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Birgit Lütje‐Klose 

Schulische Inklusion 

Theoretische Zugänge und Forschungsperspektiven 

Beitrag im Rahmen der RingvorlesungTheoretisch‐fachdidaktische Zugänge zum Thema schulische 

Inklusion WS 2017/18 

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Gliederung

1. Internationales Konzept „inclusive education“2. Von der Integration zur Inklusion – theoretische 

Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der deutschsprachigen Inklusionsforschung

3. Normalität, Behinderung und Förderbedarf als soziale Konstruktionen

4. Erforschung inklusiver Strukturen, Orientierungen und Handlungspraktiken auf Makro‐, Meso‐ und Mikroebene

5. Desiderata, Kontinuitäten, Innovationspotential der Inklusionsforschung

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Das Schulsystem im Transformationsprozess

Wie kann das Schulsystem als Ganzes, jede Einzelschule und die Lehrer/innenausbildung

sich so verändern, dass mehr Inklusion und weniger Ausgrenzung stattfindet?  

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Gesellschafts‐ und politisches System

Ebene des Bildungs‐ und Schulsystems Ebene der EinzelschuleEbene des Unterrichts

Kinder

AkteursbezogeneEbene

Konzeptentwicklung, Professionen und Kooperation

PersonalEltern

(Inklusive) Schule als Mehrebenen‐System (nach  Fend 2008; in Anlehnung an Klemm & Preuss‐Lausitz 2011)

Individualisierung und Gemeinsamkeit…

Administration, Beratung, Aus‐ und Weiterbildung …

Menschenrechtliche Verpflichtung, Gesetze, Verordnungen, Ressourcen …

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1. Internationales Konzept „inclusive education“

• Unschärfe des Inklusionsbegriffs, theoretischer Klärungsbedarf (Hinz 2015, Werning 2016, Amrhein et al. 2015, Grosche 2015) 

• »slippery concept« (Artiles & Dyson 2009, 43) 

• Unterscheidung der Begriffsverwendung (Feuser 2010, 18)– im soziologischen,– politischen und menschenrechtlichen  – erziehungswissenschaftlichen Diskurs;– In den verschiedenen fachdidaktischen Diskursen?

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1. Internationales Konzept „inclusive education“

Soziologische Perspektive: • Inklusion als relational auf den Begriff der Exklusionbezogener Terminus (Luhmann 1994, Urban 2009, Lindmeier 2013, Budde & Hummrich 2013, 2015; Powell 2011)

• Bildungssysteme als soziale Systeme, Konstruktion von Grenzen, Einschluss‐ und Ausschlussregeln (Gergen 2004, 2010; Siebert 2004,)

• Unterscheidung unterschiedlicher Subsysteme • systemtheoretische Bezüge in der inklusiven Pädagogik, insbesondere in der rekonstruktiven Inklusionsforschung  (Werning 1996, 2006, Reiser 2006, Urban 2009, Wansing 2013, Budde 2014, 2016, Sturm 2015, Lütje‐Klose 1997, 2017 u.a.)

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1. Internationales Konzept „Inclusion“ und „Inclusive Education“

Politische Perspektive• Eingeführt im anglo‐amerikanischen Raum ab Anfang 1990er Jahre

• „… the aim of inclusive education is to eliminate socialexclusion resulting from attitudes and responses todiversity in race, social class, ethnicity, religion, genderand ability“ (UNESCO 2008, 5)

• Abgrenzung zu den Begriffen „mainstreaming“ und „integration“: nicht nur Menschen mit Behinderungen im Fokus, sondern Education for all (UNESCO 2005, 2009)

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1. Internationales Konzept „Inclusion“ und „Inclusive Education“

• „Inclusion is concerned with all children and young people in schools; 

• it is focused on presence, participation and achievement; 

• inclusion and exclusion are linked together such that inclusion involves the active combating of exclusion; 

• and inclusion is seen as a never‐ending process.• Thus an inclusive school is one that is on the move, rather than one that has reached a perfect state” (Ainscow et al. 2006, S. 25).

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1. Internationales Konzept „Inclusion“ und „Inclusive Education“

• Bürgerrechtsbewegung, Empowerment• Wissenschaftliche Antwort: „Disability Studies in Education“ (Baglieri & Shapiro 2012, Waldschmidt 2012 u.a.)

