Das Projekt „Churer Modell“ startete
vor zwei Schuljahren mit zwei Klas-
sen. Später stiessen neun weitere
Klassen dazu.
Begleitet wird das Projekt von
Arno Ulber von der PH Graubün-
den. Dieser hat im Rahmen einer
Evaluation sieben Klassenteams
zu ihren Erfahrungen mit binnen-
differenziertem Unterricht be-
fragt.
Wie die Antworten zeigen, erfolgte
die Teilnahme am Projekt aus unter-
schiedlichen Gründen.
Alle befragten Klassenteams haben
sich an die definierten Vorgaben ge-
halten (Umstellung des Schulzim-
mers, kurze Inputs, offene Lernum-
gebungen in mindestens Mathematik
und Deutsch, freie Platzwahl der
Schülerinnen und Schüler). Bei der
Umsetzung jedoch haben sich indi-
viduelle Lösungen ergeben. Was
alle Klassenteams verbindet, ist der
Mut, sich auf Neues einzulassen und
den eigenen Unterricht zu verän-
dern.
Lehrpersonen berichten über ihre Erfahrungen mit der Binnendifferenzierung
„Churer Modell“
Erfahrungsberichte im Umgang mit der Binnendifferenzierung im Unterricht
Die vorliegenden Berichte basieren
auf Aussagen, die Arno Ulber zusam-
men mit einer Assistentin in einstün-
digen Interviews mit den Klas-
senteams eingeholt, zusammen-
gefasst und anonymisiert hat.
Die Aussagen werden in dieser
Broschüre in verkürzter Form
wiedergegeben, wobei darauf
geachtet wurde, die Authensität
zu erhalten.
Die Berichte spiegeln die Erfahrun-
gen mit der Umstellung auf Bin-
nendifferenzierung. Sie dokumentie-
ren Erfolge, unerwartete Effekte,
aber auch das Suchen und Zweifeln.
Es war nicht ganz so freiwillig. Die Blockzeiten im
Zusammenhang mit der Integration stellten für uns ein
Problem dar und deshalb suchten wir eine Lösung. Es
war schon immer ein Thema, den Unterricht so zu ge-
stalten, dass alle Kinder gefördert werden und nicht im
Gleichschritt gehen.
Ich hatte einfach viele Bücher gelesen und dachte im-
mer, die Theorie sei nicht umsetzbar.
Würdet ihr den Schritt nochmals machen?
Ja, unbedingt.
Wir hatten eine schwierige 3.Klasse übernommen und
sie war auch gross. Wir hatten uns durch das Jahr hin-
durch gekämpft und es war sehr anstrengend. Reto
Thöny hat uns dann eine neue Unterrichtsform vorge-
schlagen und vorgestellt. Wir haben dann zugesagt und
ich habe mir neue Energien erhofft.
Es war eigentlich eine Notlösung, aufgrund der Hete-
rogenität der Kinder. Vorher konnte ich die Kinder nicht
zum Arbeiten motivieren. Mir ging es ziemlich schlecht.
Ich habe mich mit meinem Problem an Reto Thöny ge-
wandt und er schlug mir vor, beim Projekt mitzuma-
chen. Es war ein Kaltstart. Ich brauchte die Zeit bis zu
den Sommerferien, um mich daran zu gewöhnen. Der
Unterricht vor- und nachher ist wie Tag und Nacht.
Die Kinder lernten selbstständig zu arbeiten und für
mich ist es eine grosse Entlastung.
Es war uns ein Anliegen, mit unserem Unterricht wei-
terzukommen. Es war schon immer ein Ziel, individuell
auf die Kinder einzugehen.
Ich habe vom Projekt gehört und mich hat es interes-
siert, da die Heterogenität in meiner Klasse sehr gross
war. Meine Kollegin war zuerst etwas kritisch einge-
stellt. Wir sind froh, dass wir den Schritt gewagt haben.
Dabei sind wir, ohne dass wir das wollten. Wir woll-
ten einfach ‚Differenzieren‘. Wir hatten etwas Bedenken, wegen der vielen Arbeit. Wir wussten nicht, worauf wir
uns einlassen. Wir haben Videos gesehen und wussten, dass es in der Theorie gut tönt. Wir wollten einfach das
für uns Mögliche machen.
