalerDiagnostikundgesellschaftlicherVerpflichtungzumgesundenKindvermutlichschonbaldweitgehenderadiziertwerden.WennwirdasGedichtderFraumitTurnerSyndromlesen,istdieFragenachderuneingeschränktenBerechtigungeinesnegativeneugenischenEntscheidszumindestfüreinedieserErkrankungenklarbeantwortet.DieseFrauempfindetnichtihrLeidenalsZumutungfürdieGesellschaft,sonderndieEinstellungderGesellschaftihrgegenüber.
Konkrete Handlungen:
InformationderBevölkerung
DasInteressederallgemeinenBevölkerungundderPolitikfürdasThemaderpränatalenDiagnostiksolltevermehrtgewecktwerden,dadieNeuentwicklungenaufdiesemGebietweitreichendeethischeKonsequenzenhaben.InsbesonderemussaufdiezahlreichenproblematischenAspekteundmöglichennegativenKonsequenzenmitmehrNachdruckhingewiesenwerden.
Beratung
NatürlichentsprichteingesunderNachwuchseinemevolutionärfestverankertenBedürfnis.FürdieAusrottungvonkrankemNachwuchsunddasAusschaltenevolutionärerVielfaltbezahlenwirabereinensehrhohenPreis:UnteranderemdieAufhebungdesInstrumentalisierungsverbotes,dieVerringerungderintergenerationalenDistributionsgerechtigkeitunddieVerminderungderreproduktivenAutonomie.DiehohenKostendieserEntwicklungwerdendenzukünftigenElternabermeisterstbewusst,wennsieerstmalsmiteinerpositivenpränatalenDiagnosekonfrontiertsindundsichzurAbtreibunggenötigtsehen.
SpätestensvordererstenpränatalenDiagnostikmüsstenElterndeshalbdetailliertdarüberaufgeklärtwerden,wozudiesedientundwasdiemöglichenFolgenseinkönntenimFalleeinespositiven
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Resultates.GuteBeratungkannallerdingsnichtverhindern,dassdenPaarendieBedeutungeinespositivenResultatserstrichtigbewusstwird,wennsieerstmalskonkretdamitkonfrontiertsind.EineMöglichkeitwäre,denPaarenprioritärdieethischenProblemezuerörtern,diesichausdemTestresultatergebenkönntenundSchwangereohnebesondereRisikofaktorenzuinformieren,dassdieAnwendungpränatalerDiagnostikdiebegründeteAusnahmefürRisikosituationenundnichtdieRegeldarstellt.
MoralischesVerhaltenistnichtausschliesslichvernunftgesteuert,sondernbasiertvielfachauferlerntenundunbewusstenRegelnfürerwünschtesSozialverhalten.[26]DieseArtderBeratungwürdedieTatsachenutzen,dasseineunbewussteRegeldesSozialverhaltensdarinbesteht,dassMenscheninschwierigenEntscheidungssituationendazutendieren,sichandieVorgabezuhalten,soferneseinegibtundnichtdavonabzuweichen.
Esistzubefürchten,dassmitdembaldigenAufkommenvonnicht‐invasiven,risikofreienMethodenfürdiepränataleDiagnostikinderFrühschwangerschaftdieIndikationfürsolcheUntersuchungenstarkausgeweitetwirdauchaufjungeSchwangeremitgeringemRisikofüreinkrankesKind.EinroutinemässigerundflächendeckenderEinsatzpränatalerDiagnostiksollteaufgrundderzuerwartendenundobenausführlichbeschriebenennegativenFolgenfürdiegesamteGesellschaftundallenachfolgendenGenerationenvermiedenwerden.Dieslässtsichnurerreichen,wenndieExpertenaufdemGebiet‐GeburtshelferundReproduktionsmediziner‐diepränataleDiagnostiknichtalsRoutinemassnahmeempfehlen,sondernbegründetenAusnahmeninbesonderenRisikosituationenvorbehalten.PränataleDiagnosemethodendürfennichtalsBeruhigungsmittelfürwerdendeElternangepriesenwerden.DenratsuchendenPaarenmussvielmehrklargemachtwerden,dassesdenÄrztennichtmöglichistundauchnichtderenAufgabeseinkann,ihnendieGeburteinesgesundenKindeszugarantieren.Paaren,diesichausserstandesehen,aucheinemkrankenKindeinenZweckansichselbtzuzugestehen,solltemanvonderElternschaftbesserabraten.
