COLL»Hidd’n Blue«
SCHUMANNCellokonzert
BEETHOVEN6. Symphonie »Pastorale«
GIMENO, DirigentSTECKEL, Violoncello
Montag 22_02_2016 20 Uhr
TRAURINGHAUS · SCHMUCK · JUWELEN · UHREN · MEISTERWERKSTÄTTENJ. B. FRIDRICH GMBH & CO.KG · SENDLINGER STRASSE 15 · 80331 MÜNCHEN
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118. Spielzeit seit der Gründung 1893
VALERY GERGIEV, ChefdirigentPAUL MÜLLER, Intendant
FRANCISCO COLL»Hidd’n Blue« für Orchester op. 6
ROBERT SCHUMANNKonzert für Violoncello und Orchester a-Moll op. 129
1. Nicht zu schnell2. Langsam
3. Sehr lebhaft
LUDWIG VAN BEETHOVENSymphonie Nr. 6 F-Dur op. 68
»Pastoral-Sinfonie oder Erinnerung an das Landleben«
1. »Angenehme, heitere Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen«: Allegro, ma non troppo
2. »Szene am Bach«: Andante molto moto, quasi allegretto3. »Lustiges Zusammenleben der Landleute«: Allegro
4. »Donner – Sturm«: Allegro5. »Hirtengesang – Wohltätige, mit Dank an die Gottheit
verbundene Gefühle nach dem Sturm«: Allegretto
GUSTAVO GIMENODirigent
JULIAN STECKELVioloncello
Eine Aufzeichnung der Konzertserie durch den Bayerischen Rundfunk
wird am Mittwoch, dem 9. März 2016, ab 20.03 Uhr auf BR-Klassik gesendet
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Francisco Coll: »Hidd’n Blue«
Musikalisches Feuerwerk
MARTIN DEMMLER
FRANCISCO COLL(geboren 1985)
»Hidd’n Blue« für Orchester op. 6
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
Geboren am 17. Juli 1985 in Valencia / Spanien.
ENTSTEHUNG
»Hidd’n Blue«, was auf deutsch so viel bedeutet wie »verstecktes, verborgenes, aber unterschwellig vorhandenes Blau«, entstand in den Jahren 2009 bis 2011 als Auftragswerk des London Symphony Orchestra, und zwar in Folge eines Wettbewerbs für junge Komponisten, den das britische Orchester ausgeschrieben hatte und aus dem Francisco Coll als Gewinner hervorgegangen war. Finanziell unterstützt wurde der Kompositionsauftrag durch den Helen Hamlyn Trust.
URAUFFÜHRUNG
Am 15. Januar 2012 in London in der Barbican Hall (London Symphony Orchestra unter Leitung von Thomas Adès). Seitdem ist »Hidd’n Blue« auch in Frankreich, Deutschland und Luxemburg mit großem Erfolg aufgeführt und auf CD eingespielt worden; die britische Zeitung »The Guardian« lobte vor allem die orchestrale Erfindungskraft Colls und prophezeite dem jungen Komponisten eine große Zukunft.
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Francisco Coll: »Hidd’n Blue«
Musikalisches Feuerwerk
MARTIN DEMMLER
Francisco Coll (um 2010)
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Nur knapp fünf Minuten ist dieses Orchesterstück lang und doch umschließt es einen ganzen Kosmos orchestraler Möglichkeiten. Was wie eine Ouvertüre für großes Orchester daherkommt – und in der Tat hat der Komponist das Stück als eine Art »Vorspiel« bezeichnet – erweist sich als konzentriertes Panorama unterschiedlichster musikalischer Ausdrucksweisen, als Parforceritt durch die fast unbegrenzten klanglichen Möglichkeiten eines modernen Orchesterapparats.
MUSIKALISCHER SENKRECHTSTARTER
Francisco Coll gehört heute zu den interessantesten Komponistenpersönlichkeiten der jüngeren Generation und steht inzwischen auch in Kontakt mit vielen namhaften Interpreten und Ensembles, die sich für seine Musik einsetzen. 1985 im südspanischen Valencia geboren, hat Coll seine musikalischen Aktivitäten als Posaunist begonnen, sich daneben aber auch für bildende Kunst interessiert. Später studierte er an den Musikkonservatorien von Valencia und Madrid, entschloss sich aber dann, als Privatschüler von Thomas Adès nach London zu wechseln. Daneben nahm er auch Unterricht bei Richard Baker an der Guildhall School of Music and Drama und erhielt erste, auch internationale Auszeichnungen für seine Werke.
ERSTE ERFOLGE
Colls erstes Auftragswerk für BlechbläserEnsemble wurde 2005 vom Ensemble »Canadian Brass« im Lincoln Center in New York aus der Taufe gehoben. Weitere Kompositionsaufträge folgten, etwa vom Los Angeles Philharmonic Orchestra oder von den Festivals in Aldeburgh, AixenProvence
und Verbier. Auch das Spanische Nationalorchester und die London Sinfonietta bestellten großformatige Arbeiten bei ihm. Bezeichnend für Colls Komponieren sind originelle Ideen und Klangvorstellungen, die er souverän und mit großem dramaturgischen Geschick umzusetzen versteht. Inzwischen hat Coll ein knappes Dutzend Orchesterwerke mit oder ohne Solisten vorgelegt. Seine erste Oper »Café Kafka« hatte 2014 beim Aldeburgh Festival Premiere. Derzeit arbeitet er an einer Transkription von Richard Wagners »WesendonckLiedern« für das renommierte Ensemble Intercontemporain.
DREIDIMENSIONALES PANORAMA
Coll selbst hat sein zwischen 2009 und 2011 entstandenes Orchesterwerk als »3DMusik für ein virtuoses Orchester des 21. Jahrhunderts« bezeichnet. An anderer Stelle hat er es »eine Art Ouvertüre für großes Orchester« genannt. Beides trifft den Charakter dieser Musik ziemlich genau. Denn Coll bedient sich einer außerordentlich plastischen Musiksprache, bei der man in der Tat eine sozusagen »dreidimensionale« Staffelung des Klangs assoziiert. Und ein virtuoser Klangkörper ist natürlich die Voraussetzung, um so hochkomplexe musikalische Strukturen wie diese zu realisieren. Coll selbst hat sich bei der Beschreibung seiner Musik auf zwei verschiedene Ebenen konzentriert: Zum einen auf die Welt der Farben und zum anderen auf die kontrapunktischen Techniken, die er in »Hidd’n Blue« angewandt hat. »Wie bereits der Titel suggeriert«, so der Komponist, »wird ein tiefer Klang von dunklem, mysteriösem Blau allmählich von helleren Farben überlagert. Die musikalischen Linien gleichen Ästen von Bäumen, die sich häufig kontrapunktisch zueinander verhalten.«
Francisco Coll: »Hidd’n Blue«
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VON DEN HÖCHSTEN REGISTERN...
Formal gestaltet der Komponist den Beginn von »Hidd’n Blue« als frei behandelten Kanon, der das musikalische Material bis zu einem gewissen Höhepunkt entwickelt, um sich im weiteren Verlauf allmählich aufzulösen. Doch was sich strukturell eher wenig spektakulär anhört, erweist sich klanglich als eine Art musikalisches Feuerwerk – mit leuchtenden Farben und jeder Menge überraschender Wendungen. Das Stück beginnt in den höchsten Registern, der Satz scheint von Beginn an dicht, energiegeladen und äußerst bewegt. Der immense Reichtum der Klangfarben äußert sich in permanentem Glitzern, Blinken und Grollen, wobei sich die Palette mitunter jäh ändern kann. Stellenweise kommt es auch zu tumultartigen Passagen, aber immer wieder strukturieren mächtige Akzente das farbenprächtige Rauschen. Dabei spielt der breit aufgestellte Schlagzeugapparat eine nicht unwesentliche Rolle.
...HINAB INS TIEFE, DUNKLE BLAU
In einem zweiten Abschnitt herrschen zunächst die tiefen Register vor. Hier assoziiert man das tiefe Blau, von dem Coll selbst in seinem kurzen Werkkommentar spricht. Angstvoll, beklemmend, psychogrammartig präsentiert sich der musikalische Satz an dieser Stelle. Aus diesen tiefen Registern entwickelt sich eine Vielzahl melodischer Linien, das Farbenspektrum wird erweitert und umfasst nun auch hellere Töne. Coll spielt virtuos und äußerst kunstvoll mit dem riesigen Orchesterapparat, überrascht immer wieder mit ungewöhnlichen Instrumentenkombinationen, geradezu brutalen Tutti Effekten und unerwarteten melodischharmonischen Wendungen. Bis zum Ende bleibt der Satz vorwärts drängend und
äußerst bewegt. Hier gibt es kein AufderStelle treten, kein Zaudern, keine lyrischen Reflexionen. Alles ist Klang, Kraft, Bewegung.
