Zur Symptomatologie des Parietallappens

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(Aus der Deutschen psychiatrischen Univ.-Klinik, Prag [Vorstand: Prof. Gamper].) Zur Symptomatologie des Parietallappens. Von Robert Klein. Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 28. Mai 1931.) Durch die Arbeiten von Gerstmann, P6tzl und Lange wurde die Analyse der Syndrome yon Seiten des Parietallappens in ermutigender Weise in Angriff genommen, Gesiehtspunkte und Fragestellungen gewonnen, die es verlangen, bei den Erkrankungen dieser Region darauf zu aehten, ob nicht die yon den genannten Antoren aufgeworfenen Probleme eine weitere Vertiefung, die von ihnen geste]lten Fragen eine Beantwortung linden kSnnten. Die nachfolgende Mitteilung soll einen Beitrag nach dieser Riehtung bringen. Der 32jahrige, verheiratete Arbeiter P. W. erschien am 12. vorigen Jahres zur ambulatorischen Untersuehung an der Klinik. Er gab an, dal~ er seit kurzer Zeit an Kopfsehmerzen leide, und zwar hauptsi~chlich in der Hinterhauptgegend und da] sein SehvermSgen in letzter Zeit etwas abgenommen habe. Es bestand kein Erbrechen, kein Schwindel auch keine sonstigen Besehwerden. Bei der ophthalmoskopischen Untersuchung wurde eine beiderseitige Stauungs- papille festgesteUt, die rechts 41/2Dptr., links 51/2--6 Dptr. betrug. Die neuro- logische Untersuchung fund eine nur ganz andeutungsweise vorhandene Parese des rechten Beines, eine StSrung der Oberflachenempfindung geringen Grades vom rechten Unterschenkel naeh abw~rts und schlie~lich eine StSrung der Tiefen- empfindung der rechten groBen Zehe. Der iibrige neurologische Befund war negativ. Schon damals wurde die Vermutung auf einen linksseitigen Parietaltumor ausgesprochen, wegen der geringen Symptome jedoch eine Kontrolluntersuchung nach einiger Zeit vorgeschlagen. Am 9. 12. vorigen Jahres kam der Patient zur neuerlichen ambulatorischen Untersuchung. Er gab an, dal~ in der Zwischenzeit die Kopfschmerzen heftiger geworden waren und die letzten 14 Tage ohne Unterbrechung anhielten. Das Seh- verm6gen hatte weiter etwas abgenommen, zeitweise sei es wie dunkel vor den Augen. Ab und zu ware auch Erbrechen ~ufgetreten. Seit 3 Woehen ermiide er beim Gehen leichter. Das Gedachtni~ hatte etwas n~chgelassen, so versage er insbesondere beim Sckreiben, er wisse oft nieht, wie er ein Wort schreiben soll. Seit 8 Tagen bestehe ein totes Gefiihl im rechten Beine. Gegeniiber der ersten Untersuchung war im somatischen Befunde eine rechts- seitige untere Qu~drantenhemianopsie hinzugekommen. Sonst war keine Ver~nde. rung nachweisbar. Die Sensibilitatsst6rung war auch weiterhin auf den rechten Unter-

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(Aus der Deutschen psychiatrischen Univ.-Klinik, Prag [Vorstand: Prof. Gamper].)

Zur Symptomatologie des Parietallappens. Von

Robert Klein.

Mit 1 Textabbildung.

(Eingegangen am 28. Mai 1931.)

Durch die Arbe i t en von Gerstmann, P6tzl und Lange wurde die Analyse der Syndrome yon Sei ten des Pa r i e t a l l appens in e rmut igender Weise in Angriff genommen, Ges ieh t spunkte und Frages te l lungen gewonnen, die es verlangen, bei den E r k r a n k u n g e n dieser Region darauf zu aehten, ob nicht die yon den genann ten An to ren aufgeworfenen Prob leme eine weitere Vertiefung, die von ihnen geste]l ten F ragen eine Bean twor tung l inden kSnnten. Die nachfolgende Mit te i lung soll einen Bei t rag nach dieser R ieh tung bringen.

Der 32jahrige, verheiratete Arbeiter P. W. erschien am 12. vorigen Jahres zur ambulatorischen Untersuehung an der Klinik. Er gab an, dal~ er seit kurzer Zeit an Kopfsehmerzen leide, und zwar hauptsi~chlich in der Hinterhauptgegend und da] sein SehvermSgen in letzter Zeit etwas abgenommen habe. Es bestand kein Erbrechen, kein Schwindel auch keine sonstigen Besehwerden.

Bei der ophthalmoskopischen Untersuchung wurde eine beiderseitige Stauungs- papille festgesteUt, die rechts 41/2Dptr., links 51/2--6 Dptr. betrug. Die neuro- logische Untersuchung fund eine nur ganz andeutungsweise vorhandene Parese des rechten Beines, eine StSrung der Oberflachenempfindung geringen Grades vom rechten Unterschenkel naeh abw~rts und schlie~lich eine StSrung der Tiefen- empfindung der rechten groBen Zehe. Der iibrige neurologische Befund war negativ.

Schon damals wurde die Vermutung auf einen linksseitigen Parietaltumor ausgesprochen, wegen der geringen Symptome jedoch eine Kontrolluntersuchung nach einiger Zeit vorgeschlagen.

Am 9. 12. vorigen Jahres kam der Patient zur neuerlichen ambulatorischen Untersuchung. Er gab an, dal~ in der Zwischenzeit die Kopfschmerzen heftiger geworden waren und die letzten 14 Tage ohne Unterbrechung anhielten. Das Seh- verm6gen hatte weiter etwas abgenommen, zeitweise sei es wie dunkel vor den Augen. Ab und zu ware auch Erbrechen ~ufgetreten. Seit 3 Woehen ermiide er beim Gehen leichter. Das Gedachtni~ hatte etwas n~chgelassen, so versage er insbesondere beim Sckreiben, er wisse oft nieht, wie er ein Wort schreiben soll. Seit 8 Tagen bestehe ein totes Gefiihl im rechten Beine.

Gegeniiber der ersten Untersuchung war im somatischen Befunde eine rechts- seitige untere Qu~drantenhemianopsie hinzugekommen. Sonst war keine Ver~nde. rung nachweisbar. Die Sensibilitatsst6rung war auch weiterhin auf den rechten Unter-

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schenkel besehr/~nkt, die Parese der rechten unteren Extremit/~t machte sich wie vor- dem nur in einer eben merkliehen Schwerf/~lligkeit bei brtisken Wendungen bemerkbar.

Die Untersuchung auf apraktische, aphasisehe und agnostische St6rungen fiihrten zu folgenden Feststellungen: Drohen, Beten, Kreuzmaehen, Winken, Schuhputzen, Schliissel im Schlosse drehen, Kragen anziehen, Kravat te binden, Ziindholz anziinden, werden sowohl mit der linken als aueh mit der rechten Hand prompt ~usgefiihrt. Die Spontansprache des Patienten ist vollkommen flieBend ohne irgendwelche StSrungen. Das Spraehverst/~ndnis ist sowohl in der Konversation wie bei Auftr/~gen ungest6rt. Das Buehstabieren yon W6rtern geht bis auf ganz geringe Sehwierigkeiten und nur ganz gelegentlichen Fehlreaktionen, die aber meist korrigiert werden, ohne St6rung vor sich. Beim Zusammensetzen yon Druck- buchstaben zum Worte sucht P. h/mfig 1/~ngere Zeit nach den Buehstaben im Buchstabenkasten, kommt aber fast immer zu einem richtigen Endresultat; nur bei dem Worte Kirche versagt er beim Buchstaben ,,ch", meint es sei ein ,,h" dabei, bringt aber das ch nicht heraus und gibt schlieBlich die Aufgabe auf. Die Buchstabenfolge macht ihm beim Zusammensetzen keine Schwierigkeiten. Beim Bezeiehnen yon Gegenst~nden kommt es nur zu ganz gelegentlichem Z6gern, sonst ist es v611ig fehlerlos. Das Erkennen yon Gegenst/~nden und Bildern geht v611ig prompt und ungest6rt vor sich, das Situationserkennen ist vollkommen intakt. 3 - -4 kompliziertere geometrische Figuren, die ganz kurze Zeit exponiert werden, werden nachher ohne Schwierigkeiten wiedererkannt und aus einer groBen Reihe richtig ausgew/~hlt. Das Lautlesen sowie das Leseverst/mdnis ist vollkommen ungest6rt. Das spontane Zeichnen ist sehr primitiv, doch lassen sich dabei keine sieheren St6rungen, vor allem keine r/~umlichen Verlagerungen naehweisen. Beim Abzeichnen ineinander gezeichneter, komplizierter Figuren kommen Ungenauig- keiten im Zerlegen vor, doch 1/~Bt sich nicht ausschlieBen, dab diese fehlerhaften Resultate mit der Herabsetzung der Sehsch/~rfe im Zusammenhang stehen.

Eine ganz auffallende St6rung zeigt aber das Schreiben; der Patient kenn- zeichnet immer wieder in ganz praziser Weise seine St6rung damit, dab ,,er nicht au/ den betre]/enden guchstaben kommen", daft ,,er sich den Buehstaben nicht vorsteUen k6nne". Seine Fehlreaktionen bestehen darin, dab er bei einem diktierten Buchstaben oder Worte immer wieder zum Buehstaben ansetzt und entweder vergebliche derartige Versuche maeht, keinen Buchstaben herausbringt oder in andere Buch- staben entgleist. Beim Diktat yon Worten maeht ibm der Anfangsbuchstabe die gr6Bten Schwierigkeiten; ist es ihm gelungen, den Anfangsbuehstaben niederzu- schreiben, so kommt es aber auch damn noch innerhalb des Wortes zu paragraphischen Entstellungen mit Buehstabenverwechslungen und Auslassungen. Irgendwelehe rein motorische Schwierigkeiten bestehen beim Schreibakte nicht.

~hnliche St6rungen, wie beim Schreiben von Buchstaben, bestehen beim Sehreiben yon Ziffern; auch hier kommt er sehr h/~ufig nicht auf die zu schreibende Ziffer, er verwechselt die Ziffern untereinander und wenn es sieh beim Diktat um mehrstellige Zahlen handelt, so kommt es neben den genannten StSrungen aueh noeh zum Verweehseln des Stellenwertes. Im ganzen sind die StSrungen beim Schreiben von Ziffem etwas geringer als beim Schreiben yon Buehstaben und Worten.

Das mi~ndliche Rechnen ist beim kleinen und grol~en Einmaleins erhalten. Auch Subtraktionen und Divisionen maehen ihm keine ~uffallenden Sehwierig- keiten. Das schri/tliche Rechnen wird sichtlieh dadureh fehlerhaft, dab er trotz richtigen Rechnens beim Niederschreiben der errechneten Zahlen h/~ufig versagt und dadurch zu einem fehlerhaften Endresultat gelangt.