Unterschiedliche Gründe führten zur Umstellung des Unterrichts
„Ich habe viele Bücher gelesen
und dachte immer, die Theorie
sei nicht umsetzbar.“
Die Aussagen der einzelnen Klassenteams:
Juni 2012
Seite 2 „Churer Modell“
Erfahrungsberichte
Was hat sich im Unterricht verändert?
Die Aussagen der einzelnen Klassenteams:
Die Rolle der Lehrperson hat sich verändert. Der
Übergang vom Kindergarten in die Schule hat einen
Roten Faden erhalten. Die Kinder kommen mit einem Vorwissen in die Schule an welchem individuell ange-
knüpft wird.
Was gelingt gut?
Offene Aufträge in Mathe sind auf einem hohen binnendifferenzierten Niveau. Das
gelingt gut. Im Deutschbereich ist es gelun-gen, die Eigenmotivation zu wecken. Die
Kinder arbeiten mit Freude und haben er-kannt, dass Lesen und Schreiben etwas
Schönes ist.
Die Kinder lernen Eigenreflexion und können sich gut
einschätzen. Das haben sie in einem Jahr gut gelernt.
Sie können zu ihren Leistungen stehen.
Was hat das ausgemacht?
Die persönliche unmittelbare Rückmeldung über das
Lernen ist wichtig und gibt eine Wertschätzung. Die Kin-
der arbeiten an verschiedenen Sachen, weshalb sie auch nicht mehr so vergleichen.
Gemeinschaftsbildung und soziales Lernen, geht das in eurem Unterricht unter?
Nein, das kommt gar nicht zu kurz. Wir fangen immer
zusammen an und hören oft gemeinsam auf. Sequen-
zen im Kreis gehören dazu. Sie können auch immer zu zweit arbeiten. Voneinander lernen, miteinander lernen.
Die freie Platzwahl gab eine Dynamik. Die Kinder
mussten lernen so zu sprechen, dass es nicht stört. Manchmal hatte ich das Gefühl, nicht allen Kindern ge-
nug Förderung zu bieten. Gesamthaft erlebe ich es aber positiv und weniger anstrengend.
Was gelingt euch schon gut?
Es gelingt uns das Angebot so zu gestalten, dass die
Kinder Mut haben etwas anzupacken und motiviert da-
ran gehen. Die Aufgaben sind auf verschiedenen Ni-
veaus und entsprechen ihrem individuellen Leistungs-
stand. Sie lernen, für sich selber zu lernen. Es gibt auch
oft Aufgaben, die zu zweit gemacht werden können.
Dabei entstehen sehr konstruktive Gruppierungen. Das
gemeinsame Lernen ist für schwache und starke Schüle-
rinnen und Schüler eine Chance.
Können die Kinder frei wählen? Wie sieht die Steuerung
aus?
Es kann gesteuert werden durch die Platzordnung, durch das Angebot oder auch durch Intervention der
Lehrperson. Manchmal muss man auch sagen:„Von dir
erwarte ich jetzt, dass du dieses oder jenes machst!“. Steuerung durch individuelles Begleiten. Und dann noch
die Steuerung durch die gemeinsamen Gespräche.
Nach den Sommerferien hat sich der Unterricht stark verändert. Es ist viel weniger Unruhe. Es ist sehr wich-
tig, dass man sich sehr gut auf den Unterricht vorberei-tet. Die Aufgabenstellungen sind sehr offen geworden.
Die Rolle der Lehrperson ist mehr eine Coaching-Rolle. Man nimmt
sich zurück. Die Passung der In-
halte ist noch nicht optimal, aber besser als beim Frontalunterricht.
Kinder sind nicht so fremdgesteu-ert. Beim Frontalunterricht gibt die Lehrperson ständig
Anweisungen, was auch für die Lehrperson anstrengend ist.
Die Kinder habe viel mehr Verantwortung. Das brauchte die Einsicht, dass den Kindern etwas zuzutrauen ist.
Was hat sich bewährt bei der Raumgestaltung?
Die Nischen sind sehr gut. Einige Kinder suchen diese
Plätze und brauchen das. Andere brauchen den Über-blick. Es könnten durchaus noch mehr Nischen da sein.
Was gelingt euch besonders und woran liegt es?
Lehrperson 1: Ich kann gut loslassen und weiss, dass
sie trotzdem lernen. Ich habe den Überblick über das Tun, das war am Anfang nicht so.