VIRTUOSITÄT UND SPIELKULTUR
Traditionelle Symphonieorchester haben nicht unbedingt eine besondere Affinität zur zeitgenössischen Musik. Doch dieses Stück von Francicso Coll werden die Orchester lieben. Denn hier haben die Musiker die Möglichkeit, ihrem Instrument nicht nur das Letzte abzuverlangen, sondern gleichzeitig in einem großen Ganzen aufzugehen. Virtuosität und Spielkultur sind nicht Selbstzweck, sondern strukturbildend. Und der musikalische Satz ist so organisiert, dass sich jeder Instrumentalist in das vielstimmige Gewebe einbringen kann, sich aber auch darin wiederfindet. Dass Coll dabei die extremen Lagen, die musikalischen Ränder, besonders intensiv ausleuchtet, geschieht hier ganz bewusst: Denn in seinen Augen leben wir heute in einer Gesellschaft, in der nur noch Extrempositionen zählen. Eine Ambivalenz, die Francisco Coll bewusst einsetzt und einmal so formuliert hat: »In ›Hidd’n Blue‹ scheint alles sicher und unsicher zugleich...«
Francisco Coll: »Hidd’n Blue«
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ROBERT SCHUMANN(1810–1856)
Konzert für Violoncello und Orchester aMoll op. 129
1. Nicht zu schnell2. Langsam3. Sehr lebhaft
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
Geboren am 8. Juni 1810 in Zwickau (Sachsen); gestorben am 29. Juli 1856 in Endenich bei Bonn.
ENTSTEHUNG
Robert Schumann komponierte sein (einziges) Cellokonzert in den ersten Wochen seiner Amtszeit als neu gekürter städtischer Musikdirektor in Düsseldorf. Er skizzierte das »Concertstück für Violoncell mit Begleitung des Orchesters«, wie das Werk noch in der autographen Partitur bezeichnet ist, zwischen 10. und 16. Oktober 1850, beendete die Instrumentation am 24. Oktober und nahm Anfang November noch geringfügige Änderungen vor. Eine Alternativfassung des Konzerts, in der eine solistische Violine den Part des SoloCellos übernimmt, richtete Schumann vermutlich 1853 für den Geiger Joseph Joachim ein.
URAUFFÜHRUNG
Das genaue Datum der Uraufführung ist ungesichert – wahrscheinlich fand die erste öffentliche Aufführung erst nach Schumanns Tod statt: Am 23. April 1860 in Oldenburg (Großherzogliche Hofkapelle Oldenburg unter Leitung ihres Konzertmeisters Karl Franzen; Solist: Ludwig Ebert).
Engel und Hyänen
WOLFGANG STÄHR
Robert Schumann: Violoncellokonzert
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Robert Schumann: Violoncellokonzert
AM RHEIN, AM HEILIGEN STROME
Als hätte er es geahnt. »Ich suchte neulich in einer alten Geographie nach Notizen über Düsseldorf und fand da unter den Merkwürdigkeiten angeführt: 3 Nonnenklöster und eine Irrenanstalt. Die ersteren lasse ich mir gefallen, allenfalls; aber das letztere war mir ganz unangenehm zu lesen«, gestand Robert Schumann in einem Brief Anfang Dezember 1849. »Ich muss mich sehr vor allen melancholischen Eindrücken der Art in Acht nehmen. Und leben wir Musiker, Du weißest es ja, so oft auf sonnigen Höhen, so schneidet das Unglück der Wirklichkeit um so tiefer ein.« Der Adressat dieser Zeilen, dem sich Schumann mit seinen Sor gen und Ängsten so rückhaltlos anvertraute, der Komponistenkollege Ferdinand Hiller, tauschte damals das Amt des Düsseldorfer Musikdirektors mit dem eines städ tischen Kapellmeisters in Köln. Er schlug Robert Schumann als Nachfolger vor, seinen Freund aus gemeinsamen Dresdner Tagen, der sich nach enttäuschend verlaufenen Bewerbungen am Leipziger Gewandhaus und am Königlich Sächsischen Hoftheater in Dresden, zu einem Orts und Szenenwechsel durchrang: zu einem Neuanfang am Rhein, am heiligen Strome.
»COMPOSITIONSGELÜSTE«
Und das neue Leben begann verheißungsvoll. Mit allen Ehren wurden Robert und Clara Schumann am 2. September 1850 in Düsseldorf empfangen. Ein Komitee begrüßte den berühmten Meister der Tonkunst und seine nicht minder prominente Gattin am Bahnhof, ein luxuriöses Gemach mit reichem Blumenschmuck und zierlichen Lorbeerbäumen erwartete das Ehepaar im Breidenbacher Hof, die Künstler Liedertafel sang, die würdigen Herren des
Konzert direktoriums gaben sich die Klinke in die Hand. Zwei Tage danach überraschte das vollzählige Orchester seinen künftigen Dirigenten mit einer Serenade im Hotel – Mozarts »Don Giovanni«Ouvertüre erklang prachtvoll bedrohlich im Foyer –, bevor das offizielle Willkommen bei einer Gala unter Hochrufen und Trinksprüchen, mit Souper und nächtlichem Ball in bester Festtagslaune ausklang.
Selbst die Misshelligkeiten der Wohnungssuche konnten die vorherrschende Aufbruchstimmung nicht ernstlich gefährden – das erste Quartier lag an einer quälend lauten Straße mit Wagengerassel, Kindergeschrei und Leierkastengedudel – , ja nicht einmal der Ärger mit Handwerkern und Personal trübte die glückliche Zuversicht. Als untrügliches Gütezeichen kreativen Tatendrangs, der den zum Direktor avancierten Musiker alsbald erfasste, findet sich in Schu manns Haushaltsbuch unter dem Datum des 10. Oktober 1850 das Stichwort »Compositionsgelüste«. Nur sechs Tage später bereits hatte er tatsächlich ein neues Werk skizziert, ein »Concertstück für Violoncell mit Begleitung des Orchesters«, ein »durchaus heiteres Stück«, wie Schumann glaubte, das er am 24. Oktober (vorläufig) vollenden konnte – just am Tag seines Düsseldorfer Debüts, seines ersten Auftritts als Musikdirektor. Und die schöpferische Hochform dauerte an: Schon in den nächsten Wochen komponierte er seine EsDurSymphonie, die so genannte »Rheinische«.
GEHALT UND GESTALT
Ein Musikerleben lang experimentierte Robert Schumann mit der überkommenen Form des Instrumentalkonzerts, des konzertanten Wechselspiels und Wettstreits –
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und diese Experimente gelangten naturgemäß nie an ein Ende: »Als ob es nur eine, zwei Formen gäbe, in die sich alle geistigen Gebilde schmiegen müßten, als ob nicht der Gedanke seine Form von selbst mit auf die Welt brächte ! Als ob nicht jedes Kunstwerk einen anderen Gehalt haben müsse und mithin auch eine andere Gestalt !«, ereiferte sich Schumann, der in seinem »Concertstück«, dem Konzert für Violoncello und Orchester aMoll op. 129, die traditionelle Dreisätzigkeit schwerelos überspielte und kunstvoll verschachtelte. Drei Sätze in einem – charakteristisch ausgeprägt als Phantasie, Romanze und Rondo – lösen sich ab und bleiben doch heimlich »durch ein inneres geistiges Band verkettet«.
Nach wenigen Takten schon beginnt der tiefgründige Monolog des Cellisten, von den Instrumenten des »begleitenden« Orchesters dialogisch oder chorisch kommentiert: ein dramatischer Vortrag, eine Klangrede, ein »recitativo accompagnato« und vor allem – Gesang, Kantilene, berückende CelloMelodie. Drei geheimnisvolle Bläserakkorde ertönen zu Beginn wie eine »Losung«, wie eine Eichendorff’sche Beschwörung: Und das »Violoncell« hebt an zu singen, »...triffst du nur das Zauberwort« ! Clara erprobte das einstweilen unaufgeführte Konzert in Düsseldorf daheim am Klavier: »Ich spielte Roberts Violoncellkonzert einmal wieder und schaffte mir dadurch eine recht musikalisch glückliche Stunde. Die Romantik, der Schwung, die Frische und der Humor, dabei die höchst interessante Verwebung zwischen Cello und Orchester ist wirklich ganz hinreißend, und dann, von welchem Wohlklang und tiefer Empfindung sind alle die Gesangsstellen darin !« Der romantische Charakter des Cellokonzerts, sein »Humor« in des Wortes ursprünglicher Bedeutung, äußert sich frei
lich auch in einem auffallenden Hang zu weltvergessener Meditation, zu einer »somnambulen Melancholie«, wie sie der Kulturhistoriker Egon Friedell in Schumanns Kompositionen zu erkennen glaubte: ein wesentlicher, aber auch ein verhängnisvoller Zug seiner musikalischen Disposition.