RestriktiveGesetzgebung
UnserWissenundunsereTechnikenstellenunsimmerhäufigervorethischeDilemmata,denenwirnurausweichenkönnten,wennwirdieproblematischstenTechnikenunverfügbarmachen.SchwangerewerdensichzunehmendfürodergegenpränataleDiagnostik,fürodergegendetailliertesWissenübermöglicheErkrankungenihresKindesundletztendlichfürodergegenihrKindentscheidenmüssenunterdemzeitlichenDruckdervoranschreitendenSchwangerschaft,demDruckderGesellschaftundderFamilie,diedasAustrageneinesbehindertenKindesfürunverantwortlichhält.JedetaillierterdieAussagekraftderMethode,jerisikoärmerfürMutterundKindundjefrüherderEinsatzzeitpunktinderSchwangerschaft,destomehrFrauenwerdendieseDiagnostikinAnspruchnehmenundmitimmerschwierigerenethischenDilemmatakonfrontiert,aufdiesieniemandvorbereitet.
FrüheroderspäterkönntedievondenReproduktionsmedizinernundGeburtshelfernpostulierteFörderungderreproduktivenAutonomiedurchdiePränataldiagnostikleichtindasGegenteilumschlagen.EineBefreiungausdiesemDilemmakannnurdurchdieSchaffungstrengerundrestriktiverRegelungenfürdiepränataleDiagnostikerreichtwerden,dienichtlaufenddengesteigertenGesundheitsnormenderGesellschaftgeopfertwerdendürfen.EsbrauchtverantwortungsvolleÄrzte,welchesichfüreinenbesonnenenUmgangmitneuenTechnologieneinsetzenundnichtjedemgesellschaftlichenBegehrennachOptimierungdesGenpoolswilligFolge
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leisten.EsbrauchtstrengestaatlicheRegelungen,dienichtalleinvonnutzniessendenÄrztegruppenundGesundendiktiertwerden.
Reproduktionsmedizinertendierennaturgemässdazu,einseitigdieBegehrenderElternundihreeigenenInteressenzuvertreten.DiesbestätigteinBlickindieVisionvonassistierterFortpflanzungsmedizininderSchweiz,ausgearbeitetvoneinerrepräsentativenGruppevonSchweizerExpertinnenundExpertenaufdemGebiet.NurgeradeeinmalsorgtmansichindiesemfünfseitigenTextumdasWohldesKindesundzwarinZusammenhangmitEizell‐undEmbryonenspendeunddamitTrennungvonsozialerundgenetischerElternschaft.[20]SehrvielmehrsorgtsichdagegendieExpertengruppeinihrerVisionumdieWunscherfüllungderPaaremitKinderwunsch.DieExpertenerwähnen,dassdieassistierteReproduktionunteranderemvongesellschaftlichenVeränderungenmassgeblichbeeinflusstwird.AlsgesellschaftlicheVeränderungerwähntwirddersteigendegesellschaftlicheDruck,gesundeKinderzubekommen.KeinWortdavon,dassdieserDruckeinzigundalleinaufgrundderAnwendungvonpränatalerDiagnostikundgezielterEliminationkrankerKinderdurchdieselbeÄrztegruppeentstehenkonnte,diejetztdieVerantwortungfürdieseEntwicklungaufdieGesellschaftabschiebt.WennmanjetztnochdenselbenExperten,dievonsichsagen,siemöchtendieheutigenmassgeblichvonihnenmitbestimmtenBedürfnissevonPaarenbesserbefriedigenauchnochdieAusarbeitungdergesetzlichenRegelungenfürdieReproduktionsmedizinunddieBeratungvonPaarenmitKinderwunschüberlässt,kommteinfatalerTeufelskreisinGang.
