Teil 1
Diagnose mit BADYS 1 – 4+
Das Thema des Workshops ist, wie in der Ankündigung zum Ausdruck kommt, der
Umgang mit Rechenschwäche. Genauso gut hätte dort auch von Rechenproblemen,
Rechenschwierigkeiten, Rechenstörung oder Dyskalkulie die Rede sein können. Welche
Terminologie gewählt wird, ist aus therapeutischer Sicht eher zweitrangig, weil daraus
weder über die Ursache noch für die Behandlungsmöglichkeiten hilfreiche Hinweise
abgeleitet werden können. Entscheidend ist, dass alle betroffenen Kinder besondere
Probleme mit numerischen Inhalten haben und dass für viele das Risiko einer
psychischen Beeinträchtigung erheblich ist. Die Aufgabe von LerntherapeutInnen
besteht darin, die Kinder aufzufangen, ihnen Mut zu machen und die Angst vor der
Mathematik zu nehmen. Lehrkräfte dagegen haben bereits zu einem viel früheren
Zeitpunkt entscheidenden Anteil daran, dass die Versagensängste erst gar nicht
entstehen, indem Sie die Problematik frühzeitig erkennen und idealer Weise verhindern,
dass ein Leidensdruck entsteht.
Die Frage ist, wieso bei einigen Kindern das Rechnenlernen so problematisch verläuft.
Eine befriedigende Antwort hat die Wissenschaft bis heute nicht geliefert. Somit bleibt
einstweilen nur die Möglichkeit, aus der Literatur jene Faktoren zusammenzufassen, die
Rechenleistungen beeinflussen.
Numerische Kompetenzen sind das Ergebnis des Zusammenwirkens vieler Faktoren,
die zum größten Teil konstitutioneller Natur sind, zum Teil aber auch das schulische und
familäre Umfeld betreffen.
� Allgemein-kognitive FunktionenGedächtnisleistungenAufmerksamkeit
Sprachverständnis
� Räumliche Vorstellung
� Basisnumerische FertigkeitenMengenerfassungZahlerfassung
� Arithmetische Fertigkeiten
Addition und Subtraktion
Multiplikation und Division
Neben allgemein-kognitiven Funktionen Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Sprache und
dem räumlichen Vorstellungsvermögen haben die hier aufgeführten basisnume-
rischen Fertigkeiten eine hohe Vorhersagekraft für die späteren arithmetischen
Kompetenzen, dies gilt heute als gesichert.
Kinder entwickeln bis zum Schuleintritt primäre numerische Kompetenzen . Bereits im
Alter von drei bis vier Jahren können sie Mengen visuell über 1:1-Zuordnungen
vergleichen, vier – bis fünfjährige Kinder können Zahlwörter in der Regel bereits kardinal
zur Bestimmung der Anzahl verwenden und Vorschulkinder führen schon einfache
Rechenoperationen aus. Dennoch bringen einige Grundschulkinder sehr geringe
Vorkenntnisse mit, die nicht ausreichen, um weitere Kompetenzen angemessen zu
entwickeln. Wir können davon ausgehen, dass, bei einer Prävalenzrate von ca. 6%, in
jeder Grundschulklasse mindestens ein Kind als rechenschwach einzustufen ist. Wo die
Probleme genau angesiedelt sind, muss sehr sorgfältig analysiert werden, denn Grund-
vorausaussetzung für jegliche Art von Fördermaßnahmen ist die umfassende Erhebung
und Analyse des aktuellen Leistungsstandes. Prinzipiell sollten Rechenschwierigkeiten
bei Kindern natürlich möglichst früh erkannt und in der Folge differenzierte Fördermaß-
nahmen veranlasst werden. Bei Nichtbeachtung haben die betroffenen Kinder in aller
Regel kumulativ Schwierigkeiten, mit dem aktuellen Schulstoff in Mathematik Schritt zu
halten. Misserfolgserlebnisse wirken sich auch auf die Position im Sozialsystem der
Klasse aus und erzeugen sekundär Ängste und Vermeidungsverhalten. Von daher ist es
nachvollziehbar, dass sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rechen-
schwierigkeiten bislang vorrangig auf den Primarbereich und verstärkt auch auf den
vorschulischen Bereich bezieht. In der Folge sind in den letzten Jahren etliche neue
Diagnoseverfahren entstanden.
Dies trägt wesentlich dazu bei, dass gefährdete Kinder zu einem Zeitpunkt Förderung
erfahren können, zudem sich unangemessene Rechenstrategien noch nicht verfestigt
haben. Bei einigen Kindern werden diese aber erst dann offenkundig, wenn die kompen-
satorischen Mittel, die jedes rechenschwache Kind im Laufe seiner Grundschullaufbahn
einzusetzen gelernt hat, nicht mehr greifen, weil die Techniken und das Vorstellungs-
vermögen für den höheren Zahlenraum und für die Mathematik jenseits der Grund-
schularithmetik nicht mehr ausreichen.
Für die Diagnose eignen sich vor allem prozessorientierte Methoden der qualitativen
Analyse von Rechenwegen und Rechenergebnissen. Die Idee dahinter ist, Einblick in
die numerischen Denkstrukturen zu gewinnen. Dies gelingt am besten mit förder-
diagnostischen Verfahren .
Zielsetzung förderdiagnostischer Verfahren
� Standardisierte Erkennung und Quantifizierung von Rechenschwierigkeiten
� Qualitative Analyse der Rechenleistung
Voraussetzungen
� Gute Differenzierung im unteren Leistungsbereich� Berücksichtigung vieler Aspekte von
Rechenfertigkeiten� Adaptive Vorgehensweise: Möglichkeit zur Variation
der Leistungsanforderung
Förderdiagnostische Testverfahren haben zwei Ziele: Neben der standardisierten Mög-
lichkeit der Identifizierung und Quantifizierung von Rechenschwierigkeiten sollten
sie auch den Anforderungen der Praxis genügen und die Grundlage für die Planung
individueller Förderansätze bilden. Um dies zu erreichen, muss das Verfahren vor
allem im unteren Leistungsbereich gut differenzieren und möglichst viele Aspekte
von Rechenfertigkeiten einbeziehen, da betroffene Kinder Störungsmuster in verschie-
denen Ausprägungsgraden und Mischformen zeigen. Dies bedeutet, dass neben den
arithmetischen auch basisnumerische Aufgaben berücksichtigt werden müssen.