Die r/~umliche Orientierung ist vollkommen erhalten; er findet sich fiberall zureeht und ftihrt auch Auftr/~ge, die r/~umliche Beziehungen zu seiner Person enthalten, recht prompt und fehlerlos aus (Stellen hinter vor und seitlieh yon einem Gegenstand). Die Orientierung am eigenen K6rper ist jedoch sicher mangel- haft; tier Defekt ist, wenn aueh nur angedeutet, doch einwandfrei feststellbar.

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Der Patient versagt zwar kaum, wenn man ihn auffordert einen genannten Finger zu zeigen oder einen Finger zu beneunen, ebenso kommt es nur sehr selten zu Fehlreaktionen, wenn er blofl auf Rechts-Linksorientierung gepriift wird; dagegen ist er bei jener Priifung durchaus unsicher, die beide Bestimmungen enthalten; bei diesen kombinierten Auftragen kommt es fast regelmal3ig zu einem ZSgern, zur Unschlfissigkeit und scblieBlich nieht selten zur fehlerhaften Ausffihrung; es wird bald die Seite, bald der Finger verweehselt oder auch beides.

In den sonstigen Leistungen last sich beim Patienten kein Defekt feststellen. Die zeitliehe Orientierung ist vollkommen intakt. Er vermag eine genaue Schilderung, die aueh zeitlieh vollkommen geordnet ist, seiner Krankheit und seines Lebenslaufes zu geben. Irgendwelche intellektuelle Defekte kommen nieht zum Vorschein.

Im Vergleiehe zur friiherenUntersuchung waren also Symptome hinzugekommen, die in ihrer Gesamtheit die schon vorher angenommene Vermutung, es k6nnte sieh urn einen neoplastischen ProzeB im linken Parietale handeln, bekraftigten. Bei der Indikationsstellung ffir den nun dringend gebotenen operativen Eingriff wurde als Leitsymptom die Sensibilitatst6rung an der rechten unteren Extremitgt angenom- men, da diese StSrung zweifellos anamnestisch das erste Lokalsymptom in der Ent- wicklung des Krankheitsprozesses war. In der Zuschrift an die ehirurgische Klinik wurde dem- entsprechend auf die Mantelkante in der Parietalregion Ms vermut- licher Ausgangsort des Tumors hingewiesen. Die yon Prof. Schlo//er vorgenommene Opera- tion best/~tigte diese Annahme. Es land sich in der angegebenen Gegend ein Tumor, der aber nicht scharf umgrenzt ersehien, sondera die umgebenden ttirnteile an- seheinend infiltrierte. Professor Schlo//er begniigte sich daher

Abb. 1.

zun~chst mit der Entfernung eines Tumorstiickes, um allenfalls die Operation in einem zweiten Akt zu vollenden. Bei der histologischen Untersuehung des exei- dierten Stiickes stellte es sich jedoch heraus, dab ein Endotheliom vorlag. Die RadikaJoperation wurde wegen einer Liquorfistel erst nach etwa 8 Wochen dureh- geffihrt. Es konnte ein ungef~hr kinderfaustgroBer Tumor entfernt werden.

Da es uns ffir die Lokalisationsfrage nicht fiberflfissig erscheint, soll das Opera- tionsfeld etwas eingehender beschrieben werden. Es besteht im Bereiche der parietalen Region ein gr6Berer Knochendefekt, der in der Medianlinie etwa 1--2 cm nach reehts hiniiberreieht. Der vordere Rand des Knoehendefektes liegt in der Medianlinie gemessen 16 cm nach rfickw~rts yon der Nasenwurzel, der Hinter- rand ist 9 cm yon der Protuberantia occ. ext. entfernt, die L/ingsausdehmmg des ganzen Defektes miBt l0 cm. Die vordere untere Eeke liegt 61/2em fiber dem oberen Rand des /~uBeren Geh6rganges, die hintere untere Ecke 6 em fiber der Basis des proc. mast. Projiciert man den sulc. Rol. auf den Sch/idel, so liegt sein oberer Rand ungef/~hr 3 cm nach hinten yon der vorderen oberen Ecke der Knochen- lfieke, w/ihrend sein unterer Abschnitt teilweise mit der vorderen unteren Ecke des Knochendefektes zusammenf~llt. Das Gesamtgebiet, das dureh die Operation fiberhaupt freigelegt wurde, nimmt einenTeil des G. e. a. u. p., der hin~renTemporal- windung, den oberen Seheitellappen und die Gegend des supram, und angularis ein.

])as Areal, in welchem der Tumor entfernt wurde, liegt nach hinten vom sulc. Rolandi, ungef~hr in der Mitte des oberen Randes der Knocherrliicke im Bereiehe der Mantelkante. Die beigegebene Skizze soll die Verh~ltnisse veranschauliehen (s. Abb.).

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Naeh der l~adikaloperation war der Patient noch etwa 11 Wochen in Beob- achtung der Klinik. Bei der Entlassung war ein m~l~iger, mit Liquor gefiillter Prolaps vorhanden, der an der Klinik durch Ablassen einer grSSeren Liquormenge immer wieder zum Versehwinden gebraeht werden kormte. Das Allgemeinbefindea des Patienten war recht gut. Was die neurologisehen Ausfallserscheinungen an- belangt, so hatten sie in der Zeit der klinisehen Beobachtung nut wen ig Ver~nderungen erfahren. Sie waren sehon im Ansehlu$ an die erste Operation fast die gleichen wie naeh der Radikaloperation bzw. wie bei der Entlassung aus der Klinik. Es sollen daher die Untersuehungsergebnisse, die vor und nach dem 2. Operationsakte erhoben wurden, zusammen abgehandelt werden.

Postoperativ fund sich folgender Befund: Parese der rechten oberen Extremit~t, die vor allem die Bewegungen im Handgelenk und in den Fingern in Mitleiden- schaft zog. Hier war anf/~nglich jede aktive Bewegung aufgehoben, w/ihrend in den proximalen Gelenken die Kraft herabgesetzt war. An der rechten oberen E. kam eine Hyp/~sthesie fiir alle Qualit~ten hinzu, die am ausgepr~gtesten an den Finger- spitzen war; es bestand welter an der reehten oberen E. eine schwere StSrung der Tiefenempfindung, die in der ersten Zeit alle Gelenke betroffen butte, sp~,ter nur in Hand- und Fingergelenken nachweisbar war. Neben der Parese der reehten oberen E. war eine betr~ehtliche Araxie vorhanden, eine weniger auffallende der unteren E. Die grobe Kraft an der reehten unteren E. war intakt, beim Gehen wurde jedoch das rechte Bein etwas naehgesehleift. Weiterhin hatte sich die reehtsseitige obere Quadrantenhemianopsie zu einer vollstandigen Hemianopsie erweitert. Sonst war im somatischen Befunde gegentiber der Zeit vor der Operation nichts an Ausfallserseheinungen hinzugekommen.

Im Laufe der Beobaehtung bildete sich die Parese im Armo etwas zuriick, am starksten blieben auch welter die Bewegungen in den Fingergelenken gesehadigt. Nach einer ungefAhr dreimonatliehen Beobaehtung hatten sich die Fingerbewegungen soweit gebessert, dal~ eine gleichzeitige Beugung und Streckung aller Finger aus- geffihrt werden konnten, Einzelbewegungen der Finger jedoch noch immer nicht m6glieh waren.

Was die hSheren Hirnleistungen anbelangt, bot sich folgendes Bild: Sofort im Anschlu$ an die erste Operation bestand ein Antonsches Ph~nomen, das sich isoliert auf den rechten Arm erstreckte. Auf die Frage, wo er die rechte Hand babe, zeigte er immer wieder die linke Hand, gelegentlich auch das rechte Bein mad wenn dies yore Unteraucher abgelelmt wird, meint er schliel31ieh unter verlegenem L~cheln, dab er heute keine rechte Hand babe, oder dab alle beide Hande linke seien (analog dem kiirzhch yon Pin,as verSffentlichten Falle). Es ist jedenfalls bemerkenswert, daft bei unserem Kranken das Antonsche Ph/~nomen bei einem linkshirnigen Herd beobaehtet wurde, w~hrend es sich, soweit ich orientiert bin, in den beschriebenen derartigen F/~llen stets um reeht~shirnige StSrungen gehandelt hat. Die StSrung in unserem Falle war yon kurzer Dauer, sie konnte nur 2 Tage lung beobaehtet werden und machte darm sogar einem stark affektbetonten Hervorheben des Defektes bei jeder sieh bietenden Gelegenheit Platz.

Sprache :

Die Sprache war yon Anfang an nur leicht gestSrt; die StSrung maehte sich in der freien Konversation und in der Darstellung dutch eine gewisse Verlangsamung und dutch ein Stocken bemerkbar, dem, abgesehen yon leiehten artikulatorisehen Schwierigkeiten, vielfach deutlich ein Suehen naeh den entsprechenden Ausdrficken zugrunde lag. Das Spraehverst~ndnis war nieht vSllig intakt, besonders bei l~ngeren Auftr~gen kamen gewisse ~ n g e l zum Vorschein, die hauptsAchlich daran bemerkbar wurden, daft man manehmal die Auftr~ge wiederholen muflte, bevor sie der Patient vSllig auffal~te; doch konnte der Patient l~ngeren Gespr~chen folgen, ohne dab ein Defekt auffiel. ])as ~qaehsprechen war nur bei schwierigen Worten etwa~

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fehlerhaft, mit, werm auch nicht hochgradigen, doch deutlichen artikulatorischen Sehwierigkeiten. Die einzeblen Buchstaben werden bis auf x alle recht prompt gelesen. Auch beim Lesen yon Ziffern ergeben sich keine wesentlichen Schwierig- keiten. Beim Lesen yon mehrstelligen Zahlen gelingt es dem Patient relativ selten, die aufgeschriebene Zahl richtig wiederzugeben, neben Entgleistmgen, fehlerhaften Angaben des Stellenwertes, kommt es sehr h~ufig vor, dal] er entweder die einzelnen Ziffern ohne Stellenwertbestimmung hersagt oder 2 Ziffern als zweistellige Zahl zusammenfaBt und die fibrigen Ziffern hinzuffigt. So ]lest er z .B. die Zahl 352 als 35, 2. BeimLesen vonW6rtern kommt es zu starken Paraphasien, ebenso bei dem yon S~tzen; es hat auch den Anschein, als ob der Siam des Gelesenen zumeist nicht erfal]t werden kSnnte. Das freie Buchstabieren eines vorgesagten Wortes gelingt nicht, das Buchstabieren eines schriftlich Gebotenen ist wesentlich besser, aber nicht garm fehleffrei. Das Zusammensetzen yon WSrtern aus Druckbuchstaben ist auf das schwerste gest0rt, gleichgiiltig, ob die Aufgabe so gestellt wird, dab nor die zu einem bestimmten Worte gehSrenden Buehstaben geboten werden, oder ob er aus dem Buchstabenkasten die entsprechenden Buchstaben herauszusuchen hat. Beim Bezeichnen yon Gegenst~nden und Bildern verh~lt sich Patient/~hnlich wie in der Spontansprache, nur d~13 die amnestische Komponente etwas st~,rker zum Ausdruck kommt. Sie ist aber auch da nicht hochgradig und beschriinkt sich meist auf ein Stocken, auf eine etwas verl~ngerte Reaktionszeit und nur gelegentlich kann er den Namen nicht finden oder kommt er in geringe literale Entgleisungen.