IndieserVisionvonassistierterFortpflanzungsmedizinwirdwiederholtaufdiestrengerenRegelungeninderSchweizhingewiesenundeswirddieFragegestellt,oballdieseEinschränkungennochzeitgemässseien.Eswirdsuggeriert,dassdielascherenGesetzeandererLänderunddasVergehenvonZeitalleinRechtfertigungböten,sichüberethischeBedenkenzunehmendhinwegzusetzen.MitdieserAussageentlarvensichdieExpertenselbstalsUrheberdieserEntwicklung.
ZulassungundRegelungderPräimplantationsdiagnostikinderSchweiz
DiePräimplantationsdiagnostikistinderSchweizseit2001imdamalsinKraftgesetztenFortpflanzungsmedizingesetzverboten.DerBundesrathatvomParlamentaberdenAuftragerhalten"eineRegelungvorzulegen,welchediePräimplantationsdiagnostikermöglichtundderenRahmenbedingungenfestlegt."(Motion04.3439).EswurdenVorschlägefürdiedafürnotwendigenÄnderungendesVerfassungsartikels119überFortpflanzungsmedizinundGentechnologiesowiedesFortpflanzungsmedizingesetzeserarbeitet.[1]Vom29.Junibis30.September2011wurdeeineVernehmlassungdererarbeitetenVorschlägedurchgeführt.IndererstenHälfte2012wirddurchdasEidgenössischeDepartementdesInnerenvoraussichtlichderErgebnisberichtzurVernehmlassungpubliziertundderRichtungsentscheiddesBundesratesbetreffenddasweitereVorgehenbekanntgegeben.
InArt.119Abs.2Bst.cdesvorgeschlagenenBundesverfassungsartikelssteht:"DieVerfahrendermedizinischunterstütztenFortpflanzungdürfennurangewendetwerden,wenndieUnfruchtbarkeitoderdieGefahrderÜbertragungeinerschwerenKrankheitnichtandersbehobenwerdenkann,nichtaberumbeimKindbestimmteEigenschaftenherbeizuführenoderumForschungzubetreiben;"Esbleibtzubefürchten,dasssichdieDefinition,wasuntereinerschwerenKrankheitzuverstehenist,in
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AnpassungandenZeitgeistmitseinerunvermindertwachsendenAnspruchshaltungandieGesundheitsnormenstetigwandelnwird.
NeuimGesetzaufgenommenwurdelobenswerterweisederArtikel6a,derdieInformationundBeratungderbetroffenenPaarebeiInanspruchnahmevonFortpflanzungsverfahrenzurVermeidungderÜbertragungeinerschwerenKrankheitregelt.DerArztsollnichtnurüberdiebetreffendeErkrankung,sondernauchüberdieLebensgestaltungmiteinemKind,dasvondieserKrankheitbetroffenist,aufklären.DieBeratungdarfsichausserdemnuraufdieindividuelleundfamiliäreSituationdesbetroffenenPaaresbeziehen,nichtaberaufgesellschaftlicheInteressen.Esfragtsichallerdings,obReproduktionsmediziner,dieesprimäralsihreAufgabeansehen,hilfesuchendenPaarendendringendenKinderwunschzuerfüllen,sichdafüreignen,diesePaaregleichzeitigüberdieMöglichkeitderLebensgestaltungmiteinembehindertenKindaufzuklären,dassiemitihrenTechnikenderpränatalenDiagnostikinersterLiniezuverhindernversuchen.DerUmstand,dassdasKindswohlinvielenArtikelnvonReproduktionsmedizinernimmernuranzweiterStelleodergarnichtangesprochenwird,lässtZweifelaufkommen,dassdieInteressendesungeborenenKindesgleichberechtigtbehandeltwerden.BeiderBeratungbestehtalsoeinklarerInteressenskonflikt.Kommthinzu,dassvielePaareinderAusnahmesituationeinerSchwangerschaftfürdieInhaltederBeratungunddieMöglichkeiteinespositivenTestresultatesgarnichtaufnahmefähigsind.
