Zur Haftung des Krankenhauses beim Sturz eines Patienten aus dem Rollstuhl

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182 MedR 2006, Heft 3 Rechtsprechung Internisten einem vom zugezogenen Urologen geäußerten Verdacht, eine Blasenentleerungsstörung beruhe auf einer neurogenen Erkrankung, zwar zunächst nachgegangen und hatten einen Neurologen eingeschaltet. Nachdem dieser eine zerebrale Störung ausgeschlossen hatte, nahmen die Internisten aber hin, dass die Ursache der Störung unge- klärt blieb. Im vorliegenden Fall hatten die Bekl. zu 2) bis 5) keinerlei Hinweise auf eine Störung der Augenent- wicklung bei der Kl. Sie konnten den Konsilscheinen der Bekl. zu 6) zwar entnehmen, dass diese infolge zu enger Pupillen nur eine eingeschränkte Sicht hatte, mussten sich aber hierüber keine weiteren Gedanken machen. Sie hatten nicht die Aufgabe, die Bekl. zu 6) darauf hin zu kontrollie- ren, ob diese zur rechten Zeit ausreichend gründlich tätig wurde. Ohne besondere Hinweise auf Sorgfaltspflichtverlet- zungen der Bekl. zu 6) durften sie darauf vertrauen, dass diese ihre Aufgabe gewissenhaft erfüllte und dass deswe- gen der Umstand, dass die Sicht auf den Augenhintergrund nur eingeschränkt möglich war, keine besondere Bedeutung hatte. Die Klinikärzte durften darauf vertrauen, dass die er- forderlichen augenärztlichen Befunde von der Bekl. zu 6) entweder selbst erhoben werden oder dass diese nötigen- falls andere Ärzte hinzuzieht. Im Hinblick auf das eventuell noch verbleibende Restrisiko durften sie darauf vertrauen, das Erforderliche mit der unabhängig von der Tätigkeit der Bekl. zu 6) geplanten Vorstellung der Kl. in R. getan zu haben. (Eingesandt von den Mitarbeitern des 5. Zivilsenats des OLG Nürnberg; bearbeitet von Prof. Dr. iur. Bernd-Rüdiger Kern, Juristenfakultät, Burgstraße 27, D-04109 Leipzig) DOI: 10.1007/s00350-006-1630-x Zur Haftung des Krankenhauses beim Sturz eines Patienten aus dem Rollstuhl BGB §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 847 Abs. 1; positive Forderungsverletzung des Behandlungsvertrages i. V. mit § 278 BGB; RVO § 539 Abs. 1 Nr. 17a 1. Es ist Sache des Krankenhausträgers, darzulegen und nachzuweisen, dass der Sturz aus einem Rollstuhl nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Pflege- kräfte beruht, weil es auch hinsichtlich der Frage der Geeignetheit eines solchen Gerätes für die Unterbindung von selbständigen Gehversuchen eines Patienten um Ri- siken aus dem Krankenhausbetrieb geht, die von dem Träger der Klinik und dem dort tätigen Personal voll beherrscht werden können. 2. Soweit der Krankenhausträger auf Antrag des Pfle- gepersonals nicht kurzfristig in der Lage ist, eine Sitz- wache zur Vermeidung einer akuten Gefährdung des Patienten zur Verfügung zu stellen, handelt es sich um ein Organisationsverschulden, für das er nach § 823 BGB haftet. 3. Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast so- wohl hinsichtlich der objektiven Pflichtverletzung als auch des Verschuldens, indem er vorträgt, dass er im Gefahrenbereich des Schädigers aus dem Rollstuhl ge- stürzt sei. Er muss nicht nachweisen, dass der Unfall auf einem Verschulden des Pflegepersonals oder einem Or- ganisationsverschulden des Krankenhausträgers beruht. Vielmehr hat der Schädiger sich insoweit zu entlasten. (Leitsätze der Bearbeiter) KG, Urt. v. 20. 1. 2005 – 20 U 401/01 (LG Berlin) Problemstellung: Der im Urt. des KG angespro- chene Grundsatz der Beweislastumkehr in Fällen des voll beherrschbaren Risikos ist mittlerweile in der Rechtspre- chung des BGH und der Oberlandesgerichte in zahlrei- chen Fallkonstellationen in Spruchpraxis umgesetzt wor- den. Grundsätzlich hat der Patient zwar zu beweisen, daß das pflichtwidrige Verhalten des Arztes den Schaden verursacht hat. Die Vorgänge im lebenden Organismus können auch vom besten Arzt nicht immer so beherrscht werden, daß schon der ausbleibende Erfolg oder auch ein Fehlschlag auf ein Verschulden bei der Behandlung hin- deuten würde. Gerade wegen der Eigengesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Or- ganismus kann ein Fehlschlag oder Zwischenfall nicht allgemein ein Fehlverhalten oder Verschulden des Arz- tes indizieren (so schon RGZ 78, 432, 435; 165, 336, 338/339; BGH, Urt. v. 15. 3. 1977 – VI ZR 201/75 –, NJW 1977, 1102-1103; BGH, Urt. v. 18. 12. 1990 – VI ZR 169/90 –, MedR 1991, 139). Anderes gilt aber dann, wenn es nicht um diesen nur begrenzt steuerbaren Kernbereich ärztlichen Handelns, sondern um Risiken vor allem aus dem Krankenhausbetrieb geht, die von dem Träger der Klinik und dem dort tätigen Personal voll be- herrscht werden können. So liegen die Dinge z. B. in Be- zug auf die Organisation und Koordination des Behand- lungsgeschehens, insbesondere im pflegerischen Bereich und bezüglich des Zustandes der für die Behandlung be- nötigten Geräte und Materialien. Deshalb hat der BGH zum Beispiel in der Vergangenheit dem Krankenhaus- träger und seinen Ärzten die Beweislast für die Gewähr einwandfreier Voraussetzungen für eine sachgemäße und gefahrlose Behandlung zugewiesen, wenn es etwa um folgende Fragen ging: BGH, Urt. v. 18. 12. 1990 – VI ZR 169/90 –, MedR 1991, 139-140 (unzureichende Bewegungs- und Transportmaßnahme der betreuenden Krankenschwester); BGH, Urt. v. 25. 6. 1991 – VI ZR 320/90 –, MedR 1992, 103-104 (Duschstuhl mit Kipp- gefahr); BGH, Urt. v. 27. 1. 1981 – VI ZR 138/79 –, ZfS 1981, 196-196 (Zurückbleiben eines Tupfers im Operati- onsgebiet); BGH, Urt. v. 24. 1. 1984 – VI ZR 203/82 –, NJW 1984, 1403-1405 (Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch); BGH, Urt. v. 24. 6. 1975 – VI ZR 72/74 –, NJW 1975, 2245-2246 (kein ordnungsgemä- ßer Zustand eines verwendeten Tubus); BGH, Urt. v. 11. 10. 1977 – VI ZR 110/75 –, NJW 1978, 584-585 (Funktionstüchtigkeit des eingesetzten Narkosegerätes). Kommt ein Patient oder auch ein Pflegeheimbewoh- ner in einer solchen Situation des voll beherrschbaren Risikos zu Schaden, wäre es unbillig, ihn in seiner prak- tisch nicht behebbaren Beweisnot zu belassen. In solchen Fällen muß das Krankenhaus bzw. die Pflegeeinrichtung sowohl hinsichtlich der Organisation als auch der Anlei- tung und Überwachung des Personals dartun und bewei- sen, daß der Vorfall nicht auf einem Fehlverhalten beruht. Zugunsten des geschädigten Patienten wird widerlegbar vermutet, dass das Verhalten des Pflegepersonals pflicht- widrig und ursächlich für den Sturz war. Diese leider viel zu wenig bekannte Beweiserleichterungsfigur des voll be- herrschbaren Risikos findet regelmäßig Anwendung bei der Geltendmachung von Organisationsfehlern aufgrund von Personalmangel im Krankenhaus- sowie im Pflege- heimbereich (vgl. auch Gerda Müller, NJW 1997, 3049). Das KG übernimmt diese Rechtsprechung in begrü- ßenswerter Deutlichkeit für den Sturz aus einem Roll- stuhl in einer Klinik. Zum Sachverhalt: Die vorgeschädigte Kl. sollte aus einem Kran- kenhaus in eine Rehabilitationsklinik verlegt werden. In der Nacht zuvor konnte sie nicht schlafen und war sehr unruhig. Sie wollte im- mer wieder über das Bettgitter steigen. Der Frühdienst setzte sie in einen Rollstuhl und band sie mit einem Bauchtuch an. Man ließ sie längere Zeit im Rollstuhl auf dem Krankenhausflur vor dem leeren Schwesterndienstzimmer ohne Betreuungsperson stehen. Die Fußstüt-