Funktionen der Hand:

Das Schreiben mit der rechten Hand war w~hrend der ganzen Zeit der Beob- achtung nicht mSglich. Mit der linken Hand kommt auf Dikt~t ab und zu etwas Buchstabeni~hrfliches zustande, ohne dab aber der diktierte Buchstabe heraus- kommt. Der Patient macht meist wiederholte Ans~tze zum Schreiben, gibt aber schliel31ich die Aufgabe ratlos auf. Beim Kopieren gelingt es gelegentlich den Buchstaben entsprechend abzumalen. Beim Diktat von WSrtem oder Si~tzen kommt es meist zu einem unleserlichen Gekritzel. Das Schreiben yon Ziffern war yon Anfang an weniger gestSrt als das Schreiben yon Buchstaben und zeigte im weiteren Verlaufe der Beob~chtung eine viel st~rkere Tendenz zur Rfickbfldung. W~hrend in der ersten Zeit nach der Operation die Fiihigkeit ungef~hr auf derselben Stufe wie das Schreiben yon Buchstaben stand, kam P. sp~ter so welt, dab die Zahlenreihe bis 10 ungefi~hr so geschrieben wurde wie in der Zeit vor der Operation. Bei mehrstelligen Zahlen kam es aber auch sp~ter noch zu Vertauschungen des Stellenwertes und zu Ziffernverwechslungen. Das spontane 'Zeichnen und cl~s Abzeichnen yon eirifachen geometrischen Figuren und Gegenst/~nden wird ohne grSbere konstruktive Fehler durchgeffihrt. Die Fingeragnosie und die Rechts- LinksstSrung war ausgepr~gter als vor der Operation. Zu Begirm machten schon die einfachsten Aufforderungen yon Zeigen der rechten und linken Hand, des rechten und linken Beines Sehwierigkeiten. Liel~ man sich die einzelnen Finger yon dem Patienten zeigen, so war er gew6hnlich vSllig ratlos. Die Finger wurden sowohl an der eigenen Hand, wie an der des Untersuchers best~ndig verwechselt, d~s Benermen war sehr fehlerhaft und ging welt fiber seine sonstigen sprachlichen Fehlreaktionen hinaus.

Wenn auch keine grSberen St6rungen beim Gebrauch yon Gegenst/~nden in den Ausdruck -- und Gestenbewegungen der Hand nachweisbar waren, so fiel doch eine gewisse Vergr6berung und Ungelenkigkeit bei den Hantierungen der Hand auf. So macht es ihm gewlsse Sehwierigkeiten, die Finger einzeln oder in kleineren Gruppen auszustrecken, auch d~nn, werm keine Fingerwahl yon dem Patienten verlangt wurde. Diese Bewegungen batten dabei gew6hrdich etwas Krampfhaftes an sich. I)iese eigenartige UnbeholfenJaeit machte sich insbesondere beim Sehreiben und Zeiehnen geltend. Der Patient schien vielfach ratlos, wie er die Hand dabei

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zu halten habe, probierte bei seinen Versuchen, die ffir das Schreiben und Zeich~ nen geeignete Handstellung zu linden, hin und her und geriet schlieBlieh h~ufig in eine Hand und Fingerhaltung, als ob er den Schreibakt yon oben her durehffihren wollte. Es spielten also sicher innervatoriseh-apraktische St6rungen herein.

Verhalten gegeni~ber Zahlen und beim Rechnen. Die auffMligste StSrung im postoperativen Zustande betraf das Rechnen.

Sie zeigte aueh w~hrend der ganzen Dauer der Beobachtung in der Zeit nach der Operation die allergeringste Tendenz zu einer Besseruug. Schon bei den allerein- fachsten Rechenaufgaben kam es zu einem vSlligen Versagen des Patienten. So bringt er die einfachsten Additionen, wie z. B. 2 + 3, 2 ~- 1 absolut nieht zustande. Vielfaeh gewann man den ]~indruek, als ob er sich erst lange Zeit besinuen mfiBte, um auf die Bedeutung der in der Aufgabe enthaltenen Zahlen zu kommen; immer wieder unterbrieht er die Operation mit ~uBerungen, wie ,,da komme ieh nieht darauf, das verweehsele ieh alles" und ~hnliches, wird siehtlich immer ratloser und mit sieh unzufriedener, was sieh schlieBlich in einer allgemeinen MiBstimmung fiber seinen ganzen unbefriedigenden Zust~nd steigert, wie sie sonst bei den Patienten nur selten zum Ausdruek kommt. Es ist auch jene Prfifung, zu der er stets mit dem grSflten Unbehagen herangeht. In demselben MaBe wie bei den Additionen, ist er auch bei allen anderen Reehenoperationen hilflos.

Beim Markieren yon Zahlen an den Fingern besteht eine gewisse Unsicherheit; sein VerhMten dabei ist jedoch recht wechselnd. Bis zur Zahl 5 markiert er meist feMerlos, darfiber hinaus, also dann, wenn er die Finger beider Hande gebrauchen mu], wird er unsieher, denkt regelm~ig siehtlich angestrengt nacb, zerlegt gew6hn- lich spraeMieh reeht gut, sobald es aber zur Ausffihrung kommt, nJmmt seine Un- sicherheit woiter zu und or kommt h~ufig zu einem fehlerhaften Resultat. Es spielt dabei keine Rolle, welehe der beiden H~nde er ffir die Ffinfereinheit benfitzt. Mit Hilfe der Finger Additionen oder Subtraktionen auszuffihren, gelingt ebensowenig wie im Kopfe, auch hier versagt er schon bei den allereinfachsten Aufgaben.

An der Rechenmasehine kommt er meist in Verwirrung, sobald die verlangte Zahl 10 fiberschreitet. Im Beginne einer jedenUntersuchung pflegt er beimMarkieron yon zweistelligen Zahlen vSllig ratlos zu sein, er weiB sichtlich nicht, wie er die verschiedenen Reihen des Reehenbrettes benfitzen soll, wie ibm dieses die MSglieh- keit eine~ AufgabelSsung geben kSnnte; er schiebt meist wahllos, ohne erkermbaren Sinn an den Reihen herum. Wird ihm dann vom Untersucher die Aufgabe vor- gemacht, so ist er sich yon nun ab im Vorgehen im allgemeinen im klaren, wiewohl auch d~ noch ab und zu plStzlich wieder ein v6lliges Versagen auftritt. Bezeichnend ffir den Reehenvorgang ist folgende Reaktion: es wird ihm im Laufe einer l~ngeren Prfifung die Aufgabe gestellt, die Zahl 40 an der Rechenmaschine zu markieren. Er 16st diese Aufgabe richtig. Im AnsehluB daran soll er 60 d~rstellen, er sagt vor sieh hin 60 2, markiert 42, w~hrend er nun die Zahl 60 wiederholt und das Result~t zu verbessem sucht, markiert er wieder 42, sieht den Untersucher fragend an, als dieser eine ablehnende Bewegung macht, meint er, das stimmt doch ,2 und" . . . dann, ,,nein das ist ja 2, Sie haben gesa~ 60", markiert jetzt 56. Er geht sichtlich beim Markieren yon 60 yon der vorangegangenen Zahl 40 aus; die Differenz yon 2 Zehnern, die ihm vorschweben mag, wird in die Aufgabe einbezogen und sie erscheint als 2 an einer vSllig unriehtigen Stelle und laBt 42 entstehen. Beim n~ehsten Versuch wird die vorangegangene 4 der Zabl 40 auch wieder in einer verwirrenden Art in die Aufgabe hereingezogen.

Das Addieren und Subtrahieren an der Rechenmasehine ist fast vS]lig un- mSglich; gew6hnlich wei~ er iiberhaupt nieht, wie er sich dabei verhMten soll, wie er es anstellen sol], um zu einem Resultate zu kommen. Beim Auftrag 6 Jr 8 auszurechnen, schiebt er erst die ersten 2 Reihen nach links und d~nn yon der zweitenReihe 4 zuriick, hierauf eine lange Pause des Nachdenkens, sagt verzweifelt,

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das ist doch nicht mSglich, ist sichtlich vSllig ratlos und gibt die Aufgabe auf. Wird ihm die LSsungsart vorgezeigt, so gelingt es ihm ab und zu bei einem n~chsten Beispiel die Rechenaufgabe durchzuffihren, bei einer Priifung an einem anderen Tage kommen aber dieselben Mi~ngel zum Vorschein wie vordem. Wie schon hervor- gehoben wurde, hatte sieh das Zahlenschreiben, das im Anschlul~ an die Operation sehr schwer gestSrt war, im Laufe der Beobachtung recht weitgehend gebessert, so dal3 die Zahlenreihe bis zu 10 ohne allzu grobe Fehlleistungen gesehrieben werden konnte. Starker wurden die Fehler, wenn es sieh,bei der Aufgabe um mehrstellige Zahlen handelte; es kam dabei sowohl zu Verwechslungen im Stellenwert, wie auch zu solchen der einzelnen Ziffern. Charakteristisch war bier, was aueh bei seinem Hantieren an der Rechenmaschine beobachtet werden konnte, dab die Zahl mit dem Stellenwert sozusagen in Konkurrenz trat und Verwirrung anstiftete. Noeh deutlicher kam das beim Lesen yon mehrstelligen ZahIen zum Ausdruck, das sich im sp~teren Verlauf jedoch recht erheblieh besserte.