EUPHORIE UND TRISTE WIRKLICHKEIT
»Und leben wir Musiker, Du weißest es ja, so oft auf sonnigen Höhen, so schneidet das Unglück der Wirklichkeit um so tiefer ein.« Wenige Monate genügten, um die erste Euphorie der Düsseldorfer Amtszeit völlig erkalten zu lassen. Nach Schumanns anfänglicher Schwärmerei für das idealisierte Publikum, »das nur gute Musik will und liebt«, trat der unversöhnliche Gegensatz der Ansichten und Mentalitäten in grellstem Licht zutage. Denn in Wirklichkeit blieben ihm die Rheinländer zutiefst wesensfremd, eine Antipathie, die auf Gegenseitigkeit beruhte, zumal Schumann wahrlich nicht dem Typus der extrovertierten Frohnatur entsprach. »Die Art seines Verkehrs mit Anderen war sehr einfach. Er sprach eben wenig oder gar nicht, selbst wenn er um etwas befragt wurde«, erinnerte sich Joseph von Wasielewski, Schumanns Düsseldorfer Konzertmeister und gleichzeitig sein erster Biograph. Als städtischer Musikdirektor hatte Schumann die Leitung eines Orchesters übernommen, das institutionell vom »Allgemeinen Musikverein« getragen wurde und sich überwiegend aus Kreisen von Laienmusikern rekrutierte, darunter namhafte Honoratioren, die fatalerweise zugleich im Verwaltungsrat des Musikvereins saßen und in dieser Funktion den Dirigenten zu kontrollieren hatten, der wiederum in Proben und Konzerten ihr künstlerischer Vorgesetzter war.
Robert Schumann: Violoncellokonzert
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Robert Schumann: Violoncellokonzert
Robert und Clara Schumann (1850)
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Robert Schumann: Violoncellokonzert
Auch in dem ebenfalls von Schumann geleiteten »GesangMusikverein« traf die gehobene Mittelschicht mit der einflussreichen Elite des Düsseldorfer Bürgertums zusammen. Schumanns unrealistisch hohe Ansprüche an die musizierenden Amateure, seine wenig konzilianten Umgangsformen, sein mangelndes Geschick zur Organisation und Führung, das sich in Unsicherheit, fehlender Durchsetzungsfähigkeit und mancherlei Unarten äußerte, zogen einen unaufhaltsamen Niedergang seiner Konzerttätigkeit nach sich: Disziplinlosigkeit und sinkendes Niveau. Im Düsseldorfer Karneval musste sich Schumann von einem »Anti Musikverein« verhöhnen lassen. In einem boshaften Probenbericht hieß es: »Der einzige Mensch, der etwas von seinen Bemerkungen verstanden hat, war sein Taktstock, den er beim Sprechen immer vor den Mund hielt !« Wachsende gesundheitliche Beeinträchtigungen – Schumann beklagte »nervöse Krampfanfälle«, »Unwohlsein« und »hypochondrische Gedanken« – verdunkelten die ohnehin glücklosen Jahre in der ungeliebten Stadt am Rhein. Allzu bald schon bereute es Schumann, die Düsseldorfer Position angenommen zu haben.
DÜSSELDORFS UNTERGANG
Als er im Februar 1854 von Breitkopf & Härtel einen Revisionsabzug des Cellokonzerts erhielt, schwankte Schumann buchstäblich zwischen Himmel und Hölle. Er glaubte sich von Engeln umschwebt, hörte herrliche, himmlische Musik – aber dann wieder sah er Dämonen um sich versammelt, wurde von schrecklichstem Höllenlärm gepeinigt, Tiger und Hyänen stürzten sich auf ihn, drohten ihn zu zerreißen. »Nach etwa einer halben Stunde wurde er ruhiger und meinte, es lassen sich wieder freundlichere Stimmen hören, die ihm Mut
zusprechen«, vermerkte Clara Schumann in ihrem Tagebuch. »Die Ärzte brachten ihn zu Bett, und einige Stunden ließ er es sich auch gefallen, dann stand er aber wieder auf und machte Korrekturen von seinem Violoncellkonzert, er meinte dadurch etwas erleichtert zu werden von dem ewigen Klange der Stimmen.«
Im August 1854 erschien Schumanns Opus 129 im Druck – die Erstveröffentlichung des nach wie vor unaufgeführten aMollKonzerts, das sich erst Jahre und Jahrzehnte später im Repertoire der Cellisten etablieren sollte. Damals, im August, lebte der gescheiterte Düsseldorfer Musikdirektor Robert Schumann längst getrennt von seiner Familie in der Heil- und Pflegeanstalt des Psychiaters Franz Richarz in Endenich bei Bonn, einer Privatklinik für Geisteskranke. »Sprach heut vom Untergang Düsseldorfs«, lautet der Eintrag im Krankenbericht vom 8. September 1854. Und drei Tage später: »Glaubt noch immer fest, Düsseldorf sey untergegangen. Ist gut gestimmt, ging nach Bonn spazieren.« Noch annähernd zwei Jahre, bis zu seinem Tod im Sommer 1856, verbrachte Schumann in der Endenicher Klinik, seiner letzten Station: einer Irrenanstalt. Als hätte er es geahnt.
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Robert Schumann: Violoncellokonzert
Robert Schumann (1850)
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Robert SchumannEin Sonnett
HANS PFITZNER
Hans Pfitzner über Robert Schumann
Wie sah’n wir, zitternd aus der Puppe NachtDen selt’nen Falter sich zum Lichte ringen,Und, schnell erstarkt, in Sonnenwärme schwingenPhantastisch wundervolle Farbenpracht.
Wie selig er die Flügel spreizt und flacht –Nun schnellt er tief, und saugt aus der SyringenDuftendem Blütenkelch, der hold den Schmetterlingen,Die Süßigkeit, die schier ihn trunken macht.
Wohin verflogst Du Dich, Du Sonnenwesen ?Was flatterst ängstlich Du, und krampfhaft schnelle,Wie wurdest Du der Dunkelheit zum Raub ?
Ach, nur in Lenzesluft kannst Du genesen.Nun sinken auf den Boden Deiner ZelleZerriss’ne Flügel, ohne Farbenstaub.
29. Juli 192012 ½ Uhr nachtsSchumanns Todestag
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Der Fall eines Komponisten
SUSANNE STÄHR
Robert Schumanns letzte Jahre
KARNEVAL AM RHEIN
Düsseldorf, am 27. Februar 1854. frühnachmittags um 14 Uhr verlässt Robert Schumann die Wohnung in der Bilker Straße 15, die er vor anderthalb Jahren mit seiner Frau Clara und den sechs gemeinsamen Kindern bezogen hat. Obwohl es regnet, ist Schumann nur mit seinem langen, grüngeblümten Schlafrock und Filzpantoffeln bekleidet, aber niemand nimmt Anstoß an seinem merkwürdigen Aufzug: Es ist Rosenmontag, Karneval am Rhein, und in den Straßen tummeln sich die Jecken in allerhand skurrilen Kostümen. Schumann jedoch ist nicht zum Feiern zumute. Sein Ziel ist die nahegelegene Pontonbrücke, die über den breiten Fluss nach Oberkassel führt. Dass die Brücke gerade für die Durchfahrt eines Schiffes geöffnet wurde und eine Querung nicht möglich ist, stört Schumann keineswegs; unbeirrt geht er vor bis zur Mitte, übersteigt die Absperrung, zieht seinen Ehering vom Finger, wirft ihn in die Fluten – und stürzt sich schließlich selbst hinterher. Der Selbstmordversuch missglückt: Fischer ziehen ihn gleich wieder aus dem Wasser, rudern
ihn, der sich heftig sträubt und sogar aus dem rettenden Kahn springen will, zum rechtsrheinischen Ufer. »Fürchterlich muß sein Heimweg gewesen sein; transportiert von 8 Männern und einer Masse Volks, das sich nach seiner Weise belustigte«, berichtete Ruppert Becker, Konzertmeister in Schumanns Düsseldorfer Orchester.
»REISE« OHNE RÜCKBILLETT
Für fünf Tage darf Schumann noch einmal in seine Wohnung zurück, Tag und Nacht beaufsichtigt von Wärtern, abgesondert von der Familie, die zu Freunden ausquartiert wird. Am 4. März aber wird er als »geistig umnachtet« in die private Nervenheilanstalt des Psychiaters Dr. Franz Richarz in Endenich bei Bonn eingeliefert – auf eigenen Wunsch, wie es heißt. Penibel legt sich Schumann selbst zurecht, was er für diese »Reise« zu brauchen glaubt: Uhr, Geld, Notenpapier, Tintenfedern, Zigarren. Doch es gibt keine Heimkehr mehr. 29 Monate wird Schumann in Endenich zubringen, zweieinhalb schreckliche letzte Jahre. Anfangs gibt es noch Hoffnung auf Genesung, denn es
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Robert Schumanns letzte Jahre
wechseln bei Schumann klare Momente mit anfallartigen Attacken und Schreikrämpfen ab; dann aber muss er in eine der »Tobezellen« verlegt und mit Gurten am Bett festgeschnallt werden. Im April 1856 beginnt er schließlich, die Nahrung zu verweigern, am 29. Juli 1856 stirbt er. Zwei Tage vorher hat Clara, von der Anstaltsleitung über das nahende Ende informiert, von ihrem Gatten Abschied genommen. Es war das überhaupt einzige Mal, dass sie ihn in Endenich besucht hatte...