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Internisten einem vom zugezogenen Urologen geäußertenVerdacht, eine Blasenentleerungsstörung beruhe auf einerneurogenen Erkrankung, zwar zunächst nachgegangen undhatten einen Neurologen eingeschaltet. Nachdem diesereine zerebrale Störung ausgeschlossen hatte, nahmen dieInternisten aber hin, dass die Ursache der Störung unge-klärt blieb. Im vorliegenden Fall hatten die Bekl. zu 2)bis 5) keinerlei Hinweise auf eine Störung der Augenent-wicklung bei der Kl. Sie konnten den Konsilscheinen derBekl. zu 6) zwar entnehmen, dass diese infolge zu engerPupillen nur eine eingeschränkte Sicht hatte, mussten sichaber hierüber keine weiteren Gedanken machen. Sie hattennicht die Aufgabe, die Bekl. zu 6) darauf hin zu kontrollie-ren, ob diese zur rechten Zeit ausreichend gründlich tätigwurde. Ohne besondere Hinweise auf Sorgfaltspflichtverlet-zungen der Bekl. zu 6) durften sie darauf vertrauen, dassdiese ihre Aufgabe gewissenhaft erfüllte und dass deswe-gen der Umstand, dass die Sicht auf den Augenhintergrundnur eingeschränkt möglich war, keine besondere Bedeutunghatte. Die Klinikärzte durften darauf vertrauen, dass die er-forderlichen augenärztlichen Befunde von der Bekl. zu 6)entweder selbst erhoben werden oder dass diese nötigen-falls andere Ärzte hinzuzieht. Im Hinblick auf das eventuellnoch verbleibende Restrisiko durften sie darauf vertrauen,das Erforderliche mit der unabhängig von der Tätigkeit derBekl. zu 6) geplanten Vorstellung der Kl. in R. getan zuhaben.

(Eingesandt von den Mitarbeiterndes 5. Zivilsenats des OLG Nürnberg;bearbeitet von Prof. Dr. iur. Bernd-Rüdiger Kern,Juristenfakultät, Burgstraße 27, D-04109 Leipzig)

DOI: 10.1007/s00350-006-1630-x

Zur Haftung des Krankenhauses beim Sturzeines Patienten aus dem RollstuhlBGB §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 847 Abs. 1; positiveForderungsverletzung des Behandlungsvertrages i. V. mit§ 278 BGB; RVO § 539 Abs. 1 Nr. 17a

1. Es ist Sache des Krankenhausträgers, darzulegenund nachzuweisen, dass der Sturz aus einem Rollstuhlnicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Pflege-kräfte beruht, weil es auch hinsichtlich der Frage derGeeignetheit eines solchen Gerätes für die Unterbindungvon selbständigen Gehversuchen eines Patienten um Ri-siken aus dem Krankenhausbetrieb geht, die von demTräger der Klinik und dem dort tätigen Personal vollbeherrscht werden können.