Das Aufz~hlen der Zahlenreihe ging ohne Schwierigkeit. Deutliche Sehwierig- keiten bestanden, wenn er die Zahlenreihe yon rfickw~rts aufz~hlen sollte, es kam dabei zu Stocken und gelegentlichen Auslassungen; vSllig unmSglieh war es ihm, alle geraden oder ungeraden Zahlen gesondert aufzuz~hlen. Das Aufz~hlen der Zehner geht gut, sobald der Patient darauf kam, worum es sieh handelte. Da-s Lesen yon rSmisehen Zahlen geht nur bis 10, alas Schreiben derselben bis 8, die fibrigen Zahlen sind ihm sichtlieh volll~ommen entfallen. Er ist nicht imstande, bei einem genannten Monat anzugeben, der wievielte in tier Reihe der Monate er ist. So gibt er den Mai als den 4., den Dezember als den 11., und den J~nner als den 2. Monat an u .a . Die Mengensch~tzung weicht nieht wesentlich yon der des Nor- malen ab, so gibt er die Anzahl einer grSl3eren Menge yon ZiindhSlzern u.a. , den ungef~hren Inhalt eines Gefi~I3es ann~hernd richtig an. Die Sch~tzung einer ab- gelaufenen Zeit geht ohne StSrung vor sich. Er weil~ den Aufenthalt an den einzelnen Kliniken ungefahr richtig anzugeben, ebenso die Zeit, die seit den Operationen verflossen ist und vermag auch ganz kurze Zeitstrecken ann~hernd richtig abzu- sch~tzen. Wenn man ihm jedoeh die Frage vorlegt, wie grol~ die Strecke ist, die ein Schnellzug in einer Stunde zuriicklegt, ist er vSllig unsicher, findet sieh erst gar nicht mit dem Mai3stab zurecht, in dem er es angeben soll, und als ihm dann als MaB km genannt wird, meint er, es werde wohl einige 1000 km sein. Der Patient, der in der N~he seines Wohnortes t~,glich mit seinem Fahrrade in die Fabrik f~hrt, weiB mit vSlliger Sieherheit die Entfernung anzugeben, er weiB aueh, wie lange er ungef~hr zu FuB oder mit dem Fahrrade ftir diese Streeke braaeht. Es ist ihm jedoch ~bsolut unmSglieh, die Frage zu beantworten, wieviel man in einer Stunde mit einem Fahrrade zuriicklegt. Das Markieren der L~tnge eines m, dm usw. geht vollkommen prompt. Sobald er aber beim Sch~tzen eines Gegenstandes nach GrSBe und Schwere mit Zahlen operieren muff, wird er sofort hSehst unsicher. Es seien einige Reaktionen angefiihrt: (Wie groi3 ist ein Mensch ?) Zeigt mit der Hand die riehtige GrSBe. Als er nun aufgefordert wird dies in Zahlen auszudrfieken, meint er, das wisse er nicht, dann 140 m . . . 100.. 100 m . . . nein wie denn . . . 40 (Wieviel wiegt ein Menseh ?) Ein Mensch wieg t . . . ~viegt n~mlich. . . 100. . . 160. . . 160 kg. (Wieviel wiegt eine Gans ?) Eine Gans wiegt naml ich . . . 40 k g . . . fiigt dann hinzu, dab das eine grol~e Gans sein mfisse. Nach einer Weile meint er 20 und schlieBlich kommt er auf 10 kg.

Die Unterteilung yon Mal~-, Zeit- und Gewichtseinheiten ist ebenfalls sehr unsicher, nur einze]nes vermag er zu beantworten. Die Antworten in den einzelnen Priifungs- phasen sind wechselnd, doeh kommt es nie vor, dab er die diesbeziiglichen Auf- gaben fehlerlos oder aueh nur mit einer gewissen Sicherheit 16sen wfirde. (Wieviel Minuten hat eine Stunde ?) Eine Minute . . . das habe ich gewufl t . . , eine Stunde, n i ch t . . , eine S tunde . . . ich komme nicht darauf. (Wieviel Tage hat eine Woche ?) 8 Tage. Als er aufgefordert wird, die einzelnen Tage aufzuz~hlen, nennt er sie

z. f. 4. g. Ncur. u. Psych. 135. 39

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richtig und meint dann wieder, daft das 8 Tage seien. Als ihm damn der Fehler korrigiert wird, meint er, es seien 7 Arbeitstage, setzt aber dann hinzu, das ist aueh wieder nicht riehtig. Er gibt sehlieBlieh die Beantwortung dieser Frage auf. (Wie- viel m hat ein km?) Beantwortet er riehtig. (Kg: Gr) Ein kg, langes Besinnen, das sind ni~mlieh 20 (Stunde: Minuten) 24.

Aber aueh die einzelnen Systeme geraten ihm durcheinander, wenn man ihm die Fragen in etwas verwirrender Weise stellt. (Ist ein kg sehwerer als ein m ?) Das n ieh t . . , ein kg ist doch bedeutend kleiner als ein m . . . ein k g . . . wenn ieh einen m habe . . , das sind doch 10 m. (Was ist also schwerer ?) Ein kg ist doeh bedeutend schwerer. (Wie sehwer ist also ein m ?) Ein m sind doeh 100 kg. Im allgemeinen verwendet er aber die verschiedenen Bezeiehnungen dieser Einheiten riehtig.

Die Erfassung yon Gestalten als Zahten geht, so welt ihn seine I-Iemianopsie nicht daran hindert, gut; Punkte, die in geometrischer Anordnung aufgezeichnet werden, erfal3t er sofort als entsprechendes Zahlengebilde, ebenso wenn ihm kleine Gegenst~nde in derselben Weise exponiert werden. Er vermag auch Zahleneinheiten bis zu 10 in dieser Weise selbst darzustellen. Die Zahl der Ecken von geometrischen Figuren erfaBt er sofort in ihrer Gesamtzahl.

Die Zeichen fiir die einzelnen Rechenarten liest er richtig ab, doch ist er nieht imstande, sie schriftlich auszudrficken, er kommt dabei immer wieder in das Plus- zeichen, gleichgiiltig nach welcher Rechenart er gefragt wird. Briiehe kann er bis auf 1/2 nicht ablesen; das Bruchzeichen gelingt ihm erst schriftlich, nachdem mit ihm diesbeziigliche Leseprtifungen gemacht worden waren. Wird ibm nun ein Bruch diktiert, so kommt es, abgesehen yon den Zifferverwechslungen, auch noch zur Ver- tauschung yon Nenner und Z~hler.

Die relative GrSfle verschiedener Tiere gibt er sofort prompt und richtig an, ebenso die KSrperteile am Mezrschen wie an bekaunten Tieren. Die Preise der t~glichen Gebrauchsartikel weiB er bis auf geringfiigige Abweiehungen richtig zu nennen. Soll er eine Jahreszahl angeben, so wird er schon bei dem jetzigen Datum hSchst unsicher; er setzt erst mit 19 an, dann meint er 1999, denkt eine Weile nach, setzt wieder mit 19 an, es kommt 1918 heraus und schlieBlich bleibt er bei 1939.

Beim Markieren einer Zahl durch Klopfen auf den Tisch z/~hlt er bei den einzelnen Sehliigen mit und kommt so meist auf die genaunte Zahl. Er erleichtert sieh aber die Aufgabe bei grfl3eren Zahlen nie dadurch, daB er kleinere Zahlengruppen in einem bestimmten Rhythmus herausheben wiirde.

])as Ablesen der Zeit an der Testuhr gibt folgende Resultate: (6 Uhr, 3 Uhr) Plus (1/25) 1/2 . . . 1/24 dana riehtig. (5 Minuten nach 1/23 ) 5 Minuten vorfiber yon 3 Uhr . . . 1/23 5 Minuten dureh (1/412). In 5 Minuten 3 . . . 3 Uhr. Als er dann aufmerksam gemacht wird, auf die Zeiger achtzugeben, gibt er 1/212 an. (10 Minuten naeh 9 Uhr) Richtig. (In l0 Minuten 1/24 ) 5 Minuten, wie denn . . . das ist 3 Uhr und 10 Minuten . . . das ist ein 1/2 . . . 10 Minuten 3 . . . ein 1/23 n/~mlich das ist doeh 4, 3 Uhr weun der Zeiger da unten ist, ist 4 . . . das sind 10 Minuten . . . .

Die Resultate sind relativ gut, zumal wenn man dabei gewisse spraehliehe Schwierigkeiten mit in Betracht zieht.

SteUen einer genannten Zeit (3, 6, 1/28 Uhr) Richtig. (a/47) wiederholt x/27 und stellt auch so, bei Wiederholung des Auftrages ffihrt er ihn richtig aus. (10 Minuten nach 4) Faflt erst sichtlich nicht recht auf, stellt daun nach einigen Fehlresultaten richtig. (a/46) Stellt erst 1/26, dann den groBen Zeiger auf 8 den kleinen auf 6.

Beim Auftrage, aus der in einer Reihe nebeneinander geschriebenen, der GrSl3e nach geordneten Zahlenreihe yon 1 - 1 0 , der Zehner bis 100 sueht er eine angegebene Zahl zwar mit etwas verl/~ngerter Reaktionszeit, aber stets richtig heraus. Sehr grol3e Schwierigkeiten macht es ihm, weun die Aufgabe so kompliziert ist, dal3 ihm eine Reihe ~on Zahlen (ungef/~hr 15) in der Weise exponiert werden, dab his zur Zahl 1100 aufsteigend aus einigen Zehnem und aus jedem Hunderter eine Zahl

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entnommen wird. Der Patient wurde vor dem Versuche aufgeklgrt, dab die Zahlen der Gr6Be naeh geordnet sin& Es braucht immer eine geraume Zeit, bere t er sich zureehtfindet, we die genannte Zahl zu finden ist; er ist sieh weiter siehtlich nicht immer ganz im klaren fiber das Verhi~ltnis des Gr6Benwertes tier genannten Zahl zu der, die er beim Versuche der Aufgabel6sung gerade fixiert; os fehl~ jedenfalls die Fi~higkeit der Einordnung, des Cberblieks und des Inbeziehungsetzens einer miindlich gebotenen Zahl zur gegebenen Vorlage. Behindernd wirkt allerdings, woven noch zu spreehen sein wird, dab Patient eine genannte Zahl, sobald sie dreistellig ist, nut sehr sehwer zu behalten vermag. Dabei macht es ihm siehtlich Sehwierigkeiten, die einzelnen Ziffern innerhalb der Zahl zu fixieren; im allgemeinen wird die erste Ziffer einer dreistelligen Zahl, also der Hunderter, riehtig angegeben; da aber nur jeder Hunderter einmal vorkommt, so wtirde, aueb wenn die iibrigen Ziffern in der Zahl nur ungenau festgehalten werden, dies zur Lokalisation in der aufgestellten Reihe noch genfigen.

Beim Merkversuch mit Zahlen (es wurden dabei drei zweistellige Zahlen beniitzt) fMlt auf, da$ die Einpritglmg groSe Sehwierigkeiten maeht. Die Wiederholung der vorgelegten Zahlen ist sehr lfiekenhaft, bei der Reproduktion wird immer wieder eine oder die andere Zahl vergessen, ab und zu auch eine falsehe Zahl genannt. Nach 2 Minuten Ablenkung wird meist gut wiederholt, naeh weiteren 4 Minuten kommt er erst auf keine der genannten Zahlen, nennt eine schleehte, bei limgerem Nachdenken taucht aber gew6hnlich eine oder die andere wieder auf. Gewisse Sehwierigkeiten macht es ihm aueh sehon, eine mehr als dreisfellige Zahl sofort zu reproduzieren. Demgegenfiber macht die Einlemung vonW6rtem keine Sehwierig- keiten. Das Festhalten yon W6rtern ist abet yon der L6sung der entspreehenden Zahlenaufgabe nieht wesentlieh verschieden.