UNHEILANSTALT ENDENICH
Heute, 155 Jahre nach seinem Tod, scheint es kaum mehr möglich, präzise zu diagnostizieren, worunter Schumann litt und woran er starb. Unzählige Veröffentlichungen haben sich dieser Frage gewidmet, doch die Meinungen driften weit auseinander. Häufig wird darauf hingewiesen, dass sich der 21jährige Schumann, wie er gegenüber Franz Richarz in Endenich berichtete, 1831 mit Syphilis infiziert habe und seinerzeit »mit Arsenik curirt« worden sei. Als Spätfolge dieser venerischen Erkrankung sei dann eine »progressive Paralyse« aufgetreten, die zu Schumanns geistigem Verfall und Tod geführt habe. Freilich könnten für seine Persönlichkeitsstörungen und Halluzinationen – er selbst gebrauchte das Wort »Nervenschwäche« – auch ganz andere Ursachen verantwortlich sein: Der hochsensible Schumann litt zeitlebens unter depressiven Verstimmungen, die in Phasen der Überarbeitung und unter dem Einfluss äußerer Ärgernisse verstärkt auftraten. Auch war er diesbezüglich familiär vorbelastet, nahm sich seine ältere Schwester Emilie doch 1824 das Leben – eine traumatische Erfahrung für den damals 14jährigen. Dass Schumanns Tod am Ende gar mit den obskuren Behandlungsmethoden zu
tun haben könnte, die er in Endenich zu erdulden hatte: Selbst diese These wird mittlerweile vertreten. Und sie erscheint nicht einmal so abwegig, bedenkt man, dass Schumann in der sog. »Heilanstalt« seiner Freiheit völlig beraubt und von der Außenwelt isoliert wurde, dass man ihn wechselweise überfütterte und dann wieder mit Abführmitteln traktierte, dass er Kupferpräparate verabreicht bekam und in kalte Essigbäder gesteckt wurde. Schumanns finaler Hungerstreik mag unter diesen Vorzeichen wie eine letzte Flucht erscheinen, die von der Anstaltsleitung mit Zwangsernährung aus Fleischextrakt und Portwein beantwortet wurde.
GENIE ODER WAHNSINN ?
Was immer die Ursache für Schumanns tragisches Ende gewesen sein mag – auf die Rezeption seines Spätwerks hatte das Verdikt des »Wahnsinns« fatale Auswirkungen. Denn insbesondere die Kompositionen aus dem letzten Jahr vor dem Suizidversuch standen fortan unter dem Generalverdacht nachlassender Geisteskraft, und man vermeinte, in ihnen bereits Vorboten der sich ankündigenden »Umnachtung« erkennen zu können. Das prominenteste Opfer dieser Stigmatisierung ist das Violinkonzert aus dem September 1853, das Schumann für den Geiger Joseph Joachim geschrieben hatte. »Entsetzlich schwer für Geige«, befand der Virtuose, der sich zweimal an einer Einstudierung versuchte, jedesmal scheiterte und das Werk danach resigniert zur Seite legte. Schumann habe für den Solopart unspielbare Figurationen komponiert, lautete die verbreitete Meinung, und seine Tempodispositionen, voran der schleppende, schwere Rhythmus der Polonaise im Schlusssatz, seien schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar. Bis 1937 dauerte es,
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Robert Schumanns letzte Jahre
JeanJosephBonaventure Laurens: Robert Schumann (1853)
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ehe das Violinkonzert in Berlin zur Uraufführung gelangte, in einer vereinfachenden und verfälschenden »Bearbeitung« obendrein. Dass dies überhaupt geschah, verdankte sich auch nur den dunklen Zeitläuften: Denn im Nationalsozialismus war das beliebteste romantische Violinkonzert, Felix Mendelssohn Bartholdys eMollKonzert, aus rassischen Gründen verboten worden, und die braunen Machthaber suchten händeringend Ersatz für diese Repertoirelücke, die Schumanns Konzert nun schließen durfte – ob »umnachtet« oder nicht.
ILLUSIONSBEHAFTETER NEUBEGINN
Fraglos hatte sich der öffentlichkeitsscheue Schumann in seinen letzten, den rheinischen Lebensjahren immer stärker in seine eigene Seelenwelt eingesponnen. Dabei hatte alles so hoffnungsvoll angefangen. Am 2. September 1850 waren Robert und Clara Schumann aus Dresden kommend in Düsseldorf eingetroffen, wo Robert das Amt des Städtischen Musikdirektors antreten sollte. Die ortsansässigen Honoratioren hatten keine Mühe und keinen Aufwand gescheut, um dem prominenten Paar den Einstieg so angenehm wie möglich zu gestalten und ihre Wertschätzung zu bekunden. Im vornehmen Hotel Breidenbacher Hof an der Königsallee hatte man großzügige Zimmer für sie angemietet, die festlich mit Blumen und Lorbeerbäumchen dekoriert waren; die Düsseldorfer Liedertafel gab ein Begrüßungsständchen, und zwei Tage später spielte im Hotel das gesamte Orchester zu Ehren des neuen Chefs auf, der anschließend bei einer Gala mit Souper, Festreden, Toasts und nächtlichem Ball offiziell willkommen geheißen wurde. Robert Schumann, der es bis dahin gewohnt war, im Schatten seiner europaweit als Klavier
virtuosin gefeierten Ehefrau zu stehen – »Sind Sie etwa auch musikalisch ?«, fragte ihn arglos Prinz Friedrich der Niederlande, als Clara in Den Haag ein Konzert gab – , war von derlei Ehrbezeugungen überwältigt und geriet zunächst in eine schöpferische Hochstimmung, deren bedeutendste Ergebnisse das Cellokonzert und die »Rheinische Symphonie« bildeten. Doch die Bewährungsprobe wartete auf ihn erst im Alltag.
DIALOGE MIT DEM TAKTSTOCK
Als Dirigent war Schumann nach Düsseldorf verpflichtet worden, aber für genau diese Profession mangelte es ihm an wesentlichen Voraussetzungen, an physischen wie an men talen. Da war zunächst seine extreme Kurzsichtigkeit, die es ihm unmöglich machte, beim Dirigieren mit den Musikern im Blickkontakt zu bleiben. Um wenigstens den Notentext entziffern zu können, griff er zu einer Lorgnette und senkte den Kopf tief in die Partitur auf dem Pult, auch wenn er dabei nicht gleichzeitig wahrnehmen konnte, was im Halbrund des Orchesters vor sich ging. Schüchtern und introvertiert von Natur aus, fehlte Schumann überdies die Gabe des Kommunikators; er redete wenig und wenn überhaupt, dann an der Schwelle zur Hörbarkeit. »Der einzige Mensch, der etwas von seinen Bemerkungen verstanden hat, war sein Taktstock, den er beim Sprechen immer vor den Mund hielt«, klagte schon ein Musiker des Leipziger Gewandhausorchesters, bei dem Schumann 1843 sein Debüt als Dirigent gefeiert hatte. In Düsseldorf sollte ihm dieses Manko zum Verhängnis werden: Zu leise, zu vage und missverständlich seien seine Anweisungen in den Proben, wird ihm bald vorgehalten, zu unpräzise seine Zeichengebung, zu chaotisch die Probenplanung, zu wenig konziliant seine Umgangsformen, und durchsetzen könne er
Robert Schumanns letzte Jahre
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Robert Schumanns letzte Jahre
Robert Schumanns Grab auf dem alten Friedhof in Bonn (um 1860)
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Robert Schumanns letzte Jahre
sich auch nicht. Schon in seiner ersten Saison überkommen Schumann »Bedenken wegen längeren Bleibens in Düsseldorf«, in der zweiten fällt er viele Wochen wegen Krankheit aus, in der dritten richten 21 Musiker eine Petition an ihn, er möge von seiner Position zurücktreten, und zu Beginn der vierten, Anfang November 1853, legt Schumann tatsächlich sein Amt entnervt nieder.