2. Soweit der Krankenhausträger auf Antrag des Pfle-gepersonals nicht kurzfristig in der Lage ist, eine Sitz-wache zur Vermeidung einer akuten Gefährdung desPatienten zur Verfügung zu stellen, handelt es sich umein Organisationsverschulden, für das er nach § 823 BGBhaftet.

3. Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast so-wohl hinsichtlich der objektiven Pflichtverletzung alsauch des Verschuldens, indem er vorträgt, dass er imGefahrenbereich des Schädigers aus dem Rollstuhl ge-stürzt sei. Er muss nicht nachweisen, dass der Unfall aufeinem Verschulden des Pflegepersonals oder einem Or-ganisationsverschulden des Krankenhausträgers beruht.Vielmehr hat der Schädiger sich insoweit zu entlasten.(Leitsätze der Bearbeiter)KG, Urt. v. 20. 1. 2005 – 20 U 401/01 (LG Berlin)

Problemstellung: Der im Urt. des KG angespro-chene Grundsatz der Beweislastumkehr in Fällen des vollbeherrschbaren Risikos ist mittlerweile in der Rechtspre-

chung des BGH und der Oberlandesgerichte in zahlrei-chen Fallkonstellationen in Spruchpraxis umgesetzt wor-den. Grundsätzlich hat der Patient zwar zu beweisen,daß das pflichtwidrige Verhalten des Arztes den Schadenverursacht hat. Die Vorgänge im lebenden Organismuskönnen auch vom besten Arzt nicht immer so beherrschtwerden, daß schon der ausbleibende Erfolg oder auch einFehlschlag auf ein Verschulden bei der Behandlung hin-deuten würde. Gerade wegen der Eigengesetzlichkeit undweitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Or-ganismus kann ein Fehlschlag oder Zwischenfall nichtallgemein ein Fehlverhalten oder Verschulden des Arz-tes indizieren (so schon RGZ 78, 432, 435; 165, 336,338/339; BGH, Urt. v. 15. 3. 1977 – VI ZR 201/75 –,NJW 1977, 1102-1103; BGH, Urt. v. 18. 12. 1990 –VI ZR 169/90 –, MedR 1991, 139). Anderes gilt aberdann, wenn es nicht um diesen nur begrenzt steuerbarenKernbereich ärztlichen Handelns, sondern um Risikenvor allem aus dem Krankenhausbetrieb geht, die von demTräger der Klinik und dem dort tätigen Personal voll be-herrscht werden können. So liegen die Dinge z. B. in Be-zug auf die Organisation und Koordination des Behand-lungsgeschehens, insbesondere im pflegerischen Bereichund bezüglich des Zustandes der für die Behandlung be-nötigten Geräte und Materialien. Deshalb hat der BGHzum Beispiel in der Vergangenheit dem Krankenhaus-träger und seinen Ärzten die Beweislast für die Gewähreinwandfreier Voraussetzungen für eine sachgemäße undgefahrlose Behandlung zugewiesen, wenn es etwa umfolgende Fragen ging: BGH, Urt. v. 18. 12. 1990 – VIZR 169/90 –, MedR 1991, 139-140 (unzureichendeBewegungs- und Transportmaßnahme der betreuendenKrankenschwester); BGH, Urt. v. 25. 6. 1991 – VI ZR320/90 –, MedR 1992, 103-104 (Duschstuhl mit Kipp-gefahr); BGH, Urt. v. 27. 1. 1981 – VI ZR 138/79 –, ZfS1981, 196-196 (Zurückbleiben eines Tupfers im Operati-onsgebiet); BGH, Urt. v. 24. 1. 1984 – VI ZR 203/82 –,NJW 1984, 1403-1405 (Lagerung des Patienten auf demOperationstisch); BGH, Urt. v. 24. 6. 1975 – VI ZR72/74 –, NJW 1975, 2245-2246 (kein ordnungsgemä-ßer Zustand eines verwendeten Tubus); BGH, Urt. v.11. 10. 1977 – VI ZR 110/75 –, NJW 1978, 584-585(Funktionstüchtigkeit des eingesetzten Narkosegerätes).

Kommt ein Patient oder auch ein Pflegeheimbewoh-ner in einer solchen Situation des voll beherrschbarenRisikos zu Schaden, wäre es unbillig, ihn in seiner prak-tisch nicht behebbaren Beweisnot zu belassen. In solchenFällen muß das Krankenhaus bzw. die Pflegeeinrichtungsowohl hinsichtlich der Organisation als auch der Anlei-tung und Überwachung des Personals dartun und bewei-sen, daß der Vorfall nicht auf einem Fehlverhalten beruht.Zugunsten des geschädigten Patienten wird widerlegbarvermutet, dass das Verhalten des Pflegepersonals pflicht-widrig und ursächlich für den Sturz war. Diese leider vielzu wenig bekannte Beweiserleichterungsfigur des voll be-herrschbaren Risikos findet regelmäßig Anwendung beider Geltendmachung von Organisationsfehlern aufgrundvon Personalmangel im Krankenhaus- sowie im Pflege-heimbereich (vgl. auch Gerda Müller, NJW 1997, 3049).

Das KG übernimmt diese Rechtsprechung in begrü-ßenswerter Deutlichkeit für den Sturz aus einem Roll-stuhl in einer Klinik.

