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Zeitmanagement von Studierenden.
Eine interkulturelle Vergleichsstudie zwischen Studierenden im
deutschsprachigen Raum und der Ukraine
Dissertation
zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) im Lehrgebiet Sozialpsychologie
an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen
Betreuer: Prof. Dr. Dr. h. c. Rudolf Miller
vorgelegt von
Sigrid Sittler Hofstetten 7
97486 Königsberg
Königsberg, im Juni 2008
Wir sollten stets eingedenk sein, dass der heutige Tag nur einmal kommt und nimmer wieder.
(Arthur Schopenhauer)
Danke an alle, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben: den Mitarbeitern des Lehrgebiets Sozialpsychologie
der FernUniversität in Hagen für die Anregungen und Hilfestellungen beim Doktoranden-Kolloquium und
während des Anfertigens der Arbeit, vor allem Prof. Dr. Dr. h. c. Miller;
ferner Brigitte Krause für ihr aufmerksames Korrekturlesen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung...........................................................................................................................................................1
1.1 Eine kulturvergleichende Studie zum Umgang mit der Zeit.........................................................................1 1.2 Die Vorgehensweise der Studie....................................................................................................................6
2 Psychologische und gesellschaftliche Aspekte des Umgangs mit der Zeit.........................................................9
2.1 Das philosophische, psychologische und ökonomische Verständnis von Zeit..........................................9 2.2 Leben unter Zeitdruck in der modernen Leistungsgesellschaft ..............................................................13
2.3 Methoden des Zeitmanagements..............................................................................................................15
3 Kulturen und Kulturräume................................................................................................................................17
3.1 Was versteht man unter „Kultur“?..............................................................................................................17 3.2 Unterscheidung von regionaler, nationaler, europäischer und globaler Kultur..........................................21 3.3 Kulturelle Besonderheiten der Leistungsgesellschaften in Europa............................................................25 3.4 Nationale Identitätsbildung und Kulturstandards.......................................................................................29 3.5 Nationen als Kulturräume...........................................................................................................................33
3.6 Einstellungen, Werte und gesellschaftliche Normen..................................................................................36
4 Kulturspezifische Besonderheiten der Länder Deutschland und Ukraine........................................................41
4.1 Historische, gesellschaftliche und politische Entwicklungen......................................................................41 4.2 Kulturelle Besonderheiten in West- und Ostdeutschland............................................................................44 4.3 Die Ukraine, ein gespaltenes Land?............................................................................................................50 4.4 Zusammenfassung.......................................................................................................................................57
5 Länderspezifische Studien zum Umgang mit der Zeit.....................................................................................59
6 Psychologische und soziologische Ansätze zur Erklärung zeitlicher Verhaltensmuster...................................64
6.1 Sozialisation.................................................................................................................................................66 6.2 Der ökologische Ansatz...............................................................................................................................67 6.3 Der situative und gruppendynamische Ansatz............................................................................................69 6.4 Der Einfluss signifikant Anderer.................................................................................................................71 6.5 Der Ansatz des sozialen Lernens.................................................................................................................73 6.6 Der sozialkognitive Ansatz..........................................................................................................................74 6.7 Der handlungstheoretische Ansatz..............................................................................................................75 6.8 Der psychologische Lebensraum.................................................................................................................77 6.9 Der dispositive Ansatz.................................................................................................................................79 6.9 Zusammenfassung der Erklärungsansätze zum zeitlichen Verhalten..........................................................83
7 Die Durchführung der empirischen Studie........................................................................................................86
7.1 Fragestellung, Methoden und Zielsetzung.................................................................................................86 7.2 Der Testfragebogen.....................................................................................................................................90 7.3 Die Stichprobe.............................................................................................................................................92
7.3.1 Die Länderzugehörigkeit der Testpersonen......................................................................................92 7.3.2 Altersstruktur und Geschlecht der Testpersonen..............................................................................94 7.3.3 Die Herkunft und der aktuelle Wohnort der Testpersonen...............................................................97 7.3.4 Industrialisierung und Wohlstand der einzelnen Ländergruppen.....................................................98 7.3.5 Individualistische und kollektivistische Gesellschaften....................................................................99 7.3.6 Besonderheiten der Stichprobe.........................................................................................................99
7.4 Die statistischen Auswertungsverfahren...................................................................................................101 7.4.1 Die Merkmale des Jenkins Activity Survey....................................................................................101 7.4.2 Dimensionen des zeitlichen Verhaltens..........................................................................................103
7.4.2.1 Vorstudien zum Jenkins Activity Survey.........................................................................103
7.4.2.2 Errechnen der Korrelationsmatrix und Merkmalsauswahl...............................................107 7.4.2.3 Die Durchführung der konfirmatorischen Faktorenanalyse.............................................110 7.4.2.4 Ergebnis der konfirmatorischen Faktorenanalyse............................................................111
7.4.3 Externe Einflussvariablen auf das zeitliche Verhalten..................................................................116 7.4.3.1 Die Vorgehensweise bei der multiplen linearen Regressionsanalyse.............................119 7.4.3.2 Hypothesenbildung und Durchführung der Regressionsanalyse....................................121 7.4.3.3 Ergebnisse der multiplen linearen Regressionsanalyse...................................................127 7.4.3.4 Zusammenfassung...........................................................................................................131
7.4.4 Tests zum Auffinden kulturspezifischer Besonderheiten..............................................................132 7.4.4.1 Die Varianzanalyse.........................................................................................................134 7.4.4.2 Ergebnisse des Duncan-Tests auf homogene Untergruppen...........................................135 7.4.4.3 Länderspezifische Unterschiede beim zeitlichen Verhalten............................................142
7.4.5 Länderspezifische Analyse der Merkmalsausprägungen...............................................................147 7.4.5.1 Einteilung der Testpersonen in Typ A, Typ B und Mischtypen......................................148 7.4.5.2 Zuordnung der Verhaltenstypen zu den einzelnen Ländergruppen.................................159
7.5 Gütekriterien der Testergebnisse...............................................................................................................161 7.5.1 Reliabilität und Genauigkeit............................................................................................................161 7.5.2 Die Validität der Untersuchung.......................................................................................................163 7.5.3 Die Generalisierbarkeit der Untersuchung.......................................................................................164 7.5.4 Möglichkeiten und Grenzen kulturvergleichender Forschung.........................................................166
8 Kulturspezifische Verhaltensmuster und ihre gesellschaftlichen Folgen.......................................................170 8.1 Unterschiede im zeitlichen Verhalten bei den einzelnen Ländergruppen................................................170
8.1.1 Interview mit einer Westukrainerin..................................................................................................174 8.1.2 Stellungnahme einer Ostukrainerin..................................................................................................175 8.1.3 Die Situation an deutschen Hochschulen und bei Fernstudenten.....................................................176
8.2 Auswirkungen des Typ-A-Verhaltens.......................................................................................................177 8.2.1 Gesellschaftliche und individuelle Auswirkungen..........................................................................177 8.2.2 Gesundheitliche Auswirkungen.......................................................................................................180 8.2.3 Belastung und Beanspruchung.........................................................................................................184 8.2.4. Das „Burnout-Syndrom“ und Symptome der Arbeitssucht.............................................................188 8.2.5 Möglichkeit des Einsatzes von Zeitmanagementtechniken.............................................................190
9. Ausblick..........................................................................................................................................................194
Literaturverzeichnis................................................................................................................................................... Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen............................................................................................................. Anhang 1- 7............................................................................................................................................................... Anhang 1: Fragebogen.........................................................................................................................................198 Anhang 2: Erste Faktorenanalyse........................................................................................................................205 Anhang 3: Korrelationen nach Spearman Rho....................................................................................................206 Anhang 4: Zweite Faktorenanalyse.....................................................................................................................209 Anhang 5: Programmsyntax zum Auswerten der Testpersonen nach Typ A, Typ B und Mischtypen...............213 Anhang 6: Interview mit einer Westukrainerin...................................................................................................216 Anhang 7: Stellungnahme einer Professorin der Universität in Charkow...........................................................219
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Abbildungen: Abb. 1: Verhaltenstypen ausgerichtet am Zeithorizont.........................................................................................10 Abb. 2: Kreuzung sozialer Kreise: nationale Gesellschaft, Europäisierung und
Globalisierung...........................................................................................................................................23 Abb. 3: Zehn Trends in der europäischen Zeitkultur und ihre ambivalenten sozialen Folgen..............................26 Abb. 4: National Cultures and Their Stability………………………………………………………..….………34 Abb. 5: The Balance of Values Versus Practices at the National, Occupational, and Organizational
Levels……………………………………………………………………………………..……………..38 Abb. 6: Theoretische Ansätze zu Erklärung kulturspezifischer Verhaltensmuster...............................................65 Abb. 7: Bestandteile der natürlichen Umwelt.......................................................................................................67 Abb. 8: Forschungsdesign der empirischen Studie................................................................................................89 Abb. 9: Kreisdiagramm: Länderzugehörigkeit der Testpersonen..........................................................................93 Abb. 10: Balkendiagramm: Alter der Testpersonen..............................................................................................94 Abb. 11: Balkendiagramm: Alter der Testpersonen und Länderzugehörigkeit.....................................................95 Abb. 12: Balkendiagramm: Geschlecht der Testpersonen und Länderzugehörigkeit...........................................96 Abb. 13: Balkendiagramm: Regionale Herkunft der Testpersonen.......................................................................97 Abb. 14: Balkendiagramm: Aktueller Wohnsitz der Testpersonen.......................................................................97 Abb. 15: Balkendiagramm: Industrialisierung des Heimatlandes.........................................................................98 Abb. 16: Balkendiagramm: Wohlstand des Heimatlandes....................................................................................98 Abb. 17: Balkendiagramm: Individualistische und kollektivistische Gesellschaftsformen..................................99 Abb. 18: Interpretation der Korrelationskoeffizienten .......................................................................................107 Abb. 19: Pfaddiagramm zur linearen Regressionsanalyse..................................................................................119 Abb. 20: Beziehung zwischen Industrialisierung und Temperament..................................................................127 Abb. 21: Beziehung zwischen Herkunftsland, Alter, Gesellschaftsform, Geschlecht und Anstrengung..................................................................................................................127 Abb. 22: Beziehungen zwischen Herkunftsland, Alter, Gesellschaftsform,
Heimatort und Termindruck...................................................................................................................128 Abb. 23: Beziehungen zwischen Herkunftsland, Heimatort und Wettbewerbsorientierung...............................129 Abb. 24: Beziehungen zwischen Herkunftsland, Alter, Industrialisierung, Heimatort
und Aktivität und Ungeduld..................................................................................................................130 Abb. 25: Beziehungen zwischen Herkunftsland, Geschlecht und schnellem Essen............................................130 Abb. 26: Beziehung zwischen Herkunftsland und Verspätungen.......................................................................131 Abb. 27: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Temperament“...................................135 Abb. 28: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Anstrengung“.....................................136 Abb. 29: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Termindruck“....................................137 Abb. 30: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Wettbewerbsorientierung“.................138 Abb. 31: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Aktivität und Ungeduld“...................139 Abb. 32: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Schnelles Essen“................................140 Abb. 33: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Verspätungen“...................................141 Abb. 34: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Temperament“......................................147 Abb. 35: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Anstrengung“.......................................149 Abb. 36: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Termindruck“.......................................151 Abb. 37: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Wettbewerbsorientierung“...................152 Abb. 38: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Aktivität und Ungeduld“......................154 Abb. 39: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Schnelles Essen“..................................156 Abb. 40: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Verspätungen“......................................157 Abb. 41: Irrtumswahrscheinlichkeiten.................................................................................................................164 Abb. 42: Typ-A-Verhalten als Ergebnis des Zusammenwirkens von Tätigkeits- und Personenvariablen.........183 Abb. 43: Zeitplanung beim Handeln unter Druck und Schreiben von Merkzetteln .........................................192
Tabellen:
Tab. 1: Länderzugehörigkeit der Testpersonen.....................................................................................................93 Tab. 2: Altersstruktur der Testpersonen.................................................................................................................94 Tab. 3: Kreuztabelle der Testpersonen geordnet nach Länderzugehörigkeit und Alter........................................94 Tab. 4: Häufigkeit der Testpersonen nach Geschlecht..........................................................................................95 Tab. 5: Kreuztabelle der Testpersonen geordnet nach Länderzugehörigkeit und Geschlecht..............................96 Tab. 6: Item-Skala-Statistiken für den Faktor 1 „Temperament“........................................................................111 Tab. 7: Item-Skala-Statistiken für den Faktor 2 „Anstrengung“.........................................................................112 Tab. 8: Item-Skala-Statistiken für den Faktor 3 „Termindruck“.........................................................................112 Tab. 9: Item-Skala-Statistiken für den Faktor 4 „Wettbewerbsorientierung“.....................................................113 Tab. 10: Item-Skala-Statistiken für den Faktor 5 „Aktivität und Ungeduld“......................................................113 Tab. 11: Ergebnis der 1. Regressionsanalyse: „Temperament“...........................................................................123 Tab. 12: Ergebnis der 2. Regressionsanalyse: „Anstrengung“............................................................................123 Tab. 13: Ergebnis der 3. Regressionsanalyse: „Termindruck“............................................................................124 Tab. 14: Ergebnis der 4. Regressionsanalyse: „Wettbewerbsorientierung“........................................................124 Tab. 15: Ergebnis der 5. Regressionsanalyse: „Aktivität und Ungeduld“..........................................................125 Tab. 16: Ergebnis der 6. Regressionsanalyse: „Schnelles Essen“.......................................................................126 Tab. 17: Ergebnis der 7. Regressionsanalyse: „Verspätungen“...........................................................................126 Tab. 18: Ergebnis des einfaktoriellen ANOVA-Tests mit sieben Faktoren des zeitlichen Verhaltens...............134 Tab. 19: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Temperament“....................................................................135 Tab. 20: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Anstrengung“.......................................................................136 Tab. 21: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Termindruck“......................................................................137 Tab. 22: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Wettbewerbsorientierung“..................................................138 Tab. 23: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Aktivität und Ungeduld“.....................................................139 Tab. 24: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Schnelles Essen“.................................................................140 Tab. 25: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Verspätungen“.....................................................................141 Tab. 26: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Temperament............................................................................148 Tab. 27 : Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Temperament..............................................................................148 Tab. 28: Verhaltenstypen in der Westukraine, Temperament.............................................................................148 Tab. 29: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Temperament................................................................................149 Tab. 30: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Anstrengung..............................................................................149 Tab. 31: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Anstrengung................................................................................150 Tab. 32: Verhaltenstypen in der Westukraine, Anstrengung...............................................................................150 Tab. 33: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Anstrengung.................................................................................150 Tab. 34: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Termindruck.............................................................................151 Tab. 35: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Termindruck................................................................................151 Tab. 36: Verhaltenstypen in der Westukraine, Termindruck...............................................................................152 Tab. 37: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Termindruck.................................................................................152 Tab. 38: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Wettbewerbsorientierung..........................................................153 Tab. 39: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Wettbewerbsorientierung.............................................................153 Tab. 40: Verhaltenstypen in der Westukraine, Wettbewerbsorientierung...........................................................153 Tab. 41: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Wettbewerbsorientierung.............................................................154 Tab. 42: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Aktivität und Ungeduld.............................................................154 Tab. 43: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Aktivität und Ungeduld...............................................................155 Tab. 44: Verhaltenstypen in der Westukraine, Aktivität und Ungeduld.............................................................155 Tab. 45: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Aktivität und Ungeduld................................................................155 Tab. 46: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Schnelles Essen.........................................................................156 Tab. 47: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Schnelles Essen............................................................................156 Tab. 48: Verhaltenstypen in der Westukraine, Schnelles Essen..........................................................................157 Tab. 49: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Schnelles Essen............................................................................157 Tab. 50: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Verspätungen............................................................................158 Tab. 51: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Verspätungen,,,............................................................................158 Tab. 52: Verhaltenstypen in der Westukraine, Verspätungen.............................................................................158 Tab. 53: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Verspätungen................................................................................158
Zeitmanagement von Studierenden.
Eine interkulturelle Vergleichsstudie zwischen Studierenden im
deutschsprachigen Raum und der Ukraine
1 Einleitung
1.1 Eine kulturvergleichende Studie zum Umgang mit der Zeit
Die Methode des Kulturvergleichs wird selten angewendet. Davon sprechen Selg, Klapproth & Kamenz (1992)
in dem Buch „Forschungsmethoden der Psychologie“. Schon Ende der 60er Jahre bedauerten Boesch und
Eckensberger (1969), dass die Attraktivität des Kulturvergleichs in der deutschen Forschung vergleichsweise
gering ist. Seit den 60er Jahren hat sich da wenig geändert. Fast alle psychologischen Studien finden in
derselben Kultur, das heißt intrakulturell, statt. Die Gründe dafür sind, dass die Psychologie zumeist am
Individuum selbst und die Soziologie an den sozialen Systemen, wie etwa der Familie, ansetzt. Die
Kulturvergleiche waren deshalb bislang eher im Bereich der Kulturanthropologie und interkulturellen
Psychologie angesiedelt.
In den angloamerikanischen Gesellschafts- und Geisteswissenschaften hat man sich bei kulturellen Studien auf
den Begriff „Cultural Studies“ geeinigt. Die Studien dienen dazu, eine neue Form zu finden, um das alltägliche
Leben und die Veränderungen des alltäglichen Lebens mit Kultur zu definieren. Dies fordert interdisziplinäre
Fragestellungen. Innovative methodische Ansätze müssen gefunden werden, um Forschungsarbeit in diesem
Bereich, der verschiedene Fachgebiete der Psychologie, der aber auch die Soziologie, die Anthropologie und
andere Wissenschaftsbereiche impliziert, zu ermöglichen. Bei deutschen psychologischen Studien unterscheidet
man zwischen der „Kulturpsychologie“ und der „Kulturvergleichenden Psychologie“.
Shweder (1991, S. 73) definiert Kulturpsychologie als das Studium, auf welche Art kulturelle Traditionen
soziale Handlungen beeinflussen. Er setzt dabei kein universales Menschenbild voraus. Es werden vielmehr die
ethnischen Unterschiede zwischen den Denkprozessen und Emotionen von Menschen, die in unterschiedlichen
Kulturräumen beheimatet sind, herausgearbeitet. Boesch (1980) sieht die Kulturpsychologie als die
Wissenschaft vom Verhalten des Menschen in einem besonderen „Biotop Kultur“. Die Unterschiedlichkeit der
menschlichen Natur und des menschlichen Verhaltens in verschiedenen Kulturen darf nicht allein auf
Variationen des genetischen Pools zurückgeführt werden (vgl. Hartl, 2005, S. 225).
Der Mensch gibt aufgrund seiner Fähigkeit zu Reflexivität, Selbstreflexivität und Intersubjektivität und durch
die Schaffung von materiellen, sozialen und ideellen Strukturen kulturelle Errungenschaften an die Nachwelt
weiter. Es wäre aber übertrieben, alle menschlichen Handlungen ausschließlich von der kulturellen Herkunft
eines Menschen abzuleiten. Jeder einzelne Mensch erwirbt seine Handlungsfähigkeit selbst in einem komplexen
Verständnis der eigenen Innenwelt und der Umwelt. Betrachtet werden individuelle Verarbeitungsprozesse, die
jedoch eingebunden sind in kulturelle Modelle der Erfahrenswelt und Wissenssysteme. Es gibt soziale Regeln
des gemeinschaftlichen, verantwortungsbewussten Umgangs miteinander, die vom Individuum zu befolgen
sind. Die Kulturpsychologie bleibt dabei eine eher interpretative, hermeneutische Wissenschaft. Fremde und
eigene Handlungsperspektiven werden theoretisch analysiert und der Versuch unternommen, eine
interkulturelle Sichtweise zu entwickeln.
Anders als die Kulturpsychologie beschränkt sich die kulturvergleichende Forschung nicht auf bestimmte
Untersuchungsgegenstände. Sie ist vielmehr eine methodische Strategie für Untersuchungen, die kulturelle
Einflüsse auf das Verhalten und Handeln der Menschen zeigen (Differenzierungsstudien) und kulturelle
Ähnlichkeiten sichtbar machen. Die kulturvergleichende Forschung grenzt sich ab von den „Life Sciences“, die
einen reduktionistischen biologisch-evolutionären Universalismus vertreten.
Bei der kulturvergleichenden Psychologie werden unabhängige kulturelle Variablen in Bezug gesetzt zu
abhängigen psychologischen Variablen. Dabei sollen allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten gefunden werden.
Um interkulturelle Vergleiche anzustellen, bieten sich multimodale und multivariate Methoden an.
„Der Kulturbegriff umfasst die Menschheit als Ganzes. Unterschiedliche kulturelle Muster sind dabei als Cluster von kulturellen Verhaltenszügen zu verstehen, seien dies nun konzeptionelle oder emotionale Assoziationen, Handlungen oder Haltungen. Abgrenzungen aufgrund von Wertigkeiten und Hierarchien sind obsolet, haben aber aufgrund der in allen Wissenschaftsbereichen immer noch einflussreichen Dominanz des abendländischen Denkens mehr oder minder gestaltenden Einfluss.“ (Hartl, 2005, S. 217f).
Huntington (1996) spricht von einer europäischen „Leitkultur“. In seinen Schriften sieht er einen „Kampf der
Kulturen“, der zwischen Europa und anderen Kontinenten entbrannt ist. Bei Wissenschaftlern sind seine Thesen
umstritten. Hartl (2005) schlägt vor, einen objektiveren und sinnvolleren Zugang zum Thema Kultur durch die
Untersuchungen des Anderen, seiner Grenzen und auch Grenzauflösungen zu finden. So kann die Fülle
menschlichen Verhaltens, Erlebens und Gestaltens im Wandel der Zeit und unter den jeweiligen
Zivilisationsbedingungen besser verstanden werden. Die komparative Kulturpsychologie interessiert sich dabei
vor allem für die kulturellen Besonderheiten psychosozialer Wirklichkeiten.
Die Psychologie untersucht das Verhalten und Erleben einzelner Personen durch Beobachtung, Befragung oder
Experiment und analysiert die Erkenntnisse. Psychologische Studien richten ihr Interesse vor allem auf
individuelle Verhaltensweisen oder das Verhalten in Gruppen. Während die Persönlichkeitspsychologie und
differentielle Psychologie die Ursache für bestimmte Verhaltensweisen in sogenannten
Persönlichkeitsdispositionen (traits), die zeitlich überdauernd und situationsinvariant sind, vermutet, sieht der
situative Ansatz die Ursache für das Handeln eher in der jeweiligen Situation begründet, in der sich das
Individuum befindet.
„Dabei läuft die Psychologie Gefahr, die an einzelnen Personen oder Gruppen gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen schlechthin zu generalisieren. ...Es wird unterstellt, dass Menschen unabhängig von Raum (Lebensraum) und Zeit (historischer Kontext und Entwicklung) auf eine bestimmte Reizkonfiguration so und nicht anders reagieren.“ (Thomas, A., 1996a, S. 108f).
Die nomothetisch-positivistisch ausgerichtete Allgemeine Psychologie, zu der die kulturvergleichende
Psychologie zählt, versucht nun zu prüfen, ob die bei empirischen Untersuchungen aufgefundenen
Gesetzmäßigkeiten psychischer Prozesse des Menschen universelle oder nur kulturspezifische Gültigkeit
besitzen.
Smith & Bond (1993, S. 37) äußern sich kritisch darüber, dass bei einem Vergleich von nationalen Kulturen oft
vergessen wird, die Vielfalt an kulturellen Eigenheiten, die in einem Land aufzufinden sind, zu berücksichtigen.
Ebenso wird vergessen, auf die vielen Subkulturen, die innerhalb verschiedener Nationen vorzufinden sind,
hinzuweisen. Homogene Verhaltensweisen können aufgrund der unterschiedlichen Individuen, die in einem
Land leben, schwerlich nachgewiesen werden. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte und seine eigenen
Erfahrungen gesammelt.
Der Mensch eignet sich in einem Sozialisationsprozess Handlungsstrategien und Verhaltensweisen an. Die
Umwelt übt dabei einen starken Einfluss aus. Wechselnde gesellschaftliche Strukturen und Änderungen in der
Arbeitswelt und im privaten Bereich bedingen Änderungen im Verhalten. Nicht nur Kinder und Jugendliche
lernen, sich der Umwelt anzupassen. Auch bei bereits erwachsenen Menschen muss man davon ausgehen, dass
sich im Laufe des Lebens Wertvorstellungen und Verhaltensweisen ändern.
Es kommt zu einem wechselseitigen Prozess. Nicht nur der Mensch wird durch die Umwelt geformt, sondern
der Mensch selbst formt und gestaltet wiederum seine Umwelt und nähere Umgebung und bewirkt dadurch
ständig Veränderungen. Nichts bleibt konstant, es handelt sich um ein „lebendiges System“ aus
Anpassungsleistungen des Menschen an die Umwelt, aber auch aus aktiven Veränderungen des Menschen an
der Umwelt. Die interkulturelle Forschung steht einem Geflecht aus Ursache und Wirkung gegenüber.
Menschen werden von der Umwelt beeinflusst, sie beeinflussen wiederum aber auch selbst ihre Umgebung und
somit das kulturelle Leben.
In Zeiten der Globalisierung wächst die Weltbevölkerung nicht nur im wirtschaftlichem Bereich zusammen. Es
gibt mehr Kontakt zwischen den Menschen unterschiedlicher Kulturen und es kommt zu
Angleichungsprozessen. Andererseits sind historisch gewachsene Unterschiede zwischen Nationen und
Völkergruppen und das unterschiedliche Verhalten von Menschen verschiedener Regionen oft schon bei
Beobachtungen des Alltags der Menschen unschwer erkennbar. Kulturspezifische Besonderheiten sind
augenscheinlich, sie sind aber im Laufe der Zeit einem Wandel unterworfen. Normen und Wertvorstellungen
ändern sich und zeigen Einfluss auf die Gesellschaft. Der Mensch des 20. Jahrhundert unterscheidet sich in
seinen Überzeugungen und Verhalten vom Menschen vorangegangener Jahrhunderte. Gerade in der
europäischen Geschichte hatten historische Ereignisse, politische und gesellschaftliche Veränderungen einen
starken Einfluss auf die Lebensweise der in Europa ansässigen Bevölkerung. Auch Kriege, neue territoriale
Aufteilungen von Gebieten und Fremdherrschaften zeigten ihren Einfluss auf die verschiedenen Kulturen in
Europa. Alte Wertvorstellungen wurden durch neue Machthaber und Gesellschaftsstrukturen hinfällig.
Die Industrialisierung hat inzwischen auch entlegene Regionen erreicht, und die Menschen werden aufgrund
wirtschaftlicher Erfordernisse ins technologische Zeitalter katapultiert. Moderne Gesellschaften orientieren sich
an Leistung und Wettbewerb. Damit geht ein hohes Arbeitstempo und ein schneller Lebensrhythmus einher, vor
allem bei den westlichen Industrienationen. Andere Nationen mit geringerem Lebensstandard und weniger
großen Rationalisierungsprozessen weisen ein gemächlicheres Tempo auf. Menschen, die in kollektivistischen
und weniger wohlhabenden Ländern wohnen, zeigen sich oft nicht so gehetzt und verbringen mehr Zeit mit der
Familie.
Aktuelle Zeitungsberichte und Studien weisen darauf hin, dass das Problem “keine Zeit zu haben” eines der
grundlegenden Probleme modernen Industriegesellschaft darstellt. Obwohl uns die Werbung suggeriert, dass
heute der Mensch durch den Einsatz von zeitsparenden technischen Geräten und Hilfsmitteln mehr Zeit zum
Entspannen hat, sieht die Realität anders aus. Viele Menschen der modernen Industriegesellschaften beklagen
Zeitdruck. Die Maschinen werden nicht den menschlichen Bedürfnissen angepasst, sondern der Mensch hat sich
dem Rhythmus der Maschine anzupassen. Die modernen Kommunikationsmittel lassen den Menschen rund um
die Uhr erreichbar sein. Dies führt letztendlich dazu, dass auch der Mensch möglichst ständig in Bereitschaft
sein soll.
Aber nicht nur neuere Entwicklungen bei der Industrie und im Handel brachten Veränderungen. Auch politisch
hat sich in Europa in den letzten Jahrzehnten viel geändert. Die europäische Union, die in der Anfangszeit ein
loser Zusammenschluss von Ländern war, mit der Absicht freien Handel zu betreiben, ist ein Verbund
europäischer Staaten geworden, mit eigenem Parlament, eigener Gerichtsbarkeit und eigener Gesetzgebung.
Dies hat Folgen für das Bewusstsein der Bevölkerung. Die Menschen in der europäischen Union bauen
politische, gesellschaftliche und kulturelle Gemeinsamkeiten auf. Wo vorher die Machthabenden einzelner
Nationen getrennt voneinander über das Schicksal ihrer Länder entschieden, ist heute eine gemeinsame
Strategie für wirtschaftliche und soziale Ziele erkennbar.
Die Öffnung des vorher hermetisch abgeriegelten, kommunistisch regierten Ostens Europas zum Westen hatte
weitreichende Auswirkungen auf die Lebensformen der Bevölkerung. Die meisten osteuropäischen Länder
haben inzwischen durch Privatisierung der Betriebe und der Öffnung des Landes für den freien Welthandel vom
kollektiven Wirtschaftssystem Abstand genommen. Die Menschen dort führen heute eher westlich orientierte
Lebensformen. Manche Länder Osteuropas sind inzwischen der Europäischen Union beigetreten, andere
liebäugeln mit dem Gedanken sich anzuschließen. Es ist nur folgerichtig anzunehmen, dass diese gewaltigen
politischen und gesellschaftlichen Umstrukturierungen, die Europa in den letzten zwanzig Jahren verändert
haben, auch Auswirkungen auf das Leben der dort ansässigen Menschen zeigen.
Kernpunkt dieser Studie ist es, das zeitliche Verhalten von Menschen in Deutschland, einem westeuropäischen
Land, und der Ukraine, einem osteuropäischen Land, zu untersuchen. Dabei konzentriere ich mich auf den
Umgang der Menschen mit der Zeit. In modernen Industriegesellschaften wird die menschliche Zeit wie ein
Produktionsfaktor gehandelt und gewinnt immer mehr an Bedeutung. Es soll untersucht werden, ob man in
europäischen Ländern, die Unterschiede bezüglich des Grads der Industrialisierung und anderer kultureller
Aspekte zeigen, unterschiedliche zeitliche Verhaltenstypen vorfinden kann. Ist die Tendenz eher dahingehend,
dass sich die europäischen Völker im Verhalten angleichen, oder sieht man nach wie vor länderspezifische
Unterschiede? Es soll das zeitliche Verhalten von Studentinnen und Studenten aus Deutschland und der Ukraine
untersucht werden, um festzustellen, ob bei dieser jungen, intellektuellen Bevölkerungsschicht
länderspezifische Unterschiede hervortreten.
Ein wichtiger Grund, gerade die zwei Länder Deutschland und Ukraine zu untersuchen, waren die jüngsten
geschichtlichen Ereignisse und die Aufbruchstimmung, in der sich die beiden Länder in den letzten Jahren
befanden und die auch heute noch spürbar ist. Die beiden Länder stehen stellvertretend für den politischen,
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel in Westeuropa und Osteuropa, der sich seit Öffnung der
Grenzen beobachten lässt.
Die Studie fand Unterstützung durch ein Tempus-Tacis-Projekt, das die Zusammenarbeit zwischen Deutschland
und der Ukraine fördert. Das Projekt „HUREMA“ entwickelte in Zusammenarbeit der FernUniversität in Hagen
mit den ukrainischen Hochschulen einen viersemestrigen Weiterbildungs-Master-studiengang „Human
Resources Management“ nach EU-Standard. Die Zusammenarbeit des Lehrgebiets „Sozialpsychologie“ mit den
Universitäten aus Charkow, Kiew, Poltawa und Odessa war sehr hilfreich für die Abwicklung der Befragung
der ukrainischen Studenten. Der deutsche Fragebogen wurde in die russische Sprache übersetzt und an den
ukrainischen Universitäten zur Beantwortung verteilt. Danach wurden die beantworteten Fragebögen nach
Deutschland zurückgeschickt.
Diese Studie hinterfragt, ob die deutschen Studentinnen und Studenten bestimmte Verhaltensmuster des
zeitlichen Verhaltens häufiger aufweisen als die ukrainischen. Den Befragten aus dem deutschsprachigen Raum
und der Ukraine, wurden 52 Fragen zum Umgang mit der Zeit und einige Fragen bezüglich ihrer Herkunft und
der Umgebung, in der sie leben, gestellt. Der hier verwendete Fragebogen baut auf den JAS (Jenkins Activity
Survey) auf, der das zeitliche Verhalten von Personen bzgl. der „time urgency“ (der Dringlichkeit bzw. des
herrschenden Zeitdrucks) untersucht (siehe dazu Jenkins, Zyzanski & Rosenman, Manual, 1979).
Aufgrund der Ausprägungen bei der Beantwortung der einzelnen Fragen wurde bereits bei Voruntersuchungen
in den 70er und 80er Jahren zwischen einem Verhaltenstyp A und B unterschieden. Typ A zeigt extreme
Wettbewerbsorientierung, Leistungsstreben, aggressives Verhalten, Ungeduld, Hast und Ruhelosigkeit. Er hat
das Gefühl, mehr Verantwortung zu tragen und ständig unter Zeitdruck zu stehen. Der Umgang mit der Zeit und
der Zeitdruck wurden von Rosenman (1974, 1978) als Grundelemente eines problematischen Lebensstils
vorgestellt. Menschen, die ständig unter Zeitdruck stehen leiden häufig unter Bluthochdruck und Erkrankungen
der Herzkranzgefäße.
1.2 Die Vorgehensweise der Studie
Die vorliegende Studie zur Untersuchung des zeitlichen Verhaltens von deutschen und ukrainischen
Studentinnen und Studenten hat zum Ziel, kulturelle Besonderheiten beim Umgang mit der Zeit
herauszuarbeiten und empirisch nachzuweisen. Treten in den unterschiedlichen Kulturräumen bestimmte
zeitliche Verhaltenstypen häufiger auf? Dazu werden im ersten theoretischen Teil der Studie die
psychologischen, philosophischen und ökonomischen Aspekte der Zeit und Zeitnutzung herausgearbeitet.
Im 3. Kapitel werden die Begriffe Kultur und Kulturräume definiert. Verschiedene Nationen stellen
unterschiedliche Kulturräume dar und weisen unterschiedliche Kulturstandards auf. Man kann aber auch
zwischen einer regionalen, einer nationalen, einer europäischen und einer globalen Kultur unterscheiden. Der
Mensch selbst zeigt eine vielschichtige kulturelle Identität. Er definiert sich nicht nur als Deutscher, sondern
zum Beispiel auch als Weltbürger, als Europäer, als Westdeutscher, als Bayer und als Bewohner einer
bestimmten Stadt und eines bestimmten Stadtteils. Nicht nur Nationen können als eigene Kulturräume
wahrgenommen werden. Auch die Herkunft der Person spielt eine Rolle bei kulturellen Studien. So kann sich
ein Arbeiterkind, das später studiert, unterscheiden von einem Studenten, der aus einer Akademikerfamilie oder
aus einer bürgerlichen Familie stammt. Einstellungen, Werte und gesellschaftliche Normen sind kulturell
geprägt und werden von der näheren Umgebung und dem gesellschaftlichen Umfeld des Menschen
übernommen. Die moderne westlich orientierte Industrie- und Leistungsgesellschaft hat andere Vorgaben als es
zum Beispiel eine agrarwirtschaftlich orientierte Gesellschaft hat.
Im Kapitel 4 werden kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und der Ukraine herausgearbeitet. In
Westdeutschland leben wir seit Ende des 2. Weltkriegs in einer eher individualistischen Gesellschaft. Es
herrschen die Gesetze der freien Marktwirtschaft. Trotz der sozialen Absicherungen, die Deutschland bietet,
kann man die Bundesrepublik Deutschland als eine westlich-kapitalistische Leistungsgesellschaft bezeichnen.
Viele Deutsche nutzten die Jahre des Wirtschaftswachstums, das bereits in den 50er Jahren des letzten
Jahrhunderts einsetzte, um sich persönlichen Wohlstand zu schaffen. Man zeigt sich wettbewerbsorientiert und
versucht, möglichst viel für sich und seine Familie zu erarbeiten. Dabei kommt die Zeit, die man für das
Familienleben übrig hat, oft zu kurz. Gerade Männer verbringen viel Zeit auf der Arbeit, aber auch viele Frauen
sind teilzeit- oder vollzeitbeschäftigt, um den Lebensunterhalt der Familie zu verdienen. Dies spiegelt sich nicht
zuletzt in einem starken Geburtenrückgang wieder. Manche Ehepaare wollen sich gar nicht mehr der
Doppelbelastung von Arbeit, Haushalt und Kindererziehung aussetzen. Um beim Wettlauf um die materiellen
Güter mithalten zu können, werden familiäre und soziale Lebensaspekte vernachlässigt.
In Ostdeutschland und der Ukraine bestand fast ein halbes Jahrhundert eine sozialistische Gesellschaftsordnung.
Der Einzelne musste seine persönlichen Ziele den Zielen des Kollektivs unterordnen. Auch wenn man in der
ehemaligen DDR angemessen leben konnte, so war es doch den Bürgern verwehrt, eigene Besitztümer zu
schaffen. Luxusgüter waren limitiert, man musste dafür in Warteschlangen vor den Geschäften anstehen. Nach
Grenzöffnung und dem Anschluss an die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1990 mussten sich die Menschen
aus der ehemaligen DDR erst einmal an die neue Staatsordnung und die veränderten Lebensumstände
gewöhnen.
Die sozialistische Gesellschaftsstruktur war auch in der Ukraine, einem Satellitenstaat der ehemaligen
Sowjetunion, noch bis vor wenigen Jahren vorzufinden. Nach furchtbaren Kriegsjahren konnte die Ukraine als
„Kornkammer Russlands“ bescheidenen Wohlstand erreichen. Im Vergleich zu den westlichen Ländern waren
und sind die Pro-Kopf-Einkommen jedoch auch heute noch sehr niedrig. Nun haben sich die Grenzen zum
Westen geöffnet. In der Ukraine gibt es seit einigen Jahren Demokratie und freie Marktwirtschaft, die sich
jedoch erst nach und nach entfalten.
Es wird interessant sein, zu erfahren, ob die nun überholten Lebensformen, Gesellschaftsstrukturen und
Wertvorstellungen des sozialistischen Systems noch Auswirkungen auf das Denken und Verhalten der
Menschen zeigen oder ob sich die befragten Studenten bereits auf westliche Standards eingerichtet haben. Es
herrscht die Meinung vor, dass sich die Westukraine mehr dem kapitalistischen Westen und der europäischen
Union zuwendet, während die Ostukraine eher Russland zugeneigt ist, und viele Ostukrainer das alte
sozialistische Regime bevorzugen.
Die unterschiedlichen Beschreibungen von Westukrainern und Ostukrainern und die Wiedervereinigung von
Ostdeutschland und Westdeutschland in der jüngsten Vergangenheit haben mich dazu bewogen, den
Ländervergleich nicht nur zwischen Deutschland und der Ukraine durchzuführen, sondern auch noch den
Westen und Osten des jeweiligen Landes voneinander zu unterscheiden.
Im 5. Kapitel werden empirische Studien, vor allem von Levine (2005), vorgestellt. Levine versuchte, länder-
und regionalspezifische Unterschiede beim Umgang mit der Zeit bezüglich Tempo und Geschwindigkeit, mit
der sich die Menschen bewegen, herauszuarbeiten. Er geht davon aus, dass es länder- und kulturspezifische
Unterschiede beim Umgang mit der Zeit gibt.
Das 6. Kapitel stellt psychologische und soziologische Ansätze vor, die auf den Einfluss kultureller Faktoren
auf das Verhalten des Menschen schließen lassen. Das Verhalten des Menschen hängt von seinen
Persönlichkeitsmerkmalen ebenso ab wie vom sozialen Umfeld, in dem er aufgewachsen ist und lebt. Auch die
jeweilige Situation, in der sich der Mensch gerade befindet, bestimmt sein Verhalten. Die vorgestellten Ansätze
stellen einen theoretischen Hintergrund für die These, dass das kulturelle Umfeld des Menschen einen Einfluss
auf sein Verhalten, in unserem Fall auf sein zeitliches Verhalten, hat.
Im 7. Kapitel beginnt der empirische Teil der Studie. Es werden Daten zum zeitlichen Verhalten durch eine
Befragung deutscher und ukrainischer Studentinnen und Studenten anhand eines Fragebogens erhoben. Der
verwendete Fragebogen lehnt sich an den bereits bei anderen Umfragen auf Validität und Reliabilität getesteten
Jenkins Activity Survey an. Die Daten sollen im statistischen Anwendungssystem SPSS erfasst und anhand
geeigneter Tests ausgewertet werden. Vorher werden die Besonderheiten der Stichprobe aufgezeigt, z.B.
länderspezifische und regionale Herkunft (Stadt/Land) der Befragten, das Geschlecht und das Alter der
Befragten, die Industrialisierung, der Wohlstand und die Gesellschaftsform des Landes, in dem die
Testpersonen leben.
Um statistische Auswertungen vornehmen zu können, sollen die Merkmale des zeitlichen Verhaltens in
Merkmalsdimensionen zusammengefasst werden. Danach wird es möglich sein, den Einfluss des
Herkunftslandes auf das zeitliche Verhalten mit einer Regressionsanalyse (Kap. 7.4.3) zu überprüfen. Dabei
darf nicht außer Acht gelassen werden, „dass eine spezifische konkrete Kultur ein komplexes, aber
ausbalanciertes System bildet. Von daher dürfte es grundsätzlich nicht einfach sein, eine Isolierung von
Variablen zu rechtfertigen“ (Eckensberger, 1982, S. 11). Bei der schrittweisen linearen Regressionsanalyse wird
deshalb nicht nur das Herkunftsland als erklärende Variable des zeitlichen Verhalten verwendet, sondern auch
die Industrialisierung, der Wohlstand und die Gesellschaftsform des Landes, weiterhin ob die Testperson auf
dem Land, in einer Kleinstadt oder in einer Großstadt aufwuchs und lebt sowie das Alter und Geschlecht der
Testpersonen.
Sollte sich bei der Regressionsanalyse herausstellen, dass sich das zeitliche Verhalten vor allem auch durch das
Herkunftsland, das heißt in unserem Fall durch die Ländergruppe, in der der Student lebt, erklären lässt, so wird
weiter geforscht, welchen unterschiedlichen Umgang mit der Zeit die Testpersonen der verschiedenen
Ländergruppen aufweisen (Kap. 7.4.4) und ob bestimmte zeitliche Verhaltensmuster häufiger in Erscheinung
treten (Kap. 7.4.5). Die kritischen Schlussbetrachtungen (Kap. 7.5) nehmen zu den Gütekriterien Reliabilität,
Genauigkeit und Validität der Auswertungsergebnisse Stellung. Es wird auf die Möglichkeiten und Grenzen der
kulturvergleichenden Forschung hingewiesen.
Das Kapitel 8.1 soll einen Überblick über die gewonnenen Erkenntnisse verschaffen. Die Ergebnisse der
statistischen Tests werden zusammengefasst und interpretiert. Aus Sicht der Untersuchungsergebnisse soll die
Frage, ob es kulturelle Unterschiede des Zeitmanagements von deutschen und ukrainischen Studenten gibt,
beantwortet werden. Es ist zu prüfen, inwiefern sich kulturelle Eigenheiten der einzelnen Ländergruppen bei
den Ergebnissen wiederfinden lassen, oder ob die Testergebnisse losgelöst sind von anderen Eindrücken, die
Beobachter in den Ländern und den einzelnen Regionen sammeln konnten. Zur Diskussion stehen dazu ein
Interview mit einer Westukrainerin, die in der Westukraine studierte und nun in Deutschland arbeitet, und die
Stellungnahme einer Professorin der ostukrainischen Universität Charkow zu diesem Interview. Weiterhin
sollen Besonderheiten des Studiums in Deutschland zusammen mit den Ergebnissen der Studie zum Verhalten
der deutschen Studenten analysiert werden.
Im Kapitel 8.2 wird eine Übersicht gegeben, welche gesellschaftlichen Auswirkungen der Umgang mit der Zeit
hat und wie sich nach Ansicht von Medizinern und Psychologen das Verhaltensmuster A auf die physische und
psychische Gesundheit des Menschen auswirkt. Ein Mensch, der das Typ-A-Verhalten zeigt, muss aus
medizinischer Sicht damit rechnen, dass sein Verhalten seinen Gesundheitszustand negativ beeinflusst. Die
ständige Aktivierung des Menschen und die Ungeduld, die den Menschen treibt, können Stress hervorrufen. Es
liegen Untersuchungsergebnisse aus Vorstudien vor, die nachweisen, dass Personen des Typs A zu
Bluthochdruck neigen und herzinfarktgefährdet sind. Weiterhin wirkt sich die ständige Unruhe und der
Zeitdruck, unter dem diese Menschen stehen, auch auf die Lebensqualität aus.
Ein Ausblick am Ende der Studie zeigt, welche Aspekte bei dieser Untersuchung noch nicht berücksichtigt
werden konnten und welche weiterführenden Studien möglich sind. Sowohl Untersuchungen von
psychologischer, als auch von medizinischer Seite aus können weitere Erkenntnisse darüber liefern, welche
Auswirkungen der Umgang des Menschen mit der Zeit hat. Zeitdruck wird von außen an die Menschen
weitergegeben, Zeitdruck wird aber auch vom Menschen selbst aufgebaut. Wie lässt sich der Zeitdruck
reduzieren, um negative gesundheitliche und psychische Folgen zu vermeiden?
Gibt es Gesellschaften und Kulturen, die einen entspannteren Umgang mit der Zeit pflegen, als dies in der
modernen Leistungsgesellschaft der Fall ist? Wie wirkt sich der Umgang mit der Zeit auf die Mitglieder einer
Gesellschaft aus? Es wird geprüft, inwiefern schon Studenten durch ein ausgewogenes Zeitmanagement und
einem bewussten Umgang mit der Zeit, Erfahrungen für ihr späteres Arbeitsleben sammeln können.
Studentinnen und Studenten werden später meist wichtige Aufgaben in der Gesellschaft übernehmen. Sie
genießen somit eine Vorbildfunktion. Deshalb ist es von Bedeutung, dass gerade diese Personengruppe lernt
ihren Umgang mit der Zeit kritisch zu reflektieren.
Im Folgenden werden die „Studentinnen und Studenten“ der Einfachheit halber meist nur in männlicher Form
genannt. Dies soll keine Diskriminierung der Studentinnen darstellen, es soll lediglich eine Entlastung beim
Schreiben geben. Die Leserinnen und Leser dieser Studie mögen diesen Tatbestand entschuldigen.
2. Psychologische und gesellschaftliche Aspekte des Umgangs mit der Zeit
2.1 Das philosophische, psychologische und ökonomische Verständnis von Zeit
Die Zeit wird als grundlegende Größe menschlicher Erfahrung definiert. Schon Immanuel Kant und später auch
Emilie Durkheim bezeichnen Raum und Zeit als grundlegende Kategorie. Die Wahrnehmung und das Erfassen
der Zeit ist nicht zuletzt kulturell konstruiert. Sie hängt sehr stark von der kulturell vorgegebenen Art der
Zeitrechnung ab. Die Zeit selbst zu erfassen ist schwierig, da der Mensch für die Wahrnehmung der Zeit kein
eigenes Sinnesorgan hat (vgl. Funke & Wassermann, 1999, S. 1). Der Begriff der Zeit war stets an konkrete und abstrakte Bedeutungen gebunden. Die Zeitidee selbst beruht auf
dem Erleben von Sukzessionen, von denen wiederum einige periodisch sind und andere nicht.
„Zeit wird sprachlich auch so angewandt, um Momente der Veränderung anzuzeigen: alles zu seiner Zeit, unzeitgemäß sein oder zu jeder Zeit. In der französischen Sprache bezeichnet temps sogar das Wetter oder aufeinanderfolgende Witterungsverhältnisse (le temps quíl fait). Wie das lateinische Wort tempus bedeutet letzteres sowohl das aktuelle Wetter als auch die ablaufende Zeit.
Andererseits zeigt es den Vorrang der Tag-Nacht-Rhythmen in unserer Erfahrung an, was vermutlich auf den sanskritischen Ursprung des Wortes Zeit hinweist und erhellen, erleuchten bedeuten soll“ (Fraisse, 1985, S. 9).
Platon sieht die Zeit als bewegliches Abbild der Ewigkeit, das sich in einer Welt zeigt, die von zyklisch
wiederkehrenden Veränderungen geprägt ist. Das jüdische, christliche und islamische Weltbild versteht die
irdische Zeit des Menschen als endlich, verweist aber auf einen „Jüngsten Tag“, an dem die Toten auferstehen
und nach einem Strafgericht die „Gerechten“ zu ewigem Leben gelangen. Der Buddhismus sieht die Menschen
in einem „Rad des Lebens“. Mit dem Tod endet nicht das irdische Dasein, sondern man wird in einer neuen
Entwicklungsstufe wiedergeboren, bis das Bewusstsein eine so hohe Stufe erreicht hat, dass sich der Einzelne
im Nirwana, im Nichts, auflöst. Der Hinduismus und tibetische Reli-gionsausrichtungen weisen ähnliche
Grundgedanken auf. Der Umgang des einzelnen Menschen mit der Zeit ist sicher von religiösen Aspekten
seines Zeitdenkens geprägt. Jemand, der auf eine bessere Welt nach dem irdischen Dasein hofft, verhält sich
vermutlich anders als ein Mensch, der keinerlei religiösen Glauben hat und seine Zukunftsaussichten und
persönlichen Erfolge ausschließlich auf das Diesseits bezieht.
Jones (1988) betrachtet den Zeithorizont der Person unter Berücksichtigung der Weltanschauung dieser Person:
Type of behavior
proximal
Attitude of „carpe diem“ achievement of proximal
(Fatalism) goals is supported
expressive instrumental
future outcomes are future outcomes are
considered as consequences considered as following from
of positive present behavior successfully achieving proximal goals
(Confucian ethic) (Protestant ethic)
distal
Abb.1: Verhaltenstypen ausgerichtet am Zeithorizont (Jones, 1988, S. 35)
Jones (1988) unterscheidet verschiedene Zeithorizonte, die das Denken der Individuen beeinflussen. Während
Personen, die fatalistisch eingestellt sind, ohne Bezug zu einem Ziel in der Zukunft sind und sich einzig dem
„Heute und Jetzt“ („proximal“) verschrieben haben, sehen Personen aus dem konfuzianischen Weltbild, die
Folgen der Zukunft in einem positiven Verhalten in der Gegenwart. Anders als die Protestanten, die das
zukünftige Dasein („distal“) als Folge von erreichten Zielen in der Gegenwart betrachten („instrumental“), ist
ein Konfuzianer nicht auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet („expressiv“). Die protestantische Ethik wird schon
von Max Weber in Zusammenhang mit dem „Geist“ des modernen Kapitalismus gebracht. Der Mensch soll im
irdischen Dasein seine Pflichten erfüllen, arbeitsam sein und möglichst viel Reichtum zum „Ruhme Gottes“
anhäufen (vgl. Schluchter 2005, S. 26). Dabei wird von einem „asketischen Sparzwang“ des Protestantismus
ausgegangen. Als vierter Personentyp gilt ein Typ, der sich auf die nahen Ziele der Gegenwart ausrichtet. Je
nach Weltanschauung haben Menschen also einen unterschiedlichen Zeithorizont, der wiederum das zeitliche
Verhalten beeinflussen kann.
Wie definiert der Wissenschaftsdisziplin Psychologie die Zeit? Die psychische Zeit wird als das „Insgesamt der
Vorher-Nachher-Relationen“ beschrieben (vgl. Lang, 1998, S. 1). Nicht das, was Zeit ist, soll ergründet werden,
sondern die Mittel, die eine Erfassung des Umgangs mit der Zeit und die Erforschung von Gesetzmäßigkeiten
ermöglichen. Die Zeit ist stets an Ereignisse gebunden, die vom Menschen wahrgenommen werden. Der
Mensch selbst zeigt ein bestimmtes Zeitverhalten und hat eine Zeitperspektive. In südlichen europäischen Ländern und in Entwicklungsländern lässt sich eine andere Einstellung zur Zeit
erkennen, als bei den nördlichen europäischen Industrienationen und in Nordamerika. In Entwicklungsländern
spielt die Tradition eine große Rolle und der Zukunftsbezug ist gering. Westlichen Industriegesellschaften leben
in Projekten, die Gegenwart und Vergangenheit hat eine eher geringe Bedeutung. Auch die Zugehörigkeit zu
einer gesellschaftlichen Schicht spielt beim Umgang mit der Zeit eine Rolle. LeShan (1952) untersuchte Kinder
aus der Unterschicht in westlichen Industriegesellschaften und stellte fest, dass deren Zeitperspektive nicht so
weit in die Zukunft reicht.
Gonzales und Zimbardo (1985, S. 36) sehen die Ursache für viele Missverständnisse zwischen Menschen
verschiedener Kulturen im Aufeinanderprallen unterschiedlicher Zivilisationen. So betrachten die Bewohner
lateinamerikanischer oder Mittelmeerländer die „Nordländer“ als besessen von Arbeit und Rationalität. Ihr
Leben besteht aus Plänen für die Zukunft und Belohnungsaufschub. Andererseits erscheinen die „Südländer“
den „Nordländern“ als faul, leistungsunfähig und zurückgeblieben.
Die Einstellung zur Zeit und das zeitliche Verhalten werden durch zeitliche Wahrnehmungen und Lernprozesse
beeinflusst. Schon die Kinder lernen, sich dem Rhythmus der Erwachsenen anzupassen. Die Eltern setzen den
zeitlichen Tagesablauf durch eine vorgegebene Zeit des Aufstehens, des Spiels, der Aufgaben, der Mahlzeiten
und des Zubettgehens. Später in der Schule oder im Beruf werden wieder zeitliche Rahmen gesetzt. Dies führt
dazu, dass der Mensch in der Regel nicht frei über seine Zeit bestimmen kann. Zeiten des Wartens wechseln
sich oft mit Zeiten erhöhter Eile ab. Der Mensch muss auf andere Rücksicht nehmen oder reagieren. So verlangt
die Gesellschaft vom Individuum eine Akzeptanz des vorherrschenden Zeitsystems bzw. des Umgangs mit der
Zeit (vgl. Fraisse, 1985, S. 291).
Fraisse (1985) lässt keinen Zweifel daran, dass das zeitliche Verhalten des Menschen schon in der Kindheit von
den Erwachsenen abgeschaut und übernommen wird. Gesellschaften, in denen ein hohes Tempo vorherrscht,
werden wieder junge Menschen hervorbringen, die sich diesem schnellen Tempo angepasst haben. Diese
Theorie spricht für eine kulturelle Bedingtheit des zeitlichen Verhaltens.
„Dass es `die Zeit´ nicht gibt, sondern dass verschiedene Zeitkulturen existieren, wird meist nur dann bewusst, wenn entweder unsere Zeitregeln verletzt werden oder wenn wir auf andere, uns unbekannte Zeiten treffen und mit diesen nicht umzugehen wissen. Dies ist häufig die Ursache für interkulturelle Zeit-Mißverständnisse, die `entstehen, wenn Angehörige zweier verschiedener Kulturen die Kontakt- bzw. Interaktionssituation, in der sie einbezogen sind, unterschiedlich, ja sogar widersprüchlich interpretieren und dementsprechend handeln´“ (Giordano, 1992, S.199, zitiert nach Maurer, 1997, S.27).
Der Zeitbegriff wird in verschiedenen Wissenschaftsbereichen unterschiedlich gesehen. Während die
physikalische Zeit ein rationales Orientierungsmaß zur Einteilung, Planung und Gliederung der Zeit ist,
betrachtet die biologische Zeit die Zeitstruktur des Menschen, das heißt z.B. den Tagesrhythmus und andere
Aspekte der Rhythmik. Die Psychologie untersucht das Denken und Fühlen von Zeit in
Handlungszusammenhängen, während die Sozialkunde die Synchronisation zwischen den Individuen
untersucht.
Ein weiterer Aspekt der Zeit ist der ökonomische Aspekt. Bei seiner Abhandlung über die „ökonomische
Gesellschaft“ zitiert Michael Aßländer (1999, S. 296f) sowohl Erich Fromm als auch Karl Marx. Erich Fromm
stellt fest, dass die Individualcharaktere und die Gesellschaftscharaktere von einer produktiven und nicht-
produktiven Grundorientierung gekennzeichnet sind. Der Mensch wird von seinen eigenen Bedürfnissen
entfremdet. Es werden künstliche Bedürfnisse geschaffen, und diese „unterjochen“ den Menschen. An die Stelle
von existentiellen Bedürfnissen, z.B. gesellschaftliches Verwurzeltsein und Identitätserleben, treten neue
Bedürfnisse nach Reichtum und Besitz. Die „Zeit ist Geld“-Mentalität ist in dieser neuen, ökonometrischen
Gesellschaft vorherrschend. Fromm sieht den Vorrang des Habens vor dem Sein als gesellschaftliche
Grundorientierung. Der Wert des Menschen hängt von seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit ab und davon,
wie gut der Mensch seine Persönlichkeit „verkauft“. „Menschen mit einer Marketing-Charakterstruktur haben
kein Ziel, außer ständig in Bewegung zu sein und alles mit größtmöglicher Effizienz zu tun. Fragt man sie,
warum alles so rasch und effizient erledigt werden muss, erhält man keine Antwort...“ (Fromm, 2000, S. 142).