• Kritische Auseinandersetzung mit traditioneller Sonderpädagogik wie auch mit Integrationsbewegung (z.B. Exner 2002)

• Begriff „Inclusive Education“ wird mit dem Salamanca Statement 1994 in die internationale Diskussion eingeführt (Campbell 2002), aber erst mit der UN‐BRK (2006) breit öffentlich thematisiert

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Auftrag der UN‐BRK an das Bildungssystem (UN‐CRPD 2006; deutsch 2008; Wrase 2015)

• Recht auf Bildung und volle soziale Partizipation aller Menschen• Recht auf „Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und 

unentgeldlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen“ (Art. 24, Schattenübersetzung)

• Recht auf „wirksame individuell angepasste Unterstützungsangebote in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet“ (ebd.)

• Schaffung „angemessener Vorkehrungen“  unter Ausschöpfung der verfügbaren Mittel (Art. 4 Abs. 2)

Inklusion als Aufgabe für das gesamte  Gesellschafts‐ und Bildungssystem

einschließlich der Lehrer/innenbildung und Bildungsforschung 

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1. Internationales Konzept „inclusive education“

Erziehungswissenschaftliche Perspektive• Maßgeblich menschenrechtlich basiert (Biermann & Pfahl, 2015) ‐> normativ

• Berücksichtigung und Anerkennung der individuellen Unterschiede aller Menschen ohne Aussonderung in besondernde Institutionen (Porter 1997, Hinz 2002, 2009, Prengel 2015)

• »Education for All« (UNESCO, 2005): Vision einer Gesellschaft und eines Bildungssystems ohne Ausgrenzung und Diskriminierung (Ainscow & Miles, 2008) 

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Grundsätze von Inklusion im Sinne der UN‐BRK (2006, Artiles, Kozleski, Dorn, & Christensen  2006, 67; Powell 2015)

Menschenrechtliche Pflicht zur Transformation (Powell & Biermann 2015; Wrase 2015)

• availability• accessability• acceptability• adaptability• participation

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13Gesellschaftliche Ebene

1. Verfügbarkeit inklusiver Bildung für alle

2. Verbesserung des Zugangs aller Schüler/innen zu einer gemeinsamen allgemeinen Schule; 

3. Verbesserung der Teilhabe aller an den Aktivitäten von Schule und Verbesserung der Leistungsentwicklung aller Schülerinnen

4. Verbesserung der Akzeptanz aller Schüler/innen mit ihren je individuellen Lern‐ und Entwicklungsmöglichkeiten durch Schulleitung, Lehrkräfte, Mitschüler und Eltern; 

5. Adaptiertbarkeit, Veränderbarkeit des Schulsystems, so dass die Bedürfnisse der Einzelnen berücksichtigt werden können 

Schritte auf dem Weg zur Inklusion

Teacher Education für Inclusion(Forlin 2012, Black‐Hawkins & Florian 2011) 

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Folie 13

l1 eventuell raus, da jetzt das längere Zitat drin istlstreblow; 25.08.2016

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Deutschland auf dem Weg zur Inklusion?

Aus: Hollenbach-Biele 2016

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Deutschland im europäischen Vergleich: nach wie vor überwiegend segregierte Beschulung

Aus: Powell, J. in Europäische Kommission (2012): Education and Disability/Special Needs: Policies and Practices in Education, Training and Employment for Students with Disabilities and Special Educational Needs in the EU.

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Grundsätze von Inklusion im Sinne der UN‐BRK (2006; vgl. Artiles, Kozleski, Dorn, & Christensen  2006, 67; Powell 2015)

Menschenrechtliche Pflicht zur Transformation (Powell & Biermann 2015; Wrase 2015)

• availability• accessability• acceptability• adaptability• participation

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Enger versus weiter Inklusionsbegriff?(Kiuppis 2013, 2014; Lindmeier & Lütje‐Klose 2016)

1. enges, behinderungsbezogenes Adressatenverständnis (UN‐CRPD, Mittler 2005, UNESCO 2005; 2013)

2. weites, auf ‚alle’ Diversitätsmerkmale bezogenes Adressatenverständnis (z.B. Slee, 2001; Ainscow, 2005; Dyson, 2007):Alle Lernenden in ihrer Unterschiedlichkeit als Zielgruppe

3.  Auf alle Lernenden, aber besonders auf vulnerable Gruppen bezogenes  Adressatenverständnis: „Education for all, andespecially for some“  

3. Besondere Aufmerksamkeit und mehr Ressourcen für marginalisierte Gruppen (Forlin 2012, Werning & Lütje‐Klose, 2012; Lindmeier & Lütje‐Klose 2015, 2016)

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Konstruktion von Differenzlinien‐ Dilemmata of Difference