Ein weiteres Anliegen ist die adaptive Vorgehensweise . Für rechenschwache Kinder ist
es kennzeichnend, dass ihre numerischen Fertigkeiten oft mehrere Klassenstufen unter
den Anforderungen liegen. Deshalb muss bei erkennbarer Überforderung in einzelnen
Subtests die Möglichkeit bestehen, zu den Aufgaben vorangegangener Klassenstufen
zurückgehen zu können. Nur so kann durch die quantitative und die qualitative Fehler-
analyse recht präzise angegeben werden, auf welcher Kompetenzebene sich ein Kind
befindet und wo die Förderung einsetzen sollte.
Bei der Konstruktion von BADYS 1 – 4 + wurde dies alles so gut es ging berücksichtigt.
BADYS 1 - 4+ ist für die Einzeluntersuchung von Schülern mit besonderen Rechen-
problemen entwickelt worden. Das Verfahren kann ab dem Ende der ersten bis zum
Beginn der sechsten Klasse eingesetzt werden. Die Durchführung benötigt insgesamt 70
bis 90 Minuten, weshalb es ratsam ist, die Testung an zwei Terminen durchzuführen.
Der Test besteht aus acht Subtests mit 80 bis 116 Aufgaben , je nach Klassenstufe,
sowie einer zusätzlichen Aufgabe zur Erfassung der allgemeinen Bearbeitungs-
geschwindigkeit bei nicht mathematischen Inhalten. Sie geht aber nicht in die Bewer-
tung der Gesamttestleistung ein.
� Allgemein-kognitive FunktionenGedächtnisleistungenMathematische BegriffeAufmerksamkeit (Bearbeitungsgeschwindigkeit)
� Räumliche VorstellungVisuell-räumliche Grundfertigkeiten
� Basisnumerische FertigkeitenMengenerfassungZahlerfassung
� Numerische Fertigkeiten
Addition und SubtraktionMultiplikation und Division
� Umgang mit Maßen
Allgemein-kognitive Funktionen
Subtest Gedächtnisleistungen
Das Gedächtnis ist eine kognitive Funktion, die wesentlich an Rechenprozessen betei-
ligt ist. Das Arbeitsgedächtnis wird zur Aufrechterhaltung relevanter Informationen und
zur Weiterverarbeitung dieser Informationen benötigt. Es umfasst zwei Speicher für
auditive (phonologische Schleife) und für visuelle (visuell-räumlicher Notizblock) Infor-
mationen und die sog. zentrale Exekutive, die für die Koordination beider Speicher zu-
ständig ist, vor allem bei komplexeren Aufgaben. Alle drei Systeme spielen eine große
Rolle beim Lösen arithmetischer Aufgaben. Es ist eine ganze Reihe von Untersuchun-
gen bekannt, die die Zusammenhänge zwischen eingeschränkten Gedächtnisleistungen
und Rechenschwäche überprüft haben. Dabei konnten bei Kindern mit Dyskalkulie keine
generellen Probleme des Arbeitsgedächtnisses beobachtet werden. In der Regel zeigen
sie bei sprachlichen Gedächtnisleistungen keine besonderen Auffälligkeiten, die Schwie-
rigkeiten beziehen sich vor allem auf Merkleistungen mit Zahlenmaterial. Dies betrifft
generell die Fähigkeit, arithmetische Informationen zu verarbeiten und deutet darauf hin,
dass nicht nur die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses beeinträchtigt ist, sondern auch
die zentrale Exekutive, die diese Informationsverarbeitung, etwa beim Kopfrechnen,
steuert. Für diese Annahme spricht, dass numerische Einträge ins Langzeitgedächtnis
häufig nur erschwert aufgebaut werden können; man denke an die Automatisierung der
Einmaleinssätze. Die Überforderung des Arbeitsgedächtnisses könnte allerdings auch
damit zusammenhängen, dass rechenschwache Kinder häufig sehr zeitaufwändige und
ineffiziente Rechenstrategien anwenden.
Gedächtnisleistungen werden mit zwei Aufgabengruppen überprüft. In der Grundschul-
version liegt der Focus auf visuellen Reizen. Zum einen sollen kurz präsentierte Würfel-
bilder oder geometrische Formen genauso reproduziert werden, wie sie zuvor gezeigt
wurden (Gedächtnisleistungen vorwärts) . Zum anderen müssen die Reize in umge-
kehrter Reihenfolge wiedergegeben werden (Gedächtnisleistungen rückwärts).
Eine weitere allgemein-kognitive Funktion, die bei der Entwicklung numerischer Kompe-
tenzen eine Rolle spielt, ist das Sprachverständnis .
Sprachliche Fähigkeiten sind für alle Kulturtechniken grundlegend, natürlich auch für die
Mathematik. Bei BADYS 1- 4+ gibt es einen eigenen Subtest, der vor allem die Verfüg-
barkeit mathematischer Begriffe abprüft.
Subtest Mathematische Begriffe
Eine wichtige Voraussetzung für die Ausführung von Rechenoperationen ist die Kenntnis
von Operationsbegriffen.
Im Test wird die Verfügbarkeit prozeduraler Begriffe, wie wegnehmen, hinzufügen, ver-
mehren, verdoppeln etc. überprüft.
Eine weitere Aufgabengruppe bilden Positionsbegriffe.
Räumliche Vorstellung
Subtest Visuell-Räumliche Grundfertigkeiten
Hier gibt es kognitive, perzeptive und grafische Aufgaben zum Räumlichen Denken und
zu Raumlagebeziehungen.
Ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen ist essentiell für den Bereich Geometrie.
Im Test haben wir Aufgaben zu Körpernetzen und Würfelkonstellationen.
Eine weitere Aufgabengruppe befasst sich mit Raumlagebeziehungen .