DER GESANG DER ENGEL
Nervöse Krampfanfälle, Unwohlsein, Schwindel, Schlafl osigkeit, hypochondrische Gedanken: Es mehren sich während dieser Leidenszeit bei Schumann die psychosomatischen Symptome als Folge der stetigen Überforderung. Sie beeinträchtigen ihn auch immer massiver beim Musizieren: Ab Mitte 1851 zum Beispiel fällt es ihm merklich schwerer, schnellen Tempi zu folgen; immer wieder besteht Schumann auf langsamerem Vortrag der Werke, die er dirigiert, und sieht in seinen eigenen Kompositionen auch bevorzugt getragene Tempi vor. Ein Jahr später setzen seine »Gehörsaffektionen« ein – heute würde man wohl von einem Tinnitus sprechen, denn Schumann hört permanent ein und denselben Ton, zu dem sich später noch ein zweiter als Intervall und Dauerbegleiter gesellt. An schöpferische Arbeit ist ab November 1853 nicht mehr zu denken. In der Nacht vom 10. auf 11. Februar 1854 spitzt sich die Lage dramatisch zu: Während der verbleibenden 17 Tage bis zu seinem Sprung in den Rhein wird Schumann von einem ganzen Orchester verfolgt, das in seinem inneren Ohr wechselweise zu himmlischer oder höllischer Musik tobt. Als optische Halluzination sieht er zeitweilig Schubert und Mendelssohn geisterhaft das imaginäre Orchester umschweben, dann wieder tauchen Dämonen und wilde Tiere auf, die
ihn in den Abgrund ziehen wollen. Auf eines der Themen, das ihm, wie er sagt, von Engeln vorgesungen wurde, schreibt Schumann sein allerletztes Werk: die »Geistervariationen« für Klavier. Am schicksalsträchtigen 27. Februar arbeitet er gerade an der Reinschrift der fünften und letzten Variation, als er seinen verhängnisvollen Beschluss fasst und ins Düsseldorfer Karnevalstreiben zieht. Es gehört zu den erstaunlichen Details seiner finalen Krise, dass Schumann diese letzte Klaviervariation in den fünf Tagen nach seinem Selbstmordversuch noch rechtzeitig vor seiner Einlieferung nach Endenich vollenden konnte.
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Ludwig van Beethoven: 6. Symphonie »Pastorale«
LUDWIG VAN BEETHOVEN(1770–1827)
Symphonie Nr. 6 FDur op. 68
»PastoralSinfonie oder Erinnerung an das Landleben«
1. »Angenehme, heitere Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen«: Allegro, ma non troppo
2. »Szene am Bach«: Andante molto moto, quasi allegretto
3. »Lustiges Zusammenleben der Landleute«: Allegro
4. »Donner – Sturm«: Allegro5. »Hirtengesang – Wohltätige, mit Dank
an die Gottheit verbundene Gefühle nach dem Sturm«: Allegretto
Die bis heute geläufigen Satzbezeichnungen der Sätze 1, 4 und 5 stammen von Beethovens Verlegern Breitkopf & Härtel und wurden ohne Zustimmung des Komponisten gedruckt
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
Geburtsdatum unbekannt; geboren am 15. oder 16. Dezember 1770 in Bonn; dort Eintragung ins Taufregister am 17. Dezember; gestorben am 26. März 1827 in Wien.
ENTSTEHUNG
Sporadische Einfälle, die auf die »Pastorale« vorausweisen, finden sich bereits im sogenannten »Eroica«Skizzenbuch »Landsberg 6«, das wohl 1803 entstand. Im Sommer 1807 fasste Beethoven dann den Plan zu einer »Sinfonia pastorella«, notierte die ersten Takte der Symphonie und skizzierte einige weitere Themen. Die Hauptarbeit erfolgte allerdings erst nach Vollendung der 5. Symphonie, also etwa von März bis August 1808. Im Erstdruck der Partitur ist Beethovens poetischer Titelentwurf »Pastoral Sinfonie oder Erinnerung an das Landleben« überliefert, in der ersten Violinstimme die Spielanweisung (?) »Mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey«.
»Der Widerhall, den der Mensch
wünscht«JÖRG HANDSTEIN
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Ludwig van Beethoven: 6. Symphonie »Pastorale«
WIDMUNG
»Beide Symphonien den beiden Herren zugleich, nämlich: Seiner Exzellenz dem Grafen Rasoumowsky und Seiner Durchlaucht dem Fürsten Lobkowitz« – so der ausdrückliche Wunsch Beethovens an seine Verleger Breitkopf & Härtel. Die Widmungsträger waren wichtige Gönner und Förderer des Komponisten: Fürst Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz (1772–1816), dem mehrere bedeutende Werke gewidmet sind, beteiligte sich später an Beethovens »Jahrgehalt« von 4000 Gulden; Graf Andrej Kyrillowitsch von Rasumowskij (1752–1836), russischer Gesandter und begabter Amateurgeiger, förderte Beethovens Kammermusik. Dieselbe DoppelWidmung enthält auch die 5. Symphonie, was neben ihrer gemeinsamen Entstehung und Uraufführung dafür spricht, dass Beethoven die 5. und 6. Symphonie als Paar verstanden wissen wollte, das sich komplementär ergänzt.
URAUFFÜHRUNG
Am 22. Dezember 1808 in Wien im Theater an der Wien (unter Mitwirkung eines ad hoc zusammengestellten Orchesters; Dirigent: Ludwig van Beethoven). Die vom Komponisten selbst veranstaltete sog. »Akademie« (= Subskriptionskonzert) zählt zu den denkwürdigen Konzerten der Musikgeschichte. Öffentlich uraufgeführt wurden nicht nur die 5. und 6. Symphonie (in zunächst umgekehrter Nummerierung), sondern auch die sog. Chorphantasie, Teile der CDur Messe, die Gesangsszene »Ah, perfido« sowie das 4. Klavierkonzert.
DES STARKEN ZU VIEL
Heute würde es als »Event« vermarktet, damals, vor gut 200 Jahren, stand nur eine kurze Notiz in der Zeitung: »Donnerstag den 22. December hat Ludwig van Beethoven die Ehre, in dem k. k. privil. Theater an der Wien eine musikalische Akademie zu geben. Sämmtliche Stücke sind von seiner Composition, ganz neu, und noch nicht öffentlicht gehört worden.« Es war ein Konzert unter vielen. Wer es besuchen wollte, versäumte etwa das glanzvolle Benefiz- Konzert im Burgtheater und musste zudem bei eisiger Kälte hinaus in die Vorstadt. Mäntel und Pelze behielten die Besucher auch während der Vorstellung an, froren aber trotzdem – und zwar vier Stunden lang. Denn das Programm war gigantisch: Beethoven bekam selten einen Saal zur eigenen Verfügung und nutzte diese einmalige Gelegenheit ausgiebig – aber mit wenig Gespür für eine sinnvolle Programmgestaltung. Er wollte schlichtweg alle bedeutenden Orchesterwerke, die in den letzten, fruchtbaren Jahren entstanden waren, endlich dem Publikum vorstellen. Dieses musste dann, wie Johann Friedrich Reichardt berichtete, die Erfahrung machen, »daß man auch des Guten – und mehr noch des Starken – leicht zu viel haben kann«.
Beethoven nahm auch ein zusammengewürfeltes Orchester in Kauf, das nicht einmal alle der damals technisch ziemlich herausfordernden Stücke vollständig proben konnte. »In jedem Betracht mangelhaft zu nennen«, so die »Allgemeine Musikalische Zeitung«, war folglich die Qualität der Aufführung. Die unerfahrene Sopranistin, der Beethoven seine große Gesangsszene »Ah, perfido« anvertraut hatte, erlitt einen lähmenden Anfall von Lampenfieber, die »Chorphantasie«, die als eine Art Krö
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Ludwig van Beethoven: 6. Symphonie »Pastorale«
August Friedrich Oelenhainz: Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz (um 1810)
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Ludwig van Beethoven: 6. Symphonie »Pastorale«
nung das Konzert beschließen sollte, geriet derart in Unordnung, dass Beethoven abbrechen musste. Kurz: Das denkwürdige Konzert erwies sich als Desaster. Werke, die heute als selbstverständlicher Teil des Kulturguts gelten, erblickten also unter Umständen das Licht der Welt, die unser Bild von ihrer problemlosen Verfügbarkeit erfrischend konterkarieren. Wie hat man wohl die 5. und 6. Symphonie unter diesen Umständen erlebt ? Die »Fünfte«, dieses musikgeschichtliche Fanal, empfand selbst der Komponist Reichardt einfach als »eine große sehr ausgeführte, zu lange Symphonie«. Auch die »Sechste«, die das Konzert mit ihrem Frühlingserwachen eröffnete, schien das schlotternde Publikum nicht zu erwärmen: »Jede Nummer war ein sehr langer vollkommen ausgeführter Satz voll lebhafter Malereien und glänzender Gedanken und Figuren; und diese eine Pastoralsymphonie dauerte daher schon länger, als ein ganzes Hofconcert bei uns dauern darf.«
UNGLEICHE GESCHWISTER
Reichardts Beschreibung, die erste überlieferte Reaktion auf Beethovens 6. Symphonie, erscheint vage und unverbindlich. Doch sie zeigt recht deutlich, dass dieses Werk keineswegs als so einfach und »naiv« wahrgenommen wurde, wie das in ihrer späteren Rezeption geschehen sollte. Wie die »Fünfte« überstieg auch die »Sechste« in Ausdehnung und Ausarbeitung den zeitüblichen Erwartungshorizont. Aufmerksame Betrachter haben oft bemerkt, dass diese so gegensätzlichen Werke eine erstaunliche Verwandtschaft verbindet. Das beginnt bereits bei ihrer Instrumentalbesetzung: Auch in der »Sechsten« nutzt Beethoven Piccoloflöte und Posaunen – damals noch keine üblichen Orchesterinstrumente ! – im Rahmen einer gezielten Klangdrama
turgie: Er feilt diese sogar noch aus, indem er jeden Satz ganz individuell besetzt.