Lehrperson 2: Bei mir ist es noch nicht ganz so stark. Was ich schon viel besser kann und daran gearbeitet
habe, ist der Umgang mit dem Lärmpegel. Das hat mich manchmal gestresst. Nun kann ich es akzeptieren, da
ich die Einsicht gewonnen habe, dass sie ja in die Arbeit
vertieft sind.
Die Schülerinnen und Schüler werden individuell beglei-
Kinder können zu ihren
Leistungen stehen
Seite 3
tet und wir können Rückmeldungen geben. Beim sozia-
len Lernen profitieren sie sehr viel. Sie arbeiten regel-mässig in Teams, zu zweit, zu dritt. Sie müssen aufei-
nander Rücksicht nehmen. Die Angebote sind in ver-schiedenen Sozialformen. Das WIR als Klasse findet
Platz im Morgenkreis und Schlusskreis, wo man Gemein-
sames bespricht.
Was macht die freie Platzwahl aus?
Es gibt eine natürliche Balance. Im herkömmlichen Un-
terricht verbraucht das Thema Sitzplatz viel zu viel Energie. Es ist immer ein latentes Thema. Ich kann mir
gar nicht mehr vorstellen, wie es früher war.
Vom Lehrergesteuerten zum Selbstregulierten. Das
war ein Prozess und ging Schritt für Schritt. Auch unsere Rolle hat sich ver-
ändert. Wir begleiten, beraten und hel-fen mehr weiter.
Die Schwerpunkte haben sich verscho-ben. Zum Beispiel Schönschreiben ist
nicht mehr so bedeutend. Dafür wird
die Selbstständigkeit mehr gefördert. Die Hausaufgaben sind auch individueller geworden. Die Kinder haben ei-
nen Arbeitsplan (keinen Wochenplan). Der Plan wird stark durch die Mathe gesteuert und geht über einen
längeren Zeitraum.
Die Lernfreude ist gewachsen. Man lernt die Kinder bes-
ser kennen und erkennt, wer mehr Selbstkompetenzen hat. Man merkt auch welche Kinder Strategien haben,
Hilfe brauchen und erkennt diejenigen, die nicht so viel
arbeiten.
Gerade Problemkinder können profitieren. Dieses Sys-
tem kann mehr auffangen, da man ihren Bedürfnissen gerecht werden kann. Das ist auch eine grosse Chance.
Die freie Platzwahl stellt auch eine Lernsituation dar ( Durchsetzen lernen, Nachgeben…).
Was hat sich im Klassenzimmer verändert?
Das Zimmer ist ganz anders eingerichtet und die Viel-
falt, das greifbare Angebot ist grösser. Es ist nichts un-ter den Tischen. Der Lärmpegel ist höher. Es hat mehr
körperliche Bewegung. Es wird gelaufen, die Kinder spielen am Boden, dann wird einmal eine Lesegruppe
einberufen, jeder arbeitet etwas anderes.
Hat sich der Umgang mit dem Lärmpegel verändert?
Ja, ich habe es akzeptiert, ein positives Akzeptieren. Es hilft dem Zweck. Beim nächsten Klassenzug möchte ich
aber versuchen, einen Flüsterton einzuführen. Für mich
ist es schon ein Problem, es braucht Kraft.
Der Gesprächsanteil der Lehrperson ist kleiner gewor-den. Die Inputs gehen höchstens 10-15 Minuten und
dann fängt die produktive Phase bei den Kindern an.
Die Gesprächszeit mit den einzelnen Kindern hat aber
zugenommen.
Es ist nicht jedes Kind zur gleichen Zeit beim gleichen
Inhalt. Es fällt weg, dass Schnelle beschäftigt werden müssen. Schnelle Kinder arbeiten einfach weiter.
Es gibt auch Lektionen, in denen ich gar nicht differen-ziere.
Dass es gut gelungen ist, sieht man daran, dass die Kinder motiviert sind und zufrieden sind. Es gibt keine
Langeweile mehr.
Die Schere in den Leistungen der Kinder wird schneller sichtbar.
Im Allgemeinen sind die Noten ein
Thema, gerade bei den IF-Schülern. Sie machen gute Fortschritte und haben
dann aber am Schluss trotzdem nicht eine gute Zeugnisnote. Zu Hause er-
zählen sie, dass sie in der Schule gut
mitkommen und keine Mühe mehr ha-ben und dann mit dem Zeugnis kommt die Überra-
schung. Im Unterricht fallen sie nicht auf. Die Kinder bekommen das Gefühl, dass sie gut sind und mitkom-
men.