Ein Kind, das Schwierigkeiten hat, die Lage eines Gegenstandes in Relation zu seinem
eigenen Körper oder zu anderen Gegenständen zu bestimmen, wird auch bei
geometrischen Aufgaben Schwierigkeiten haben. Raumlagebeziehungen sind auch für
die Differenzierung von Zahlen und Buchstaben relevant: b und d, p und q sind
symmetrische Buchstaben. Die Zahlen 6 und 9 können durch Drehung ineinander
überführt werden. Räumliche Vorstellungen entscheiden aber auch darüber, wie gut sich
ein Kind im Zahlenraum orientieren kann.
Wenn vom Zahlenraum die Rede ist, meinen wir damit nichts anderes als die geordnete,
richtungsgebundene Darstellung von Zahlen. Es müssen numerische Beziehungen in
räumliche transformiert werden. Nehmen wir die Hundertertafel als Beispiel: Jede Zahl
hat einen linken Nachbarn, den Vorgänger, der genau um 1 kleiner ist und einen rechten
Nachbarn, den Nachfolger, der genau um eins größer ist als die Zahl. Oberhalb und
unterhalb sind jeweils Zahlen angeordnet, die genau um 10 kleiner bzw. um 10 größer
sind. Oder der Zahlenstrahl: Jede Zahl steht in Relation zu anderen Zahlen. Diese
Relationen werden am Zahlenstrahl linear abgebildet.
Basisnumerische Fertigkeiten
Subtest Mengenerfassung
Sehr früh können Kinder im Allgemeinen schon Mengen visuell erfassen und verglei-
chen. Es gibt Befunde aus der Säuglingsforschung, wonach bereits sechs Wochen alte
Babys in der Lage sind, akustische und visuelle Reize als mengenmäßig gleich oder ver-
schieden zu beurteilen. Man geht von einem angeborenen Start-up Mechanismus für
Rechenleistungen aus, wozu auch die Simultanerkennung kleiner Mengen (bis 3 Ele-
mente, Subitizing) zählt. Diese Mengenbeurteilungen enthalten noch keinerlei nume-
risches Wissen, vielmehr handelt es sich um eine genetisch determinierte Fähigkeit zur
Mengendifferenzierung, so wie wir auch Formen und Farben unterscheiden können. Es
gibt Hinweise darauf, dass bei Rechenschwachen dieser Mechanismus nicht oder
zumindest schwächer vorhanden ist. Sie vergleichen auch kleinste Mengen zählend,
was an längeren Reaktionszeiten zu erkennen ist. Dies wird als Hinweis darauf gewer-
tet, dass die basale Zahlverarbeitung gestört ist. Neuere Untersuchungen aus der
Neuropsychologie bestätigen diese Annahme. Mit bildgebenden Verfahren wurden bei
rechenschwachen Kindern atypische Gehirnaktivitäten bei der Bearbeitung von Auf-
gaben zum Mengen- und Zahlenvergleich nachgewiesen. Im Unterschied zu
unauffälligen Rechnern, dauert der Entscheidungsprozess beim Zahlen- oder
Mengenvergleich bei Rechenschwachen etwa gleich lang, unabhängig davon, ob sich
die Reize um 5 (z. B. 2 und 7) oder um 1 unterscheiden.
Im Test wird der nicht-numerische Mengenvergleich anhand von Aufgaben zum Ordnen
von Punktmengen erfasst.
Die Mengenerfassung wird im Allgemeinen wesentlich erleichtert, wenn Mengen struktu-
riert vorgegeben werden, etwa in Form der Würfelpunkte. Besonders gut konnte bei der
Testnormierung eine Aufgabe zur Strukturierten Mengenerfassung zwischen Kindern
mit Dyskalkulie und der Vergleichsgruppe differenzieren. Die schwachen Rechner
konnten die Mengenstrukturen weniger als Hilfsmittel nutzen und griffen häufig schon bei
kleinen Anzahlen auf Zählstrategien zurück.
Die Beurteilung der Mächtigkeit von Mengen bereitet Rechenschwachen meist große
Probleme. Jüngere Kinder überschätzen in der Regel die Mengenquantität. Dies zeigt
sich vor allem beim Schätzen größerer Mengen. Im Test wurde dies mit Aufgaben zum
freien, zum vorgabegebundenen und zum konzeptuellen Schätzen berücksichtigt.
Subtest Zahlerfassung
Dieser Subtest umfasst die Aufgabengruppen Zählfertigkeiten , Aufbau des Stellen-
wertsystems und Orientierung im Zahlenraum .
Zählfertigkeiten werden vorwärts , rückwärts und mit Zählen in Zweierschritten erfasst.
Zählen ist eine grundlegende Voraussetzung für die Entwicklung mathematischer Kompe-
tenzen. Zählfertigkeiten im Vorschulalter haben einen hohen Vorhersagewert für Rechen-
fertigkeiten. Vorwärts zählen, bei 1 beginnend, können Kinder schon lange vor der Ein-
schulung bis 10, 20 oder noch weiter. Sie lernen die Zahlenreihe zunächst wie einen Reim
auswendig, können aber noch keine Mengenvorstellungen damit verbinden. Zählen ab
Startpunkt, also Weiterzählen oder Rückwärtszählen geht zu diesem frühen Zeitpunkt noch
gar nicht, es bereitet oft noch in der Grundschule Probleme, solange keine Zahlvorstellun-
gen entwickelt sind.
Zur Erfassung der Zählfertigkeiten werden bei für jüngeren Kindern meist Aufgaben zum
Vorwärts- und Rückwärtszählen mit Zehnerüberschreitung verwendet, bei älteren Grund-
schülern sind Aufgaben in Zählschritten größer 1 aussagekräftiger.
In einer weiteren Aufgabengruppe werden die Kenntnisse über den Aufbau des
Stellenwertsystems überprüft. Wenn Kinder zweistellige Zahlen schreiben, stellt der
gegensinnige Gebrauch von Zahlwörtern und deren Schreibweise eine große Heraus-
forderung dar. Wörter schreiben wir in genau der Reihenfolge, wie wir die Laute wahr-
nehmen. Zweistellige Zahlen müssen wir aber invers zur Sprechrichtung schreiben.