Karl Marx beschreibt das Wesen des von sich selbst und seinen Bedürfnissen entfremdeten Menschen
folgendermaßen:
„Je weniger du isst, trinkst, Bücher kaufst, in das Theater, auf den Ball, ins Wirtshaus gehst, denkst, liebst, theoretisierst, singst, machst, fühlst, etc. um so mehr sparst du, umso größer wird dein Schatz, den weder Motten noch Staub fressen, dein Kapital. Je weniger du bist, je weniger du dein Leben äußerst, um so mehr hast du, umso größer ist dein entäußertes Leben, um so mehr speicherst du auf von deinem entfremdeten Wesen. Alles was dir der Nationalökonom am Leben nimmt und an Menschheit, das alles ersetzt er dir in Geld und Reichtum ...“ (Marx, 1844/1971, S. 258).
Das ökonomische Verständnis von Zeit führt uns zu der Tatsache, dass gerade in der modernen
Industriegesellschaft der Mensch als „Humankapital“ betrachtet und die Zeit dem Faktor Kapital gleichgesetzt
wird. „Zeit ist käuflich“, dies gilt insbesondere für moderne Industrienationen.
2.2 Leben unter Zeitdruck in der modernen Leistungsgesellschaft
Das Paradoxe der modernen Zeit ist es, dass der Mensch zwar Maschinen und Computer erfunden hat, die ihm
helfen, Zeit zu sparen, andererseits sieht er sich dem Druck ausgesetzt, immer mehr in immer kürzerer Zeit zu
produzieren. Die Produktivitätssteigerung durch den Einsatz von Maschinen und High Technology soll auch
sichtbar gemacht werden durch einen immer größeren Output von Waren, Dienstleistungen und Informationen.
So wird die Arbeitszeit nicht verkürzt, sondern es wird „rund um die Uhr“ gearbeitet, damit die Maschinen und
kostspieligen Geräte ausgelastet sind. Juliet Schor (1992) schreibt über den unerwarteten Rückgang der Freizeit
im industrialisierten Nordamerika. Der Kampf der Arbeiter um eine geringere Anzahl von Arbeitsstunden hat
keine entspanntere Arbeitsweise zur Folge. Die Arbeitgeber fordern immer mehr Leistung in kürzeren Zeiten,
während die Arbeitnehmer höhere Löhne fordern. Das Bezahlen von Arbeitern nach Arbeitsstunden, nicht mehr
nach Stückzahl, hat zur Folge, dass die Arbeitnehmer oft länger arbeiteten.
Vor allem teure Fachkräfte müssen Überstunden leisten, da sie auf dem Arbeitsmarkt schwer zu bekommen
sind. Ungelernte Arbeitskräfte stehen im Konkurrenzkampf mit Billiglohnländern, die keine
Arbeitszeitbeschränkung kennen. Selbst die kostbaren Stunden der Freizeit müssen genau durchgeplant werden,
um allen gewünschten Freizeitaktivitäten nachkommen zu können. Hohe Personalzusatzkosten, wie
Betriebsrenten, Urlaubsgeld, Prämien u.ä. wollen erst erwirtschaftet sein. Gerade in leitenden Positionen, aber
auch in unteren und mittleren Positionen des Angestelltenverhältnisses wird von den Mitarbeitern erwartet, dem
Betrieb jederzeit zur Verfügung zu stehen und auch mobil im Einsatz zu sein.
„Das erste Messer ist geschärft an den ungelösten Problemen einer unersättlichen Ökonomie der Zeit. Nachdem es gelungen ist, mehr zu produzieren innerhalb weniger Zeit, geht es jetzt darum, mehr zu tun, mehr an Arbeit und Freizeitaktivitäten unterzubringen in potentiell weniger Zeit. Die Produktivitätssteigerung resultiert in einer Steigerung des Konsums – ein Mehr an Konsumgütern, an Freizeitaktivitäten und Reisen, mehr Unterhaltung, Kommunikation und Information wetteifern um Aufmerksamkeitsspannen und Zeit zum Verbrauch“ (Nowotny, 1989, S. 142).
Im Haushalt hat der Einsatz von Maschinen und Geräten (Waschmaschinen, Geschirrspülmaschinen,
Staubsauger, etc.) eine Arbeitserleichterung gebracht. Für die Hausfrau/den Hausmann kamen aber neue
Anforderungen hinzu. So wird die eingesparte Zeit nun darauf verwendet, die Kinder zu Sport-, Musik-, und
anderen Freizeitbeschäftigungen zu fahren oder anderen erwünschten gesellschaftlichen Verpflichtungen
nachzukommen. Eine moderne Hausfrau hat so mehr Stress als ihre Großmutter, obwohl sie nicht soviel Zeit in
der Waschküche oder beim Abspülen verbringen muss. Der Einsatz von Maschinen und Robotern in der
Industrie sollte dafür sorgen, dass die Menschen die Arbeit schneller verrichten.
„Durkheim glaubte, die weitere Ausbreitung des Industrialismus werde ein durch Verknüpfung der Arbeitsteilung mit dem moralischen Individualismus integriertes harmonisches und erfüllendes Leben in der Gesellschaft herbeiführen. Von den drei Grundvätern war Max Weber der pessimistischte, denn nach seiner Anschauung ist die moderne Welt eine paradoxe Welt, in der materieller Fortschritt nur um den Preis einer Ausbreitung der Bürokratie erlangt wird, die ihrerseits die Kreativität und
Autonomie des Individuums zermalmt. Aber nicht einmal Max Weber hat zur Gänze vorhergesehen, wie weit sich die Schattenseite der Moderne schließlich ausdehnen würde“ (Giddens, 1995, S. 16).
Im Buch „Auf der Suche nach der gewonnenen Zeit“ beschreibt Otto Ulrich die zeitdynamischen Konsequenzen
der Industriegesellschaft. Tayler, der Begründer einer wissenschaftlichen Betriebsführung, und Ford, der bereits
die Fließbandfertigung nutzte, legten die Grundlagen für eine Unterordnung des Menschen an die Erfordernisse
der Arbeitsproduktivität. „Die durch die Industrialisierung erzwungene strenge Disziplinierung des
menschlichen Verhaltens durch die Unterordnung an lineare Zeiten ist zur Gewohnheit geworden“ (Ulrich,
1990, S. 127). Die organisch-geistigen-seelischen Lebensrhythmen der „inneren Uhr“ werden dabei ignoriert. In
der modernen Industriegesellschaft soll der Mensch funktionieren, wie eine Maschine. Durch die
Automatisierung der Produktionsprozesse ist der Mensch nur noch ein „kleines Rädchen im Getriebe“. Er muss
sich den neuen Gegebenheiten und dem Takt der Maschine anpassen oder er wird ersetzt. Dabei steht er in
ständigem Konkurrenzkampf zu leistungsstärkeren Arbeitnehmern oder zu Maschinen und Robotern, die seine
Arbeit übernehmen können.
Nadolny (1983) schrieb einen Roman über die „Entdeckung der Langsamkeit“ und das Grundproblem des
gehetzten Menschen in der Zeit der Industrialisierung und zeigte am Beispiel des Entdeckers John Franklin,
dass sich das Prinzip der Geschwindigkeit als Grundkategorie des technischen Fortschritts in der Industriellen
Revolution durchsetzte. Der Mensch wird unter einen neuen „beschleunigten Rhythmus“ gezwungen, soziale
Strukturen werden zerstört und die Identität des Individuums wird bedroht (vgl. Kohpeiß, 1995, S. 7).
Karlheinz Geißler (1990) verweist auf das Märchen vom Hasen und dem Igel. Dieses zeigt die Lehre, dass
derjenige, der der Schnellste sein will, durch die Hetze umkommt. Er zitiert Hölderlin und Walser. Beide
mahnten zu mehr Ruhe. Der Mensch muss dem allgemeinen Geschwindigkeitsrausch der Neuzeit entgegen
wirken.
„Hölderlin, der ja glücklicherweise nicht zu den Schnellen in dieser Welt gehörte, hat um den Nutzen der Langsamkeit gewusst, als er schrieb, `dass in der zögernden Welt einiges Haltbare sei´. Sorgfalt, Zärtlichkeit, Nachdenken, Überlegen, Pflegen, alles das und vieles mehr geht durch die zunehmende Beschleunigung unserer Gesellschaft verloren. Wir brauchen aber Bereiche träger Produktivität, wenn wir nicht zum Objekt unseres selbstgeschaffenen Geschwindigkeitsrausches werden wollen. `Alles Schöne und Gute scheitert nur immer an der Unruhe´ hat Robert Walser, der an der Hektik dieser Welt besonders stark gelitten hat, geschrieben. So ist es. Wer seine Kindheitserfahrungen nicht radikal verdrängt hat, der/die weiß, wie produktiv, wie spannend, wie wichtig Langsamkeit ist.“ (Geißler, 1990, S. 19).
Feyler (1990) schreibt sogar von einer Zeitkrankheit, die Menschen der modernen Industriegesellschaft befällt.
Lebenskünstler ist, wer mit der Zeit umgehen kann. Man kann noch so geschäftig und erfolgreich sein, es nutzt
dem Einzelnen nichts, wenn er nicht die Zeit findet, diesen Erfolg auch zu genießen. Unsere
„Überflussgesellschaft“ ist in Wirklichkeit eine „verarmte Zeitnotgesellschaft“.
„Wir haben vergessen, dass Freiheit `Zeit haben´ bedeutet. Denn `die Eile ist vom Teufel´. So sagt es ein arabisches Sprichwort. Das römische `Carpe Diem´ (Nutze den Tag) haben wir zu einer versklavenden Lebensformel verfälscht. Wir leben in einer selbstgewählten Zeitfolter. Wir haben
mehr Bauchschmerzen als Wohlbefinden, mehr Magenschmerzen als Mußestunden“ (Feyler, 1990, S.1).
Besonders in Westeuropa sind „Überflussgesellschaften“ zu finden. Der Überfluss wird durch hohe Leistungen
möglich. Schon die Studienjahre müssen schnell und leistungsorientiert absolviert werden, um einen
erfolgreichen Abschluss und den späteren Wohlstand zu sichern. Studieren selbst kann man dem normalen
Arbeitsprozess in einem Beruf gleichsetzen, da feste Zeiten zum Besuch der Vorlesungen und Seminare
einzuhalten sind und der Erfolg des Studiums am Leistungsstand gemessen wird, der in schriftlichen und
mündlichen Prüfungen abgefragt wird. Semesterferien werden oft zu Praktikas oder Ferienarbeit genutzt. Vor
den Prüfungen ist die Zeit sehr knapp, um den gesamten Lernstoff durchzuarbeiten. Für ehrenamtliche
Tätigkeiten oder soziales Engagement bleibt wenig Zeit.
Sowohl in Deutschland, wie in der Ukraine sollten die Studenten ein hohes Bildungsniveau aufweisen. Man
kann davon ausgehen, dass die Mehrzahl der Studenten schon in der Schule gut mitgearbeitet hat, um gute
Abschlussnoten zu erreichen. Es werden ganz gezielt bestimmte Studiengänge ausgewählt, die möglichst gute
Zukunftsperspektiven eröffnen. So ist die Zeit des Studiums geprägt von einem so genannten
„Belohnungsaufschub“, das heißt, der Student verzichtet darauf, frühzeitig einem Beruf nachzugehen und Geld
zu verdienen. Er verzichtet auch oft darauf, eine Familie in jungen Jahren zu gründen, und er muss gerade in
Prüfungszeiten den ein oder anderen Vergnügungen entsagen, um den gewünschten Studienerfolg zu erreichen.
Aber ein Studium ist heute noch keine Garantie für einen gut dotierten Arbeitsplatz in der Wirtschaft oder beim
Staat. Wer eine gute Stelle nach Studienabschluss finden will, muss bessere Noten erzielen als seine
Kommilitonen. Dies führt zu der Annahme, dass gerade in der heutigen Zeit die Studienjahre geprägt sind von
starkem Konkurrenzdenken, großen Anstrengungen und einem gefühlten Zeitdruck. Umso wichtiger ist für den
einzelnen Studenten ein Bewusstsein für einen vernünftigen Umgang mit der Zeit, zu entwickeln, damit sich
nicht später psychische und physische Probleme einstellen.
2.3 Methoden des Zeitmanagements
Da stellt sich die Frage, ob nicht auch schon Studierende über Techniken des Zeitmanagements verfügen
sollten, um ihre Zeiteinteilung besser planen zu können. Es werden viele Seminare oder Abendkurse zum
Thema Zeitmanagement angeboten, bei denen die Teilnehmer lernen, bewährte Arbeitstechniken anzuwenden
und Planungsinstrumente einzusetzen, um die Zeit effektiver zu nutzen. Dies ist jedoch nur ein eingeschränkter
Aspekt dessen, was hinter dem Begriff Zeitmanagement steckt.
Zeitmanagement hat etwas mit der inneren Einstellung des Menschen zu tun. Ziel des Zeitmanagements ist es,
sich selbst zu organisieren und zu führen, sodass man die zur Verfügung stehende Zeit individuell optimal
nutzen kann. „Für den einen bedeutet es, genügend Zeit mit seiner Familie zu verbringen, für den anderen Zeit
für seine Karriere, der nächste braucht Zeit, um seine Modelleisenbahn zu reparieren oder um seine Praxis als
Anwalt aufzubauen“ (Schilling, 2002, S. 8f).
Der Mensch selbst sollte entscheiden, was für ihn wichtig ist und wie er seine Zeit nutzen will. Allerdings ist
die Einteilung der Zeit in der Realität nicht immer selbstbestimmt. Auch die Studierenden stehen bereits in
einem Arbeitsprozess, der hauptsächlich aus dem Anfertigen von Studienleistungsnachweisen und aus dem
zielgerichteten Lernen auf die Abschlussprüfung hin besteht. Dabei sind die Studenten den Vorgaben der
Studienrichtlinien und des Prüfungsausschusses unterstellt. Ein großer Teil der Studienzeit, aber auch ein Anteil
der Freizeit sind fremdbestimmt. Im Extremfall wird der Student so zum Spielball externer Vorgaben und
Einflüsse. Ein wichtiger Punkt des Zeitmanagements von Studierenden ist es demnach, mehr „Zeitkompetenz“
zu entwickeln, den Umgang mit der Zeit selbst zu steuern und eigene Entscheidungen zu treffen. In ihrem Buch
„Eigenzeit“ über die Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls schreibt Helga Nowotny (1989, S. 111f),
dass empirische Untersuchungen zeigen, dass der Mensch sowohl nach einer „Normalisierung“ der Arbeitszeit,
als auch nach „Zeitsouveränität“ strebt.
Um Zeitsouveränität zu gewinnen, muss es dem Individuum gelingen, von der Fremdbestimmtheit der Zeit zu
einer Eigenbestimmtheit der Zeit zu finden. Dies stellt sich in der Wirklichkeit eher als Wunschdenken heraus.
Um seinen Studienplatz oder Arbeitsplatz nicht zu verlieren und um erfolgreich zu sein, verbringt der Mensch
die meiste Zeit fremdbestimmt. Selbst in der Freizeit gelingt es aufgrund sozialer und gesellschaftlicher
Verpflichtungen oft nicht, sich von dieser Fremdbestimmtheit zu lösen. In der Arbeitswelt hat der Mensch nur
wenig Möglichkeiten, seine Zeiteinteilung selbst zu gestalten. Viele Menschen arbeiten unter einem enormen
Zeitdruck.
„Vor dem Hintergrund der allgemeinen Geldpräferenz und der hoch individualisierten, weil von der Lebenssituation abhängigen Zeitpräferenzen der Arbeitnehmer/innen, zeichnet sich keine leicht erzielbare Lösung ab. Konflikte entstehen aber auch im unmittelbaren Alltagsleben der Menschen, die sich mehr Freizeit wünschen und mehr Gestaltbarkeit am Arbeitsplatz, um jene Zeit`qualität´ zu erreichen, die mehr Autonomie, Verringerung des Gefühls der Überlastung und mehr von der Fähigkeit vermitteln soll, Zeit zu sinnvollen, zusammenhängenden Einheiten selbst strukturieren zu können“ (Nowotny, 1989, S. 115).
Elemente der gegenwärtigen Zeitkultur sind Normen und Zeitordnungen, wie Arbeitszeiten,
Ladenöffnungszeiten und Sonn- und Feiertage. Diese können den Handlungsspielraum des Einzelnen
einschränken, sie erleichtern allerdings auch die gesellschaftlichen Synchronisationsprozesse und entlasten das
Individuum. Soziale Prozesse müssen nicht ständig neu abgestimmt werden. „Für die soziale Zeitkompetenz
lässt sich folgern, dass sich der Mensch über die Wahlmöglichkeiten der zeitlichen Bezugssysteme bewusst
werden kann/soll, und dass er sich Entscheidungsalternativen offen hält“ (Freericks, 1996, S. 81).
In den letzten Jahren lässt sich eine Flexibilisierung von Arbeitszeit und Freizeit erkennen. Der Mensch sollte
durch die Einrichtung gleitender Arbeitszeiten mehr Kompetenz zur Einteilung seiner eigenen Zeit gewinnen.
Allerdings bedeutet ein späterer Arbeitsbeginn meist auch eine Verschiebung der Arbeitszeit in die
Abendstunden. Wenn man im Dienstleistungsbereich tätig ist oder im Schichtbetrieb einer Produk-tion, muss
man ohnehin viele Stunden abends, nachts oder an Wochenenden und Feiertagen ableisten. Ähnliches gilt auch
für die Studienarbeit. Dies geht zu Lasten von Zeit, die man mit der Familie oder mit dem Aufbau von sozialen
und gesellschaftlichen Kontakten verbringen kann. Der moderne Mitarbeiter sollte in der westlichen Welt
möglichst rund um die Uhr für den Betrieb zur Verfügung stehen. Dies übt einen enormen Erwartungsdruck auf
den Einzelnen aus und geht zu Lasten der Gemeinschaft. Für den modernen Menschen ist Zeit etwas
Subjektives, das er manipulieren und programmieren kann. Ziel der Programmierung ist die Beschleunigung
(vgl. Reheis, 1996, S.135f). Das Bild des gehetzten Großstadtmenschen entsteht, der isoliert lebt und kaum
mehr Zeit für „die schönen Dinge des Lebens“ hat. Man darf aber nicht vergessen, dass der Einzelne sehr wohl
einen Einfluss darauf hat, wie er seine Arbeitszeit und die oft knappe Freizeit gestaltet.
„Ebenso, wie es möglich ist, Nahrung in einem Fast-Food-Lokal hinunterzuschlingen oder sich von einem Chef de cuisine in festlichem Ambiente verwöhnen zu lassen, so kann auch der Rahmen für den Verzehr der Produkte und Dienstleistungen, die auf den Markt kommen, sehr unterschiedlich gestaltet werden – doch es braucht allemal Zeit. Einer der ersten, der darauf verwiesen hat, war Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx. In seinem 1883 erschienen Buch `Recht auf Faulheit´ stellte er die These auf, daß die Bourgeoisie von ihrer Geschäftigkeit zum Müßiggang übergehen müsse, weil die Industriegesellschaft nicht nur auf Produzenten, sondern auch auf Konsumenten angewiesen sei“ (Nowotny, 1989, S. 121f).
Der Mensch, vor allem der nichtselbstständige Arbeitnehmer, kann seine Zeit nicht selbst einteilen. Ihm bleiben
oft nur wenige Stunden für Freizeit und „Müßiggang“. Fraglich ist, ob der Zeitdruck, der auf dem Einzelnen
lastet, mit Methoden des Zeitmanagements, erfolgreich eingedämmt werden kann. Zunächst muss bei den
Betroffenen ein Bewusstsein geschaffen werden über die negativen Auswirkungen eines Lebens unter
ständigem Zeitdruck. Man kann davon ausgehen, dass Menschen die Zeit unterschiedlich wahrnehmen und den
Zeitdruck anders empfinden. Während der eine Zeitdruck eher als motivierend erlebt, hat Zeitdruck für den
anderen die Bedeutung von Stress und wird eher negativ bewertet.
3 Kulturen und Kulturräume
3.1 Was versteht man unter „Kultur“?
Das Wort Kultur stammt von dem lateinischen Verb colere, das in seiner ersten Bedeutung den Inbegriff allen
Kulturschaffens meint: die Urbarmachung und Bebauung des Landes. Es schließt aber den Bereich des
Geistigen, des Künstlerischen und Religiösen mit ein, so dass man sein weiteres Bedeutungsfeld mit den
Begriffen „pflegen“ und „verehren“ wiedergeben kann. Kultur gibt es, solange es Menschen auf der Erde gibt.
Schon im Umgang mit dem Feuer, beim Töpfern und der Zubereitung von Mahlzeiten wurden erste Grundsteine
gelegt. Später kamen das Zusammenleben in Dörfern, der Hausbau, das Handwerk und die Kunst hinzu. Bei der
Verehrung von Göttern und Ritualen, z.B. Begräbnisfeiern, gab es erste kulturelle Besonderheiten. Im
deutschen Sprachgebrauch unterscheidet man zwischen Kultur und Zivilisation. Zivilisation beschreibt den
technischen Fortschritt und dessen Bedeutung für ein menschenwürdiges Zusammenleben. Kultur ist ein
umfassenderer Begriff. Die Kultur bedeutet für die Gesellschaft, was das Gedächtnis für das Individuum
bedeutet. So beginnt Triandis in seinem Buch „Culture and Social Behavior” die Kultur zu definieren. „In other
words, culture includes traditions that tell `what has worked´ in the past. It also encompasses the way people
have learned to look at their environment and themselves, and their unstated assumptions about the way the
world is and the way people should act” (Triandis, 1994, S. 1).
Im 19. Jahrhundert wurden die Begriffe Kultur und Zivilisation weitgehend synonym verwendet, als das
komplexe Ganze, das Wissen, Ethik, Kunst, Recht und Brauchtum ausmacht. Die Kultur enthält alle
Errungenschaften und Gewohnheiten, die sich der Mensch als Mitglied der Gesellschaft erworben hat (vgl.
Tylor, 1871; 1958, S. 1; zitiert nach Jahoda, 1996, S. 33). Zu Zeiten Tylors gab es noch keine Trennung
zwischen der Anthropologie und der Psychologie. Geist und Gesellschaft waren gleichermaßen Teil von
kulturellen Betrachtungen. In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde versucht, den systematischen
Charakter der Kultur herauszustellen. Benedict (1953) sah die Kultur als ein organisches, harmonisches Ganzes,
während in den 70er Jahren Geertz (1973) die kulturelle Organisation als Krake zeichnet, mit deren Gehirn die
Arme zwar sehr mangelhaft verbunden sind, die jedoch vorwärts kommt und sich schützen kann. Ende der 70er
Jahre erkennt Leach (1978) den kommunikativen Charakter der Kultur.
Das Lexikon der Psychologie (Arnold, Eysenck & Meili, 1997, S. 1179) beschreibt, dass am Anfang des
europäischen Kulturdenkens die Formulierung von Ciceros „cultura animi“ steht. Cicero gibt an, dass sich der
Mensch der Pflege seines Geistes und der Seele widmen solle, um seine Fähigkeiten und Anlagen zu entfalten.
Unter „cultus vitae“ versteht man die praktische Gestaltung der Natur durch den Menschen. Persönlichkeits-
und Naturgestaltung gehören bei der Entwicklung von Kultur zusammen. Kultur ist ein Bewusstwerden der
Welt als Werterfahrung. Unverzichtbare Elemente der Kultur sind: Mythos, Kunst, Philosophie und Religion.
Die Entwicklung der Kultur verlief langsam. Es gab keinen einmaligen Schöpfungsakt.
„Die Morphologie einer Kulturentwicklung entsteht dabei nicht, wie O. Spengler (1880 – 1936) meinte, wenn Völker eine `seelische Einheit´ bleiben, sondern durch äußere Anstöße und innere Explorationen, von A. Gehlen (1904 – 1976) als kulturelle Kristallisation bezeichnet. Die Entdeckung anderer Kontinente war daher für die Dynamisierung der europäischen Kultur von ausschlaggebender Bedeutung. Nur durch die Dynamik in der kulturellen Akzeleration ist nach R. F. Behrendt (1908 – 1972) Kulturwandel denkbar ... Bleibt der Kulturzusammenhang zwischen Natur und Mensch noch durchschaubar, wie in vorindustriellen Stadien kultureller Entwicklung, ist nach B. v. Wiese eine Harmonie zwischen der Natur als lex naturae und der Kultur als lex divina gegeben. Die komplizierten Verdichtungen des industriellen Zeitalters führen allerdings zu einem Verlust an Durchschaubarkeit“ (Bossle, im Lexikon der Psychologie, Arnold, Eyseck & Meili, 1997, S. 1180f).
Peter Janich (2006), der in seinem Buch „Kultur und Methode“ den Kulturvergleich in der
Beobachterperspektive betrachtet, beklagt, dass das Rezept, besonderer Komplexität mit besonderer Einfachheit
zu begegnen, bei der Definition des Begriffs Kultur nicht möglich ist. Obwohl immer mehr
Naturwissenschaftler, wie Evolutionsbiologen, Genetiker, Mediziner, Pharmakologen oder Primatenforscher,
versuchen die Grenzen zwischen Natur und Kultur, zwischen naturgesetzlichem Verhalten und moralischem
Handeln zu ziehen, bleiben die Grenzen verschwommen. Eine beachtenswerte Definition des Begriffs Kultur gab Ernst Boesch bei seiner Abschiedsvorlesung vor der
Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes. Er sieht die Kultur als Strukturierung des
Handlungsraumes und der Handlungszeit von einer zusammenlebenden Gruppe. Die Gruppe teilt ihre
Umgebung in „Bereiche des Vertrauten und des Fremden“ ein (Boesch, 1983, S. 21f). Es gibt in jeder Kultur Handlungsbereiche, wie z.B. die Familie, der Beruf, die Religion, die Kunst, usw., die
wiederum verbunden sind mit den Vorstellungen der Menschen, was ein „gutes Leben“ ist. Das Individuum hat
Vorstellungen und Wertungen darüber, was es an die Gruppe zu geben hat und welche Leistungen erbracht
werden müssen. Boesch (1980) macht bei seinem handlungstheoretischen Modell klar, dass der Mensch nicht
nur auf Umweltreize reagiert, sondern dass er sich seine Umwelt selbst auswählt und gestaltet. Natürliche
Faktoren, wie das Klima, die Landschaft und andere Lebewesen beeinflussen die Verhaltensweisen des
Menschen und bestimmen die Art, wie der Mensch mit seiner Umwelt umgeht und sie gestaltet. Kultur ist ein
Handlungsfeld, dessen Inhalte von Objekten bis zu Institutionen und Ideen oder `Mythen´ reichen. Die Kultur
bietet Handlungsmöglichkeiten, stellt aber auch Handlungsbedingungen.
Der Mensch schwankt dabei zwischen der Befriedigung der individuellen Wünsche und schlichtem
Konformismus. Was der Einzelne als „seine Kultur“ betrachtet, weiß man dabei nicht. Die Kultur ist ein
komplexes Bild, aus vielfältigen Kleinigkeiten des Alltags bis hin zu Geschichten seiner Vorfahren und der
Religion. Der Soziologe Talcott Parsons (1972, S. 12) sieht die Hauptaufgabe eines kulturellen Systems darin,
Normen zu erhalten und den Normenwandel zu gestalten. Es soll ein Gleichgewicht zwischen individuellen
Aspirationen und sozialen Erfordernissen erreicht werden. Kultur steht stets im Spannungsfeld zwischen
Individuum und Gruppe. Die Hauptaufgabe des Individuums und somit die Haupttriebkraft der Handlungsprozesse ist die individuelle
Zielverwirklichung. Kulturelle Prinzipien und Anforderungen sollen erfüllt werden, damit der Einzelne am
Ende belohnt wird. Der Verhaltensorganismus gilt dabei als „Subsystem der Anpassung“. Allerdings sollten
Erziehung und die Arbeitsteilung in der Gesellschaft darauf abgestimmt sein, den Einzelnen in seiner
Entwicklung zu unterstützen und nicht einzuschränken: „ ... education is not to be about the training of
individuals for the functional requirements of their time and place, it is concerned with the progress of growth
into the best; and that process is `culture´.” (Jenks, 1993, S. 23).
Die Kultur ist folglich nicht etwas Festgeschriebenes, sondern etwas, das stets in Bewegung ist und sich
weiterentwickelt. Man darf beim Begriff „Kultur“ nicht von festen Verhaltensregeln ausgehen, die für alle
Mitglieder dieses Kulturraums verbindlich sind. Die Kultur passt sich auch stets selbst an die Umgebung und
Bedürfnisse der Menschen an. Ändern sich die Wertvorstellungen der Menschen, so ändert sich auch ihr
kulturelles Umfeld.
Hartl (2005, S. 217) weist darauf hin, dass die Kultur die Art, wie Menschen denken und handeln, beeinflusst.
Dies geschieht in einem Spannungsfeld zwischen Verhaltens- und Erlebnisuniversalien.
Thomas (2002, S. 164f) kennzeichnet die Kultur als den Teil der Umwelt, der vom Menschen geschaffen
wurde. Dabei ist Kultur allgegenwärtig. Sie beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln der
Menschen. Sie gibt Orientierung. Die Werte und das Handeln der Mitglieder einer Gesellschaft oder einer
Gruppe von Menschen wird von dem Orientierungssystem, das die Kultur aufstellt, beeinflusst. Spezifische
kulturelle Besonderheiten werden an die nächsten Generationen weitergegeben.
Als Kulturraum kann eine bestimmte Gesellschaft bzw. Gesellschaftsschicht oder Bevölkerungsgruppe definiert
werden oder auch eine ganze Nation, die sich mit ihren kulturellen Eigenarten von anderen Nationen abhebt.
Dabei geht man davon aus, dass die Mitglieder einer Gesellschaft oder die Angehörigen einer Nation nicht
homogen sind. Es kann sein, dass Individuen aufgrund des gleichen Umfeldes oder des gleichen historischen
Ursprungs Ähnlichkeiten aufweisen. Letztendlich weist aber jedes Mitglied der Gesellschaft individuelle
Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale auf. Die gesellschaftlichen Wertvorstellungen und
Normen, die das Individuum prägen, wandeln sich im Laufe der Zeit. Der Mensch wird von seinem kulturellen
Umfeld beeinflusst, andererseits beeinflusst er auch selbst durch seine Wertvorstellungen und sein Verhalten die
Kultur, in der er lebt.
Es ist schwierig Begriffe, wie Volk oder Nation, klar zu definieren. Völker unterscheiden sich durch bestimmte
Eigenarten, zum Beispiel durch die körperliche und geistige Abstammung, genetische Anlagen, Sitten, Sprache
und Gebräuche von anderen Völkern. Während Volk früher ein staatsrechtlicher und politischer Begriff war und
der Begriff Nation eher ein ethnologischer Begriff, ist dies heute genau umgekehrt der Fall. Die Aufteilung von
Menschen in verschiedene Rassen hat man seit dem Holocaust des Dritten Reichs vermieden. Heute werden
anstatt des Rassebegriffs die Begriffe Ethnie (gr. ethnos: Volk, Volksstamm) oder Kultur verwendet. Eine
deutsche oder germanische Rasse bzw. Ethnie gibt es nicht.
Deutschland war und ist ein „Vielvölkerstaat“ mit unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Ausprägungen.
Seit Zeiten der indogermanischen Wanderung vermischen sich in Mitteleuropa verschiedene Volksstämme.
Zwar gab es seit dem Mittelalter ein deutsches Reich, allerdings mit sich stets änderten Grenzen und
Zusammenschlüssen von Fürstentümern und Grafschaften. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden mit der
Gründung des Deutschen Bunds 35 Fürstentümer in einem losen Verbund zusammengeführt. 1871 wurde das
zweite deutsche Kaiserreich mit Wilhelm I als deutschen Kaiser ausgerufen. Das Deutsche Kaiserreich wurde
nach dem verlorenen 2. Weltkrieg in die demokratische Weimarer Republik überführt. Die Nationalsozialisten
begründeten das „Dritte Reich“ unter nationalsozialistischer Diktatur. Nach dem verlorenen 2. Weltkrieg wurde
Deutschland in eine östliche und westliche Besatzungszone und später in zwei Republiken aufgeteilt. Erst im
Jahr 1990 kam es zur Wiedervereinigung Deutschlands.
Nicht nur in Deutschland, auch in der Ukraine gibt es nationale Minderheiten, die ihre eigene Kultur leben. So
sind in der Ukraine zum Beispiel Menschen aus Polen zugewandert, die ihre eigene Religion und Kultur
pflegen. Unter der Sowjetherrschaft wurden viele Russen in die Ukraine umgesiedelt. Sie bilden heute die
größte nationale Minderheit in der Ukraine.
Unter Nation versteht man die Gesamtheit der Bürger eines Staates, die eine Sprach-, Sitten- und
Kulturgemeinschaft bilden. Während früher Nationen hauptsächlich durch Religion und Sitten voneinander
getrennt waren, werden sie heute vor allem durch eine bestimmte Landessprache und durch unterschiedliche
politische Systeme voneinander getrennt. Seit Ende des 18. Jahrhunderts gibt es einen Trend zu nationaler
Staatenbildung. Die politischen Machthaber änderten sich im Laufe der Zeit. So war dies in Deutschland der
Fall: angefangen vom Kaiserreich bis zur Weimarer Republik und der Machtergreifung der Nationalsozialisten,
hin zur Gründung der demokratischen Bundesrepublik Deutschland in Westdeutschland und einer Deutschen
Demokratischen Republik in Ostdeutschland. Erst in der jüngsten Vergangenheit wurden die getrennten Teile
Deutschlands wiedervereinigt. Das sozialistische Ostdeutschland wurde in die westlich demokratische
Bundesrepublik Deutschland integriert. Der politische Wechsel brachte auch einen Kulturwandel vor allem für
die ostdeutsche Bevölkerung mit sich.
Ein ähnlicher Wandel fand in der Ukraine statt. Die kommunistische Regierung in Moskau verlor in den
neunziger Jahren ihren Einfluss auf die anderen Ostblockstaaten und die Ukraine wurde eine eigenständige
Nation. Im öffentlichen Leben wurde statt der russischen Sprache die ukrainische Sprache wieder eingeführt.
Eine eigene demokratische Regierung wurde gewählt und ein Anschluss an die westlichen europäischen
Nationen wird von vielen Ukrainern angestrebt. Allerdings gibt es Stimmen im Lande, die sich lieber weiterhin
eher an den osteuropäischen Raum und an Russland orientieren möchten. Manche Beobachter im Lande
berichten, dass die Nation gespalten sei, in die westeuropäisch orientierte Westukraine und in die Ostukraine,
die sich weiterhin Moskau zuwendet. Man sieht, dass auch in der Ukraine der politische Wechsel seine Spuren
hinterlassen hat. Teilweise änderten sich die kulturellen Werte und wurden ersetzt durch neue. Teile der
Bevölkerung halten aber auch an den „alten“ sozialistischen Werten fest.
3.2 Unterscheidung regionaler, nationaler, europäischer und globaler Kultur
Die Frage, ob es Sinn macht, das Verhalten von Menschen verschiedener Ländergruppen zu untersuchen, ist
strittig. Es ist methodisch kritisierbar, Länder oder Ländergruppen als eigene Kulturräume abzugrenzen und
getrennt zu untersuchen, da es Kulturen ganz verschiedener Reichweite gibt. So unterscheiden Hinde (1992)
und Hofstede (1993) zwischen Familienkulturen, Organisationskulturen, Regionalkulturen und
Nationalkulturen. Diese verschiedenen Kulturen interagieren miteinander, ohne dass sie gleich sind. Es besteht
ein Unterschied zwischen den handlungsleitenden Orientierungen einer Population und den individuellen
Präferenzen ihrer Mitglieder.
Der Zusammenhang zwischen regionalen Besonderheiten, nationaler Gesellschaft, Europäisierung und
Globalisierung wird von Garhammer (1999) thematisiert. Er berücksichtigt dabei den multikulturellen Einfluss
auf die nationale Kultur in der modernen Gesellschaft. In seinem Modell gibt es mehrere Arten von
Kulturebenen. Zunächst gibt es die lokale Lebenswelt, in der der Mensch lebt. Die nächste Umgebung nimmt
direkten Einfluss auf das Verhalten der Menschen.
Der Mensch wird aber auch von nationalen Einflüssen geprägt. Jede nationale Gesellschaft, z.B. die deutsche
Gesellschaft oder die ukrainische Gesellschaft, weist Besonderheiten auf. Diese sind von der nationalen
Wirtschaftslage bedingt, aber auch von Sitten und Gebräuchen, die von den Älteren an die Jüngeren
weitergegeben werden. Nicht in allen kulturellen Bereichen ist der nationale Einfluss gleich groß. Während die
Hochkultur eher national beeinflusst ist, ist die Lebenskultur eher regional beeinflusst. Je nachdem, auf welcher
kulturellen Ebene die Beobachtungen und Befragungen erfolgen, ist das Verhalten der Menschen eher regional
oder national geprägt oder es hat sich international angeglichen.
Die „Selbstbehauptungschancen“ der Kulturen werden durch die Eigengesetzlichkeiten der
Modernisierungsprozesse eingeschränkt. Die Anpassung der Kultur an die Modernisierung ist wechselseitig
(vgl. Müller, 1999). Der Austausch der Kulturen wird vielfältiger und intensiver. So entstehen wechselseitige
Anpassungs-, Lern- und Übernahmeprozesse. Internationale wirtschaftliche Beziehungen gehören zum Alltag
von Industrienationen.
„Wir haben es mit einem ständigen Wechselspiel der Einverleibungsversuche des neuen durch die alte Kultur und dem Ähnlicherwerden der Kulturen durch die Anpassungsleistungen an die Erfordernisse der Moderne zu tun“ (Müller, 1999, S. 56).
Die moderne Wirtschaftswelt wird geprägt von Globalisierungsprozessen. Die Wirtschaft agiert weltweit und
die wirtschaftlichen Kontakte reichen inzwischen weit über den europäischen Raum hinaus. Man lernt fremde
Sprachen, aber auch andere kulturelle Verhaltensweisen kennen. Im Geschäftsleben muss man sich auf den
jeweiligen Geschäftspartner einstellen, und so bleibt es nicht aus, dass man lernt, andere Gewohnheiten zu
akzeptieren, sich mit ihnen anfreundet oder auch die ein oder andere Verhaltensweise übernimmt. Frühere
Entwicklungsländer, wie China, Indien und andere Staaten erstarken zunehmend und machen ihren Einfluss
geltend.
So handelt es sich nicht nur um eine „Verwestlichung“, wenn wir von Globalisierung sprechen. Denn obwohl
die Entwicklung von den westlichen europäischen Staaten und der USA ausging, die neue Absatzmärkte und
billige Zulieferer von Rohstoffen und Waren finden wollten, sind heute viele der nicht westlichen Staaten
wirtschaftlich ebenso einflussreich, wie Westeuropa und die USA. Im Zuge der Globalisierung wird der
„Eurozentrismus“ überwunden und es finden „interzivilisatorische“ Begegnungen statt (vgl. Nederveen, 1998,
S. 91). Die politischen, ökonomischen und weltanschaulichen Wertvorstellungen westlicher Länder sind nicht
für alle Länder universalisierbar. Jeder Versuch, ein westlich definiertes `Weltethos´ als universal verbindlich
Lokale Lebenswelten
zu postulieren und politisch durchzusetzen, ist zum Scheitern verurteilt und würde langfristig zum eigenen
Machtverlust führen (vgl. Mohrs & Kuhnt-Saptodewo, 2000, S. 92).
Weltmarkt
Weltfinanzmarkt Globalisierung globale Kultur
Binnenmarkt
Eurofinanzmarkt Europäisierung europäische Kultur
Nationale Wirtschaft
nationale Gesellschaft nationale Kultur
Abb. 2: Kreuzung sozialer Kreise: nationale Gesellschaft, Europäisierung und Globalisierung (Garhammer, 1999, S. 244)
Bei einem Zusammenwachsen der europäischen Kulturen, sowohl im wirtschaftlichen, als auch im kulturellen
Bereich, bleibt es nicht aus, dass sich eine eigenständige europäische Kultur und Tradition entwickelt. Europa
hat einen eigenen Binnenmarkt und einen eigenen Finanzmarkt, der die Wirtschaft und das Arbeitsleben der
europäischen Mitgliedsstaaten mitbestimmt. Man kann gerade in jüngster Zeit erkennen, dass der Großraum
Europa immer mehr eine einheitliche kulturelle Größe bildet im Vergleich zu den USA und Japan. Süd-, West-,
Ost- und Nordeuropa werden in der Einheit Europa zusammengefasst.
Es wird aber weder als nationaler Staat, noch als vereintes Europa gelingen, sich von anderen kulturellen
Einflüssen komplett abzutrennen. Die europäischen Staaten sind eingebettet in die Weltwirtschaft. Die
Weltmärkte wachsen zusammen, und es gibt einen internationalen Finanzmarkt, der z.B. auf den Wert des Euro
oder die Aktienwerte großer Firmen Einfluss nimmt. Im Zuge der Globalisierung und des Zusammenwirkens
der Wirtschaft gibt es Trends, die das Entstehen einer globalen Kultur ankündigen.
„The spread of the nation-state as a part of the cultural framework of the global system is best understood from a modified structionalist-institutionalist perspective. From this perspective, the identity of states is a product of their own `local´ history and culture and of the `compelling links´ which they have to the global cultural system” (Axford, 1995, S. 126).
Geht man nun davon aus, dass durch die Globalisierung eine Weltkultur entstanden ist, so wirkt sich deren
kultureller Einfluss vor allem auf die Trivialebene aus (vgl. Bühl, 1987, S. 66f). Man denke dabei an den
Einfluss der Popmedien auf die Massen oder an die weltweite automobile Kultur. Alltägliche Handlungen,
Schlafgewohnheiten, die Körperhygiene, das Autofahren, die Arbeit im Haushalt und im Betrieb und die
Unterhaltung mit Medien werden als „Trivialkultur“ bezeichnet. Die alltagsnahe Trivialkultur ist sehr stark
globalen Einflüssen ausgesetzt und wird am meisten von den Medien beeinflusst. Sieht man z.B. den
Jugendsender MTV, so erkennt man das Zusammenwachsen der jugendlichen Popkultur bis hin zur einheitlich
verwendeten englischen Sprache. Es entsteht ein „global village“, bei dem nationale oder regionale
Besonderheiten nur noch eine Nebenrolle spielen.
Aber auch im Bereich der Lebenskultur (vgl. Bühl 1987, S. 67) nimmt die Weltkultur Einfluss. Beispiel ist das
Essverhalten in Fast-Food-Restaurants. Die Einrichtung der Restaurants, die Ansprache und Bedienung der
Kunden bis hin zur Produktpalette sind weltweit gleich. Die internationalen Fast-Food-Ketten haben dazu
beigetragen, dass sich gerade bei Jugendlichen und Berufstätigen das Essverhalten verändert hat. Auch die
Mode wird nicht regional, sondern weltweit durch die Werbung vorgegeben. Bei Jugendlichen gehört die Jeans
zur beliebtesten Hose. Sie ist schnell zu waschen und muss nicht gebügelt werden. In Werbespots und
international gezeigten Fernsehserien wird den Menschen ein bestimmter Lebensstil vorgelebt. Schnelle Autos,
schnelles Essen und schneller Wechsel der Umgebung und der Beziehungen gelten als moderner Lebensstil.
Regionale Besonderheiten verschwinden, vor allem in den Großstädten. Oft leben alte Traditionen der Esskultur
nur an Feiertagen wieder auf.
Nordamerika übt ebenfalls einen starken kulturellen Einfluss weltweit aus. Der CNN sendet rund um die Uhr
die neuesten Nachrichten und Wirtschaftsberichte. Fast Food, Coca Cola und Jeans sind Begriffe, hinter denen
Weltanschauungen stehen. Oft schon wurde eine Zerstörung der europäischen Kultur durch den starken Einfluss
amerikanischer Konzerne und Medien befürchtet. Eine Art „Euro-Nationalismus“ entstand, der sich gegen die
fortschreitende Amerikanisierung zur Wehr setzte. Die Werte des „alten Europas“ stehen den „kulturlosen“
Einflüssen des schnelllebigen Amerika gegenüber. Kritiker sprechen vom „Kulturimperialismus“. Es gibt eine
starke Einflussnahme der amerikanischen Medien und eine Kommerzialisierung der Freizeit durch die
amerikanische Filmindustrie.
Laut einer Studie von Hofstede (2001) ist vor allem die amerikanische Kultur stark individualistisch und
eigenverantwortlich geprägt. Andere Gesellschaftsformen, wie zum Beispiel die osteuropäischen, waren
zumindest in der Vergangenheit eher kollektivistisch ausgerichtet. In Europa sieht man auch heute noch viele
soziale Bestrebungen, die sich zum Beispiel mit Absicherungssystemen bei Arbeitslosigkeit, bei Krankheit und
im Alter widerspiegeln.
Die Warnung lautet, dass eine globale Kultur die regionalen, nationalen und die europäische Kultur verdrängen
könnte. Regionale Besonderheiten, wie zum Beispiel die spanische Siesta, einer Ruhezeit, die in den
Mittagsstunden von weiten Teilen der spanischen Bevölkerung eingehalten wird, verschwinden zunehmend.
Allerdings zeigen sich bei näherer Betrachtung verschiedener europäischer Länder gerade im Bereich der
Lebenskultur noch viele regionale und nationale Unterschiede. Auch europäische Eigenarten können beim
internationalen Vergleich festgestellt werden.
3.3 Kulturelle Besonderheiten der Leistungsgesellschaften in Europa
Garhammer (1999) beschreibt in seinem Buch „Wie Europäer die Zeit nutzen“ zehn Trends in der europäischen
Zeitkultur. Durch das Streben nach materiellem Reichtum und dem Streben, möglichst viel in möglichst kurzer
Zeit zu erleben, wird das Arbeits- und Freizeitleben beschleunigt. Dies geschieht in vielen Fällen auf Kosten der
Zeit, die zum Ausruhen zur Verfügung steht. Um mehr „produktive“ Zeit zu gewinnen, werden Pausen verkürzt
oder weggelassen. Die Arbeitszeit und auch die Zeit für Freizeitaktivitäten verdichtet sich zunehmend. Viele
Freizeitaktivitäten werden in die Abendstunden verlegt. Aktivitäten, die sonst am Wochenende stattfanden,
werden nun auch unter der Woche wahrgenommen. Es entsteht das Gefühl, sowohl im Arbeitsleben, als auch in
der Freizeit „24 Stunden am Tag“ verfügbar sein zu müssen. Produktion, Handel und Transport finden im
weltweiten Handel rund um die Uhr statt. Die Finanzmärkte wechseln sich ab. Schließt die Börse in Frankfurt,
so öffnet die Börse in New York. Schließt diese so geht der Aktien- und Wertpapierhandel in Tokio weiter.
Auch viele Freizeitaktivitäten erstrecken sich bis weit in die Nachtstunden. Am besten ist dies am
Medienkonsum erkennbar. Seit dem Zuschalten vieler privater Fernsehsender kann der Zuschauer rund um die
Uhr Nachrichten und Unterhaltungsprogramme sehen.
In Deutschland veränderten z.B. längere Ladenöffnungszeiten, die Auflösung der Normalarbeitszeit und
flexiblere Arbeitszeitsysteme den Arbeitsalltag. Kürzere Schulzeiten, wie die Verkürzung der Schulzeit bis zum
Abitur, kürzere Ausbildungszeiten und kürzere Anlernphasen, verstärken den Druck auf Schüler und
Berufseinsteiger. Die berufliche Laufbahn ist aufgrund befristeter Arbeitsverträge und der schnellen Fluktuation
oft schlechter planbar. Viele Erwerbstätige sind inzwischen auch in Deutschland gezwungen, mehrere Jobs
anzunehmen, um ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können. Oft muss auch die Frau mitarbeiten, das heißt,
die Kinderbetreuung und Haushaltstätigkeiten müssen in der verbleibenden Freizeit stattfinden. Dies führt zu
einem Mehraufwand für das Zeitmanagement der Haushaltstätigkeiten und zur Wahrnehmung von
Außenbeziehungen der Familie. Es finden weniger gemeinsame Aktivitäten mit der Familie statt, und es werden
weniger Mahlzeiten zusammen eingenommen.
Wer es nicht schafft, Arbeit zu finden und in der modernen Arbeitswelt mitzuhalten, wird an den Rand der
Gesellschaft abgedrängt und ist als Sozialhilfeempfänger von vielen Freizeitaktivitäten ausgeschlossen. Durch
die Kommerzialisierung der Freizeit verschwinden Freizeitaktivitäten, die kostenfrei sind, z.B. das gemeinsame
Wandern. Im Trend sind Freizeitaktivitäten, die Geld kosten, etwa der Besuch eines Fitness-Studios, Skifahren,
Windsurfen, Kinobesuche etc.. Klassenspezifische Freizeitaktivitäten lösen sich zugunsten differenzierter,
individueller Freizeitaktivitäten auf.
Es lässt sich auch ein Trend hin zu der „Verhäuslichung der Freizeit“ erkennen. Fernsehen und Computerspiele
sind moderne Freizeitbeschäftigungen. Viele Menschen betätigen sich als Heimwerker oder im Garten. Dies ist
oft ein Ausgleich zum Stress am Arbeitsplatz. Zu Hause kann sich der Mensch gegenüber der hektischen
Außenwelt abschotten.
Tatsache ist: Der moderne Mensch hat weniger Zeit zum Ausruhen und Schlafen oder zur Einnahme seiner
Mahlzeiten. Seine Umwelt prägt eine schnelle Kommunikation. Über das Internet lässt sich weltweit rund um
die Uhr in Sekundenschnelle kommunizieren. Die Reisewege verkürzen sich durch den Ausbau von
Autobahnen, Intercity-Zügen und bessere Flugverkehrsverbindungen. Die zunehmende Hektik am Arbeitsplatz
und in den Städten kann auch dazu führen, dass sich der Mensch in eine Nische aus Heimat und Tradition
zurückzieht. Die Beliebtheit von Volksmusik und Heimatvereinen lässt die Sehnsucht der Menschen nach
einem Rückzugspunkt erkennen. Gerade in der Großstadt kann beobachtet werden, dass sich kleine Gruppen
von Menschen zusammenschließen.
„Einerseits prophezeien Schätzungen, dass um 2030 etwa 80 Prozent der Menschen in urbanen Megaballungsräumen leben werden, andererseits kann man in den bereits bestehenden urbanen Gefügen eine starke Tendenz zur Reprovinzialisierung und Bildung geschlossener - ethnischer oder sozialer – Kleingruppen beobachten.“ (Hartl, 2005, S. 219).
In den modernen Industrienationen herrscht nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch in der Freizeit ein höheres
Tempo vor. Gleichzeitig ist die zur Verfügung stehende Zeit immer schlechter strukturiert. Früher gab es die
feste Arbeitszeit und eine vom Vereinsleben und der Familie vorgeplante Freizeit. In der heutigen Zeit gibt es
immer seltener die Normalarbeitszeit, und die Freizeit ist weniger vorplanbar. So beklagt Garhammer (1999)
einen Verlust von Sicherheiten durch die Zeitinstitutionen und ein eher fatalistisches Zeitbewusstsein.
Garhammer (1999, S. 464) gibt eine Aufstellung der zehn Trends der europäischen Zeitkultur und zeigt, welche
sozialen Folgen diese Trends mit sich bringen.
Gewinn von Trends Verlust von
materieller Reichtum
Erlebnisreichtum
Beschleunigung Ruhe und Muße
Zeit Verdichtung Pausen
abendliche und nächtliche
Freizeit
Variationsmöglichkeiten
für Circadiantypen
Verstetigung Rhythmen
Zeitsouveränität Deregulierung Regelmäßigkeit
Sicherheit
Individualität Desynchronisation Sozialzeit
Individualisierung Gemeinschaftlichkeit
Selbstverantwortung
Planbarkeit
Zeitmanagement Spontaneität
Freizeit
Fatalismus Planbarkeit
Selbstverantwortung Neue Zeitbindung Freizeit
Kalkulierbarkeit Ökonomisierung der Zeit Gleichheit
soziale Integration
Abb. 3: Zehn Trends in der europäischen Zeitkultur und ihre ambivalenten sozialen Folgen (Garhammer, 1999,
S. 464)
Garhammer (1999) geht davon aus, dass Trends in der europäischen Zeitkultur nicht überall gleich weit
fortgeschritten sind. Seiner Ansicht nach gibt es Zentren des Wandels, z.B. Großstädte auf der einen Seite, die
diese neuen Trends besonders sichtbar machen und auf der anderen Seite ländliche Regionen, bei denen die
Trends noch nicht so ersichtlich sind.
Bei unserer Studie werden zwei Länder in Augenschein genommen, die nicht auf gleicher Stufe des
wirtschaftlichen Fortschritts stehen. Während Deutschland als erfolgreichstes Exportland in Europa sein
wirtschaftliches und arbeitstechnisches Umfeld bereits an die Prozesse der Globalisierung der Wirtschaft
angepasst hat, ist die Ukraine noch immer im Umwandlungsprozess. 1991 erklärte die Ukraine ihre
Selbstständigkeit und öffnete dadurch auch wirtschaftlich die Grenzen zum Westen. Die inneren Umstellungen
der Wirtschaft, z.B. durch die Privatisierung von Staatsbetrieben und durch die Umstellung auf neue
Produktionsverfahren, sind noch im vollen Gange. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. In der
Ukraine hat die Landwirtschaft und der Bergbau auch heute noch einen weitaus größeren Stellenwert als in
Deutschland, wo der Haupterlös der Volkswirtschaft mit industrieller Produktion erzielt wird.
Leitwerte des europäischen Modells sind Freiheit und Gleichheit, aber auch Wachstum und soziale Sicherheit.
Lange Zeit schienen sich diese Zielsetzungen nicht gegenseitig auszuschließen. Im Zuge einer
neokapitalistischen Veränderung des Wirtschaftslebens aufgrund des freien Welthandels sind diese Ziele in
Frage gestellt. Freie Marktkräfte und Wachstum um jeden Preis passen nicht zu traditionellen Grundsätzen einer
sozialen Marktwirtschaft, die den Bürgern gleiche Chancen und soziale Sicherheit bieten möchte.
„In Western Europe, or at any rate its continental nations, this assumption is not quite unfounded. Here the political Tradition of the workers´ movement, the salience of Christian social doctrines and even a certain normative core of social liberalism still provide a formative background for social solidarity in their public self representations, Social and Christian Democratic parties in particular support inclusive systems of social security and a substantive conception of citizenship, which stresses what John Rawls calls “the fair value” of equally distributed rights. In terms of comparative cultural analysis, we might speak of the unique European combination of public collectivism and private individualism” (Habermas, 2006, S. 29f).
Heutzutage kollidieren kollektive Ziele von Arbeitszeitverringerung und Mindestlöhnen mit den
neokapitalistischen Ansprüchen einer globalen, freien Weltwirtschaft. Die westeuropäischen Länder
konkurrieren mit Billiglohnländern um die Niederlassung moderner Industrieanlagen. Seitdem viele
Zollschranken wegfielen und auch die kommunistischen Länder, wie z.B. Osteuropa und China weltweit
Handel treiben, entsteht ein neuer Konkurrenzdruck. Hohe Tarifabschlüsse und niedrige Arbeitszeiten, wie dies
zum Beispiel in Deutschland der Fall ist, bedingen die Abwanderung ganzer Branchen nach Osteuropa und
verursachen hohe Arbeitslosenquoten im Inland. Viele deutsche Unternehmen verlagern ihre Produktion nach
Osten, in Länder wie z.B. Polen, Tschechei, Rumänien, oder auch in die Ukraine. Die Bedürfnisse der
nationalen Wirtschaft und Gesellschaft werden mehr und mehr auf den Zufluss des Kapitals von den weltweiten
Aktionären und Kapitalgebern ausgerichtet.
Der Weltmarkt hat also klare Auswirkungen auf den europäischen Binnenmarkt und die nationalen Standorte.
Regulierungen, wie die Vereinbarung einer Normalarbeitszeit, Tariflohnsysteme und die Einteilung von freien
Arbeitstagen und Nachtruhestunden verschwinden zunehmend zugunsten einer höheren Flexibilität auf dem
Weltmarkt. Der Staat und seine Unternehmen versuchen, weltweit konkurrenzfähig zu bleiben.