Was gelingt gut im Unterricht:
Die Kinder suchen Aufgaben, die sie selber an ihre Grenzen bringen. Das machen sie sehr gerne. Sie kön-
nen sich auch gut einschätzen bei der Auswahl des Ar-
beitsmaterials und Aufgabenstellung. Alle kommen zu Lernerfolgen.
Die Denkprozesse werden ersichtlicher durch offene Aufgaben und auch durch gegenseitiges Erklären.
Kinder lernen für sich-
selber zu lernen
Seite 4 „Churer Modell“
Erfahrungsberichte
Sie können in ihrem Tempo arbeiten und müssen
nicht warten. Sie haben eine Auswahl. Sie sind nicht nur Konsumenten, sondern sie nehmen Teil am Lernpro-
zess. Nicht der Stoff ist im Vordergrund, sondern das Kind. Selbstbewusstsein wird gelernt. Das stärkt die
Kinder.
Kinder mit besonderen Bedürfnissen fallen nicht so auf.
Es gibt keinen Druck auf das Kind. Wenn es jetzt noch nicht Lesen kann, dann lernt es das noch. Solche Schü-
ler brauchen in anderen Klassen Energie, um sich zu
rechtfertigen, oder zu verteidi-gen. Sie können sich hier auch
etwas suchen, indem sie gut sind und sie stärkt. Kinder, die
ein wenig zapplig sind, kom-
men in unserer Klasse gut zu-recht.
Es gibt Kinder, die sich aufs Lernen einlassen und sich her-
ausgefordert fühlen. Es gibt auch solche, die schwierig zu
holen sind. Für diese Kinder ist es strenger.
Welche Erfahrungen habt ihr mit unruhigen Kindern in offe-nen Situationen gemacht?
Ein Junge hat grosse Mühe, sich einzulassen. Wenn er
es schafft, sich auf eine Arbeit einzulassen, dann ist es
gut. Ein andrer Junge, der in Mathe ganz gut ist, lässt sich nicht herausfordern, was sehr schade ist. Wir glau-
ben aber, dass dieses System den unruhigen Kindern entgegen kommt.
Mich hat die Entwicklung der Selbstständigkeit und
Selbstorganisation beeindruckt. Sie sind stolz auf sich und das nehmen sie auch mit aus der Schule.
Die Kinder mit Bewegungsdrang fallen nicht mehr auf. Da es mich nicht mehr stört, entlastet es mich auch.
Dadurch habe ich auch eine andere Beziehung zu den
Kindern.
Wie ist der Umgang mit Kindern, die nicht die Leistun-gen bringen, welche ihrem Potenzial entsprechen?
Ich kenne die Kinder und kann steuern. Das mache ich
dann direkt beim Kind und nicht über die ganze Klasse. Dafür muss man wissen, bei welchen es ein bisschen
Druck braucht und wo es keinen verträgt. In dieser Un-terrichtsform kennt man die Kinder sehr schnell. Auch
Veränderungen sind gut erkennbar.
Die Kinder sind allgemein viel motivierter und können
sich gegenseitig etwas erklären.
Wie nehmen Schülerinnen und Schüler den Lärmpegel wahr?
Es ist normal, sie arbeiten, es gehört dazu, dass man
spricht beim Arbeiten. Es kann auch sein, dass ich ein-
mal einen Auftrag gebe für alle, und dass alle diesen still machen müssen, bevor sie zu den Wahlangeboten
übergehen. Das funktioniert aber gut, sie können noch ruhig arbeiten. Es ist für mich wichtig, dass das auch
manchmal Bestandteil ist. Sie werden ja auch sonst ru-hig, wenn sie zum Beispiel etwas schreiben oder lesen.
Sie können ihr Verhalten dem Lernsetting anpassen. Wir
haben einen lebhaften Jun-gen, der früher Ritalin
brauchte. Er sucht sich im-mer einen separaten Platz,
wo er ungestört arbeiten
kann. Er kann sich gut ein-schätzen und fällt gar nicht
mehr auf. Für ihn war die Umstellung sehr gut. Trotz
mehr Unruhe im Raum, kann er besser arbeiten.
Eine andere Schülerin lässt
sich noch stark von der Freundin ablenken. Sie ist
stark auf sie fixiert und ist dadurch abgelenkt.