Zum Sachverhalt: Die vorgeschädigte Kl. sollte aus einem Kran-kenhaus in eine Rehabilitationsklinik verlegt werden. In der Nachtzuvor konnte sie nicht schlafen und war sehr unruhig. Sie wollte im-mer wieder über das Bettgitter steigen. Der Frühdienst setzte sie ineinen Rollstuhl und band sie mit einem Bauchtuch an. Man ließ sielängere Zeit im Rollstuhl auf dem Krankenhausflur vor dem leerenSchwesterndienstzimmer ohne Betreuungsperson stehen. Die Fußstüt-

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zen waren heruntergeklappt, die Bremsen eingestellt und technischeMängel nicht erkennbar. Die Träger bzw. Standleiste der Fußstützendienten als Kippschutz. Als die Kl. aufstehen wollte, fiel sie mit demRollstuhl um und verletzte sich am Kopf. Es kam zu einer schwerenGehirnblutung. Die beklagte Klinik trägt vor, der Sturz mit einemzum Klinikinventar gehörenden Rollstuhl sei ein Unfall durch einedem Krankenhaus eigentümliche Gefahrenquelle. Die Entscheidung,die Kl. vorübergehend in einem Rollstuhl mit umgelegtem Bauchtuchauf dem Flur stehen zu lassen, entstamme nicht dem genuinen Gebietärztlicher und pflegerischer Berufstätigkeit. Die Benutzung eines Roll-stuhls unterliege nicht der Verrichtungssicherheit des Pflegepersonals.

Aus den Gründen: 1. Der Kl. steht der geltend ge-machte Schmerzensgeldanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 831Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB in Höhe von 50.000,00 € zu.

Zu Unrecht meint das LG, dass ein pflichtwidriges Ver-halten des Pflegepersonals, das wegen seiner Stellung alsErfüllungs- und Verrichtungsgehilfen des Bekl. auch diesemzuzurechnen wäre, nicht feststellbar ist.

Zwar ist den Ausführungen des gerichtlich bestelltenSachverständigen Prof. Dr. S. zu entnehmen, dass die Kl.in der Woche vor dem 6. 8. 1998 ,,rollstuhlfähig“ gewesenist und trotz bestehender Unruhezustände regelmäßig alleinauf Stühlen oder im Rollstuhl gesessen hat, ohne dass es zuirgendwelchen Komplikationen gekommen wäre. Die Kl.war jedoch in der Nacht zum 6. 8. 1998 verstärkt unru-hig und wollte immer wieder entgegen den Anordnungendes Pflegepersonals das Bett verlassen, wobei sie sogar ver-suchte, über das Bettgitter zu klettern. Das Pflegepersonalhalf der Kl. dann beim Waschen und Anziehen und stelltesie mit einem Bauchtuch in dem Rollstuhl angebundenvor die Stationskanzel, wo sie auf den Transport in dieReha-Klinik warten sollte. Der Sachverständige Prof. Dr.S. folgert aus diesen Maßnahmen des Pflegepersonals, dassvon den Pflegekräften eine besondere Gefährdung der Kl.vor dem Unfallereignis gesehen wurde und ihr durch dasAnlegen des Bauchtuchs das selbstständige, sie selbst gefähr-dende Aufstehen erschwert werden sollte. Nach seiner Be-urteilung hat das Pflegepersonal die Verfassung der Kl. unddamit ihre besondere Gefährdung richtig eingeschätzt. So-weit der Sachverständige jedoch ausführt, das Pflegepersonalhabe sich mit der gebührenden Sorgfalt für die getroffenenSicherungsmaßnahmen entschieden, kann dem nicht gefolgtwerden, weil eine solche Feststellung voraussetzt, dass derverwendete Rollstuhl zur Sicherung einer unruhigen Pa-tientin mit einem Bauchtuch technisch geeignet ist. Einesolche Prüfung hat der Sachverständige nicht vorgenom-men. Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat dazu in seinemfür das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren erstat-teten Gutachten v. 29. 2. 2000 ausgeführt, dass dafür ge-sorgt werden muss, dass der Patient bei bestehender Unruheaus der sitzenden Position nicht herausfallen kann. Insofernmüsse dafür gesorgt werden, dass die entsprechende Sitz-gelegenheit, ggfs. bei zusätzlicher fachgerechter Fixierung,standfest und umstürzsicher ist. Nach der Rechtsprechungdes BGH (BGH, Urt. v. 18. 12. 1990 – VI ZR 169/90 –,NJW 1991, 1540 [= MedR 1991, 139-140]; Urt. v. 25. 6.1991 – VI ZR 320/90 –, NJW 1991, 2960 [= MedR 1992,103-104]) muss in einer Klinik ein Sturz des Patienten beiBewegungs- und Transportmaßnahmen ausgeschlossen wer-den; diese Aufgabe ist Bestandteil des Behandlungsvertragesund damit Teil der Verpflichtung des Krankenhausträgerszu sachgerechter pflegerischer Betreuung. Sie obliegt demKrankenhausträger und dem Pflegepersonal auf Grund ih-rer Garantenstellung für die übernommene Behandlungs-aufgabe auch im Rahmen des Deliktsrechts. Dass es sichbei dem Setzen der Kl. in einen Rollstuhl um eine Trans-portmaßnahme gehandelt hat, kann wohl angesichts der be-vorstehenden Verlegung nicht ernsthaft bezweifelt werden,auch wenn die Kl. längere Zeit auf dem Flur wartete. DemVortrag der Kl., es habe sich um einen faltbaren Leicht-

gewichtsrollstuhl gehandelt, der für den hier ebenfalls ver-folgten Verwendungszweck – Verhinderung selbstständigenAufstehens der Kl. – nicht geeignet gewesen sei, kann derBekl. nicht mit einfachem Bestreiten entgegentreten, dennes handelt sich um einen Bereich, in dem allein der Bekl. diewesentlichen Tatsachen, wie Fabrikat, Bedienungsanleitungund zulässige Verwendungsmöglichkeiten, kennt (,,sekun-däre Behauptungslast“, Greger, in: Zöller: ZPO, 25. Aufl.,Vor § 284, Rdnr. 34 m. w. N.).