Demzufolge haben Rechenschwache häufig Transkodierungsprobleme, die sehr per-
sistent sind so lange Ziffern sequentiell verarbeitet und nicht als Zahlen wahrgenommen
werden.
In enger Verbindung mit dem Stellenwertsystem ist auch die Orientierung im Zahlen-
raum zu sehen. Hier geht es vor allem um den relationalen Zahlaspekt, um die Frage
also, wo eine Zahl, die ja immer in Beziehung zu anderen Zahlen steht, mental einzu-
ordnen ist. Man kann es als symptomatisch für Kinder mit Dyskalkulie bezeichnen, dass
sie keine adäquate kognitive Vorstellung des Zahlenraums haben.
Die Orientierung im Zahlenraum wird anhand von Aufgaben zu den Nachbarstellen und
mit Aufgaben am Zahlenstrahl erfasst. Dass Rechenschwachen das Eintragen von
Zahlen am unvollständigen Zahlenstrahl besonders schwer fällt, ist empirisch gut belegt.
Bei jüngeren Kindern ist der mentale Zahlenstrahl logarithmisch, nicht linear, was
bedeutet, dass subjektiv der Abstand zwischen Zahlen mit der Zahlengröße abnimmt,
anders ausgedrückt: Kleine Zahlen nehmen zu viel Raum ein.
Numerische Fertigkeiten
Bei den Basisaufgaben der Subtests Addition und Subtraktion bzw. Multiplikation
und Division wurden verschiedene Anforderungsniveaus (mit und ohne Stellenüber-
schreitung) und Zahlenräume (bis 20, bis 100, bis 1000, größer 1000) berücksichtigt.
Zu den mathematischen Basiskenntnissen gehört die Einsicht in Teil-Ganzes
Beziehungen, d. h., es muss verstanden sein, dass Mengen in Teilmengen zerlegt
werden können. Hierzu eignen sich besonders Ergänzungsaufgaben .
Um zu gewährleisten, dass auch Kinder mit inadäquaten Rechenstrategien (z. B.
zählendes Rechnen) erkannt werden können, ist bei den Basis- und Ergänzungs-
aufgaben eine Zeitgrenze gesetzt. Quantitativ werden nur die Aufgaben gewertet, die
innerhalb des Zeitlimits bearbeitet wurden.
Bei der Beurteilung der Rechenleistungen ist es besonders wichtig, die Art der entstan-
denen Fehler genau zu analysieren. In der Regel kommen falsche Rechenergebnisse
nicht zufällig zustande, sondern sind rekonstruierbar. Hilfreich ist immer, sich den
Rechenweg von den Schülern genau erklären zu lassen. Dies ist in der Testsituation
allerdings nicht immer möglich, deshalb bedarf es einer gründlichen qualitativen
Analyse.
Eine weitere Aufgabengruppe umfasst das Rechnen mit Überschlag . Da Rechen-
schwache häufig nur mechanisch rechnen und keine Zahlvorstellungen haben, die
flexible, adaptive Vorgehensweisen erlauben, gelingt es ihnen kaum, Rechenergebnisse
einzuschätzen. Selten findet am Ende des Rechenvorgangs eine Plausibilitätsprüfung
statt.
Der Subtest Multiplikation und Division ist ähnlich aufgebaut wie der Subtest
Addition/Subtraktion. Es gibt hier noch eine zusätzliche Aufgabengruppe zur Division
mit Rest.
Umgang mit Maßen
In diesem Subtest ist eine Aufgabengruppe enthalten, bei der es um die Zeitliche
Orientierung geht, zweifelsfrei ein Bereich, der für viele Grundschüler mit und ohne
Dyskalkulie besonders problematisch ist.
Weitere Aufgaben erfassen den Umgang mit Maßeinheiten . Hier ist zwar eine hohe
Alltagsrelevanz gegeben, die Vorstellungsfähigkeit vieler Schüler reicht aber offensicht-
lich für die adäquate Umrechnung von einer Maßeinheit in die nächste nicht aus. Dies
gilt nicht nur für Rechenschwache.
© Dr. Gerhild Merdian, 2011
Teil 2 Quantitative und qualitative Diagnostik anhand eines Fallbeispiels
Das ist Nele (8 Jahre):
Ich lernte das Mädchen zu Beginn des 3. Schuljahres kennen. Vorangegangen war ein Erstgespräch mit Neles Mutter. Wie sich dabei herausstellte, war der Rechenlernprozess von Anfang an problematisch, in den anderen Lernbereichen zeigte Nele gute Leis-tungen. In Gesprächen mit der Lehrerin wurde auf Schwierigkeiten beim Erwerb und der Automatisierung der Einspluseinssätze bis 10, bei der Zehnerüberschreitung und auf das anhaltend zählende Rechnen des Mädchens hingewiesen. Hinzu kamen in der 2. Klasse Probleme bei der Erschließung des Zahlenraums bis 100. Auch im Bereich Geometrie hatte Nele große Probleme. Der Umgang mit der Uhr beschränkte sich auf die Erkennung ganzer Stunden. Bei den Hausaufgaben benötigte Nele nur in Mathematik die Hilfe der Mutter. Nele ging sehr gern zur Schule, die in privater Träger-schaft war. Dadurch, dass es keine Noten gab und der Unterricht in Lernepochen einge-teilt war, kam bei Nele nur temporär das Gefühl auf, den Anforderungen nicht entspre-chen zu können. Zu Hause wurden die schwachen Rechenleistungen des Mädchens nicht problematisiert. Es wurden für die Testung mit BADYS zwei Termine vereinbart. Zu Beginn der ersten Sitzung fand ein ausführliches Gespräch mit Nele statt. Grundlage hierfür bildete der Bamberger Anamnesebogen für Kinder und Jugendliche (BASE –K). Das Anamnese-gespräch ist ein wesentlicher Teil der Diagnostik, denn selbstverständlich setzen sich die Rechenleistungen eines Kindes nicht nur aus den erwähnten messbaren Faktoren zusammen, sondern sind in nicht unerheblichem Maße beeinflusst vom schulischen und häuslichen Lernumfeld, das möglichst genau erfragt werden muss. Nele wirkte im Ge-spräch, unbefangen und aufgeschlossen. Sie mochte die Lehrerin und hatte viele Freun-dinnen in der Klasse. Das Mädchen ließ sich bereitwillig auf die Testsituation ein und wirkte nie sonderlich gestresst. Manche Aufgaben, bei denen nicht gerechnet werden musste, bereiteten ihr sichtlich Spaß. Es stellte sich jedoch schon bald heraus, dass Nele mit den meisten Testaufgaben der 2. Jahrgangsstufe weitgehend überfordert war, so dass im weiteren Verlauf schwerpunktmäßig die Aufgaben von BADYS 1+ eingesetzt wurden. Dies ist durch den adaptiven Aufbau des Verfahrens jederzeit möglich. Neles Testbefunde
Die Datenanalyse kann bei BADYS entweder manuell mit Hilfe des Bewertungsbogens
oder computergestützt vorgenommen werden kann. Der Vorteil der manuellen Auswer-
tung mit dem Bewertungsbogen liegt darin, dass sowohl quantitative als auch quali-
tative Analysen möglich sind, der Nachteil ist, dass die Übertragung der Rohwerte aus
dem Protokollheft zeitaufwändig ist. Die computergestützte Auswertung ist sehr viel
zeitökonomischer, weil die Zuordnung der Testrohwerte zu den Subtests und die Auf-
summierung automatisch erfolgen. Nachteilig ist, dass nur quantitativ bewertet werden
kann.