Das kleine klassische »Normalorchester« spielt nur im ersten Satz. In der »Szene am Bach« treten, das Murmeln des Wassers darstellend, zwei gedämpfte SoloVioloncelli hervor; die Trompeten, noch ohne die ihnen funktionell zugehörigen Pauken, fallen erst zum stampfenden Bauerntanz im dritten Satz ein. Das volle Orchester ertönt natürlich im »Gewitter«; dabei spart Beethoven Piccoloflöte und Posaunen für den kurzen Höhepunkt auf, der mit erschreckender Gewalt das traditionelle Gefüge der Musik durchbricht. Im »Hirtengesang«, in dem Piccolo und Pauken wieder verstummen, unterstreichen schließlich alle Bläser das Hymnische dieses Schlusses. Wie in der »Fünften« spannen die Sätze also einen großen Bogen, der klar auf ein expansives Finale als Lösung und Überhöhung zuläuft. In Zuspitzung dieser Dramaturgie sind die letzten zwei Sätze wieder ohne Pause miteinander verknüpft. Und doch bleibt die Zielrichtung gegenläufig: Die »Fünfte« strebt dynamisch nach Veränderung und Fortschritt, inszeniert mithin ein typisches Paradigma unserer westlichen »Kultur«; die »Sechste« hingegen beschwört erfüllte Ruhe und friedvolle Beständigkeit, wie sie uns traditionellerweise die »Natur« verspricht.
UTOPISCHE IDYLLE
»Wie froh bin ich, einmal in Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu können, kein Mensch kann das Land so lieben wie ich. Geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den der Mensch wünscht !« Beethoven formulierte seine oft auch religiös gefärbte Begeisterung wie ein Held aus der »empfindsamen« Literatur, der
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Ludwig van Beethoven: 6. Symphonie »Pastorale«
Jacques Marie Legros: Andrej Kyrillowitsch von Rasumowskij (um 1820)
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Ludwig van Beethoven: 6. Symphonie »Pastorale«
JeanJacques Rousseaus Parole »Zurück zur Natur !« vernommen hat und sie nun weiterpredigt. Doch Beethovens Naturliebe war echt – allein schon weil ihn in der »süßen Stille des Waldes« sein »unglückseliges Gehör« nicht plagte. Der Komponist verbrachte den Sommer bekanntlich gern auf dem Land, und die »Pastorale« trägt im Erstdruck den Untertitel »Erinnerung an das Landleben«. Nur: Sind damit wirklich konkrete »Urlaubserinnerungen« gemeint ? War es so, wie es der Maler Franz Hegi sah – Beethoven, gebettet in üppige Pflanzen, lauscht der Natur und hat schon den Stift in der Hand, um ihre Botschaften an die Menschheit weiterzureichen ? Das kann allein schon deshalb nicht stimmen, weil die »Szene am Bach« nachweislich in der Stadt skizziert wurde...
Eher folgte Beethoven dem uralten Traum von Arkadien: »Süß ist das Wispern der Fichte, o Ziegenhirte, da drüben / nahe dem Quell, wo sie singt, und süß auch ertönt deine Flöte.« So beginnen die »Idyllen« von Theokrit (ca. 3. Jahrhundert v. Chr.) und damit die pastorale Dichtung, die mit der Renaissance einen enormen Aufschwung erlebte. Die dort geschilderten Hirten beschäftigen sich weniger mit Schafen und Ziegen als mit Musik, mit Liebe und ihren Gefühlen. Sie sind friedfertig und leben im Einklang mit der Natur. Doch die Literatur markiert diese Idylle klar als Fiktion: Arkadien ist ein NichtOrt, auf den sich die Utopie einer glücklichen Gesellschaft ohne Zwänge, Konflikte und Ungleichheit projizieren lässt. Auch Beethovens »Pastorale« spielt in dieser sehnsuchtsvoll imaginierten Welt.
NATÜRLICHES WACHSTUM
Beethoven griff auf musikalische Muster zurück, die seit langem als »pastoral« bekannt waren: Borduntöne, schlicht kreisende Melodien, stehende Klänge, wiegende Rhythmen. Ebenso gehörten seit dem Barock ländliche Tänze, murmelnde Bäche und Gewitter zum Inventar der Kunstmusik. Im Einklang mit der zeitgenössischen Musikästhetik – und vielleicht auch um sich gegen Kritik abzusichern – gab Beethoven seinem Werk das Etikett »Mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey«, aber er malte immerhin so deutlich, dass es der programmatischen Überschriften kaum bedurft hätte. Der Unterschied zu Stücken wie »Das musikalische Porträt der Natur« (1784) eines gewissen Justinus Heinrich Knecht (1752–1817) liegt in der ungewöhnlichen symphonischen Verarbeitung des Sujets.
Nur im Vergleich etwa mit der »Eroica« erscheint die »Pastorale« eingängig und einfach – vor dem Hintergrund der pastoralen Tradition ist sie jedoch einzigartig komplex und vielschichtig. So beginnt die Symphonie nicht mit einem einfachen, abgeschlossenen Thema, sondern mit einem Gebilde aus drei organisch miteinander verbundenen Motiven – wie simpel dagegen das Motto der »Fünften« ! Aus diesem Keim sprießt das Thema erst allmählich hervor, bis es mit dem OrchesterTutti schließlich voll aufblüht, und aus diesem Anfang entwickelt sich im Prinzip auch der ganze erste Satz: Das geschieht weitgehend ohne dialektische Spannung und diskursive Anstrengung – die Musik entfaltet sich gleichsam »naturbelassen«, wächst aus zu großen, in sich ruhenden Flächen und lädt ein zur beglückenden Betrachtung.
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Ludwig van Beethoven: 6. Symphonie »Pastorale«
Franz Hegi: Beet hoven, am Bache die »Pastorale« komponierend (1834)
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Ludwig van Beethoven: 6. Symphonie »Pastorale«
NATUR UND MENSCH
Beethovens Landleute treten bereits gegen Ende des Satzes mit einem Tänzchen auf. Sie sind also nicht weniger Bestandteil der Idylle als die Vögel, die am Schluss des zweiten Satzes zwitschern. Das Ideal des Naturmenschen bringt auch ihr »Lustiges Zusammenleben« zum Ausdruck: Der Tanz beginnt mit einer Rückung terzverwandter Harmonien, die auf die Durchführung des ersten Satzes zurückweisen. Dort evozieren diese farbigen Klangwechsel eine prangende, lichtdurchflutete Landschaft, die auch religiöse Gefühle zu wecken vermag – man denke nur an die Bilder Caspar David Friedrichs ! So kommt bereits ein wesentlicher Aspekt des Schlusssatzes ins Spiel: Der »Hirtengesang« beruht auf einem sog. »Kuhreigen«, dessen traditionell eher »niedere« Stillage er erstaunlich weit überschreitet: Ein fast sakraler Klangraum baut sich da auf. Nachdem den Hörer zuvor die geballte Kraft einer unberechenbaren Naturgewalt niederschmetterte, erhebt ihn jetzt der Glaube an eine mögliche Harmonie zwischen Mensch, Gott und Natur – eine Vision, die sich optimistisch als bereits erreichtes Ziel präsentiert.
Insgesamt verbindet sich das naturhafte Fließen und Sprießen also durchaus mit einer fortschreitenden Entwicklung. Gewiss, der motivische Arbeiter Beethoven geht auf Urlaub, und das Orchester, so Peter Gülke, agiert »wie ein autonomes Naturwesen«. Aber trotz der kontemplativen Grundhaltung wird auch eine andere, mehr auf Dynamik zielende Haltung spürbar: Schon das erste Motiv der Symphonie setzt frei im Takt ein – ein dynamischer Impuls, der bewusst gesetzt wird und an entscheidenden Stellen
wieder auftaucht; er symbolisiert das spontane menschliche Erleben. Insofern will die Musik Zustand und Prozess zugleich sein, »Natur« und ihre Erfahrung durch den Menschen. Heute, wo eine global bedrohte, bis ins Innerste manipulierte Natur kaum mehr den Widerhall bietet, den der Mensch sich wünscht, ist die Vision des Finales in weite Ferne gerückt. Aber die Fragen, die das derart thematisierte Verhältnis zwischen Mensch und Natur aufwirft, stellen sich damit um so nachdrücklicher.
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Ludwig van Beethoven: 6. Symphonie »Pastorale«
Isidor Neugass: Ludwig van Beethoven (1806)
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Die Künstler
DIRIGENT
Gustavo Gimeno
Nach seinem viel beachteten Debüt beim Royal Concertgebouw Orchestra im Februar 2014 erreichten den jungen Spanier Gustavo Gimeno in kürzester Zeit Angebote zahlreicher renommierter Klangkörper. Nach Gastdirigaten u. a. beim Orquesta Sinfónica de Galicia debütierte er in der Saison 2013/14 beim Sendai Philharmonic Orchestra in Japan und leitete in der Folge das Swedish Radio Symphony Orchestra Stockholm, das Orchestre Philharmonique du Luxembourg, das Orchestra Verdi Milano, die Nordwestdeutsche Philharmonie Herford sowie das Orquesta Sinfónica de Castilla y León, das Orquesta de Valencia und das Orquesta Sinfónica de RTVE.