ÄrzteinberatenderFunktionsolltenalleAspektederpränatalenDiagnostikmitBetonungdermöglichenethischenKonflikteimFalleeinespositivenResultatesansprechenundsicherstellen,dasssievondenElternverstandenwurden.Esistwichtig,dassdieBeraterdieElterndabeiunterstützen,ihrenEntscheidnachumfassenderundverständlicherInformationfürodergegenpränataleDiagnostikunabhängigvomgesellschaftlichenDruckoderdemUmfeldselbstverantwortlichzufällen.
DenEntscheidfürodergegendieDurchführungeinerpränatalenDiagnostikdürfenÄrzteunsicherenElternkeinesfallsabnehmen.Sieriskierensonstallzuleicht,indieTäterrollegedrängtzuwerden,wenndieElternmiteinempositivenTestresultatoderderGeburteinesbehindertenKindesüberfordertsindunddafüreinenSchuldigensuchen.ProblematischbleibtdieTatsache,dassdieberatendenÄrztediepränataleDiagnostiktendentielleherbefürwortenmüssen,wennsieVorwürfennachderGeburteinesbehindertenKindesvorbeugenwollen.DieGefahreinesVorwurfsandenArztbestehthingegenweitweniger,wenndieElternnachärztlichempfohlenerpränatalerDiagnostikeinpositivesTestresultaterhaltenunddenArzterneutumRatersuchen,wiesiemitdiesemResultatumgehensollen.DieAngstderberatendenÄrztevorjuristischenKonsequenzenbeiGeburteinesungewollten,dakrankenKindes,wirdunweigerlichzueinerAusweitungderAnwendungvonpränatalerDiagnostikführen.
EntscheidungimkonkretenFall
Ausdemobengesagtenfolgt,dassmandieAbtreibungeinesKindesmitTurnerSyndromablehnenmuss,wennmanKantsSelbstzweckthesezustimmt.DeutlichschwierigeristdieEntscheidungimFallbeispielmitdertuberösenSklerose,daeinTeilderBetroffenenschwerstkörperlichundgeistigbehindertseinwird.AberebennureinTeil.Kant'sSelbstzweckthese,dievernunftbegabteWesenvoraussetzt,kannhiernichtuneingeschränktzurAnwendungkommen.HierstelltsichdieFrage,ob
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wirbereitsind,potentiellvernunftbegabteIndividuenzuopfern,umsicherzustellen,dasskeinpotentielllebenslangschwerbehindertesIndividuumzurWeltkommt.
SchutzvonKrankenundBehinderten
WieauchimmerwirinZukunftpränataleDiagnostikundEugenikhandhabenwerden,müssenToleranzgegenüberBehindertenundKrankenundderSchutzihrerInteresseneinprioritäresZieljederGesellschaftbleiben.SteigendegesellschaftlicheAnsprücheanGesundheitsnormendürfennichtaufKostenderschwächstenMitgliederderGesellschaftgehen.
Kreis der Betroffenen
DieProblematikbetrifftzunächstinersterLinieallePaaremitKinderwunsch,werdendeElternundderennäheresUmfeld.Esistaberdavonauszugehen,dasssichdienicht‐invasivepränataleDiagnostikzumZweckeugenischerMassnahmeninnerhalbsehrkurzerZeitetablierenwird.DieswirdAuswirkungenaufdieganzeGesellschaftundalleFolgegenerationenhaben.FortpflanzungistnienureineAngelegenheitderIndividuen,sondernimmerauchvongesamtgesellschaftlichemInteresse.DergesellschaftlicheDruckaufwerdendeElternpränataleDiagnosemethodenzumZweckdernegativenEugenikanzuwenden,wirdaufgrundderrisikofreienDurchführungdieserMethodenfürMutterundKindzunehmen.DasUnterlassenderUntersuchungoderdasAustrageneineskrankenKindeswirdalsVerantwortungslosigkeitgegenüberderGesellschaftinterpretiertwerden.