Es ist vielmehr auch Sache des Krankenhausträgers, dar-zulegen und nachzuweisen, dass der Vorfall nicht auf einempflichtwidrigen Verhalten der Pflegekräfte beruht, weil esauch hinsichtlich der Frage der Geeignetheit eines Roll-stuhls für die Unterbindung von selbstständigen Gehversu-chen eines Patienten um Risiken aus dem Krankenhaus-betrieb geht, die von dem Träger der Klinik und demdort tätigen Personal voll beherrscht werden können (BGH,a. a. O.). Der Bekl. hat jedoch nicht dargelegt, dass der fürdie Mobilisierung der Patienten vorgesehene Rollstuhl auchgeeignet ist, unter Verwendung eines ,,Bauchtuches“ eineunruhige Patientin gefahrlos am selbstständigen Aufstehenzu hindern. Aus der vorgelegten Bedienungsanleitung ergibtsich vielmehr, dass übermäßiges Beugen nach vorn und zuden Seiten zu vermeiden ist, da Kippgefahr bestehe. Zu-dem müssen beim Ein- und Aussteigen die Fußbretter nachoben geklappt und die Feststellbremse angezogen sein. Hierwaren jedoch die Fußstützen ausgeklappt, als die Kl. ver-suchte, aus dem Rollstuhl aufzustehen. Der Bekl. hat auchnicht dargelegt, dass die Feststellbremse angezogen war unddass die Kl. von den Pflegekräften auf die Kippgefahr hinge-wiesen worden ist. Soweit nicht ersichtlich ist, aus welchenGründen die Kl. mit dem Rollstuhl gestürzt ist, geht auchdies zu Lasten des Bekl.

Der Bekl. hat insoweit nur vorgetragen, dass er hilfsweiseeinräume, dass sich die Kl. um 7.45 Uhr plötzlich erhoben,extrem gestreckt, das Bauchtuch gedehnt, Übergewicht be-kommen habe und seitlich mit dem Rollstuhl gestürzt sei.Diese Darstellung des Geschehensablaufs ist nicht überzeu-gend, da nicht denkbar ist, dass sich die Kl. erst erhobenund dann gestreckt und dann das Bauchtuch gedehnt habensoll. Schon die Art des Bauchtuches und dessen Befestigungsind nicht dargelegt. Der Bekl. hat selbst mit seinem Be-weisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtensauf dem Gebiet des Medizinproduktwesens zu der Frage,,,auf welche Weise und auf Grund welcher Einwirkung derRollstuhl zum Kippen gebracht worden sei bzw. gebrachtwerden könne“, zu erkennen gegeben, dass ihm weder dieGründe noch der genaue Ablauf des Unfallgeschehens be-kannt sind. Ein Sachverständigengutachten kann sich dahernur auf Vermutungen und Hypothesen stützen, nicht jedochauf festgestellte Tatsachen.

Auch das Vorbringen des Bekl., es habe sich nicht umeinen Fall des voll beherrschbaren Gefahrenbereichs, für deneine Beweislastumkehr gelte, gehandelt, sondern um eineEntscheidung des Pflegepersonals, die dem genuinen Gebietärztlicher und pflegerischer Tätigkeit entstamme, führt nichtweiter.

Zwar mag die Entscheidung darüber, ob eine Patientin,,rollstuhlfähig“ ist, eine medizinische Frage betreffen. In-sofern hat das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. S.ergeben, dass das Klinikpersonal angesichts der gesundheitli-chen Situation der Kl. und der bisherigen Erfahrungen mitihr davon ausgehen durfte, dass die Kl. zur Mobilisierung ineinen Rollstuhl gesetzt werden durfte. Hier diente der Roll-stuhl jedoch nicht nur der Mobilisierung und dem Transportder Kl., sondern auch ihrer Ruhigstellung i. S. einer Verhin-derung von selbstständigen Gehversuchen. Ob der Rollstuhlfür diesen Zweck ebenfalls geeignet war, betrifft aber eineFrage der Gewähr einwandfreier Voraussetzungen für einesachgemäße und gefahrlose pflegerische Betreuung.

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Da nicht gleichzeitig eine Sitzwache abgestellt wurde, dieeiner erhöhten Gefahr des Umkippens des Rollstuhls ent-gegenwirken konnte, kann nicht festgestellt werden, dassden Anforderungen an die Sorgfaltspflichten, die dem Pfle-gepersonal in einem Krankenhaus gegenüber den Patientenobliegen, Genüge getan wurde. Dieser Beurteilung stehtauch nicht entgegen, dass der Rollstuhl zur Beaufsichtigungvor die Stationskanzel gestellt wurde, denn es ist nicht er-sichtlich, welche Dienstkräfte sich dort tatsächlich längereZeit aufhielten, welche Aufgaben sie wahrnahmen, wem dieBeobachtung der Kl. konkret oblag und ob ein Einschrei-ten bei heftigen Bewegungen oder einem Aufstehversuchrechtzeitig genug möglich gewesen wäre. Der Vortrag desBekl., dass die Kl. Tage zuvor bereits unbeanstandet in ei-nem Rollstuhl gesessen habe, führt ebenfalls nicht weiter,weil nicht ersichtlich ist, dass sie bei den Gelegenheitenzuvor so unruhig war, dass sie mit einem Bauchtuch fest-gebunden werden musste und daher an diese Maßnahmegewöhnt war und damit umzugehen wusste.