• Inklusion – Überwindung der Zwei‐Gruppen‐Theorie (Hinz 2002, 2009, 2014)

• Kategorisierung versus De‐Kategorisierung, • Thematisierung versus De‐Thematisierung von Differenz 

(Katzenbach 2015)

• Verzicht auf kategoriale Zuschreibung ist nicht vereinbar mit der Einforderung besonderer Rechte (Reiser 2007, Wrase 2015)

• „Identification dilemma“ ‐ Individuelle versus systembezogene Ressourcen zur Vermeidung der Etikettierung (Norwich 2013, Füssel & Kretschmann 1993, 1994)

• „Curriculum dilemma“ – zielgleiche versus zieldifferente Beschulung,Bezugsnormorientierung, Adaptivität (Norwich 2013)

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Inklusion – verbesserte Integration?

http://www.edu.lmu.de/lbp/bilder/schulmodell.jpg

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Inklusion – verbesserte Integration?Rekonstruktionen aus der Perspektive der inklusiven Pädagogik 

(nach Porter 1997,  2013; Hinz 2002, 359; Sander 2004, 2008)

Integration Inklusion

• Eingliederung von Kindern mit besonderen Förderbedarfen in die Allgemeine Schule

• Differenziertes System je nach Schädigung oder Förderbedarf

• Zwei‐Gruppen‐Theorie 

• Aufnahme von Kindern mit Behinderungen

• Individuumzentrierter Ansatz

• Individuell zugewiesene Ressourcen für Kinder mit Etikettierung

• Leben und Lernen für alle Kinder in der Allgemeinen Schule ohne Aussonderung

• Umfassendes System  mit individuell differenzierten Angeboten 

• Theorie einer heterogenen Gruppe 

• Veränderung des Selbstverständnisses der Schule

• Systemischer Ansatz

• Systembezogene Ressourcen, Veränderung von Unterricht und Schulleben insgesamt

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2. Von der Integration zur Inklusion –Theoretische Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der (deutschsprachigen) Inklusionsforschung

• Feuser (1989, 1995, 2010, 2015): Allgemeine und integrative (inklusive) Pädagogik

• Theoriebasis materialistische Behindertenpädagogik– Kooperation als Gegenmoment zur Segregation – Entwicklungslogische Didaktik: Grundsätzlich „zieldifferenter“, förderdiagnostisch begründeter Unterricht und individuell angepasste Unterstützung  für alle 

– Ziel einer „anerkennungsbasierten, nicht ausgrenzenden Pädagogik“ (Feuser 2015, 51)

– Inklusionsbegriff in theoretischer Kontinuität zum  Integrationsbegriff

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2. Von der Integration zur Inklusion –theoretische Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der (deutschsprachigen) Inklusionsforschung

• Theorie integrativer Prozesse (Reiser, Deppe‐Wolfinger, Klein, Kreie, Kron 1987, 2003, 2006)

• Theoriebasis Kritische Theorie der Frankfurter Schule– Kulturell‐gesellschaftliche Ebene– Institutionelle Ebene– Interaktionelle Ebene– Individuelle / innerpsychische Ebene

• Ausgangspunkt: Konzept der „Nichtaussonderung“ nach Milani‐Comparetti (1987) – Inklusionsbegriff in theoretischer Kontinuität zum  Integrationsbegriff

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2. Von der Integration zur Inklusion –theoretische Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der (deutschsprachigen) Inklusionsforschung

• Pädagogik der Vielfalt (Prengel 1993, 1995, 2006; Hinz 1993, 2002)

• Theoriebasis kritische Theorie und Anerkennungs‐theorie Honneths (aktuell Katzenbach 2010, 2015; Dederich 2015)

• Explizite Berücksichtigung von Behinderung, Geschlecht, Migration als Differenzlinien; später zudem Sprache, sozio‐ökonomische und soziokulturelle Benachteiligung

• Inklusionsbegriff in theoretischer Kontinuität zum  Integrationsbegriff im weiten Verständnis

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2. Von der Integration zur Inklusion –theoretische Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der (deutschsprachigen) Inklusionsforschung

• Ökosystemischer Ansatz (Sander, Meister, Hildeschmidt, Schnell 1995, 1998, 2002)

• Kind‐Umfeld‐Diagnose, Förderdiagnostik• Konzepte inklusionspädagogischer LehrerInnenbildung

• Kritik an der praktischen Umsetzung der integrationspädagogischen Idee

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Adaption des Salamanca‐Raster (1994) durch Sander (2002, 2009)

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3. Normalität, Behinderung und Förderbedarfals soziale Konstruktionen