Im Headsehen Mfinzenversueh schneider Patient recht gut ab. /qur ab und zu wird Mfinze oder Schale in der Reihenfolge verweehselt; wird der Patient aufmerksam gemaeht, so korrigiert er gew6hnlieh sofort.

Optisch-gnostische Fdhigkeiten. Das grebe Erkelmen yon Gegenstgnden und Bildern ist ausnahmslos ungest6rt.

l%hlant~vorten, die bei der Deutlmg yon Situationen (Binet-Bobertag u. a.) zustande kommen, lassen sieh wohl kaum auf etwas anderes als auf einen Mangel im sinnvollen Zusammenfassen zurfickftihren, soweit sie nicht durch das unscharfe Sehen bedingt sind. Es ist ffir seine Beschreibung charakteristisch, dab er sichtlich gewisse Einzelheiten, die ffir die Deutlmg des Ganzen yon Wiehtigkeit sind, fibersieht (verminderte Sehschgrfe ?) und andererseits die gewonnenen Resultate nur schwer ffir eine Gesamthandlung verwerten kann; eine agnostische StSrung kommt jedenfalls bei seinen LSsungsversuchen nicht hervor. Das Verhalten bei den Heilbronner Bildern ist nicht anders als beim Normalen. Das Zusammensetzen yon Teilen einer Figur zu einem Ganzen geschieht sehr prompt. Erkennen yon geometrischen Figuren, Zuordnen gleicher oder ~hnlieher Figuren geht ohne irgendwelche St6rung vor sich. Auch vermag er mfihelos aus den nach Abelson ineinander gezeichneten geometrisehen Figuren die einzelnen herauszuheben, l%hlende Teile an einer Figalr fallen ihm sofort auf mid er kennzeichnet sie sofort richtig. Die Einprggung auch ffir kompliziertere l~'iguren ist eine reeht gute. 3- -4 solcher Figuren, die ihm fiir kurze Zeit exponiert werden, vermag er mit recht groBer Sicherheit aus einer grfBeren Anzahl yon Figuren kurz nachher zu identifizieren. Dies ist mit Rficksicht auf die seMeehte Reproduktionsf/~higkeit yon Zahlen und W0rtern besonders hervor- hebenswert, learben aus der Erinnerung bezeichnet er riehtig. Beim Benennen lind Sortieren yon ~'arben versagt Patient ebenso wie vor der Operation auch jetzt v611ig, doch kolmten diese Ergebnisse deswegen nicht verwertet werden, weft der Patient behauptet, dab er seit jeher sehr farbenuntfiehtig gewesen sol, sich in den Farben nie reeht ausgekannt habe. Das Zeiehnen gelingt in Anbetraeht dessen,

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dab er gezwungen ist, mit der linken t tand zu zeichnen, recht gut. Es ist nicht wesent- lich schlechter als vor tier Operation, wo der Patient noch die rechte Hand dazu benfitzen konnte. Die Zeichnungen sind sehr primitiv, doch lassen sieh auch jetzt keine sicheren Ausf~lle naeh irgendeiner Richtung feststellen. Die raumlicbe Orientierung des Patienten ist ungest6rt.

Allgemeine intellektuelle Leistungen. Gewil~ ist das Sprachverst~ndnis nicht v611ig intakt. Daraus lgBt sich verstehen,

dab der Patient kompliziertere Zusammenhgnge nicht immer sofort erfal~t, dal~ h/~ufig eine mehrmalige Wiederholung notwendig ist, bevor der Patient zu einem vollen Verst/~ndnis kommt. Bei einem alltiigliehen Gesprgchstoff t r i t t die Mangel- haftigkeit seiner sprachlicben Auffassung kaum hervor; die Unterhaltung wird vom Patienten flieBend geffihrt, er findet sofort die entsprecbenden Antworten und wenn irgendwelche Schwierigkeiten bestehen, so sind sie mehr artikulatorischer oder ab und zu leieht paraphasischer Art, indem der Patient bei der Artikulation oder fiber den falschen Ansatz zu einem Worte ins Stocken ger~,t. Die gute Leistung in der Konversation erstreckt sich vor allem auf alles, was sich auf seine Interessen- sphare, seinen Wirkungskreis und seine Umwelt bezieht. Dabei kann im Inhaltlichen seiner Aussagen keine Unzul~nglichkeit aufgedeckt werden. Er zeigt sich fiber alles diesbezfigliche gut orientiert und gibt ganz entsprechende Auskunft. So schildert er und entwickelt die wirtschaftlichen und sozialen Verh~ltnisse seiner Heimat in vollkommen logiscber und geordneter Weise, wie es einem Manne seines Bildungsgrades entspricht. Er steht auch seiner hiesigen Umgebung verstgndnisvoll und kritisch gegenfiber. Seine eigene Lage beurteilt er mit voUer Einsicht, er zeigt sich fiber den etwas langsamen Fortgang seiner Heilung in der letzten Zeit seines Aufenthaltes etwas ungeduldig, aber nicht mehr als einer normalen und begreiflichen Reaktion entspricht; es steht nur in einem gewissen Gegensatz zu dem Verhalten vor der Operation, in welcber Zeit er eine beinahe auff/~llige Zuversicht, eine stets ge- hobene Stimmung zeigte. Allerdings waren damals die Ausf~lle, die dem Patienten zum Bewul~tsein kamen, nur sehr gering und f fir den Patienten kaum irgendwie hinderlieh, w/i~rend in der Zeit nach der Operation die Defekte massiv waren und sich der Patient, wie ja bei den einzelnen Untersuchungen hervorgehoben wurde, ihrer roll bewul~t war. Es konnte ja immer wieder beobachtet werden, dai] ihn das Versagen bei den einze]nen Leistungen stark deprimierte. Im Gegensatz zu dem geschilderten Verhalten, wonach man den Eindruck einer v611ig intakten Pers6nlichkeit gewinnen kSnnte, zeigten sich bei einer Reihe einfacher Intelligenz- aufgaben recht erheblicbe Ausf~lle, ganz abgesehen ~on jenen Leistungen, die wir bereits als besondere F/~higkeiten aus der allgemeinen Intellektualit/~t abtrennten und abgehandelt haben. So gelang ihm z. B. das Nacherz/ihlen yon kleinen Lese- stricken, wie sie bei Lipmann angefrihrt sind (,,Der Kutscher und Herkules", ,,der Fisch und die Kriihe", ,,der Frosch nnd der Ochse" u.a.), absolut nicht, auch dann nicht, wenn diese Erz/~hlungen ihm mehrmals vorgelesen wurden; zumeist erfal]t er den Sinn des Vorgelesenen riberhaupt nieht und gibt die Reproduktion mit dem Hinweise auf, dal~ er sich das nicht merken k6nne. Nach 2maligem Vorlesen der Geschichte yore Frosch, der sich aufblies, um so groB zu werden wie ein Ochse und schlieBlich platzte, gibt er folgendes wieder: es war ein Frosch, der hat sich aufgeblasen, dann schrie er. Welter kommt er in seiner Wiedergabe nicht. Auf die Frage, warum er sich denn aufgeblasen habe, meint er, weil er ngmlich so dick war. Auf die weitere Frage, was ihn dazu veranlaSt babe, gibt er dieselbe Antwort. Gefragt was der Ochse frir eine Rolle spielte, kommt er sichtlich darauf, dab der in der Erz/~hlung etwas zu tun babe, denkt lgngere Zeit naeh, /~ul3ert ,,no wie war denn das", ,,wie war das eigentlieh" und meint sehlielMich, dab or sich das nicht gemerkt habe. Die Bildung yon Oberbegriffen ist vielfach unscharf: (Pferd, Katze, Hund) nfitzliche Tiere. (Hammer, Ambos, Feile) Werkzeuge. (Adler, Taube, Huhn).

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Der Adler ist ein 1%ubtier . . . das sind Tiere. (Was fiir Tiere ?) Es gibt ein l~aub- tier dabei. (Gold, Silber). Zum Pr/~gen, und ~ihnliche Reaktionen. ])as AuflSsen von Oberbegriffen ist mangelhaft, er vermag stets nur einiges wenige Hierher- gehSrige zu nennen. So kommt er z. B. bei der Aufgabe, die Raubtiere aufzuz/ihlen, auch nach langem Nachdenken auf nichts anderes als auf Adler und Murder. Zu iihnliehen mangelhaften lgeaktionen kommt es bei anderen derartigen Aufgaben. Sinnwidrigkeiten fallen ihm meist iiberhaupt nieht auf. Logisehe Sehliisse zu ziehen, ist er in den meisten F/~llen aullerstande. Aus drei WSrter einen sinnvollen Satz zu bilden macht ihm groBe Schwierigkeiten. Als Beispiel sei angeffihrt: (Arbeit-Lohn-Weche). Naeh langem 5lachdenken: WeIm die Leute gearbeitet haben, wollen sie auch den Lohn haben die Woche. i)ber das Situationserkennen wurde bereits angefiihrt, dab seine unzul/inglichen Reaktionen zum grollen Teil auf die mangelhafte Kombinationsf/~higkeit, auf den Mangel, einzelne Teilhandlungen zu einer Gesamthandlung zusammenzufassen, zurfickzufiihren sind.

Bei der ErSrterung der im vorstehenden mitgeteilten Untersuchungs- ergebnisse mSchten wit nun zun/ichst die Erscheinungen, die vor der Operation bei dem Patienten bestanden hatten, gesondert fiir sich betrachten. In kurzer Zusammenfassung bestand neben einer Qua- drantenhemianopsie und einer angedeuteten Parese des rechten Beines, eine StSrung der Tiefenempfindung der rechten groiien Zehe und leichte St5rungen der Oberfl/ichenempfindung am rechten Unterschenkel, eine StSrung der Rechts-Linksorientierung, eine Fingeragnosie und eine Agraphie ; geringe StSrungen miissen wohl auch im Zeichnen angenommen werden, besonders wenn man die rechtsh/indigen Leistungen vor der Operation mit denen der linken Hand nach 4er Operation vergleicht. Aueh das Reehnen war nicht vollkommen iatakt, doch lieB es sich im wesentliehen darauf zurfickfiihren, dal] agraphische St5rungen, Um- stellungen, die Fixierung 4er Einzelresultate behinderte.