Friedman (1995, S. 34) bringt das Beispiel des „Yuppies, der in Brüssel arbeitet, auf den Seychellen Urlaub
macht und nichts zu tun hat mit dem Arbeitslosen von nebenan“. Der „Young Urban Professional“, der stets
mobil ist, sich auf allen Kontinenten zu Hause fühlt und 24 Stunden am Tag im Einsatz ist, ist ein neuer
Menschentyp des globalen Zeitalters. Dieser Menschentyp lebt eigenverantwortlich, ohne soziale Netze und
kann in einem globalen kapitalistischen Wirtschaftssystem nur aufgrund seiner eigenen Fähigkeiten und
Leistungen überleben. Der moderne Großstadtmensch ist international ausgerichtet und lebt in einer globalen
Kultur. Er hat nur noch wenige Gemeinsamkeiten mit anderen Bürgern, die zum Beispiel in ländlichen
Regionen leben oder aus anderen gesellschaftlichen Schichten und Berufsfeldern kommen.
Die Politik in den meisten europäischen Staaten schwankt zwischen dem Erhalt des sozialen Wohlfahrtstaates
und der Anpassung der Wirtschaft an globale Bedingungen. In seinem Buch „Zeitalter der Extreme“ bezeichnet
Hobsbawm (1994, S. 28) die kulturellen Entwicklungen des dritten Quartals des 20. Jahrhunderts als “Golden
Age”. In Westeuropa bildeten sich Wohlfahrtsstaaten, die sich heute gegen den Einflüssen der Globalisierung
zur Wehr setzen müssen.
Der wirtschaftliche Aufschwung in den westeuropäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg hatte nicht nur
Wohlstand, sondern auch eine breit gefächerte, erneuerte europäische Kultur zur Folge. In der Nachkriegszeit
wurde in Westeuropa Wert darauf gelegt, dass mit fortschreitendem Wohlstand auch das soziale Netz ausgebaut
wurde. Auch in Osteuropa entsprach eine Grundversorgung der Bevölkerung der sozialistischen Staatsführung.
Erst in jüngster Zeit treten im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft Befürchtungen auf, dass durch die
weltweite Konkurrenz auf dem Kapital-, Güter-, und Arbeitsmarkt die „europäische Tradition des Sozialen“
ganz verschwindet. Diese schätzenswerte Tradition gilt heute eher als „Verkrustung“ oder „Eurosklerose“ (vgl.
Garhammer, 1999, S. 508). Um diesen Tendenzen entgegen zu wirken, empfiehlt Garhammer (1999, S. 511f) ein Festhalten an den sozialen
Errungenschaften und sogar einen Ausbau der sozialen Zeitpolitik in Deutschland und ganz Europa. Er
befürwortet einen weiteren Ausbau des gesellschaftlichen Zeitwohlstandes mit kollektiver Reduzierung der
tatsächlichen Arbeitszeit. Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass sich die Wartezeiten im Verkehr, auf
Ämtern, für Dienstleistungen, in den Läden und Arztpraxen verringern. Dies ist allerdings nur möglich, wenn
die Öffnungszeiten der Dienstleistungsbetriebe besser auf die arbeitende Bevölkerung abgestimmt werden.
Zeitinstitutionen, wie freies Wochenende, freie Abendstunden und Feiertage, müssen eingehalten werden. Die
Arbeitszeiten sind nach wie vor von kollektiven Standards abhängig. Eine wirkliche Wahlfreiheit des
Individuums gibt es nicht, selbst in Unternehmen, in denen die Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten mit den Kollegen
abstimmen können.
Garhammer (1999, S. 511f) mahnt, den Zugang benachteiligter Bevölkerungsschichten zu Freizeit-angeboten zu
verbessern. Die Zeitnot darf nicht durch finanzielle Not und soziale Exklusion verstärkt werden. Gruppen der
Bevölkerung, die besonders unter Zeitdruck stehen, müssen entlastet werden. Die Familienarbeit muss in einer
Gesellschaft, in der immer mehr Frauen berufstätig sind, auch auf die Männer umverteilt werden. Die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist nicht zuletzt auch Aufgabe der Betriebe und staatlichen
Kinderbetreuungseinrichtungen. Eine Synchronisation der Zeitstrukturen in Wirtschaft, Familie und Freizeit ist
sowohl auf lokaler, als auch auf regionaler und nationaler Ebene nötig.
Wertvorstellungen des „alten Europa“ von einem gerechten und sozialen Staat heben sich gegenüber der
restlichen Welt ab, wobei aber auch die einzelnen Staaten Europas eigene Vorstellungen über die
Verwirklichung eines solchen Staates haben. Durch die langanhaltende Trennung der osteuropäischen Länder
von Westeuropa und der freien Marktwirtschaft, befinden sich unsere östlichen Nachbarn noch in einem
Umbruchprozess. Alte Zielsetzungen des Sozialismus von Vollbeschäftigung, kollektivem Arbeiten und
staatlich regulierten Märkten werden ersetzt durch die Gesetze des freien Marktes. Der Faktor Arbeitszeit wird
zu einem geldwerten Handelsfaktor. Die Freizeit ist nicht mehr kollektivistisch strukturiert, sondern es gibt
vielseitige Angebote einer Freizeitindustrie. Langsam aber stetig wandelt sich das Bild des ehemaligen
Ostblocks.
Länder wie die Ukraine sind gerade dabei, eine völlig neue Gesellschaftsstruktur aufzubauen. Das hat
Auswirkungen vor allem auf die junge Generation dieses Landes. In unserer Studie wurden vor allem
Studenten, das heißt junge Ukrainer, befragt. Haben sich diese Ukrainer schon ganz den Wertvorstellungen und
dem Lebensstil des Westens verschrieben oder können Jahre nach Öffnung der Grenzen noch kulturelle
Eigenarten gefunden werden?
3.4 Nationale Identitätsbildung und Kulturstandards
Mead (1975) geht davon aus, dass sich die Identität des Menschen in Wechselwirkung mit der Gesellschaft
entwickelt. Die Persönlichkeit teilt sich in die beiden Instanzen „me“ und „I“, die zusammen die Identität bilden
und das Handeln koordinieren. Während das „I“ das „personale Selbst“ bezeichnet, das das Subjektive, die
Spontaneität und die Kreativität des Menschen abbildet, stellt das „me“ das „soziale Selbst“ dar. Das „I“ wird
häufig als die Triebausstattung des Menschen beschrieben, während das „me“ das Bild, das andere Menschen
vom Individuum haben, und die Verinnerlichung der Erwartungen der anderen Menschen abbildet. Die beiden
Instanzen stehen in einem ständigen Dialog miteinander. Im Laufe des Lebens verändert sich die Identität des
Menschen im aktiven Prozess der Sozialisation.
Die Theorie der Sozialen Identität (Tajfel & Turner, 1979, 1986) gibt vor, dass der Mensch nach einer positiven
Sozialen Identität strebt, die in Beziehung steht zu den gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Bei ihren
Minimal-Group-Untersuchungen gingen Tajfel und Turner davon aus, dass die Identität einer Person aus der
individuellen Biographie dieser Person und ihrer Gruppenzugehörigkeit bestimmt wird. Der Mensch muss sich
der Mitgliedschaft zu einer Gruppe bewusst sein und diese Mitgliedschaft muss für ihn einen Wert und eine
emotionale Bedeutung darstellen. Der Mensch versucht eine positive Selbstwertschätzung aufgrund einer
positiven „Persönlichen Identität“ und einer positiven „Sozialen Identität“ aufzubauen. Es spielt nicht nur der
eigene Status eine Rolle, sondern auch der Status der Gruppe, der man sich zugehörig fühlt. So wird die eigene
Gruppe mit fremden Gruppen verglichen. Gerade bei der Beurteilung fremder ethnischer Gruppen kann man oft
Vorurteile und Abwertungen dieser Gruppen erkennen. Durch die Abwertung der anderen Gruppen soll nicht
zuletzt eine Aufwertung der eigenen Gruppe erreicht werden.
Krewer (1996) sieht verschiedene Stufen der Identität, die ein Mensch heranzieht, um sich selbst zu definieren.
Krewer (1996, S. 160) erkennt auf interpersoneller Ebene die personale Identität der Menschen, auf
intergruppaler Ebene die soziale Identität des Menschen (z.B. Berufsgruppen- und Gruppenzugehörigkeit) und
auf interkultureller Ebene die kulturelle Identität des Menschen. Diese bezieht sich auf Kulturstandards,
Wertorientierungen, und kulturelle Regelbereiche. Wenn man eine Kultur A mit einer anderen Kultur B
vergleicht, kann man dies auf allen genannten Problemebenen tun, wobei das Erkennen von Individualität
inmitten der kulturellen und gruppalen Besonderheiten zu einer differenzierten kulturellen Selbst- und
Fremdwahrnehmung führt.
„People have levels of identity: a resident of Rome may define himself with varying degrees of intensity as a Roman, an Italian, a Catholic, a Christian, a European, a Westerner. The civilization to which he belongs is the broadest level of identification with which he intensely identifies” (Huntington, 1993, S. 24; zitiert nach Mohrs & Kuhnt-Saptodewo, 2000, S. 35).
Man kann nach dieser Aussage einer Person verschiedene Identitäten zuschreiben. So kann sich eine Person als
Deutscher sehen, gleichzeitig aber auch zum Beispiel als Einwohner der bayerischen Landeshauptstadt
München, als Einwohner eines bestimmten Stadtviertels, eines bestimmten Häuserblocks und als Mitglied einer
bestimmten Familie. Als Gläubiger ist er Katholik. Die höchste Form der kollektiven Identität bildet dabei die
kulturelle Identität. Sie ist die breiteste und umfassendste Form der Identität.
Die nationale Zugehörigkeit ist eine Stufe der kulturellen Identität eines Menschen. Man kann die Nation auch
als „Landsmannschaft“ definieren. Die europäischen Nationen selbst bildeten sich erst nach der französischen
Revolution. Dies ist eine relativ kurze Zeit in der Geschichte. Um dennoch eine historische Kontinuität
darstellen zu können, wurde das Vorhandensein deutscher Kultur mit dem Arminius-Mythos begründet. Die
deutsche Nation soll beim Sieg von Arminius über die Römer ins Leben gerufen worden sein. Herder trug mit
der deutschen Nationalsprache dazu bei, dass sich Deutschland von Frankreich abhob. Lange Zeit war nämlich
Französisch die Sprache der Adeligen, Intellektuellen und der Großbourgeoisie in Deutschland (vgl. Thomas,
1996b, S. 78f).
„Dabei wird eine `Wir-Welt´ mit `Sie-Welten´ in Beziehung gesetzt. Das heißt einmal, dass die Kriterien spezifiziert werden, nach denen die eigene Gruppe sich selbst und ihre besonderen
Verhaltens- und Bewegungsregeln definiert, sowie wer und was außerhalb der engeren Gemeinschaft zum `Wir´ gehört. Es sind die, die man als `nett´, `freundlich´, `gleichgesinnt´, `hilfreich´ und ähnlich einordnet (eine Einordnung, die, man weiß es, sich zuweilen auch wandeln kann); zugleich aber wird festgelegt, welches die `anderen´ sind. Die Trennung in `wir´ und `sie´ kann scharf abgrenzen - `Wir, die Christen, sie, die Moslems´, `wir, die Europäer, sie, die Asiaten´, ja selbst `wir, die Jungen, sie, die Alten´ - oft aber ist die Trennung auch gradueller Art: es gibt die `wir-näheren´ und die `wir-ferneren´ Personen oder Gruppen. Die Grenzen innerhalb der Wir-Sie-Dichotomie sind oft fließend“ (Boesch, 1996, S. 89).
Laut Boesch (1996) ist die Wir-Sie-Dichotomie besonders in der Vorpubertät ausgeprägt, wenn das Kind sich
vor allem mit der eigenen Familie identifiziert. Der Wir-Sie-Kontrast festigt die soziale Identität des Kindes.
Allerdings entfernt sich das Kind und später der Jugendliche zunehmend aus dem vertrauten Bereich der
Familie und baut seine eigene subjektive Identität auf. Die Ich-Strukturierung erfordert eine Selbstdefinition
sowohl gegen Andere als auch gegenüber der eigenen Gruppe.
Schon sehr früh entwickelte Erikson (1945, S. 330) Begriffe, wie „group ego“ und „individual ego“ bzw.
„personal ego“. Diese Begriffe werden in Zusammenhang gebracht mit dem Charakterbegriff. Erikson
beschreibt Charaktereigenschaften der Sioux Indianer („sioux character“) und der Yuroks („yurok character“)
und den „yurok collective character“. Eriksons versucht den „national character“ von US-Ame-rikanern
dadurch zu bestimmen, indem er den Charakter der Indigenen bestimmt und die Distanz zwischen beiden
Charakteren aufzeigt. Die Betrachtung geht weiter, indem er die Welt aufteilt in nationale Charaktere, um
soziale Phänomene und die Gesellschaft zu beschreiben. Der Nationalcharakter wird so zum paradigmatischen
Fall für Gruppenzugehörigkeit.
Hansen (2001, S. 18f) kritisiert das Verwenden des Begriffs „Nationalcharakter“, der vor allem im 19.
Jahrhundert als Schnittmenge aller Individuen einer ethnischen Wir-Gruppe postuliert wird. Zwar weisen
ethnisch definierte Wir-Gruppen gehäuft gemeinsame Verhaltensmerkmale auf, man müsse aber zwischen
Verhalten einerseits und Eigenschaft der Personen andererseits unterscheiden. Die Kategorie „so-zialer
Habitus“ erlaubt eine Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Eigenschaftsmerkmalen. Somit müsse man laut
Hansen bei der Beobachtung von Verhaltensmerkmalen nicht mehr auf Eigenschaftsgemeinsamkeiten
schließen, wie dies beim „Nationalcharakter“ der Fall ist.
Mead (1946, S. 22f) verweist auf nationale Charaktere als Ergebnis einer kulturell bestimmten Erziehung. Die
„American identity“ ist von ständigem Wandel bestimmt. Der amerikanische Nationalcharakter unterscheidet
sich von der Raum- und Zeitperspektive der Sioux, die ein statisches Kontrastbild zur Dynamik Amerikas
darstellen. In den 50er Jahren sollten spezielle Bundesprogramme („termination policy“) die Assimilation von
Indigenen in die Mehrheitsgesellschaft fördern. Seit den 50er Jahren kann man bei allen westlichen
Industrienationen eine Zunahme von „Homogenisierung, Kontinuierung und Eindimensionalisierung“
feststellen. Mit einer flexibel-normalistischen Strategie wird eine „Inklusion der Anderen“ (vgl. Jungwirth,
2007, S. 194) bezweckt.
Kulturelle Identitäten sind dynamisch, sie verändern sich mit der Zeit und können auch wieder ganz
verschwinden. Kulturelle Identitäten müssen deshalb aus evolutionstheoretischer Sicht betrachtet werden. Nach
Korad Lorenz wird der Mensch wird als Produkt einer biologischen Evolution gesehen, ein Resultat aus
Mutation und Selektion. Ein soziobiologischer Kerngedanke ist es, dass „Bewusstsein“, „Geist“, „Vernunft“,
Sprachlichkeit“ und nicht zuletzt „Kultur“ menschliche Systemeigenschaften darstellen. Es sind
Anpassungsleistungen des Menschen an die Umwelt im Laufe der humanen Phylogenese.
Bei dem Begriff „kulturelle Identität“ muss zwischen nationaler Identität und europäischer Identität
unterschieden werden. So stellt Said (1978) eine Vorstellung von „europäischer Identität“ heraus, die sich allen
nicht-europäischen Völkern und Kulturen überlegen sieht. Aber auch zu Japan und den Vereinigten Staaten
bilden sich Differenzen (vgl. Münch, 1995a). In der europäischen Union versuchen wiederum supranationale
Gruppierungen Einfluss und Selbstständigkeit zu gewinnen.
Auch jeder Nationalstaat bildet seine eigene kulturelle Identität. Im „Dritten Reich“ war diese Identität zum
Beispiel in Deutschland vor allem durch den Nationalsozialismus bestimmt. In der DDR und im Osteuropa der
Nachkriegszeit war die nationale Identität lange Zeit durch den Stalinismus und Formen des Kommunismus
geprägt. Zu dieser Zeit zielte die Sowjetunion darauf ab, eine eigene Identität der sozialistisch regierten Staaten
Osteuropas zu begründen. Im Gegenzug dazu zeigten sich in Westeuropa zunächst wirtschaftliche Bestrebungen
der Zusammenarbeit, die sich später auch auf ein politisches und ideologisches Zusammenwachsen der
westeuropäischen Nationen ausrichteten.
Die Europäische Union (EU) ist schon lange nicht mehr nur ein Verbund von wirtschaftlichen Interessen
westeuropäischer Staaten. Heute hat sie ein eigenes Parlament und eine eigene Gesetzgebung. Viele Länder aus
dem osteuropäischen Raum haben sich inzwischen ebenfalls der EU angeschlossen oder zeigen Interesse sich
anzuschließen. So werden z.B. in ehemaligen Ostblockstaaten, wie der Ukraine, die Stimmen immer lauter, die
fordern, sich der EU anzuschließen. Es bleibt nicht aus, dass sich im Zuge dieser Prozesse des politischen,
wirtschaftlichen, aber auch kulturellen Zusammenwachsens der Nationen eine eigene europäische Identität
herausbildet.
Ziel der europäischen Politik ist allerdings nicht die Gleichmachung, wie es die Nationalsozialisten oder
Kommunisten forderten, sondern, alle Facetten von Identität im Gleichgewicht zu halten. Das „Wir“ kann
sowohl als Teil einer lokalen und regionalen Gemeinschaft, als auch als Teil einer Nation und als Teil von
Europa begriffen werden (vgl. Weidenfeld, 2007, S. 19). Die europäische Union stellt einen Zusammenschluss
von verschiedenen Nationen dar, die miteinander kooperieren und kommunizieren. Sie soll aber nicht die
Nationen ersetzen. Nach wie vor gibt es die Nationalstaaten mit eigenen Parlamenten, die Entscheidungen über
die wichtigen Themen des Landes (vgl. Einführung der Währungsunion) treffen. Dabei sind die Staaten
weitestgehend autonom. Allerdings werden wichtige Kernthemen, wie zum Beispiel die Einhaltung der
Menschenrechte und ethische Grundsätze, von der europäischen Union von jedem Mitgliedsstaat gefordert.
Jede Kultur zeigt spezifische Kulturstandards. Thomas (1993, S. 381) definiert Kulturstandards als Arten des
Wahrnehmens, Denken, Wertens und Handelns, die von der Mehrheit der Mitglieder einer bestimmten Kultur
für sich und für andere als normal angesehen wird. Diese Kulturstandards können für eine bestimmte Gruppe
oder auch für eine bestimmte Nation typisch sein. Es gibt kulturspezifisch beschreibbare rollen- und
situationsspezifische Verhaltenserwartungen, denen wiederum kulturspezifische Normen zugrunde liegen. Eine
Nichterfüllung der Verhaltenserwartungen kann die gegenseitige Kommunikation und Interaktion stören,
eventuell sogar unmöglich machen.
Krewer (1996) gibt ein Kulturstandardkonzept vor, bei dem Kulturstandards als Orientierungssysteme dienen,
um eigenes und fremdes Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln in interkulturellen Kontaktsituationen
verständlich zu machen. Sie sind Mittel der Selbst- und Fremdreflexion bei interkulturellen Begegnungen.
Eckensberger (1996) untersucht die Auswirkungen unterschiedlicher Kulturstandards auf die Kommunikation,
Interaktion und Verhaltensinterpretation. Auch er geht davon aus, dass Kulturstandards Orientierungssysteme
für bestimmte Kulturen darstellen. Dabei ist der Kulturstandard ein situa-tionsgebundenes, weit gefasstes,
relativ stabiles Konstrukt. Bei interkulturellen Kontakten gibt es wechselseitige Vorstellungen, Stereotype und
Zuschreibungen kultureller Eigenarten.
3.5 Nationen als Kulturräume
Länderspezifische Untersuchungen anzustellen und länderspezifische Stereotype herauszufinden war bereits seit
den 30er und später wieder in den 50er Jahren ein beliebtes Forschungsthema der Anthropologen. Man
versuchte einen „nationalen Charakter“ herauszuarbeiten (vgl. „The Patterns of Culture“ von Benedict,
1934/1959). Bateson (1942/1973) stellt fest, dass gleich wie heterogen eine Nation sich zusammensetzt, die
Angehörigen der Nation miteinander kommunizieren und kooperieren, was wiederum bewirkt, dass sie sich
gegenseitig beeinflussen und im Verhalten angleichen.
Mitte der 50er Jahre vollzog sich eine Änderung im Forschungsinteresse. Nun waren nicht mehr die „nationalen
Charaktere“ im Mittelpunkt des Forschungsinteresses, sondern die nationalen Kulturen mit ihren komplexen
Gesellschaftsformen. Nicht mehr die einzelne Persönlichkeit, sondern die Kultur als Ganzes sollte untersucht
werden.
Hofstede (2001) stellte bei seiner Länderstudie Beziehungen zwischen äußeren Umweltfaktoren, ökologischen
Faktoren, sozialen Normen und Wertesystemen und den Gesellschaftsstrukturen fest, wobei die
gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen sich wiederum auf die ökologischen Faktoren und auf die
Normen und Werte der Gesellschaft auswirken.
OUTSIDE INFLUENCES Forces of nature Forces of man: Trade Domination Scientific discovery
Abb. 4: National Cultures and Their Stability (Hofstede, 2001, S, 12)
Rohner (1984) schlug vor, zwischen kulturellen und gesellschaftlichen Konzepten zu unterscheiden. Allerdings
sieht auch er die Schwierigkeit zwischen dem Begriff „society“ und „culture“ klar zu trennen.
„It was suggested above that no definitive agreement is possible as to how to distinguish one culture from another. Our further discussion has brought us to the point of acknowledgement that the history of the world over the past century has created increasingly powerful nation-states, which are certainly societies within Rohner´s defintion, and which may for many purposes be considered as cultures. … For practical purposes we are therefore restricted to using distinctions based on what we shall call `national cultures´ ” (Smith & Bond, 1993, S. 37).
Ein Land wie Deutschland ist als Nation erst seit dem letzten Jahrhundert im Gespräch. Vorher war
Deutschland ein Konglomerat aus vielen kleinen Fürstentümern und Grafschaften, die nur sehr instabil von
wenigen Monarchen zusammengehalten wurden. Die deutsche Nation hat viele Volksgruppen unter einem Dach
vereinigt, wie etwa die Bayern, die Schwaben, die Sachsen, die Westfalen, die Preußen. Erschwerend hinzu
kommt, dass die Nation Deutschland, die noch nicht lange bestand, nach Ende des 2. Weltkriegs wieder in zwei
Teile getrennt wurde, die bis 1990 ein unterschiedliches Wirtschaftssystem und Gesellschaftssystem aufwiesen.
Ebenso ist die Ukraine ein Land, das in seiner Geschichte oft von fremden Völkern besetzt und regiert wurde
oder zumindest unter dem Einfluss dieser Völker stand. Um das Jahr 980 entstand die Kiewer Rus, ein Reich,
das sich aus mehreren Fürstentümern zusammensetzte. 1648 gab es eine Unabhängigkeitsbewegung. Später
wurde die Ukraine vielen Großmächten zugeteilt. So haben Polen, Russland, Litauen und die österreichisch-
ungarische Monarchie lange Zeit Einfluss auf die Ukraine genommen. Die schlimmste Zeit der Fremdherrschaft
fand Anfang des 19. Jahrhunderts statt, als die Ukraine zunächst von den Bolschewiken aus Russland, dann von
den Deutschen besetzt wurde und später wieder unter Stalin in das Sowjetische Reich integriert wurde. Viele
Ukrainer verloren ihr Leben, wurden verfolgt und deportiert oder litten Hunger. Unter der Sowjetherrschaft
ORIGINS Ecological factors:
geography history demography hygiene nutrition economy technology urbanization
SOCIETAL NORMS Value systems
of major groups of population
CONSEQUENCES Structure and functioning of institutions: family pattern role differentiation social stratification socialization emphases educational systems religion political systems legislation architecture theory development
wurde die ukrainische Kultur von der russischen verdrängt. Sowohl die ukrainische Sprache als auch andere
kulturelle Eigenständigkeiten waren nicht gern gesehen. Russisch wurde zur Amtssprache und die politische
Macht ging von Moskau aus. Erst in jüngster Vergangenheit, seit dem Öffnen des Ostblocks durch Perestroika
und Glasnost konnten kulturelle Eigenarten wieder gelebt werden. Die Ukraine, die vorher reiner Satellitenstaat
war, wurde 2004 endgültig eine selbstständige Republik. Ganz vergessen ist die sowjetische Fremdherrschaft
allerdings bis heute nicht und die Russen bilden auch heute noch mit ca. 20 Prozent der Bevölkerung die größte
ethische Minderheit im Lande.
Bei dieser Studie wird davon ausgegangen, dass sich Deutschland und die Ukraine in den letzten zwei
Jahrzehnten in einem starken Umwandlungsprozess befanden. Vor fast zwanzig Jahren fiel in Deutschland die
Grenze zum Osten, die ehemalige DDR wurde in die Bundesrepublik eingegliedert. In der Ukraine begann der
Prozess der Öffnung zum Westen vor ungefähr zehn Jahren. Im Zuge dieser gesellschaftlichen Umwandlungen
von einem sozialistischen Einparteienstaat zu einem demokratischen Staat mit offenen Grenzen kam es auch bei
der Bevölkerung des ehemaligen Ostblocks zu einem Umdenkprozess. Die Menschen im Osten, die jahrelang
dem kommunistischen Regime des Warschauer Pakts angehörten, waren plötzlich mit westlich kapitalistischen
Weltanschauungen konfrontiert. Der „sozialistische Geist“, der zumindest vordergründig laut Propaganda der
kommunistischen Parteien in den osteuropäischen Ländern herrschte, wurde ersetzt durch das Bewusstsein, sich
in einer kapitalistisch geprägten Umgebung nun selbst als Individuum behaupten zu müssen. Die sozialistischen
Werte, die den Menschen als Bestandteil eines Kollektivs ansah, für das der Mensch lebte und arbeitete, waren
nun nicht mehr aktuell.
Die Öffnung zum Westen und die Auflösung der kollektivistischen Wirtschaft gab den Bürgern in den östlichen
Ländern Europas nicht die Chance sich frei entscheiden zu können, ob sie weiterhin im Kollektiv arbeiten
möchten oder nicht. Die ostdeutschen Betriebe wurden bald nach Grenzöffnung privatisiert und auch zahlreiche
Betriebe in der Ukraine sind inzwischen keine Staatsbetriebe mehr. Die kapitalistische Gesellschaft bot nun
viele Möglichkeiten und Chancen, zeigte aber auch Risiken, die vorher nicht existierten. Wer leistungsfähig und
geschäftlich geschickt war, konnte größeren Wohlstand erringen. Wer jedoch seine Fähigkeiten nicht so gut
einsetzen konnte oder nicht über die nötige Leistungsfähigkeit verfügte, sah sich bald als „Verlierer“ der
Wende. Dazu gehörten nicht zuletzt die weniger gut ausgebildeten Arbeitskräfte, Frauen und ältere
Arbeitnehmer, die nach der Privatisierung oder Schließung der Betriebe oft arbeitslos wurden. Die Zeiten der
Vollbeschäftigung und der garantierten Arbeitsplätze des sozialistischen Regimes sind vorbei. Wer keine Arbeit
hat, bekommt in Deutschland zwar Arbeitslosengeld oder eine Mindestsozialabgabe des Staates, insgesamt
gerät der Langzeitarbeitslose jedoch oft in eine schwierige finanzielle Lage und wird auch gesellschaftlich als
Außenseiter abgestempelt.
Während Deutschland zum westeuropäischen Kulturraum zählt, ist die Ukraine ein osteuropäisches Land.
Während Westdeutschland schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs von der westlichen Lebensart und von den
USA stark kulturell beeinflusst wurde, war Ostdeutschland viele Jahre vom Westen abgetrennt und wurde von
der Sowjetunion gesellschaftlich und politisch gesteuert.
Auch die Ukraine war lange Zeit unter sowjetischer Vorherrschaft, von Moskau aus regiert. So ist heute noch
trotz der Demokratieprozesse und der Öffnung zum europäischen Westen der Einfluss Russlands in der Ukraine
sehr stark. Während Deutschland in den letzten zwanzig Jahren Zeit zur Wiedervereinigung und zum
kulturellen Zusammenwachsen hatte, ist die Ukraine noch in einer Aufbruchstimmung, die von verschiedenen
politischen und kulturellen Kräften vorangetrieben wird. Berichten zu Folge neigen die Westukrainer mehr zu
einer Öffnung nach Europa, während die Ostukrainer eher Russland, das heißt der orthodoxen, slawischen
Kultur zugewandt sind. Viele Prozesse, wie die Industrialisierung des Landes, die in Westeuropa schon sehr
weit fortgeschritten ist, sind in Osteuropa, vor allem in den Gebieten, in denen hauptsächlich Agrarwirtschaft
betrieben wird, erst im Entstehen.
Der Umstand, dass Ost- und Westdeutschland lange Zeit getrennte Länder mit unterschiedlichen
Gesellschaftsformen waren, sowie die prowestliche und prorussische Einstellung in der West- und Ostukraine
haben mich veranlasst, nicht nur die Nationen als eigenständige Kulturräume, sondern auch jeweils den Westen
und Osten dieser beiden Länder getrennt zu untersuchen. „We should bear in mind that differences found
between any two countries might well also be found between carefully selected subcultures within those
countries” (Smith & Bond, 1993, S. 37).
Diese einzelnen Fragen, die bei unserer Untersuchung zum Tragen kommen, münden nicht zuletzt in die
Fragestellung, ob die sozialistische Vergangenheit die Menschen in Ostdeutschland und der Ukraine in ihren
Wertvorstellungen und ihrem Verhalten nachhaltig geprägt hat, oder ob nun Jahre nach der Öffnung zum
Westen kaum mehr Unterschiede zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland, bzw. zwischen Deutschland
und der Ukraine erkennbar sind. Vermischen sich die Kulturen beim Zusammenwachsen der Nationen im Zuge
der Europäisierung und Globalisierung oder sind die über Jahrzehnte vertretenen Wertvorstellungen
verschiedener Gesellschaftssysteme immer noch im kulturellen Leben und Verhalten der Menschen sichtbar?
3.6 Einstellungen, Werte und gesellschaftliche Normen
In der Persönlichkeitspsychologie und im Bereich der Soziologie, findet der Begriff „Einstellung“ (eng.
attitude) häufig Gebrauch. Diesen Begriff muss man von den Werten, die ein Mensch hat, abgrenzen, wobei in
Einzelfällen die Grenzen fließend sind. Man kann Einstellung definieren, als Kerngedanke oder Norm, die
hinter der Ausführung spezieller Handlungen steckt. „An attitude is a relatively enduring organisation of beliefs
around an object or situation predisposing one to respond in some preferential manner“ (Rokeach, 1975, S.
112).
Allport (1959) geht davon aus, dass ein Teil der Einstellungen geerbt wird. Die meisten anderen Forscher an,
dass Einstellungen zum größten Teil erlernt sind. Überzeugungen (beliefs), die dahinterstehen, haben mehr
damit zu tun, was der Mensch subjektiv glaubt und für richtig empfindet und weniger mit objektiv
nachweisbaren Fakten. Der Mensch trifft nicht immer rationale Entscheidungen, indem er den Sachverhalt
verstandesmäßig analysiert und dann entscheidet. In den meisten Fällen werden Entscheidungen gefühlsmäßig,
„aus dem Bauch heraus“, getroffen.
Eine Überzeugung hat drei Komponenten: eine kognitive Komponente, die sich aus dem angesammelten
Wissen und den Erfahrungen, die ein Mensch besitzt, zusammensetzt, eine affektive Komponente, die eine
Emotion darstellt, von der die Überzeugung begleitet wird, und eine Verhaltenskomponente, die eine
Prädisposition für das spätere Verhalten setzt. In unserem Fall könnte man zum Beispiel davon ausgehen, dass
ein Student, der mit viel Fleiß gute Abiturnoten geschrieben hat, Gefallen daran gefunden hat, gelobt zu werden
und schulisch weiterzukommen. Er wird weiterhin großen Einsatz beim Studium zeigen und sich sehr
anstrengen. Seine Überzeugungen, die er gewonnen hat, beeinflussen seine Einstellung. Die Einstellungen
selbst sind eine intervenierende Variable zum Verhalten.
Zu diesen persönlichen Einstellungsdispositionen kommt der kulturelle Aspekt der Umwelt hinzu. Ein Mensch,
der in einer westlichen Leistungsgesellschaft aufwächst, erlebt andere Erfahrungen in der Kindheit und Jugend,
die seine kognitiven Überzeugungen beeinflussen, als dies ein Mensch aus einer eher kollektivistischen,
weniger industrialisierten Gesellschaft tut. Wie fühlt sich der junge Mensch in einer Leistungsgesellschaft?
Nimmt er die Normen der Gesellschaft an, oder sträubt er sich dagegen und wendet sich von dieser Gesellschaft
ab (z.B. als Aussteiger auf einem ökologischen Bauerhof mit Selbstversorgung) oder protestiert er gegen die
Gesellschaft (z.B. Studentenproteste in den 60er Jahren)?
Bei unserer Studie werden Studenten untersucht, die in einer westlichen Leistungsgesellschaft groß wurden, und
Studenten, die zum größten Teil noch in einer eher sozialistischen Gesellschaftsstruktur aufwuchsen. Es kann
durchaus der Fall sein, dass die Erfahrungen, die die Studenten der unterschiedlichen Länder in ihrer Kindheit
und Jugend gesammelt haben, und die Emotionen, die aufgebaut wurden, nachhaltig ihr Verhalten prägen.
Durch den radikalen Umbruch beim Abdanken des sozialistischen Regimes und der Öffnung zum Westen
können Einstellungsänderungen dadurch bewirkt worden sein, dass sich die Studenten einer neuen
kapitalistischen, leistungsorientierten Gesellschaftsform anpassen müssen und nun einem größeren
internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, als dies ehemals im Ostblock der Fall war.
Werte zählen zu dem Überzeugungssystem (belief system), das jeder Mensch im Laufe seines Lebens
herausbildet. Rokeach (1973) sieht in dem Buch „The nature of human values“ die Berücksichtigung der Werte
des Menschen beim Studium des menschlichem Verhaltens als unerlässlich an. Es ist nicht möglich, kulturelle
und gesellschaftliche Aspekte, noch die Persönlichkeit des einzelnen Menschen zu untersuchen, ohne den
wichtigen Aspekt der Wertvorstellungen als unabhängige Variable einfließen zu lassen. Werte sind nach
Ansicht von Rokeach das Schlüsselkonzept zu allen Sozialwissenschaften.
„A value is an enduring belief, that a specific mode of conduct or end-state of existence is personally or socially preferable to an opposite or converse mode of conduct or end-state of existence” (Rokeach, 1973, S. 5).
Dabei können die Werte nicht nur als erklärende Variablen, sondern auch als abhängige Variablen auftreten.
Einstellungen und Verhalten werden durch die Werte beeinflusst, sie können allerdings ihrerseits wieder die
Werte beeinflussen.
Rokeach (1973) unterscheidet zwischen instrumentalen und terminalen Werten. Sie beziehen sich auf
erwünschte Verhaltensformen und auf Lebensziele. Die instrumentalen Werte teilt Rokeach in moralische
Werte, die sich primär auf Verhaltensformen beziehen, und Werte der Leistung ein. Terminale Werte werden in
persönliche und soziale Werte aufgeteilt. Rokeach geht davon aus, dass Menschen persönliche und soziale
Werte unterschiedlich hoch gewichten. Es ist anzunehmen, dass auch kulturelle Faktoren einen Einfluss auf die
Werte des Menschen haben, wie zum Beispiel die Gesellschaft, in der jemand lebt. Es ist relevant, ob jemand in
einer Wohlstands- und Leistungsgesellschaft aufgewachsen ist und wie hoch der Industrialisierungsgrad des
Landes ist. Wertvorstellungen sind keine rein rationalen Präferenzen, die ein Mensch hat. Sie werden bereits in
der Kindheit und Jugend erlernt und anerzogen. Wertvorstellungen können sich allerdings aufgrund von
Änderungen im familiären Umfeld, in der Schule oder im Berufsleben und nicht zuletzt aufgrund
gesellschaftlicher Veränderungen wandeln.
Level Place of socialization
Nation Family
Social Class
Occupation School
Industry
Organization Workplace
Abb. 5: The Balance of Values Versus Practices at the National, Occupational, and Organizational Levels
(Hofstede, 2001, S. 394)
Es gibt laut Hofstede verschiedene Orte der Sozialisation bzw. des Erlernens von Werten und Orte, an denen
man die Wertvorstellungen in die Tat umsetzt. Werte erlernt man schon in der Kindheit und Jugend in der
Familie oder in der Nachbarschaft. Mit dem Alter von zehn Jahren hat das Kind bereits viele Grundwerte
verinnerlicht. Auch an den Schulen und Universitäten werden Wertvorstellungen vermittelt. Später im
Arbeitsleben lernt der Mensch weitere Werte und Regeln kennen. Man spricht von der „Corporate Culture“
(vgl. eine Studie von Peterson & Waterman, 1982, die sich Gedanken darüber machten, welche
Unternehmenskultur und Unternehmenswerte zum Erfolg des Unternehmens beitragen). Die
Unternehmenswerte können dabei traditioneller Natur sein. Sie können von Unternehmensleitern an die
Values Practices
Mitarbeiter weitergegeben und vermittelt werden, sie können aber auch durch das Anwerben neuer Mitarbeiter,
die bestimmte Kriterien erfüllen, in das Unternehmen gebracht werden.
Hofstede (2001) sieht die Werte als zentrale soziale Norm, die weitere Auswirkungen auf alle sozialen
Institutionen haben. Die Werte selbst können sich aufgrund externer natureller und menschlicher
Einflussfaktoren, sowie aufgrund wirtschaftlicher und politischer Bedingungen und technischer Neuheiten,
ändern. Schon 1973 beschreibt Rokeach im Buch „The Nature of Human Values“ die Werte als soziologische
und psychologische Kräfte, durch die die Gesellschaft auf das Individuum einwirkt.
„Values are cognitive representation not only of individual needs but also of societal and institutional demands. They are the joint results of sociological as well as psychological forces acting upon the individual – sociological because society and its institutions socialize the individual for the common good to internalize shared conceptions of the desirable; psychological because individual motivations require cognitive expression, justification, and indeed exhortation in socially desirable terms. The cognitive representation of needs as values serves societal demands no less than individual needs” (Rokeach, 1973, S. 20).
In seinem Buch „The open and closed mind“ entwickelte Rokeach (1960) mit der Theorie der
Orientierungssysteme (belief-disbelief-systems) eine eher allgemeine Wahrnehmungs- und Verhaltenstheorie.
Dabei wurde er von der Berkeley-Gruppe, die Wertehierarchien aufstellte, und von den Gleichgewichtstheorien
von Heider (1958) beeinflusst. Rokeach (1967) operationalisierte Werte in seinem „Value Survey“. Werte
werden als die wichtigsten Überzeugungen des Menschen angesehen. Dabei müssen die Werte des einzelnen
Menschen nicht unbedingt den gesellschaftlichen Normen entsprechen, wenn der Mensch die gesetzten Normen
nicht akzeptiert:
„Values are standards of desirability that are more nearly independent of specific situations. The same value may be a point of reference for a great many specific norms; a particular norm may represent the simultaneous criteria for establishing what should be regarded as desirable, provide the grounds for accepting or rejecting particular norms” (Rokeach, 1975, S. 284).
Menschen besitzen ein hierarchisch aufgebautes kognitives System von Überzeugungen (belief system). Dabei
unterscheidet Rokeach (1973) zwischen deskriptiven, existentiellen, evaluativen, prä- und post-skriptiven
Überzeugungen. Werte sind präskriptiver und proskriptiver Natur, Formen oder Ziele des Verhaltens werden als
wünschenswert oder nicht wünschenswert beurteilt. Überzeugungen, die deskriptiv oder existentiell sind und
entweder falsch oder richtig sind, zählen nicht zu den Werten. Ebenso die evaluativen Überzeugungen, die
Personen oder Gegenständen die Eigenschaften „gut“ oder „schlecht“ zuordnen. Werte haben einen normativen
Charakter, sie treffen Aussagen, was der Mensch tun sollte oder wie der Mensch sein sollte.
Zum System der Überzeugungen zählen unter anderem die Selbstkognitionen, die alle bewussten und
unbewussten Kognitionen über die eigenen intellektuellen und moralischen Fähigkeiten, die eigenen Schwächen
und die eigene sozio-ökonomische Position des Menschen in der Gesellschaft umfassen. Die Selbstkognition
betrifft weiterhin die eigene nationale, regionale, ethische, rassische und religiöse Identität. Dabei wird auch
berücksichtigt, welche Rolle der einzelne Mensch in der Gesellschaft, im Berufsleben und im Privatleben spielt,
wie alt er ist und ob er eine Frau oder ein Mann ist. Kognitionen sind der innere Kern des „belief systems“.
Außerdem gibt Rokeach (1973) terminale Werte an, Lebensziele, die er in soziale und persönliche Werte
einteilt. Erlösung und innerer Friede zum Beispiel zählen als intrapersonale bzw. persönliche Werte, während
Weltfrieden und Brüderlichkeit als interpersonale, d.h. soziale Werte gelten. Terminale Werte beeinflussen das
Verhalten der Menschen. Instrumentale Werte bilden Verhaltensformen ab. Sie werden gespalten in moralische
Werte (z.B. Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein) und Werte der Kompetenz bzw. Selbstverwirklichung
(z.B. Intelligenz, Kreativität). Verstößt der Mensch gegen seine moralischen Werte, so kann dies zu
Schuldgefühlen führen. Ein Zuwiderhandeln gegen die Werte der Kompetenz führt eher zu einem Schamgefühl
über das persönliche Unvermögen. Nachgeordnet zu diesen Überzeugungen stellt Rokeach ein hierarchisch
gegliedertes System von Einstellungen (attitudes). Einstellungen, Werte und Bedürfnisse können auch von so
genannten „Signifikant Anderen“ (vgl. Kap. 2.5.6) herrühren. Das Werte-Einstellungs-System bezeichnet
Rokeach (1973, S. 334) als internal konsistent. Sollte es Veränderungen bei einem Teil des Systems geben, so
hat dies auch Auswirkungen auf andere Teile des Systems. So bietet der Ansatz von Rokeach nicht nur eine
Theorie der Organisation, sondern auch eine Theorie der Veränderung von Werten.
Mehrere Überzeugungen führen zu einer bestimmten Einstellung des Menschen, die sich auf eine bestimmte
Situation oder ein spezielles Objekt bezieht. Werte dagegen stellen eine einzelne Überzeugung dar, die das
Handeln und Urteilen unabhängig von speziellen Werten und Situationen beeinflusst. Die Werte stellten ein
wichtigeres Konzept dar, als Einstellungen, da das Wertekonzept dynamischer ist. Es hat neben einer
motivationalen Komponente auch eine kognitive, affektive und konative Komponente. Die Werte selbst sind
wieder Determinanten für Einstellungen und Verhalten des Menschen. Da es weniger Werte, als Einstellungen
gibt, können Werte besser zur Erklärung von Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen Personen, Gruppen,
Nationen und Kulturen genutzt werden. Sie eignen sich auch für interdisziplinäre Konzepte z.B. der
Psychologie, Philosophie, Soziologie, Anthropologie, Erziehung, Ökonomie und Theologie.
Wertvorstellungen bleiben nicht immer gleich. Am Beispiel Deutschlands lässt sich sehr gut zeigen, wie sich
vorherrschende Wertesysteme eines Landes im Laufe der Geschichte ändern können (vgl. Müller, 1999, S.36).
Im 19. Jahrhundert stand Deutschland unter einem autoritären Herrschaftssystem. Das Wertesystem war stark
konservativ geprägt. Werte wie Fleiß, Disziplin, Gehorsam, Anerkennung von Autorität, Familiensinn,
Sparsamkeit waren weit verbreitet. Während andere Gesellschaften in Westeuropa und Amerika liberale
Wertsysteme annahmen, die auf Eigeninitiative zielten, behielt die deutsche Gesellschaft bis hin in die
Weimarer Republik die alten Werte bei, die bestimmt waren von der Unterordnung unter Autoritäten. Die
Nationalsozialisten bauten auf diese alten, deutschen Werte ihre Ideologie auf und machten sie zur Stütze ihrer
neuen Gesellschaftsform und Wertordnung. Andere westliche Kulturen wurden als dekadent und undeutsch
bezeichnet. Sogar beim Wiederaufbau Deutschlands zur Adenauer Zeit griff man auf die alten deutschen
Tugenden zurück, obwohl die „alten Werte“ durch die Zeit des Nationalsozialismus kompromittiert worden
waren. Erst Ende der 60er Jahre gab es eine Werterevolte. Zwar wurden die bekannten Werte von der älteren
Bevölkerung nach wie vor vertreten, gerade die Studenten und jungen Leute propagierten aber neue Werte wie
freiheitliches Denken und Handeln und antiautoritäre Erziehung. In sehr kurzer Zeit durchlief das Wertsystem
in Deutschland einen enormen Wandel. Vorherrschende Werte in einer Gesellschaft sind folglich nicht
festgeschrieben und ändern sich mit dem Zeitgeist. Heute kann man aufgrund des gesellschaftlichen Drucks,
den die um Wirtschaftmacht konkurrierenden Nationen aufeinander ausüben, davon ausgehen, dass Werte wie
Fleiß und Disziplin wieder an Popularität gewonnen haben.
Wertvorstellungen, die in einer Gesellschaft vorherrschen, beeinflussen die Einstellungen und das Verhalten des
Einzelnen. Sie sind Standards, die dem einzelnen Mitglied der Gesellschaft vermitteln, was sozial erwünscht ist.
Schröder (1986, S. 79) hat bei seiner empirischen Studie über Leistungsorientierung und
Entscheidungsverhalten die Werte „Gefühl, etwas geleistet zu haben“, „ehrgeizig“, „fähig“, „gesellschaftliche
Anerkennung“, „versöhnlich“ als Maßzahl für die Leistungswertorientierung herangezogen. Bei der Studie von
Schröder (1986, S. 169) stellte sich heraus, dass die Wertestrukturen von Führungskräften durch eine wesentlich
höhere Leistungsorientierung geprägt sind als Wertestrukturen von Studenten. Wenn man die Studenten als
spätere Führungskräfte betrachtet, deutet sich eine Dynamik bei den leistungsorientierten Werten an.
4 Kulturspezifische Besonderheiten der Länder Deutschland und der Ukraine
4.1 Historische, gesellschaftliche und politische Entwicklungen
Jede Kultur weist unterschiedliche Wertvorstellungen und gesellschaftliche Zielsetzungen auf. Werte wachsen
in einer Gesellschaft sehr langsam, sie werden von Generation zu Generation tradiert. Auch bei politischen und
gesellschaftlichen Umstrukturierungen kann man davon ausgehen, dass Wertvorstellungen, die über
Generationen gewachsen und vererbt wurden, nicht einfach durch einen Wechsel des Regimes von heute auf
morgen über Bord geworfen werden. Bei den von uns untersuchten Ländern fand sowohl in Ostdeutschland, als
auch in der Ukraine ein solcher politischer Wechsel in der jüngsten Vergangenheit statt. Der Sozialismus und
die kommunistische Einheitspartei wurden abgeschafft, und die Länder öffneten sich dem demokratischen
Westen mit freier Marktwirtschaft. Dies war ein enormer Umbruch, der sich nicht nur auf die Ökonomie dieser
Länder, sondern auch auf die Lebensformen der Bevölkerung ausgewirkt hat. Dabei war die Arbeitswelt des
einzelnen Individuums, aber auch das private Umfeld betroffen. Neue Chancen und Möglichkeiten boten sich
an, es gab aber auch vorher nicht bekannte Risiken, wie zum Beispiel das der Arbeitslosigkeit.
„Kulturelle Identität meint ... die Summe kulturgeprägter Wertentscheidungen, die das Selbstbildnis einer Nation nach innen und nach außen bestimmen und die einerseits in einem Kulturkreis, andererseits in einer diesem Kulturkreis zugehörigen Nation über lange Zeiträume gewachsen und unter dem Einfluss durchaus verschiedener, gleichwohl miteinander verwobener geistesgeschichtlicher Entwicklungen im Laufe dieser Zeiträume miteinander verschmolzen sind“ (Uhle, 2004, S.14).
Betrachtet man die historisch gewachsene Gesellschaftsstruktur des westeuropäischen Landes Deutschland, so
muss man die langfristig über Jahrhunderte gewachsenen kulturellen Eigenarten betrachten, die sich zum
Beispiel im Stereotyp vom fleißigen, pünktlichen Deutschen wiederfinden. Es gibt einen deutschen
„Nationalcharakter“, wie die Deutschen von anderen Ländern gesehen werden. Andererseits darf man die
jüngste Vergangenheit nicht außer Acht lassen. Deutschland war seit Ende des Zweiten Weltkriegs aufgeteilt in
die westlichen Bundesländer, in denen freie Marktwirtschaft herrschte, und in den sozialistischen Osten, die
ehemalige DDR. Über zwei Generationen wurden die Werte einer sozialistischen Gesellschaft propagiert. Bei
unserer Studie wird deshalb, trotz des Anschlusses des Ostens an den Westen Deutschlands, der vor fast 20
Jahren vollzogen wurde, eine Aufteilung in die Ländergruppen Westdeutschland und Ostdeutschland
durchgeführt.
Diese Aufteilung ist umstritten, da es nicht klar ist, ob die Zeit des Sozialismus kulturelle Werte im Westen und
Osten Deutschlands grundlegend änderte. Die Meinung Huntingtons (2002), dass die beiden deutschen Staaten
BRD und DDR nur ideologisch, aber nie kulturell getrennt waren, ist aus wissenschaftlicher Sicht kritisch zu
erörtern. Durch die europäische Gemeinschaft, zu der nun das wiedervereinigte Deutschland gehört, sei die
Trennungslinie zwischen Westeuropa und Osteuropa weiter nach Osten verschoben worden. Nach dieser
Erklärung wäre lediglich eine Aufteilung des westeuropäischen, deutschen Kulturraums und des
osteuropäischen ukrainischen Kulturraums sinnvoll.
„Länder mit kulturellen Affinitäten kooperieren miteinander auf wirtschaftlichem und politischen Gebiet. Internationale Organisationen, die auf Staaten mit kultureller Gemeinsamkeit basieren, wie etwa die Europäische Union, sind viel erfolgreicher als solche, die Grenzen zu überschreiten suchen. 55 Jahre war der Eiserne Vorhang die zentrale Trennungslinie in Europa. Diese Linie hat sich nun um mehrere hundert Kilometer nach Osten verschoben. Heute ist es die Linie, die die Völker des westlichen Christentums auf der einen Seite von muslimischen und orthodoxen Völkern auf der anderen Seite trennt“ (Huntington, 2002, S. 24f).
Davies (1998) betrachtet ethnische Gruppen in Europa und erkennt dabei nicht nur die Trennung zwischen
christlichen und orthodoxen bzw. muslimischen Gebieten. Er sieht Westeuropa und Osteuropa durch
verschiedene horizontale Linien aufgeteilt. Die vertikale Teilung zwischen West- und Osteuropa verläuft nach
seiner Grenzziehung vom Nordkap bis zur südlichen Spitze Griechenlands und schneidet Polen in zwei Teile,
während Finnland, Estland, Litauen, Lettland, Rumänien, Serbien, Bulgarien und die Ukraine zum
osteuropäischen Raum gezählt werden. Eine weitere Trennungslinie bildete der „Eiserne Vorhang“, der lange
Zeit den Ostblock vom Westen trennte und damit Ostdeutschland und die Tschechei vom Westen abspaltete.
Es ist ein Wandel in Europa erkennbar. Länder wie Polen, die Tschechei, die Slowakei, Kroatien oder
Slowenien, die zu Sowjetzeiten dem osteuropäischen Raum zugeordnet waren, sind nach der Öffnung zum
Westen und dem vollzogenen oder erwünschten Beitritt zur Europäischen Union kaum mehr von den westlichen
Staaten Europas zu unterscheiden. Der Kollektivismus des bis in die 90er Jahre vorherrschenden Sozialismus
gehört der Vergangenheit an. Viele dieser Länder haben sich westlich orientiert und praktizieren schon seit
Jahren die freie Marktwirtschaft. Längst sind auch entlegene Gebiete weitestgehend industrialisiert. Auch der
Tourismus spielt eine große Rolle. Gerade durch den Aufholungsprozess, sich dem westlichen Standard
anzugleichen, ist es zweifelhaft, ob sich das Lebenstempo der Menschen des ehemaligen Ostens nicht schon
dem westlichen Standard angepasst hat. Gibt es nicht vielleicht sogar größere Unterschiede zwischen dem
Verhalten von Menschen südlicher Länder Westeuropas (z.B. Spanien, Griechenland) und Menschen aus
nördlichen Ländern Westeuropas (z.B. Deutschland, England, Dänemark), als es Unterschiede beim Verhalten
von Westeuropäern und Osteuropäern gibt? Wo ist die Trennungslinie zu den „typisch osteuropäischen
Kulturen“ zu ziehen? Ende der 80er Jahre brach das kommunistisch regierte Sowjetreich nach und nach
zusammen. Heute sind die wichtigsten Unterschiede zwischen den Nationen Europas nicht mehr politischer und
ideologischer Natur, sondern kultureller Art.
„Der Zusammenarbeit kommen die gemeinsamen kulturgeschichtlichen Voraussetzungen entgegen: Epochen, geistige Strömungen sowie kulturelle Rezeptionsvorgänge lassen sich in den europäischen Staaten mit den gleichen Begriffen bezeichnen. Zugleich behält eine national bestimmte Kulturgeschichte ihren Sinn darin, daß die Vielfalt von Landschaften, Regionen, Sprachen und Provinzen erhalten bleibt. Gegenüber politischer und wirtschaftlicher Uniformität, wie sie für die Zukunft unvermeidbar wird, muß die kulturelle Eigenart ihr Recht behalten“ (Gössmann, 1996, S. 181).
Es gibt einen Unterschied zwischen der Trivialkultur, die global von den Medien beeinflusst wird, zwischen der
Hochkultur, die nach wie vor länderspezifisch ist, und der Lebenskultur, die regional beeinflusst wird (vgl. Bühl
1987). Auch heute gibt es noch viele Anzeichen dafür, dass die Kultur nach wie vor ein wichtiger Bestandteil
der jeweiligen Gesellschaftsform ist. Kulturelle Gepflogenheiten bestimmen den Alltag und den Umgang der
Menschen miteinander.
Kulturelle Unterschiede können heute allerdings anders aussehen, als dies noch vor 20 Jahren der Fall war. Die
Kulturen Westeuropas und Osteuropas unterlagen einem starkem Umbruch. Die Prozesse der Europäisierung
und Globalisierung haben ihre Spuren hinterlassen. Die Menschen „wachsen zusammen“. Kürzere
Kommunikations- und Reisewege und der Einfluss der Medien schaffen einheitliche Trends und beeinflussen
den Umgang mit der Zeit. Kulturelle Eigenheiten verschwinden und werden ersetzt durch neue Lebensformen.
Die Großstädte sind Schrittmacher; in den ländlichen Gegenden herrschen noch Tradition und regionale
Besonderheiten vor. Man kann bei der Betrachtung urbaner Kulturen feststellen, dass sich die „Großstadtkultur“
weltweit angleicht. Ein Großstadtmensch, der in Moskau oder Kiew zu Hause ist, führt ein ähnlich hektisches
Leben, wie Einwohner von Berlin oder Paris. Weltweit findet ein kultureller Wandel statt. Menschen, die in Großstädten, leben, sehen sich anderen
kulturellen Einflüssen ausgesetzt, als Menschen auf dem Land. Aber auch in Stadt findet man unterschiedliche
soziale Gruppierungen. Kulturelle Eigenarten der Nationalstaaten sind zwar nach wie vor erkennbar, verlieren
allerdings in Zeiten der Globalisierung an Bedeutung.
4.2 Kulturelle Besonderheiten in West- und Ostdeutschland
Sowohl das Denken des Menschen, als auch sein Handeln sind kulturell beeinflusst. Die abendländische Kultur
grenzt sich ab von Ländern des Orients und den Ländern der „neuen Welt“ in Übersee. Das „heilige römische
Reich“ wurde schon im Mittelalter von Kaisern beherrscht, die deutschen Fürstenhäusern angehörten. Die in
manchen Gebieten Deutschlands verbreitete römische Kultur wurde von der höfischen Kultur des Mittelalters
abgelöst. Deutschland, das aus vielen kleinen Fürstentümern bestand, lag im Kern dieser abendländischen
Kultur. Es gab drei voneinander abgegrenzte Stände: den Adel, das Bürgertum und die Bauern. In der heutigen
Zeit unterscheiden wir in Deutschland immer noch zwischen bestimmten Bevölkerungsschichten: den Arbeitern
und Geringverdienern, dem Mittelstand (meist Facharbeiter, Angestellte, Beamten und das Bildungsbürgertum)
und der Oberschicht (Adlige, Industrielle und Kapitalanleger). Eine weitere Schicht ist in den letzten Jahren
dazugekommen: die Empfänger von staatlichen Sozialleistungen, die ein Leben eher außerhalb der Gesellschaft
führen. Mitglieder bestimmter Gesellschaftsschichten bilden eigene Wertvorstellungen und Verhaltensmuster
aus.