DiejetzigeGenerationwerdenderElternerzeugtineigenerVerantwortungeinevermutlichunumkehrbareEntwicklung,dieallekommendenGenerationenderungeteiltenAutorschaftüberdaseigeneLebenundderFortpflanzungsautonomiezuberaubendroht.
Esistdamitzurechnen,dassdienegativeEugenikGesundheitsnormensowiegesellschaftlicheWertvorstellungenbeeinflussenwirdundzusätzlichenDruckzurSelbstoptimierungerzeugenkönnte.MitabnehmenderInzidenzpränataldiagnostizierbarerErkrankungenwirdesfürForscherundPharmaindustriezunehmendschwierigundunattraktiv,füreineimmergeringereAnzahlBetroffenerneueTherapienzuentwickeln.DiebereitsjetztbestehendeProblematikinZusammenhangmitdenvonderPharmaindustrievernachlässigten,daökonomischunattraktivenOrphanDiseases,wirddadurchzunehmen.
HöhereGesundheitsnormengehenmöglicherweiseeinhermiteinervermindertenToleranzundverstärktenAusgrenzungvonBehindertenundKranken.
WenndieRollederGeburtshelferzunehmenddaringesehenwird,denElternzueineminjederHinsichtgesundenKindzuverhelfen,wirdderDruckaufdieGeburtshelfersteigen,risikofreiepränataleDiagnosemethodenallenSchwangerenanzubieten.DadurchverhinderndieÄrzte,sichelterlichenVorwürfenaussetzenzumüssen,wennnachUnterlassungeinerpränatalenDiagnostikeinunerwünschteskrankesKindgeborenwird.BeiErkrankungen,dieintrauterinnichtdiagnostizierbarsind,werdendieseVorwürfeabertrotzdemkommen,dazunehmendderEindruckentstehenwird,dieGeburtkrankerKinderseidankmedizinischerMassnahmengänzlichvermeidbar.DieGeburtshelferwerdendadurchzuHandlangerneinerunsereFreiheitundSelbstbestimmunggefährdendengesellschaftlichenEntwicklung,diekaumnochaufzuhaltenist.
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Erkenntnisse aus diesen Fallbeispielen
WirwerdeninwenigenJahrenkonfrontiertseinmitausethischerSichthochproblematischenMöglichkeitenderpränatalenDiagnostik,dieraschzumgesellschaftlichenZwangfürPaareführenkönnten,nurgesundeKinderzubekommen.DieswirddiereproduktiveFreiheitweitmehrgefährdenalseinsehrrestriktivesFortpflanzungsgesetz,daslediglichdiepränataleDiagnosevonschwerstenErkrankungenzulässt,diemiteinemselbstbestimmtenLebenunvereinbarsind.EingesellschaftlicherZwangzumgesundenKindistunvereinbarmitderVorstellungdesMenschenalsZweckansich.