Dies ist ein Ausschnitt aus der Deckseite des Bewertungsbogens . Hier werden neben
den Personalien des Kindes die Ergebnisse der Untertests zusammengefasst sowie
Prozentrang- und T-Werte aus dem Normenheft eingetragen. Mit Hilfe des Prozent-
rang-Profils können die Testleistungen grafisch veranschaulicht werden.
Im Gesamttest entsprach der erreichte Rohwert (RW ges.) Prozentrang 5 (T-Wert 33)
für die 1. Jahrgangsstufe und ist damit dem unteren Leistungsbereich zuzuordnen.
Durchschnittliche Werte erreichte Nele in den Subtests Visuell-räumliche Grundfertig-
keiten (VRG), Gedächtnisleistungen (GED), Mathemati sche Begriffe (MB) und im
Umgang mit Maßen (UMA) . Zu letzterem sei erwähnt, dass in der 1. Jahrgangsstufe
nur Zeitmaße geprüft werden. Konkret heißt das, dass volle Stunden von der Uhr abge-
lesen bzw. in die Uhr eingetragen werden müssen. Aufgaben aus der 2. Jahrgangsstufe,
die halbe Stunden und Minuten beinhalten, konnte das Mädchen nicht lösen.
Neles Stärken zeigten sich vor allem im sprachlichen Bereich: Mit den Operations-
begriffen kam sie sehr gut zurecht, bei den Positionsbegriffen gab es allerdings
Probleme mit der Rechts-links-Orientierung. Ähnliche Schwierigkeiten mit der Raumlage
zeigten sich auch im Subtest VRG:
Strichmuster abzuzeichnen war für Nele sehr einfach, aber zwei von drei Spiegelungs-
aufgaben wurden nicht völlig richtig gelöst. Erwähnenswert ist auch die Verteilung des
Volumens in den gedrehten Flaschen.
Man kann die Befunde in den nicht numerischen Testteilen dahingehend zusammen-
fassen, dass es immer dann für Nele schwierig wurde, wenn vorstellungsgeleitete
Leistungen gefordert waren, nicht aber bei visuellen. Wo die Lösung gesehen oder
durch Abzählen gefunden werden konnte, gelang dies gut.
Wie Nele in den anderen Subtests zurecht kam, werden wir uns nun genauer
anschauen. Zu diesen Aufgabengruppen werden Beispiele gezeigt, so wie sie von
Nele bearbeitet wurden. Voraus geht jeweils ein Auszug aus dem manuellen Bewer-
tungsbogen, gefolgt von Aufgaben, bei denen Nele im kritischen Bereich lag. Die
Abbildungen sind verkürzt dem Testheft und dem Bildvorlagenbuch entnommen.
Subtest Mengenerfassung
Beim Mengenschätzen konnte Nele nur einen Punkt erzielen und zwar beim Ordnen von
Punktmengen. Dies ist wieder eine Aufgabe, die keine quantitativen Einschätzungen
erfordert, sondern visuell lösbar ist. Mengen frei, mit Vorgabe oder aus der Vorstellung
heraus zu schätzen, gelang ihr nicht. Alle Mengenabbildungen wurden überschätzt.
Bei der strukturierten Mengenerfassung machte Nele zwar keine Fehler, aber sie löste
die meisten Aufgaben zählend. Dadurch war der Zeitaufwand viel zu hoch. Die Zahlen-
dreher bei allen zweistelligen Lösungen wurden nicht als Fehler gewertet.
Subtest Zahlerfassung
Die Aufgaben der 1. Jahrgangsstufe zum Vorwärts- und Rückwärtszählen bis 20 löste
Nele problemlos. Bei dieser Aufgabengruppe war für mich interessant zu sehen, wie sich
Nele im Zahlenraum bis 100 verhielt, weshalb die entsprechenden Aufgaben für die 2.
Jahrgangsstufe einbezogen wurden. Hier zeigte sich auch, wie konsequent Nele die
Schreibrichtung vertauschte. Die Zahlen 5 und 3 wurden zudem gespiegelt. Dies hat
aber nicht dazu geführt, dass sie bei den Aufgaben der 2. Jahrgangsstufe nur einen
Punkt bekam. Das Aufnotieren der Zahlenfolge in Zweierschritten gelang ihr nicht.
Bei den Aufgaben zum Stellenwertsystem wurde offensichtlich, dass Nele nicht
zwischen Einern und Zehnern differenzierte. Die Eintragungen in die Stellentafel nahm
sie bei der Zehnerstelle vor, die Aufgabe zur Stellenschreibweise konnte sie gar nicht
lösen. Zu erwähnen ist noch, dass Nele die Aufgaben zur Orientierung im Zahlenraum
überwiegend gut löste. Lediglich mit den Nachbarzahlen kannte sie sich nicht aus
(Vorgänger/ Nachfolger von 18), die Orientierung am Zahlenstrahl war aber sehr gut.