Seine internationale Dirigentenkarriere begann der in Valencia geborene Musiker als Assistent von Mariss Jansons im Jahr 2012, damals noch Schlagzeuger beim Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam. Noch während seiner Zeit als Orchestermusiker widmete sich Gustavo Gimeno intensiv dem Dirigierstudium am Konservatorium von Amsterdam und besuchte zahlreiche Meisterklassen. Wichtige Erfahrungen sammelte er außerdem als Assistent von Bernard Haitink sowie von Claudio Abbado, der als Gimenos wichtigster Mentor den Werdegang des jungen Dirigenten intensiv förderte und ihn in vielerlei Hinsicht prägte.
Gustavo Gimeno arbeitet eng mit Komponisten wie Pierre Boulez, Peter Eötvös, George Benjamin, Theo Loevendie oder Jacob ter Veldhuis zusammen. Im Februar 2014 dirigierte er mit dem Solisten Yefim Bronfman am Klavier die Europäische Erstaufführung von Magnus Lindbergs 2. Klavierkonzert, eine Auftragskomposition des Royal Concertgebouw Orchestra. Beim Swedish Radio Symphony Orchestra leitete Gustavo Gimeno außerdem ein Konzert mit Werken der schwedischen Komponistin Britta Byström.
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Die Künstler
VIOLONCELLO
Julian Steckel
Schon zuvor Preisträger zahlreicher Wettbewerbe, wurde Julian Steckel schließlich im Jahr 2010 mit dem ersten Preis beim Internationalen ARDWettbewerb in München ausgezeichnet. Seitdem konzertiert er mit bedeutenden Orchestern, so z. B. mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rund funks, dem Royal Philharmonic Orchestra London, dem Orchestre de Paris, den St. Petersburger Philharmonikern sowie den Symphonieorchestern von Kopenhagen und Warschau. Zu seinen Partnern am Dirigentenpult gehören u. a. Roger Norrington, Mario Venzago, Andrey Boreyko, John Størgards, Andrew Litton und Michael Sander
ling. 2012 erhielt Julian Steckel den begehrten ECHOKlassik für seine Einspielung der Cellokonzerte von Korngold, Bloch und Goldschmidt.
Neben der solistischen Tätigkeit widmet sich Julian Steckel intensiv der Kammermusik. Dabei sind Musiker wie Janine Jansen, Christian Tetzlaff, Antje Weithaas, Vilde Frang, Lars Vogt und Menahem Pressler als Partner an seiner Seite. Ebenso gerne konzertiert Julian Steckel mit dem Armida, dem Ébène und dem VoglerQuartett und ist regelmäßig zu Gast bei den großen Festivals von SchleswigHolstein, MecklenburgVorpommern, Bonn, Schwetzingen, Luzern, Zermatt und Mondsee.
In der laufenden Saison ist Julian Steckel »Artist in residence« bei den Heidelberger Philharmonikern, gibt Debüts u. a. bei den Bamberger Symphonikern, dem Scottish Chamber Orchestra und dem Orchestre Symphonique de Québec, spielt BachSuiten im Berliner Konzerthaus und ist ansonsten in Shanghai, Frankfurt, Wien, BadenBaden, Seoul und auf Schloss Elmau zu hören.
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Slawische Musik in München
Die Philharmoniker als Botschafter
tschechischer und polnischer Musik
GABRIELE E. MEYER
Am 14. Oktober 1893 begann die philharmonische Orchestergeschichte in München mit der Wiedergabe von Smetanas Ouvertüre zu »Die verkaufte Braut«. Dieses Stück sowie die Tondichtungen »Die Moldau« und »Vyšehrad« aus »Má Vlast« gehörten über viele Jahre ebenso zum Standardrepertoire wie Antonín Dvořáks Cellokonzert op. 104. Gerne wurden auch die beiden Klavierkonzerte von Frédéric Chopin aufs Programm gesetzt, ergänzt durch das KonzertAllegro ADur in einer Bearbeitung von Jean Louis Nicodé für Klavier und Orchester. Andere polnische und tschechische Komponisten wurden meist nur einmal vorgestellt. Zu ihnen zählten Mieczysław Karłowicz, Emil Młynarski, Ignacy Paderewski, Karol Szymanowski und Henri Wieniawski sowie Josef Suk und Jaromír Weinberger. Eine Ausnahme bildete Leoš Janáček, von dem innerhalb kurzer Zeit gleich drei Werke zu hören waren. Sehr viel später setzte man aus politisch ideologischen Gründen fast ausschließlich auf kroatische Komponisten wie Krešimir Baranović, Jakov Gotovac, Boris Papandopulo und Josip Slavenski.
Wie unterschiedlich heute zum klassischen Kanon zählende Werke erstmals aufgenommen wurden, zeigen zwei Beispiele. Kaum zu glauben: Am 16. April 1904 wurde Ignacy Paderewskis in München noch unbekanntes Klavierkonzert op. 17 mit wesentlich größerem Beifall bedacht als Schumanns »selten gehörtes« Konzert op. 54; andererseits aber stieß Dvořáks Symphonie »Aus der Neuen Welt« bei ihrer ersten Aufführung am 5. Januar 1898 zunächst auf indignierte Ablehnung. So ließ die »Münchner Post« verlauten, dass man anstelle der »neuen amerikanischen, bei den Yankees patentirten Unterhaltungs und PlantagenSymphonie des vielstrebenden Herrn Dvorak« lieber einen zeitgenössischen deutschen Tondichter wie Richard Strauss gehört hätte. Die »Münchner Neuesten Nachrichten« bekrittelten die »dummpfiffige Lustigkeit« des zweiten, national gefärbten Themas (Kopfsatz), die motivische Kleinteiligkeit »und alle möglichen, mit äußerster Finesse in Szene gesetzten Instrumentaleffekte des langsamen Satzes, der durch seine Länge allerdings doch sehr ermüdend wirkt«. Das verhältnismäßig origi
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Slawische Musik in München
Konzertankündigung für den 6. März 1930 mit der Münchner Erstaufführung der »Glagolitischen Messe« von Leoš Janáček durch die Münchner Philharmoniker
Die Philharmoniker als Botschafter
tschechischer und polnischer Musik
GABRIELE E. MEYER
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nelle Scherzo lehnte sich ihrer Meinung nach zu sehr an den gleichartigen Satz aus der »Harold«Symphonie von Berlioz an. Und auch dem effektvoll aufgebauten Finale sprach der Kritiker keine besondere Originalität zu. Als Bereicherung der symphonischen Literatur, so sein Fazit, könne man das Werk jedenfalls nicht bezeichnen.
Janáčeks 1926 entstandene »Sinfonietta« erklang in München zum ersten Male am 1. März 1929. Nur ein knappes Jahr später folgte unter der Leitung von Adolf Mennerich die OrchesterRhapsodie »Taras Bulba«, schließlich, am 6. März 1930, im Rahmen der »Woche Neuer Musik«, die »Glagolitische Messe«. Vier Tage vor der Aufführung veröffentlichten die »Münchner Neuesten Nachrichten« eine ausführliche Einführung, erstaunlich in ihrer detaillierten Beschreibung der einzelnen Teile, gepaart mit viel Einfühlungsvermögen in die stilistischen Besonderheiten des Werks. Gleichwohl rea gierten Konzertbesucher und Pressevertreter ob der Auslegung des Messetextes teilweise irritiert, ungeachtet der Tatsache, dass sie das satztechnisch geniale Können, die phänomenal temperamentvolle Schaffenskraft, die den 72jährigen Komponisten diese großartige Schöpfung vollbringen ließ, durchaus anerkannten. Der stürmische Beifall in der ausverkauften Tonhalle galt zuvörderst der ausgezeichneten Leistung aller Ausführenden, dem Chor, »der die enormen Schwierigkeiten schon hinsichtlich Treff sicherheit und Intonation hervorragend bewältigte«, den Philharmonikern, »die alles gaben, was der Dirigent an Klang und Ausdruck von ihnen forderte« und dem ausgezeichneten Organisten. Einhelliges Lob gab es auch für die Solisten, vor allem für Julius Patzak.