Auch dass andere Vorbeugungsmaßnahmen nach den Aus-führungen des Sachverständigen möglicherweise für die Kl.nachteilige Wirkungen gehabt hätten, kann keine andereBeurteilung rechtfertigen, weil auf jeden Fall die Anord-nung einer psychologisch geschulten Sitzwache, die auchberuhigend oder helfend auf die Kl. hätte einwirken kön-nen, geeignet gewesen wäre. Der Sachverständige Prof. Dr.S. hält eine solche Sitzwache am ehesten für angemessen.

Soweit der Krankenhausträger auf Antrag des Pflegeperso-nals nicht kurzfristig in der Lage ist, eine Sitzwache zur Ver-meidung einer akuten Gefährdung des Patienten zur Verfü-gung zu stellen, handelt es sich um ein Organisationsverschul-den, für das er nach § 823 BGB haftet. Eine Haftung des Bekl.entfällt entgegender Ansicht des Bekl. auch nicht, weil dieme-dizinische Behandlung und die pflegerische Betreuung imUnfallzeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen seien.

Zwar war tags zuvor die Entlassungsuntersuchung ab-geschlossen worden, sodass die medizinische Behandlungendete. Jedoch schuldete der Bekl. bis zur endgültigen Ent-lassung eine ordnungsgemäße Betreuung und Pflege durchdas medizinische Hilfspersonal, die zum Inhalt hatte, die Kl.vor Schäden zu bewahren. Da die Kl. unstreitig nicht in derLage war, sicher ohne Hilfsperson zu laufen, oblag es demBekl., dafür Sorge zu tragen, dass die Kl. bis zur Abholungdurch einen externen Krankenwagen entweder Unterstüt-zung beim Gehen erhielt oder an unreflektierten Gehver-suchen gehindert wurde. Wenn der Bekl. nunmehr entge-gen seinem bisherigen Vortrag vorbringt, das Anbringen desBauchtuches habe wie ein Sicherheitsgurt im Kraftfahrzeugder Sicherheit der Kl. gedient, trifft dies nicht den ange-strebten Verwendungszweck in dem Fall der Kl. Nach demUnfallbericht des Oberarztes V. sei die Kl. mit einer Bauch-binde am Stuhlwagen ,,gestützt“ worden, um zu verhindern,dass sie unbemerkt aufstehe. Es ist auch nicht ersichtlich,dass die Kl. – im Gegensatz zu einem Sicherheitsgurt –überhaupt in der Lage gewesen wäre, die Bauchbinde selbstzu entfernen. Zudem wurde sie zur Überwachung vor dieStationskanzel gefahren, sodass selbst das Pflegepersonal –zu Recht – davon ausging, dass die Patientin noch nichtentlassen war.

Der Sturz mit dem Rollstuhl führte zu einem akutensubduralen Hämatom über der rechten Hirnhälfte und zueiner raschen Kompression des Gehirns. Hierdurch ist es zueinem apallischen Syndrom gekommen, bei dem das Groß-hirn vom Stammhirn in Höhe des Mittelhirns abgekoppeltwird. Zwar lag bei der Kl. schon eine primäre Schädigungdurch die Aneurysmablutung vor, die zu einer gewissenHilfsbedürftigkeit bei ihrer Versorgung und bei alltäglichenVerrichtungen geführt hatte, jedoch ist das Vorliegen derPflegestufe III als Schwerstpflegefall nach den Ausführun-gen des Sachverständigen Prof. Dr. B. auf den Sturz zu-

rückzuführen. Vor dem Unfallereignis konnte die Kl. nachdem Verlegungsbericht an die Klinik B. mit Gehwagen aufdem Stationsflur laufen. Sie aß und trank mit wenig Hilfe.Insgesamt ist es durch die weitere Gehirnblutung zu einerungünstigen Verstärkung und zu einem Neuhinzutreten vonSchädigungen gekommen, so dass die sturzbedingte Hirn-schädigung als mitursächlich für das Vorliegen des jetzigenBeschwerdebildes bei der Kl. angesehen werden muss. Vor-schäden durch die Aneurysmablutung sind bei der Kausalitätnicht zu berücksichtigen, weil sich hier nicht im Rahmendes Gesamtschadens im Sinne einer Teilkausalität differen-zieren lässt, inwieweit tatsächlich Beschwerden ausschließ-lich auf den Vorschaden zurückzuführen sind, die ohnehinaufgetreten wären, und inwieweit Beschwerden ausschließ-lich durch den Sturz bedingt sind. In diesen Fällen verbleibtes bei der Einstandspflicht für den gesamten Schaden – Ge-samtkausalität - (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4.Aufl., Kap. B III, Rdnr. 217). Die Höhe des an die Kl.zu zahlenden Schmerzensgeldes ist unter Berücksichtigungder von der Kl. erlittenen Beeinträchtigungen einerseits undder Schwere des den Bekl. treffenden Unrechtsvorwurfs an-dererseits zu ermitteln, wobei auch die Ausgleichsfunktionfür die Verletzte zu berücksichtigen ist. Es soll der Geschä-digten ein angemessener Ausgleich für diejenigen Schädengeboten werden, die nicht vermögensrechtlicher Art sind.Grundlage für das der Kl. zu gewährende Schmerzensgeldist, dass sich die Kl. in Folge des Sturzes noch über ein Jahrmit kurzen Unterbrechungen in stationäre Behandlung be-geben und sich zwei Operationen unterziehen musste sowieeinen schweren Dauerschaden erlitten hat.