In der deutschen Geschichte gibt es eine lange Herrschaft des Absolutismus. Anders als in Frankreich oder
England entstand die erste demokratische Republik, die Weimarer Republik, erst nach dem Abdanken des
letzten preußischen Kaisers. Die Entwicklung Deutschlands zu einer Nation wird durch die Industrialisierung
begünstigt. Die zunehmende Industrialisierung hatte die Zerschlagung des Landadels und der bäuerlichen
Strukturen in Deutschland zur Folge. Der alte Obrigkeitsstaat mit seinen bürokratischen Institutionen wurde
jedoch in der demokratischen Republik weitergeführt. Nach der Machtergreifung Hitlers verschwanden alle
demokratischen Ansätze für Jahre und wurden von einer Führerdiktatur ersetzt.
Das Aufkommen des Nationalismus im 19. Jahrhundert in Deutschland hatte zur Folge, dass die Deutschen
ihren eigenständigen kulturellen Hintergrund zurück zu Karl dem Großen bis hin zu Friedrich dem Großen
entdeckten und glorifizierten. In Deutschland wucherte unter Kaiser Wilhelm II ein starker Nationalstolz.
Deutschland meldete nach England, Frankreich und Spanien ebenfalls imperialistische Ansprüche auf die
Kolonialländer in Afrika und China an. Dieses imperialistische „Säbelrasseln“ fand sein Ende nach dem
verlorenen Ersten Weltkrieg gegen Frankreich, Großbritannien und den USA. Der Kaiser musste abdanken, und
im Land kämpften nun rechte und linke Kräfte um die Macht. Die unter Hindenburg eingesetzte demokratische
Regierung blieb ein Spielball zwischen kommunistischen und nationalsozialistischen Interessen. 1934 kam
Hitler mit der nationalsozialistischen Partei an die Macht. Die schlimmste Form deutschen Nationalismus und
Völkerkults trat im „Dritten Reich“ unter dem Regime des Nationalsozialismus zu Tage.
Das „Herrenvolk“ sollte die kulturell rückständigen Völker erobern und regieren. Die Nationalsozialisten sahen
in anderen Volksgruppen, wie den Juden und Osteuropäern, pauschal „Untermenschen“ und versuchten, diese
Völker auszulöschen. Foucault (1976, S. 55) sieht den Rassismus als einen grundlegenden Mechanismus der
Macht. Eine biologische Beziehung zwischen dem was leben darf und dem, was sterben muss, wird hergestellt.
Die andere Rasse wird als Bedrohung und Gefahr hochstilisiert. Sein trauriges Ende fand der Kult um ein
rassisch höherwertiges „germanisches Volk“ mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Zerschlagung von
Deutschland. Deutschland wurde aufgeteilt in die Westzone, die von den amerikanischen, französischen und
englischen Truppen besetzt war, und in die sowjetisch besetzte Ostzone.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs initiierten die alliierten Besatzungsmächte USA, England und Frankreich im
Westen demokratische Wahlen. Im Osten setzte die sowjetische Besatzungsmacht nach kommunistischem
Vorbild eine sozialistische Ein-Parteien-Regierung ein. Dies mündete in eine Spaltung von West- und
Ostdeutschland, so weit, dass die beiden deutschen Hälften schließlich durch eine scharf bewachte Grenze
voneinander getrennt wurden. Bis zur Öffnung der Grenzen 1990 bestanden zwei völlig unterschiedliche Staats-
und Wirtschaftssysteme: im Westen Demokratie und soziale Marktwirtschaft, im Osten ein sozialistisches
Regime nach Vorbild der Sowjetunion mit verstaatlichten Betrieben. Den Menschen, die in der BRD und der
DDR lebten, wurde die gegenseitige Kontaktaufnahme sehr erschwert. Die Medien nahmen je nach
Gesellschaftssystem Einfluss auf das Volk.
Im Westen fand in den 50er Jahren das „deutsche Wirtschaftswunder“ statt. Nachdem das Land in der 40er
Jahren durch Bombenangriffe auf Städte und Industrieanlagen stark zerstört worden war und viele Menschen
nach dem Krieg hungern mussten, gelang es, die Wirtschaft in sehr kurzer Zeit wieder aufzubauen. Bald gingen
wieder erste Autos und andere technische Geräte vom Band. Der Handel florierte, die Landwirtschaft erzeugte
die nötigen Nahrungsmittel. Der Bundesbürger, vor allem in der westlichen Besatzungszone freute sich bald
über steigenden Wohlstand und kleineren Luxus.
„Die entwickelten Länder erreichten die Ära des Staatsmonopolkapitalismus und des Wohlfahrtkapitalismus, insofern Wohlfahrt in Vollbeschäftigung als einer vorrangigen Regierungspolitik beschlossen ist, welche die Einkommen der Arbeiter automatisch aufrechterhält“ (Hobsbawm, E. J., 1981, S. 45).
Der Osten Deutschlands erholte sich nicht ganz so schnell. Die russischen Besatzer bauten viele
Industrieanlagen ab und verschickten sie in russisches Gebiet. Über Jahrzehnte hinkte die ostdeutsche
Wirtschaft der westdeutschen hinterher, und beim Mauerfall der DDR wurde sichtbar, wie morbide die
Infrastruktur des Landes geworden war.
„Die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Ostens ist ungewiss. Wahrscheinlich ist jedoch ein regional recht unterschiedliches, insgesamt jedoch kräftigeres Wachstum als in der Vergangenheit. Dabei wird der Osten entdecken, dass Demokratie und Marktwirtschaft Früchte einer bestimmten politischen und wirtschaftlichen Kultur sind, die sich nur bedingt übertragen lassen. Der Osten wird also diese Kultur selbst entwickeln müssen, wenn Demokratie und Marktwirtschaft hier dauerhaft erfolgreiche Ordnungsstrukturen bilden sollen. Dabei ist es möglich, dass der Osten ein anderes Gleichgewicht zwischen Wirtschafts- und Sozialbereich erstrebt als der Westen. Dies muss Folgen für seine wirtschaftliche und soziale Leistungsfähigkeit haben“ (Miegel, 1993, S. 54).
Viele der Industrieanlagen im Osten Deutschlands waren nach der Wende hoffnungslos veraltet. Mit westlicher
Konkurrenz konnten sie nicht mithalten. Viele Betriebe wurden deshalb nach Grenzöffnung geschlossen. Einige
Produktionsanlagen wurden von westlichen Investoren saniert. Viele Arbeitsplätze der einst staatlich
subventionierten Betriebe fielen weg. Eine der schlimmsten Folgen des Anschlusses an den Westen ist die
langanhaltende hohe Arbeitslosenquote im Osten.
In der Arbeitswelt Ostdeutschlands gab es erhebliche Umstrukturierungen. Da viele Betriebe im Osten
unrentabel wirtschafteten, mussten die den westlichen Standards angepasst werden. Wo vorher
Vollbeschäftigung herrschte, gab es nun Massenarbeitslosigkeit. Verlierer der „Wende“ waren die Frauen und
die weniger gut ausgebildeten Arbeitskräfte. In manchen Regionen verkümmerten ganze Industriezweige. Neue
Unternehmen waren noch nicht aufgebaut. Viele, vor allem junge Menschen verließen ihre Heimatregionen, um
im Westen Arbeit zu finden. Der Traum von mehr Wohlstand und Konsumangeboten forderte einen hohen
Preis. Die Landwirtschaft wurde mühsam von der kollektiven Kolchosenbewirtschaftung auf
privatwirtschaftliche Nutzung umgestellt, viele industrielle Betrieb schlossen. Die Bevölkerung des Ostens
Deutschlands will möglichst schnell am materiellen Wohlstand teilhaben. Die von der Politik versprochenen
„blühenden Landschaften“ lassen vor allem in manchen Regionen Ostdeutschlands bis heute auf sich warten.
Die Bürger der ehemaligen DDR haben laut Münch (1995b) das Bedürfnis und auch das moralische Recht, mit
dem Westen gleich ziehen zu wollen.
„Der Konsens auf der Stufe des postmaterialistischen Bewusstseins ist nur noch eine Frage der Angleichung der materiellen Lebensverhältnisse. In Westdeutschland stellen sich 1992 bei einer Befragung 23,3 Prozent als Postmaterialisten, 27 Prozent als postmaterialistisch-materialistische, 27 Prozent als materialistische-postmaterialistische Mischtypen und 22,7 Prozent als Materialisten dar. In Ostdeutschland sind es 9,8, 30,1, 31,3 und 28,8 Prozent, worin sich der ostdeutsche Nachholbedarf an materiellem Wohlstand äußert (ZA 1992:67)“ (Münch, 1995b, S. 25).
Allerdings war schon bald nach der Wende eine Veränderung in den Stadtbildern erkennbar. Neue Läden
eröffneten, und Altbauten wurden saniert. Auch für die Infrastruktur, etwa den Bau von Straßen und den
Ausbau eines Telefonnetzes, gab es enorme finanzielle Aufwendungen. Nach Öffnung der Grenzen war es die
erste Aufgabe im wiedervereinten Deutschland, ein demokratisches, marktwirtschaftliches System einzuführen.
Auch in der Freizeit gab es viel Nachholbedarf und Umstellungsprozesse. Früher gestaltete der Bauern- und
Arbeiterstaat selbst die Freizeit seiner Bürger mit. Die Jugend war organisiert in Jugendclubs und der FDJ
(Freie Deutsche Jugend, einem Jugendverband der SED). Die Erwachsenen waren oft in der SED
(Sozialistische Einheitspartei Deutschland) oder anderen politisch motivierten Vereinigungen organisiert. Heute
haben die Bürger im Osten mehr Freiheit. An diese neue, weniger staatlich regulierte Lebensform mussten sich
die Ostdeutschen erst gewöhnen.
„Der Umgang mit der nicht mehr öffentlich regulierten, sondern privaten Zeit, muß dort in einem mühsamen Prozeß gelernt werden. ... Gewerkschaften und Freie Deutsche Jugend sowie öffentliche Einrichtungen wie `Kulturhäuser´ haben früher die Freizeit der Bürger zeitlich umfassend organisiert. Private Lebensführung in der Organisation des Alltags und der Freizeit muß dort in einem oft schmerzhaften Akkulturationsprozeß neu angeeignet werden. Denn die kulturellen Prägungen sind bis heute wirksam. So bewirkt die neue Vielfalt von Optionen Verhaltensunsicherheiten. Die Angebote des Freizeitmarkts treten an die Stelle der Einbindung in eine öffentliche Freizeitinfrastruktur“ (Garhammer, 1999, S. 128f).
Es lassen sich in der Literatur viele Hinweise darauf finden, dass in Deutschland, sowohl in den westlichen, als
auch in den östlichen Bundesländern ein eher individualistischer Lebensstil vorherrscht. Vor allem bei den
älteren Bewohnern der ehemaligen DDR ist das kollektivistische Gedankengut noch nicht ganz in
Vergessenheit geraten ist.
Sahner (1995) weist in seiner Abhandlung über die „Aufhebung der Bipolarität“ auf die Handlungsalternativen
hin, die die Kontrastsituation zwischen Ost und West erläutern:
„Im Westen sind die außerfamilialen Beziehungen, z.B. die Handlungsanforderungen im Betrieb, eher universalistisch, affektiv neutral, eher auf einzelne Aspekte des Rollenpartners zugeschnitten, es interessiert lediglich sein Fachwissen. Die Rollenzuteilung nach Leistung spielt eine große Rolle, Selbstorientierung ist erlaubt oder sogar erforderlich. Dagegen schaue man sich an, welche Rolle der Betrieb im Leben des ostdeutschen Bürgers spielte! Er war fast ein funktionales Äquivalent zur Familie“ (Sahner, 1995, S. 16).
Im Osten bezogen sich, anders als im Westen, die Betriebsleistungen auch auf die Kultur, auf Hort und
Kindergarten und auf viele andere Leistungen für den Bürger. Die kollektive Orientierung überwog. Gerade im
Osten bediente man sich vieler Netzwerke, um sich mit den benötigten Gütern zu versorgen. In einigen Fällen
kam man sogar zurück auf die vorindustrielle Zeit des Naturalhandels.
„Die Mauer war ja auch so ein Regulativ zwischen zwei Geschwindigkeiten. Verlangsamung im Osten, man
versucht, die Geschichte anzuhalten und alles einzufrieren, und diese totale Beschleunigung im Westen ...“
(Müller, 1994, S. 109). Von manchen Sozialwissenschaftlern wird der Sozialismus als „Notbremse“ gegenüber
der vom Kapitalismus verursachten immer schneller werdenden Beschleunigung im Westen gesehen. Stimmen
werden laut, die die Akzeptanz von zwei verschiedenen Geschwindigkeiten in Ost- und Westdeutschland
fordern. Die Angleichung der Lebensverhältnisse im Osten an den westlichen Standard sollte nicht zur
„Aufholjagd“ werden.
Zapf, W. (1992, S. 186) zählt die Konkurrenzdemokratie, die freie Marktwirtschaft und die
Wohlstandsgesellschaft mit ihrem Massenkonsum und dem Wohlfahrtsstaat zu den Grundinstitutionen
moderner Gesellschaften. Hieraus geht hervor, dass die westliche Kultur eher zum Konkurrenzdenken und zum
Leistungsprinzip neigt, als andere Kulturen.
Trotz der wechselhaften Geschichte in Deutschlands im letzten Jahrhundert ist bis heute bei vielen Deutschen
der Hang zu den typisch „preußischen bzw. deutschen Tugenden“, wie Pünktlichkeit, Fleiß und Strebsamkeit,
evident. Diese Tugenden haben die Deutschen weltweit berühmt gemacht. Sie prägen auch die Vorstellungen
ehemaliger Sowjetbürger von den Deutschen: Bei einer Befragung wie ehemalige, junge Sowjetbürger die Deutschen sehen, konnte Ensel (2002) zwei völlig
gegensätzliche Bilder finden. Zunächst das vertraute Bild der sogenannten „preußische Tugenden“: Die
Deutschen legen großen Wert auf Pünktlichkeit, sie arbeiten fleißig und konzentriert und sind sparsam bis
geizig. Sie zeigen Ordnungs- und Sauberkeitsliebe, die fast schon starre, kaltherzige und selbstgerechte Züge
annehmen kann. Dieses Deutschlandbild bekommt Konkurrenz durch ein anderes Bild: Es sind die lockeren,
hedonistischen, demokratischen und sozial abgesicherten Deutschen. Hier widmen sich Deutschen ausgiebig
dem Bierkonsum und schunkeln zu rheinischer Karnevalsmusik. Als Touristen bereisen sie viele Länder der
Erde und erscheinen eher in sportlich-bequemer als in eleganter Kleidung.
Eine Seite der Medaille ist die Neigung der Deutschen zum Formalismus und zu Pedanterie. Deutschland ist
bekannt dafür, alles in Regelwerken festzulegen. Schon im alten Preußen wurde die zivile bürokratische
Verwaltung als sehr wichtig angesehen, und auch heute noch übertreffen die Deutschen in Sachen Bürokratie
alle anderen europäischen Länder. Eine weitere negative Übertreibung der Tugend Fleiß ist die Rastlosigkeit
und die Ablehnung jeglichen Müßiggangs. Dies entspricht auch den protestantischen Tugenden, ein
arbeitsames, zurückhaltendes Leben zu führen. Allerdings kam es in Deutschland ab den 70er Jahren zu einem
Wertewandel. Weltweit setzte sich die Jugend neue Ziele der Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit. Mit
wachsendem Wohlstand war dies nun leichter möglich.
In den Großstädten der westlichen Industrienationen hat sich eher die protestantische Ethik durchgesetzt. Der
amerikanische Naturwissenschaftler und Diplomat Benjamin Franklin schreibt in seiner Tugendsammlung:
„Verliere keine Zeit; sei immer mit etwas Nützlichem beschäftigt; entsage aller unnützen Tätigkeit!“ (Franklin,
geschrieben 1784, 1983, S. 116).
„Die Möglichkeit und Notwendigkeit der Nutzung von Zeit wird besonders im Kalvinismus deutlich. Diese radikale Form der protestantischen Ethik lehrt die Gläubigen, ihre Zeit so einzusetzen, dass sie den größtmöglichen beruflichen Erfolg erzielen. Wer Erfolg hat, der kann gewiss sein, dass Gott ihn auserwählt hat“ (Reheis, 1996, S. 134).
Die protestantische Ethik hebt sich wiederum von der katholischen Tradition ab, in der Ruhe des Gebets und
mit guten Taten den Weg zu Gott zu finden. Traditionell katholische Gegenden in Bayern, sind dafür bekannt,
dass hier ein Lebensstil nach dem Motto: „Leben und leben lassen!“ Vorrang hat. Im Osten Deutschlands ist nur
noch ein geringer Teil der jungen Leute getauft und lebt aktiv den Glauben. Ob religiöse Glaubensvorgaben und
kirchliche Ausrichtungen heute noch in Deutschland einen Einfluss auf die jungen Menschen haben, ist
zweifelhaft. Oft scheint es, als seien alte religiöse Werte von den Werten einer kapitalistischen
Wohlstandsgesellschaft, vom „Gott des Mammon“, abgelöst worden.
Starke Rationalisierungsprozesse der Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten und wenige Arbeitsplätze, die
hauptsächlich für gut ausgebildete Bewerber Chancen bieten, üben einen enormen Druck auf die Arbeitnehmer
in Deutschland aus. Schon die Jugend bekommt dies zu spüren. Die Wirtschaft bietet nur guten Schulabgängern
einen Ausbildungsplatz, und jedes Unternehmen kann zwischen zahlreichen Bewerbern auswählen. Bei weitem
nicht jeder Student darf nach dem Studium mit einer qualifizierten Anstellung rechnen. Für manche
Studiengänge werden sehr gute Abiturnoten gefordert, um bei der Studienplatzauswahl berücksichtigt zu
werden.
Hat man dann eine Arbeitsstelle gefunden, so zählt dies nicht mehr wie in früheren Jahren als Garantie, dort bis
zur Rente arbeiten zu können. Oft werden Unternehmensteile oder ganze Unternehmen an andere Standorte
oder ins Ausland verlegt. Der Mitarbeiter ist mobil oder wird ersetzt. Ganze Branchen schließen ihre Betriebe,
da sie im weltweiten Wettbewerb aufgrund hoher Lohnkosten nicht mehr wettbewerbsfähig sind. So herrscht
auf dem Arbeitsmarkt ein hoher Konkurrenzdruck, der bereits in die Schule, ins Studium und in die Ausbildung
ausstrahlt. Nur wer sich aufgrund hoher Leistungsfähigkeit vom Mitbewerber abheben kann, hat eine Chance,
eine gute Stelle zu bekommen und in der Konsum- und Wohlstandsgesellschaft seinen Platz zu finden.
Das Einkommen der Einwohner Deutschlands ist wesentlich höher, als das der Ukrainer. Allerdings herrscht in
manchen sozialen Schichten inzwischen auch in Deutschland Armut, die sich zudem in geringeren
Bildungschancen äußert. Gerade in den großen Städten kommt es zur Ghettobildung in Stadtteilen, die
vorwiegend von sozial schwachen Familien bewohnt werden. Auf der anderen Seite herrscht ein enormer
Konsumanreiz, den Werbung und Medien anfachen. Im Westen sowie im Osten Deutschlands sehen sich die
Menschen oft vom Staat alleine gelassen. Ein Trend zur individualistischen Gesellschaft, in der jeder seines
„Glückes Schmied“ ist, zeichnet sich ab. Der „Sozialstaat“ wird immer weiter abgebaut, und es ist fraglich, wie
lange der Staat noch für alle Bevölkerungsschichten ausreichend sorgen kann. Schon früh wird der Einzelne
gegenwärtig darauf aufmerksam gemacht, für Notzeiten selbst vorsorgen zu müssen. Der Generationenvertrag,
wonach die jungen Leute für die Renten der Alten aufkommen, scheint vor der Auflösung.
„Das Modell des europäischen Wohlfahrtstaats war bei aller Vielfalt der nationalen Ausprägungen ein Moment europäischer Identität gegenüber den USA und Japan (3.1). Dieses Modell war ein historisches Unikat, das auf den Sonderbedingungen der Nachkriegszeit basiert hat, die heute durch die Normalität des globalisierten Kapitalismus aufgelöst werden: Es war eine Ära, in der stetiges Wachstum, hohes Beschäftigungsniveau und umfassende soziale Sicherung vereinbar waren. Diese Bedingungen haben auch die Geltung der Normalarbeitszeit gestützt. Männliche Erwerbstätige konnten eine relativ gesicherte und stetige Vollzeitbeschäftigung erwarten.... In dem Maß, in dem sich die Normalarbeitszeit auflöst und geringfügige, unstetige und Niedriglohnjobs expandieren, gerät das gesamte System unter Druck“ (Garhammer, 1999, S. 497).
Der Trend der 70er und 80er Jahre, die Arbeitszeit zu verkürzen, ist rückläufig. Die 35-Stunden-Woche ist
vieler Orten ersetzt worden durch die 40-Stunden-Woche. In vielen Branchen leisten die gut ausgebildeten
Fachkräfte regelmäßig Überstunden. Stress herrscht nicht nur auf der Arbeit, sondern auch in der Freizeit.
Besonders berufstätige Mütter stehen unter der Doppelbelastung von Arbeit und Haushaltsführung. Viele
Berufstätige sind Pendler und müssen regelmäßig für die Firma auf Reisen sein. So schränkt sich die Freizeit
ein, die für Familie, Erholung und Hobbys zur Verfügung steht.
4.3 Die Ukraine – ein gespaltenes Land?
Um die Kultur der Ukraine verstehen zu können, muss man sich ein Bild über die Geschichte des Landes und
die lange Zeit der russischen Fremdherrschaft verschaffen. Sinnvoll ist also auch der Blick auf die russische
Kultur. Immerhin sind über 20 Prozent der Ukrainer russischer Herkunft.
Die Ukraine gehörte in früheren Zeiten größtenteils zum Kiewer Reich, das sich aus unabhängigen
Fürstentümern zusammensetzte. Nach Einfall der Mongolen und dem Einverleiben der westlichen Teile des
ostslawischen Territoriums durch das Großfürstentum Litauen wurde die Ukraine verschiedenen Großmächten
zugeteilt. Dazu gehörten Polen, Russland, das osmanische Reich und Österreich-Ungarn. Während also
Deutschland schon immer der abendländischen Kultur zugeordnet werden konnte, war die Ukraine ein Gebiet,
das wechselnd unter abendländischem, osmanischen und russischen Einfluss stand. Die Kultur des Ukrainischen
ist sehr alt und hat ihre Wurzeln in der Kiewer Rus.
„Die Ukraine ist, wie ihre Nachbarländer Russland und Weißrussland, ein Nachfolgestaat der Kiewer Rus. Nach der Zersplitterung des Kiewer Reiches in unabhängige Fürstentümer, der Invasion der Mongolen und dem Einverleiben der westlichen Teile des ostslawischen Territoriums durch das Großfürstentum Litauen und das spätere Polen-Litauen war die Ukraine meist ein umstrittenes Gebiet zwischen diversen Großmächten Polen, Russland, dem osmanischen Reich und Österreich-Ungarn“ (http://de.wikipedia.org-/wiki/Ukraine, S. 3).
Im Jahr 1654 unterstellten sich die Kosaken der Ukraine dem Moskauer Zaren. Seitdem gehörte die Ostukraine
bis zum Ausbruch der Oktoberrevolution zum Russischen Reich. 1917 stürzte sich die bäuerliche Machno-
Bewegung in eine anarchistische Revolution und unterstützte zunächst die „Roten“ (Bolschewisten) gegen die
„Weißen“ (Zarentreuen). Die Bewegung wurde jedoch 1921 verraten, und die Ukraine wurde unter Trotzki in
einem blutigen Krieg an die Sowjetunion angeschlossen. Vor dem ersten Weltkrieg lebten hunderttausende
Österreicher und Deutsche auf dem Staatsgebiet der jetzigen Ukraine.
Die Ukraine ist nach Russland das zweitgrößte Land Osteuropas. Sie grenzt an die Länder Rumänien,
Moldawien, Ungarn, Slowakei, Polen, Weißrussland und Russland. Heute wird in der Ukraine größtenteils nicht
russisch, sondern ukrainisch gesprochen, welches in Aussprache und Wortwahl etwa zwischen dem Polnischen
und Russischen liegt. Über 70 Prozent der Bevölkerung sind Ukrainer, 21 Prozent Russen, der Rest meist aus
anderen osteuropäischen Staaten. Geschrieben wird kyrillisch, aber die Buchstaben unterscheiden sich zum Teil
etwas vom Russischen.
Die schlimmste Hungersnot musste das ukrainische Volk 1932 bis 1933 unter der Herrschaft Stalins ertragen,
als die Landwirtschaft zwangskollektiviert wurde. Wissenschaftlichen Studien zufolge starben bei dieser
Hungersnot (Holodomor) zwischen 2,5 und 10 Millionen Menschen in der Ukraine. Während des Zweiten
Weltkriegs war die Ukraine von den Deutschen besetzt. Diese verübten Massenmorde an Juden oder russischen
Kriegsgefangenen. 1943 bis 1947 tobten die Partisanenkriege - zunächst gegen die Deutschen und später gegen
die russische Besatzung. Es gab eine ukrainische Unabhängigkeitsbewegung (Ukrajinska Powstanska Armija =
Ukrainische Aufständischenarmee) gegen die Sowjetmacht und gegen Polen, die jedoch niedergeschlagen
wurde. Während der „Westverschiebung Polens“ wurden ca. 1,2 Millionen Polen in die Westukraine
ausgesiedelt. Aus dem heutigen Ostpolen wurde ca. eine halbe Million Ukrainer in die Ukraine zurückgesiedelt.
Diese Umsiedlung erfolgte unter Zwang.
Die Ukraine wurde nach dem Zweiten Weltkrieg dem Sowjetreich einverleibt und verlor weitestgehend die
eigene staatliche Souveränität. Stalin setzte die russische Kultur als Leitkultur fest. Andere ethnische Völker
und Minderheiten mussten sich dem Sowjetregime unterordnen oder wurden verfolgt und deportiert. Auch nach
Stalin ging diese Politik der Herausbildung eines „einheitlichen Sowjetvolks“ weiter. „Mit der massiven
Russifizierung in der Breschnew-Ära ist die ukrainische Sprache in die Privatsphäre verdrängt worden. Die
Behördenvertreter versuchen weiterhin unermüdlich, den Bürgern die Perspektivlosigkeit des Ukrainischen
einzureden“ (Horbatsch, 1989, S. 242).
Erst seit 1991 ist die Ukraine ein unabhängiger Staat. Nach dem Austritt der Ukraine aus dem sowjetischen
Völkerbund konnten sich nationale Volksbewegungen in der Ukraine wieder öffentlich äußern. Die
„Volksbewegung für die Perestrojka“ („Narodnyi Ruch Ukajiny za Peresbudowu“) und die „Gesellschaft für
die Ukrainische Sprache“ („Towarystwo Ukrajinskoji Mowy“) haben es sich zur Aufgabe gemacht, die
ukrainische Sprache wieder als Amtssprache und an den Schulen einzuführen. 2005, bei der „Orangenen
Revolution“, kam Präsident Juschtschenko an die Macht. Unter seiner Präsidentschaft wurden von seiner
Premierministerin Tymoschenko viele große staatliche Unternehmen wieder privatisiert. Es wurden auch viele
Mitarbeiter der Ministerien entlassen. Seit August 2006 stand dem ukrainischen Parlament (Werchowna Rada)
Präsident Juschtschenko mit dem pro-russischen Regierungschef Janukowytsch vor. Es entstand eine Koalition
zwischen der Partei „Unsere Ukraine“ und der „Partei der Regionen“, die Koalition der nationalen Einheit. Erst
in der jüngsten Zeit gab es wieder Massendemonstrationen der eher westlich orientierten Anhänger des
Präsidenten („die Orangenen“) und der eher russisch orientierten Anhänger des Premierministers („die
Blauen“).
Das Land selbst zeigt seit 2004 ein starkes Wirtschaftswachstum. Nach dem Zerfall des Sowjetreichs sank zwar
das Produktionsniveau in den 90er Jahren, was steigende Lebenshaltungskosten und Hyperinflation
verursachte. Allerdings hat sich die ukrainische Wirtschaft ab 1998 stabilisiert. Viele Auslandsfirmen haben
inzwischen in der Ukraine investiert. Man kann auf einen langfristigen wirtschaftlichen Aufschwung hoffen.
Ein kritischer Faktor ist die Erhöhung von Gas- und Erdölpreisen durch Russland. Ausländische Investitionen
begünstigen aber trotz der Abhängigkeit von russischen Energielieferanten eine Annäherung der Ukraine an
den Westen und eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union.
Während der Sowjetzeit im Jahr 1981 ereignete sich das schwere Reaktorunglück von Tschernobyl an der
Nordgrenze zu Weißrussland. Wegen der hohen Radioaktivität konnte hier keine Landwirtschaft mehr
betrieben werden. In anderen Gegenden ist die landwirtschaftliche Bewirtschaftung wegen starker
Bodenerosion unmöglich: Die Wälder sind bis auf wenige Restbestände abgeholzt.
„Angesichts der Folgen der Tschernobyl-Katastrophe sowie eines rücksichtslosen Raubbaus und um sich greifender Umweltzerstörung durch bedenkenlose zentralgelenkte Unionsunternehmen hat sich im Frühsommer 1988 eine starke ukrainische ökologische Bewegung `Grüne Welt´ (slenyj swit) gebildet, die zusammen mit anderen ins Leben gerufenen Organisationen immer lauter die Forderung erhebt, Umweltprobleme der Ukraine von der Bevölkerung mitentscheiden zu lassen“ (Horbatsch, 1989, S. 241).
Nach wie vor ist die Ukraine die Kornkammer Osteuropas. Es wird hauptsächlich Weizen angebaut. Die
Nationalflagge symbolisiert mit den Farben gelb und blau die Kornfelder der Ukraine mit dem blauen Himmel
darüber. An der Krim, welche heute ein autonomes Gebiet ist, wird Wein- und Obstbau betrieben. Sonst gibt es
vor allem in der Ostukraine den Abbau von Kohle und Eisenerzen und die Stahlindustrie. Zu sowjetischen
Zeiten wurden Unternehmen für Elektronik, Rüstung und Raumfahrt in der Ostukraine angesiedelt. Die Ukraine
ist auch heute noch stark von der russischen Außenpolitik abhängig.
Rybakov (2004) sieht weder im Globalisierungsprozess noch in dem real existierenden „Raubkapitalismus“ in
Russland die Hauptprobleme für die weitere kulturelle Entwicklung. Seine Bedenken gehen dahin, dass die
„Macht des Geldes“ wieder von der „Macht der Zensur“ abgelöst wird. Er geht davon aus, dass der allmächtige
russische Staat seine Macht zurück erhält und die Gesellschaft sich einem „großrussischen“, nationalen
Gedankengut zuwendet.
„Der Zusammenbruch des sowjetischen Systems und die damit verbundene Öffnung des Landes stellt die russische Kultur, nach Jahrzehnten künstlicher Isolation, wieder in den allgemein-europäischen, bzw. universellen Kontext. Dabei steht der Kontext selbst nicht zuletzt unter dem Zeichen der sogenannten `Globalisierung´, wobei dieser Begriff, zumindest in bezug auf die kulturelle Problematik, mir weniger ein Begriff mit konkretem ernstzunehmenden Inhalt zu sein scheint, als vielmehr ein ziemlich inhaltsloses Modewort, das aber gut geeignet ist, das Verhältnis des Interviewten zur Öffnung des Landes und zu seiner Begegnung mit dem Westen `herauszuhören´“ (Rybakov, 2004, S. 313).
Es besteht laut Rybakov die Gefahr, dass die allgegenwärtige russisch-orthodoxe Kirche diese Tendenzen zu
einem neuen Nationalismus unterstützt. Die Gefahr gehe für Russland und seine Nachbarstaaten weniger von
der Globalisierung und dem Eindringen westlichen Gedankenguts aus, sondern vielmehr von einer neuen
Volkstümelei und antiwestlicher Propaganda. Rupnik (1994) sieht ebenfalls das Problem, dass die Russen
versuchen werden, auch weiterhin ihren Einfluss auf die Länder der ehemaligen Sowjetunion geltend zu
machen.
„The loss of the empire for the Russians is therefore a more difficult and traumatic experience than it was for the French and the British. Not just because in Britain´s case it took place in a context of economic prosperity, but because Britain without India was still Britain. Similarly, France without Algeria was still France. But what was Russia without its empire?” (Rupnik, 1994, S.100).
In der Ukraine gibt es viele Menschen, vor allem in der Ostukraine, die den Sowjetzeiten nachtrauern. Für sie
bot der Sowjetstaat sichere Einkommen und Chancen für die Zukunft. Wieder andere wenden sich dem Westen
und der europäischen Union zu. Sie möchten durch die Öffnung zum Westen einen Wirtschaftsaufschwung und
bessere Lebensbedingungen erreichen. Viele Intellektuelle der ehemaligen UdSSR sehen ihre Länder als
Nachzügler zu den westeuropäischen Staaten. Laut Lüdemann (1995) fällt der Ukraine eine Schlüsselrolle in dem gewaltigen staatenpolitischen Umbruch zu,
der mit der Auflösung des Sowjetreiches eingeleitet wurde. Die Ukraine war der wichtigste Staat im
Staatenbund der UdSSR außer Russland selbst. Ihre strategische und ökonomische Bedeutung war enorm. „Als
der Oberste Rat der ukrainischen Sowjetrepublik am 24. August 1991 die Selbständigkeit des Landes unter dem
neuen Namen `Ukrajina´ verkündete, brachte er mit diesem Schritt, dem in den darauffolgenden Tagen
entsprechende Proklamationen der übrigen Republiken folgten, das Gebäude zum Einsturz“ (Lüdemann, 1995,
S. 8).
Nach wie vor versucht Russland, sich in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einzumischen und übt Druck
gegen eine zu große Öffnung nach dem Westen aus.
„Many continue to view Ukraine in traditionally narrow terms as an internal problem, as the question of `Little Russians´ versus `Great Russians´, a family dispute. They are quite unaware of the transformation of Ukraine that occurred as a consequence of its changed geopolitical and geocultural location after 1939, and they overlook the fact that many Ukrainians view themselves as European, which places Ukraine, at least in part, outside the traditionally Russian-dominated world” (Szporluk, 1994, S. 35).
Das „russische Empire” ist ohne die Ukraine nicht vorstellbar. Es gibt sowohl in Russland als auch in der
Ukraine nationale Kräfte, die ein Wiedererstarken des Ostblocks und eine Abkehr von westlicher Lebensform
fordern. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und des Ostblocks wurden Demokratieprozesse ins Leben gerufen.
Allerdings: Nicht der gesamte Ostblock verhält sich gleich. Es herrscht in den einzelnen Ländern eine Mischung
aus Demokratie und Autoritarismus, was in dem neuen Begriff „Anokratie“ zusammengefasst ist (vgl. von
Beyne, 1994, S. 358).
Der Westen muss sich von seiner russozentrischen Perspektive lösen. Die Ukraine galt lange Zeit als
Randprovinz des russischen Kerngebiets. So wurde die Ukraine als Anhängsel des großrussischen Reiches und
später der Sowjetunion betrachtet. Der ukrainische Volksstamm galt quasi als das „Bayern“ des russischen
Reiches und als Touristenattraktion. „Der sentimentale, singende `Kleinrusse´ war bereits im Zarenreich eine
Klischeevorstellung für den Ukrainer, tanzende Kosakengruppen mit bestickten Hemden und Pluderhosen
(Sarovary), tanzende und singende `Bäuerinnen´ in bunten Trachten schreiben in unserem Jahrhundert dieses
Bild als Touristenattraktion fort ...“ (Lüdemann, 1995, S. 12). Die ukrainische Sprache war lange Zeit als
„Bauerndialekt“ der russischen Hochsprache verschrien. Es wird Zeit, die Ukraine als eigenständischen Staat
mit eigenständischer Kultur und Sprache wahrzunehmen.
Die Russen bezeichneten sich selbst als Bürger der Sowjetunion. Was ist nun mit den 25 Millionen Russen, die
außerhalb Russlands wohnen, hauptsächlich in Kasachstan, der Ukraine, Moldawien und den Baltischen
Staaten? Da in der früheren Sowjetunion überall russische Familien angesiedelt wurden, gibt es heute eine
große Zahl von Russen, die nach wie vor in den Nachbarstaaten, wie z.B. der Ukraine, leben. In der Sowjetzeit
übte Moskau einen starken Einfluss auf die sowjetischen Satellitenstaaten aus.
Laut Rogowski & Turner (2006) wurden durch die rücksichtslose Form der Modernisierung, die der sowjetische
Kommunismus mit sich brachte, viele Millionen Menschen in „homo sovieticus“ verwandelt. Ein schneller
wirtschaftlicher und technischer Fortschritt sollte auch in rückständigen Regionen erreicht werden. Neue
Fabriken, Stahlwerke und Bürogebäudekomplexe wurden in Osteuropa gebaut. Dennoch war der Wohlstand der
Bevölkerung eingeschränkt. Ideelle Werte des „Arbeiter- und Bauernstaats“ sollten hier Ersatz bieten. Die
ursprünglichen nationalen Traditionen der Satellitenstaaten der Sowjetunion wurden unterdruckt. Lokale
Kulturen und Identitäten wurden zerstört. Sowie früher der Zar die Nachbarländer Russlands in das
großrussische Reich eingliederte, gingen auch die Bolschewiken vor. „Die meisten der sogenannten
`Nationalitäten´ lebten über Jahrhunderte, wenn auch nicht freiwillig, in diesem Imperium zusammen und
waren durch gemeinsame, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen geprägt“ (Oswald, 2007, S. 77).
Rupnik (1994) beschreibt die auch heute noch andauernden neoimperialen Ansprüche Russlands und die starke
Beeinflussung der slawischen Nachbarstaaten. Der russische Volksdichter Fedor Dostojewskij beschreibt die
Beziehung Russlands zum Westen:
„Gegen die Übernahme der westeuropäischen Wissenschaften hat er zwar nichts einzuwenden, die wahre Aufklärung, im Sinne der russischen geistigen Erhellung (`лросвещение´), schöpfe das russische Volk allerdings aus eigenen Quellen, was es dem Westen weit überlegen mache ... Die westliche Aufklärung ist in Dostoevskijs Augen für den Niedergang des `atheistischen Kulturtyps´ verantwortlich, und vom Allmenschentum und der universalen Resonanz bleibt nicht mehr viel übrig“ (Gölz, 2003, S. 21).
Einen großen Einfluss in der Ukraine und in Russland hat trotz Jahren des Sowjetregimes immer noch die
orthodoxe Kirche. Schon im Mittelalter wurden die Ostslawen zum Christentum bekehrt. Die orthodoxe Kirche
forderte von jeher Opferbereitschaft und Unterordnung unter die gesellschaftlichen Gegebenheiten von den
Gläubigen.
„Fedotov betrachtet diesen Verzicht auf Widerstand als Wesenszug des russischen Nationalcharakters, eine aus heutiger Sicht sicher nicht unproblematische Deutung. Nicht zu bestreiten ist hingegen, daß mit der Kenose Haltungen wie Selbstaufgabe, Entsagung, Schwäche, Demut, Gehorsam, freiwillige Armut, gewaltloser Widerstand assoziiert werden“ (Kissel, 2004, S.6, zitiert nach Fedotov, S. 104).
In den Jahrzehnten des Sowjetreiches wurde zwar alles getan, den Einfluss der orthodoxen Kirche auf das Volk
zurückzudrängen. Dies ist allerdings nie ganz gelungen. Nach wie vor ist die orthodoxe Kirche die stärkste
Glaubensgemeinschaft der Ukraine. Die ukrainische orthodoxe Kirche hat sich vom Patriarchat in Moskau
getrennt. Es gibt in der Ukraine auch die Glaubensrichtung der „Unierten Kirche“, die griechisch-orthodoxe
Kirche genannt wird. Die römisch-katholische Kirche, die es ebenfalls in der Ukraine gibt, besteht fast
ausschließlich aus Polen.
Die Ukraine hat in den Folgejahren nach der Auflösung der Sowjetunion und dem Zusammenschluss der GUS-
Staaten eine andere Entwicklung als Russland genommen. Das Kommunistische Manifest, das lange für die
Sowjetunion Gültigkeit hatte, strebte eine „Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, der Familie,
des Privaterwerbs, der Lohnarbeit“ (Marx & Engels, 1999, S. 83) an. Ziel war eine „gesellschaftliche
Harmonie“. Die sozialistischen und kommunistischen Ideen blieben aber auch in der Ukraine nur Utopien. In
den letzten Jahren lassen sich klare Tendenzen für eine Öffnung des Landes nach Westen und eine
demokratische Lebensform erkennen. Alte sozialistische Strukturen lösen sich auf. Die demokratischen Kräfte,
die zunächst unterdrückt waren, setzen sich zunehmend durch und haben eine demokratisch gewählte Regierung
hervorgebracht. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land selbst zweigespalten ist. Auf der
einen Seite ist ein großer Teil der Bevölkerung bereit, sich dem Westen und der europäischen Lebensart
anzugleichen, auf der anderen Seite trauern viele noch den alten Sowjetzeiten nach.
„In Ukraine, the division between those who are basically for the Soviet system (or for what they think they remember the Soviet system to have been) and those who want to move away from Sovietism toward `Europe´ is expressed geographically, with the Eastern industrial regions voting communist. It may even assume the ethnic form (i.e., of a Ukrainian-Russian split) if communists are successful in establishing themselves as spokesmen of the Russians and/or the Russian speaking population” (Szporluk, 1994, S. 34f).
Neue Systemelemente und alte vermischen sich miteinander. Im Wandel der wirtschaftlichen Systeme vom
Sozialismus zur freien Marktwirtschaft gibt es Gewinner und Verlierer. Zu den Gewinnern zählt die
Facharbeiterschaft in den überlebensfähigen Industrien, die Spitzenbeamten und die Angestellten in den
mittleren Positionen. Zu den Verlierern gehören die Rentner, kleinen Angestellten, die weniger qualifizierten
Arbeiter und nicht zuletzt die Frauen, deren Gleichberechtigung in der Arbeitswelt vom Sozialismus propagiert
wurde, die heute allerdings mehr und mehr in untergeordneten Positionen zurückgesetzt sind.
„Strukturelle Voraussetzungen der nationalen und kulturellen Identität der Neuzeit lassen sich nicht auf Westeuropa beschränken. Man muss vielmehr die Erfahrung berücksichtigen, die das Zeitalter europäischer Expansion in all den Ländern ausgelöst hat, die ich als Nachzügler bezeichnet habe, einschließlich der europäischen Länder, die sich in jüngster Zeit von der russischen auf die `westliche´ Bezugsgesellschaft umorientieren müssen“ (Bendix, 1991, S. 53).
Von einem Reisenden (vgl. den Reisebericht (www.radio101.de/chris/ukraine) wird die Ukraine
folgendermaßen beschrieben: Es ist ein Land, wo die Sommer noch richtige Sommer sind (heiß und drei
Monate Sommerferien) und die Winter noch richtige Winter. Auch ansonsten ist sie ein Land der Kontraste und
Gegensätze: Kirchtürme aus purem Gold und trostlose Gebäude aus der Sowjet-Zeit. Sehr viele Menschen
haben sehr wenig und sehr wenige haben ziemlich viel. Im Reisebericht wird auch davon erzählt, dass viele alte
Restaurants aus der Sowjet-Zeit durch bunte, neue ersetzt wurden. Viele ukrainische, aber auch ausländische
Pizzerien und Restaurants und natürlich die großen Hamburger-Ketten aus den USA haben neu eröffnet.
Schwer sei es dagegen, so heißt es weiter, Supermärkte zu finden. Die Ukrainer kaufen am liebsten in „Tante-
Emma-Läden“ und das, was die Bauern entlang der Straße verkaufen. In den Städten wohnt man vor allem in
den Hochhaussiedlungen aus der Zeit der Sowjetunion. Diese Plattenbauten sind zwar trist, aber es gibt hier
zwischen den Häusern immer noch verwilderte Wiesen, Teiche, Bäume und Büsche zum Spielen für die Kinder.
Die Ukraine erlebte in den letzten Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Bevölkerung profitiert davon.
Der Dollar wird zur „mythischen Größe“, westlicher Lebensstil wird idealisiert. Allerdings sind die finanziellen
Möglichkeiten, gerade der Jugend, nach wie vor begrenzt.
„ ... So bleibt für die Jugend die schon immer gepflegten Freizeitmöglichkeiten: Sport, Filme und Fernsehen, Lesen, Briefmarkensammeln. Immer noch behalten neben den westlichen Einflüssen der Alltagskultur auch klassische ukrainische ihren Platz. ... Das Alltagsleben der Einwohner der Ukraine steht heute ganz unter dem Eindruck des wirtschaftlichen Umbruchs und der Sorge um die Grundbedürfnisse und das weitere Auskommen, so daß für Hobbies nicht viel Raum bleibt“ (Lüdemann, 1995, S. 141f).
Auch der Unterschied zwischen der West- und der Ostukraine ist Thema bei den Beschreibungen des Landes in
Reiseberichten und Bildbändern. So berichten Saslawskaja & Siwik (1993), dass die Westukrainer häufig zu
Unrecht von den Ostukrainern als überheblich erachtet werden. Die Westukrainer seine lediglich
zurückhaltender, disziplinierter und weniger emotional. Die Dörfer und Städte im Westen der Ukraine sind
gepflegter als die im Osten. Jedoch ist der Westen ethnisch differenzierter als der Osten. Es gibt hier ungarische
und rumänische Siedlungen, aber auch die polnische und slowakische Sprache kann man oft hören. Sogar
Wörter der deutschen und ungarischen Sprache werden hinzugemischt. Die Westukrainer haben sich jedoch,
egal ob sie von Polen oder Österreich beherrscht wurden, ihre eigene Lebensart erhalten. Lüdemann (1995)
schreibt, dass die Westukraine als „Hort des ukrainischen Nationalismus“ dargestellt wird, und sich westlich
orientiert, während der Osten des Landes eher der sowjetischen Ära und somit dem russischen Nachbarn
zuneige. „Tatsächlich ist die Gegenüberstellung der beiden Landesteile in der Ukraine auf Schritt und Tritt
wahrzunehmen. Die von den `Westlern´ oder `Galiziern´ verwendete Bezeichnung Schidnjaky (sprich: S-
Chidnjaký) erinnert stark an die deutschen `Ossis´ (Schid = Osten)“ (Lüdemann, 1995, S. 30).
Aufgrund der Berichte von Besuchern der Ukraine kann man die Westukraine und die Ostukraine als
eigenständige Kulturräume unterscheiden. Inwiefern sich Unterschiede beim Verhalten der Ukrainer beider
Landesteile zeigen, muss sich bei den weiteren Untersuchungen noch herausstellen.
4.4. Zusammenfassung
Kulturspezifische Eigenarten der Deutschen und der Ukrainer können aus der geschichtlichen Vergangenheit
der Länder hervorgehen. Während Deutschland viele Jahrhunderte aufgeteilt war in unterschiedlichen
Fürstentümer und Monarchien, war die Ukraine ein Grenzland zwischen der österreichisch-ungarischen
Monarchie, dem polnischen und litauischen Königreich, dem Zarenreich Russlands und dem angrenzenden
osmanischen Reich. So war Ukraine war bis zum heutigen Tag ein Spielball mächtigerer Nationen. Sie wurde
während des Zweiten Weltkriegs von den Deutschen besetzt, später gehörte sie über fünfzig Jahre zur
sozialistischen Sowjetunion.
Die im Kap. 4.2. aufgeführten historisch gewachsenen Eigenarten deutscher Strebsamkeit und deutschen
Pflichtbewusstseins lassen darauf schließen, dass auch die von uns befragten Studenten eine hohe
Leistungsorientierung und ein zeitliches Verhalten aufweisen, das eher dem wettbewerbsorientierten,
ehrgeizigen Typ A entspricht. Im Westen herrschen schon lange die konkurrenzfördernden Gesetze der freien
Marktwirtschaft, während der Osten Deutschlands nach dem Krieg unter sowjetischer Herrschaft stand. Der
hohe Grad der Industrialisierung und der gestiegene Wohlstand lassen im Westen auf eine „Zeit-ist-Geld“-
Mentalität schließen. Der allgemeine „Konsumwahn“ heizt die wettbewerbsorientierte Stimmung noch an. Es
lässt sich zunächst vermuten, dass die deutschen Studenten mehr noch als ihre ukrainischen Kommilitonen vom
Ehrgeiz getrieben werden und sich einer stark Konkurrenz ausgesetzt sehen. Der junge Mensch sollte sich aktiv
und energiegeladen seinen Platz in der Wohlstandsgesellschaft sichern. „Höher, schneller, weiter!“ ist die
Devise. Jeder möchte gerne schnell an sein Ziel kommen. Der Zeitdruck, der entsteht, ist enorm. Fraglich ist, ob
sich die Westdeutschen zwanzig Jahre nach Grenzöffnung in punkto Leistungs- und Zeitdruck, den sie
ausgesetzt sind, noch von den Ostdeutschen unterscheiden.
Betrachten wir die Veränderungen der letzten zwanzig Jahre, gab es auch in der Ukraine politische und
gesellschaftliche Umstellungen. Die Ukraine war lange Zeit sozialistisch regiert. Die Maxime einer
kollektivistisch geordneten Marktwirtschaft wurde über ein halbes Jahrhundert propagiert. Dieser gelebte
Sozialismus hatte eigene Wertvorstellungen. Die Gesellschaftsstruktur und das Zusammenleben der Menschen
war dem sozialistischen Prinzip untergeordnet. Eine so lange Zeit prägt auch die Kultur des Landes. Zwar
brachte die Öffnung zum Westen neue Möglichkeiten und andere freiheitlich orientierte Grundwerte mit sich.
Allerdings ist fraglich, ob alle Einflüsse des sozialistischen Gemeinschaftslebens bereits nach kurzer Zeit der
Öffnung zum Westen vergessen sind.
Der Sozialismus hatte eine Fünf-Jahres-Planung, die nur schwer umzustellen war. Dies war nicht zuletzt ein
Grund dafür, dass die Wirtschaft der sozialistischen Staaten nicht mit denen der westlichen Staaten
konkurrieren konnte, wo stets schnell und flexibel auf Änderungen reagiert wurde. Der Sozialismus brachte eine
gewisse Behäbigkeit in die Arbeitsprozesse. Da der Einzelne vom Kollektiv unterstützt wurde, war in der
Arbeitswelt mehr Gelassenheit zu spüren. Für jeden gab es Arbeit. Es herrschte zumindest auf dem Papier
Vollbeschäftigung. Aufgrund von Ressourcenknappheit kam es aber immer wieder zu Produktionsengpässen
oder im schlimmsten Fall über längere Zeit zu Produktionsstillstand. Gleichzeitig war der sozialistische Mensch
keinem so großen Konsumzwang unterworfen, wie dies im Westen der Fall war. Es gab wenige Luxusgüter, für
die man lange anstehen musste. Die Grundversorgung war jedoch im Großen und Ganzen sichergestellt. So war
das einzelne Mitglied der sozialistischen Gesellschaft keinem so großen Wettbewerb ausgesetzt, wie die Bürger
der westlichen Länder. Jetzt nach Öffnung der Grenzen sehen sich viele, gerade die jungen Menschen mit völlig
neuen Problemen, wie z.B. dem Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt, konfrontiert. Jeder Einzelne muss
sich mehr anstrengen, um seinen Lebensunterhalt zu sichern und beim neuen „westlichen“ Lebensstil mithalten
zu können. Findet sich dieser Druck, nicht den Anschluss zu verpassen, bei den befragten Studenten unserer
Untersuchung wieder?
Die Vorüberlegungen zu den Ländern Deutschland und Ukraine geben Hinweise darauf, dass es sich um
unterschiedliche Kulturräume handelt. Aufgrund der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme in Ost- und
Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und aufgrund der unterschiedlichen Mentalitäten von Ost- und
Westukrainern (vgl. Kap. 4.3) kann man davon ausgehen, dass nicht nur Deutschland und die Ukraine, sondern
auch jeweils der Westen und der Osten dieser beiden Länder kulturelle Unterschiede aufweisen.
Ob ein kulturspezifischer Unterschied der Verhaltensweisen, speziell beim Umgang mit der Zeit, heute im
Zeitalter der Europäisierung und Globalisierung noch spürbar ist, muss geklärt werden. Über zwanzig Jahre
nach der Öffnung von Ostdeutschland und der Ukraine zum Westen sind viele Staatsbetriebe privatisiert und
funktionieren nach den Prinzipien der freien Marktwirtschaft. Während die Westukraine sich sehr schnell den
neuen westlichen Verhältnissen angepasst hat und eine Mehrzahl der Bevölkerung prowestlich orientiert ist und
einen Beitritt in die Europäische Union begrüßen würde, trauern Teile der Bevölkerung der Ostukraine, vor
allem die ältere Generation, der sozialistischen Ordnung nach. Allerdings ist auch in der Ostukraine gerade bei
den jungen Leuten eine Öffnung zum westlichen Lebensstil erkennbar.
In den letzten beiden Jahrzehnten kann man in ganz Europa einen starken Wertewandel erkennen. Die
feindlichen Lager, der kapitalistische Westen und der sozialistische Osten, existieren nicht mehr.
Globalisierungsvertreter verkünden eine multikulturelle Weltgemeinschaft. Dagegen stehen die
Globalisierungsgegner, die für die einzelnen Völkergemeinschaften eher Nachteile sehen und eine weltweite
Ausbeutung der Menschen durch mächtige Großkonzerne der westlichen Industrienationen befürchten. Die
europäischen Länder schließen sich enger zusammen, um beim harten Konkurrenzkampf auf den Weltmärkten
bestehen zu können. Es wird interessant sein zu erfahren, inwieweit beim Verhalten der Studenten noch klare
länderspezifische Unterschiede erkennbar sind, oder ob aufgrund der politischen, ökonomischen und
gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte in Europa die Menschen in Ost und West ihr Verhalten
aneinander angepasst haben.
5 Länderspezifische Studien zum Umgang mit der Zeit Um die These, dass es kulturspezifische Unterschiede zwischen Länder und Ländergruppen gibt zu erhärten,
sollen auch andere Studien zu diesem Thema in Augenschein genommen werden. So hat Levine (2005) in
seinem Buch „Eine Landkarte der Zeit“ darüber geschrieben, wie unterschiedlich verschiedene Kulturen mit der
Zeit umgehen. Er beschreibt die Unterschiede im „Lebenstakt“ der Menschen. Das zeitliche Verhalten wird
bezüglich Tempo und Eile in verschiedenen Ländern oder Regionen untersucht. Ergebnis war, dass die
Unterschiede beim Umgang mit der Zeit auffällig sind.
Dennoch schließt Levine nicht aus, dass es auch große Tempounterschiede zwischen Individuen gibt, die
derselben Kultur angehören, ja sogar zwischen Individuen, die in derselben Stadt wohnen. Jede
Verallgemeinerung birgt die Gefahr zu „schludrigem Denken“:
„Den Menschen einer bestimmten Stadt oder eines bestimmten Landes Etiketten mit globalen Aussagen anzuheften, stellt eine übermäßige Typisierung dar und ist als solches potentiell bösartig. Doch obwohl es oberflächlich wäre, Verallgemeinerungen über die Menschen an einem bestimmten Ort unzulässig zu übertreiben, wäre es andererseits naiv, das Vorhandensein von signifikanten, generellen Unterschieden zwischen Orten und Kulturen zu leugnen“ (Levine, 2005, S. 23).
Robert Levine (2005, S. 198-204) führte in den Vereinigten Staaten eine groß angelegte Studie zum
Lebenstempo in 36 Städten durch. Er wollte einen repräsentativen Querschnitt der Großstädte des Landes
untersuchen. Dabei untersuchte er drei Metropolen, drei Städte mittlerer Größe und drei kleinere Städte jeweils
im Nordosten, im Mittleren Westen, im Süden und im Westen der Vereinigten Staaten nach vier Kriterien:
Gehgeschwindigkeit, der Wechselgeschwindigkeit bei den Banken, der Sprechgeschwindigkeit und der Anzahl
der Armbanduhren, die getragen wurden. Der generelle Eindruck, dass im Nordosten der Vereinigten Staaten
ein schnelles Tempo vorherrscht, bestätigte sich. Die drei Städte mit dem höchsten Tempo (Boston, Buffalo,
New York) und insgesamt sieben der neun schnellsten Städte liegen im Nordosten der USA. Im Westen
dagegen, vor allem im Sonnenstaat Kalifornien (etwa Los Angeles) verläuft das Leben wesentlich
gemächlicher. Levine führte auch eine 31 Länder Studie zum Umgang mit der Zeit durch. Dabei bildete er einen
Gesamttempoindex aus der Gehgeschwindigkeit, der Bedienungszeit bei der Post und der Genauigkeit, mit der
die öffentlichen Uhren die Zeit anzeigen. Auffällig ist, dass der Gesamttempoindex in den westlichen,
europäischen Staaten am höchsten ist. Europäische Länder, wie Deutschland, England und die Schweiz (das
Uhrenland!) sind bekannt für ihre Pünktlichkeit. Im Mittelfeld bewegen sich Länder wie die USA und Kanada
und am Ende stehen Länder aus dem arabischen und südamerikanischen Raum und Mexiko.