Es handelt sich also, wenn auch nur in leichter Auspr/tgung, so doch unverkennbar um das von Gerstmann zuers~ beschriebene Syndrom, wie es seither von anderen Autoren best/itigt werden konnte. Hinsichtlieh der hirnpathologischen Deutung dieses Syndroms sind yon den ver- schiedenen Autoren verschiedene Auffassungen entwickelt worden. Gerstmann setzt sich Vor allem mit der Fingeragnosie auseinander, bringt diese mit einer umschriebenen StSrung des KSrperschemas in Zusammenhang und faBt sie, wie ja schon die von ihm benfitzte Nomen- klatur besagt, als eine agnostisehe St6rung auf. Demgegeniiber wird in den sich daran anschliellenden Arbeiten versueht, aus der Konstanz des Syndroms eine einheitliche StSrung verst/indlich zu machen. So ~ r d von PStzl und Herrmann die St6rung in den Fingerbewegungen besonders beachtet und auf eine innervatorisch apraktische Komponente Wert gelegt. Lange glaubt, dab ffir seinen Fall eine StSrung der g ichtung im Raume die wesentliche GrundstSrung sei und sehlielllich kommt Ehrenwald fiir den yon ihm besclgiebenen Fall unter Einbeziehung einer an diesem beobachteten St6rung der zeitlichen Orientierung zu einer ,,vierdimensionalen, ordinativen, raumzeitlichen I~ichtungsst6rung".

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Wenn wir nun diese versehiedenen Auffassungen an den Erscheinungen die unser Kranke bot, fiberprfifen, so m6chten wir yon seinen Sehreib- leistungen, die vor der Operation am grSbsten gestSrt waren, den Ausgang nehmen. Der Patient versagt beim Diktatschreiben schon bei den ein- zelnen Buchstaben. Ffir dieses Versagen gibt er immer wieder die Er- ld/irung und Begriindung, dal3 er auf den Buchstaben nicht kommen kSnne, dal3 er vergessen hi~tte, wie man den Buchstaben schreibe. I)em- entsprechend li~Bt er auch sehr h/iufig beim Diktat yon WSrtern nach vergeblichem Nachdenken den ersten Buchstaben aus, schreibt dann mit dieser Auslassung solange welter, bis er neuerlich vor einem Buchstaben ins Stocken ger/it; dazwischen kommt es auch nicht selten zu Buchstaben- verwechslungen. Vollkommen ungestSrt ist dagegen das Abschreiben nach einer schriftlichen Vorlage. Die agraphische StSrung in unserem Falle entspricht demnach vSllig der literalen Agraphie Wernickes und dem Falle Goldsteins; letzterer kennzeichnet die yon ilam geschilderte agraphische St6rung als eine amnestische Form der apraktischen Agraphie. Es m6ge dahingestellt bleiben, ob man bei dieser Form der Agraphie nach der damaligen Ansicht Goldsteins ,,yon einer Spaltung zwischen Buchstabenlautvorstellung und Formvorstellung" sprechen kann, jeden- falls 1/iBt sich aber annehmen, dab die StSrung schon vor dem motorischen Akte des Schreibens zur Entwicldung kam. Nachdem was unser Patient selbst immer wieder fiber sein inneres Erleben bei den Schreibversuchen aussagt, wird man wohl zu der Annahme gech'/ingt, dal~ der Besitz, das Bereitstellen der Buchstaben ftir den motorischen Akt gest6rt war, dab schon die Vorstellung der Buchstaben nicht kommen wollte. Man dfiffte also wohl nicht fehl gehen, wenn man das Hauptgewicht auf die amnestische StSrung legen wird. Es scheint hier im wesentlichen nichts anderes vorzuliegen, als was yon der Normalpsychologie her bekannt ist ; so, wenn man z. B. einen selteneren Buchstaben des griechischen Alpha- betes auf Anhieb nicht zur Verffigung hat oder auch trotz li~ngeren Be- mfihens das Vorstellungsbild nicht evozieren kann. Wenn man gegen diese Erw/igungen etwa einwenden wollte, dab die Selbstschilderung unseres Kranken doch nicht so mal3gebend sein kann, um als sichere Grundiage ffir das psychologische Geschehen verwendet zu werden, so scheint in unserem Falle das Verhalten unseres Patienten beim Schreiben, so wie es oben geschildert wurde, doch zu best/itigen, dal3 seine Schilderung vom Nichtkaben des Buchstaben und Nichtdaraufkommen tats/~chlich zutrifft.

Machen wir zun/ichst den Versuch yon der Schreibst6rung unseres Falles aus die GesamtstSrung des Syndroms mit den bisherigen Auf- fassungen in Einldang zu bringen, so stSl3t man auf uniiberwindliche Schwierigkeiten. Die P6tzlsche Auffassung, die in der Agraphie den Aus- druck einer bestimmten, yon ibm niiher definierten Eigenleistung der parietooccipitalen l)bergangsregion erbliekt und die Fingeragnosie als

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eine innervatorische StSrung v o n d e r Beeintr~chtigung dieser Eigen- leistung ableitet, gibt fiir unseren Fall aus Grfinden, die aus dem friiheren hervorgehen, keine hinreichende Erkli~rung, wenn wir auch zugeben miissen, dab innervatorisch-apraktische St6rungen mit teilhaben. Eine RichtungsstSrung im Raume, wie sie Lange als maBgebende GrundstSrung in seinem Falle herausgearbeitet und zu den P6tzlschen Anschauungen in Beziehung gebracht hat, konnte bei unserem Patienten, trotzdem gerade im Hinblick auf den sorgf~ltig untersuchten Fall Langes darauf besonders geachtet wurde, nicht nachgewiesen werden, so dab die Deutung Langes ebensowenig fiir unseren Fall als zutreffende Unterlage genommen werden kann. Was schlieBlich die yon Ehrenwald entwickelte Ansicht anbelangt, so w~re gegen den zeitlichen Faktor, den Ehrenwald den Auf- fassungen P6tzls und Langes beiffigt, wohl der Einwand berechtigt, dab es sich in seinem Falle eines Abscesses, soweit die Krankengeschichte ersehen l~Bt, um ein korsakowi~hnliches Bfld gehandelt haben kSnnte, ein Bild, das bei raumbeschr~nkenden Prozessen nichts Seltenes ist und das, wie die Erfahrung lehrt, mit einer bestimmten Lokalisation dieser Prozesse nur mit grSBter Vorsicht in Zusammenhang gebracht werden kann. Sieht man yon diesem zeitlichen Faktor ab, so deckt sich das Tats~chliche im wesentlichen mit den frfiheren Beobachtungen und die Anschauung Ehrenwalds mit denen P6tzls und Langes, die ~iir unseren Fall nicht ohne weiteres anwendbar sind.

l~ber die Erkenntnis, dab die agraphische StSrung., die unser Patient vor der Operation darbot, haupts~chlich als amnestische StSrung, / (StSrung in der Evokation) in Erscheinung trat, kommen wir nicht ! hinaus. Miissen wir uns also damit begniigen, die SchreibstSrung a l s eine amnestische gelten zu lassen, so erwachsen uns groBe Schwierigkeiten, wenn wir die begleitenden StSrungen (Fingcragnosie, RechtslinksstSrung) mit tier Agraphie in eine funktionelle Verknfipfung bringen, das Gesamt- syndrom irgendwie einheitlich erkl~ren wollen. Fast kSnnte man ver- sucht sein, sich mit Gerstmann damit zu begniigen, das Nebeneinander der StSrungen zu registrieren. Und dock mSchte man sich damit nicht zufrieden geben! Es ist doch zu auffallend, dab dieses Syndrom, seit Gerstmann die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat, bei L~sionen des Parietale relativ h~ufig zur Beobachtung gekommen ist und Gerstmann hat wohl sicher recht, wenn er sagt, dab man das Syndrom um so hi~ufiger finder, je mehr man darauf achtet. Vergleicht man nun die einzelnen bisher analysierten Fs untereinander, so scheint hervorzugehen, dab sich gewisse Einzelsymptome in den einzelnen Fs besonders heraus- heben. So steht im Falle Langes die Richtungsst6rung im Raume im Vordergrunde der Einzelst6rungen, eine Beobachtung, die in einer neuesten Publikation von Pin'as an einem Falle von seniler Demenz bcst~tigt wird, im Falle Herrmann und P6tzls hebt sich eine innervatorisch-aprak- tische Komponente besonders heraus, eine Fcststellung, die auch mit den

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Gerstmannschen Schflderungeniibereinstimmt, bei unserem Falle wiederum ist eine elementare StSrung, aus der die gesamten Ausfallserscheinungen geniigend erkl/~rt werden kSnnten, nicht faBbar. Wenn wir nun aus dem bisher vorliegenden Material nach einer einheitlichen Grundlage des Syndroms suchen, so rechtfertigt unser Fall, bei dem wir eben eine zur Erkl/irung ausreichende elementare St6rung nicht zu erkennen verm5gen, den Versuch, von einer anderen Seite her die Konstanz des Syndroms einem Verst~ndnis zuzufiihren.

Bei diesem Versuche mSchten wir yon der Tatsaehe ausgehen, dab bei unserem Kranken eine Reihe von Leistungen gestSrt ist, deren Be- trieb die Hand als ein differenziertes Organ zur Voraussetzung bzw. zur Grundlage hat. Alle die hier geschilderten Funktionen (Schreiben, Zeichnen, Gnosie der Finger, Rechts-Linksorientierung) bauen sich auf die weitgetriebene Differenzierung der Hand auf. Wenn wir nun die Frage aufwerfen: Was ist yon dieser Differenzierung der Hand bzw. von den auf sie aufgebauten Leistungen in den hier in Retie stehenden Fallen geblieben, so miissen wir sagen, dab im Prinzip alles in Wegfall gekommen und die Hand zu einem primRiven Greiforgan herab- gesunken ist. Durch den Verlust der funktionellen Differenzierung steht die Hand unseres Patienten einigermaBen nahe der Hand eines Kindes, der Hand 6ines Allen, die sowohl in ihrer Beziehung zum GesamtkSrper wie auch in ihrer feineren inneren Differenzierung noch nicht den Ausbau erfahren hat, der im menschlichen Entwicldungsgang physiologischerweise erreicht wird.

Durchaus verst/~ndlich wird bei einer solchen Entdifferenzierung, dab die feineren Fingerbewegungen fehlen und so einerseits die inner- vatorisch-apraktisehen St5rungen zum Vorschein kommen, von denen Herrmann und PStzls sprieht, daB andererseits eine Fingeragnesie im Sinne Gerstmanns in Erscheinung tritt. Es wird die Unterscheidung yon rechts und links an den Handen, auf die sieh die Rechts- und Linksorientierung am KSrper und im AuBenraum aufbaut, nieht vorhanden sein und schlieBlich werden naturgemal~ die komplizierten Leistungen des Zeichnens und des Sehreibens in Wegfall kommen. Es wird schlieBlich, worattf auch schon Gerstmann aufmerksam gemacht hat, bei der physiologiseh undifferenzierten Hand auch die Verwendung als Rechenhand fehlen.