Nun noch die Befunde in den numerischen Testteilen . In der 1. Jahrgangsstufe ist dies
nur der Subtest Addition und Subtraktion. Sie sehen an dieser Tabelle, wie schwach
Neles Leistungen bei allen Grundrechenaufgaben waren: Bei keiner Aufgabengruppe
dieses Testteils erreichte das Mädchen auch nur den kritischen Wert.
Bei der Zahlzerlegung löste sie nur die Aufgaben ohne Zehnerübergang richtig.
Bei den Kopfrechenaufgaben waren im Zahlenraum bis 20 alle Aufgaben, auch die mit
Übergang, weitgehend richtig gelöst, aber ausschließlich zählend mit enormem
Zeitaufwand. Im Zeitlimit von 90 Sekunden schaffte sie nur zwei Aufgaben. Die
Bearbeitung der Ergänzungsaufgaben hat Nele abgelehnt.
Für den Umgang mit Gleichungen war keinerlei Operationsverständnis erkennbar. Nele
hat die Operatoren nur ins Ergebnis übertragen - der sog. Perseverationsfehler.
Weil Nele ihre Probleme mit der Multiplikation und Division bereits erwähnt hatte, wur-
de dieser Subtest nur noch angetestet. Bereits bei den Aufgaben zur Transkodierung
von Punktbildern in Multiplikations- und Divisionsaufgaben und beim Verdoppeln und
Halbieren war Nele völlig hilflos. Sie hat die Zahlen willkürlich genannt.
Zusammenfassend konnte bei Nele von einer schweren Rechenstörung ausgegangen
werden. Der erreichte Prozentrang < 6 erlaubte diese Diagnose gemäß der üblichen
Konvention. In nahezu allen Subtests lagen die Werte im unteren Bereich. Die quali-
tative Fehleranalyse ergab zudem, dass, auch wenn das Subtestergebnis den kritischen
Prozentrang von 25 überschritt, in vielen weiteren Bereichen Förderbedarf bestand.
Sicher ist, dass die Förderung nicht auf die Grundrechenarten beschränkt werden kann,
die nichtnumerischen Bereiche werden eine besondere Rolle im Förderplan einnehmen.
© Dr. Gerhild Merdian, 2011
Teil 3 Fördermöglichkeiten
Nach den vorliegenden Testbefunden stand außer Frage, dass Nele umgehend einer
außerschulischen Förderung zugeführt werden musste. Es sei nochmals daran erinnert,
dass Nele, die zum Zeitpunkt der Testung die 3. Klasse besuchte, bei der Testversion
BADYS 1+ mit Prozentrang 5 im Gesamttest in nahezu allen Bereichen unterdurch-
schnittliche Werte erzielte. Ihre Stärken lagen im Bereich Sprachverständnis und bei
Aufgaben, die primär visuelle Fertigkeiten erforderten. Es genügt keinesfalls mit der
Förderung im numerischen Bereich anzusetzen, da die basisnumerischen Voraus-
setzungen hierfür nicht gegeben waren. Parallel zur Erarbeitung des Zahlenraums bis 10
sollte deshalb im Grundlagenbereich gearbeitet werden, denn erst wenn tragfähige
Zahlbegriffe entwickelt sind, kann davon ausgegangen werden, dass arithmetische
Leistungen erbracht werden können.
Ein weiterer Punkt ist, dass bei Rechenschwierigkeiten, die so gravierend sind, zunächst
Anschauungshilfen und konkretes Material eingesetzt werden müssen, denn die mathe-
matische Begriffsbildung beruht auf der kognitiven Integration taktiler und visueller Er-
fahrungen. Demzufolge müssen Förderangebote zunächst handlungsorientiert bzw.
visuell sein, bevor auf der Vorstellungsebene gerechnet werden kann. Natürlich ist es
notwendig die Anschauungshilfen sukzessiv auszublenden, denn letztlich sollen die
Kinder zum vorstellungsgeleiteten Rechnen geführt werden.
Vor einigen Jahren habe ich damit begonnen taktile Materialien zur Förderung von
Rechenfertigkeiten herzustellen. Eines der ersten Produkte war Takto . Mit Legeplätt-
chen in verschiedenen Farben, Größen und Formen können alle relevanten visuell-
räumlichen und basisnumerischen Fertigkeiten auf spielerische Weise gefestigt werden.
Die meisten Anregungen, die im Folgenden vorgestellt werden, sind diesem Material
entnommen.
Beginnen wir mit den Visuell-räumlichen Grundfertigkeiten und erinnern uns an die
Probleme Neles mit den Positionsbegriffen . Sie sind nicht nur für die räumliche
Orientierung wichtig, sondern auch für die Stellenschreibweise, die Orientierung im
Zahlenraum und für die Einhaltung der Rechenrichtung. Mit das größte Problem, das die
Testung zu Tage förderte, war die undifferenzierte Stellenschreibweise, die sich
durchgängig im gesamten Test offenbarte.
Mit den Legeplättchen kann die Rechts-links-Orientierung wie im Beispiel abgebildet
geübt werden:
Nele hatte auch Probleme mit den mathematisch so bedeutsamen Seriationsaufgaben .
Sie kam mit diesen Aufgaben gut zurecht, solange sie visuell lösbar waren. Kognitive
Seriationsaufgaben, zu denen auch das Rückwärtszählen oder das Zählen in
Zählschritten gehört, konnte sie nicht lösen.
Das Beispiel zeigt Aufgaben, bei denen es um logische Folgen geht. Die Aufgaben
können in mehreren Varianten durchgeführt werden, indem vorgelegte Reihen entweder
fortgesetzt werden (obere Aufgabe) oder – wie im Test – Lücken ausgefüllt werden
müssen. Zu einem späteren Zeitpunkt sollten dann Zahlenfolgen berücksichtigt werden.
Nun zur Raumlage . Wenn die Lösung mentale Vorstellungen erforderte, wurde es für
Nele schwierig, wie etwa bei der Aufgabe zur Raumlage des Inhalts der gedrehten
Flaschen.