Bei einem so großen Verbund aus Bundesstaaten, wie es bei den Vereinigten Staaten der Fall ist, kann es schon
innerhalb eines Landes Unterschiede beim Umgang mit der Zeit geben. Die Frage bleibt: Wie weit gehen dabei
die Grenzen bestimmten Kulturraums? Bei Levine´s Untersuchungen stellte der Nordosten der Vereinigten
Staaten einem anderen Kulturraum dar als der Mittlere Westen oder der Süden der Vereinigten Staaten. Bei der
31-Länder-Studie bildete jedes Land einen eignen Kulturraum.
Kritisch anzumerken ist, dass die Indikatoren des gemessenen „Gesamttempoindex“ sehr willkürlich gewählt
waren und nicht immer aussagekräftig für den Umgang mit der Zeit sein müssen. So kann nicht unbedingt von
der Genauigkeit der Uhren auf ein schnelles Tempo im Land geschlossen werden. Wenn die Genauigkeit der
Uhren als Indikator genannt wird, so verweist dies eher auf die Bedeutung der Zeit in diesem Land oder darauf,
wie wichtig die Pünktlichkeit genommen wird. Auch die Bedienungszeit bei der Post oder die Bedienungszeit
bei der Bank sind als Indikator zum Messen vom Tempo, mit dem sich die Menschen bewegen, sehr umstritten,
da in jedem Land ein eigener Servicestandard herrscht, (vgl. den hohen Servicestandard und somit auch den
hohen zeitlichen Aufwand in japanischen Postämtern). Die Gehgeschwindigkeit wiederum, der dritte Indikator,
hängt stark vom Klima eines Landes ab. Es ist verständlich, wenn Menschen in heißen oder tropischen
Regionen langsamer laufen als in kälteren Gegenden. Wiederum ist ein schwedischer Bürger, wenn es draußen
kalt und ungemütlich ist, vielleicht schneller unterwegs als Menschen bei einem angenehmen Sommerwetter.
Der Indikator Sprechgeschwindigkeit, der bei der zweiten Versuchsreihe hinzu kam, ist wiederum nur einer von
vielen Faktoren, der den Zeitdruck, den ein Mensch verspürt, wiedergeben kann. Für ein schnelles Sprechen
kann die Eile verantwortlich sein, in der sich ein Mensch gerade befindet. Schnelles Sprechen kann jedoch auch
die Lebensart oder Quirligkeit des Großstädters gegenüber dem Menschen auf dem Land widerspiegeln.
Unterschiede kann es auch aufgrund des Alters der Sprechenden geben, wobei man davon ausgeht, dass junge
Leute schneller reden als ältere.
Mehrere internationale Studien erfolgten durch Marc Bornstein und seine Mitarbeiter 1976 und 1979 zu diesem
Thema. Sie untersuchten die Gehgeschwindigkeiten in großen Geschäftsvierteln von insgesamt 25 Städten der
Tschechoslowakei, Frankreichs, Deutschlands, Griechenlands, Israels und den Vereinigten Staaten. Dabei
stellte sich eine enge Beziehung zwischen der Einwohnerzahl der Städte und der Gehgeschwindigkeit der
Menschen heraus. Fraisse (1985) stellt fest, dass der Zeitdruck, der auf dem Einzelnen lastet, von der Umwelt
abhängig ist, in der er lebt:
„Der Anteil der Stadtbewohner, die eine Uhr tragen, nimmt mit der wachsenden Population zu. Bauern sind offenbar weniger auf einen genauen Zeitplan angewiesen als Angestellte oder Arbeiter. Jeder von uns unterliegt auf seine Art dem Zeitdruck, der, bedingt durch unsere äußeren Lebensumstände, auf uns lastet“ (Fraisse, 1985, S. 291).
Es gibt weitere Untersuchungen zum unterschiedlichen Tempo zwischen Großstadtmenschen und den
Menschen, die auf dem Land wohnen. Dass in größeren Städten ein schnelleres Tempo vorherrscht, hat auch
Herbert Wright (1961) in seinem „City-Town-Project“ untersucht, wobei er herausfand, dass das
durchschnittliche Großstadtkind in einem doppelt so schnellen Tempo durch den Supermarkt lief wie das
Kleinstadtkind. Bei seinen interkulturellen Studien mit Kindern aus Amerika und Südkorea fand Madsen (1971)
heraus, dass Großstadtkinder mehr wettbewerbsorientiert sind, als Kinder ländlicher Gegenden. Kinder aus
städtisch industrialisierten Gebieten sind ebenfalls wettbewerbsorientierter als traditionelle Landkinder (vgl.
Miller & Thomas, 1972). Dies zeigte eine Studie von Kindern der Schwarzfußindianer im Vergleich mit
kanadischen Stadtkindern.
Der australische Psychologe Paul Amato (1983) fand bei seiner Untersuchung des Verhaltens von Menschen in
Neuguinea heraus, dass die Gehgeschwindigkeit, die Schnelligkeit, mit der Wechselgeld herausgegeben wurde,
und die Zeit, die man für den Einkauf von Betelnüssen brauchte, in den zwei untersuchten Großstädten
schneller war als in den zwei untersuchten Kleinstädten.
Eine Studie von Chapin (1975) untersuchte die Aktivitäten von Stadtmenschen und machte eine Aufstellung,
wie viel Zeit die Menschen für die Arbeit, für das Essen, für Einkäufe, für den Haushalt, für Familie und soziale
Kontakte, für die Teilnahme in Organisationen und Vereinen, für Freizeitaktivitäten, Fernsehen und Ausruhen
verwenden. Dabei untersuchte er Großstadtmenschen, Menschen in mittelgroßen Städten und
Kleinstadtmenschen. Er unterschied in Bewohner des Zentrums, zentrumsnaher Vorstädte und von
Außenbereichen. Sein Ergebnis: Die Menschen in den Stadtzentren verbringen mehr Freizeit im privaten
Bereich der Wohnung, und das Fernsehen ersetzt soziale Kontakte mit der Außenwelt. Anders als in
Kleinstädten und ländlichen Gegenden findet kaum Vereinsleben statt. Die Vorstadt- und
Außenbezirksbewohner verbringen mehr Zeit mit ihren Familien und dem Pflegen sozialer Kontakte (vgl. dazu
Table IV-3, Chapin, 1974, S.102).
Es konnten auch Zusammenhänge zwischen dem Klima eines Kulturraums und dem Tempo, mit dem die
Menschen arbeiten und leben, festgestellt werden. So hat die 31-Länder-Studie von Robert Levine (2005, S.
178) ergeben, dass in tropischen Ländern (Mexiko, Brasilien und Indonesien) das langsamste Tempo herrscht.
Bei dieser Studie (Levine, 2005, S. 180) wurde auch der Unterschied im zeitlichen Verhalten bei
Industrienationen und nicht industrialisierten Ländern untersucht. Die letzten acht Ränge belegten durchwegs
die nichtindustrialisierten Länder in Afrika, Asien, dem Nahen Osten und Lateinamerika. Auf den letzten
Plätzen befanden sich Brasilien, Indonesien und Mexiko. Hier kann als Unterscheidungskriterium der Grad der
Industrialisierung genommen werden, den das jeweilige Land aufweist. Wenig industrialisierte Länder, in denen
die „Gummizeit“ den täglichen Alltag regiert, fielen als die langsamsten Länder auf.
„Ob Japan oder die Schweiz die Goldmedaille für Schnelligkeit verdient haben, bleibt umstritten, aber zweifellos war das erstaunlichste Ergebnis am oberen Ende der Rangliste das durchgängig schnelle Tempo in Westeuropa. Acht der neun getesteten westeuropäischen Länder (die Schweiz, Irland, Deutschland, Italien, England, Schweden, Österreich und die Niederlande) waren, abgesehen von Japan, schneller als alle übrigen Länder“ (Levine, 2005, S. 182).
Obwohl die Industrienationen in den letzten Jahrzehnten eine Arbeitszeitverkürzung für die Arbeitnehmer und
mehr Freizeit bereitstellten, kann man im Zuge der Globalisierung gerade in der heutigen Zeit einen Trend zur
Rückkehr zum Achtstundentag feststellen. Viele Errungenschaften, wie die gleitende Arbeitszeit oder der
höhere Freizeitanteil, gehen wieder verloren. Juliet Schor (1992) konnte in dem Buch „The Overworked
American“ darlegen, dass der durchschnittliche Amerikaner in den 90er Jahren weniger Zeit für sich hatte, als
20 Jahre früher.
Wie Johnson (1978) bereits feststellte, ist das Ergebnis einer Produktions- und Konsumsteigerung eine
wachsende Knappheit der Zeit. Die Bewohner industrialisierter Nationen verwenden mehr Zeit auf den
Konsum. Die freie Zeit verwandelt sich nach und nach in eine Konsumzeit, da in industrialisierten Ländern die
Zeit, in der man weder produziert, noch konsumiert als verschwendet gilt. Der moderne Mensch lebt immer in
der Gefahr, Zeit zu verschwenden.
„Der Anthropologe Allen Johnson verglich beispielsweise die Zeitnutzung bei Machiguenga-Indianern und bei französischen Arbeitern. Die französischen Arbeiter, so stellt er fest, verbringen mehr Zeit bei der Arbeit und beim Konsumieren verschiedener Dinge (Essen, Lesen, Fernsehen), haben aber beträchtlich weniger freie Zeit als die Machiguenga- Indianer“ (Levine, 2005, S. 42).
Je gesünder die Wirtschaft eines Ortes ist, desto höher ist das Tempo (Levine, 2005, S. 38 - 41): „Wenn eine
Stadt wächst, steigt der Wert der Zeit ihrer Einwohner parallel zu den steigenden Löhnen und
Lebenshaltungskosten der Stadt, sodass ein wirtschaftlicher Umgang mit der Zeit wichtiger und das Leben
insgesamt schneller und hektischer wird“ (Hoch, 1976, S. 857). Wohlhabende Orte mit einer gut
funktionierenden Wirtschaft weisen tendenziell ein höheres Tempo auf. Die 31-Länder-Studie von Levine
belegt, dass die schnellsten Menschen in den reichen nordamerikanischen, nordeuropäischen und asiatischen
Staaten vorzufinden sind. Die langsamsten Menschen gibt es in den Ländern der Dritten Welt, in Süd- und
Mittelamerika und im Nahen Osten (siehe dazu Levine, 2005, S. 180).
Schor (1992, S. 107ff) schreibt über „The Insidious Cycle of Work-and-Spend“. Das Motto „Shop ´til you
drop!“ sieht die Autorin besonders für Nordamerikaner als zutreffend an. Die Nordamerikaner würden viermal
so viel Zeit für das Einkaufen verwenden, wie die Westeuropäer. Das „Shopping“ sei zur Freizeitaktivität
schlechthin geworden. Nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche sähen in den „Malls“, den
großen Einkaufszentren, eine Art Freizeitpark. „Some of the country´s most popular leisure activities have been
turned to extended shopping expeditions. National parks, music concerts, and art museums are now acquisition
opportunities” (Schor, 1992, S. 108).
Für manche Menschen - auch in Deutschland - ist das Einkaufen längst zur Sucht geworden. Dabei überziehen
sie oft ihre Kreditkarte und kommen in große finanzielle Schwierigkeiten. Man nimmt in Kauf, viele
Überstunden zu arbeiten oder zwei oder mehrere Jobs auf einmal zu haben, um den angestrebten
Lebensstandard halten und alle Konsumwünsche befriedigen zu können. Menschen, die nicht in einer
Überflussgesellschaft leben, zeigen sich weniger wettbewerbsorientiert. In weniger wohlhabenden
Gesellschaften kooperieren und teilen die Menschen eher. „Conversely, the communalistic bias toward sharing
and cooperation in low surplus economies (Simmons, 1945) also has its adaptive value because competitiveness
under such conditions could lead to severe conflict and rapid depletion of resources” (Munroe R.L. & R.H., S.
283). Schon Ende des 20. Jahrhunderts stellte Simmel (1890) in seinem Werk „Über sociale Differenzierung“ fest,
dass in der Gesellschaft im Laufe ihrer Entwicklung und Differenzierung die Individualität des Einzelnen an
Bedeutung gewinnt. Der Mensch hat die Möglichkeit, seiner kleinen sozialen Gruppe (vgl. Dorfbewohner) zu
entfliehen und Kontakt zu mehr Personen zu bekommen (vgl. Großstadtbewohner). Es entsteht ein
weitmaschiges Netz an sozialen Kontakten. Die Differenzierung zwischen den Menschen wächst, je komplexer
und weitläufiger ihre Umwelt wird. Ein Großstadtmensch hat mehr Spielraum für Individualismus. Aber
Simmel erkennt auch die Gefahr, dass mit laufenden Fortschritt und der Zunahme und Verdichtung des sozialen
Netzes Interventionen in die Lebenswelt des Individuums möglich sind. In modernen Gesellschaften übernimmt
das Geld mit steigender Komplexität eine wichtige Rolle. Die Banken sind zum Mittelpunkt der Städte
geworden und sind inzwischen größer und mächtiger als die Kirchen (vgl. Simmel, 1900). „Geld wird Gott“ ist
eine der Kernaussagen Simmels. Die Macht des Geldes kann in einer Kultur eingeschränkt werden, wenn zum
Beispiel auch andere Ziele als individueller Wohlstand und Reichtum angestrebt werden. Andere Ziele können
zum Beispiel Selbstverwirklichung und Gemeinschaftssinn sein.
Die Prägung durch Kollektivismus oder Individualismus erweist sich als wesentliches Charakteristikum der
Sozialstruktur einer Kultur. „Die Vereinigten Staaten haben eine klassische individualistische Kultur. Das
traditionell geprägte Asien dagegen neigt dazu, sich auf das Kollektiv zu konzentrieren“ (Levine, 2005, S. 42).
Harry Triandis (1994) stellte die These auf, dass individualistische Kulturen in Vergleich zu kollektivistischen
Kulturen mehr Wert auf Leistung als auf Zusammengehörigkeit legen. Dies führt zu einer „Zeit-ist-Geld“-
Einstellung. Jeder Augenblick muss genutzt werden. Bei den Kulturen mit mehr Zusammengehörigkeitsgefühl
verhält man sich entspannter und hat ein langsameres Lebenstempo. Triandis (1994) hielt als Ergebnis seiner
Untersuchungen fest, dass ein stärkerer Individualismus mit einem schnelleren Tempo in Beziehung steht.
Die Struktur einer Gesellschaft, ob individualistisch oder eher kollektivistisch, hat eine Auswirkung auf das
Tempo in der Gesellschaft. In individualistischen Gesellschaften ist jeder selbst für sein Wohlergehen
verantwortlich. Er sorgt für sich und bestenfalls noch für seine eigene Kleinfamilie. In kollektivistischen
Gesellschaftsformen ist der Einzelne auch für das Wohlergehen aller verantwortlich. Während die Westukraine
sich stark dem Westen öffnet, wo ein eher individualistischer Lebensstil gepflegt wird, könnte es sein, dass im
Osten der Ukraine noch viele Menschen die alten sozialistischen Lebensform pflegen. Ob in Ostdeutschland
fast 20 Jahre nach Öffnung zum Westen noch kollektivistische Wertvorstellungen überlebt haben, ist fraglich.
In Westdeutschland wird schon lange ein individualistischer Lebensstil gepflegt. Nur wenige Aussteiger aus der
Gesellschaft versuchen zum Teil auf Biolandhöfen oder mit anderen Lebensmodellen, z.B. dem
Zusammenleben mehrerer Generationen in einer Mietwohnanlage, diesem individualistischen Trend
entgegenzusteuern.
Die in diesem Kapitel aufgeführten Studien zum unterschiedlichen Tempo, das in verschiedenen Ländern
vorherrscht, bestätigt die Annahme, dass es kulturspezifische Unterschiede im Umgang mit der Zeit gibt. Das
Tempo und somit auch der Zeitdruck, der in westlichen Industrienationen vorherrscht, sind anscheinend größer,
als in anderen Ländern. Dabei sind der Grad der Industrialisierung und des Wohlstands des Landes ein
kulturspezifisches Merkmal.
In reicheren, industrialisierten Gebieten herrscht eine „Zeit ist Geld“-Mentalität. Sowohl in Deutschland wie
auch in der Ukraine gibt es reiche, industrialisierte und weniger industrialisierte, eher arme Regionen. Aufgrund
der florierenden Wirtschaft verfügen die Westdeutschen jedoch über mehr Wohlstand und einen höheren
Industrialisierungsgrad und haben auch heute noch ein höheres Einkommen als die Deutschen im Osten, wo
besonders in den abgelegenen Regionen hohe Arbeitslosigkeit herrscht, und als die Ukrainer. Die Westukraine
orientiert sich mehr an der westlichen Lebensführung, als die entlegenen Gebiete der Ostukraine, die noch stark
unter dem Einfluss Russlands stehen.
Eine weitere wichtige Einflussgröße ist die Größe der Stadt, wo jemand lebt und aufgewachsen ist. Der
Großstadtmensch lebt unter anderen Umwelteinflüssen als der Mensch, der in Kleinstädten und in Dörfern lebt.
Aus zahlreichen soziologischen Studien (vgl. z.B. Sassen 1995) geht hervor, dass es eine eigene
„Großstadtkultur“ gibt. Großstädte sind die Metropolen des neuen Kommunikationszeitalters. Hier „schlagen
die Uhren anders“, als in ländlichen Gegenden. Laut Voruntersuchungen weist der Großstadtmensch ein
anderes Tempo und Zeitgefühl auf, als der Mensch auf dem Land.
Das vorherrschende Tempo eines Kulturraums wird auch vom Klima geprägt ist (vgl. Kap. 5). Somit sind
Überlegungen gerechtfertigt, ob die langen Winter und die langen heißen Sommer der Ukraine eine
Auswirkung auf den Tages- und Jahresrhythmus der Menschen hat. Vor allem die Menschen, die auf dem Land
leben, hängen von den klimatischen Voraussetzungen stärker ab. Fraglich bleibt, ob auch der moderne
Großstadtmensch so stark vom Klima bestimmt wird. Regionale Unterschiede spielen hier ebenfalls eine Rolle.
Im Folgenden soll die Annahme, dass es länder- und kulturspezifische Wertvorstellungen gibt, die einen
unterschiedlichen Umgang mit der Zeit bewirken, theoretisch untermauert werden. Es soll versucht werden,
Ansätze aus dem Bereich der Psychologie und Soziologie zu finden, die das soziokulturelle Umfeld des
Menschen in Bezug setzen zum Verhalten des Menschen.
6 Psychologische und soziologische Ansätze zur Erklärung kulturspezifischer Verhaltensmuster
Im Kapitel 3 wurde dargestellt, dass zur Erklärung kultureller Einflüsse die Wertsysteme, Normen und
Einstellungen, die in einem Land bzw. in einer bestimmten Kultur vorherrschend sind, in die Überlegungen
einbezogen werden müssen. Normen und Regeln werden von der Gesellschaft aufgestellt (vgl. Kap. 3.6). Der
Mensch passt in der Regel seine eigenen Werte an die gesellschaftlichen Wertvorstellungen an. Eine
Leistungsgesellschaft baut Leistungs- und Zeitdruck auf. Erhöhte Wettbewerbsorientierung und ein erhöhtes
Arbeitstempo sind die Folgen.
Wie bei Vorstudien zum zeitlichen Verhalten (vgl. Kap. 5) ersichtlich wurde, hängen die kulturspezifischen
Besonderheiten stark von den Rahmenbedingungen der Umwelt ab. Der Grad der Industrialisierung eines
Landes und der Wohlstand bestimmen das soziale Umfeld, in dem ein Mensch lebt. Dazu kommen weitere
räumliche Bedingungen wie das Leben in der Großstadt oder auf dem Land. Nicht zuletzt haben auch
klimatische Verhältnisse und die Fruchtbarkeit des Bodens eine Auswirkung auf die Lebensweise der
Menschen. Beim Vergleich der historischen Entwicklung in Westdeutschland und Ostdeutschland wurde
deutlich, dass sich das kapitalistische gesellschaftliche System im Westen jahrelang vom sozialistischen System
im Osten unterschied. Auch in der Ukraine konnten Differenzen zwischen dem Westen und dem Osten des
Landes gezeigt werden.
Ansätze aus dem Bereich der Psychologie und Soziologie stützen die These, dass das Verhalten des Menschen
vom gesellschaftlichen Umfeld, in dem der Mensch lebt, abhängt. Einige wichtige Ansätze sollen im Folgenden
vorgestellt werden. Sie zeigen, dass es nicht nur eine Erklärung für den Zusammenhang zwischen kulturellem
Umfeld und zeitlichem Verhalten gibt. Die Ansätze reichen von gesellschaftlichen Erklärungsversuchen auf der
Makroebene bis hin zu personen- und situationsspezifischen Erklärungen auf der Mikroebene.
Sozialisation
Ökologischer Ansatz Dispositiver
Ansatz
Handlungstheoretischer Ansatz
Einfluss Signifikant
Anderer
Situativer/ gruppendynami
scher Ansatz
Kulturspezifische
Verhaltensmuster
Psychologischer Lebensraum
Abb. 6: Theoretische Ansätze zu Erklärung kulturspezifischer Verhaltensmuster
6.1 Sozialisation
„Sozialisation“ (zu deutsch: Vergesellschaftung) ist eine Bezeichnung für den Prozess, durch den eine Person in
eine soziale Gruppe eingegliedert wird. Man kann die Sozialisation eher als „Persönlichkeitsgenese“ in
Abhängigkeit von der Umwelt verstehen (vgl. Geulen, 1974, S. 418).
Die Einzelperson übernimmt im Zuge des Sozialisationsprozesses die sozialen Normen der Gruppe und
akzeptiert die Rollenerwartungen, die Werte, Überzeugungen und Einstellungen dieser Gruppe. Das Individuum
internalisiert die Verhaltensstandards, Werte und Überzeugungen als seine eigenen und empfindet diese als
Selbstverständlichkeiten. Der Prozess findet vor allem in der Kindheit und Jugend statt. Aber auch im
Erwachsenenalter wird der Mensch, etwa im Berufsleben, sozialisiert. Jede Kultur hat ihre gesellschaftliche
Sozialisation. Diese führt dazu, dass das Individuum sich den Bedingungen seiner Umwelt anpasst. Im
einfachen Sinne kann dies heißen, dass ein Mensch, der in einer schnelllebigen Industriegesellschaft aufwächst
und lebt, ein anderes Verhalten zeigt, als ein Mensch, der in einem anderen Kulturkreis, z.B. als Eingeborener
in Papua-Neuginea, lebt. Dies gilt auch für das zeitliche Verhalten des Individuums.
Die Soziologie geht vom Konzept der Rollentheorie aus. Der Mensch integriert sich in das bestehende soziale
Rollensystem. Der „sozialisierte Mensch“ ist nach diesem Konzept lediglich Träger von Rollen, „homo
sociologicus“. Das Rollen-Lernen, die Rollen-Übernahme und die Rollen-Internalisierung läuft in einem von
Rollenkonflikten gekennzeichneten sozialen System ab. Da die Menschen unterschiedlich motivierte, kognitive
Persönlichkeitsstrukturen aufweisen, wird der rollentheoretische Ansatz der Sozialisationsforschung durch das
Konzept der Lerntheorien ergänzt (vgl. Hartfiel & Hillmann, 1982, S, 700f).
Es wird deutlich, dass auch die Soziologie davon ausgeht, dass Verhaltensmuster erlernt werden und durch die
Übernahme tradierter Rollen bestimmt sind. Die „Enkulturation“ (vgl. Klima, 1973, S. 164) ist ein Teilaspekt
des Sozialisationsprozesses. Sie beschreibt einen Prozess, durch den der Mensch von Geburt an die kulturellen
Überlieferungen seiner „Gruppe“ erlernt. So wird er ein „Mitglied“ seiner Kultur. Dabei wird die Kultur nur
teilweise bewusst vermittelt, z.B. in der Schule. Viele Aspekte der Kultur werden unbewusst aufgrund von
Erfahrungen und der alltäglichen Kommunikation und Interaktion mit relevanten Bezugspersonen vermittelt
Sozialkognitiver Ansatz
Soziales Lernen
Wenn diese kulturellen Elemente vom Menschen „verinnerlicht“ werden, ist dies ein wichtiger Aspekt beim
Aufbau seiner soziokulturellen Persönlichkeit.
Es gibt eine historische Sozialisation, das heißt, die historische Epoche bedingt die Lebensverhältnisse und
Verhaltensweisen der Menschen. Weiterhin gibt es eine schichtspezifische Sozialisation. Es sind Unterschiede
zwischen den Verhaltensweisen der Unter-, Mittel- und Oberschicht erkennbar. Und es gibt eine politische
Sozialisation, wenn das herrschende politische System die Kultur eines Landes beeinflusst und gewünschte
Verhaltensweisen vorgibt. Man kann davon ausgehen, dass auch der Umgang mit der Zeit sozialen
Lernprozessen unterliegt.
6.2 Der ökologische Ansatz
Der ökologische Ansatz geht davon aus, dass die natürliche Umwelt in eine soziale, materielle und kulturelle
Umwelt eingeteilt wird, die das Denken, Fühlen und Handeln der Personen beeinflussen. Kulturelle Werte
werden beeinflusst von „internen Faktoren“ der Umwelt, wie z.B. geschichtliche, geographische,
demographische, genetische Gesichtspunkte und Aspekte des Wohlstands, der Industrialisierung und
Technologisierung des Landes, aber auch von externen Faktoren, wie Klima, Umweltkatastrophen, der
internationale Welthandel, weltweiter wissenschaftlicher Fortschritt und Erfindungen.
„Beide Arten von Umwelten, die natürliche wie die künstliche, erfordern somit entweder eine Anpassung von Handlungsweisen (Akkomodation) oder eine Selektion von Umweltinhalten (Assimilation). Beides impliziert eine Gestaltung von Handlungen und von Umwelten, beides ist schon ein Anfang der Kultur. Kultur schafft Umweltinhalte, die spezifischen Bedürfnissen des Menschen entsprechen. ... Im Rahmen einer Kulturpsychologie interessiert uns nun nicht die objektive, sondern die subjektive Umwelt, also das Biotop im Sinne eines Handlungsfeldes“ (Boesch, 1980, S. 33f).
Bei den Betrachtungen, wie die Umwelt unser Verhalten beeinflusst, muss man davon ausgehen, dass jedes
Individuum seine Umwelt anders sieht und einschätzt. Die „natürliche Umwelt“ ist auch gleichzeitig eine
„subjektive Umwelt“, die der Wahrnehmung des einzelnen Individuums entspricht.
Abb. 7: Bestandteile der natürlichen Umwelt (Miller, 1998, S. 146, Abb. 6)
„natürliche Umwelt“ Soziale Umwelt
geographische-physikalische Umwelt kulturelle Umwelt, Normen/Werte
Individuum
Denken Fühlen
Handeln
Beim ökologischen Modell wird ersichtlich, dass das Individuum von seiner sozialen, von der geographisch-
physikalischen, aber auch von der kulturellen Umwelt geprägt wird. Dabei reagiert der Mensch nicht nur auf
Umwelteinflüsse, sondern nimmt auch selbst Einfluss auf seine Umwelt. Dies bestätigt die Ansicht, dass auch
das zeitliche Verhalten des Menschen von seiner sozialen Umwelt beeinflusst wird. Die Eltern leben dem Kind
vor, wie schnell Arbeiten erledigt werden müssen und wie aktiv sie die Freizeit verbringen. In der Schule, im
Studium und später am Arbeitsplatz wird der Mensch von Personen in der nächsten Umgebung weiter
beeinflusst.
„Da Kultur im Gegensatz zur Natur in Interaktion zwischen Mensch und Umwelt entstanden ist, ist man gezwungen, bei der Gleichsetzung von Kultur und Biotop die interaktionistische Denkweise, die man in der Beziehung Mensch/Kultur hat, auch auf scheinbar unabhängige Umweltgegebenheiten zu beziehen. Hieraus ergibt sich die Folgerung, daß der Mensch nicht einfach auf Umweltreize reagiert, sondern sie kulturell interpretiert“ (Miller, 1998, S.57f).
Das kulturelle Umfeld hat einen starken Einfluss auf das einzelne Mitglied einer Gesellschaft. Die
Werthaltungen der modernen Industriegesellschaft sind Gewinnmaximierung und der Aufbau von Wohlstand.
Dazu werden leistungsbereite und wettbewerbsorientierte Mitglieder der Gesellschaft benötigt. Aber auch das
geographische Umfeld spielt eine Rolle. In Ländern mit trockenem, heißen oder tropischen Klima, oder
Ländern, in denen wochenlang der Monsunregen oder ein extrem harter Winter den Ausfall von
Straßenverbindungen und elektrischen Leitungen bedingt, verhindert bereits das Klima einen durchgängigen
Arbeitstag ohne Unterbrechungen.
„ ... Umweltphänomene, die dem Einfluss des Menschen weitgehend entzogen sind, wie etwa die klimatischen Gegebenheiten; auch sie sind im Rahmen einer Kulturpsychologie weder im klimatologischen, noch im Sinne ihrer physiologischen Auswirkungen bedeutungsvoll. Auch für sie interessiert vielmehr die Art, wie sie wahrgenommen werden, kognitiv verarbeitet und im Verhaltenssystem integriert werden. Kulturpsychologie ist eine Psychologie der ökologischen Interaktionen auf dem Handlungsniveau, nicht primär auf demjenigen der physiologischen Adaptionen. ... Je heterogener die Sozietät, um so komplexer wird das Geflecht der Handlungssymbolik ihrer Umwelt“ (Boesch, 1980, S. 34f).
Beim ökologischen Ansatz wird oft zu wenig berücksichtigt, dass der moderne Mensch in Wirklichkeit gar
keinen direkten Kontakt mehr zu seiner natürlichen Umwelt hat. Zwischen ihm und der biophysikalischen
Umwelt liegen Regeln und Ordnungsprinzipien. Dies müsste hinführen zu einem kulturspezifischen Ansatz,
z.B. von Eckensberger (1976, S. 76), der die Kultur als „selbstgeschaffene Umwelt zusammen mit den
Regelungen und Ordnungsvorstellungen über das soziale Leben in der Gruppe“ definiert.
Bronfenbrenner (1978) erklärt die Umwelt in einem Mehrebenenmodell mit hierarchisch angeordneten Ebenen.
Als oberste Ebene, die Einfluss auf das Individuum hat, kann das Makrosystem genannt werden, das die soziale
Struktur und das kulturelle System der Umwelt beinhaltet, wie z.B. Traditionen, Religion, Ideologien,
politisches und wirtschaftliches System, Grad der technologischen Entwicklung und der Grad der
Bürokratisierung. Danach kommen weitere Institutionen, wie z.B. die Gemeinde, das Schulsystem, das
Fürsorgesystem und die Verwandtschaft (Exosystem), das Einfluss auf den einzelnen Menschen nimmt. Eine
weitere Ebene ist das Mesosystem. Es beinhaltet soziale Netzwerke, wie die Familie, Studienkollegen, Freunde
und andere sogenannte „peer-groups“, mit denen der Mensch kommuniziert. Auf dieser Ebene sind auch die
Mikrosysteme zu finden. Ein Mikrosystem ist zum Beispiel die Vater-Sohn-Beziehung, aber auch die Vater-
Mutter-Beziehung. Zum Beispiel beeinflusst die Stellung des Vaters in der Familie ebenfalls die Beziehung, die
er zu den Kindern hat. Nicht zuletzt hat die Arbeitsumgebung, in der der Vater arbeitet, auch wieder Einfluss
auf sein Verhalten in der Familie. Auf unterster Ebene steht das Individuum selbst, mit den Aspekten seiner
Persönlichkeit und seines Verhaltens. Einflüsse der unmittelbaren Umwelt bezeichnet Bronfenbrenner (1981)
als direkte Effekte, Einflüsse globaler Lebensbereiche als indirekte Einflüsse.
Bronfenbrenner (1981, S. 35) kommt zu dem Schluss, dass sich der Mensch der Umwelt anpasst und sich
lebenslang weiterentwickelt. Dieser Prozess wird durch menschliche Beziehungen (Settings) und einen
größeren sozialen Kontext beeinflusst. Der Mensch selbst nimmt spezifische Rollen ein, etwa als Student oder
Professor. Der Begriff Setting wird von Bronfenbrenner ähnlich wie bei Barker verwendet. Ein Setting kann der
Hörsaal der Universität oder auch später der Arbeitsplatz sein. Je nach Setting werden verschiedene
Anforderungen an die Person gestellt, die wiederum das Verhalten der Person beeinflussen.
6.3 Der situative und gruppendynamische Ansatz
Goffmann geht davon aus, dass der Mensch in der Gesellschaft als „multi-role-performer“ auftritt (vgl.
Goffman, 1961, S. 142), das heißt, er tritt je nach Situation in verschiedenen Rollen auf. Je nach sozialer
Situation, in der sich der Mensch befindet, kann er sich selbst völlig anders darstellen. So kann zum Beispiel ein
ehrgeiziger und auf seinen eigenen Vorteil bedachter Student gleichzeitig ein herzlicher, fürsorglicher
Familienvater sein. Einer, der gehetzt durchs Arbeitsleben geht, kann daheim ein entspannter, geselliger
Mensch sein. In beiden Fällen genügt dieser Mensch den sozialen Ansprüchen, die an ihn gerichtet sind.
Während man im Studium oder auf der Arbeit erwartet, dass dieser Mensch fleißig und konkurrenzbewusst
arbeitet, erwarten die Familie und die privaten Freunde einen entspannten Familienvater oder Gastgeber.
Unterschiedliche Situationen vermitteln dem Menschen das Gefühl, die Zeit würde schneller oder langsamer
vergehen. Barbara Adams greift diesen Tatbestand des unterschiedlichen Zeitgefühls in ihrem Buch
„Timewatch“, einer sozialen Analyse der Zeit, auf:
„Within the boundaries set by the multitude of physical, biological and cultural time-frames, the timing and temporality of processes advance at various speeds. We speak of time passing slowly or going by too quickly. Time flies when we are having fun: it drags, when we are waiting. There never seems enough time when we are busy and too much of it during periods of enforced idleness” (Adams, 1995, S. 23).
Das Verhalten des Menschen ist stark von den momentanen Anforderungen abhängig. Nicht jeder Tag ist
gleich, nicht jeder Situation begegnen wir mit gleichem Verhalten. Während ein Student die Zeit vor der
Prüfung vielleicht Tag und Nacht durcharbeitet, erholt er sich in den Semesterferien, indem er ausspannt und
seinen Hobbys nachgeht. Der gleiche Student, der vor der Prüfung besonders ehrgeizig, fleißig und angespannt
ist, kann in den Semesterferien sehr entspannt sein.
Barker und Wright (1955) beschäftigten sich mit der Frage, wie die Umwelt die Menschen selektiert und formt.
Die Untersuchungen von Barker und Wright (1955), Wright (1967) richteten sich auf das Verhalten von
Kindern in einer bestimmten Umgebung. Ein Verhalten, das regelmäßig auftrat, nannte Barker
„Verhaltensmuster“, und die Umgebung, bei der dieses Verhalten beobachtet werden konnte, nannte er Milieu.
Die Gesamtkonstellation aus Verhaltensmuster und Milieu wurde als „Verhaltens-Milieu-Syno-morph“
bezeichnet. Mehrere Synomorphe bildeten zusammen so genannte „Behavior Settings“. Es sind laut Barker
(1978, S. 287) konkrete Umgebungseinheiten, innerhalb derer das Individuum ein be-stimmtes Verhalten zeigt.
Beispiel: ein festes Verhaltensmuster bei einer Prüfungssituation oder einem Seminar, bei dem der Dozent und
die Studenten ein bestimmtes Verhalten zeigen.
Ein Kritikpunkt am situativen Ansatz von Barker (1978) ist es, dass er Traditionen, Werthaltigkeiten und
historische und kulturelle Hintergründe vernachlässigt. Er berücksichtigt weder die Werthaltungen und
Einstellungen, die hinter den Handlungen der Menschen stehen, noch kulturhistorische Gesichtspunkte bei
seinen Erklärungen von Verhaltensmustern.
Zum situativen Ansatz möchte ich noch den gruppendynamischen Ansatz heranziehen, da der Einfluss von
Gruppen beim Verhalten in bestimmten Situationen nicht zu unterschätzen ist. Diab (1970), der ein Jugendcamp
im Libanon errichtete, spiegelte Sherif´s (vgl. Sherif & Sherif, 1969) Erfahrungen wider. Ähnlich wie beim
Experiment von Sherif wurden im Camp Gruppen gebildet. Diab verteilte zehn christliche und acht
muslimische elfjährige Jungen auf zwei Gruppen, die mit der Zeit völlig gegensätzliche „Kulturen“
entwickelten. Die eine Gruppe, die sich selbst „The Friends“ nannte, zeigte ein warmherziges und kooperatives
Gruppenklima. Die andere Gruppe nannte sich selbst „Red Genie“ und war hochaggressiv und
wettbewerbsorientiert eingestellt. Sie stahlen auch Sachen gegenseitig oder von der anderen Gruppe. In den
Wettbewerben waren die „Red Genie“ immer vorne, aber letztendlich siegten „The Friends“ beim Endspiel und
bekamen den Preis. Nachdem die Gruppe „Red Genie“ verloren hatte, musste das Camp abgebrochen werden,
da die Verlierer begannen, Messer zu stehlen und die anderen damit zu bedrohen. Der Versuch von Diab zeigte
drastisch, dass Gruppenzusammensetzungen gruppendynamische Prozesse auslösen können, die ein bestimmtes
Verhalten bei den Mitgliedern bestimmter Gruppen erzeugen. Die Einstellungen und Werthaltungen des
einzelnen Gruppenmitglieds werden von den Werten der Gruppe beeinflusst.
Von einer Gruppe spricht man, wenn zwischen zwei oder mehr Personen eine Interaktion stattfindet, bei der
sich die Mitglieder dieser Gruppe gegenseitig beeinflussen. Bei einer Gruppe kann es sich um eine kleinere
Gruppe von Menschen handeln, aber auch um eine große Völkergruppe oder Nation. Gerade die Entwicklungen
in den letzten Jahrhunderten, zeigten, dass es früher soziale Gruppen von Familien und kleinere lokale Gruppen
gab, die sich zusammengehörig sahen, während es heute ganze Nationen sind, zu denen Menschen
unterschiedlicher Regionen zusammengeschlossen werden. Ein Merkmal der Gruppe ist das Bewusstsein der
Gruppenmitglieder der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen sozialen Einheit. Man unterscheidet zwischen
„Mitgliedern“ und „Nicht-Mitgliedern“.
Auch bei Nationen spielt das Gruppenverhalten eine Rolle. Gruppendynamische Prozesse entstehen, die
Auswirkungen haben auf das Verhalten der Angehörigen unterschiedlicher Kulturen und Subkulturen.
„Wie wir gesehen haben, galt es in der Theorie als ausgemacht, dass die gesellschaftliche Entwicklung den Umfang sozialer menschlicher Gruppen immer weiter ausdehnte, von der Familie und dem Stamm zu Grafschaften und Kantonen, vom lokalen zum regionalen Verband, zur Nation und schließlich zur weltweiten Universalgesellschaft. Deshalb befanden sich Nationen nur insofern gleichsam in Einklang mit der historischen Evolution, als sie ceteris paribus die Größe der bestehenden Gesellschaften erweiterten“ (Hobsbawm, 1991, S. 45).
So kann man sich als Einzelner als Deutscher fühlen, man kann sich aber auch als „Westdeutscher“, als „Bayer“
oder als „Münchner“ fühlen. Je nachdem welche Identitätsstufe man ansetzt, kann die Gruppenzugehörigkeit
andere Richtlinien setzen (vgl. dazu Kap. 3.4).
6.4 Der Einfluss Signifikant Anderer
Mead (1975) geht davon aus, dass ein Individuum im Laufe seines Lebens Erfahrungen sammelt, die soziale
Symbolkraft haben. Damit erwirbt das Individuum eine eigene Identität, auch „self“ genannt. Die Identität wird
beeinflusst durch die Interpretationen, die das Individuum anderen in Bezug auf sich selbst zuschreibt. Dem
Menschen wird die kulturelle und gesellschaftliche Ordnung hauptsächlich durch die für ihn wichtigen
Signifikant Anderen vermittelt. Somit hat seine eigene Identität eine spezielle kulturrelevante Eigenart. Das
Kind übernimmt die Rollen und Einstellungen der Signifikant Anderen und wird so zum Mitglied der
Gesellschaft.
Laut Miller (1974, S. 48) liefert der symbolische Interaktionismus ein Erklärungsmodell dafür, warum
Personen in bestimmten Situationen spezifisch handeln. Dabei wird die Eigenperspektive des Individuums bei
der Erklärung gesellschaftlicher Phänomene einbezogen. Betrachtet wird, wie ein Individuum seine Umwelt
erlebt unter Berücksichtigung der Interaktionen der Individuen untereinander. Zur Erforschung des
Fremdverstehens ist es wichtig, den Prozess zu analysieren mittels dessen die Individuen ihre
Interaktionspartner verstehen. Die Sozialisation wird als Interaktion zwischen einzelnen Individuen beschrieben
und so erhält man einen Erklärungsansatz für „die Genese sozialer Strukturen im Individuum“.
Der Symbolische Interaktionismus vertritt die Theorie, dass jeder Mensch von „Signifikanten Anderen“
beeinflusst wird. Mead (1975) sieht den Menschen als Mitglied einer Gruppe, der mit den anderen Menschen
kommuniziert. Dadurch entsteht eine Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft. Der Mensch
geht dabei nicht nur auf die Aktivitäten der anderen ein, sondern auf die Absichten, die dahinter stehen. Damit
grenzt Mead seine Theorie von dem radikalen Behaviorismus ab. Die Organisation der Gesellschaft beruht auf
signifikante Gesten und Kommunikation. Grundlage der Kommunikation ist ein gemeinsames Interesse oder
eine kooperative Tätigkeit der Mitglieder der Gesellschaft. Voraussetzung für eine Kommunikation zwischen
den Menschen ist es, dass der Mensch in der Lage ist, die Absichten, die hinter den Handlungen der anderen
stehen, zu ergründen und bei seinen Reaktionen zu berücksichtigen.
Eine Steuerung des eigenen Verhaltens ist dazu zwingend nötig (vgl. dazu auch Miller, 1974, S. 33f). Bei
Blumer (1973) steht nicht die Kultur oder die soziale Gesellschaftsstruktur im Mittelpunkt der Betrachtungen,
sondern die Handlungen der einzelnen Individuen. Er geht davon aus, dass „die soziale Interaktion ein Prozess
ist, der menschliches Verhalten formt, der also nicht nur ein Mittel oder einen Rahmen für die Äußerung oder
die Freisetzung menschlichen Verhaltens darstellt“ (Blumer, 1973, S. 87, zitiert nach Miller, 1974, S. 35).
Kuhn (1964) ändert die Bezeichnung des Signifikant Anderen zu einem Orientierungs-Anderen um. Dem
Orientierungs-Anderen ist die Person emotional und psychologisch verpflichtet. Dieser Andere hat die Person
mit dem generellen Vokabular versorgt, er hat sie mit den bedeutungsvollen Rollen versehen und trägt in seiner
Kommunikation mit der Person dazu bei, dass diese ihre Selbstkonzeption abstützt oder verändert.
„Der Orientierungs-Andere ist demnach von den übrigen oben aufgeführten Begriffen insofern unterschiedlich, als er ausdrückt, dass die Beziehung zwischen dem Individuum und dem Orientierungs-Anderen historisch gewachsen ist und von daher die situative Komponente weniger stark als beim signifikanten Anderen von Bedeutung“ (Miller, 1978, S. 37).
Der Mensch muss lernen, die Umwelt zu bewerten und auf Sachverhalte angemessen zu reagieren. Um die Welt
verstehen zu können, braucht der Mensch Begriffe (concepts), damit er die komplexen Informationen
zusammenfassen kann. Dabei entwickelt der Mensch eigene Einstellungen, um die Umwelt zu verstehen, sein
Selbstwertgefühl zu schützen, sich der komplexen Umwelt anzupassen und seinen Grundwerten Ausdruck zu
verleihen (vgl. Triandis, 1975, S. 152).
„Im Bewusstsein des Kindes erfolgt eine sukzessive Loslösung von den Rollen und Wertsystemen spezieller Anderer und gleichzeitig eine Hinwendung zu den Rollen und Werten des Generalisierten-Anderen. Das ist in diesem Fall die Gesellschaft mit ihren Normen“ (Miller, 1978, S. 183).
Der Mensch erhält den Großteil von Informationen, den er zur Einstellungsfindung heranzieht, von anderen
Leuten. Allport (1971) geht davon aus, dass der Mensch die meisten Einstellungen von den Fami-
lienmitgliedern und Freunden übernimmt. Außerdem ist jeder Mensch ein Mitglied einer Gruppe oder anderen
Gemeinschaft (z.B. Gesellschaftsschicht, Nation). Auch dieses Umfeld ist mitentscheidend bei der
Einstellungsfindung. Die Orientierungs-Anderen kommen aus dem engeren und weiteren Umfeld des
Menschen. Sie können Schulkollegen sein, Eltern und Geschwister, aber auch Vorstand eines Vereins, nationale
Führer und Politiker oder Kollegen und Vorgesetzte bei der Arbeit.
Der Ansatz des Symbolischen Interaktionismus kann auch als Erklärung dafür dienen, dass das Tempo und der
Umgang mit der Zeit einer Kultur von den jeweils „Anderen“ in dieser Gemeinschaft beeinflusst wird.
Verwandte, Vorgesetzte und Arbeitskollegen, in unserem Fall auch Mitstudenten und Professoren, beeinflussen
die Einstellungen und Verhaltensweisen unserer Testpersonen.
Miller (1978, S. 18) fordert, dass sich eine psychologisch orientierte Richtung des Symbolischen
Interaktionismus stärker auf die Verhältnisse zwischen Gruppe und Individuum konzentrieren sollte. Dies
erfordert eine Reduktion soziologischer Kategorien auf psychologische, um einen sozialpsychologischen Ansatz
zu finden, der auch das Gruppenverhalten einschließt.
6.5 Ansatz des sozialen Lernens
Bandura (1973, 1977, 1978) ist einer der führenden Vertreter des Ansatzes des „Sozialen Lernens“. Er verband
lerntheoretische Prinzipien mit der Interaktion im sozialen Umfeld. Seiner Meinung nach werden die Menschen
nicht durch angeborene Kräfte getrieben, noch sind sie Umwelteinflüssen hilflos ausgeliefert. Statt dessen
steuern kognitive Prozesse das Aneignen und Aufrechterhalten bestimmter Verhaltensmuster. Da der Mensch
über Ereignisse nachdenken kann, kann er mögliche Konsequenzen seiner Handlungen vorhersehen. Dabei lernt
der Mensch nicht nur aus seinen eigenen Erfahrungen, sondern auch eher „stellvertretend“, wenn er andere
beobachtet. Durch Eigenlob oder Selbstkritik kann der Mensch seine eigenen Verhaltensweisen bewerten und
zukünftig verstärken oder einstellen. Der Mensch ist also ein sich selbst steuerndes Individuum und kann seine
Handlungen kontrollieren.
Müller und Thomas (1976, S. 182) sehen drei wichtige Aspekte des sozialen Lernens: Als erstes lernt der
Mensch durch einen „Vorbild-Effekt“, das heißt er ahmt eine Bezugsperson nach und erwirbt dadurch neue
Denk- und Verhaltensweisen. Beobachtet der Mensch negative Konsequenzen bei bestimmten
Handlungsweisen, so wird er diese nicht ausführen („Hemmungseffekt“). Anders beim „Enthemmungseffekt“:
Hier sieht der Mensch, dass sozial erwünschte Verhaltensweisen keine negativen Konsequenzen für den
Handelnden nach sich ziehen. So werden diese Verhaltensweisen angenommen.
Die Lerntheorie Banduras stellte erstmals das Lernen durch Beobachtung in den Mittelpunkt. Die Theorie geht
davon aus, dass der Mensch bei anderen Menschen ein bestimmtes Verhalten beobachtet und daraufhin sein
eigenes Verhalten auf die Beobachtung hin ändert. Sowohl Kinder als auch Erwachsene erhalten durch
Beobachtung eine Vielzahl an Informationen über ihre soziale Umwelt. Sie erkennen, welches Verhalten
belohnt, bestraft oder ignoriert wird. Im Gegensatz zur klassischen behavoristischen Theorie besagt das, dass
der Mensch nicht selbst handeln muss, um zu lernen. Fertigkeiten, Einstellungen und Überzeugungen können
auch dadurch erworben werden, dass man beobachtet, was andere tun und welche Folgen dies hat. So können
Kinder zum Beispiel Persönlichkeitsmerkmale wie Altruismus (vgl. Staub, 1974) oder die Fähigkeit zum
Belohnungsaufschub durch das Beobachten von „Modellen“ erlernen (Modelllernen, vgl. Bandura & Mischel,
1965). Dabei können Modelle nicht nur in der Umgebung des Menschen beobachtet, sondern auch symbolisch
über Medien, wie das Fernsehen oder Bücher, vermittelt werden.
Die soziale Lerntheorie (vgl. Bandura, 1986) analysiert auch Interaktionen von individuellen
Persönlichkeitsfaktoren, Verhaltensweisen und Reizen der Umwelt. Der „Umweltdeterminismus“ des strengen
Behavorismus wird abgelehnt. Stattdessen beeinflussen Einstellungen und Überzeugungen des Menschen
dessen Verhalten, wobei eine Beeinflussung oder Veränderung stets reziprok erfolgen kann und nicht nur in
eine Richtung gehen muss. Die sozialkognitive Lerntheorie kennt dafür den Begriff des „reziproken
Determinismus“.
Die sozialkognitive Lerntheorie hebt sich somit vom behavoristischen Ansatz ab, der sich hauptsächlich auf
Umweltbedingungen und die Bewertung von „Verstärkern“ zur Erklärung des menschlichen Verhaltens
konzentriert. Das Verhalten wird folglich nicht primär von der äußeren Umwelt geformt. Die Theorie der
operanten Konditionierung, bei der der Mensch nur auf Umweltreize reagiert (vgl. Skinner, 1953), und die
innerpsychische Prozesse und Dispositionen des Menschen unberücksichtigt lässt, erscheint als nicht
ausreichend zur Erklärung menschlichen Verhaltens.
6.6 Der sozialkognitive Ansatz
Flavell (1977) definiert den Begriff der Sozialen Kognitionen mit den innerpsychischen Prozessen des
Menschen, wie Intentionen, Attitüden, Emotionen, Ideen, Fähigkeiten, Eigenschaften, Gedanken,
Wahrnehmungen und Gedächtnisinhalten. Auch die Beziehungen zwischen den Menschen, wie Freundschaften,
Liebesbeziehungen, Macht oder andere Einflüsse werden berücksichtigt. Der Mensch entwickelt ein eigenes
Bewusstsein, er bestimmt sein Handeln selbst unter dem Aspekt der Umweltpräsentation. Die sozialen
Kognitionen beziehen sich auf einzelne Personen oder Gruppen. In die Betrachtung wird nicht nur
aufgenommen, was Menschen tun, sondern auch, was sie aus ethischen oder konventionellen Gründen tun
sollten. Beim kognitiven Ansatz werden vor allem die Wahrnehmungen und Erkenntnisse, die auf
Denkprozessen beruhen und die hinter den Handlungen stehen, betrachtet. Jedes Individuum durchläuft im
Laufe seine Lebens Lernprozesse und macht Erfahrungen, die kognitiv gespeichert werden und Reaktionen und
Verhalten steuern.
„1. Individual members of a society can best be thought of as active receivers of sensory input, whose behavioral responses to such stimuli are shaped by inner mental (cognitive) processes.
2. Cognitive processes enable individuals to transform sensory input in various ways; code it, store it, interpret it selectively, distort it, and retrieve it for later use in decisions about behavior.
3. The cognitive processes that play key parts in shaping an individual´s behavior include perception, imagery, belief systems, attitudes, values, tendencies toward balance in such factors, plus remembering, thinking, and numerous other mental activities.
4. The cognitive components of a given individual´s mental organization are products of his or her prior learning experiences, which may have been either deliberate, accidental, social, or solitary”
(DeFleur & Ball-Rokeach, 1989, S.40).
In sozialkognitive Analysen gehen Aspekte, wie z.B. die Rollenverteilung und das moralische Urteilen ein,
ebenso wie sozial-lerntheoretische und kognitiv-strukturtheoretische Ansätze. Ein Teilgebiet dieser Forschung
ist es, einen Erklärungsansatz für individuelle und kulturelle soziale Regelsysteme zu finden.
Entwicklungsfördernde und entwicklungshemmende Umweltbedingungen und biophysikalische
Grundvoraussetzungen des Menschen werden untersucht. Die Entwicklung normativer Regelsysteme (z.B.
moralische Urteile, Normen und Werte) sollen erklärt werden. Dabei steht das Vorhandensein dieser
Regelsysteme außer Frage, wenn auch unterschiedliche Mechanismen zur Übernahme dieses Regelsystems vom
Menschen herangezogen werden (z.B. durch Identifikation, Konditionierung, Modelllernen, Äquilibration).
Allerdings muss man zur Erklärung der Individualentwicklung in einem sich stets wandelnden soziokulturellen
Umfeld einen Theorieansatz heranziehen, der sowohl die individuelle als auch die kulturelle Entwicklung
erklärt (vgl. Eckensberger & Silbereisen, 1980, S. 22).
Kohlberg, Kauffmann, Scharf und Hickey (1974) verwendeten den Begriff „Soziale Perspektive“ für
verschiedene Stufen des moralischen Urteils. Dabei unterschieden sie die drei Niveaus „präkonventionell“,
„konventionell“ und „postkonventionell“. Auf dem präkonventionellen Niveau gibt es zwei Stufen der sozialen
Perspektive: den egozentrischen Standpunkt, der die Interessen der anderen nicht berücksichtigt, und die
Perspektive des konkreten Individualismus, bei der der Mensch zwar bemerkt, dass jeder eigene Interessen
verfolgt, aber er versucht, mit den anderen in Beziehung zu treten und mit Fairness und gutem Willen die
Interessen aller Individuen gleich zu behandeln. Beim konventionellen Niveau spielen schließlich gegenseitige,
interpersonale Erwartungen, Beziehungen und Konformität eine Rolle. Der Mensch bemerkt, dass er mit
anderen Gefühle teilt und gemeinsame Erwartungen hegt, die Vorrang über die individuellen Interessen haben.
Der Mensch versetzt sich selbst auf den Standpunkt des Anderen. Bei der nächsten Stufe, bei dem das soziale
System und das Gewissen hinzukommen, wird vom Individuum ein gesellschaftlicher Standpunkt
eingenommen und von dem Standpunkt zwischenmenschlicher Übereinstimmungen und Motive unterschieden.
Es erfolgt die Übernahme eines Systemstandpunktes, in dem Rollen verteilt und Regeln gesetzt werden.
Individuelle Beziehungen erhalten ihren Platz im System.
Schließlich gibt es noch die Unterscheidung zum postkonventionelle Niveau, eine „Soziale Perspektive“. Der
Mensch hinterfragt das gesellschaftliche System. Außerdem nimmt er einen „moralischen Standpunkt“ ein. Das
Individuum begreift, dass die Moral und der Respekt vor anderen Lebewesen Zweck und nicht Mittel sind.
Soziale Arrangements können davon abgeleitet werden. Vom egoistischen Handeln, das nur auf das individuelle
Wohlergehen ausgerichtet ist, bis hin zum Handeln, das auf das Allgemeinwohl zielt, sind alle Beweggründe
aus soziokognitiver Sicht für das Verhalten denkbar. Die Einstellungen und Wertvorstellungen des Menschen
hängen sehr stark davon ab, ob er sich eher von egoistischen (individuellen) oder eher von gesellschaftlich
erwünschten (kollektiven) Vorstellungen leiten lässt. Dies beeinflusst sein Handeln und sein Verhalten im
sozialen Umfeld.
6.7 Der handlungstheoretische Ansatz
Der soziokognitive steht in Verbindung mit dem handlungstheoretischen Ansatz, indem unter Handlungen
zukunftsorientierte, absichtsvolle und zielgerichtete Taten verstanden werden. Diese Handlungen finden in einer
bestimmten Situation statt, sie haben einen Verlauf und einen Komplexitätsgrad. Es gibt für die Person mehrere
Alternativen mit unterschiedlichen Handlungsergebnissen und Handlungsfolgen. Handlungen können somit
bewertet werden, und ein Subjekt ist für seine Taten verantwortlich. Ein „Ich“ oder „Ich-Gefühle“ kommen
über die Bewertung von Zielerreichungen und ihre Attribution auf die eigene Person zustande. Beim
sozialkognitiven Ansatz wird die Kultur als Objektivierung und Vergegenständlichung von Handlungen
interpretiert.
Das zeitliche Verhalten der Personen soll unter dem Aspekt analysiert werden, wie Verhalten zustande kommt.