Die Kl. musste nach dem Sturz unter Bougierung desalten Tracheostomas intubiert werden. Es wurde notfall-mäßig eine Kraniotomie (operative Öffnung des Schädels)durchgeführt und eine Hirndrucksonde angelegt. Erst am12. 9. 1998 reagierte sie nach bisherigem Koma wieder aufAnsprache. Im Zeitraum vom 23. 9. 1998 bis 6. 4. 1999musste die Kl. im Rahmen von Frührehabilitationsmaß-nahmen stationär betreut werden. Bei der Aufnahme imM. B. Zentrum am 11. 6. 1999 bestand eine aphasischeSprache (Störung des Sprechvermögens), eine Sitzinstabili-tät und ein gesteigerter Muskeltonus (Muskelanspannung).Der Schluckakt war deutlich gestört. Die grobe Kraft warlinks schwach, rechts fehlend, die Sensibilität nicht prüf-bar. Erst am 5. 10. 1999 wurde das Tracheostoma operativverschlossen. Nach den Ausführungen des SachverständigenProf. Dr. B. ist die Kl. nicht mehr in der Lage, sich selbstzu versorgen; in allen Bereichen des täglichen Lebens istsie auf fremde Hilfe angewiesen und muss im Rollstuhl ge-fahren werden, denn sie leidet unter einer beiderseitigenBewegungseinschränkung, die sich einseitig betont zeigt.Ihre Bewegungsabläufe sind verlangsamt.

Schmerzensgeldmindernd ist zu berücksichtigen, dass beider Kl. zum Zeitpunkt des Sturzes noch ausgeprägte Aus-fallerscheinungen vorhanden waren. So litt sie unter psychi-schen Schäden wie gelegentlicher Verwirrtheit und Hallu-zinationen. Sie benötigte bei der Versorgung im täglichenLeben noch unterstützende Hilfestellung. Nach den Aus-führungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. bestand jedocheine Chance, die Ausfallerscheinungen zur Rückbildung zubringen, weil der wissenschaftlichen Literatur zu entnehmenist, dass diese Blutungen mit Bildung von Hydrozephalusund zahlreichen notwendigen Operationen immer zu einerDefektheilung führen.

Insgesamt erscheint schon angesichts der erlittenen mas-siven Beeinträchtigungen nach dem Sturz und der ver-stärkten Ausfallerscheinungen, die die Kl. jetzt zu einemSchwerstpflegefall machen, ein Schmerzensgeld in Höhevon 50.000,00 € als angemessen.

2. Entgegen der Auffassung des LG ist die Feststellungs-klage nicht nur hinsichtlich des auf dem Unfallgeschehen

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Rechtsprechung MedR 2006, Heft 3 185

beruhenden weiteren immateriellen Schadens, sondern auchhinsichtlich sämtlicher materieller Schäden zulässig, weil derLeistungsantrag nicht den ganzen zu erwartenden Schadenhinsichtlich des Pflegeaufwandes, der Medikamentation unddes anstehenden behindertengerechten Umbaues des Wohn-hauses abdecken kann (vgl. BGH, NJW-RR 1986, 1026).

Die Feststellungsklage ist auch begründet, denn der Bekl.haftet wegen der auf dem Unfallgeschehen beruhenden ma-teriellen Schäden nicht nur nach §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1BGB, sondern auch wegen einer positiven Forderungsver-letzung des Behandlungsvertrages i. V. mit § 278 BGB.

Dabei hat die Kl. ihrer Darlegungslast sowohl hinsichtlichder objektiven Pflichtverletzung als auch des Verschuldensgenügt, indem sie vorgetragen hat, dass sie im Gefahrenbe-reich des Bekl. aus dem Rollstuhl gestürzt sei. Sie muss nichtnachweisen, dass der Unfall auf einem Verschulden des Pfle-gepersonals oder einem Organisationsverschulden des Kran-kenhausträgers beruht. Vielmehr hat der Bekl. sich insoweitzu entlasten.

Sofern es sich um Risiken insbesondere aus dem Kran-kenhausbetrieb handelt, die von dem Träger der Klinik unddem dort tätigen Personal voll beherrscht werden können,wie z. B. in Bezug auf die Organisation des Behandlungs-geschehens und den Zustand und Geeignetheit der dazubenötigten Materialien und Geräte, hat der Bekl. nach denGrundsätzen des § 282 BGB den Nachweis eines pflicht-gemäßen Verhaltens des Pflegepersonals zu führen. Dies istdem Bekl. – wie bereits ausgeführt – nicht gelungen. Wederhat der Bekl. dargelegt, dass der konkret verwendete Roll-stuhl für den hier eingesetzten Verwendungszweck geeignet,standfest und sicher war, noch hat er vorgetragen, inwieweitdie Kl. sorgfältig überwacht werden konnte.

(Eingesandt und bearbeitet vonRechtsanwältin Dr. iur. Ruth Schultze-Zeu undRechtsanwalt Hartmut Riehn, VorsRiVG a. D.,Schiffbauerdamm 5, D-10117 Berlin)

Ausschluss der Beschwerde gegenKostengrundentscheidung des SGSGG § 197a Abs. 1; VwGO § 158 Abs. 2

Sofern in gerichtskostenpflichtigen sozialgerichtlichenVerfahren keine Entscheidung in der Hauptsache ergan-gen ist, ist die sozialgerichtliche Kostengrundentschei-dung wegen § 197a Abs. 1 SGG i. V. mit § 158 Abs. 2VwGO unanfechtbar. (Leitsatz des Bearbeiters)LSG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 30. 5. 2005 – 10 B 10/05 KA(SG Düsseldorf)