In diesen Bereich fallen Übungen zu Spiegelungen. Für die Erkennung und Schreibwei-
se vieler Buchstaben und Zahlen sind räumliche Aspekte ausschlaggebend: Nele hat,
wie Sie sich vielleicht erinnern, im Test fast durchgängig statt der 3 den Buchstaben E
geschrieben, auch die Zahl 5 hat sie häufig gespiegelt.
Eine Fördermöglichkeit besteht darin, vorgelegte Muster spiegeln zu lassen. Man kann
auch symmetrische Muster vorgeben und die Spiegelachse zeigen lassen.
Wir sind nun bei den basisnumerischen Fertigkeiten angelangt und beginnen mit der
Mengenerfassung: Welche Größenvorstellungen Kinder bereits entwickelt haben, zeigt
sich besonders beim Schätzen von Quantitäten . Visuelle Schätzaufgaben können wie
hier abgebildet aussehen, entweder mit Orientierungshilfe oder ohne.
Wie viele Plättchen sind es ungefähr?
Mengenbeurteilungen werden erleichtert, wenn Material strukturiert vorgegeben wird,
vorausgesetzt, es existieren geeignete Vorstellungsbilder, etwa die Zehnerstruktur. Des-
halb muss ein Ziel der Förderung eben diese Verinnerlichung strukturierter Mengenbil-
der sein, weil so die Kinder vom zählenden Rechnen weggeführt werden können.
Wo sind mehr Plättchen, links oder rechts?
Meist können übrigens die Würfelbilder spontan erkannt und benannt werden. Auch
Nele kam bei der Aufgabe zur strukturierten Mengenerfassung mit den Würfelbildern
einigermaßen zurecht. Diese eignen sich für das Rechnen mit Fünfereinheiten.
Wo sind mehr Punkte, links oder rechts?
Bei der Punktanordnung in Zehnerstruktur kam Nele nur durch Zählen weiter. Es ist also
unbedingt notwendig sie mit linearen Fünfer- und Zehnerstrukturen vertraut zu machen.
Eine Möglichkeit ist die kurzzeitige Darbietung strukturierten Mengenbilder. Das Beispiel
stammt aus dem Fördermaterial Mengenbilder , das für den Zahlenraum bis 20 genutzt
werden kann.
Im Bereich Zahlerfassung werden zunächst Zählfertigkeiten geübt, weil diese absolut
grundlegend sind. Zählanlässe, die das Vorwärtszählen automatisieren, gibt es im Alltag
reichlich. Es werden deshalb hier nur Möglichkeiten gezeigt, Weiterzählen ab einem
Startpunkt und Rückwärtszählen zu trainieren.
Zählen ist wichtig, das heißt aber nicht dass Zählendes Rechnen unterstützt werden
sollte, wenngleich dies die häufigste Rechenstrategie zu Beginn der Grundschulzeit ist.
Und leider bleiben viele Kinder über einen langen Zeitraum dabei. Wenn Zahlvor-
stellungen fehlen, sind für diese Kinder auch keine weiterentwickelten Rechenstrategien
möglich. Es gibt übrigens durchaus Situationen, in denen auch Erwachsene auf das
Zählende Rechnen zurückgreifen, z. B. in der Regel dann, wenn nicht mit Zahlen
gerechnet wird. Wenn ich ausrechne, wie viele Tage es von Dienstag bis Sonntag sind,
rechne ich auch zählend unter Einbezug der Finger und mache dabei genau den Fehler,
der bei zählenden Rechnern zum Verrechnen um 1 führt: Ich zähle den Dienstag mit und
komme auf 6, was zwar richtig ist, wenn ich ausrechne, wie viele freie Tage ich habe,
nicht aber, wenn ich wissen will, wie viele Übernachtungen für diese Zeit gebucht
werden müssen.
Um ineffiziente oder falsche Rechenstrategien, wenn möglich, von Anfang an zu ver-
meiden, sollte in der Förderung ein besonderer Schwerpunkt auf die Erarbeitung des
Zahlenraums bis 10 und hier vor allem auf die Zahlzerlegung gelegt werden.
Gut geeignet für Übungen zur Zahlzerlegung sind die Einerwürfel, aber natürlich gibt es
auch viele andere Mittel z. B. die Schüttelbox oder die Käferkarten und Mengenpunkte
aus dem Fördermaterial Einspluseins mit Krabbelfix , das den Zahlenraum bis 20 ab-
deckt. Man muss bei diesem Schwerpunkt in den Förderstunden unbedingt so lange
verweilen, bis die Mengen-Teilmengen-Beziehung sicher verstanden ist. Erst dann kann
der nächste Schritt erfolgen.
Zur Erarbeitung der Einspluseinssätze bis 10 eignen sich ebenfalls die Mengenpunkte,
Im Zahlenraum bis 5 ist die Würfelbildstruktur recht günstig, weil die Summanden sozu-
sagen ineinander zur Summe verschmelzen und gesehen werden können, dies trifft
nicht auf die Darstellung der 6 zu, deshalb sollte darauf verzichtet werden.
Nach den handelnden Übungen setze ich selbst gern die Rechenkette ein. Die
Rechenkette bildet Mengen linear ab und bereitet auf die Arbeit am Zahlenstrahl vor. Bei
diesen Ketten wird mit Klammern gearbeitet, wodurch es möglich ist, Teilmengen mit
einem Griff zu verändern. Das sonst übliche Verschieben der Kugeln verleitet zum
Zählenden Rechnen und genau das soll ja vermieden werden.
Auf diese Übungen folgt das Ergänzen auf 10 , als Vorbereitung auf den Zehnerüber-
gang. Zunächst geschieht dies wieder taktil und mit der Rechenkette.
Wenn anschließend auf der Vorstellungsebene gearbeitet wird, kommen die
Mengenbilder hinzu, die nur kurz gezeigt und dann sofort wieder verdeckt werden.
Am Zahlenstrahl schließlich werden Zahlen und Relationen zwischen Zahlen räumlich
abgebildet, was eine weiterentwickelte Größenvorstellung impliziert.