Auch für das Konzert am 5. Januar 1938, das im Rahmen des deutschpolnischen Kulturaustausches stattfand, gab es einen Vorbericht, der Bezug nimmt auf ein vorausgegangenes, äußerst erfolgreiches Konzert in Polen. Der Dirigent Adolf Mennerich war Anfang Dezember 1937 in Begleitung des philharmonischen Solocellisten Hermann von Beckerath nach Posen gereist und hatte mit dem dortigen Symphonieorchester musiziert. »Die Hauptstadt der Bewegung«, so hieß es, »hält es nun für eine Ehrenpflicht, auch den polnischen Gästen einen würdigen Empfang zu ihrem Konzert zu bereiten und dabei ihrem Dank für die außerordentliche herzliche Aufnahme der deutschen Künstler in Polen Ausdruck zu geben«. Neben Wagners »Holländer«Ouvertüre und Dvořáks »Neunter« stellte Zygmunt Latoszewski zwei in München noch unbekannte Komponisten vor: Von Mieczysław Karłowicz erklang die romantische Legende »Stanislaw und Anna Oswiecimowie«, von Karol Szymanowski dessen Violinkonzert Nr. 1 op. 35, gespielt von Zdzislaw Jahnke. Dirigent und Solist wurden nicht nur »hinsichtlich der glänzenden Wiedergabe der von ihnen gebrachten Stücke« bejubelt, sondern auch dafür, dass sie zwei neue Werke ihrer Landsleute mitgebracht hatten. – Der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 beendete die »friedliche Verständigung zwischen den beiden Nationen« abrupt. In der Folge wurde der Anteil an ausländischer Musik je nach Kriegsverlauf auf ein Mindestmaß reduziert. Von den slawischen Komponisten blieben am Ende nur noch die kroatischen übrig.
Slawische Musik in München
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Dienstag01_03_2016 20 Uhr f Mittwoch 02_03_2016 20 Uhr h4 Donnerstag 03_03_2016 20 Uhr b
ANTON BRUCKNER»Ave Maria« für 7-stimmigen Chor a cappellaKAROL SZYMANOWSKI»Stabat Mater« für Sopran, Alt, Bariton, Chor und OrchesterANTON BRUCKNERSymphonie Nr. 2 c-Moll(Fassung 1877)
THOMAS DAUSGAARD, DirigentTATIANA MONOGAROVA, SopranOLESYA PETROVA, MezzosopranADAM PALKA, BaritonPHILHARMONISCHER CHOR MÜNCHENEinstudierung: Andreas Herrmann
Sonntag06_03_2016 11 Uhr
5. KAMMERKONZERTFestsaal, Münchner Künstlerhaus
»Göttliche Quellen«
WOLFGANG AMADEUS MOZARTKlavierquartett g-Moll KV 478FRANZ SCHUBERTStreichtriosatz B-Dur D 471 Quintett für Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass und Klavier A-Dur D 667 »Forellenquintett«
IASON KERAMIDIS, ViolineJANO LISBOA, ViolaSISSY SCHMIDHUBER, VioloncelloSTEPAN KRATOCHVIL, KontrabassPAUL RIVINIUS, Klavier
Sonntag13_03_2016 11 Uhr mMontag14_03_2016 19 Uhr 3. JugendkonzertMittwoch 16_03_2016 20 Uhr a
JOHANNES BRAHMS»Tragische Ouvertüre« d-Moll op. 81FRANZ LISZTKonzert für Klavier und Orchester Nr. 2 A-DurEDWARD ELGAR»Enigma Variations« op. 36
NIKOLAJ ZNAIDER, DirigentALICE SARA OTT, Klavier
Vorschau
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Das OrchesterDas Orchester
1. VIOLINENSreten Krstič, KonzertmeisterLorenz NasturicaHerschcowici, KonzertmeisterJulian Shevlin, KonzertmeisterOdette Couch, stv. KonzertmeisterinLucja Madziar, stv. KonzertmeisterinClaudia SutilPhilip MiddlemanNenad DaleorePeter BecherRegina MatthesWolfram LohschützMartin ManzCéline VaudéYusi ChenIason KeramidisFlorentine Lenz
2. VIOLINENSimon Fordham, StimmführerAlexander Möck, StimmführerIIona Cudek, stv. StimmführerinMatthias Löhlein, VorspielerKatharina ReichstallerNils SchadClara BergiusBühlEsther MerzKatharina TriendlAna VladanovicLebedinskiBernhard MetzNamiko FuseQi Zhou
Die MünchnerPhilharmoniker
Clément CourtinTraudel Reich
BRATSCHENJano Lisboa, SoloBurkhard Sigl, stv. SoloJulia Rebekka Adler, stv. SoloMax SpengerHerbert StoiberWolfgang StinglGunter PretzelWolfgang BergBeate SpringorumKonstantin SellheimJulio LópezValentin EichlerYushan Li
VIOLONCELLIMichael Hell, KonzertmeisterFloris Mijnders, SoloStephan Haack, stv. SoloThomas Ruge, stv. SoloHerbert HeimVeit WenkWolffSissy SchmidhuberElke FunkHoeverManuel von der NahmerIsolde HayerSven FaulianDavid HausdorfJoachim Wohlgemuth
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Das Orchester
KONTRABÄSSESławomir Grenda, SoloFora Baltacigil, SoloAlexander Preuß, stv. SoloHolger HerrmannStepan KratochvilShengni GuoEmilio Yepes Martinez Ulrich ZellerThomas Hille
FLÖTENMichael Martin Kofler, SoloHerman van Kogelenberg, SoloBurkhard Jäckle, stv. SoloMartin BeličGabriele Krötz, Piccoloflöte
OBOENUlrich Becker, SoloMarieLuise Modersohn, SoloLisa OutredBernhard BerwangerKai Rapsch, Englischhorn
KLARINETTENAlexandra Gruber, SoloLászló Kuti, SoloAnnette Maucher, stv. SoloMatthias AmbrosiusAlbert Osterhammer, Bassklarinette
FAGOTTELyndon Watts, SoloJürgen PoppJohannes HofbauerJörg Urbach, Kontrafagott
HÖRNERJörg Brückner, SoloMatias Pin~eira, SoloUlrich Haider, stv. SoloMaria Teiwes, stv. SoloRobert Ross
Alois SchlemerHubert PilstlMia Aselmeyer
TROMPETENGuido Segers, SoloBernhard Peschl, stv. SoloFranz UnterrainerMarkus RainerFlorian Klingler
POSAUNENDany Bonvin, SoloDavid Rejano Cantero, SoloMatthias Fischer, stv. SoloQuirin Willert Benjamin Appel, Bassposaune
PAUKENStefan Gagelmann, SoloGuido Rückel, SoloWalter Schwarz, stv. Solo
SCHLAGZEUGSebastian Förschl, 1. SchlagzeugerJörg Hannabach
HARFETeresa Zimmermann
CHEFDIRIGENT Valery Gergiev
EHRENDIRIGENTZubin Mehta
INTENDANTPaul Müller
ORCHESTERVORSTANDStephan HaackMatthias AmbrosiusKonstantin Sellheim
Das Orchester
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Impressum
IMPRESSUM
Herausgeber:Direktion der MünchnerPhilharmonikerPaul Müller, IntendantKellerstraße 481667 München
Lektorat: Stephan Kohler
Corporate Design:HEYE GmbH, München
Graphik: dm druckmedien gmbhMünchen
Druck: Gebr. Geiselberger GmbHMartinMoserStraße 23 84503 Altötting
TEXTNACHWEISE
Martin Demmler, Wolfgang Stähr, Susanne Stähr, Jörg Handstein und Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeiträge für die Programmhefte der Münchner Philharmoniker. Hans Pfitzners Sonnett auf Robert Schumann zitieren wir aus dem Anhang zu Band II der Erstausgabe in 3 Bänden von Pfitzners »Gesammelten Schriften«, Augsburg 1926. Stephan Kohler redigierte bzw. verfasste die lexikalischen Werkangaben und Kurzkommentare zu den aufgeführten Werken. Künstlerbiographien (Gimeno, Steckel): Nach Agenturvorlagen. Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kostenpflichtig.
BILDNACHWEISE
Abbildung zu Francisco Coll: Website des Komponisten (www.franciscocoll.com/gallery). Abbildungen zu Robert Schumann: Ernst Burger, Robert Schumann – Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten, Mainz 1999. Abbildungen zu Ludwig van Beethoven: Joseph SchmidtGörg und Hans
Schmidt (Hrsg.), Ludwig van Beethoven, Bonn 1969; H. C. Robbins Landon, Beethoven – A documentary study, New York 1970. Abbildung „Slawische Musik in München“: Münchner Stadtbibliothek – Musikbibliothek. Künstlerphotographien: Marco Borggreve (Gimeno); Georgina Bertazzi (Steckel).
TITELGESTALTUNG
»Ludwig van Beethoven war ein Stadtmensch. Als Naturliebhaber suchte er trotzdem jede Möglichkeit der Stadt Wien zu entflie-hen. In der Zeit von 1807/1808 lies er sich von der ländlichen Umgebung inspirieren und schrieb seine sechste Symphonie (›Pastorale‹). Darin hielt er seine Eindrücke vom Landleben fest. Im Motiv wird diese Flucht durch die heruntergerissenen Fassaden der Stadt dar-gestellt. Dahinter kommt ein Herbarium zum Vor-schein, welches die Schönheit der Natur zeigt.« (Stephan Hof-mann, Junior Art Director – Heye GmbH, 2015)
Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt
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DAS ORCHESTER DER STADT
’15’16
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