Das Gemeinschaftsgefühl muss nicht speziell gefördert werden, im Gegenteil. Sie arbeiten so viel in Gruppen
und dabei ist erstaunlich, dass sie sich immer neu grup-
pieren.
Sie profitieren von diesem Unterricht vor allem von der
Intensität. Sie arbeiten viel und es bleibt mehr Zeit für Lerninhalte. Zudem lernen sie mehr Selbstkompetenz.
Das Selbstwertgefühl, Mut etwas anzupacken und auch an etwas dranzubleiben. Es bringt die Kinder weiter, ob
gute Schülerinnen und Schüler oder schlechte.
Sie sind mehr am Arbeiten als früher. Es entstehen kei-
ne Wartezeiten. Für die Kinder passt diese Unterrichts-form.
Es hat schwache Schülerinnen und Schüler die Er-folgserlebnisse haben. Die Motivation ist erkennbar im
offenen Umgang. Sie fragen, wenn sie etwas nicht ver-
stehen. Eine Schülerin konnte sich selber gar nicht or-ganisieren. Sie hat grosse Fortschritte gemacht in der
Selbstorganisation. Sie hat die Sensibilität erlangt, den Arbeitsplatz auszuwählen, der ihrer Arbeit zu Gute
kommt.
Auch das soziale Lernen hat sich verändert. Sie werden
vermehrt herausgefordert voneinander und miteinander zu lernen. Die Schwächeren profitieren enorm von den
Was verändert sich für die Schülerinnen und Schüler?
Die Aussagen der einzelnen Klassenteams:
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Stärkeren. Gerade auch die Kinder mit Migrationshinter-
grund.
Die Aufgabenstellungen haben sich verändert im Ver-
gleich zu früher. Es sind mehr offene Aufgaben. Auch sind es mehr praxisnahe Aufgaben.
Die Guten profitieren davon, dass sie gefordert werden. Ein ganz Starker fordert sich richtig heraus, nicht nur
auf hohem Niveau sondern auch in der Quantität.
Die schlechten Schüler profitieren vermutlich weniger als die mittleren und die guten. Vielleicht liegt es auch
daran, dass sich schlechterer Schülerin-nen und Schüler weniger gut organisie-
ren können und nicht nur die Leistung
an sich Grund dafür ist. Sie brauchen länger bis sie eingerichtet sind und
brauchen Energie dafür. Der Umgang mit den Schwächeren bereitet mir noch
Mühe.
Wir haben eine schwierige Klasse und
wir haben nie Mühe mit dem Stoff
durchzukommen, trotz der Leistungsschere. Wir können uns Zeit nehmen für die schwächeren Schüler. Es ist
toll, wenn man sich Zeit nehmen kann.
Das Soziale ist super. Vermutlich können wir ihnen
auch etwas geben, gerade im Sozialen, was sie zu Hau-
se nicht bekommen. Sie kommen hier aus schlechteren Familien. Sie gehen nicht gerne ins Wochenende und in
die Ferien. Das soziale Lernen wird hier stark gelernt. Wir sind nur Mentoren und führen sie nicht stark. Sie
suchen ihre eigenen Wege und erzählen sich gegensei-
tig die Lernwege.
Wir haben sehr viel neues Material angeschafft, vor al-
lem Lernspiele. Wir wollen weniger Arbeitsblätter.
Ist es weniger förderlich für Kinder mit besonderen Be-dürfnissen?
Auch die schwachen Schülerinnen und Schüler sind mo-tiviert. Wir haben auch von den Eltern gehört, dass sie
viel weniger Mühe haben, bis die Kinder die Hausaufga-
ben machen und gehen lieber in die Schule. Sie sind viel motivierter. Unsicher sind wir einfach, ob das Angebot
besser sein muss für diese Kinder.
Lehrperson 1: Wir holen das volle Potential heraus;
Lehrperson 2: Ich bin nicht sicher, ob nicht noch mehr herauszuholen wäre.
Für die Betreuung dieser Kinder haben wir gut Zeit. Es fällt mir aber schwer, wenn ein Kind nur da sitzt vor
einem Blatt und nichts tut. Es hat auch Kinder, die im-
mer nur das machen, von dem sie wissen, das sie es können.