Als nächstes sollte der Zehnerübergang in Angriff genommen werden. Dies beginnt mit
Umtauschhandlungen. Gut geeignet hierfür sind die Einerwürfel und Zehnerstangen,
weil die Länge der Zehnerstange genau 10 Einerwürfel repräsentiert und natürlich eig-
nen sich auch die Käferpunkte.
Sie sind auch zu empfehlen für den Einstieg ins Rechnen mit Zehnerübergang, vor
allem, wenn nach der Methode der „Kraft der fünf“ gearbeitet wird, bei der
Fünfereinheiten zusammengefasst werden. Im Beispiel werden zunächst die
Fünferpunkte addiert und in einen Zehnerpunkt umgetauscht, das Ergebnis kann so
direkt gesehen werden.
Mit der Rechenkette und dem Zahlenstrahl dagegen lässt sich gut nach der dezimalen
Zahlzerlegungsmethode arbeiten.
Wenn der Zehnerübergang und der Zahlenraum bis 20 bewältigt sind, wird in analoger
Weise der Zahlenraum bis 100 erarbeitet. Wir beginnen dabei mit dem Aufbau des
dekadischen Stellenwertsystems . Für den höheren Zahlenraum bietet sich die Stel-
lentafel an.
In enger Verbindung mit dem Stellenwertsystem ist auch die Orientierung im Zahlen-
raum bis 100 zu sehen. Hier geht es um Beziehungen zwischen Zahlen, um die Frage
also, wo eine Zahl in Relation zu anderen Zahlen einzuordnen ist. Fördermaterial zur
Orientierung im Zahlenraum sind Zahlenstrahl und Hundertertafel, beide möglichst
sparsam beschriftet.
Erst wenn die Kinder eine Vorstellung vom Hunderterraum entwickelt haben, sollte mit
mit Additionen und Subtraktionen begonnen werden und zwar in genau der gleichen
Vorgehensweise, wie sie für den Zahlenraum bis 20 beschrieben wurde.
Das Fördermaterial Das Käfer 1+1 ist ähnlich aufgebaut wie 1+1 mit Krabbelfix , jedoch
für den Zahlenraum bis 100 ausgelegt.
Kommen wir abschließend noch zur Multiplikation und Division, genauer gesagt, zum
kleinen Einmaleins. Die lerntherapeutische Erfahrung zeigt, dass Kinder mit gering aus-
geprägten Rechenfertigkeiten oftmals nicht in der Lage sind, die Logik des additiven Auf-
baus der Einmaleinsreihen zu verstehen. Die Folge ist ein mühsames, häufig erfolgloses
Pauken scheinbar zusammenhangloser Zahlenfolgen. Kinder können aber durch an-
schauliche Übungen Verständnis für den Aufbau der Einmaleinsreihen entwickeln. Das
Fördermaterial Das Käfer 1 x 1 ist so aufgebaut, dass die Kinder schrittweise zur
Automatisierung des kleinen 1 x 1 geführt werden.
Begonnen wird mit dem Verdoppeln und Halbieren .
Auf den Käferflügeln wird die Anzahl der Punkte verdoppelt oder auch halbiert, indem
eine gerade Anzahl Punkte gleichmäßig auf beide Flügel verteilt wird. Anschließend
werden die Übungen mit der Rechenkette durchgeführt.
Nach diesen Übungen nehmen wir uns die Einmaleinsreihen vor. Es geht zunächst
darum, den additiven Aufbau zu veranschaulichen. Auf 10 Käferkarten werden Punkte
einer Einmaleinsreihe verteilt, bei den Beispielen hier handelt es sich um die Dreierreihe.
Gut lässt sich das auch mit den Einmaleinsketten machen, bei denen die Perlen im
Farbwechsel aufgefädelt werden. Auch das Kommutativgesetz lässt sich so veranschau-
lichen.
Nützlich ist auch der Zahlenstrahl, da die Klammern, wie bei der Kette, in gleichen
Abständen gesetzt werden können. Zur Verdeutlichung legen die Kinder die ent-
sprechenden Bildstreifen mit den Käfern zu den Klammern.
Anschließend muss der Übergang zum Rechnen mit Zahlen vollzogen werden. Dies
geschieht in einem Zwischenschritt, indem visuelles Material und die Zahlenschreib-
weise kombiniert werden. Zu den Käferabbildungen einer Reihe suchen die Kinder die
passenden Einmaleinsaufgaben heraus und ordnen die Ergebniskärtchen zu.
Schlussbemerkungen
Was hier vorgestellt wurde, sind Förderansätze, die auf das Leistungsprofil von Nele
abgestimmt sind. Nele wird seit November 2010 gefördert, sie besucht derzeit die 5.
Klasse. In Zusammenarbeit mit der Lehrerin, die sehr betroffen war, als sie erfuhr, wie
gravierend die diagnostizierte Rechenstörung war, ist es inzwischen gelungen, den
Zahlenraum bis 100 zu sichern. Schwerpunkt der Förderung ist derzeit der Zahlenraum
bis 1000. Wie es aussieht, kann Nele die gelernten Rechenstrategien auch hier gut
anwenden. Sie hat die schriftlichen Verfahren der Addition und Subtraktion problemlos
gelernt. Das Einmaleins zu erlernen fiel ihr sehr schwer, die Reihen sind bis heute nicht
vollständig automatisiert. Das Mädchen hilft sich oft durch geschicktes Weiterrechnen,
von den Faktoren 5 oder 10 ausgehend, weiter. Mit der schriftlichen Multiplikation
kommt Nele ebenfalls klar, verwendet hierfür mit Genehmigung die Einmaleinstabelle.
Das Divisionsverfahren als multiple Subtraktion ist konzeptuell noch nicht vollständig
präsent. Sie kann aber recht gut damit umgehen, Divisionsaufgaben in Multplikations-
aufgaben umzukehren und bewältigt so auch die schriftliche Division.
Nele wird wohl auch weiterhin Unterstützung benötigen, aber die arithmetischen
Grundlagen hat sie sich bereits angeeignet. Positiv ist, dass das Mädchen von allen
Seiten Unterstützung erfährt und keine Ängste vor neuen Lernschritten hat.
© Dr. Gerhild Merdian, 2011
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