Problemstellung: Der Beschluss befasst sich mit derReichweite der Vorschrift des § 197a Abs. 1 S. 1 SGG,nach der in gerichtskostenpflichtigen Verfahren vor demSozialgericht die §§ 154 bis 162 VwGO entsprechendanzuwenden sind. Die in Rechtsprechung und Literaturumstrittene Frage, ob infolge der Verweisung des § 197aSGG auch § 158 Abs. 2 VwGO anzuwenden ist, der dieKostenentscheidung für unanfechtbar erklärt, wenn eineEntscheidung in der Hauptsache nicht ergangen ist, hatdas LSG Nordrh.-Westf. in diesem Sinne entschieden.Ob allerdings der in § 183 SGG angesprochene Perso-nenkreis, dem der Senat weiter die Möglichkeit einerBeschwerde gegen die Kostengrundentscheidung zubil-ligt, als besonders schutzbedürftig anzusehen ist, kann vordem Hintergrund bezweifelt werden, dass die diesen Per-sonenkreis ggf. treffenden Kosten weit hinter denen zu-rückbleiben, welche nach der Rechtsprechung des Senats

die nicht privilegierten Beteiligten treffen. Insofern ha-ben die von dem Beschluss des LSG Nordrh.-Westf. ab-weichenden Beschlüsse anderer Landessozialgerichte unddie von dem Senat zitierte Literaturmeinung durchausihre Berechtigung.

Zum Sachverhalt: Im Hauptsacheverfahren war streitig, ob dievon der Kl. erbrachten und abgerechneten Leistungen ohne Kürzunginfolge der im Bereich der KV Nordrhein für die Honorarverteilunggeltenden Individualbudgets zu vergüten sind. Nachdem das SG dasVerfahren durch Beschl. v. 1. 10. 2002 zum Ruhen gebracht hatte,haben Kl. und Bekl. das Verfahren in der Hauptsache für erledigt er-klärt. Das SG hatte daraufhin die Kosten des Verfahrens der Kl. zuzwei Dritteln und der Bekl. zu einem Drittel auferlegt und hierzu aus-geführt, angesichts der Rechtsprechung des LSG Nordrh.-Westf. unddes BSG sei nunmehr geklärt, dass unterdurchschnittlich abrechnendenPraxen die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, bis zum Fachgrup-pendurchschnitt in einem überschaubaren Zeitraum zu wachsen, dasssie allerdings keinen Anspruch auf eine Freistellung von der Individu-albudgetierung hätten; die Kl. hätte insofern nicht obsiegen können,als sie beantragt hatte, die von ihr erbrachten Leistungen ohne Kür-zung zu vergüten. Die gegen die Kostengrundentscheidung gerichteteBeschwerde der Kl. hatte beim LSG Nordrh.-Westf. keinen Erfolg.

Aus den Gründen: II. 1.[...]Die Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung des

SG ist nicht statthaft.Der Senat hat bereits entschieden, dass sozialgerichtliche

Kostengrundentscheidungen wegen § 197a Abs. 1 SGG i. V.mit 158 Abs. 2 VwGO unanfechtbar sind, sofern – wiehier – in der Hauptsache keine Entscheidung ergangen ist(Senatsbeschl. v. 9. 4. 2003 – L 10 B 6/03 KA –; soauch Beschl. des 11. Senats des LSG Nordrh.-Westf. v.28. 4. 2003 – L 11 B 8/03 KA –). Die Rechtsfrage istallerdings umstritten. So sind das LSG Berlin (Beschl. v.28. 4. 2004 – L 6 B 44/03 AL ER –, SGb 2005, 55 ff.)und der 5. Senat des LSG Nordrh.-Westf. (Beschl. v. 25. 8.2003 – L 5 B 25/03 KR –, Breithaupt 2003, 877 ff.) derAuffassung, dass § 158 Abs. 2 VwGO angesichts der in 197aAbs. 1 SGG nur als ,,entsprechend“ für anwendbar erklärten§§ 154 bis 162 VwGO nicht eingreift (so auch Straßfeld,in: Jansen [Hrsg.], SGG, 1. Aufl. 2003, § 197a, Rdnr. 57;Zeihe, SGG, nach § 197a: § 158 VwGO, Rdnr. 1). Demist nicht beizutreten (so auch Meyer=Ladewig, SGG, 7.Aufl. 2002, § 197a, Rdnr. 21; Lüdtke/Mälicke/Roller, SGG,2003, § 197a, Rdnr. 12).

Nach § 197a Abs. 1 S. 1 SGG sind die §§ 154 bis 162VwGO zwar ,,entsprechend anzuwenden“. Hieraus kannindessen nicht hergeleitet werden, dass einzelne Regelun-gen der §§ 154 ff. VwGO von vornherein aus der entspre-chenden Anwendung ausgeschlossen sind. Dies folgt schonaus einem Umkehrschluß aus § 202 SGG. Hiernach werdendie Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) undder Zivilprozessordnung (ZPO) zwar für entsprechend an-wendbar erklärt, im Gegensatz zu § 197a Abs. 1 S. 1 SGGallerdings nur subsidiär (arg.: ,,soweit“) und auch nur soferndie grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensar-ten dies nicht ausschließen. Im übrigen nimmt § 197a Abs. 1S. 2 SGG die Regelung des § 161 Abs. 2 VwGO ausdrück-lich von der Verweisung aus. Da ausweislich der Gesetzes-materialien (BT-Dr. 14/5943, S. 29; BR-Dr. 132/01, S. 61)nicht ersichtlich ist, dass dem Gesetzgeber insoweit ein Ver-sehen unterlaufen ist, kann hieraus nur gefolgert werden,dass die Regelungen der §§ 154 bis 162 VwGO ansonstenauch im SGG-Verfahren anzuwenden sind. Gesetzestech-nisch bedeutet dies: Nur ,,entsprechend“ anwendbar sinddie §§ 154 bis 162 VwGO naturgemäß deshalb, weil sie un-mittelbar allein im verwaltungsgerichtlichen Prozess gelten(so zutreffend Krasney, SGb 2005, 57, 58).

Diese gesetzessystematische Interpretation wird bestätigtdurch weitere Erwägungen: Infolge des 6. SGG-ÄndG exis-