Wir sind uns bei diesem Vergleich des Unterschiedes bewuBt, der zwischen einer noeh nicht differenzierten Hand bzw. ihrer noch nicht ausdifferenzierten Funktionssphare und einem Abbauvorgang besteht, wie er bei unserem Kranken vorliegt. Wir wollen mit dem Ver- gleiche auch nicht mehr sagen, als dab bei diesem Syndrom eine StSrung in jener Funktionssphare vorliegt, deren physiologisehe und psyehologisehe Entwicklung mit der Differenzierung der mensehliehen Hand in engster Verkniipfung steht.

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Die Art und Konstanz des Syndroms legt also die Annahme nahe, dab in einer mehr oder weniger umschriebenen Hirnstelle das Substrat zu suchen ist, in welcher sich die Funktionssph/~re der Hand bis zu den hSchsten Leistungen differenziert und eine einheitliche Zusammen- fassung erf~hrt. In diesem Zusammenhang erscheint es uns besonders bedeutungsvoll, dab in unserer Beobachtung,/~hnlich den Beobachtungen von Pierre.Marie und Foix, postoperativ zusammen mit dem Gerstmann- schen Syndrom anf/~nglich eine schwere, fast isolierte Parese von Hand und Fingern vorlag, obwohl die Armregion der vorderen Zentralwindung bzw. ihre Projektionsfasern durch den operativen Eingriff nicht betroffen wurden. (Nach der Lage des Operationsfeldes h/~tte man viel eher eine Zunahme der paretischen Erscheinungen an der unteren Extremit/it erwarten dfil~fen, die aber ausblieb.) Ffir die Auffassung, dab in der Parietalregion die Funktionssph/~re der Hand ihren Ausbau erf/ihrt, 1/~l~t sich weiterhin die Tatsaehe anfiihren, dab aueh von derselben Gegend aus apraktische StSrungen und zwar vornehmlich der H/~nde aufzutreten pflegen.

Wir haben also gleiehsam ein den hochausgebauten Leistungen der Hand zugeordnetes Bezugssystem vor uns, das sich bezeichnenderweise zwischen .der centroparietalen Region tier Ffihlsph/~re des KSrpers einerseits und den optischen Aufnahmefeldern andererseits einschiebt.

Eine engere Lokalisation im Parietale anzugeben, deren Sch/~digung mit Sicherheit das von Gerstmann besehriebene Syndrom in Erscheinung treten 1/~l]t, ist, wie wir glauben, in Anbetracht des relativ geringen Materials noeh verfriiht. Zudem sind die verwendbaren pathologiseh- anatomischen Befunde im einzelnen nicht fibereinstimmend und auch nicht eindeutig verwertbar. In unserem Falle war der Sitz der Geschwulst knapp an der Mantelkante, wahrscheinlich in den mittleren Partien des linken Parietale. Im Falle Herrmann und PStzls war nach Annahme der beiden Autoren der l~bergang des Angularis in das Occipitale der Sitz des Tumors. Da in dem einen wie im anderen Falle die Druckwirkungen nicht abgesch/~tzt werden kSnnen, verm5gen die beiden F/~lle fiber die engere Lokalisation der maBgebenden Region nichts Entscheidendes auszusagen. Der Fall einer Erweichung, der von Lange mitgeteilt wurde, hat eine verh/~ltnism/~Big groBe Ausdehnung und wfirde mehr auf die unteren Partien des Parietale hinweisen. Der Fall Ehrenwalds ist wegen seiner groBen Ausdehnung fiir eine genauere Lokalisation kaum ver- wertbar. Bei den zwei F/~llen von Tumoren des Parietale, die Gerstmann in seiner letzten Zusammenstellung erw/~hnt, fehlt schlieBlich eine genauere Angabe der Lokalisation. Wir sehen also, dab die sp/~rlichen autoptischen Befunde noch nicht genfigen, um eine sichere Lokalisation innerhalb des Parietallappens aufzustellen.

Wir m/issen uns nun noch mit den Erscheinungen befassen, die unser Kranke nach der Entfernung des Tumors bot. Die Ausfallserseheinungen

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hatten wesentlick zugenommen und es sind St6rungen hinzugetreten, die vor der Operation an dem Patienten nieht beobacktet werden konnten. Es ist aus den frfikeren Ausffikrungen genfigend deutlich, daG die einzelnen Ausf~tlle vielfach yon so verschiedenem Charakter sind, daG der Versuch, sie unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt zusammenzubringen, vergeblich sein wiirde. Wir erleicktern uns den l~berblick, wenn wir zun~chst jene St6rungen kerausheben, die nur eine Versch~rfung des schon vor der Operation vorhandenen Syndroms darstellen. Der Gesamtsymptomenkomplex, wie er schon vor dem Ein- griff bestanden hatte, war nachker fast in jeder seiner EinzelstSrungen in verst~rkter Form wieder zu linden. War die Fingeragnosie, die Rechts- LinksstSrung vorher nur bei komplizierten Auftr~gen festzustellen, so kam Patient jetzt schon bei den einfacksten diesbezfiglichen Aufforde- rungen in Verwirrung. In demselben MaGe katten sich auck die StSrungen des Schreibens verst~rkt. I)er Qualit~t nach waren dieselben Schwierig- keiten anzutreffen, wie sie vor der Operation bestanden katten. Er kam sichtlick nieht auf die einzelnen Buchstaben, nicht anders als es frfiher geschildert wurde. Die noch viel schleckteren Endresultate kSnnen aber sckon nieht mehr auf eine ,,reine" Agrapkie zurfickgeffihrt werden. Abgeseken davon, daG der Kranke die rechte Hand nicht gebrauchen konnte, was bei den schon erschwerten Vorbedingungen sicherlich die Leistungen noch weiter zu verschlechtern imstande war, mug noch mit dem EinfluB der aphasiscken St6rungen auf die Sckreibleistungen ge- rechnet werden. Sonst sind aber irgendwelche Besonderheiten in den sehriftlichen Fehlleistungen nicht kinzugekommen. So k6nnen wir ffir diese mit unseren SckluGfolgerungen auch jetzt nicht weitergehen, als bereits bei der frfiheren Besprechung angeftihrt wurde. Insbesondere liegb auck jetzt kein genfigender Ankaltspunkt ffir die Annahme einer stSrenden r~umlichen Komponente vor.

Ein ganz massiver Ausfall hat sick aus der frfiher nur andeutungs- weise vorhandenen ReehenstSrung gebildet. W~hrend vor der Operation die Resultate beim Rechnen vorwiegend nur bei grSGeren schriftlichen Aufgaben in der Weise mangelhaft wurden, dab der Patient die ausge- rechnete Zahl fehlerhaft sekrieb, Zahlen umstellte, kann er jetzt die allereinfacksten Reckenaufgaben nickt mehr 15sen. Vor allem ist der Begriff, die Bedeutung der einzelnen Zahl nieht mehr mit dieser Distinkt- heir vorhanden wie vordem; das ist insbesondere daran zu erkennen, daG Patient h~ufig bei der Nennung einer bestimmten Zahl sicktlich erst l~tngere Zeit fiberlegen muG, sick nicht sofort der Zahl als Bedeutung, als bestimmtes Symbol erinnert. Geht er naeh dieser Vorbereitung an die Aufgabe heran, so gelingt ihm in vielen F~llen auch die richtige L6sung. Besonders deutlick kommt das beim Markieren der Zahl an der Hand zum Ausdruck, wenn er erst mehrmals die Zahl wiederholt, offenbar um sick erst fiber die Zahl ins klare zu kommen und dann auch

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schjieBlich die gestellte Aufgabe richtig 16st. Es ist also sicherlich das, was im allgemeinen als Zahlenbegriff bezeichnet wird, nur verschwommen vorhanden, zumindest hebt sich die eirmelne Zahl nicht sofort als eine bestimmte Einheit fiir ihn heraus. Wie sehr die Zahl fiir ihn unsicher ist, zeigt sich noch in einer Reihe anderer Aufgaben. So ist die Einpr~gung selbst schon ffir einzelne zwei- und dreistellige Zab.len sehr hochgradig erschwert unde s gelingt fast fiberhaupt nicht, 2--3 solcher Zahlen fest- zuhalten. Die mangelhafte Orientierung der Zahlen in der Zahlenreihe, ihre mangelhafte Einreihung kommt zum Ausdruck, wenn wir bei einer schriftlich exponierten Zahlenreihe, die der GrSBe nach geordnet ist, eine bestimmte genannte Zahl yon dem Patienten herausgreifen lassen. DaB er hier bei mehrstelligen Zatden in hohem MaBe versagt, liegt wohl zum groBen Teile daran, daB ibm sichtlich der Zahlenwert der einzelnen Zahlen nicht geliiufig ist und damit die Sicherheit verloren geht, die notwendigen Beziehungen bei einer Reihe von Zahlen zu schaffen. Der Verlust der GrSBenordnung zeigt sich, wenn wir dem Patienten die Zahlen- reihe rfickw~rts oder die geraden und ungeraden Zahlen attfz~hlen lassen. Er ist auBerstande, diese Aufgabe zu 15sen w~hrend noch das gewShnliche reihenm~Bige Aufsagen der Zab_lenreihe ohne Erschwerung vor sich geht. Alles das weist zusammen mit seinen schriftlichen Fehlleistungen darauf hin, dab der Zahlenbegriff verschwommen und unsicher, dab die Zahl fiir ihn keine bestimmte sicher abgrenzbare GrSBe ist, und dab die Einordaung der Zahl in die Zahlenreihe nicht mehr mit der ent- sprechenden Pr~gnanz gegeben werden kann, daB ihm die GrSBen- beziehungen der Zahlen untereinander vielfach nur unklar zur Verffigung stehen.