Die Aufgabenstellungen sind motivierend. Sie lernen
sich einzuschätzen, erleben Stolz und die Kinder denken
mit. Die Kinder hören nicht nur auf Anweisungen, son-dern sehen Aufgaben
Der Lärmpegel ist für einzelne Schüler schon ein Problem. Die Freude am Lernen ist eine wichtige Per-
spektive. Den Nutzen für das Kind sehe ich auch darin, dass die Selbstwahl den Bedürfnissen der Kinder ent-
spricht. Sie kommen nicht in die Schule und denken:„Oh nein, heute Mathe“ und sind gleich schon demotiviert.
Da gibt es eine positive Grundeinstellung. Sie können
auch an einer Sache dranbleiben, wenn sie mit Begeis-terung an etwas dran sind. Auch wenn sie besondere
Interessen haben, können sie die-sen nachgehen. Man muss nicht,
aber kann in die Tiefe gehen. Sie
lernen früh, dass sie selber verant-wortlich sind, für das, was sie ler-
nen und auch Erfolgserlebnisse er-leben, was sie wiederum motiviert.
Sie werden an sich selber gemes-sen durch individuelle Beurteilung.
Es ist aber auch eine Schwierigkeit, transparent gegenüber Eltern zu sein, da diesen der
Vergleich mit anderen Kindern fehlt.
Sie profitieren von diesem
Unterricht vor allem von
der Intensität
Seite 6 „Churer Modell“
Erfahrungsberichte
Wenn es gut gelingt, ist es ein super Gefühl. Am An-
fang ist noch nicht alles gelungen. Es gibt natürlich auch Tage, an denen es nicht so gelingt. Aber das Ge-
fühl, dass es für alle stimmt, gibt mir ein gutes Gefühl. Natürlich kann ich nicht mehr wie früher manchmal am
Pult korrigieren oder Vorbereiten.
Ich bin kritischer meinem Unterricht gegenüber und es
gibt Momente, in denen ich das Gefühl habe, dass ich nicht genüge.
Es kann auch zur Belastung wer-den, das Suchen nach passenden
Angeboten, die auch sinnvoll sind.
Ich glaube, dass es noch offener gehen könnte, aber das getraue
ich mich nicht. Wir haben ja doch die Benotungen und unser Sys-
tem. Auch die Frage, wann bei
Kindern eingegriffen werden soll, beschäftigt mich manchmal.
Belastung:
Der Aufbau war sicher streng. Wenn es einmal aufge-
baut ist, ist die Belastung nicht grösser als vorher.
Im Moment sind wir sehr engagiert. Es hat aber mit
der jetzigen Klasse zu tun, und nicht mit dem Binnendif-
ferenzieren. Es gibt schon Sachen, die jetzt intensiver sind, aber es ist nicht das, was mir zu schaffen macht.
Das Binnendifferenzieren an sich ist keine Belastung. Am Anfang war das Organisatorische anstrengend. Fra-
gen wie „wo kommen Schulsäcke hin?“ oder „was müs-
sen sie ins andere Zimmer mitnehmen?“ mussten ge-klärt und eingespielt werden.
Was hat sich geändert?
Die Arbeit mit dem Kind hat sich verändert. Ich bin viel
näher an jedem einzelnen Kind. Ich weiss besser, wie jedes Kind lernt und wo es steht. Es ist ein positiver
Aspekt. Die intensive Lernbegleitung gibt Sicherheit.
Das kurzsichtige Denken kenne ich nicht mehr. Ich muss ganze Themen ins Auge fassen
bei der Planung.
Die Belastung?
Das ist schwierig einzuschätzen, da es noch andere Faktoren gibt. Es gibt
schon mehr zu tun. Es hat aber schon
auch mit mir zu tun. Das Planen, Kor-rigieren und die Gespräche mit den
Kindern.
Ich habe mich mehr aus dem Un-terricht raus genommen. Es wird
nicht einfach mit dem Klingeln der Glocke die Lektion beendet. Die Arbeit mit dem Wochenplan ist toll. Wir
Lehrpersonen können uns besser untereinander organi-
sieren. Das Zusammenarbeiten wurde einfacher. Die Rolle als Lehrperson gefällt mir sehr gut. Ich unterstütze
die einzelnen Kinder, ich beobachte und werde sehr beansprucht.
Wir machen uns mehr Gedanken darüber, wie gute Schülerinnen und Schüler gefördert werden können. Ich
Was bedeutet diese Unterrichtsorganisation für mich als Lehrperson?