Selbstverständlichgibtesnichtsdagegeneinzuwenden,wennElternnurdasBestefürihrKindwollen.EsbestehtaberderobenvielfachbegründeteVerdacht,dassdamitoftnichtdiebestmöglicheEntfaltungderPersönlichkeitdesKindesunddessenSelbstbestimmungimKant'schenSinnegemeintist.BeabsichtigtwirdeherdiebestmöglicheBehauptungdesKindesineinerimmeranspruchsvollerenWettbewerbsgesellschaftunddieErfüllungdesElternwunschesnacheinemVorzeigekind.InfolgeeinersolchenEinstellungerhöhensichdieLeistungsanforderungenandieMitgliederderGesellschaftundvermutlichauchdieIntoleranzgegenüberLeistungsschwächerenoderMenschenmitBehinderungen,diedurchnegativeEugenikhätteneliminiertwerdenkönnen.EsdrohtdieVielfaltmenschlicherErbanlagen,VerhaltensvariantenundpersönlicherLebensentwürfeeinemgesellschaftlichenUniformitätsdruckzuweichen.DieswäreinklaremWiderspruchzuraufklärerischenAufforderungzurautonomenLebensführung.
WenndieEinstellungzumeigenenKindalsMittelzumZweckzumNormalfallwird,bestehtdieGefahr,dassdieseEinstellungfrüheroderspäteraufallemitmenschlichenBeziehungenangewandtwird.EsbestehtwenigAnlassanzunehmen,dassKinder,dievonihrenElternundderGesellschaftalsblosseMittelbehandeltwurden,daraufverzichtenwerden,ihrAutonomiedefizitimNachhineindurchinstrumentalisierendeBeziehungenzuihrenMitmenschenoderzumeigenenNachwuchswenigstensteilweiseauszugleichen.DieserVerzichteinerganzenGenerationaufAusgleichdesdurchdieVorgängergenerationgeschaffenenAutonomiedefizitswäreaberfürdieWiederherstellungderGrundlagenderaktuellnochgeltendenMoralunabdingbar.DerVerzichtaufeinevermeintlicheVergrösserungderreproduktivenAutonomiedurchvermehrteAnwendungpränatalerDiagnosemethodenscheintvordiesemHintergrunddasGebotderStunde.
NeueMethodenderReproduktionsmedizinundderpränatalenDiagnostikbedürfensehrstrengergesetzlicherRegelungen,dienichtprimärvonInteressengruppenunddem,wastechnischmöglichist,bestimmtwerdendürfen.DieethischenKonsequenzenderzugelassenenMethodensolltenvonderganzenGesellschaftgetragenwerdenkönnen.Diessetztvoraus,dassdieGesellschaftübermöglicheGefahreninKenntnisgesetztwird.
DieScherezwischendem,waswirkönnenunddem,waswirohneVerletzungethischerGrundsätzedürfen,klafftimmerweiterauseinander.DerRufvonJürgenHabermasnachUnverfügbarmachungbestimmtereugenischerMethoden[14]verdienteinekritischePrüfung.DemSchutzderMenschenwürdeundderSelbstbestimmungunabhängigvonpsychophysischenGegebenheitendesIndividuumsmusshöchstePrioritäteingeräumtbleiben.DiesebasaleethischeForderungdarfnichtleichtfertigdemZeitgeistoderselbstgemachtenBedürfnisspiralengeopfertwerden.Wirsolltenverhindern,dassElternzumverlängertenArmeinerGesellschaftwerden,diemitihrereigenenmenschlichenNaturunzufriedennachSelbstenhancementruftundineinemkünstlichverstärktenWettbewerbmehrFreiheitenverliertalsdazugewinnt.
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DieEntwicklungethischproblematischerTechnologiendarfvondenForschernnichtrückwirkendmitdenangeblichenBedürfnissenderBevölkerungbegründetundbeimAuftretenvonAuswüchsendieVerantwortungandieGesellschaftzurückdelegiertwerden.ÄrzteundForschermachensichsozuHandlangerneinerGesellschaft,derenIndividuensichgegenseitigdenAnspruchaufSelbstbestimmungdessichselbstalsZweckbegreifendenMenschenabsprechen.DamitsetzensienichtwenigeralsdieunerlässlichePrämissederMoralphilosophieaufsSpiel.[5](S.145)MehrDemutimUmgangmitneuenTechnologienbetrachteichvordiesemHintergrundalszukunftsträchtigeTugend.
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