Nichtsdestoweniger mSchten wir diese immerhin recht erhebliche StSrung des Zahlenbegriffes nicht als die alleinige Grundlage seiner RechenstSrung ansehen, wenn auch damit allein seine Schwierigkeiten beim Rechenakte verst~ndlich gemacht werden kSnnten. Denn auch dann, wenn er die Zahl vollparat zu haben scheint, was man aus Zwischen- fragen ersehert kann, ist er bei dem mit ihnen vorzunehmenden Rechen- operationen vollkommen hilflos; er kann z. B. die Zahl 2 und 3 in jeder von ibm verlangten Form markieren, ebenso die Zahl 5, er ist aber vollkommen auBerstande, die Summe dieser beiden erstgenannten Zahlen auszurechnen. Das l~Bt sich schon schwerer mit der Unklarheit seiner Zahlenvorstellungen erldi~ren. Man kann aber an den Zahlenbegriff noch grSBere Anforderungen stellen, etwa in der Art, dab man ihn nut dann als vollkommen ansieht, ~hnlich wie Sittig es angenommen hat, wenn auch die in der Zahl steckende Gliederung beherrscht wird. Ffir den nicht mechanischen und ged~chtnism~Bigen Rechenakt kSnnte man noch welter gehen und bezogen auf das hier gegebene Beispiel kSnnte man sich denken, dab die Rechenoperation nur dann mit roller Sicherheit vor sich gehen kann, wenn auch die Gliederung der an die Zahl 5

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anschlieBenden Zahlen gegenw~rtig ist; es mfiBte 3 + 3 als Unterschied yon 2 + 3 usw. gegeben sein. Abet selbst dann, wenn wir den Zahlen- begriff sehr welt ziehen, lassen sich die Schwierigkeiten des Patienten nicht allein auf seinen mangelhaften Zahlenbegriff zurfickffihren. Das kommt vor allem in seinem Verhalten an der Rechenmaschine zum Ausdruck; auch dann, wenn er sichtlich den Begriff der in der Aufgabe enthaltenen Zahlen hat, ist es ihm nicht mSglich, die verlangte Aufgabe durchzuffihren, und es ist unverkennbar, dab die Schwierigkeit nicht damit beginnt, dab er an den ZaMen unsicher wird, sondern er weiB sichtlich nicht, wie er es fiberhaupt anfangen soll, um einen L6sungsweg f fir die Aufgabe zu finden. Sein ganzes Vorgehen ist in hohem Ma~e unzweckms und von einer gewissen Ratlosigkeit der Situation gegen- fiber beherrscht. So schiebt er, bei der Aufgabe 7 und 5 auszurechnen, nicht etwa erst 7 und dann 5 Kugeln beiseite, um sie dann abzuz~hlen, sondern verschiebt beliebig viel Kugeln sichtlich ganz ratlos bin und her, hantiert eine Zeit lang in dieser Weise herum, bis er schlieBlich die L6sung aufgeben muB. Dabei ist ibm die Art der Rechenoperation, wenn es sich wie bier an der Rechenmaschine um Additionen handelt, vollkommen klar. Abet er findet scheinbar den Weg nicht, die Art und Weise nicht, auf die er zum Ziele gelangen kSnnte. Mit Selz wiirden wir sagen, dab dem Patienten das zur L6sung notwendige antizipierende Komplexschema gefehlt hat oder dab ihm dieses ,,Etwas" (das ,,Aha"- Erlebnis) nScht kommer~ wollte, das bei nicht mechanisierten Aufgaben in uns auftaucht und mit dem dann der Fortgang der Aufgabe gewi~hr- leistet, die einzuschlagende Richtung gegeben ist. Es bedeutet aber schon ein grobes Versagen, da] derartige sonst so mechanisierte Aufgaben zu einer solcken wird, fiir die er erst die Mittel zur LSsung suchen mul~ (Mittelaktualisierung Selz). Damit allein kennzeichnet sich scllon eine abnorme Verhaltungsweise. Ffir ihn wird das zum Problem, was ffir den Normalen reihenms ged~chtnism~Big abl~uft, was sonst gar keiner besonderen L6sungsmittel bedarf. Jkhnliches l~Bt sich vermuten, wenn wit den Patienten vor eine schriftliche Multiplikation oder Division stellen, auch hier scheint mir die Ratlosigkeit des Patienten nicht so sehr auf ein Fehlen des Begriffes der betreffenden Rechenoperation zurfickzugehen, als vielmehr auf die UnmSglichkeit, die Aufgabe in die richtigen Wege zu leiten. Eine Leistung, die sonst keiner intellektuellen Arbeit bedarf, wird bei ihm zum intellektuellen Problem; jede derartige Aufgabe wird ffir den Patienten immer wieder zu etwas Neuem und Erstmaligem. Das Vorausgesetzte, mit dem sonst als mit etwas Selbst- verst~ndiichem operiert wird, wird bei unserem Patienten zum Mittel- punkt, zum Kernpunkt und ger~t in Problemstellung. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen handelt es sieh um eine Verschiebung seiner intellektuellenAngriffspunkte. DaB aber diese Verschiebung stattfindet, ist darauf zurfickzuffihren, dab seine intellektuellen F~higkeiten unzureichend

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geworden sind, da6 er auf dem Wege zur Aufgabel6sung an unerwarteter Stelle Hindernissen begegnet.

Es wiirde an uns nun die Frage herantreten, ob die bier beschriebene RechenstSrung, die wohl als eine prim/~re RechenstSrung im Sinne Bergers anzusehen w/~re, der Ausdruck eines allgemeinen intellektuellen Defektes ist. Diese Frage wurde yon den verschiedensten Autoren diskutiert (Lewandowski, Berger, Henschen usw.). In unserem Falle lassen sich sicherlich Beziehungen zu anderen StSrungen im intellektuellen Ablauf herstellen. Wir sehen, dal~ der Patient vor allem auch sonst versagt, wenn yon ihm begriffliche Aufgaben verlangt werden, sei es, da6 er fibergeordnete Begriffe bilden, Begriffe unterteilen, Definitionen geben soil, das Wesentliehe einer Erz~hlung wiederzugeben hat, Schlfisse ziehen soll oder eine abstrakte Situation aufkl~ren mu6. Man hat bei allen diesen Aufgaben, ganz ~hnlieh wie bei seinen Rechenoperationen, den Eindruck, da$ er nicht darauf kommt, wo er bei der gestellten Aufgabe ansetzen soil. Seia Denken ist irgendwie ziellos, es gelingt ihm nicht zu einem Ziele fortzuschreiten. Er ger/tt leicht in eine schlechte fehlerhafte Richtung, da eine planm~6ige Durehffihrung, determinierende Tendenzen fehlen. Das ist im allgemeinen bei allen Aufgaben der Fall, die abstraktive gedankliche T/~tigkeit verlangen. Dazu im Gegensatz stehen nun seine Reaktionen, werm er nach Gegebenheiten aus seinem Leben gefragt wird, wenn er seine eigene Situation zu beurteilen hat oder wenn fiberhaupt ein Urtefl verlangt wird fiber das, was sich im Rahmen seines Alltagslebens abspielt. Hier entwickelt er .einen voll- kommenen gesunden Mensehenverstand, ein gutes und entspreehendes Urteflsverm6gen. Gewi6 liegt bei unserem Patienten ein Intelligenz- defekt vor. Da$ abet dieser Defekt, wiewohl er sehr erheblich ist, keines- wegs das Bild einer Demenz im gebr~tuchlichen kliaischen Sinne bietet, das zeigt sehon seine erhal tene Pers6nlichkeit, sein verst/~ndiges der jewefligen konkreten Situation angepai~tes Gehaben, sein einsichtiges Verhalten. Er verh~lt sich in vieler Beziehung ~hnlich den yon Goldstein analysierten Hirnverletzten. Im Gegensatz zu diesen mfissen wit aber bei unserem Patienten unterstreichen, da6 es sich bei ihm nicht um eine allgemeine Niveausenkung handelt; in einer Beziehung seines intellektuellen Lebens ffillt er roll seine frfihere PersSnlichkeit aus, w~hrend er in anderer wieder weir hinter seinen frfiheren intellektuellen Leistungen zurfickbleibt. Ffigen wit noch hinzu, da6 alle seine Kennt- nisse, die er sich in der Schule erworben hat, sehr bedeutende Liieken aufweisen und da6 diese selbst auf die Anwendung der ei~achsten Symbolik fibergehen, so vervollst/~ndigt sieh das Bild und wir kSnnen yon da aus betrachtet den Defekt als einen Ausfall seiner abstraktiven Leistungen, jener Leistungen ansehen, die irgendwie einen erworbenen und erlernten Denkvorgang voraussetzen. Dabei ist es ganz gleichgfiltig, ob es sich um reine Ged/~ehtnisleistungen handelt, oder um einen formalen

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logischen Unterbau. Dazu im Gegensatz ist alles das, was sich auf Lebens- erfahrung grfindet, erhalten. Er verh/ilt sich also in einer Beziehung ganz wie ein Mann, der seine Lebenserfahrung zu verwerten imstande ist, in der anderen, wie ein Kind, dem die einfachsten, logischen Hilfs- mittel ffir die I)enkoperationen noch nicht zur Verffigung stehen. Darin geht die StSrung fiber eine rein abstraktive hinaus und greift tier in den gesamten formalen Denkakt ein.

Fassen wir nun die Ergebnisse zusammen, so ergibt sich f fir die Zeit vor der Operation, dal~ die einzelnen Defekte sieh um den Funktions- bereich der Hand bzw. der Finger gruppierten. Wir entwickelten die Vorstellung einer parietal zentrierten Funktionssph/~re, die den Leistungen der hochdifferenzierten menschlichen Hand zugeordnet ist, eines Bezugs- systems, dessen Sch/~digung zu einer Entdifferenzierung der Hand bis zum einfaehen Greiforgan, ja bis zur vSlligen Aussehaltung aus dem Funktionsbetrieb, sogar aus dem KSrperschema ffihren kann.

Die nach der Operation aufgetretenen StSrungen im Zahlenver- st/~ndnis lassen sich sicherlich noch zum Tefl in den so abgegrenzten Rahmen einffigen. Die feinere Analyse der postoperativen Erscheinungen lehrte aber, dab dazu noch Ausfallserseheinungen kommen, die im weiteren Sinne als intellektuelle StSrungen bezeichnet werden kSnnen; sie lieBen sich, yon einem allgemeinen psyehologischen Gesichtspunkt betrachtet, als Ausdruck eines bestimmten Abbauprinzips erkl/~ren. Es bestehen sicherlich reeht viel Beziehungen zu dem, was Woerkom im Falle eines Frontaltumors als StSrung des AufgabebewuBtseins charakterisiert und auf die Sch/idigung des Frontale bezogen hat. Man kSnnte nun die intellektuellen Ausfallserseheinungen, die, wie in unserem Falle, im Ansehlusse an eine Parietalsch/~digung auftraten, mit den entsprechenden bei Frontall/isionen in Parallele bringen, wie es ja auch schon bei anderen Erscheinungen ffir diese beiden Gehirnregionen versucht wurde. Es lassen sich aber auch/ihnliche Beziehungen herstellen zu den Ausfallserscheinungen der Gehirngesch/idigten, wie sie von Goldstein, Poppelreuter, Isserlin u. a. beschrieben wurden; so glauben wir, diese allgemeineren St5rungen in unserem Falle mit ebensoviel Berechti- gung als den Ausdruck einer allgemeinen Hirnsch/~digung ansehen zu dfirfen.