Die Aussagen der einzelnen Klassenteams:
Wir machen uns mehr
Gedanken darüber, wie gute
Schülerinnen und Schüler
gefördert werden können
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schaue die Inhalte von Lehrmitteln breiter an. 4-5 Sei-
ten nehme ich zusammen und vernetze sie.
Die Vorbereitung hat sich dahingehend verändert, dass
mehr Material angeboten werden muss. Die Rolle der Lehrperson hat sich verändert. Kin-
der können mehr unterstützt wer-den und wir können ihnen über die
Schultern schauen. Die Kinder sind nicht mehr ausgestellt, wenn sie
mit uns etwas tun. Die freie Platz-
wahl und die Anordnung der Möbel begünstigen das.
Lehrperson 1: Es machte Freude. Das kann an Verschie-denem liegen. So wie es jetzt ist, gefällt es mir auf je-
den Fall sehr gut.
Lehrperson 2: Es wäre toll mehr Zeit für die Vorberei-
tung zu haben und für den Unterricht.
Anfangs braucht man viel Zeit für die Vorbereitung, da man nicht einfach das Lehrmittel ziehen kann. Gut
wäre, wenn die Lehrpersonen der gleichen Stufe auch
mitmachen würde und die Vorbereitungen ausgetauscht
werden könnten.
Besonders stolz bin ich auf…
Ich war früher manchmal richtig
„hässig“ auf die Kinder. Sie konnten
mich auf die Palme bringen. Heute habe ich zu allen Kindern ein sehr
gutes Verhältnis. Auch sie mir gegen-über, wir schätzen unsere Werte. Da-
rauf bin ich sehr stolz.
Die Belastung war früher während der
Stunde. Heute ist die Vorbereitung viel wichtiger. Die Belastung hat sich verschoben und
nimmt auch mit der Zeit ab. Heute fühle ich mich viel
besser.
Die Vorbereitung ist ganz anders. Ich sitze nicht wie früher in der Vorbereitung mit dem Mathebuch, sondern
ich gehe vom Thema aus. Es wird das Ziel angeschaut und dann überlegt, wie man dorthin kommt. Es kann
auch sein, dass sich das in der Lektion noch verändert.
Aussagen der schulischen Heilpädagogen/Heilpädagoginnen
Der Zugriff ist viel einfacher zur Klasse als bei ande-
ren Klassen. Ich kann auch viel gelassener auf die Kin-der zugehen. In anderen Klassen ist Stigmatisierung
noch ein Thema. Hier bin auch ich einfach Teil davon.
Ich bin mehr in Richtung Co-Lehrperson. Ich bin mehr auch für alle zuständig und nicht nur für Kinder
mit besonderen Bedürfnissen. Mir gefällt es viel besser. Ich bin nicht mehr am „Flicken“, ich kann auch präven-
tiv arbeiten.
Ich bin nicht mehr Gast, ich bin Teil davon. Es fragen mich alle Schülerinnen und Schüler, wenn ich im Klas-
senzimmer bin, auch wenn ich nur 1-2 Lektionen drin
bin. Die Arbeit mit dem Wochenplan vereinfacht mir die Arbeit im Positiven.
Auffällig ist, dass die Kinder im Vergleich zu anderen
Kindern viel selbstbewusster sind. Das könnte mit der Selbstregulierung zu tun haben. Es gibt keine Schülerin-
nen und Schüler in dieser Klasse, die nicht motiviert sind. Keiner „hängt“ durch. Die Kinder sind interessiert
und haben eine intrinsische Motivation.
Es überwiegt das Positive. Die Kinder, die ich betreut habe, zeigen einen guten Verlauf. Das macht es für
mich auch einfacher. Die Lehrpersonen haben Zeit auch
selber auf die Kinder einzugehen. Diagnostik gehört zum Alltag der Lehrpersonen.
Ich weiss besser, wie jedes
Kind lernt und wo es steht
Wie reagieren die Eltern?
Lehrmittelwahl: sie müssten nicht differenzierter sein,
es würde mir aber helfen, wenn die Wahl frei wäre. Mit
Sprachstarken kann ich nicht gut arbeiten im offenen
Unterricht.
Wir erwarten von den Didaktikern mehr Infos dar-
über, was sinnvoll ist. In diesem Zusammenhang wären
auch wissenschaftliche Erkenntnisse hilfreich.