Sozial‐konstruktivistischer Positionen (Werning 2003, 2006, 2015; Seitz 2008, 2015; Sturm 2015; Budde & Hummrich 2013, 2015)

• Behinderung als sozial konstruierte Zuschreibung: soziale Deutung von Merkmalen der Person wie auch der Umwelt durch die begutachtenden Personen ‐> Gutachtervariablen (Mand 2003, Kottmann 2007, Powell 2010) 

• abhängig von sozialen und kulturellen Konventionen (z.B. extrem unterschiedliche Förder‐ und Inkusionsquoten in verschiedenen Ländern)

• Risiko ontologischer Zuschreibungen (Sturm 2015)

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3. Normalität, Behinderung und Förderbedarfals soziale Konstruktionen

• Normalismuskritische Reflexionen (Link 2006, Lingenauber 2008, Schildmann 2004)

• „Die Frage, wer normal und wer behindert ist, wird in verschiedenen Diskursen ständig neu beantwortet (vgl. Kelle/Tervooren 2008). Der sonderpädagogische Diskurs produziert beispielsweise eine Normalitätskategorie, die sich von der des integrationspädagogischen unterscheidet (vgl. Schildmann 2004). Während der sonderpädagogische Diskurs die Polarität von Normalität und Behinderung ständig neu herstellt, wird Behinderung im integrationspädagogischen Diskurs zu einer neuen Normalität.“ (Lingenauber 2008, 160)

• Flexibel‐normalistisches Normalitätsmodell• Transnormalistisches Normalitätsmodell

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Gesundheitsproblem

Körperfunktionen und -strukturen Aktivitäten Partizipation

Umweltfaktoren Personbezogene Faktoren

ICF: International Classification of Functioning, Disability and Health(WHO 2005)

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3. Normalität, Behinderung und Förderbedarfals soziale Konstruktionen

• Sozialwissenschaftliche Perspektive: Behinderung als Merkmal einer Situation, nicht einer Person (Lindmeier/ Lindmeier 2013, Werning 2006) 

• In Interaktion sozial hervorgebracht (Tervooren 2000, 317)

• Maßgeblich gekennzeichnet durch Barrieren der Partizipation und Teilhabe durch Prozesse der Exklusion (Sander 2008, Powell 2015, Sturm & Wagner‐Willi 2015) 

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3. Normalität, Behinderung und Förderbedarfals soziale Konstruktionen

• „Inklusion und Exklusion als analytische Begriffe …, mit denen sich – z.B. schulische oder unterrichtliche –Interaktionen und / oder formale Regeln der pädagogischen Organisationen betrachten lassen“ (Sturm 2015, 2). 

• Relation von Behinderung oder sonderpädagogischem Förder‐/Bildungsbedarf zu Exklusion oder Teilhabe 

• auf verschiedenen Ebenen des Bildungssystems zu untersuchen: Unterricht, Einzelschule, Regionen, Bildungspolitik, Wissenschaft

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4. Beispiele für Inklusionsforschung auf verschiedenen Ebenen 

Makrosystemische Ebene: 

• Entstehung und Verständnis des Inklusionsbegriffs in der historischen Rekonstruktion (Kiuppis 2014)

• Analyse rechtlicher Bedingungen und ihrer systemischen Konsequenzen (Siehr & Wrase 2014, Wrase 2015, 2017)

• Staatenvergleichende, komparative Inklusionsforschung (Powell 2011, Biermann/Powell 2015)

• IQB‐Ländervergleiche (Kocaj et al. 2014, 2016; Stanat et al. 2016, 2017)• Bildungsberichterstattung und anknüpfende Analysen bezüglich der Partizipationschancen verschiedener Gruppen (Autorengruppen bb 2014, 2016)

• Forschung zu ländervergleichenden Rechtslage und Umsetzung von AOSF‐Verfahren (Sälzer et al. 2015)

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4. Beispiele für Inklusionsforschung auf verschiedenen Ebenen

Exosystemische Ebene: 

Länderbezogene Längsschnittstudien: Schüler, Lehrkräfte, Schulleitungen, Eltern ‐ BiLieF NRW 2012‐2015 (Wild et al. 2015, Lütje‐Klose et al. 2016)

‐ PING Brandenburg 2012‐2015 (Spörer et al. 2015, 2016)‐ GESCHWIND Rheinland‐Pfalz 2012‐2014 und 2015‐2017 (Laubenstein & Lindmeier 2015)

‐ Rügener Inklusionsmodell M‐V 2010‐2016 (Hartke et al. 2016)