Dabei ist eine der Kernfragen, was das Handeln einer bestimmten Person beeinflusst.
„Eine Tätigkeit bzw. eine Handlung wird verstanden als eine Verschränkung aus dem physischen System, dem somatischen System, dem soziokulturellen System und dem biophysikalischen System. Die Systeme unterscheiden wir in bezug auf ihre Funktionen: Im psychischen System wird die Tätigkeit bzw. die Handlung (durch ein Bedürfnis oder Ziel) in Gang gesetzt, geregelt und bewertet; im sozialen System werden Verhaltenserwartungen etc. wirksam (und durch die Tätigkeit bzw. Handlung ausgebildet), im biophysikalischen System (einschließlich des sensomotorischen Systems der Person) wird die Tätigkeit bzw. Handlung ausgeführt“ (Stengel, 1999, S. 212f).
Wichtig ist, dass auch das soziokulturelle System, in dem eine Person lebt, ihre Handlungen determiniert und
dass Verhaltenserwartungen an die Person eine Rolle dabei spielen. Daraus lässt sich schließen, dass ein
soziales Umfeld, das von den Leistungsanforderungen einer modernen Industriegesellschaft geprägt ist, auch
wieder auf die Handlungsweisen der in diesem Umfeld lebenden Individuen Einfluss hat. In der
Handlungstheorie muss allerdings unterschieden werden zwischen der objektiven Umwelt, die den Menschen
umgibt und der subjektiven Wahrnehmung des Menschen dieser Umwelt.
Das Handeln wird nicht zuletzt beeinflusst von dem Wertesystem, das in einer Gesellschaft vorherrscht. „Ein
Wert ist eine Auffassung vom Wünschenswerten, die explizit oder implizit für einen Einzelnen oder eine
Gruppe kennzeichnend ist und welche die Auswahl der zugänglichen Weisen und Ziele des Handelns
beeinflusst“ (Kluckhohn, 1951, S. 395). Dazu ist anzumerken, dass die Werte sich in einem stetigen
Wertewandel befinden. So hatte ein Westeuropäer des 18. und 19. Jahrhunderts andere gesellschaftliche
Wertorientierungen als heute. Die Werte, die eine kollektivistische Gesellschaft aufstellt (vgl. Kommunismus),
sehen anders aus als die einer Gesellschaft, die einen individualistischen Lebensstil pflegt. Der Mensch hat
verschiedene Möglichkeiten, sein Handeln auszurichten. Er kann zum Beispiel sehr ehrgeizig sein und eine
starke Leistungsorientierung zeigen oder er bevorzugt ein ruhiges Leben und nimmt die Dinge gelassen. Auch
die Umwelt bietet dem Menschen dabei Anreize und Chancen, die er ergreifen kann oder abschlägt.
„Demnach sieht sich der Mensch einer bestimmten sozialen Situation ausgesetzt, durch die er Handlungsmöglichkeiten, aber auch Restriktionen erfährt. Bei den Restriktionen unterscheidet man natürliche und soziale; erstere meinen die knappen Ressourcen der Umwelt wie des Menschen selbst, letztere die kulturell und symbolisch gesteuerte Definition der Situation. Innerhalb der sozialen Situation und ihrer Restriktionen verfügt der Mensch dennoch über verschiedene Handlungsalternativen. Seine optimale Handlungsselektion erfolgt aufgrund seiner Erwartungen (subjektive Hypothesen über Zusammenhänge in der Umwelt bzw. über wahrscheinliche Problemlösungen) und seiner (emotionalen) Bewertung, wobei der Mensch kreativ und lernfähig ist, sowie aufgrund der Maximierungsregel“ (Druwe, 2000, S. 86).
Betrachtet man die verschiedenen Konzepte der Handlungstheorien, so muss man auch auf das Handeln als
Regulation und Coping eingehen. Kaminski (1983) und Fuhrer (1983) betonen, dass Umgebungsbedingungen
und Aktivitäten miteinander verflochten sind. Es bedarf einer stetigen regulativen Anpassung des Handelns an
die Umgebung (vgl. dazu auch die Coping-Theorie von Lazarus (1966), Lazarus und Cohen (1977) und
Campell (1983). Das Handeln im kulturellen Umfeld wurde u.a. von Boesch (1978, 1980) und Eckensberger
(1978) untersucht.
Thomas Luckmann (2007), ein Vertreter der phänomenologisch orientierten konstruktivistischen Soziologie,
mahnt in seinem Buch über „Lebenswelt, Identität und Gesellschaft“:
„Die Unfähigkeit, die `primären´ Qualitäten des Menschen als einen sozialen, politischen, historischen Wesens dadurch zu bestimmen, dass man ihn in ein Trieb- oder Instinktbündel verwandelte, in einen homo oeconomicus, sociologicus, in einen Spielstrategen, in ein Persönlichkeitssubsystem eines ´Handlungssystems´ usw., ermutigte immer neue Wellen eines kosmologischen Reduktismus. Wenn sich die `Seele´ nicht nach diesen genauen Regeln richten will, weg mit ihr! Die Mensch-Maschine wird sich sehr wohl nach ihnen richten, und daher wird sie eingeladen, den Platz einzunehmen, den vorher die `Seele´ innegehabt hat“ (Luckmann, 2007, S. 39).
Luckmann warnt davor, den Menschen auf ein Individuum zu reduzieren, das auf bestimmte
Reizkonstellationen der Umwelt mechanisch funktioniert. Handlungstheoretische Ansätze müssen
berücksichtigen, dass es mehr gibt als Reize, die Reaktionen auslösen. Er nennt es „Seele“, wobei auch ich
diesen Begriff aufgreifen möchte. Der Mensch wird in der heutigen Zeit auf seine Funktionalität in der
Gesellschaft reduziert. Dabei wird übersehen, dass die menschliche Existenz, der Intellekt und der „Geist“, der
jedem Wesen innewohnt, nicht nur biologische und chemische Erklärungen hat. Nicht nur Triebe und Instinkte,
sondern auch Emotionen, Überzeugungen und Werthaltungen steuern das Handeln. Die grundlegende
Überlegung dieser Studie ist, dass der Mensch im Laufe seines Lebens eine eigene Identität mit eigenen
Grundeinstellungen aufbaut. Der Prozess der Identitätsbildung ist kulturspezifisch beeinflusst. Handlungen
selbst werden aufgrund der eigenen Überzeugungen und Emotionen ausgeführt. Es wird oft von einer
„Volksseele“ gesprochen, die hinter dem Verhalten von Menschen einer bestimmten Völkergruppe steht. Der
Mensch passt sich selbst in seinem Verhalten seiner Umgebung an.
6.8 Der psychologische Lebensraum
Lewin (1963) beschreibt das Verhalten des Menschen mit der Verhaltensformel V (t) = f (P (t), U (t)). Das
Verhalten des Menschen ist folglich abhängig von der Person und der Umwelt. Damit macht er die Umwelt, in
der ein Mensch lebt, zu einem wichtigen Faktor, der zusammen mit den Persönlichkeitsfaktoren das Verhalten
des Menschen erklärt. Der Formel liegt der Gedanke zugrunde, dass das Verhalten einer Person zu einer
bestimmten Zeit abhängig ist vom Zustand dieser Person zu dieser Zeit sowie von der Umwelt zu dieser Zeit.
„In dieser Gleichung müssen die Person (P) und ihre Umwelt (U) als wechselseitig abhängige Variablen betrachtet werden. Mit anderen Worten, um das Verhalten zu verstehen oder vorherzusagen, müssen die Person und ihre Umgebung als eine Konstellation interdependenter Faktoren betrachtet werden. Die Gesamtheit dieser Faktoren nennen wir den Lebensraum (L) dieses Individuums und schreiben V = F (P,U) = F (L). Der Lebensraum umschließt also beides, die Person und die Umwelt. Die Aufgabe, Verhalten zu erklären, wird dann identisch mit 1. dem Finden einer wissenschaftlichen Repräsentation des Lebensraums (L) und 2. der Bestimmung der Funktion (F), die das Verhalten mit dem Lebensraum verbindet. Eine solche Funktion (F) nennt man gewöhnlich ein Gesetz“ (Lewin, 1963, S. 272).
Der psychologische Lebensraum, der das Verhalten mitbestimmt, wird somit aufgeteilt in die Umwelt und in
die Person. Dabei werden die Bedürfnisse, die Motivation, die Stimmungen, die Ziele, die Ängste und Ideale
einer Person in die Betrachtung eingeschlossen. Lewin macht deutlich, dass nur bestimmte Vorgänge in der
physischen und sozialen Umwelt des Individuums sein Verhalten beeinflussen, das heißt nur wahrgenommene
physikalische und soziokulturelle Umwelteinflüsse prägen das Verhalten. Foerster (1985) hat später dazu ein
raum-zeitliches Nahwirkungsgesetz formuliert.
„Eine Kritik an Lewin war, sein Ansatz sei zu sehr auf die innere Sicht ausgerichtet. Roger Barker, ein Schüler von Lewin, war der Meinung, Lewin legte zu wenig Wert auf die `objektive´ (die vom Einzelnen unabhängige biophysikalische und soziokulturelle) Umwelt und jene Verhaltensweisen, die sie praktisch unabhängig von den unterschiedlichen Bedürfnislagen des Einzelnen erzwinge.“ (Stengel, 1999, S. 143).
Lewin sieht den Mensch in seinem spezifischen Lebensraum, der positive und negative Anreize gibt. Ein
positiver Anreiz, etwa die Anerkennung der Leistung durch gute Noten und Beförderung, kann oft nur erreicht
werden, indem man eine „Region mit negativer Valenz“, also Entbehrungen während der Studienjahre,
Prüfungszeiten oder eine längere Zeit vieler Anstrengungen und harter Arbeit durchläuft. Die Bedürfnisse einer
Person bestimmen die Stärke und das Vorzeichen der Aufforderungscharaktere oder Valenzen. Der Lebensraum
des Menschen verändert sich ständig.
„Dinge gewinnen ihren Reiz, andere verlieren ihn; manche positive Regionen des Lebensraums sind nur zu erreichen, wenn Regionen mit negativen Valenzen durchschritten werden. So ist der akademische Grad (positver Aufforderungscharakter) nur zu erreichen, wenn eine Region mit negativer Valenz (Arbeit und Entbehrungen im Studium) durchlaufen wurde. [...] Dieses `Durchschreiten´ des Lebensraums – keineswegs immer eine physikalische Bewegung - wird von Lewin Lokomotion genannt“ (Lück, 1991, S. 82f).
Beim Blick auf die vorliegende Studie bedeutet dies für das einzelne Mitglied einer Gesellschaft, dass, je
nachdem welche Werte und Zielorientierungen in dieser Gesellschaft vorherrschen, auch für den Einzelnen
beispielsweise das individuelle Karrieredenken Vorrang hat vor einem zufriedenen Familienleben. Geht man
weiter, so kann man daraus postulieren, dass in einer Leistungsgesellschaft, in der vor allem das
Durchsetzungsvermögen des einzelnen Individuums zählt, ein anderer Verhaltenstyp vorzufinden ist, als z.B. in
einer Gesellschaftsform, die sich eher auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Familie ausrichtet. Yang (1988)
stellt das Profil eines „modernen Menschen“ dar. Nach seinen interkulturellen Studien sollte der moderne
Mensch nach dem westlichen Weltbild selbstbewusst, effizienzorientiert, innovativ, motiviert, gleichberechtigt,
flexibel, unabhängig, sozial engagiert, tolerant, respektvoll anderen gegenüber, empathisch, zukunftsorientiert,
informiert und risikofreudig in Erscheinung treten. Er lebt lieber in der Großstadt und ist eher individualistisch
als kollektiv eingestellt. Er ist regional nicht gebunden und ist nicht so stark im Familienleben eingebunden.
Der Lebensraum des Menschen und deren Aufforderungscharaktere, sowohl im positiven Sinne (Appetenzen),
als auch im negativen Sinne (Aversionen), wird vor allem durch die Gesellschaft und deren kulturelle
Besonderheiten geprägt. Eine Gesellschaft, in der ein großes Leistungsstreben und ein hohes Tempo
vorherrschen, wird dies auch von den Mitgliedern der Gesellschaft einfordern.
6.9 Der dispositive Ansatz
Beim dispositiven Ansatz geht man zunächst von der Vorstellung aus, dass das Verhalten des Menschen von
seinen Persönlichkeitsdispositionen (engl. traits) beeinflusst wird (vgl. Bierbrauer, 2005, S. 24). Es wird
unterstellt, dass der Mensch Persönlichkeitsdispositionen besitzt, wie z.B. Ehrgeiz oder Fleiß. Diese
Eigenschaften steuern das Verhalten. Ein Mensch, der die o.g. Eigenschaften aufweist, wird sich
wettbewerbsorientiert und fleißig verhalten. Child (1968) bezeichnete die Persönlichkeit eines Menschen als
Eigenschaften des Menschen, die sein Verhalten bestimmen. Es gibt Unterschiede zwischen den
Persönlichkeitsstrukturen verschiedener Menschen. Die Persönlichkeit kann als beständiger Charakter des
Menschen bezeichnet werden, dann ist sie unabhängig von der jeweiligen Situation.
Man kann weiterhin davon ausgehen, dass alle Menschen verschiedenartig sind und jeder Mensch eine ganz
eigene individuelle Persönlichkeit aufweist. Natur, Kultur und individuelle Erfahrungen wirken zusammen und
formen den Charakter. Dabei spielen sowohl ererbte Anlagen, als auch die Umwelt eine Rolle. Die Kultur
nimmt „eine für die Ontogenese des Menschen notwendige Mittlerrolle ein“ (Grossmann, 1993, S. 59).
Die differentielle Psychologie untersucht u.a., ob es Unterschiede zwischen dem Verhalten von Menschen
unterschiedlicher Kulturen gibt. „Natürlich gibt es einige stichhaltige Belege dafür, dass Menschen aus
unterschiedlichen Kulturkreisen sich systematisch voneinander unterscheiden, doch es gibt nur wenige Belege
dafür, dass diese Unterschiede eine genetische Grundlage haben“ (Friedmann & Schustack, 2004, S. 237).
„Die Erfahrung von Ähnlichkeit und Verschiedenheit gehört zu den Grunderfahrungen des Menschen. Jeder bzw. jede von uns kennt die Erfahrung, so wie oder anders als andere Menschen zu sein. Auch fällt es uns nicht schwer, unsere Mitmenschen hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit oder Verschiedenheit zu uns selbst oder zu dritten einzuschätzen: `Mein Bruder und ich sind uns sehr ähnlich´. `Der Enkel gleicht dem Großvater´. `Rheinländer sind ganz andere Menschen als Westfalen´. Weitere Beispiele ließen sich mühelos anfügen“ (Mummendey & Simon, 1997, S. 11).
Wundt (1913, vgl. Schneider, 1990) hat sich als einer der ersten Psychologen mit den Unterschieden von
Völkern bezüglich Sprache, Mythos und Sitten beschäftigt. Er wollte so Erkenntnisse über höhere psychische
Vorgänge und Entwicklungen erhalten. Wundt selbst vernachlässigte dabei allerdings sozialpsychologische
Aspekte, wie zum Beispiel den Einfluss der Gruppe. Die Frage nach dem Charakter des Volkes ersetzten
Kardiner (1946) und Linton (1946, Reprint 1999) mit einer Basisstruktur der Persönlichkeit (basic personality
structure), die in einer bestimmten Kultur am häufigsten anzutreffen ist. Dank großangelegter ethnographischer
Karten (Murdock, 1981) ließen sich kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede finden.
Am Ende des 19. Jahrhunderts gingen viele Wissenschaftler unter dem Einfluss des Sozialdarwinismus davon
aus, dass es hochwertige und geringwertige Rassen und Kulturen gibt (vgl. Hofstadter, 1959). Der
Sozialdarwinismus wandte die Evolutionstheorie auch auf Gesellschaften an. Man vertrat die Auffassung, dass
nicht nur einzelne Individuen, sondern ganze Gesellschaften und Kulturen um die Vorherrschaft kämpften.
Überleben würden nur die Kulturen, die aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften den anderen überlegen sind.
In der heutigen Zeit ist die Ansicht, dass ganze Völker „genetisch minderwertig“ sind und deshalb von Völkern,
die über bessere Persönlichkeitsmerkmale verfügen, verdrängt oder auch ausgerottet werden, überholt und
ethisch abzulehnen. Schlimmste Auswirkungen hatte diese Rassenideologie im Dritten Reich in Deutschland,
als es legitim war, Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Menschengruppe (z.B. Juden,
Zigeuner, Osteuropäer) zu verfolgen, in Lager zu sperren und schließlich zu töten. Allerdings sind heute wieder
neonazistische Parolen zu vernehmen, die sich vor allem gegen Ausländer, aber auch gegen inländische Juden
und Muslime oder gegen Immigranten aus Osteuropa richten.
Serpell (1976) erklärt interkulturelle Unterschiede in der Persönlichkeitsstruktur der Menschen damit, dass bei
verschiedenen Gruppen von Menschen unterschiedliche individuelle Typen dominieren. Es sind sogenannte
„Durchschnittstypen“ (Modal Types), die die Mehrheit einer Volksgemeinschaft ausmachen. Es die „Art von
Mensch“, die am häufigsten vorkommt. Sie weisen die Regelmäßigkeiten auf, die man beim Verhalten einer
bestimmten Bevölkerungsgruppe erkennen kann.
„This concept is thus designed principally to account for individual differences. If we are to use it in explaining why people in one cultural group behave differently from those in another group, it is necessary to suppose that a certain type of individual predominates in one group whereas another type predominates in the other. Generally this predominance is conceived as a matter of numbers, and the statistical expression `modal´ (derived from the French word for fashion) is used to indicate that a culture´s modal personality is the commonest type it produces. According to this approach, it is the inherent dispositions of this modal type of person which account for regularities in the group behaviour patterns” (Serpell, 1976, S.21).
Theorien, die einen modalen Persönlichkeitstyp beschreiben, erinnern an die Untersuchungen, die versuchten,
Stereotype der Nationen und Völkergruppen zu finden. Das Hauptaugenmerk wird darauf gerichtet, was die
meisten Personen gemeinsam haben, wobei Unterschiedlichkeiten innerhalb einer Völkergruppe
heruntergespielt werden. Vielmehr wird versucht aufzuzeigen, was eine Nation von der anderen unterscheidet.
Natürlich handelt es sich bei solchen Charakterisierungen um starke Vereinfachungen der Realität.
„Group stereotypes are ´psychological´ in the sense that they reduce complex national societies to an image of an individual – the Englishman, the Mexican, the Arab – and attribute to such images qualities such as might characterize a person – unfriendly, lazy, cunning, belligerent, sensuous … “ (Levine, 1973, S. 10).
Wichtig ist, dass wir uns nicht durch Vorurteile oder vorgefertigte Meinungen leiten lassen. Die persönliche
Wahrnehmung des Anderen hängt nicht zuletzt davon ab, wie viele Informationen ich über ihn eingeholt habe,
die Ausmaße an Interaktionen, die möglich sind, und wie eng meine Beziehung zu ihm ist (vgl. Müller &
Thomas, 1976). Oft sind wir selbst gezwungen, über Menschen Urteile abzugeben, über die wir nicht genügend
Informationen besitzen und die uns selbst fremd sind. Da es unmöglich ist, den wahren Charakter aller
Menschen kennen zu lernen, hilft sich der Mensch mit der Ausbildung von Stereotypen, die durchaus nationen-
bzw. kulturbezogen sein können (z.B. der fleißige Deutsche, der lebenslustige Franzose, der pünktliche
Engländer, ...). Dabei muss man Vorurteil und Diskriminierung unterscheiden. Während das Vorurteil lediglich
eine Hilfestellung des Individuums dabei ist, andere Menschen einzuschätzen, ist die Diskriminierung die Folge
eines negativen Vorurteils, die Minoritäten gesellschaftlich schädigt und deren Lebensqualität einschränkt. So
schreibt Allport (1971, S. 23): „Voreingenommenheiten sind nur dann Vorurteile, wenn sie angesichts neuer
Informationen nicht geändert werden können.“
Eine interessante Studie zu nationalen Stereotypen „How Nations see each other“ führten Buchanan und
Cantril (1953) durch. Sie verglichen dabei das Selbstbild der Personen als Engländer oder Amerikaner mit dem
Bild, das die jeweils andere Nation von ihnen haben und fanden erstaunliche Unterschiede bei der Einschätzung
der charakterlichen Eigenschaften (vgl. dazu auch Müller & Thomas, 1976, S. 142). Ein weiterer
Forschungsansatz wurde von Triandis (1972) verfolgt, der untersuchte, welche Auswirkungen der Kontakt zu
Personen anderer Kulturen hat in Bezug auf die Ausbildung von Stereotypen. Hinzu kommt, dass jede Person
auch eine bestimmte Rolle zugeschrieben bekommt (Attributionstheorie), das heißt, „wir erfahren eine Umwelt
weder unabhängig von unserer Rolle als Teilnehmer, noch uns selbst unabhängig von der Situation, an der wir
teilnehmen, sondern wir erfahren uns in einer Umwelt und als ihr zugehörig“ (Ittelson, Proshansky, Rivlin &
Winkel, 1977, S. 139).
Bestimmte Eigenschaften wie Fleiß oder Pünktlichkeit werden in der Weltgemeinschaft auf ganze Nationen
verteilt. So fühlt sich ein Deutscher anders als ein Südamerikaner. Die Rolle des fleißigen Deutschen ist vielen
„in Fleisch und Blut“ übergegangen. Wenn es zu internationalen Begegnungen kommt, leben viele dieser
Klischees wieder auf. Bei einer Großveranstaltung in Deutschland muss alles hundertprozentig geplant und
vorbereitet sein. Die Veranstaltung muss pünktlich und ohne Verzögerungen beginnen. Anderen Nationen wird
ein eher lockerer Umgang mit der Zeit zugute gehalten. Entsprechend der Rollenzuteilung verhalten sich auch
viele Menschen so, wie man es von ihnen erwartet.
Allport (1937) wendet sich in seinem Buch „Personality: A psychological interpretation“ den Eigenschaften als
Grundeinheiten der Persönlichkeitspsychologie zu. Allport geht davon aus, dass das menschliche Verhalten
zeitlich stabil ist und sich bei ähnlichen Situationen nicht unterscheidet. Die Person handelt immer wieder so,
wie sie dies früher in einer ähnlichen Situation getan hat. Eine funktional äquivalente Klasse von Situationen
ruft über die Schaltstelle „Eigenschaft“ eine äquivalente Reaktion hervor.
„Eine wirklich gültige Persönlichkeitspsychologie muss kulturelle Abweichungen berücksichtigen und gleichzeitig Theorien aufstellen, die durch wissenschaftliche Datensammlungen verifizierbar sind. Eine Lösung für die Probleme der kulturellen Ignoranz in den Ansätzen der Persönlichkeitspsychologie ist nicht, den Aspekt Kultur auszuklammern (oder ihn zu „beschränken“), sondern ihn als ein Grundelement der Persönlichkeit anzusehen“ (Friedmann & Schustack, 2004, S. 606).
Bei der Zuordnung von nationalen Charaktereigenschaften darf man regionale Besonderheiten nicht außer Acht
lassen. In Deutschland gibt es zahlreiche Stereotype, die bestimmten Volksgruppen zugeschrieben werden: der
geruhsame langsame Bayer, der strebsame pünktliche Preuße, der häusliche, sparsame Schwabe, der legere
Berliner mit der „frechen Schnauze“ und der geistig nicht so wendige, eher schweigsame Ostfriese sind solche
Stereotype. Die deutsche Nation setzt sich also wiederum aus verschiedenen Volksstämmen zusammen, die
unterschiedliche Verhaltenweisen nachgesagt bekommen.
Weiterhin ist zu beachten, dass der vorher erwähnte, am häufigsten bei einer Volksgruppe in Erscheinung
tretende „modale Typ“ nie so extrem ist, wie es die Stereotype sind. Eine bestimmte kulturelle Gruppe kann
sogar mehr als eine typische Persönlichkeit aufweisen. Bei der „multi-modalen“ Konzeption (vgl. Serpell, 1976,
S. 22) wird davon ausgegangen, dass verschiedene sozialen Kräfte für verschiedene modale Typen
verantwortlich sind und man diese sozialen Einflüsse identifizieren kann. Es wird weiterhin angenommen, dass
intranationale Gruppierungen und Schichten, wie zum Beispiel Intellektuelle und Arbeiter, mehr gemeinsam mit
der selben Schicht einer anderen Nation haben, als Arbeiter und Intellektuelle des gleichen Landes (vgl. Inkeles
& Levinson, S. 457). Eine Studie von Hinz (2000) kam zu dem Schluss, dass sich die meisten Studenten, die nach ihrem zeitlichen
Verhalten befragt wurden, auf eine „Vererbungstheorie“ stützten. Dies war vor allem bei Studenten der Fall, die
nicht „Nein“ sagen können. Nur wenige Studenten bezogen ihr Verhalten auf das Konzept des Modelllernens
(vgl. Bandura, 1977) oder meinten, dass die Vorbildfunktion (z.B. des Vaters), eine große Rolle spielte. Dabei
glauben die meisten Studenten nicht an eine genetische Vererbung, sondern meinten unter dem Wort „vererbt“
eher eine Mischung aus Genen, Konditionierung, Gewissensbildung und Modelllernen. Es kam aber auch zu
Aussagen, wie: „Ich glaube, meine Geschwister haben dasselbe Übel auch der Mutter geerbt“ oder „Ich glaube,
ich kann mich jetzt auch nicht mehr groß verändern, da ich doch stark erblich belastet bin, was den Umgang mit
der Zeit betrifft“ (Hinz, 2000, S. 206).
Eine Kritik an den Eigenschaftstheorien ist, dass sie das Handeln ausschließlich dispositiv bestimmen. Die
Frage nach der Erklärung menschlichen Verhaltens wird dadurch simplifiziert.
Versucht man dies an einem Beispiel zu verdeutlichen, so wird ein Individuum dann als pünktlich zu bezeichnen sein, wenn es auf eine Reihe von sozialen Situationen, die es als
pünktlichkeitsrelevant beurteilt, zwar mit unterschiedlichen Verhaltensweisen reagiert, die jedoch allesamt der Kategorie pünktlich zuzuordnen sind. Für die Frage nach Konsistenz des Verhaltens bedeutet dies, dass die Verhaltensweisen durchaus andersartig ausfallen können, sie jedoch alle auf höherer Ebene der Eigenschaft Pünktlichkeit zugeordnet werden können“ (Schwenkmezger, 1985, S. 2).
Persönlichkeitstheorien betrachten das Handeln einseitig aufgrund vorgegebener Eigenschafts- und
Verhaltensdispositionen. Sie berücksichtigen das interaktionistische Element von Handlungen nicht. Es ist
gefährlich, ganzen Völkergruppen und Nationen generell bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben. Statt dessen
sollte darauf geachtet werden, zu differenzieren. Selbst wenn Tendenzen im Verhalten der Menschen oder bei
deren Eigenschaften landestypisch hervortreten, darf dennoch nicht vergessen werden, dass eine
Volksgemeinschaft aus einzelnen Individuen besteht, die auch völlig unterschiedlich reagieren können. Von
Situation zu Situation, von Umgebung zu Umgebung kann sich das Verhalten einer Person unterscheiden.
6.10 Zusammenfassung der Erklärungsansätze zum zeitlichen Verhalten
Theorien der differentiellen Psychologie und Persönlichkeitspsychologie behaupten, dass unterschiedliche
Völker unterschiedliche „Nationalcharaktere“ aufweisen. Es gibt bestimmte Eigenschaften, die Einwohnern
bestimmter Länder oder Regionen zugesprochen werden, sogenannte Stereotype (vgl. Kap. 3.5). Solche
stereotype Vorstellungen setzen die fleißige, pünktliche deutsche Grundeinstellung der etwas weniger
arbeitsamen, schwermütigen und oft auch trinkfreudigen Mentalität des Osteuropäers gegenüber. Stereotype
machen es den Menschen leichter, andere Menschen einzuordnen. Viele Stereotype kommen noch aus früheren
Zeiten, sind oft falsch oder nicht mehr zeitgemäß. Abzulehnen sind Stereotype, die ganze Völker als langsam,
faul oder weniger leistungsfähig darstellen. Sie werden in national gesinnten Kreisen gepflegt, die ihre eigenen
Zwecke mit solchen Beurteilungen anderer Nationen verfolgen.
Der Mensch handelt und reagiert als komplexe Persönlichkeit nicht in jeder Situation gleich (vgl. dazu auch der
Ansatz des Behavior Settings von Barker, 1978). So kann der Mensch je nach aktueller Situation anders
reagieren. Schon Lewin hat bei seiner Verhaltensformel berücksichtigt, dass das Verhalten von den
Eigenschaften einer Person zu einer bestimmten Zeit sowie von der Umwelt zu dieser Zeit abhängt. Wenn es
schon schwierig ist, einen einzelnen Menschen einem bestimmten Verhaltenstyp zuzuordnen, um wie viel
schwieriger wird es sein, Verhaltensmuster für ganze Völkergruppen aufzustellen? Die Statistik kann uns nur
helfen, signifikante Unterschiede für bestimmte Gruppen von Menschen anhand vorgegebener Merkmale
aufzuzeigen. Es ist Aufgabe des Forschers, die Ergebnisse im theoretischen Kontext zu diskutieren und für
vorgegebene Merkmale kulturelle Besonderheiten aufzuzeigen.
Das kulturelle Umfeld, in dem ein Mensch lebt, prägt den Menschen in seinen Verhaltensformen. Nun ist
gerade bei den Ländern Deutschland und der Ukraine ein Kulturwandel eingetreten. Das sozialistische
Gesellschaftssystem, das jahrelang unter sowjetischer Vormachtstellung im Osten Europas vorherrschte, wurde
nach über fünfzig Jahren durch westlich orientierte Gesellschaftsstrukturen abgelöst. Die „Deutsche
Demokratische Republik“ wurde vor fast zwanzig Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert. Die
Menschen mussten sich von der kollektiven Planwirtschaft auf westlich kapitalistische Wirtschaftsstrukturen
einrichten. Dies war ein längerer Prozess, der bis heute andauert. Die Menschen waren gezwungen
umzudenken, da der Staat nun nicht mehr „für alles sorgte“. Von der Kindererziehung bis über die Verteilung
der Studien- und Arbeitsplätze war in der ehemaligen DDR alles staatlich geregelt. Nach Grenzöffnung war
Eigeninitiative gefragt. Die freie Marktwirtschaft forderte vom einzelnen Bürger Eigenverantwortung. Dabei
brachte das neue Wirtschaftssystem nicht nur die Möglichkeit mehr Wohl-stand zu erlangen, es herrscht nun
auch mehr Leistungsdruck.
Auch in der Ukraine, die ebenfalls über fünfzig Jahre unter sozialistischer Sowjetherrschaft stand, brachte die
Öffnung zum Westen viele Umstellungen mit sich. Die Bevölkerung des Landes spaltete sich auf zwischen
Befürworter der freien Marktwirtschaft und denjenigen, die lieber ein sozialistisches Wirtschaftssystem aufrecht
erhalten wollten. Den politischen Wahlen zu Folge sind die Westukrainer mehrheitlich Befürworter einer
privatisierten Wirtschaftsordnung, während viele Ostukrainer noch immer eine sozialistische Ordnung
wünschen. Die Westukrainer würden sich gerne noch enger an die Europäische Gemeinschaft anschließen,
während die Ostukrainer, von denen auch heute noch viele in Staatsbetrieben oder kollektiven
Landwirtschaftsbetrieben arbeiten, eher Russland als wirtschaftlichen Partner sehen. Ob die Trennungslinie der
Befürworter und Gegner freier Marktwirtschaft nun zwischen der West- und Ostukraine verläuft oder ob dies
eher ein Generationenproblem ist, bei dem die ältere Bevölkerung dem sozialistischen Regime nachtrauert, ist
nicht eindeutig geklärt. Tatsache ist jedoch, dass auch in der Ukraine eine Aufbruchstimmung herrscht und die
Möglichkeiten des freien Marktes und des freien Reisens gerade von der jungen Generation gerne angenommen
werden.
Da die letzten zwanzig Jahre für Deutschland und die Ukraine einen großen gesellschaftlichen Umbruch mit
sich brachten, kann man davon ausgehen, dass auch die kulturelle Einflussfaktoren nicht gleich geblieben sind.
Gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die die Kultur mitgestalten, haben sich geändert. Im
Fall Deutschland und der Ukraine geschah die Veränderung sehr plötzlich und für viele überraschend. Das
sozialistische Regime Osteuropas, das sich ein halbes Jahrhundert gegen den kulturellen Einflüssen des Westens
abgeschottet hatte, verlor sehr schnell an Macht. Nach der Grenzöffnung zum Westen, wurden vor allem von
der Avantgarde westliche Lebensweisen angenommen. Das Volk hat sich erst nach und nach auf die neuen
Rahmenbedingungen eingestellt. Sozialistische Wertvorstellungen, die jahrzehntelang propagiert wurden,
verloren an Glaubwürdigkeit. Westliche, kapitalistische Wertvorstellungen konnten nicht einfach adaptiert
werden.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Wertvorstellungen der westlichen Industrienationen das
Leistungsstreben hervorheben (vgl. Kap. 3.3). Belastungen in der Arbeitswelt, aber auch in der Freizeit werden
dadurch erhöht. Der ständige Wandel der Technologien und Kommunikationsmittel fordert eine stetige
Anpassung an immer schnellere Produktions- und Kommunikationsprozesse. Der Mensch wird unter Druck
gesetzt, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Dadurch entstehen Zeitdruck und Eile. Die Menschen sollen
die Tätigkeiten in immer kürzerer Zeit ausführen. Die Zeit für Ruhepausen wird gekürzt. Selbst in der Freizeit
werden möglichst vielen Freizeitaktivitäten und familiäre Verpflichtungen erfüllt. Zeit für Entspannung,
Tagträumen oder andere „unnutze“ Zeitvertreibe gelten als verschwendete Zeit. Oberstes Ziel ist es, möglichst
viel in möglichst kurzer Zeit zu erreichen. Als Anreiz bieten diese hochentwickelten Industriegesellschaften
ihren Mitgliedern Wohlstand, sichere Arbeitsplätze für hochspezialisierte, tüchtige Arbeitskräfte und eine breit
gefächerte Freizeitindustrie. Menschen, die weniger leistungsbereit oder auch leistungsfähig sind, sind von
diesen Vergünstigungen ausgeschlossen und leben am Rande der Gesellschaft. Laut Garhammer (1999) ist der
Leistungsdruck in den westlichen Industrienationen Europas deutlich erkennbar.
Im Kapitel 6 wurden theoretische Überlegungen angestellt, warum die kulturelle Umgebung des Menschen
Auswirkungen auf seine Verhaltensweisen zeigen kann. Der Ansatz der „Sozialisation“, der vor allem aus dem
Bereich der Soziologie kommt, und die ökologische Psychologie gehen von der Annahme aus, dass die Umwelt
für alle menschlichen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen einen hohen Einfluss hat. Der Ansatz des
symbolischen Interaktionismus sagt aus, dass die Verhaltensweisen einer Person Erwartungen und vom
Verhalten der „Signifikanten Anderen“ in der näheren Umgebung mitbestimmt werden (vgl. Miller, 1974). Der
Mensch wird von der Gesellschaft sozialisiert, und diese Sozialisationsprozesse nehmen Einfluss auf das Tempo
und den Zeitdruck, dem der Mensch unterliegt. Dabei sind die kulturelle Rahmenbedingungen, unter denen ein
Mensch sozialisiert wird von großer Bedeutung.
„Da die Kultur ein Schlüsselfaktor bei der Bestimmung dessen ist, was es bedeutet, eine Person zu sein, sollte das systematische Studium dieser kulturellen Einflüsse ein wesentlicher Teil der Persönlichkeitspsychologie sein, wie es Gordon Allport forderte. Eine Person, die eine katholische Privatschule in Boston besucht, entwickelt mit großer Wahrscheinlichkeit andere Verhaltens- und Reaktionsmuster als eine Person, die in einer kommunistischen Kaderschule in Peking erzogen wird“ (Friedmann & Schustack, 2004, S. 605).
Die Lerntheorie deutet darauf hin, dass Verhaltensweisen erlernt werden können, nicht nur durch eigene
Erfahrungen, sondern auch durch das Beobachten von anderen Menschen. Der Mensch durchläuft lebenslang
einen Lernprozess. Dabei ist nicht auszuschließen, dass erlernte Verhaltensmuster wieder abgelegt werden,
wenn eine neue Umgebung den Menschen dazu zwingt, umzudenken. Sozialkognitive Prozesse erlauben es dem
Menschen, sich neuen Umweltbedingungen anzupassen. Der Mensch selbst entscheidet, wie er auf
Anforderungen der Umwelt reagiert. Die Entscheidungen des Menschen begründen sich auf Erfahrungen, die er
gesammelt hat. Sie unterliegen seinen Glaubensrichtlinien und Wertvorstellungen, die immer neu zu
hinterfragen und wandelbar sind.
Die Handlungstheorie besagt, dass das soziokulturelle System, in dem eine Person lebt, ihr Verhalten
beeinflussen kann. Zeigt sich die Gesellschaft leistungsorientiert, so werden sich auch die Mitglieder dieser
Gesellschaft bemühen, leistungsstark und temporeich zu arbeiten. Der Mensch passt seine Handlungen und
somit sein Verhalten an seine Umwelt an. Dabei ist die gefühlte Gruppenzugehörigkeit mitentscheidend, das
heißt, es spielt eine Rolle, welcher Gruppe, welcher Kultur oder Subkultur sich ein Mensch zugehörig fühlt.
7. Die Durchführung der empirischen Studie
7.1 Fragestellung, Methoden und Zielsetzung Um Daten zu sammeln, die den Umgang mit der Zeit von Studierenden in Deutschland und der Ukraine
beschreiben, wurde eine Befragung mit einem Fragebogen durchgeführt. Der Fragebogen wurde bei Seminaren
der FernUniversität in Hagen und bei Vorlesungen ukrainischer Universitäten ausgeteilt und beantwortet. Er
konnte auch auf der Internet-Homepage des Lehrgebiets für Sozialpsychologie angewählt und beantwortet
werden. Die Fragen lehnten sich stark an den Jenkins Activity Survey (JAS) an, ein Fragebogen, der schon bei
Untersuchungen anderer Wissenschaftler Verwendung fand (siehe Kap. 7.2). Der JAS ist so konstruiert, dass er
Hinweise auf bestimmte zeitliche Verhaltensmuster geben kann. Der Zeitdruck, unter dem die Menschen leiden,
soll aufgedeckt werden. Ebenso wird untersucht, inwiefern sie temperamentvoll und leicht reizbar sind.
Weiterhin wird die Ungeduld und die Aktivität der Testpersonen gemessen. Es wird gefragt, wer stets in Eile
ist, ungern wartet und auch bei Gesprächen darauf achtet, dass diese nicht zu lange dauern. Aspekte wie
Pünktlichkeit, Genauigkeit, Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein werden ebenso wie soziales
Engagement untersucht.
Wie sehr sich der Mensch unter Zeitdruck fühlt, hängt stark von seiner persönlichen Wahrnehmung ab.
Zeitdruck kann vom Menschen selbst erzeugt werden, wenn er sich zu hohe Zielvorgaben setzt oder es nicht
schafft Aufgaben zu delegieren. Der Zeitdruck kann aber auch gesellschaftlich bedingt sein. Menschen, die in
einer stark leistungsorientierten Gesellschaft leben, werden stärker unter Druck gesetzt. In der
Leistungsgesellschaft sind Erfolg im Studium und Beruf die Voraussetzung für gesellschaftliche Anerkennung.
„Dieser Zwang zum beruflichen Erfolg, der notgedrungen zu hartem und schnellem Arbeiten führt und ständigen Wettbewerb mit Kollegen und Konkurrenzdruck auslöst, ruft das Verhalten fortwährender Ruhelosigkeit, Angespanntheit und Zeitnot hervor. Die Entwicklung von Aggressivität und Feinseligkeit in beruflichen Konkurrenzsituationen und der Verlust sozialer Kontakte im Privatbereich verstärken die ruhelose Getriebenheit und erhöhen die soziale Isolation. Die Erlebensverarbeitung ständigen beruflichen Ungenügens, von Zurücksetzung und Versagen und der wachsenden sozialen Einsamkeit verstärken wiederum die Selbstwertlabilität und lösen wie in einem circulus vitiosus verstärkte Bemühungen zu noch größeren Einsatz und Engagement aus“ (Richter, W. & Hacker, W., 1998, S.133).
Zu den nachfolgenden Untersuchungen des zeitlichen Verhaltens ist kritisch anzumerken, dass es immer eine
Gefahr darstellt, in der Psychologie Persönlichkeitsmerkmale oder Verhaltensmuster einer ganzen
Bevölkerungsgruppe, wie z.B. den deutschen oder ukrainischen Studenten, zuschreiben zu wollen. Was ist mit
dem Einzelfall? Ziel der Studie ist es, eine theoretische Grundlage zu schaffen und die theoretischen Ansätze
durch statistische Tests zu überprüfen. Dies führt allerdings zu einer Abstraktion vom normalen Alltag („real-
life“, vgl. dazu Kerlinger, 1973). Wenn bei dieser Studie Verhaltensmuster länderspezifisch untersucht werden,
so werden die Ergebnisse nur Verhaltenstendenzen bei den einzelnen Ländergruppen und nicht den Einzelfall
darstellen können.
Es kann sein, dass sich länderspezifische Unterschiede finden lassen, man darf aber in der Psychologie den
Einzelfall nicht aus den Augen verlieren. Es gibt durchaus große Unterschiede im Verhalten von Menschen, die
im selben Land wohnen und vielleicht sogar Nachbarn sind.
„Dieser Prozeß wurde bereits von Kurt Lewin (1930) als ein Paradoxon erkannt, das jedem nomothetischen Zugang eigentümlich ist. Je näher sich die Psychologie ihrem Ziel, generelle Gesetze des Verhaltens zu formulieren, nähert, die logischerweise jeden einzelnen Fall einschließen sollen, desto stärker muß sie vom historischen Hier und Jetzt abstrahieren, d. h., desto eher gerät sie in Gefahr, gerade den Einzelfall aus dem Auge zu verlieren“ (Eckensberger, 1982, S. 5)
Die Stichprobe beschränkt sich auf Studierende, die vorwiegend bestimmten Fakultäten und Altersgruppen
angehören. Somit bleibt es fraglich, ob mit den Ergebnissen der empirischen Studie ein Gesamtbild über alle
Studenten in Deutschland und der Ukraine entstehen kann. Es ist unmöglich Rückschlüsse über die gesamte
Bevölkerung zu ziehen, da sich die Bevölkerung aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Schichten
zusammensetzt, die wiederum eigene Verhaltensweisen aufweisen können.
Die vorangegangenen Ausführungen geben Anlass zu der Annahme, dass kulturspezifische
Rahmenbedingungen durchaus Auswirkungen auf das zeitliche Verhalten der in einem bestimmten Land
lebenden Menschen haben. Aufgrund vorgeschalteter kultureller und historischer Betrachtungen (vgl. Kap. 4)
habe ich mich entschieden nicht nur die Länder Deutschland und Ukraine als eigene Kulturräume zu
untersuchen, sondern auch jeweils den Westen und Osten des Landes als eigenen Kulturraum auszuweisen.
Im Kapitel 4.1 wurde analysiert, ob die Länder Deutschland und Ukraine kulturelle Besonderheiten aufweisen,
die historisch gewachsen oder auf momentane politische und gesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen
sind. Aufgrund der Historie und der geografischen Lage kann das westeuropäische Land Deutschland von der
osteuropäischen Ukraine kulturell differenziert werden. Es gibt Stereotype des fleißigen, pünktlichen,
leistungsorientierten Deutschen. Damit unterscheidet sich das Bild des Deutschen von dem des Osteuropäers,
dem man eine gelassenere, manchmal eher nachlässige Arbeitsweise nachsagt.
Aufgrund der jüngsten Vergangenheit (vgl. Kap. 4.2) kann man auch noch zwischen den Westdeutschen und
den Ostdeutschen unterscheiden. Der „Ossi“ hat lange Zeit den Ruf im Westen gehabt, aufgrund seiner
sozialistischen Vergangenheit nicht ganz so wettbewerbsorientiert und aktiv wie der „Wessi“ zu sein.
Beschreibungen und Reiseberichte aus der Ukraine zeigen, dass auch im Westen und Osten der Ukraine
kulturelle Unterschiede wahrgenommen werden können (vgl. Kap. 4.3). Die Westukraine hat sich angeblich
mehr dem westlichen Lebensstil geöffnet hat, während die Menschen der Ostukraine, wo es viel Landwirtschaft
und Bergbau und viele industrielle Staatsbetriebe gibt, eher noch eine kollektivistische Grundhaltung aufweisen
(siehe Kap. 4.3).
Dabei soll nicht unterschlagen werden, dass diese Aufteilung einer gewissen Willkür unterliegt. Es kann auch
nicht auf das Problem der ethischen Minderheiten, die in diesen Ländern wohnen, eingegangen werden. Ein
nicht zu vernachlässigender Anteil der deutschen Bevölkerung besteht aus zugewanderten Migranten (vor allem
Gastarbeiter und Russlanddeutsche). Auch die Ukraine hat einen hohen Anteil von etwa einem Fünftel der
Einwohner, die russischer Herkunft sind (vor allem in der Ostukraine). Außerdem kann der Aspekt
verschiedener Volksgruppen in Deutschland, wie zum Beispiel die Bayern, die Schwaben, die Westfalen oder
die Preußen bei dieser Studie keine Berücksichtigung finden.
Das Land, in dem ein Mensch aufwächst und lebt, die Industrialisierung, der Wohlstand dieses Landes, die
Gesellschaftsform, aber auch die Tatsache, ob er in einer Großstadt oder auf dem Land lebt, beeinflussen den
Alltag und das Verhalten der Menschen (vgl. Kap. 5). Dazu kann das Geschlecht und das Alter der Person
ebenso Auswirkungen auf das Verhalten der Person haben. Das kulturelle Umfeld kann für Mann und Frau
unterschiedlich aussehen. Wichtig dabei ist, welche geschlechtsspezifischen Eigenschaften Frauen und Männern
von der Gesellschaft zugeordnet werden. Junge Leute zeigen ein anderes Tempo als ältere Menschen. In der
Jugend erscheint man oft als hitzig und temperamentvoll, während man im Alter eher ruhiger und gelassener
wird.
Am Anfang der Untersuchungen soll untersucht werden, ob sich kausale Beziehungen zwischen den
kulturspezifischen Faktoren, Alter und Geschlecht und dem Umgang mit der Zeit finden lassen. Um kausale
Beziehungen statistisch nachweisen zu können, wird eine Regressionsanalyse, die Stärke und Art der
Beziehungen zwischen den kulturspezifischen externen Variablen und den Faktoren des zeitlichen Verhaltens
zeigt. Um eine Regressionsanalyse und weitere statistische Tests durchführen zu können, werden vorab die
Merkmale des zeitlichen Verhaltens in Faktoren eingeteilt (siehe Kap. 7.4.2).
Sollte sich nachweisen lassen, dass das Land, in dem man lebt, eine Auswirkung auf das Verhalten zeigt, wird
mit einer Varianzanalyse untersucht werden, inwiefern die Verhaltensunterschiede statistisch signifikant sind.
Die erste aufgestellte These besagt, dass sich das zeitliche Verhalten der Studenten der Ländergruppen West-
und Ostdeutschland und die West- und Ostukraine kulturspezifisch unterscheidet. Dagegen steht die These, dass
sich aufgrund des kulturellen Wandels, den die Öffnung zum Westen mit sich brachte, kaum mehr kulturelle
Unterschiede beim Umgang mit der Zeit bei den Studenten finden lassen. Es kann sein, dass durch die
Europäisierung und Globalisierung sowohl im Westen und Osten Deutschlands, als auch in der Ukraine,
kulturspezifische Unterschiede zunehmend verschwinden.
Ob es ländergruppenspezifische Unterschiede beim zeitlichen Verhalten gibt, soll durch eine Varianzanalyse
gezeigt werden. Ein Duncan Test soll homogene Untergruppen herausfinden, deren Mittelwerte bei den
Faktoren des zeitlichen Verhaltens ähnlich sind. Am Schluss soll die Häufigkeit des Typs A (hohe
Merkmalswerte) und des Typs B (niedrige Merkmalswerte) ländergruppenspezifisch dargestellt und analysiert
werden.
Die nachfolgende Abbildung zeigt das Forschungsdesign dieser empirischen Studie:
Vorbereitung der Datenerhebung mittels Fragebogen - Jenkins Aktivity Survey (JAS)
russische und deutsche Übersetzung des englischen Fragebogens (Testlauf)
Durchführung der Datenerhebung bei deutschen und ukrainischen Studenten:
in Deutschland bei Seminarveranstaltungen und über eine Fragebogenveröffentlichung im Internet,
in der Ukraine über kooperierende Fachbereiche der Psychologie und Pädagogik
Analyse der Stichprobe nach kulturspezifischen Merkmalen
Aufschlüsselung nach – Herkunftsland (Ländergruppen), Alter und Geschlecht, Größe der Stadt,
Grad der Industrialisierung, Wohlstands und Gesellschaftsform
Konfirmatorische Faktorenanalyse (Merkmale des zeitlichen Verhaltens)
aufgrund vorher festgestellter Korrelationen zwischen den Merkmalen
Erkennen der Dimensionen zeitlichen Verhaltens
Multiple, lineare Regressionsanalyse
Schrittweise Eingabe kulturspezifischer Erklärungsvariablen für das zeitliche Verhalten
Auffinden kausaler, linearer Zusammenhänge zwischen externen Variablen und Faktoren des zeitlichen Verhaltens
Hypothesenbildung für den Mittelwertvergleich/die Varianzanalyse (ANOVA-Test)
H0: Es gibt keinen signifikanten länderspezifischen Unterschiede des zeitlichen Verhaltens
H1: Es gibt signifikante länderspezifische Unterschiede des zeitlichen Verhaltens
Duncan-Test auf homogene Untergruppen
zum Auffinden länderspezifischer Unterschiede des zeitlichen Verhaltens
Auswertung der länderspezifischen Häufigkeiten der Typ A-/ Typ B-Verhaltensmuster/Mischtypen
Typ A weist hohe, Typ B niedrige Merkmalswerte auf
Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
in Hinblick auf Ergebnisse von Vorstudien und theoretischen Überlegungen
Abb. 8: Forschungsdesign der empirischen Studie
7.2 Der Testfragebogen
Zunächst werden die Daten anhand eines Fragebogens erhoben. Der JAS, an dem sich der Fragebogen anlehnt,
umfasst 52 Fragen zum Umgang mit der Zeit. Zur Befragung der Studenten wurden die Fragen teilweise
umgeschrieben (siehe Kap. 7.4.1, Anhang 1), und es wurden für die Untersuchung noch einige Fragen zum
Herkunftsland, Wohnort, etc. gestellt. Die Merkmale des zeitlichen Verhaltens sollen zu aussagefähigen
Faktoren gebündelt werden, die bei den nachfolgenden Tests Verwendung finden.
Beim Jenkins Activity Survey werden sowohl persönliche Eigenschaften des Menschen (dispositiver Ansatz),
wie leichte Reizbarkeit und Temperament, Ungeduld und Aktivität, Fleiß und Wettbewerbsorientierung,
Verantwortungsbewusstsein und Ernsthaftigkeit, abgefragt, als auch das Verhalten in Alltagssituationen
(situativer Ansatz): so das Warten in der Schlange, die Reaktion auf Störungen im Alltag und Ärgernissen, das
Verhalten beim Essen oder bei der Einhaltung von Terminen. Je nachdem, ob das zeitliche Verhalten mit
Persönlichkeitsmerkmalen oder dem Verhalten in bestimmten Situationen abgefragt wird, kommt eher der
dispositive oder der situative Ansatz zum Tragen. Allerdings vermischen sich insofern die Ansätze, dass sich
zum Beispiel die Eigenschaften einer Person auch bei deren Verhalten widerspiegeln. Wenn sich eine Person als
fleißig und wettbewerbsorientiert bezeichnet, so wird sie beim Warten ein anderes Verhalten zeigen als eine
entspannte, gelassene Person. Man kann folglich das Verhalten einer Person in einer bestimmten Situation nicht
trennen von der Persönlichkeit der Person.
Friedman und Rosenman (1959) nahmen eine Untersuchung über herzinfarktgefährdete Personen mit dem
Jenkins Activity Survey als Testfragebogen vor und unterschieden dabei den schnellen, ungeduldigen Typ A
und den langsameren, geduldigeren Typ B. Der innere Zeitdruck wurde anhand einer Schnelligkeits- und
Ungeduldsskala gemessen.
Price (1982b) analysierte die Typ-A-Merkmale und stellte fest, dass folgende Merkmale am häufigsten genannt
wurden: Wettbewerbsstreben, Zeitdruck-Erleben, Aggressivität, Erfolgsstreben, Leistungsorientiertheit,
Termindruck, berufliches Karrierestreben, Geschwindigkeitsorientiertheit und Ungeduld. Price versuchte diese
Verhaltensmerkmale in ein Modell des sozialen Lernens einzubinden. Es wurde eine Beziehung der
Sozialisationsbedingungen des Typ-A-Verhaltens zum kapitalistischen Wohlstandsstreben und zum
Leistungsstreben, das auch die protestantische Ethik vertritt, hergestellt (vgl. Weber, M., 1905) .
Man könnte Menschen mit Typ-A-Verhalten als Persönlichkeiten mit einem labilen Selbstwerterleben
darstellen, die in einer Leistungsgesellschaft aufwächst, deren Erziehung auf einen hohen Leistungsstandard
und einen späteren beruflichen Erfolg abzielt. Mit perfektionistischer Genauigkeit versuchen die Typ-A-
Personen die hoch gesteckten Ziele zu erreichen. J. Siegrist (1996) erkennt eine hohe Leistungsmotivation,
beruflichen Ehrgeiz und einen ständigen Zwang zur Kontrolle.
Unsere Befragung der Testpersonen erfolgte mit einer deutschen Version und einer russischen Übersetzung der
Form C des Jenkins Activity Survey (JAS). Zunächst wurde der englischsprachige Fragebogen von mir in die
deutsche Sprache übersetzt. Bei Studentenseminaren wurde der Fragebogen ausgeteilt und nachgefragt, ob die
Fragen verständlich und die Antwortmöglichkeiten ausreichend waren. Der JAS fand zwar schon oft
Anwendung bei empirischen Untersuchungen in der Vergangenheit, allerdings musste die deutsche
Übersetzung, die auch einige für die Studenten abgeänderte Fragen bezüglich des Arbeitens und des
Arbeitserfolgs beinhaltete, erneut nach ihrer Verständlichkeit abgeprüft werden.
Schon Glass (1977) hat den Jenkins Activity Survey, auch unter dem Begriff TABP (Type A and B Patterns)
bekannt, zur Auswertung bei Studenten genutzt. Er ließ dabei Fragen zu rein arbeitsbezogenen Tätigkeiten weg.
Bei dieser Studie wurden alle Fragen des ursprünglichen JAS so umformuliert, dass keine Fragen des originären
Form-C-Bogens wegfielen, aber die Fragen in Einzelfällen auf studentische Tätigkeiten umgeschrieben wurden.
So wurde aus dem Item 36, der Frage, ob man bei der Arbeit in den letzten drei Jahren weiterkam, die Frage, ob
man im Studium vorwärts gekommen ist. Bei Item 37 wurde gefragt, wie oft man abends und an Wochenenden
Studienarbeiten verrichtet. Item 38 wurde so umformuliert, dass man nicht mehr fragte, wie oft die Person am
Arbeitsplatz ist, ohne dass man dies erwartet (abends oder an Wochenenden), vielmehr wurde gefragt, wie oft
sie zu solchen Zeiten am Studienplatz ist.
Der Fragebogen wurde bei Seminaren des Lehrgebiets an die Studenten verteilt, und eine positive Resonanz und
die Rückgabe mehrheitlich komplett ausgefüllter Fragebögen ließen darauf schließen, dass der Fragebogen
verständlich und bearbeitbar war. Daraufhin wurde der Fragebogen auch auf der Homepage des Lehrgebiets für
Sozialpsychologie veröffentlicht und zur Beantwortung der Fragen aufgerufen.
Dieselben Erfahrungen wurden mit dem russischsprachigen Fragebogen, mit dem ca. 50 Testpersonen in der
Pilotphase an der Universität Charkow befragt wurden, gemacht. Dankenswerter Weise übernahm eine
Professorin der Universität Charkow die Übersetzung des Fragebogens und führte mit ihren Studenten auch die
ersten Befragungen durch. Auch dieser Pretest verlief zufriedenstellend. Die ostukrainischen Fragebögen kamen
hauptsächlich aus Charkow, Poltawa und Odessa, während die westukrainischen Fragebögen vor allem aus
Kiew stammten.