Mehr Austausch unter den Projektteilnehmer/Innen.
Ich weiss nicht viel über die andern. Jetzt wäre ein gu-
ter Zeitpunkt für einen Dialog und Einblick in andere
Arbeiten.
Der Übergang in die nächste Klasse und das Schul-
haus das nicht mitmacht. Kein gemeinsames pädagogi-sches Denken im Schulhaus.
Toll war natürlich, dass wir die Freiheit hatten, das
Projekt zu machen und wir waren geschützt von der
Schulleitung. Wir konnten uns weiterentwickeln. Wir
hatten nicht den Druck und konnten frei ausprobieren.
Es ist eine Herausforderung und es hat für mich per-
sönlich sehr gut gestimmt um weiterzukommen. Es ist
die logische Folge der integrativen Schulform.
Impressum: Schuldirektion, Rathaus, Poststr. 33, 7000 Chur; 081 254 44 47; [email protected]
Der Start war nicht optimal. Es sind gewisse Fragen
kursiert bei gewissen Müttern. Jetzt sind sie aber froh,
dass ihre Kinder in diese Klasse gehen. Sie schätzen es
jetzt sehr und fragen sich, wie es (...bei der nächsten
Lehrpersonen..) weiter gehen soll.
Positive Rückmeldungen. Die Kinder haben mehr
Chancen und Möglichkeiten im Unterricht. Es gibt auch
Eltern die Angst haben. Eine Mutter befürchtet, dass ihr
Kind nichts lernt, da er auch zu Hause viel Anleitung
braucht. Eine Mutter fand es toll. Viele Väter hatten das
Gefühl, dass sie lieber in so eine Schule gegangen wä-
ren.
Die Veränderung bei den Kindern wurde nicht be-
merkt oder nicht kommuniziert. Eltern eines ADHS hat-
ten sich Sorgen gemacht. Daraufhin ist dann der Kin-
derarzt in die Schule gekommen und musste dann aber
feststellen, dass es dem Jungen zu Gute kommt.
Von den Eltern haben wir keine speziellen Rückmel-
dungen. Es ist bei ihnen nicht als Projekt deklariert. Es
ist schwierig eine Vermutung abzugeben. Wir haben
einzig am Elternabend von offenem Unterricht gespro-
chen. Wir haben aber nichts gehört, es war nie ein The-
ma. 2-3 haben nur gesagt, dass es toll sei, dass die Kin-
der überall sitzen dürfen.
Die Eltern haben die Arbeit mit dem Wochenplan
sehr begrüsst. Bei der Unterstützung beim Erledigen der
Hausaufgaben entsteht weniger Druck. Wenn sie dem
Kind nicht helfen können, dann wird das in der Schule
gemacht. Es muss nicht zwingend etwas Bestimmtes als
Hausaufgabe gemacht werden. Wir besprechen es dann
mit dem Kind am anderen Tag.
Von den Eltern kam sonst eigentlich nichts.
Nur Positives. Gerade auch von den Eltern der
schwachen Kinder. Die Kinder gehen viel lieber in die
Schule und sie haben keinen Druck mehr. Jedes Kind
macht einfach eine halbe Stunde Hausaufgaben, egal
wie weit sie sind. Das kommt gut an und nimmt Druck.
Die Schulleitung….
….. dankt Arno Ulber und Alexandra Zaugg für die Da-
tenerhebung und die Begleitung im Projekt. Die Daten
werden im Moment für die Weiterentwicklung des Pro-
jektes differenziert ausgewertet.
…..dankt allen Lehrpersonen, die an den Interviews teil-
genommen haben und all jenen, die im Laufe des letz-
ten Schuljahres in das Projekt eingestiegen sind oder
noch einsteigen werden und damit wichtige Erkenntnis-
se für die Weiterentwicklung beisteuern.
.…….ist beeindruckt, in welcher Qualität sich die betei-
ligten Lehrpersonen mit Unterrichtsentwicklung befas-
sen und mithelfen, die entscheidenden Fragestellungen
zu finden, die uns weiterbringen.
…...weiss, dass alle Lehrpersonen an der Stadtschule
sich täglich für guten Unterricht einsetzen und damit zu
einer guten Schule beitragen.
….. möchte Lehrpersonen auf dem Weg zu guten Lö-
sungen im Umgang mit Heterogenität unterstützen.
Das wäre noch zu sagen….
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Erfahrungsberichte
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