‐ Gemeinschaftsschulen Berlin (Vieluf et al. 2016)

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4. Beispiele für Inklusionsforschung auf verschiedenen Ebenen

Exosystemische Ebene: • Professionalisierungsforschung (Aus‐ und Weiterbildung) (Moser et al. 2011, 2014); 

• Projekte der Qualitätsoffensive LehrerInnenbildung

• Educational Governance: Inklusion als regionale „Mehrebenenkonstellation“, Governance‐Mechanismen von Schlüsselakteuren (Dlugosch/ Langner 2016 für Tirol, Heinrich et al. 2015)

• institutionelle Pfadabhängigkeit bei der Schulstrukturreform (Hartong/ Nikolai 2016 für Bremen)

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4. Beispiele für Inklusionsforschung auf verschiedenen Ebenen

Mesosystemische Ebene: Schulentwicklungsprozesse, Rekonstruktion von kooperativen Strukturen und Prozessen in Einzelschulen und Schulverbünden

•Kooperation zwischen Lehrkräften und anderen pädagogischen Fachkräften unterschiedlicher Disziplin und Ausbildung (z.B. Arndt & Werning 2015, 2016;  Kreis, Wick, Kosorock Labhart 2016; Lütje‐Klose, Kurnitzki, Serke 2015), 

•zwischen Schulleitung und Kollegium (Lütje‐Klose, Serke, Hunger 2016; Textor, Lütje‐Klose, Kúllmann 2015)

•zwischen Lehrkräften und Eltern (Wild & Lütje‐Klose 2016), 

•zwischen Ganztagskräften und Lehrkräften (Böhm‐Kasper et al. 2013, Dizinger)

•Experten‐Interviews, Gruppendiskussionen, teilnehmende Beobachtungen, Dokumentenanalysen, Audiomitschnitte von Konferenzen (Kunze & Silkenbeumer, Buchna, Demmer)

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4. Beispiele für Inklusionsforschung auf verschiedenen Ebenen

Mikrosystemische Ebene:

• Videoanalysen zu inkludierenden und exkludierenden Prozessen im Fachunterricht (Sturm & Wagner‐Willi 2016, Hackbarth 2016), 

• ethnographische Unterrichtsbeobachtungen und Audiomitschnitte zur Herstellung von Differenz in Integrations‐klassen (Budde et al. 2014, Rabenstein et al. 2016, Heberle 2016)

• Narrative Interviews mit SchülerInnen mit und ohne zugeschriebene Förderbedarfe, Auswertung hinsichtlich Wohlbefinden und wahrgenommener sozialer Partizipation an der Laborschule Bielefeld (Kullmann et al. 2015, Geist et al. 2016)

• Gruppendiskussionen von kooperativen Teamprozessen in Jahrgangs‐ oder Klassenteams (Kunze, Silkenbeumer et al., Kreis et al. 2016), Online‐Journale zu kooperativen Tätigkeiten (Kreis et al. 2016)

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5. Desiderata, Kontinuitäten, Innovationspotential der Inklusionsforschung

• Herausforderungen für die empirische Bildungsforschung: kleine N, spezifische Problemlagen, wenig Verallgemeinerbares

• Kontinuitäten: Inklusionsforschung als Querstruktur –Berücksichtigung verschiedener Differenzlinien auf den verschiedenen Ebenen, jeweils (ggf. fachspezifische) Definition der untersuchten Aspekte

• Kein Ausschluss der Kategorie Behinderung und anderer Differenzlinien, sondern bewusste Berücksichtigung

• Innovationspotential: Inklusion als „Nagelprobe“ zur Verbesserung des Schulsystems insgesamt 

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Das Schul‐ und Lehrerbildungssystem im Transformationsprozess

Vernetzungen und Kooperationen als Weg der Verständigung 

Collaboration (Marvin 1999): „Die Welt mit den Augen der anderen sehen“

Chancen und Herausforderungen für Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften

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Sozialen Arbeit, 3, 16‐27.• Werning, R. (2016). Aktuelle Trends inklusiver Schulentwicklung in Deutschland – Grundlagen, Rahmenbedingungen und Entwicklungsperspektiven. In: 

B. Lütje‐Klose, S. Miller,S. Schwab & B. Streese (Hrsg.), Inklusion: Profile für Schulentwicklung. Beispiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Münster: Waxmann, i.V.

• Werning, R. & Lütje‐Klose, B. (2012). Einführung in die Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen. München: Ernst Reinhardt

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

birgit.luetje@uni‐bielefeld.de