Das zeitliche Verhalten wird beim JAS mit einer verhaltensbezogenen Skalierung gemessen (BARS =
Behaviorally Anchored Rating Scale). Es handelt sich dabei nicht um eine gleichmäßige ordinale Skalierung,
sondern um jeweils zwei bis acht Antwortmöglichkeiten, die individuell zur Frage gebildet werden. Die
unterschiedlichen Antwortkategorien entsprechen keiner Likert-Skala. Dennoch wird im Folgenden unterstellt,
dass die Merkmale einer Ordinalskala entsprechen. Jede Fragestellung weist die Tendenz auf, dass die
Testpersonen mehr oder weniger dem Zeitdruck zu unterliegen, mehr oder weniger fleißig und
wettbewerbsorientiert sind, schneller oder langsamer essen. So können später auch Tests vorgenommen werden,
die eine Ordinalskala als Voraussetzung haben. Durch das spätere Verwenden von Faktoren für die
Auswertungen des zeitlichen Verhaltens konnten Tests verwendet werden, die eigentlich eine
Intervallskalierung benötigten.
Bei unserer Studie wurden zu den 52 Fragen des JAS zum zeitlichen Verhalten noch fünf weitere Fragen
aufgenommen, die das soziokulturelle Umfeld abfragen, in dem die Befragten aufgewachsen sind und heute
leben (Frage 53 bis 57). Es wurde nach der Größe der Stadt gefragt, in der jemand aufwuchs und in der er heute
lebt, nach der Industrialisierung, dem Wohlstand und der Gesellschaftsform des Landes.
7.3 Die Stichprobe
Für die Durchführung der statistischen Auswertungsverfahren wird die untersuchte Anzahl der Testpersonen
pro Gruppe (west- und ostdeutsche Studenten und west- und ostukrainische Studenten) größer oder nur
unwesentlich kleiner als n = 50 sein. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass es sich bei der Stichprobe um
eine Zufallsstichprobe handelt, die Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit zulässt. Jeder Fall muss folglich die
gleiche Chance haben, in die Stichprobe aufgenommen zu werden. Dadurch, dass z.B. mehr Frauen statt
Männer bei den deutschen Studenten befragt wurden und die deutschen Studenten, meist Fernstudenten,
grundsätzlich ein höheres Alter aufwiesen, als die ukrainischen Studenten, kann es jedoch zu Verzerrungen
kommen (siehe 7.3.2).
Aufgrund unserer vorangegangenen Überlegungen (vgl. Kap. 5) gehen wir davon aus, dass es sich um vier
Gruppierungen von Testpersonen bei dieser Untersuchung handelt. Dies sind die (1) Studenten aus dem
westdeutschen Raum, (2) aus dem ostdeutschen Raum und die Studenten (3) aus der Westukraine und (4) der
Ostukraine. Befragte Studenten aus Westdeutschland, Österreich und der Schweiz werden dabei zur
Vereinfachung der Auswertungen dem westdeutschen Raum, die befragten Studenten aus den neuen
Bundesländern werden dem ostdeutschen Raum zugeordnet. Die Studenten der Universität Kiew werden der
Westukraine zugeschrieben und die Studenten der Universität Charkow, Poltawa und Odessa der Ostukraine.
7.3.1 Die Länderzugehörigkeit der Testpersonen
Die nachfolgende Häufigkeitstabelle zeigt, dass die meisten der befragten Studenten aus Westdeutschland und
Ostdeutschland sind. 40,2 Prozent der befragten Studenten sind aus Westdeutschland (inkl. Österreich,
Schweiz), 41,9 Prozent sind aus der Ostukraine. Nur 10,1 Prozent der befragten Studenten sind aus der
Westukraine und 7,8 Prozent aus Ostdeutschland. Die unterschiedliche Zahl der Studenten, die aus den
einzelnen Ländergruppen eingeflossen ist, konnte z.B. beim Duncan-Test durch das Verwenden eines
harmonischen Mittels der Gruppengrößen ausgeglichen werden. Auch die anderen angewandten Tests (z.B.
ANOVA-Test, Häufigkeitsanalyse von Typ A und Typ B, Regressionsanalyse) sind so konzipiert, dass die
unterschiedliche Anzahl der Befragten in den einzelnen Ländergruppen keine Auswirkung auf die Aussage des
Testergebnisses hat.
Tab. 1: Die Länderzugehörigkeit der Testpersonen:
Häufigkeit Prozent Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
Westdeutschland, Österreich, Schweiz 236 40,2 40,2 40,2
Ostdeutschland 46 7,8 7,8 48,0 Westukraine 59 10,1 10,1 58,1 Ostukraine 246 41,9 41,9 100,0
Gültig
Gesamt 587 100,0 100,0
Abb. 9: Kreisdiagramm: Länderzugehörigkeit der Testpersonen
Das Diagramm zeigt die Anzahl der in den einzelnen Ländern befragten Studenten. Der deutsche Fragebogen
war auf der Homepage der Fakultät Psychologie der sozialen Prozesse der Fernuniversität Hagen anwählbar.
Weiterhin wurde er bei Seminaren des Lehrgebiets verteilt. Allerdings wurden auch Studenten anderer
Universitäten und Fakultäten über Newsgroups des Internets zur Teilnahme an der Fragebogenaktion motiviert.
Insgesamt konnten mehr westdeutsche als ostdeutsche Studenten angesprochen werden. Durch die
Zusammenarbeit des Lehrgebiets mit der Universität in Charkow und Poltawa konnten mehr ostukrainische
Studenten zur Teilnahme aufgerufen werden als westukrainische, die hauptsächlich aus Kiew, das ja eigentlich
in der Landesmitte liegt, stammten. Laut Aussagen von Landeskennern ist eine Einordnung von Kiew zur
Westukraine sinnvoll. Es konnte zwar keine gleiche Anzahl von befragten Studenten aus allen Ländergruppen
erreicht werden, die Mindestanzahl von 50 befragten Studenten wurde (außer in Ostdeutschland, n = 46) aber
immer erreicht.
7.3.2 Altersstruktur und Geschlecht der Testpersonen Die zwei größten Gruppen stellen die Jahrgänge bis 20 Jahre (32,5 Prozent) und die Jahrgänge zwischen 20 und
30 Jahren (36,8 Prozent) dar. Es ist aufgrund der Tatsache, dass Studenten befragt wurden, leicht zu erklären,
dass die Altersstruktur der Testpersonen des Datenpools vorwiegend jung ist. Allerdings sind auch 17,5 Prozent
der befragten Studenten zwischen 31 und 40 Jahre, und immerhin 11,4 Prozent sind zwischen 41 und 50 Jahre.
Eine kleine Minderheit von 1,7 Prozent ist bereits über 50 Jahre.
Tab. 2: Altersstruktur der Testpersonen:
Häufigkeit Prozent Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
bis 20 Jahre 191 32,5 32,5 32,5 21- 30 Jahre 216 36,8 36,8 69,3 31- 40 Jahre 103 17,5 17,5 86,9 41- 50 Jahre 67 11,4 11,4 98,3 über 50 Jahre 10 1,7 1,7 100,0
Gültig
Gesamt 587 100,0 100,0
Abb. 10: Balkendiagramm: Alter der Testpersonen
Tab. 3: Kreuztabelle der Testpersonen, geordnet nach Länderzugehörigkeit und Alter:
Altersgruppen Gesamt
bis 20
Jahre 21- 30 Jahre
31- 40 Jahre
41- 50 Jahre
über 50 Jahre
Länder Westdeutschland, Österreich, Schweiz
2 89 77 60 8 236
Ostdeutschland 6 21 14 5 0 46 Westukraine 50 9 0 0 0 59 Ostukraine 133 97 12 2 2 246
Gesamt 191 216 103 67 10 587
Abb. 11: Balkendiagramm: Alter der Testpersonen und Länderzugehörigkeit
Evident ist die sehr starke Altersgruppe „bis 20 Jahre“ in der Ukraine. Die Altersgruppe zwischen 21 und 30
Jahren ist in der Ostukraine ebenfalls sehr stark vertreten. Diese Gruppe ist anteilsmäßig auch stark in West-
und Ostdeutschland. Der Hintergrund: Aufgrund der Veröffentlichung des deutschen Fragebogens auf der
Internetseite des Lehrgebiets nahmen sehr viele Fernstudenten an der Befragung teil. Dies erklärt den hohen
Anteil älterer Studenten (über 30 Jahre) bei den deutschsprachigen Ländergruppen, da Fernstudenten oft älter
sind.
Tab. 4: Häufigkeit der Testpersonen nach Geschlecht
Häufigkeit Prozent Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
weiblich 436 74,3 74,3 74,3 männlich 151 25,7 25,7 100,0
Gültig
Gesamt 587 100,0 100,0 Bei der Betrachtung der männlichen und weiblichen Studenten aller Ländergruppen, sehen wir einen großen
„Frauenüberschuss“. Dies ist wohl dadurch erklärbar, dass hauptsächlich Studentinnen und Studenten der
Fachbereiche Soziale Verhaltenswissenschaften und Erziehungswissenschaften befragt wurden, bei denen in
der Regel mehr Frauen als Männer eingeschrieben sind. Insgesamt wurden 436 Studentinnen und nur 151
Studenten befragt. Der Frauenanteil liegt insgesamt bei 74,3 Prozent.
Die folgende Kreuztabelle zeigt die Anzahl der befragten Studenten/innen nach Ländergruppen und Geschlecht:
Tab.5: Kreuztabelle der Testpersonen, geordnet nach Länderzugehörigkeit und Geschlecht
Geschlecht Gesamt weiblich männlich Ländercode Westdeutschland,
Österreich, Schweiz 177 59 236
Ostdeutschland 37 9 46 Westukraine 45 14 59 Ostukraine 177 69 246 Gesamt 436 151 587
Abb. 12: Balkendiagramm: Geschlecht der Testpersonen und Länderzugehörigkeit
Auffällig ist, dass bei allen Ländergruppen die Frauen in der Mehrzahl sind. Es kann einen Einfluss auf das
Ergebnis der Studie haben, dass mehr Frauen als Männer befragt wurden. Frauen verhalten sich in vielen
Bereichen anders als Männer. Sie haben eine andere Form der Sozialisierung durchlaufen und sind oft von
Rollenbildern, wie z.B. die selbstlose, sanfte und fürsorgliche Ehefrau oder die aufopfernde Mutter geprägt.
Da wir bei unserer Studie jedoch ausschließlich Studentinnen befragten, können wir davon ausgehen, dass viele
der befragten Frauen ein eher emanzipiertes Weltbild haben und nicht so stark von traditionellen Rollenbildern
beeinflusst sind wie vielleicht andere Bildungsschichten. Eine Frau, die ein Studium erfolgreich beenden
möchte, muss sich der Konkurrenz der männlichen Kollegen stellen und wird ihr Verhalten darauf ausrichten.
7.3.3 Die Herkunft und der aktuelle Wohnort der Testpersonen
Die regionale Herkunft der befragten Testpersonen wird in den folgenden Diagrammen dargestellt. Dabei zeigt
sich, wie viele der befragten Personen in einem Dorf oder in ländlicher Umgebung aufwuchsen, wie viele in
einer Kleinstadt und wie viele in einer Großstadt lebten.
Abb. 13: Balkendiagramm: Regionale Herkunft der Testpersonen
Abb. 14: Balkendiagramm: Aktueller Wohnsitz der Testpersonen
Die Studenten aus Westdeutschland wuchsen vorwiegend in Kleinstädten und Vororten auf. Die meisten
westdeutschen Studenten leben auch heute noch dort, allerdings wohnen jetzt mehr Studenten in der Großstadt
als auf dem Land. In Ostdeutschland wuchsen ebenfalls die meisten Studenten in Vororten und Kleinstädten
auf. Heute leben die meisten in einer Großstadt. Die ukrainischen Studenten wuchsen meist in Großstädten auf,
und die überwiegende Mehrheit lebt auch heute in einer Großstadt.
7.3.4 Industrialisierung und Wohlstand der einzelnen Ländergruppen
Weiterhin betrachten wir die Stichprobe unter dem Aspekt der Industrialisierung der Ländergruppen.
. Abb. 15: Balkendiagramm: Industrialisierung des Heimatlandes
Das Balkendiagramm sagt aus, dass die deutschsprachigen Studenten ihre Heimatregionen überwiegend als
industrialisiert bezeichnen, während sich viele Studenten aus der Ukraine erst auf dem Weg zur
Industriegesellschaft sehen. Es fällt auf, dass die meisten der ostukrainischen Befragten angeben, ihr
Heimatland sei noch sehr wenig industrialisiert oder erst auf dem Weg zur Industriegesellschaft.
Abb. 16: Balkendiagramm: Wohlstand des Heimatlandes
Ein Großteil der Testpersonen aus dem deutschsprachigen Raum bezeichnet das Heimatland als wohlhabend.
Hier gibt es keinen Unterschied zwischen Ost und West. Die meisten ukrainischen Testpersonen nehmen ihr
Land als weder arm, noch reich wahr, wenige betrachten es als wohlhabend. Viele sagen aus, in einem eher
armen Land zu leben.
7.3.5 Individualistische und kollektivistische Gesellschaftsformen
Die Studenten wurden befragt, ob man eigenverantwortlich lebt und ob jeder für sich arbeitet (individualistische
Gesellschaft) oder ob das Wohl aller im Vordergrund steht und man sich gegenseitig unterstützt
(kollektivistische Gesellschaft).
Abb. 17: Balkendiagramm: Individualistische und kollektivistische Gesellschaftsformen
In den meisten Fällen gaben die Studenten an, dass es vor allem auf die jeweilige Situation bzw. Umgebung
ankommt, in der man sich befindet, ob man sich gegenseitig hilft oder ob man alleine zurechtkommen muss.
Nur wenige ostukrainische Studenten fühlen sich dem Allgemeinwohl verpflichtet. Eine große Zahl aller
Studenten sehen sich eher als „Einzelkämpfer“.
7.3.6 Besonderheiten der Stichprobe
Über die Fragebogenverteilungen bei Seminaren und durch die Veröffentlichung eines Online-Frage-bogens auf
der Homepage des Lehrgebiets Sozialpsychologie der FernUniversität in Hagen wurden hauptsächlich
Studenten aus dem Fachgebiet der Sozialpsychologie angesprochen. Auch in der Ukraine wurden die
Fragebögen hauptsächlich an den Fakultäten Psychologie und Erziehungswissenschaften verteilt. Deshalb kann
man davon ausgehen, dass die Befragung der Studenten auf wenige Fakultäten begrenzt war. Es können keine
Feststellungen darüber getroffen werden, ob nicht die Untersuchung von Studierenden anderer Fakultäten, z.B.
Ingenieurs- oder Wirtschaftswissenschaften, ein ganz anderes Bild geboten hätte.
Es wurden fast sechsmal so viele Studenten aus Westdeutschland und der Ostukraine befragt werden, als
Studenten aus Ostdeutschland und der Westukraine. Weiterhin antworteten sehr viel mehr Frauen als Männer.
Dies liegt daran, dass in den Fakultäten Erziehungswissenschaften und Psychologie traditionell ein
Frauenüberschuss herrscht. 75 Prozent der Befragten sind Frauen, nur ein Viertel sind Männer. Der
Frauenüberschuss wird bei allen befragten Ländergruppen deutlich. Auch dieser Umstand ist später bei den
Auswertungen zu beachten.
Die Besonderheit, dass bei den deutschen Studierenden hauptsächlich Fernstudenten befragt wurden, deutet
darauf hin, dass neben dem Studium auch ein Beruf ausgeübt wird bzw. ein eigener Haushalt zu führen ist. Die
befragten Fernstudenten sind im Durchschnitt älter als ihre Kommilitonen aus der Ukraine.
Die Größe der Stadt, in der jemand lebt, kann den Lebensstil des Menschen beeinflussen. Es wurde von der
Hektik der Großstadt berichtet und von einem eher gemächlichen Landleben. Die Anzahl der Testpersonen, die
in einer ländlichen Umgebung aufwuchsen, ist insgesamt höher, als die Anzahl der Testpersonen, die heute
noch in einer ländlichen Umgebung leben. Vor allem bei den Testpersonen der Ukraine ist dies deutlich zu
sehen. Dies ist dadurch zu erklären, dass die Studenten der Ukraine in der Regel in der Nähe ihrer Universitäten
in den Großstädten Kiew, Charkow, Poltawa und Odessa wohnen. Viele der Befragten wuchsen auf dem Land
oder in Klein- und Vorstädten auf, ziehen aber zu Studienzwecken eine Unterkunft in der Großstadt vor. Bei
den deutschsprachigen Studenten ist diese Tendenz nicht so klar erkennbar. Das kann daran liegen, dass die
Testpersonen zu einem Großteil Fernstudenten sind. Vielleicht spiegelt sich hier auch die Tatsache wider, dass
in Deutschland nur noch sehr wenige Menschen zentral in einer Großstadt wohnen. Viele sind Pendler, die
abends wieder aus den Städten in die Vororte und nahen Kleinstädte zurückkehren.
Als nächsten Punkt konnten wir sehen, dass der Grad der Industrialisierung bei den verschiedenen
Ländergruppen sehr unterschiedlich gesehen wurde. Während eine überwiegende Mehrheit der deutschen
Studenten ihr Land als industrialisiert beschreibt, sehen sich die meisten ukrainischen Studenten noch auf dem
Weg zu einer Industriegesellschaft. Wenige ukrainische Studenten sehen ihr Land bereits als industrialisiert an.
Einige gaben sogar an, ihr Land sei nur sehr wenig industrialisiert.
Aus diesen Aussagen kann man nachvollziehen, was auch Wirtschafts- und Reiseberichte durch die Ukraine
aussagen: Die Ukraine ist ein Land, das sich momentan in einem Aufbauprozess zur modernen
Industriegesellschaft befindet. Dies wird auch an den Aussagen zum Wohlstand des Landes erkenntlich. Die
überwiegende Mehrheit der deutschen Studenten sagte aus, in einem wohlhabenden Land zu leben. Die
Mehrheit der ukrainischen Studenten gab an, in einem Land zu leben, das weder arm, noch wohlhabend ist, und
ein nicht zu vernachlässigender Anteil sagte sogar aus, in einem eher armen Land zu leben. Dies entspricht
durchaus den amtlichen Zahlen zum Bruttosozialprodukt in Deutschland und der Ukraine: Die Ukraine hat nach
wie vor ein wesentlich geringeres Bruttoinlandsprodukt als Deutschland. Während das nominale
Bruttoinlandsprodukt 2005 in Deutschland nach statistischen Schätzungen 2.906.658 Millionen Euro betrug,
waren es in der Ukraine lediglich 82.693 Millionen Euro. Deutschland landete auf den vorderen Rängen und
belegte Platz 3 nach den USA und Japan, während sich die Ukraine erst an 52. Stelle platzierte. (vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der Länder_nach_Bruttoinlandsprodukt).
Nur einige Befragten aus der Ostukraine gaben an, dass das Wohl aller im Vordergrund steht und man sich
gegenseitig Hilfe anbietet. Dies erinnert uns daran, dass es vor allem in der Ostukraine noch Anhänger der alten
sozialistischen Ordnung geben soll. In Deutschland und im Westen der Ukraine wird eher ein westlich-
kapitalistischer Lebensstil angestrebt. Immerhin die Hälfte der befragten Studenten aus der Ukraine sehen sich
in einer individualistischen Gesellschaftsform beheimatet, wo jeder für sich allein arbeitet und für sich selbst
verantwortlich ist. Auch die deutschen Studenten sehen sich in einer individualistischen Gesellschaftsstruktur,
in der jeder selbst „seines Glückes Schmied“ ist. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und kümmert sich wenig
um die anderen. Bei einer kollektivistischen Gesellschaft legt man mehr Wert auf das Allgemeinwohl. Man
fühlt sich füreinander verantwortlich, und die Stärkeren bieten den Schwächeren Hilfe an. Bei dieser
Gesellschaftsform „kommt niemand unter die Räder“.
Individualism pertains to societies in which the ties between individuals are loose: everyone is expected
to look after himself or herself and his or her immediate family. Collectivism as its opposite
pertains to societies in which people from birth onwards are integrated to strong, cohesive
ingroups, which throughout people´s lifetime continue to protect them in exchange for
unquestioning loyality” (Hofstede, 1991, S. 51)
Schon das Kind erlebt die „Wir“-Zugehörigkeit in der Familie. Im Laufe des Lebens kommen noch andere
Personengruppen dazu, die für das Individuum wichtig sind. Kollektivistische Gesellschaftsstrukturen zeichnen
sich durch einen engen Verbund der Familie oder von anderen Gruppen, z.B. durch die Arbeitsgruppen in
sozialistischen Gesellschaften, aus. Anders leben die Menschen einer individualistischen Gesellschaftsform
hauptsächlich in Kleinfamilien (nuclear family) oder kleineren Freundeskreisen. Sie entwickeln vor allem das
„Ich“ als eigene Identität und richten sich nach persönlichen Wertvorstellungen und Zielen. In einer
kollektivistischen Gesellschaft wird das Verhalten des Einzelnen eher nach den Ansprüchen der Gruppe
ausgerichtet.
Insgesamt gibt es keine großen Unterschiede in punkto Individualismus zwischen Deutschland und der Ukraine
gibt. Den Aussagen der Studenten nach zu urteilen, herrscht inzwischen nicht nur im schon seit Jahrzehnten
kapitalistisch geprägten Westen Deutschlands ein hoher Grad an Eigenverantwortung und Individualismus vor.
Auch in den ehemalig sozialistisch regierten Bundesländern Ostdeutschlands und in der ehemals sozialistischen
Ukraine scheinen bei vielen jungen Leuten individualistische Lebenseinstellungen vor kollektivistischen Zielen
zu stehen. Lediglich in der Ostukraine behauptet ein kleiner Teil der Befragten, das Allgemeinwohl ginge vor.
Unterschiede bei den Ländergruppen West- und Ostdeutschland und West- und Ostukraine sind eher beim Grad
der Industrialisierung und dem Wohlstand erkennbar. Die jahrelange sozialistische Gesellschaftsordnung in der
Ukraine und die geschlossenen Grenzen zum Westen hatten Auswirkungen auf den Grad der Industrialisierung
und den Wohlstand der Bürger.
7.4 Die statistischen Auswertungsverfahren
7.4.1 Die Merkmale des Jenkins Activity Survey
Kritik an der Verwendung nur eines Fragebogens übten Edwards, Baglioni & Cooper (1990). Sie
veröffentlichten eine Studie, die die drei geläufigen Fragebögen zur Messung der TABP (Type A Behavior
Patterns) untersuchten: den JAS (Jenkins Activity Survey), die Framingham Scale und die Bortner Scale. Dabei
untersuchten sie die Fragebögen nach ihrer Aussagekraft für die Messung des Typ-A-Verhaltens anhand einer
Stichprobe von 352 kaufmännischen Angestellten. Das Resultat war die Feststellung, dass keiner der
Fragebögen als geeignetes Messinstrument dienen kann. Sie begründeten ihre Kritik damit, dass die Messungen
unterschiedliche Konstrukte zugrundelegten, was ein universelles TABP-Syndrom in Zweifel ziehen würde.
Weiterhin enthält nach Auffassung von Edwards, Baglioni & Cooper (1990) jedes Messinstrument zu viele
Messfehlerquellen, und die Multidimensionalität in den Konstrukten würde verschleiert.
Sie schlugen vor, dass die Verwendung nur eines Fragebogens nicht angemessen sei. Man solle neue Items
entwickeln: „to develop items that convincingly represent the domain specified by these definitions, combine
these items to form unidimensional measures, and test these measures for internal consistency, external
consistency, and construct valibility” (Edwards, Baglioni & Cooper, 1990, S. 452). Bei einer späteren
Untersuchung von Landy, Rastegary, Thayer & Colvin (1991) kam ein Fragebogen zum Einsatz, der Items von
vier bekannten Fragebögen (Thurstone Activity Scale, Jenkins Activity Survey, Framingham scale und Bortner
scale) einschloss:
„In an attempt to impose some uniformity on the response scales associated with each of these
instruments, we developed a Likert-type format to accompany each of the questions from
the four scales (Thurstone, JAS, Framingham and Bortner). Thus, a new scale was
developed. Although the four scales from which the current scale was developed total to
well over 100 items, many of the items are direct duplications. These duplications were
omitted, yielding 65 unique items. The resulting scale was completed by 190
undergraduate psycho-logy students, and the response were subjected to a principal
components analysis with both orthogonal and oblique rotations” (Landy, Rastegary,
Thayer & Colvin, 1991, S. 646).
Ein weiterer Testfragebogen, der zur Untersuchung des zeitlichen Verhaltens von Personen genommen werden
kann, ist der TUPA-Scale Fragebogen von Wright, McCurdy und Rogoll, 1992, der die ständige Aktivierung
der Testpersonen untersucht. TU/PA steht für „time urgency“ und „perpetual activation“. Bei dieser Studie
sollte untersucht werden, ob ein Zusammenhang zwischen dem Zeitdruck besteht, unter dem ein Mensch steht,
und dem Krankheitsbild des chronischen Bluthochdrucks (CHD = Coronary Heart Disease). Diese Hypothese
hatte bereits Price (1982) aufgestellt. Dazu wurden insgesamt 72 Items aufgestellt, die die Komponenten „time
urgency“ und „perpetual activation“ abfragen.
Trotz aller berechtigten Kritik am Jenkins Activity Survey und dem Vorhandensein neuerer
Fragebogenkonstrukte werden bei dieser Untersuchung 52 Fragen des JAS verwendet, da dieser Fragebogen
bereits bei vielen Untersuchungen, u.a. auch bei Befragungen von Studenten Anwendung fand und die Items bei
Vorstudien bereits auf ihre Aussagekraft und Reliabilität überprüft wurden. Der JAS deckt viele Fragen ab, die
uns Auskunft über die Person in den verschiedenen Lebensbereichen geben können. Bei Vorstudien anderer
Forscher zeigten sich bereits Hintergrundvariablen, die Itembündeln des JAS zuzuordnen sind. Zunächst soll
herausgefunden werden, ob ähnliche Faktoren auch bei dieser Studie auffindbar sind.
7.4.2 Dimensionen des zeitlichen Verhaltens
7.4.2.1 Vorstudien zum Jenkins Activity Survey
Drei Faktoren konnten bereits bei Vorstudien gefunden werden: „Geschwindigkeit und Ungeduld“,
„Eingebundenheit in die Arbeit“ und „Fleiß und Konkurrenzfähigkeit“ (Jenkins, Zyzanski und Rosenman, 1979,
S. 19).
Bei einer späteren Studie von Glass (1977) wurde der JAS umgeschrieben für die Untersuchung von Studenten.
Glass nahm Items heraus, die nach dem Arbeitsverhalten im Beruf fragten. Das Ergebnis der Befragung von
Studenten mit der „Studentenversion“ des JAS brachte nur noch die zwei Faktoren „Schnelligkeit und
Ungeduld“ und „Fleiß und Konkurrenzfähigkeit“ zum Vorschein. Der Faktor „Eingebundenheit in die Arbeit“
fiel weg, weil auch die arbeitsbezogenen Items beim Fragebogen fehlten.
Faktor S: Geschwindigkeit und Ungeduld:
Item 01: Schwierigkeiten, Zeit zu finden, die Haare schneiden oder stylen zu lassen. Item 06: Schnelleres Essen als die meisten anderen Leute Item 09: Man drängt andere dazu, schnell auf den Punkt zu kommen. Item 14: Man weigert sich, Schlange zu stehen. Item 22: Man ist leicht reizbar. Item 25: Als Jüngerer hatte man ein hitziges, schwer kontrollierbares Temperament.
Faktor J: Eingebundenheit in die Arbeit:
Item 03: Jeder Tag ist angefüllt mit Herausforderungen, denen man sich stellen muss. Item 32: Man hat regelmäßig zwei Aufgaben, die man voranbringen muss. Item 34: Man möchte eine Beförderung, um besser zu verdienen. Item 37: Man nimmt oft Arbeit abends mit nach Hause. Item 49: Die heutige Arbeit genießt mehr Ansehen, als die Arbeit vor 10 Jahren. Item 50: Man hatte einige unterschiedliche Stellen in den letzten Jahren inne. Item 51: Man hat einen weiterführenden Schulabschluss.
Faktor H: Fleiß und Konkurrenzfähigkeit:
Item 16: Als man jünger war, war man fleißig und konkurrenzfähig Item 20: Man nimmt seine Arbeit zu ernst. Item 42: Man bemüht sich mehr, als der Durchschnittswerktätige. Item 43: Man erachtet sich als mehr verantwortlich als der Durchschnittswerktätige. Item 45: Man erachtet sich als sehr viel gewissenhafter als der Durchschnittswerktätige.
(vgl. Jenkins, Zyzanski und Rosenman, 1979, S. 19)
Wenn wir mit den Daten unserer interkulturellen Studie die 18 oben genannten Items einer konfirmatorischen
Faktorenanalyse nach drei Faktoren (Hauptkomponentenanalyse; Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-
Normalisierung) unterziehen, so ergibt sich eine etwas andere Konstellation der Items (siehe Anhang 2):
Zwar ist der dritte Faktor: Fleiß und Konkurrenzfähigkeit noch ersichtlich, jedoch kann Item 16 diesem Faktor
aufgrund zu geringer Faktorladung nicht mehr eindeutig zugeordnet werden. Folgende Items weisen im ersten
Faktor hohen Ladungen auf:
Item 42: Insgesamt strenge ich mich mehr an als andere. Item 43: Ich trage mehr Verantwortung als andere. Item 20: Nehmen Sie Ihr Studium zu ernst? Item 45: Ich bin genauer als andere.
Der erste Faktor Geschwindigkeit und Ungeduld und der zweite Faktor Eingebundenheit in die Arbeit sind nun
vermischt:
Faktor 2:
Item 22: Sind Sie leicht reizbar? Item 25: Wie war Ihr Temperament früher? Item 09: Mahnen, auf den Punkt zu kommen. Item 14: Warten in der Schlange. Item 06: Schnelligkeit beim Essen.
Faktor 3:
Item 32: Hin- und Herspringen zwischen zwei Tätigkeiten. Item 01: Keine Zeit für den Friseur. Item 37: Studienarbeiten abends oder nachts. Item 50: Anzahl der Veränderungen in den Tätigkeiten. Item 03: Umgang mit Alltagproblemen.
Das Item, ob man eher ein besseres Gehalt oder eine Beförderung vorziehe (Item 34), das Item 49 „Mehr
Ansehen/höherer Status“ und das Item 51 „Ausbildungsgrad“ können nicht mehr eindeutig zugeordnet werden.
Weiterhin wird beim Ausdrucken der erklärten Gesamtvarianz ersichtlich, dass bei der Eingabe und
Auswertung dieser 18 Items sieben Eigenwerte über dem Wert 1 sind. Dies deutet auf das Vorhandensein von
sieben Faktoren hin. Wenn man nun eine konfirmatorische Faktorenanalyse mit der Vorgabe von sieben
Faktoren mit diesen 18 Items durchführt, ergibt dies keine eindeutige Zuordnung der Items zu den einzelnen
Faktoren. Deshalb überprüfen wir weitere Vorstudien, um plausible Faktoren mit hoher Faktorladung zu finden.
Edwards, Baglioni und Cooper (1990) untersuchten die verschiedenen Fragebögen, die zur Messung des Typ-
A- oder Typ-B-Verhaltens verwendet wurden (den Framington-Fragebogen, den Bortner-Fragebogen und den
Jenkins Activity Survey). Sie befragten 352 Angestellte aus der Wirtschaft und stellten nach psychometrischen
Untersuchungen fest, dass keiner der drei Fragebögen für sich allein geeignet ist, das zeitliche Verhalten der
Testpersonen vollständig zu beurteilen und diese den Typen A und B zuzuordnen. Bei den Auswertungen von
drei Fragebögen kristallisierten sich sieben Faktoren heraus (vgl. Edwards, Baglioni und Cooper, 1990):
1. Faktor: General Speed (allgemeine Geschwindigkeit, Tempo) 2. Faktor: Doing many things at once (viele Dinge auf einmal tun) 3. Faktor: Eating fast (Essverhalten) 4. Faktor: Putting words in the mouth of others („dem anderen Worte in den Mund legen“) 5. Faktor: Impatience (Ungeduld) 6. Faktor: Punctuality (Pünktlichkeit) 7. Faktor: Time Pressure (Zeitdruck)
Edwards schlug vor, einen Fragebogen zu konstruieren, der der Multidimensionalität des „TABP-Syn-droms“
besser entspricht. Landy, Rastegary, Thayer & Colvin (1991) versuchten, auf diese Forderungen Edwards
einzugehen. Sie setzten aus den Items des Bortner Scale (B), Framington Scale (F), JAS (J) und Thurstone Scale
(T) einen einzigen Fragebogen zusammen. Die vier Fragebögen waren unterschiedlich aufgebaut: Während der
Framingham-Fragebogen zwei oder vier Alternativen als Antwort zeigt, weist der Thurstone-Fragebogen drei
Alternativen und der Bortner-Fragebogen fünf Alternativen auf. Der JAS (Form C) zeigt zwei bis acht
Antwortmöglichkeiten, wobei diese variieren.
Die Antwortmöglichkeiten dieser vier Fragebögen waren ursprünglich nicht einheitlich. Nun sollten die
entnommenen Items mit einer BARS (Behaviorally Anchored Rating Scale) gemessen werden. Diese Technik
wurde erstmals 1963 entwickelt, um Dimensionen der Motivation zu messen (siehe Landy & Guion, 1970). Die
Skalierung der vier Fragebögen wurde nun einheitlich gestaltet. Die neue Likert-Skalierung zeigte sieben
Ausprägungsmöglichkeiten und wurde für 100 Items aus den vorher genannten Fragebögen eingesetzt. Bei
einem Test mit 190 befragten Psychologiestudenten wurde eine Faktoren-analyse mit orthogonalen
schiefwinkligen Rotationen vorgenommen. Dabei zeigte sich ein Faktor: „Konkurrenzfähigkeit“. Es erschienen
noch einige andere Faktoren. Insgesamt fünf Faktoren des zeitlichen Verhaltens wurden gefunden (vgl. Landy,
Rastegary, Thayer & Colvin, 1991, S. 647):
1. Competitiveness (Konkurrenzfähigkeit)
1.1. Go all out (B) 1.2. Need to excel (F) 1.3. Much less responsible (J) 1.4. Bossy or dominating (F) 1.5. Hard driving (B) 1.6. Hard driving and competitive (F) 1.7. Satisfying myself (B) 1.8. Ambitious (B)
2. Eating Behavior (Essverhalten)
2.1. Eat too fast (J) 2.2. Eat rapidly (T) 2.3. Eat more slowly (J) 2.4. Linger over a meal (T) 2.5. Eat too quickly (F)
3. General Hurry (Allgemeine Eile)
3.1. Pressed for time (F) 3.2. Restless and fidgety (T) 3.3. Never in a rush (B) 3.4. Hurrying (J) 3.5. Others rate me as easy going (J) 3.6. Consider myself as easy going (J) 3.7. In a hurry (T)
4. Task-related Hurry (Aufgabenbezogene Eile)
4.1. Slow doing things (B) 4.2. Work is slow and deliberate (T) 4.3. Work slowly (T) 4.4. Work fast (T) 4.5. Work quickly and energetically (T)
5. Speech Pattern (Sprechverhalten)
5.1. Talk rapidly (T) 5.2. „Put words in mouth” (J) 5.3. Speak louder (T) 5.4. Slow, deliberate talker (B) 5.5. Try to persuade others (T)
Die Überlegungen wurden von Landy weitergeführt. Es wurde die Brainstorming-Methode mit sechs
Universitätsmitarbeitern zum Auffinden der Dimensionen des zeitlichen Verhaltens angewandt. Die zwölf
Dimensionen, die sich zeigten, wurden nach weiteren Überlegungen auf neun reduziert:
1. Awareness of Time: Darunter wird das zeitliche Bewusstsein der Person verstanden: Ob die Person die exakte Tageszeit unabhängig von der Umgebung oder den äußeren Umständen bestimmen kann und inwieweit eine Person wichtige Termine im Kopf hat, wie Geburtstage, Prüfungstage, etc....
2. Eating Behavior: Welche Rolle spielt die Zeit bei der Einteilung der Mahlzeiten am Tag und auch die Art und Weise, wie die Mahlzeiten zu sich genommen werden?
3. Nervous Energy: In welchem Ausmaß ist eine Person immer in Bewegung, auch in Zeiten des Ausruhens?
4. List Making: Ob eine Person sich Zettel schreibt, über die Dinge, die tagsüber erledigt werden müssen und sich an diese Auflistung hält.
5. Scheduling: Hier wird beobachtet, inwiefern eine Person Tages- und Wochenpläne von Aktivitäten aufstellt und sich an diese Pläne hält. Die Planung kann Freizeit- Arbeits- und persönliche Aktivitäten beinhalten. Auch die Aufteilung der Zeit ist interessant.
6. Speech Patterns: Das Redeverhalten einer Person wird untersucht. Redet die Person sehr schnell, unterbricht sie andere Gesprächsteilnehmer oder beendet sie die Sätze der anderen, um schneller ans Ziel zu kommen?
7. Deadline Control: Das Ausmaß, in dem eine Person unter Termindruck steht oder sich selbst diesen Termindruck setzt.
8. Time Saving: Inwiefern versucht die Person etwa durch effiziente Planung oder Tätigkeiten Zeit zu sparen?
9. Tolerance of Tardiness: Kann die Person Verspätungen von anderen tolerieren?
(vgl. Landy, Rastegary, Thayer & Colvin, 1991, S. 649)
Es stellt sich die Frage, ob auch bei unserem Datenpool mehr als drei Faktoren vorausgesetzt werden können.
Mehrere Items stehen hinter einem Faktor. Um Beziehungen zwischen den Items feststellen zu können, sollen
Korrelationskoeffizienten zwischen den einzelnen Variablen gemessen werden. Es ist sinnvoll, zunächst mit
dem Ausdruck der Korrelationskoeffizienten zwischen den Variablen mögliche Zusammenhänge sichtbar zu
machen.
„Faktoren, die als `hinter den Variablen´ stehende Größen angesehen werden, repräsentieren den
Zusammenhang zwischen verschiedenen Ausgangsvariablen. Bevor solche Faktoren
ermittelt werden können, ist es zunächst erforderlich, die Zusammenhänge zwischen den
Ausgangsvariablen messbar zu machen. Als methodisches Hilfsmittel wird hierzu die
Korrelationsrechnung herangezogen“ (Backhaus, Erichson, Plinke, Weiber, 1994, S.
198).
7.4.2.2 Errechnen der Korrelationsmatrix und Merkmalsauswahl
Mit dem Messen von Korrelationskoeffizienten sollen Items, die in keiner Beziehung zueinander stehen, vorab
aussortiert werden. Der Korrelationskoeffizient r gibt den Zusammenhang zwischen den beiden Variablen an.
Dabei kann der Wert zwischen +1 (funktionaler positiver Zusammenhang) und –1 (funktionaler gegenläufiger
Zusammenhang) liegen. Ein Korrelationskoeffizient von 0 sagt aus, dass gar kein Zusammenhang zwischen den
Merkmalen existiert. Die Merkmale sind dann unabhängig voneinander. Für die nachfolgende Faktorenanalyse
zählt, welche Merkmale hohe positive und negative Zusammenhänge aufweisen.
Werte des Korrelationskoeffizienten r Interpretation
0 < r <= 0,2 Sehr geringe Korrelation
0,2 < r <= 0,5 Geringe Korrelation
0,5 < r <= 0,7 Mittlere Korrelation
0,7 < r <= 0,9 Hohe Korrelation
0,9 < r <= 1 Sehr hohe Korrelation
Abb. 18: Interpretation der Korrelationskoeffizienten (Bühl, 2006, S. 263)
Eine generelle Aussage darüber, wie hoch der Korrelationskoeffizient sein sollte, damit ein starker oder ein
schwacher Zusammenhang nachweisbar ist, gibt es nicht. Dies hängt jeweils von der Forschungsfrage und der
Art der Variablen ab.
„Generell lässt sich sagen: Je `härter´, d.h. eindeutiger, objektiver usw., Merkmale sind (z.B.
Körpergröße, Leistungsdaten), desto eher werden sich theoretisch plausible Zusammenhänge
auch in der Empirie wiederfinden lassen. Je `weicher´, d.h. vager, subjektiver usw., Daten sind
(z.B. Urteile über sich und andere Persönlichkeitsvariablen), desto schwerer wird es fallen,
theoretisch plausible Zusammenhänge auch in entsprechend hohen empirischen Korrelationen
wiederzufinden“ (Selg, Klapproth und Kamenz, 1992, S.149f).
Bei den Items zur Prüfung des zeitlichen Verhaltens haben wir kein Intervallskalenniveau. Wir verwenden
daher zur Errechnung der Korrelationskoeffizienten den Rangkorrelationskoeffizienten „Spearmans Rho“.
Dieser rechnet die Variablenwerte in Rangwerte um. Der kleinste Wert der Variablen erhält den Rang 1, der
nächstgrößere den Rang 2, usw.. Die Korrelationskoeffizienten werden nun nicht mehr aufgrund der
Variablenwerte, sondern aufgrund der Rangwerte bestimmt.
Vor den Auswertungen wurden einige Items des JAS umcodiert. Ein hoher Ausprägungswert soll dem
Verhalten des Typs A entsprechen, ein niedriger Ausprägungswert dem des Typs B. Hierzu ein Beispiel: Bei
der Frage 1: „Haben Sie schon einmal Probleme gehabt, für einen neuen Haarschnitt oder für eine neue Frisur
Zeit zu finden?“ gibt es drei Antwortmöglichkeiten: Niemals (= Code 1), Manchmal (= Code 2), Fast immer (=
Code 3). Die Codierung ist nach unserem Prinzip bereits richtig. Der Verhaltenstyp A hat die höhere Codierung
3, der Verhaltenstyp B hat die niedrigere Codierung 1.
Anders bei der Frage 6, zum Beispiel. Sie lautet: „Wie schnell essen Sie gewöhnlich?“ Es gibt vier
Antwortmöglichkeiten: „Ich bin gewöhnlich als Erster fertig.“ (= Code 1), „Ich esse etwas schneller als der
Durchschnitt.“ (= Code 2), „Ich esse ungefähr genauso schnell wie die meisten Leute.“ (= Code 3), „Ich esse
langsamer als die meisten Leute.“ (= Code 4), Verhaltenstyp A, der ein schneller Esser ist, hat hier die
niedrigere Codierung. Das heißt, die Codierung ist umzustellen: Antwort 1 erhält Code 4, Antwort 2 erhält
Code 3, Antwort 3 erhält Code 2 und Antwort 4 erhält Code 1. Im Zuge der Auswertungen wurden so alle
betroffenen Items (Nr. 4, 6, 7, 11, 12, 16, 17, 18, 20, 22, 23, 25, 26, 42, 43, 45, 46) umcodiert, dass eine hohe
Merkmalsausprägung das Typ-A-Verhaltensmuster schließen lässt.
Nachdem zwischen den einzelnen Items zahlreiche Korrelationsauswertungen durchgeführt wurden, haben sich
die Korrelationen zwischen folgenden Items als signifikant erwiesen, das heißt, man kann davon ausgehen, dass
es einen Zusammenhang zwischen diesen Items gibt (siehe Anhang 3):
Gruppe 1: Item 22: Sind Sie leicht reizbar? (Meinung guter Bekannter) Item 23: Erledigen Sie vieles in Eile? (Meinung guter Bekannter) Item 25: Wie war Ihr Temperament, als Sie jünger waren? Item 26: Wie ist Ihr Temperament heute? Gruppe 2:
Item 20: Nehmen Sie Ihr Studium zu ernst? (Meinung guter Bekannter) Item 42: Insgesamt strenge ich mich mehr an. Item 43: Mehr Verantwortung tragen. Item 45: Genauer sein als andere. Item 46: das Leben allgemein ernster nehmen. Gruppe 3: Item 01: Zeit für den Friseur haben. Item 02: Störungen bei der Arbeit. Item 04: Konfrontation mit Ärgernissen. Item 30: Sich selbst unter Termindruck setzen. Item 32: Hin- und Herspringen zwischen zwei Tätigkeiten. Gruppe 4: Item 16: Fleiß und Konkurrenzfähigkeit (als junger Mensch). Item 17: Fleiß und Konkurrenzfähigkeit (heute). Item 18: Fleiß und Konkurrenzfähigkeit (Einschätzung des Partners). Gruppe 5: Item 13: Verhalten Wartezeit. Item 14: Warten in der „Schlange“. Item 19: Grad an Aktivismus (Einschätzung des Partners). Item 21: Mehr Energie als andere (Meinung Bekannter). Gruppe 6: Item 06: Schnelligkeit beim Essen. Item 07: Zu schnell essen (Meinung Lebenspartner). Gruppe 7: Item 11: Zu spät kommen bei Verabredungen. Item 12: Notwendigkeit, sich zu beeilen.
Die Itemgruppe 1, die das Temperament und die Reizbarkeit der Person beschreibt, ist neu. Die Itemgruppe 2
erinnert an den Faktor H „Fleiß und Konkurrenzfähigkeit“ von Jenkins, Zyzanski und Rosenman (1979). Einige
Faktoren des zeitlichen Verhaltens der Studien von Edwards, Baglioni & Cooper (1990) und Landy, Rastegary,
Thayer & Colvin, (1991) finden sich bei diesen korrelierenden Itemgruppen wieder. Während die Itemgruppe 3
eine Mischung aus dem Faktor „Doing many things at once“ und „time pressure“ ist, ähnelt die Gruppe 4 dem
Faktor „Competitiveness“. Den Faktor „Eating Fast“ bzw. „Eating Behavior“ erkennt man hinter der
Itemgruppe 6. Den Faktor „Impatience“ bzw. „Nervous energy“ findet man bei der Itemgruppe 5, den Faktor
„Punctuality“ bei der Itemgruppe 7. Man kann also erkennen, dass es auch bei Voruntersuchungen schon
ähnliche Hintergrundvariablen gab.
Aufgrund der Tatsache, dass bereits bei Voruntersuchungen ähnliche Faktoren erkennbar waren und dass die
Items der einzelnen Gruppen signifikante Korrelationen aufweisen, soll eine konfirmatorische Faktorenanalyse
vorgenommen werden, die prüft, ob sich die Annahme von sieben Faktoren, die hinter den oben genannten 25
Items stehen, bestätigt. Die Datenreduktion, die sich aufgrund des Einsatzes von Faktoren ergibt, erleichtert die
empirische Arbeit (vgl. Backhaus, Erichson, Plinke & Wieber, 1994, S. 189).
7.4.2.3 Die Durchführung der konfirmatorischen Faktorenanalyse
Mit dem Ausdruck der signifikanten Korrelationen zwischen den Items haben wir die Vorarbeit für die
konfirmatorische Faktorenanalyse geleistet. Der Zweck der Faktorenanalyse wird folgendermaßen beschrieben:
„Bei sozialwissenschaftlichen Problemen hat man häufig eine Fülle von Indikatoren, die zur Beschreibung und Analyse herangezogen werden können. Diese Indikatoren sind in der Regel keine unabhängigen Beschreibungsdimensionen, sondern weisen untereinander häufig hohe Korrelationen auf. Eine Schwierigkeit liegt nun darin, aus der Vielzahl möglicher Variablen diejenigen auszuwählen, die möglichst viel von der in dem Datensatz enthaltenen Information repräsentieren und unabhängig voneinander sind.“ Man reduziert also den Datensatz auf eine geringe Zahl von Beschreibungsdimensionen, sog. Faktoren“ (Roth, 1993, S. 635).
Da in unserem Fall bereits Untersuchungen zum Auffinden von Beziehungen zwischen den Items
vorgenommen wurden und sich sieben Itemgruppen, zwischen denen es signifikante Korrelationen gibt, zeigten,
können wir eine konfirmatorische Faktorenanalyse vornehmen. Eine exploratorische Faktorenanalyse wäre nur
erforderlich, wenn noch keine Kenntnisse über potenzielle Zusammenhänge bekannt wären. Die explorative
Faktorenanalyse dient zum Aufdecken noch unbekannter Strukturen, sie ist folglich ein
Hypothesengenerierungsinstrument. In unserem Fall sind bereits konkrete Vorstellungen von hypothetischen
Faktoren vorhanden. Eine konfirmatorische Faktorenanalyse mit den bereits genannten 25 Items (vgl. Kap.
7.4.2.2) wird ausgewertet.
Mit dem Korrelationskoeffizienten kann man die Beziehungen zwischen Variablen quantifizieren.
Grundsätzlich lassen sich Korrelationen auf drei Arten erklären: Die Variable a beeinflusst die Variable b oder
umgekehrt. Bei der Faktorenanalyse benötigt man nun die dritte Interpretationsmöglichkeit, nämlich, dass die
hohe Korrelation zwischen a und b aufgrund einer hypothetischen Größe, die hinter den beiden Variablen steht,
zustande kommt. Deshalb setzt eine Faktorenanalyse stets sachlogische Überlegungen voraus. Die Variablen
werden als Beschreibungen der hinter ihnen stehenden Faktoren betrachtet.
Die Faktorenanalyse geht von der Annahme aus, dass sich jeder Beobachtungswert einer Ausgangsvariablen xj
bzw. einer standardisierten Variablen zj als eine Linearkombination mehrerer hypothetischer Faktoren
beschreiben lässt. Die Faktorladung dieser Variablen gibt an, wie viel ein Faktor mit der Variablen zu tun hat.
Es ist eine Messgröße für den Zusammenhang zwischen Variable und Faktor und kann so als
Korrelationskoeffizient zwischen Variablen und Faktor beschrieben werden. Der Anwender hat letztendlich
selbst zu entscheiden, an welcher Faktorladungshöhe er die Variable einem Faktor zuordnet. In vielen Fällen
wird eine „hohe Ladung“ ab 0,5 angenommen.
Die Entscheidung steht, zunächst sieben Faktoren anzusetzen. Da die Faktorenzahl kleiner ist als die Zahl der
Variablen, entsteht durch den Einsatz von Faktoren bei weiteren Tests auch ein Informationsverlust. Die
Faktoren erklären in der Summe weniger Varianz als die Gesamtheit der Ausgangsvariablen. Die Varianz einer
jeden Ausgangsvariablen kann durch die Faktoren nicht vollständig erklärt werden. Der Auswertende muss sich
vorab entscheiden, welches Ausmaß an Erklärungsverlust er toleriert. Die Varianzerklärung, die die Faktoren
gemeinsam für eine Ausgangsvariable liefern, bezeichnet man als Kommunalität. Eine geringere Faktorenzahl
ergibt tendenziell einen größeren Informationsverlust. Während die Korrelationskoeffizienten ein Maß für die
Stärke und Richtung der Beziehungen der Variablen sind, sind die Faktorladungen für die Korrelationen
zwischen den Variablen und den Faktoren eine Maßzahl. Die Faktorladungen werden in einer
Faktorladungsmatrix zusammengefasst.
Bei der konfirmatorische Faktorenanalyse wird als Extraktionsmethode die Hauptkomponentenanalyse, als
Rotationsmethode die Varimax-Methode mit Kaiser-Normalisierung gewählt. Nur Faktorladungen, die größer
als 0,4 sind, sollen angezeigt werden. Nach Durchführung der Analyse werden sieben Faktoren mit hohen
Ladungen (zwischen 0,45 und 0,85) ausgedruckt. Auch die Aufstellung der erklärten Gesamtvarianz lässt darauf
schließen, dass hinter den 25 untersuchten Items sieben Faktoren stehen. Die Faktoren bekommen
Bezeichnungen, die den Inhalt der zusammengefassten Items wiedergeben. Für die nachfolgenden Tests können
diese Faktoren nun Verwendung finden.
7.4.2.4 Ergebnis der konfirmatorischen Faktorenanalyse Die Faktoren dieser Studie setzen sich aus den Items zusammen, die schon bei der Korrelationsberechnung einen hohen Korrelationskoeffizienten aufwiesen (Ergebnisausdruck der Faktorladungen, Eigenwerte und erklärte Gesamtvarianz, siehe Anhang 4):
Faktor 1: Temperament Faktorladungen
Item 22: Sind Sie leicht reizbar? (Meinung guter Bekannter) 0,719 Item 23: Erledigen Sie vieles in Eile? (Meinung guter Bekannter) 0,485 Item 25: Wie war Ihr Temperament, als Sie jünger waren? 0,781 Item 26: Wie ist Ihr Temperament heute? 0,793
Tab. 6: Item-Skala-Statistiken für den Faktor 1 „Temperament“
Item-Skala-Statistiken
Skalen-mittelwert, wenn Item
weggelassen
Skalenvarianz, wenn Item weggelassen
Korrigierte Item-Skala-Korrelation
Quadrierte multiple
Korrelation
Cronbachs Alpha, wenn
Item weggelassen
Wie war ihr Temperament, als Sie jünger waren?
7,58 3,906 ,489 ,291 ,631
Wie ist Ihr Temperament heute? 7,59 3,983 ,585 ,355 ,575
Sind Sie leicht reizbar? Meinung guter Bekannter!
7,65 3,793 ,517 ,271 ,612
Erledigen Sie vieles in Eile? Meinung guter Bekannter!
7,56 4,606 ,355 ,140 ,708
Bei den Skalenmittelwerten ist zu erkennen, dass die Trennschärfe (korrigierte Item-Skala-Korrelation) bei
allen Items hoch ist. Der Reliabilitätskoeffizient Cronbachs Alpha in Höhe von 0,698 für alle vier Items ist
ebenfalls hoch. Die Trennschärfe sagt aus, wie hoch die Korrelation zwischen dem jeweiligen Item und der
Gesamtskala ist, die sich unter Ausschluss dieses Items ergibt. Eine hohe Korrelation ist wünschenswert.
Cronbachs Alpha ist umso höher, je stärker die Items miteinander korrelieren. Der Wert gibt Aufschluss
darüber, inwieweit alle Items dieselbe Dimension abbilden (vgl. Brosius, 2006, S. 801f). Auch Item 23 passt gut
zur Itemgruppe und bleibt dem Faktor zugeordnet, obwohl seine Trennschärfe niedriger ist und Cronbachs
Alpha ohne das Item höher wäre.
Faktor 2: Anstrengung
Item 20: Nehmen Sie Ihr Studium zu ernst? (Meinung guter Bekannter) 0,673 Item 42: Insgesamt strenge ich mich mehr an. 0,737 Item 43: Mehr Verantwortung tragen. 0,635 Item 45: Genauer sein als andere. 0,520 Item 46: Das Leben allgemein ernster nehmen. 0,451
Tab. 7: Item-Skala-Statistiken für den Faktor 2 „Anstrengung“
Item-Skala-Statistiken
Skalenmittel-wert, wenn
Item weggelassen
Skalenvarianz, wenn Item
weggelassen
Korrigierte Item-Skala-Korrelation
Quadrierte multiple
Korrelation
Cronbachs Alpha, wenn
Item weggelassen
Nehmen Sie Ihr Studium zu ernst? Meinung guter Bekannter!
11,42 3,821 ,415 ,191 ,533
Insgesamt strenge ich mich 11,67 4,001 ,511 ,270 ,489
Bezogen auf die Verantwortung trage ich 11,46 4,314 ,346 ,163 ,570
In der Genauigkeit bin ich 11,48 4,448 ,305 ,105 ,590
Ich nehme das Leben im Allgemeinen 11,62 4,486 ,278 ,100 ,604
Die Skalenmittelwerte zeigen, dass die Trennschärfe aller Items akzeptabel ist, obwohl Item 46 eine eher
niedrige Trennschärfe aufweist. Der Reliabilitätskoeffizient Cronbachs Alpha 0,613 für alle fünf Items sagt aus,
dass keines der Items weggelassen werden sollte.
Faktor 3: Termindruck
Item 01: Zeit für den Friseur haben 0,569 Item 02: Störungen bei der Arbeit 0,645 Item 04: Konfrontation mit Ärgernissen 0,505 Item 30: Unter Termindruck setzen 0,624 Item 32: Hin- und Herspringen zwischen zwei Tätigkeiten 0,523
Tab. 8: Item-Skala-Statistiken für den Faktor 3 „Termindruck“ Item-Skala-Statistiken
Skalenmittel-wert, wenn
Item weggelassen
Skalenvarianz, wenn Item weggelassen
Korrigierte Item-Skala-Korrelation
Quadrierte multiple
Korrelation
Cronbachs Alpha, wenn
Item weggelassen
Zeit für den Friseur 9,11 3,863 ,282 ,102 ,400 Störungen bei der Arbeit 8,94 3,870 ,331 ,126 ,379 Ärgernisse 8,27 2,531 ,205 ,045 ,551 Setzen Sie sich auch selbst unter Termindruck?
8,86 3,948 ,311 ,137 ,391
Hin- und Herspringen zwischen zwei Tätigkeiten
8,68 3,957 ,295 ,124 ,398
Die Trennschärfe der Items ist akzeptabel, ebenso der Reliabilitätskoeffizient Cronbachs Alpha in Höhe von
0,469 für alle fünf Items. Keines der Items sollte weggelassen werden, obwohl das Item 4 (Konfrontation mit
Ärgernissen) eine schlechtere Trennschärfe als die anderen aufweist und Cronbachs Alpha ohne dieses Item
höher wäre. Item 4 passt von seinem Inhalt zur Dimension und hat eine hohe Faktorladung von 0,505. Deshalb
bleibt es bei den weiteren Analysen dem Faktor 3 zugeordnet.
Faktor 4: Wettbewerbsorientierung
Item 16: Fleiß und Konkurrenzfähigkeit (als junger Mensch) 0,727 Item 17: Fleiß und Konkurrenzfähigkeit (heute) 0,717 Item 18: Fleiß und Konkurrenzfähigkeit (Einschätzung des Partners) 0,738 Tab. 9: Item-Skala-Statistiken für den Faktor 4 „Wettbewerbsorientierung“ Item-Skala-Statistiken
Skalenmittelwert, wenn Item weggelassen
Skalenvarianz, wenn Item
weggelassen
Korrigierte Item-Skala-Korrelation
Quadrierte multiple
Korrelation
Cronbachs Alpha, wenn
Item weggelassen
Wie wurden Sie als junger Mensch eingeschätzt
5,78 2,246 ,452 ,209 ,572
Heute sehen Sie sich selbst als 5,74 2,107 ,497 ,247 ,510
Wie schätzt Sie Ihr Partner ein? 5,57 2,245 ,442 ,198 ,586
Die Trennschärfe der Items (über 0,45) ist akzeptabel und der Reliabilitätskoeffizient Cronbachs Alpha in Höhe
von 0,653 für alle drei Items ist höher, als wenn eines der Items weggelassen werden würde.
Faktor 5: Aktivität und Ungeduld
Item 13: Verhalten Wartezeit 0,579 Item 14: Warten in der „Schlange“ 0,474 Item 19: Grad an Aktivismus (Einschätzung des Partners) 0,627 Item 21: Mehr Energie als andere (Meinung Bekannter) 0,651
Tab. 10: Item-Skala-Statistiken für den Faktor 5 „Aktivität und Ungeduld“ Item-Skala-Statistiken
Skalenmittel-wert, wenn
Item weggelassen
Skalenvarianz, wenn Item weggelassen
Korrigierte Item-Skala-Korrelation
Quadrierte multiple
Korrelation
Cronbachs Alpha, wenn
Item weggelassen
Verhalten Wartezeit 7,10 2,598 ,261 ,073 ,389 Warten in der "Schlange" 7,11 2,673 ,168 ,033 ,486
Wie bezeichnet der Partner Ihren Grad an Aktivismus
6,68 2,796 ,375 ,161 ,321
Haben Sie weniger Energie als andere? Meinung guter Bekannter!
5,87 2,238 ,292 ,141 ,358
In diesem Fall sind die Trennschärfen, besonders die Trennschärfe für das Item 14 „Warten in der Schlange“
eher niedrig. Auch der Cronbachs Alpha-Wert von 0,459 ist nicht allzu hoch. Er wäre etwas höher, wenn das
Item 14 weggelassen würde. Da jedoch das Item 14 sehr gut in die Dimension passt und eine akzeptable
Faktorladung von 0,474 aufweist, soll der Faktor in dieser Konstellation in die weiteren Auswertungen
einfließen.
Faktor 6: Schnelles Essen
Item 06: Schnelligkeit beim Essen. 0,844 Item 07: Zu schnell essen (Meinung Lebenspartner). 0,847
Hier gibt es nur zwei Items in der Dimension, die zusammen eine hohe Trennschärfe von 0,575 aufweisen und
einen Wert Cronbachs Alpha von 0,708. Beide Werte und die hohen Faktorladungen von über 0,8 sind
zufriedenstellend. Leider weist der JAS keine weiteren Items auf, die der Dimension „Schnelles Essen“ bzw.
Essgewohnheiten zugeordnet werden könnten.
Faktor 7: Verspätungen
Item 11: Zu spät kommen bei Verabredungen 0,838 Item 12: Notwendigkeit, sich zu beeilen 0,779
Auch bei dieser Dimension gibt es nur zwei Items. Sie weisen eine Trennschärfe von 0,460 auf und Cronbachs
Alpha von 0,630. Da die Faktorladungen sehr hoch sind (über 0,77) und aufgrund der Tatsache, dass es keine
anderen Variablen des JAS gibt, die zu dieser Dimension passen, wird der Faktor bei den weiterführenden
Auswertungen Verwendung finden.
Die Reliabilitätsanalysen zu jedem der sieben Faktoren zeigen, inwiefern die nun aufgestellten Skalen von
Merkmalen den Hintergrundfaktor messen.
„Allerdings bleibt häufig eine große Unsicherheit hinsichtlich der Qualität dieser Skalen bestehen. Fraglich ist dabei zum einen, wie eng die einzelnen beobachteten Merkmale (Items) mit dem Hintergrundfaktor zusammenhängen, und zum anderen, wie sehr die Skala durch Zufallsfehler in ihrer Messgenauigkeit gestört wird. Die Reliabilitätsanalyse kann helfen, diese qualitativen Eigenschaften einer Skala zu bewerten und liefert eine Entscheidungshilfe für die Frage, welche Items in die gemeinsame Skala einfließen sollten. Eine Reliabilitätsanalyse wird daher oftmals im
Anschluss an eine Faktorenanalyse durchgeführt, um die Faktorbildung zu bewerten und abzusichern“ (Brosius, 2006, S. 795),
Die Reliabilität wird durch Cronbachs Alpha (ein Wert zwischen 0 und 1) gemessen. Sie ist definiert als der
Quotient aus inhärenter Varianz, geteilt durch die Gesamtvarianz; dabei ist die Gesamtvarianz die Summe aus
inhärenter Varianz und der Fehlervarianz. Je größer der Wert Cronbachs Alpha ist, desto höher ist die Validität
der Gesamtskala. Die ausgegebenen Reliabilitätskoeffizienten werden als ausreichend hingenommen, da sie
nahe 0,5 oder höher liegen (vgl. Schnell, Hill & Esser, 1999).
Faktor 1 misst die Dimension „Temperament“ der Testpersonen. Er gibt Aufschluss darüber, wie das
Temperament der Testperson heute und früher war und wie reizbar eine Person ist. Weiterhin beinhaltet er den
Aspekt, ob eine Person oft in Eile ist. Faktor 2 gibt Aussagen über die „Anstrengung“ der Person. Strengt sich
der Befragte mehr an, als andere? Nimmt er sein Studium und das Leben allgemein zu ernst? Weiterhin wird bei
dieser Dimension ausgedrückt, ob die Person genauer ist als andere und ob sie mehr Verantwortung trägt. Der
Faktor 3 „Termindruck“ zeigt, wie sehr die Person unter Termindruck leidet und ob sie noch Zeit für alltägliche
Dinge (z.B. für einen Friseurbesuch) hat. Dieser Faktor gibt Aufschluss darüber, wie oft die Person bei der
Arbeit gestört wird und wie oft sie mit Ärgernissen konfrontiert wird. Weiterhin wird gefragt, wie oft die
Testperson zwischen zwei Tätigkeiten hin- und herspringen muss.
Anders als die drei ersten Faktoren beinhaltet Faktor 4 „Wettbewerbsorientierung“ nur eine Frage, nämlich ob
sich die Testperson eher als fleißig und konkurrenzfähig sieht oder eher als entspannt und gelassen. Dabei wird
die Eigenschaft daraufhin überprüft, wie die Person früher war, wie sie heute ist und wie sie vom Partner
eingeschätzt wird. Faktor 5, der nach der „Aktivität und Ungeduld“ fragt, beinhaltet Aspekte, wie das Verhalten
während der Wartezeit und das Warten in der „Schlange“. Weiterhin wird nach der Meinung des Partners
gefragt, wie aktiv er die Person einschätzt und die Meinung von Bekannten, ob die Person mehr Energie hat als
andere. Faktor 6 „Schnelles Essen“ und Faktor 7 „Verspätungen“, die sich nur aus zwei Items zusammensetzen,
kommen hinzu.
Insgesamt kann man feststellen, dass das Essverhalten und die Pünktlichkeit auch schon bei Voruntersuchungen
von Studien von Edwards, Baglioni & Cooper (1990) und Landy, Rastegary, Thayer & Colvin, (1991)
gefunden werden konnten. Deshalb werden bei dieser Untersuchung auch die letzten zwei Faktoren, die nur
zwei Variablen beinhalten, einbezogen. Der Faktor „Viele Dinge auf einmal tun“ können wir beim Faktor
„Termindruck“ wiederfinden. Weiterhin kamen die Faktoren „Wettbewerbsorientierung“, ehemals „Fleiß und
Konkurrenzdenken“ und „Aktivität und Ungeduld“, ehemals „Geschwindigkeit und Ungeduld“ (vgl. Jenkins,
Zyzanski & Rosenman, 1979, Glass, 1977) wieder zum Vorschein. Zum Sprechverhalten konnte kein eigener
Faktor gefunden werden.
7.4.3 Externe Einflussvariablen auf das zeitliche Verhalten
Im Kapitel 6 wurden psychologische und soziologische Ansätze vorgestellt, die eine Begründung für die
Annahme liefern, dass das zeitliche Verhalten des Menschen von der Kultur und der Umwelt, in der jemand
lebt, beeinflusst wird. Diese Theorien lassen die Schlussfolgerung zu, dass das menschliche Verhalten von
Umwelteinflüssen mitbestimmt wird. Der Mensch reagiert auf die Umwelt, er passt sich an. Die
Sozialisationsprozesse sprechen dafür, dass der Mensch seinen Umgang mit der Zeit von der Umwelt, in der er
lebt abschaut und übernimmt. Durch Beobachtung lernt der Mensch „am Modell“. Bedeutsam sind für den
Menschen sogenannte „Signifikant Andere“ oder auch „Orientierungs-Andere“. Dies können die Eltern sein, es
können aber auch Freunde, Lehrer, Vorgesetzte usw. sein. Werte und Normen einer Gesellschaft werden von
Generation zu Generation weitertradiert. Der Mensch besitzt ein kognitives System von Überzeugungen, wie
der Mensch sein und handeln sollte. Ansätze aus der Persönlichkeitspsychologie und der differentiellen Psychologie definieren unterschiedliche
Persönlichkeitstypen (vgl. Kap. 6.9). Manche Menschen erledigen ihre täglichen Aufgaben schneller und
genauer als andere. Ihnen werden Persönlichkeitseigenschaften, wie Fleiß, Genauigkeit und
Verantwortungsbewusstsein zugeschrieben. Die Zuordnung solcher Persönlichkeitseigenschaften (basic
personality structure) wurden für ganze Volksstämme und Nationen durchgeführt. Je nach Forschungsspektrum
wurden so ganze Landkarten nach unterschiedlichen Personeneigenschaften und Verhaltensweisen erstellt.
Bei interkulturellen Vergleichsstudien wurden bereits das Tempo und der Rhythmus, mit denen der Mensch lebt
und arbeitet, länderspezifisch untersucht. So sah Garhammer (1999) eine Beschleunigung und Ökonomisierung
der Zeit bei den industrialisierten Ländern Europas. Levine (2005), der das Tempo in verschiedenen Ländern
unter dem Aspekt Grad der Industrialisierung, Wohlstand und Gesellschaftsform untersuchte, erkannte ebenfalls
länderspezifische Unterschiede. In industrialisierten Ländern mit hohem Lebensstandard bewegen sich die
Menschen schneller. Menschen, die in heißen Zonen leben, haben einen anderen Zeitrhythmus als Menschen,
die in kühleren Zonen leben. „Südländer“ unterscheiden sich von „Nordländern“. Menschen, die sich
hauptsächlich von Ackerbau und Fischfang ernähren, haben ebenfalls einen anderen Tagesrhythmus als
Arbeiter westlicher Industrienationen. So können Stereotype festgelegt werden, die Menschen eines bestimmten
Kulturraums zugeschrieben werden. Manchen Völkern sagt man nach, temperamentvoll und leicht reizbar zu
sein. Ganzen Nationen werden bestimmte Eigenschaften zugeordnet (vgl. Kap. 3.5).
Ist es vielleicht gar nicht so wichtig, in welchem Land der Mensch lebt? Kommt es vielmehr darauf an in
welcher regionalen Umgebung der Mensch lebt, z.B. in einer Kleinstadt, in einer Großstadt oder auf dem Land?
Einige Studien vor allem aus dem Bereich der Soziologie, weisen darauf hin, dass der Großstadtmensch ein
anderes Tempo vorlegt, als Bewohner von ländlichen Regionen. Gerade in den Großstädten kann man einen
Trend zur Globalisierung erkennen. Die Soziologin Saskia Sassen (1995) hat Großstädte weltweit untersucht.
Sie sieht einen globalen Zusammenhang zwischen den großen Städten, die Kommandozentralen und globale
Marktplätze und Produktionsstätten der Informationswirtschaft darstellen. Sassen geht davon aus, dass die
Globalisierung zu einer Zweiteilung der Menschen führen wird. Auf der einen Seite wird es Eliten geben, die
die globale Kultur leben, da sie in der Lage sind, weltweit ökonomisch, sozial und kulturell zu kommunizieren.
Auf der anderen Seite wird es „local communities“ geben, deren Mobilität und Kommunikationsmöglichkeiten
eingeschränkt sind und deren Kultur somit lokal gebunden bleibt. Die Einführung einer globalen Kultur führe,
so Sassen, somit nicht zur Vereinheitlichung der nationalen und regionalen Kulturen, sondern zu einer
Verstärkung der Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
Wie stark beeinflussen die Prozesse der Industrialisierung und die moderne Telekommunikation das Verhalten
der Menschen in den Industrienationen? Hat auch der Wohlstand, der in einem Land herrscht, Einfluss auf das
Tempo? Oft hört man Sätze, wie „Zeit ist Geld!“. Wie kann sich eine solche Werthaltung auf den Umgang mit
der Zeit auswirken? Im Kapitel 3.3 wurde erläutert, wie sich die Industrialisierung und die moderne
Leistungsgesellschaft auf das Verhalten der Menschen auswirkt.
Die multiple lineare Regressionsanalyse soll nun angewendet werden, um zu prüfen, ob es einen funktionalen
Zusammenhang zwischen dem Herkunftsland der Testperson und ihrem zeitlichen Verhalten gibt. Bei der
multiplen Regressionsanalyse wird es möglich sein, außer dem Herkunftsland auch andere unabhängige
Einflussvariablen einzugeben. So können kulturspezifische Aspekte wie die Größe der Stadt, in der die Person
aufwuchs und in welcher sie heute lebt, ob sie in einer Wohlstandsgesellschaft lebt und in wieweit das Land
industrialisiert ist, berücksichtigt werden. Das Geschlecht kann insofern einen Einfluss auf das zeitliche
Verhalten haben, da ja in vielen Gesellschaften der Mann als der dynamische, aktive Typ, die Frau dagegen
eher als passiv und zurückhaltend beschrieben wird. Das Alter kann ebenfalls das Tempo reduzieren. Mit dem
Alter lassen Leistungsfähigkeit und Schnelligkeit nach, vor allem, wenn gesundheitliche Schwächen
hinzukommen.
Die Aufnahme der Variablen „Geschlecht“ in die Analyse ist nötig, weil das Geschlecht der Person eine
Auswirkung darauf hat, welche Rolle und Verpflichtungen dieser Person von der Gesellschaft zugedacht
werden. Es gibt stereotype Vorstellungen von einem „typischen Mann“ und einer „typischen Frau“ (Neubauer,
1990). Während dem Mann als typische Eigenschaften „dominant, autoritär, unemotional, selbstsicher, aktiv,
rational, tatkräftig und leistungsorientiert“ zugeschrieben werden, gelten für die Frau als typische
Eigenschaften: „unterordnend, abhängig, emotional, empfindlich, passiv, intuitiv, fürsorglich,
beziehungsorientiert, einfühlsam und kooperativ“ (siehe dazu: Rosenstiel, 2000, S. 161, Darstellung 40). Diese
stereotypen Vorstellungen von Mann und Frau sind sicher zu Zeiten der Gleichberechtigung und der
Berufstätigkeit vieler Frauen überzogen. Sie sind jedoch kulturell verankert und können sich deshalb auch heute
noch auf das Verhalten auswirken.
In konservativen und patriarchalischen Gesellschaften ist das Bild des Mannes als aktiver Teil einer Beziehung
und Familienernährer vorherrschend, während die Frauen eher als passiv und duldsam beschrieben werden.
Frauen haben in einer solchen Gesellschaft die Hauptaufgabe als Mutter und Hüterin des Hauses. Der Mann
vertritt die Familie nach außen.
Der Sozialismus hat diesem Frauenbild widersprochen und die Frauen gleichberechtigt wie die Männer in die
Arbeitswelt und bei den kollektiven Freizeitgestaltungen eingebunden. Aber auch im Westen gibt es seit den
70er Jahren eine starke Frauenbewegung, die für die Gleichstellung von Mann und Frau kämpft.
Gleichstellungsbeauftragte und ein Grundrecht auf Gleichbehandlung sollen die Emanzipation unterstützen. In
jüngster Zeit gibt es in Deutschland politische Diskussionen, den Frauen mit der Bereitstellung von
Kindertagesplätzen und Erziehungsurlaub für Mann und Frau, die Möglichkeit zu geben, auch in der Phase der
Kindererziehung berufstätig zu bleiben. Auch das Fernstudium der FernUniversität in Hagen bietet eine
Möglichkeit für Frauen, die bereits Kinder haben, ihr Studium, die Kindererziehung und die Führung eines
Haushalts in Einklang zu bringen. Trotz aller Fortschritte bleibt es fraglich, ob nicht doch noch alte
Rollenklischees von Mann und Frau das Verhalten der beiden Geschlechter beeinflussen.
So könnte man den „aktiven, tatkräftigen und leistungsorientierten Mann“ eher dem A-Typ zuordnen, während
die Frau mit der Eigenschaft „passiv“, eher dem Typ B entspricht. Allerdings wäre es zu einfach, die
Verhaltensweisen als „typisch Mann“ bzw. „typisch Frau“ zu charakterisieren. Kulturvergleichende
ethnologische Forschungen von Malinowski (1926), Benedict (1953) und Mead (1970) haben ergeben, dass die
Verhaltensweisen nicht nur vom Geschlecht abhängen. Es gibt Kulturen, bei denen die Frauen die aktive Rolle
als Familienoberhaupt und Ernährer übernehmen, während die Männer die eher passive Rolle übernehmen und
musischen Interessen nachgehen. Andere Studien zeigen, dass die Verhaltensweisen nicht nur umweltbedingt
sind, sondern genetisch determiniert (vgl. Merz, 1979, Bischof-Köhler, 1999). Bei unserem Datenpool handelt
es sich um Studenten und Studentinnen. Man kann davon ausgehen, dass junge Frauen, die studieren, nicht
unbedingt dem klassischen Frauenbild als Hausfrau und Mutter entsprechen, sondern sich in der heutigen Zeit
ebenso auf dem Arbeitsmarkt bewähren wollen. Dennoch muss man hinterfragen, ob auch in Zeiten der
Emanzipation noch unterschiedliche Verhaltensweisen erkennbar sind. Auch das Alter hat einen Einfluss auf den Umgang mit der Zeit. Die Menschen neigen dazu, ihre Antworten in
Tempobegriffen zu fassen (vgl. eine Studie von Dapkus, 1985 zur Bedeutung des Tempos). Vielen Menschen
vergeht die Zeit schneller, je älter sie werden. Für ältere Menschen wird es auch aufgrund ihrer physischen und
psychischen Konstitution immer schwerer, mit dem „Tempo der Jungen“ mitzuhalten. Bei dieser Studie werden
allerdings nur Studenten, also meist jüngere Personen oder Personen mittleren Alters, befragt. Somit werden die
Auswirkungen des Alterns noch nicht so deutlich erkennbar sein.
Zur Durchführung einer Regressionsanalyse sind theoretisch fundierte Hypothesen nötig, die mögliche
Zusammenhänge beschreiben. Erweisen sich bei der Regressionsanalyse Beziehungen zwischen zwei Variablen
als signifikant, so ist die aufgestellte Hypothese verifiziert. Andernfalls ist sie abzulehnen. Allein die Schätzung
und die ausgewiesene Signifikanz sind aber noch kein Nachweis für die Richtigkeit der Hypothese. Durch die
theoretische Vorarbeit müssen Thesen schon vorab als plausibel erscheinen. „Wird eine theoretische Vorarbeit
nicht oder nur unzureichend geleistet, so wird mit Hilfe der Pfadanalyse kein Kausalmodell überprüft, sondern
lediglich ein Regressionsmodell an empirisches Datenmaterial angepasst“ (Backhaus, Erichson, Plinke, Weiber,
1994, S. 335).
7.4.3.1 Die Vorgehensweise bei der multiplen linearen Regressionsanalyse
Die multiple Regressionsanalyse ist nicht mit der Auswertung von Beziehungen mit einer Korrelationsanalyse
gleichzusetzen. Bei der Korrelationsanalyse gilt ein Zusammenhang zwischen zwei Variablen als erwiesen,
wenn man von der Ausprägung der einen Variablen auf die Ausprägung der anderen Variablen mit einer
bestimmten Wahrscheinlichkeit schließen kann. Ein funktionaler Zusammenhang wäre der Grenzfall. Es würde
bedeuten, dass man von der Ausprägung der einen Variablen mit Sicherheit auf die Stringenz der anderen
Variablen schließen kann.
Als Vorgangsweise wurde die schrittweise Methode gewählt, die eine Kombination aus Vorwärts- und
Rückwärtsmethode darstellt.
„Bei der Vorwärtsmethode werden nacheinander die Variablen mit dem höchsten partiellen
Korrelationskoeffizienten mit der abhängigen Variablen in die Gleichung aufgenommen,
bei der Rückwärts-Methode fängt man mit der Lösung an, die alle unabhängigen Variablen
einschließt, und schließt dann jeweils die unabhängigen kleinsten partiellen
Korrelationskoeffizienten aus, soweit der zugehörige Regressionskoeffizient nicht
signifikant ist (wobei hier ein Signifikanzniveau von 0,1 zugrunde gelegt wird).
Die gängigste Methode ist die schrittweise Methode, die ähnlich wie die Vorwärtsmethode funktioniert, bei der aber nach jedem Schritt die jeweils aufgenommenen Variablen nach der Rückwärtsmethode untersucht werden“ (Bühl, 2006, S. 364).
Nacheinander wurden multiple lineare Regressionsanalysen mit allen sieben Faktoren des zeitlichen Verhaltens
(vgl. Kap. 3.4.2) durchgeführt, um zu prüfen, welche signifikanten Beziehungen erscheinen.
Mit der multiplen linearen Regressionsanalyse kann nun ausgewertet werden, ob es eine Beziehung zwischen
den exogenen Umweltvariablen (Länderzugehörigkeit, Industrialisierung, Wohlstand, regionale Herkunft,
Gesellschaftsform) und Personenvariablen (Alter, Geschlecht) und den endogenen, abhängigen Faktoren des
zeitlichen Verhaltens gibt. Es werden die oben genannten unabhängigen Variablen und jeweils ein Faktor des
zeitlichen Verhaltens in die Analyse aufgenommen, sodass sich Zusammenhänge zwischen mehreren
unabhängigen Variablen und einer abhängigen Variable untersuchen lassen. „Die unabhängigen (erklärenden)
Variablen können dabei selbst untereinander korrelieren, was bei der Schätzung der Koeffizienten entsprechend
berücksichtigt wird, um Scheinkorrelationen auszuschließen“ (Bühl, 2006, S. 362).
Die Vorgehensweise an einem einfachen Beispiel:
Wenn man annimmt, dass die Variable y1 von den Variablen x1, x2 bis xn beeinflusst wird, kann man das mit
folgendem Pfaddiagramm darstellen:
x1
x2 y1
xn
Abb. 19: Pfaddiagramm zur linearen Regressionsanalyse
Folgende mathematische Formel gilt :
y1 = b1 . x1 + b2 . x2 + … bn . x3 + a
Die Koeffizienten b0, b1, b2 und bn können mit einer multiplen Regressionsanalyse geschätzt und auf Signifikanz
überprüft werden. a ist dabei eine Konstante. Die unabhängigen Variablen werden mit x1 bis xn bezeichnet. Bei
der Hypothesenaufstellung müssen sowohl die Beziehungen, als auch die Vorzeichen der Beziehungen
festgelegt werden. Durch die Bestimmung der Koeffizienten kann überprüft werden, ob die
Vorzeichenbestimmung richtig war.
Die multiple Regressionsanalyse misst, ob ein linearer Zusammenhang zwischen exogenen und endogenen
Variablen besteht. Der Regressionskoeffizient B sagt aus, ob der Zusammenhang positiv oder negativ sein und
wie stark der Zusammenhang ist. Das heißt, ein höherer Wert der unabhängigen Variablen bedingt bei einem
positiven Vorzeichen einen höheren Wert der abhängigen Variablen. Die Höhe des Regressionskoeffizienten
gibt bei der linearen Regression die Steigung der Geraden an. Am Ende wird eine Konstante ausgewiesen, die
zu der Regressionsgleichung zu addieren oder zu subtrahieren ist. In erster Linie sind die Werte der
Regressionskoeffizienten wichtig und dass beim Ergebnis eine hohe Signifikanz vorliegt. Da die unabhängigen
Variablen Dummy-Variablen sind, erhöht sich die abhängige Variable genau um diesen B-Wert.
Der Quotient aus den berechneten Koeffizienten und deren Standardfehler bildet die Prüfgröße T ab. Die
Signifikanz dieser Prüfgröße geht bei unseren Untersuchungen in fast allen Fällen gegen Null (siehe Anhang 5),
was für eine sehr hohe Signifikanz spricht. Somit ist das Ergebnis aussagefähig. Es besteht eine nachweisbare
Beziehung zwischen den exogenen Variablen und der endogenen Variablen.
Der zweite Wert, der die Güte der Anpassung prüft, ist das Bestimmtheitsmaß R2. Bei der Aufnahme neuer
Variablen wurde geprüft, dass sich mit der Aufnahme neuer Variablen auch der Wert R2 erhöhte. Dieser Wert
entspricht dem Quotienten aus der durch die Regressionsgleichung erklärten Streuung (Explained Sum of
Squares, ESS) und der Gesamtstreuung der abhängigen Variablen (Total Sum of Squares, TSS). Die
Gesamtstreuung setzt sich aus der erklärten und der nicht erklärten Streuung (Residual Sum of Squares, RSS)
zusammen. Je größer RSS ist, desto mehr bewegt sich der R2-Wert auf 0 zu. Bei den folgenden Auswertungen
ist es der Fall, dass die Quadratsumme der Residuen (Störgrößen) sehr hoch ist. Daher ist auch die
Gesamtstreuung der abhängigen Variablen hoch, der R2-Wert entsprechend niedrig (vgl. Anhang 5).
Plausible Erklärungen und signifikante Regressionskoeffizienten lassen dennoch auf einen tatsächlichen
Zusammenhang der exogenen und endogenen Variablen schließen. „Die Kennzahlen R2 und korrigiertes R2
erlauben nur pauschale Aussagen über das gesamte Modell. Entscheidend ist jedoch auch, wie die
Regressionskoeffizienten der einzelnen erklärenden Variablen zu bewerten sind“ (Brosius, 2006, S. 563).
Die erwarteten kumulierten Wahrscheinlichkeiten der Residuen entsprechen in etwa den beobachteten Werten.
Nur in seltenen Fällen weichen die tatsächlichen Werte von der geschätzten Geraden ab. Weiterhin sollte sich
bei der Überprüfung der Residuen herausstellen, dass diese zufällig und überwiegend normalverteilt sind.
Diagramme mit den Kurven der Normalverteilung der Residuen deuten darauf hin.
Wenn zwischen zwei oder mehreren erklärenden Variablen eine deutliche Korrelation besteht, spricht man von
einer Kollinearität. Ist dies der Fall, so kann eine Regressionsgleichung nicht eindeutig geschätzt werden. Die
entsprechende Variable würde von SPSS aus dem Modell ausgeschlossen werden. In unserem Fall liegt keine
Kollinearität der unabhängigen Faktoren vor, da die Toleranzwerte und die VIF- Werte (Variance Inflation
Faktor) keine kritischen Werte aufzeigen, die den Ausschluss einer unabhängigen Variable nötig machen.
Als Voreinstellung für den Einschluss und Ausschluss von unabhängigen Variablen im Modell wurde die
geforderte F-Wahrscheinlichkeit bei Aufnahme der unabhängigen Variable auf 0,05 gesetzt, bei Ausschluss auf
0,10.
7.4.3.2 Hypothesenbildung und Durchführung der multiplen Regressionsanalyse
In Hinblick auf die Ergebnisse der Vorstudien und aufgrund eigener Überlegungen (vgl. 7.4.3.1) soll bei dieser
Studie folgende Hypothese überprüft werden:
Die Variablen Herkunftsland, Größe der Stadt, in der jemand aufwuchs und wo er heute lebt, der
Wohlstand des Landes, der Grad der Industrialisierung und der Individualisierung der Gesellschaft
beeinflussen den Umgang mit der Zeit. Zusätzlich beeinflussen auch das Alter und das Geschlecht das
zeitliche Verhalten einer Person.
Es erfolgt eine sequentielle (hierarchische) multiple Regression, das heißt, es kann im Erklärungsmodell
mehrere unabhängige Variablen geben. Die unabhängigen Variablen werden schrittweise in der folgenden
Reihenfolge eingegeben:
Item 53: Wie beschreiben Sie die Größe der Stadt, in der Sie aufgewachsen sind? Auswahl: 1 = Dorf, Ländliche Umgebung, 2 = Kleinstadt oder Vorort, 3 = Großstadt Item 54: Wo leben Sie jetzt? Auswahl: 1 = Dorf, Ländliche Umgebung, 2 = Kleinstadt oder Vorort, 3 = Großstadt
Item 55: Wie beschreiben Sie das Land, in dem Sie wohnen? Auswahl: 1 =Noch wenig industrialisiert, 2 = auf dem Weg zur Industriegesellschaft, 3 = Industriegesellschaft Item 56: Wie beschreiben Sie den Wohlstand des Landes, in dem Sie wohnen? Auswahl: 1 = armes Land, 2 = weder arm noch besonders wohlhabend, 3 = wohlhabend Item 57: Wie beschreiben Sie den sozialen Umgang in Ihrem Land? (Gesellschaftsform) Auswahl: 1 = Die Menschen helfen sich gegenseitig, das Wohl aller ist wichtig, 2 = Kommt auf die Situation bzw. den Einzelnen an, 3 = Jeder arbeitet für sich allein und ist für sich selbst verantwortlich Item 58: Herkunftsland (Ländercode) Auswahl: 1 = Westdeutschland, Österreich, Schweiz, 2 = Ostdeutschland 3 = Westukraine, 4 = Ostukraine Item 60: Geschlecht
Auswahl: 1 = weiblich, 2 = männlich Item 71: Altersgruppen Auswahl: 1 = bis 20 Jahre, 2 = 21 – 30 Jahre, 3 = 31 – 40 Jahre, 4 = 41 – 50 Jahre, 5 = über 50 Jahre Die Variablen weisen Ordinalskalierung auf. Variablen, die man in eine Regressionsanalyse einbezieht, müssen
aber zumindest intervallskaliert sein. Es ist möglich diese Variablen auf Dummy-Variablen umzucodieren,
sodass sie nur noch die Werte 0 oder 1 beinhalten. So ist es gestattet die oben genannten als erklärende
Variablen einzutragen (vgl. Brosius 2006):
Item 53: Wie beschreiben Sie die Größe der Stadt, in der Sie aufgewachsen sind? Auswahl: 0 = Dorf, Kleinstadt, 1 = Großstadt Item 54: Wo leben Sie jetzt? Auswahl: 0 = Dorf, Kleinstadt, 1 = Großstadt Item 55: Wie beschreiben Sie das Land, in dem Sie wohnen? Auswahl: 0 = Noch wenig industrialisiert, auf dem Weg zur Industriegesellschaft, 1 = Industriegesellschaft Item 56: Wie beschreiben Sie den Wohlstand des Landes, in dem Sie wohnen? Auswahl: 0 = armes Land, weder arm noch besonders wohlhabend, 1 = wohlhabend Item 57: Wie beschreiben Sie den sozialen Umgang in Ihrem Land? (Gesellschaftsform) Auswahl: 0 = Die Menschen helfen sich gegenseitig, das Wohl aller ist wichtig, Kommt auf die Situation bzw. den Einzelnen an 1 = Jeder arbeitet für sich allein und ist für sich selbst verantwortlich Item 58: Herkunftsland (Ländercode) Auswahl: 0 = West- und Ostukraine 1 = West- und Ostdeutschland Item 60: Geschlecht
Auswahl: 0 = männlich, 1 = weiblich Item 71: Altersgruppen Auswahl: 0 = bis 30 Jahre, 1 = über 30 Jahre Regressionsanalyse Nr.1: Bei der ersten Regressionsanalyse wird der Faktor „Temperament“ als abhängige Variable eingesetzt. Als
unabhängige Variable mit signifikanter Beziehung zu diesem Faktor wird lediglich die Variable
„Industrialisierung des Heimatlandes“ ausgewiesen.
Tab. 11: Ergebnis der 1. Regressionsanalyse: „Temperament“
Nicht standardisierte Koeffizienten
Standardisierte
Koeffizienten
Modell B Standard-
fehler Beta T Signifikanz (Konstante) ,186 ,058 3,210 ,001 1 Industrialisierung -,362 ,081 -,181 -4,449 ,000
a Abhängige Variable: Temperament Temperament = - 0,362 * Industrialisierung des Landes + 0,186 Diese Gleichung sagt aus: Je weniger ein Land industrialisiert ist, desto temperamentvoller sind die befragten Studenten. Regressionsanalyse Nr. 2: Bei der zweiten Regressionsanalyse wurde der zweite Faktor „Anstrengung“ als abhängige Variable eingesetzt.
Als unabhängige Variable blieben nach vier Bearbeitungsschritten die Variablen „Ländercode“, „Alter“,
„Gesellschaftsform“ und „Geschlecht“ bestehen.
Tab. 12: Ergebnis der 2. Regressionsanalyse: „Anstrengung“
Nicht standardisierte Koeffizienten
Standardi-sierte
Koeffizienten
Modell B Standard-
fehler Beta T Signifikanz (Konstante) ,208 ,056 3,721 ,000 1 Ländercode -,436 ,081 -,218 -5,387 ,000 (Konstante) ,190 ,056 3,408 ,001 Ländercode -,618 ,098 -,309 -6,316 ,000
2
Alter ,345 ,106 ,159 3,253 ,001 (Konstante) ,126 ,064 1,985 ,048 Ländercode -,606 ,098 -,303 -6,203 ,000 Alter ,353 ,106 ,162 3,331 ,001
3
Gesellschaftsform ,181 ,087 ,084 2,087 ,037 (Konstante) -,013 ,093 -,143 ,886 Ländercode -,611 ,097 -,305 -6,275 ,000 Alter ,353 ,106 ,162 3,341 ,001 Gesellschaftsform ,189 ,087 ,087 2,182 ,030
4
Geschlecht ,188 ,091 ,082 2,053 ,040 a Abhängige Variable: Anstrengung Anstrengung = - 0,611 * Ländercode + 0,353 * Alter + 0,189 * Gesellschaftsform + 0,188 * Geschlecht - 0,013
Diese Gleichung sagt aus:
Das Herkunftsland beeinflusst die Anstrengung, die Genauigkeit und die Ernsthaftigkeit der
Studierenden. Je älter die Studenten sind, desto mehr strengen sie sich an und desto mehr
Verantwortungsbewusstsein zeigen sie. Je individualistischer eine Gesellschaftsform ist, höher ist
die gefühlte Anstrengung. Studierende Frauen strengen sich mehr an als Männer.
Regressionsanalyse Nr. 3: Bei der dritten Regressionsanalyse wurde der Faktor „Termindruck“ als abhängige Variable eingesetzt. Als
unabhängige Variable sind nach vier Bearbeitungsschritten die Variablen „Ländercode“, „Sozialer Umgang“,
„Heimatort“ und „Alter“ als signifikante Einflussgrößen nachzuweisen.
Tab. 13: Ergebnis der 3. Regressionsanalyse: „Termindruck“
Nicht standardisierte Koeffizienten
Standardi- sierte
Koeffizienten
Modell B Standard-
fehler Beta T Signifikanz (Konstante) -,327 ,054 -6,083 ,000 1 Ländercode ,689 ,078 ,345 8,869 ,000 (Konstante) -,433 ,061 -7,130 ,000 Ländercode ,715 ,077 ,358 9,260 ,000
2
Gesellschaftsform ,302 ,083 ,140 3,621 ,000 (Konstante) -,324 ,070 -4,616 ,000 Ländercode ,668 ,078 ,335 8,549 ,000 Gesellschaftsform ,313 ,083 ,145 3,778 ,000
3
Heimatort -,243 ,081 -,118 -3,016 ,003 (Konstante) -,336 ,070 -4,783 ,000 Ländercode ,549 ,094 ,275 5,815 ,000 Gesellschaftsform ,320 ,083 ,148 3,867 ,000 Heimatort -,249 ,080 -,121 -3,097 ,002
4
Alter ,226 ,101 ,104 2,247 ,025 a Abhängige Variable: Termindruck Termindruck = + 0,549 * Ländercode + 0,320 * Gesellschaftsform + 0,226 * Alter - 0,249 * Heimatort – 0,336 Diese Gleichung sagt aus:
Die deutschen Studierenden haben mehr Termindruck als die Ukrainer. Je individualistischer die
Gesellschaftsform ist, desto mehr stehen die Menschen unter Zeitdruck. Der Termindruck nimmt
mit dem Alter zu. Wenn die Studenten auf dem Land oder in einer Kleinstadt aufwuchsen, sind sie
mehr gestresst, als Kommilitonen, die bereits in der Großstadt aufwuchsen. Regressionsanalyse Nr. 4: Bei der vierten Regressionsanalyse wurde der Faktor „Wettbewerbsorientierung“ als abhängige Variable
eingesetzt. Als unabhängige Variablen blieben „Ländercode“, „Heimatort“ und „Alter“ im Beziehungsmodell.
Tab. 14: Ergebnis der 4. Regressionsanalyse: „Wettbewerbsorientierung“
Nicht standardisierte Koeffizienten
Standardi-sierte
Koeffizienten
Modell B Standard-
fehler Beta T Signifikanz (Konstante) -,206 ,056 -3,684 ,000 1 Ländercode ,432 ,081 ,216 5,339 ,000 (Konstante) -,302 ,068 -4,419 ,000 Ländercode ,472 ,082 ,236 5,739 ,000
2
Heimatort ,206 ,085 ,100 2,422 ,016 a Abhängige Variable: Wettbewerbsorientierung
Wettbewerbsorientierung = + 0,472 * Ländercode + 0,206 * Heimatort – 0,302 Diese Gleichung sagt aus:
Die deutschen Studenten geben sich als konkurrenzfähiger und fleißiger als die ukrainischen
Studenten aus. Wenn sie in einer Großstadt aufwuchsen, so verstärkt sich die Wettbewerbs-
orientierung.
Regressionsanalyse Nr. 5: Bei der fünften Regressionsanalyse wurde der fünfte Faktor „Aktivität und Ungeduld“ als abhängige Variable
eingesetzt. Als unabhängige Variablen konnten nach drei Bearbeitungsschritten „Alter“, „Industrialisierung“
und „Wohnort“ identifiziert werden.
Tab. 15: Ergebnis der 5. Regressionsanalyse: „Aktivität und Ungeduld“
Nicht standardisierte Koeffizienten
Standardi-sierte
Koeffizienten
Modell B Standard-
fehler Beta T Signifikanz (Konstante) -,161 ,048 -3,347 ,001 1 Alter ,531 ,087 ,244 6,088 ,000 (Konstante) -,263 ,057 -4,585 ,000 Alter ,380 ,099 ,175 3,857 ,000
2
Industrialisierung ,291 ,091 ,145 3,205 ,001 (Konstante) -,401 ,086 -4,674 ,000 Alter ,413 ,099 ,190 4,154 ,000 Industrialisierung ,330 ,092 ,165 3,574 ,000
3
Wohnort ,184 ,085 ,091 2,157 ,031 a Abhängige Variable: Aktivität und Ungeduld
Aktivität und Ungeduld = + 0,413 * Alter + 0,330 * Industrialisierung + 0,184 * Wohnort – 0,401
Diese Gleichung sagt aus:
Je älter die Studenten sind, desto aktiver und ungeduldiger sind sie. Auch das Land, in dem sie
wohnen, spielt eine Rolle. Je mehr das Herkunftsland industrialisiert ist, desto höher ist die
Aktivität und Ungeduld der Bewohner. Schließlich sind Großstadteinwohner ungeduldiger und
aktiver als Kleinstadtmenschen oder Menschen, die auf dem Land leben. Regressionsanalyse Nr. 6: Bei der sechsten Regressionsanalyse wurde der Faktor „Schnelles Essen“ als abhängige Variable eingesetzt. Als
unabhängige Variablen bleiben nach dem zweiten Bearbeitungsschritt das Herkunftsland und das Geschlecht. Tab. 16: Ergebnis der 6. Regressionsanalyse: „Schnelles Essen“
Nicht standardisierte Koeffizienten
Standardisierte
Koeffizienten
Modell B Standardfe
hler Beta T Signifikanz (Konstante) ,231 ,055 4,159 ,000 1 Ländercode -,488 ,080 -,245 -6,091 ,000 (Konstante) ,551 ,085 6,474 ,000 Ländercode -,474 ,079 -,237 -6,022 ,000
2
Geschlecht -,441 ,090 -,193 -4,894 ,000 a Abhängige Variable: Schnelles Essen Schnelles Essen = -0,474 * Ländercode – 0,441 * Geschlecht + 0,551 Diese Gleichung sagt aus:
Die Ukrainer essen schneller als die Deutschen. Männer essen schneller als Frauen. Regressionsanalyse Nr.7: Bei der siebten Regressionsanalyse wurde der Faktor „Verspätungen bei Terminen“ als abhängige Variable
eingesetzt. Als unabhängige Variable erwies sich nach einem Bearbeitungsschritt die Variable „Ländercode“ als
signifikant.
Tab. 17: Ergebnis der 7. Regressionsanalyse: „Verspätungen“
Nicht standardisierte Koeffizienten
Standardi-sierte
Koeffizienten
Modell B Standardfe
hler Beta T Signifikanz (Konstante) ,152 ,057 2,683 ,008 1 Ländercode -,317 ,082 -,159 -3,878 ,000
a Abhängige Variable: Verspätung bei Terminen
Verspätungen = - 0,317 * Ländercode + 0,152 Diese Gleichung sagt aus:
Die Ukrainer kommen oft zu spät bei Verabredungen oder müssen sich beeilen, rechtzeitig zu
kommen.
7.4.3.3 Ergebnisse der multiplen linearen Regressionsanalyse
Zuerst wurden die Beziehungen der unabhängigen Variablen zum Faktor „Temperament“ untersucht. Hier
konnte nur eine Beziehung als signifikant nachgewiesen werden, nämlich die Industrialisierung des Landes, und
wie temperamentvoll dessen Bewohner sind.
+ 0,186 - 0,362
Abb. 20: Beziehung zwischen Industrialisierung und Temperament
Mit der Industrialisierung des Landes lässt auch das Temperament der Bewohner des Landes nach. Dieser
Zusammenhang lässt sich folgendermaßen interpretieren: Je industrialisierter eine Gesellschaft ist, desto mehr
richtet sich der Mensch nach dem Diktat der „Stechuhr“. Im Arbeitsprozess muss sich der Einzelne anpassen.
Zu hitziges Temperament und Reizbarkeit kann sich der moderne Mensch „nicht mehr leisten“. Der Mensch hat
zu funktionieren wie eine Maschine. Gefühlsausbrüche stören nur und sind in der Arbeitswelt nicht gern
gesehen. So kann man erklären, dass die Menschen in weniger industrialisierten Ländern noch nicht so rational
denken und handeln. Sie zeigen eher ihr Gefühlsleben und treffen Entscheidungen „aus dem Bauch“. Da viele
der Befragten der Ukraine, vor allem aus der Ostukraine (vgl. Kap. 7.3.4) angaben, ihr Land sei noch nicht so
stark industrialisiert, ist es nachvollziehbar, dass sich die ukrainischen Befragten als temperamentvoller und
leichter reizbar sehen.
- 0,611
- 0,013 + 0,353
+ 0,189
+ 0,188
Temperament Industrialisierung
Anstrengung
Alter
Gesellschaftsform
Herkunftsland
Geschlecht
Abb. 21: Beziehungen zwischen Herkunftsland, Alter, Gesellschaftsform, Geschlecht und Anstrengung
Im Allgemeinen liegen die Mittelwerte der Items, die den Faktor „Anstrengung“ bilden, bei allen
Ländergruppen relativ hoch. Die Studenten aus der Ukraine strengen sich den Angaben zufolge jedoch noch
mehr an als die deutschen Studenten. Sie zeigen sich ernsthafter und arbeiten genauer.
Die Länder Osteuropas sind bekannt für ihr eher schwermütiges Naturell. Schon zu Sowjetzeiten wurde den
Bürgern und vor allem den Studenten eingetrichtert, für den Staat und das Allgemeinwohl Sorge zu tragen und
sich besonders anzustrengen. So kann man die Beziehung zwischen Herkunftsland und dem Faktor
„Anstrengung“, der auch den Aspekt Ernsthaftigkeit beinhaltet, erklären. Die Studenten der Länder Osteuropas
nehmen das Leben und ihr Studium sehr ernst und fühlen sich verantwortlich. Sie sind sich offenbar ihrer
Elitestellung bewusst.
Die älteren Studenten strengen sich mehr an, als die jüngeren. Die Verantwortlichkeit und die Ernsthaftigkeit
steigt mit dem Alter an. Junge Leute sind oft unbeschwerter als ältere Menschen. Auf ihnen lastet noch nicht so
viel Verantwortung, und sie nehmen das Leben noch nicht so ernst.
Studierende, die denken, jeder arbeite für sich alleine und sei für sich selbst verantwortlich, strengen sich mehr
an als andere. Menschen, die denken nur sie selbst seinen „ihres Glückes Schmied“ vertrauen nur auf das, was
sie aus eigener Kraft schaffen.
Frauen fühlen mehr Anstrengung als die Männer. Sie müssen auch heute noch in der Studienwelt und
Arbeitswelt mehr leisten, um die gleichen Erfolge wie die Männer zu erreichen. Die große Anstrengung kann
auch von einer Doppelbelastung mit Haushalt und Studium herrühren. Frauen, die Karriere machen wollen,
sehen sich oft mit Vorurteilen konfrontiert. Sie arbeiten deshalb noch genauer und angestrengter als die Männer.
Die Beziehungen Herkunftsland, Alter, Gesellschaftsform und Heimatort konnten als signifikante
Einflussgrößen beim Faktor „Termindruck“ nachgewiesen werden:
+ 0,549
- 0,336 + 0,226
+ 0,320
- 0,249
Termindruck
Alter
Gesellschaftsform
Herkunftsland
Heimatort
Abb. 22: Beziehungen zwischen Herkunftsland, Alter, Gesellschaftsform, Heimatort und Termindruck
In den westlichen industrialisierten Ländern wie Deutschland leben die Menschen unter einem hohen Zeitdruck.
Die Anforderungen sind hoch und es fällt schwer allen gerecht zu werden. In Deutschland antworteten zudem in
der Mehrzahl Fernstudenten, die meist nicht nur für das Studium lernen und arbeiten, sondern bereits einen
Beruf ausüben und einen eigenen Haushalt führen. Bei dieser Personengruppe gibt es mehr Störungen im
Alltag. Die Personen müssen oft zwischen verschiedenen Tätigkeiten hin- und herspringen. Dies passt zu der
Feststellung, dass befragte Personen mit höherem Alter mehr Termindruck empfinden. Die älteren Befragten
sind meist deutsche Fernstudenten, die schon im Berufsleben stehen oder zusätzlich zum Studium eine Familie
versorgen.
Eine starke Beziehung besteht zwischen der Gesellschaftsform und dem Termindruck. Befragte, die eher
individualistisch denken, sehen sich mehr unter Termindruck als Befragte, die davon ausgehen, dass in der
Gesellschaft das Gemeinwohl wichtig ist. Eine individualistische Gesellschaft setzt den Einzelnen mehr unter
Druck, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu erledigen. Es bleibt wenig Zeit, sich auszuruhen.
Ein weiterer Aspekt ist die Größe der Heimatstadt. Kommt jemand aus einer Kleinstadt oder vom Land, so ist er
oftmals mit den Anforderungen der Großstadt und des Studentendaseins überfordert. Wenn jemand bereits in
der Großstadt aufwuchs, so ist er mehr Stress und Hektik gewohnt. Das Großstadtleben und der rege
Universitätsbetrieb setzen ihn weniger unter Zeitdruck, als dies mit Menschen geschieht, die das „gemächliche“
Landleben gewohnt sind.
Ein weiterer Faktor ist die „Wettbewerbsorientierung“, die vom Herkunftsland, vom Alter und von der Größe
der Stadt, wo man aufwuchs, abhängt.
+ 0,472
- 0,302
+ 0,206
Abb. 23: Beziehungen zwischen Herkunftsland, Heimatort und Wettbewerbsorientierung
Deutschland zeigt sich wettbewerbsorientierter als die Ukraine. Bereits in den kulturellen Vorbetrachtungen
haben wir aufgrund religiöser und weltlicher Wertvorstellungen (protestantischer versus orthodoxer Glaube,
aber auch ehemals kapitalistische versus sozialistische Gesellschaftsform) Unterschiede zwischen Deutschland
und der Ukraine feststellen können. Der westliche protestantische Glaube leitet die Menschen dazu an, fleißig
zu sein, der orthodoxe zielt eher auf Genügsamkeit und Demut. Der Kapitalismus zwingt sowohl Unternehmer,
als auch Arbeitnehmer, sich der Konkurrenz auf dem freien Markt zu stellen. Somit wird Leistung durch
Wettbewerbs- orientierung
Heimatort
Herkunftsland
äußeren Druck eingefordert. Sozialistische Gesellschaftsformen schützen auch den Schwächeren. Auch wenn
die sozialistische Gesellschaftsform und die Kollektivwirtschaft in der Ukraine offiziell aufgelöst wurde, so
kann man davon ausgehen, dass es noch dauert, bis eine freier Markt und somit ein freier Wettbewerb wie in
Deutschland landesweit umgesetzt ist.
Bei Konkurrenzdenken und Wettbewerbsorientierung spielt auch die Größe der Stadt, in der man aufwuchs,
eine Rolle. Je größer die Stadt war, in der man als Kind lebte, desto ausgeprägter ist der Konkurrenzgedanke.
Der Großstadtmensch lebt meist isolierter als die Menschen auf dem Land. Auf dem Land ist man oft auf
nachbarschaftliche Hilfe angewiesen und lebt in einer Dorfgemeinschaft oder kommunalen Gemeinschaft einer
Kleinstadt.
Als nächstes wurde der Faktor „Aktivität und Ungeduld“ analysiert.
+ 0,413
- 0,401 + 0,330
+ 0,184
Abb. 24: Beziehungen zwischen Herkunftsland, Alter, Industrialisierung, Heimatort und Aktivität und
Ungeduld
Das Alter übt einen Einfluss auf die Aktivität der Menschen aus. Je älter die Studenten sind, desto weniger
wollen sie warten und desto ungeduldiger sind sie. Vielleicht sehen sie ihre zeitlichen Ressourcen schwinden
und versuchen, aktiv die Zeit zu nutzen und nicht mit Warten zu verschwenden.
In den industrialisierten Staaten, vor allem in Westdeutschland, herrscht schon seit den 50er Jahren keine
Mangelwirtschaft mehr. Die Westdeutschen mussten nicht, wie ehemals Bewohner sozialistischer Länder, nach
Lebensmitteln, Luxusgütern oder anderen Dingen anstehen. Vielleicht ist so die Ablehnung und das
Unverständnis von Bewohnern industrialisierter Länder zu erklären, sich anzustellen oder auf etwas zu warten.
Je industrialisierter ein Land ist, desto aktiver sind seine Einwohner. Vor allem auch die Freizeit wird aktiv
genutzt. Zum Ausruhen und Entspannen hat der moderne Mensch wenig Zeit. Das hektische, betriebsame
Arbeitsleben, färbt auch auf das Privatleben ab. Man zeigt sich auch in der Freizeit aktiv und „verschwendet“
keine Zeit mit Warten oder Nichtstun.
Schließlich gibt es noch eine positive Beziehung zwischen der Größe der Stadt, in der jemand wohnt, und dem
Faktor „Aktivität und Ungeduld“. In großen Städten sind die Menschen ungeduldiger. Dieses Bild entspricht
dem Stereotyp des gehetzten Großstadtmenschen, dem es nicht schnell genug gehen kann und der nicht warten
Aktivität und Ungeduld
Industrialisierung
Wohnort
Alter
will. Bewohner größerer Städte sind aktiver als Land- und Kleinstadtbewohner. Die Werbeplakate in den
Großstädten zeigen aktive junge und junggebliebene Menschen. Wer nicht mehr mit dem Tempo mithalten
kann, gerät schnell an den Rand der Gesellschaft.
- 0,474
+ 0,551
- 0,447
Abb. 25: Beziehungen zwischen Herkunftsland, Geschlecht und schnellem Essen
Die Ukrainer essen schneller als die Deutschen. Dieser Umstand wurde auch bei einem Interview von einer
Westukrainerin bestätigt (vgl. Kap. 8.1.1).
Ein noch stärkerer Zusammenhang besteht zwischen dem Geschlecht und dem Essverhalten. Es ist deutlich zu
erkennen, dass Männer grundsätzlich schneller essen als Frauen. Dies entspricht dem Klischee des stets aktiven
Mannes, der sein Essen im Schnellrestaurant herunterschlingt, um nicht selbst kochen zu müssen und nicht viel
Zeit zu verlieren. Frauen scheinen sich mehr Zeit zum Kochen und auch zur Nahrungsaufnahme zu nehmen als
Männer.
Als letzter Punkt wird der Faktor „Verspätungen“ betrachtet:
+ 0,152 - 0,317
Abb. 26: Beziehung zwischen Herkunftsland und Verspätungen
In den Ländern Osteuropas treten häufiger Verspätungen auf als in Deutschland. Gibt es den „pünktlichen
Deutschen“? An dieser „deutschen Eigenschaft“ scheint sich auch heute noch nicht viel geändert zu haben. Der
Ukrainer nimmt es mit der Pünktlichkeit offenbar nicht so genau. Dies kann allerdings Stress verursachen, wenn
man sich beeilen muss, einen Termin noch zu schaffen, oder auf andere warten muss, die später kommen als
vereinbart.
7.4.3.4 Zusammenfassung
Das Herkunftsland und somit der kulturelle Hintergrund, aus dem die Testpersonen stammen, hat fast bei allen
Regressionsanalysen einen Einfluss auf die Faktoren des zeitlichen Verhaltens. Lediglich bei Faktor 1 und 5 tritt
das Herkunftsland nicht als direkte unabhängige Variable in Erscheinung. Dafür erscheint die unabhängige
Schnelles Essen
Geschlecht
Herkunftsland
Verspätungen Herkunftsland
Variable „Industrialisierung des Landes“, die wiederum Rückschlüsse auf das Herkunftsland zulässt, da viele
Einwohner der Ukraine ihr Land als weniger industrialisiert als Deutschland beschrieben.
In einigen Fällen spielt das Alter der Testpersonen eine Rolle: bei Faktor 2 „Anstrengung“, bei Faktor 3
„Termindruck“ und bei Faktor 5 „Aktivität und Ungeduld“. Bei Faktor 2 „Anstrengung“ und Faktor 6
„schnelles Essen“ hat das Geschlecht einen Einfluss auf das Verhalten. Ob man in einer eher individualistischen
oder eher kollektivistischen Gesellschaftsform lebt, wirkt sich auf die Stärke des Termindrucks und auf die
Anstrengung des Einzelnen aus. Der Grad der Industrialisierung des Landes hat Einfluss auf das Temperament
und auf die Aktivität und Ungeduld der Menschen. Ebenso wirkt sich der Wohnort auf die Aktivität und
Ungeduld der Menschen aus. Der Heimatort, der Ort an dem jemand aufwuchs, beeinflusst den Termindruck,
den man sich ausgesetzt sieht, und die Wettbewerbsorientierung.
Die Regressionsanalysen zeigen, dass jeder der Faktoren des zeitlichen Verhaltens von verschiedenen Variablen
beeinflusst wird. Es ist evident, dass das Herkunftsland eine sehr wichtige Einflussvariable ist. Dies spricht für
unsere These einer kulturellen Differenzierung zeitlichen Verhaltens. Allerdings wird schon bei der
Regressionsanalyse gezeigt, dass das Herkunftsland nicht immer gleich auf die Faktoren wirkt. Der Deutsche
zeichnet sich durch eine hohe Pünktlichkeit aus. Dagegen akzeptieren Ukrainer Verspätungen und sind beim
Warten nicht so ungeduldig. Der Deutsche ist wettbewerbsorientierter und steht mehr unter Termindruck,
während der Ukrainer angestrengter arbeitet. Die Ukrainer sind nicht so sehr Genießer. Sie essen schneller als
die Deutschen, und das Essen selbst wird als weniger wichtig erachtet.
Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor für den Umgang mit der Zeit ist das Alter. Mit zunehmenden Alter steigen
Anstrengung und Termindruck. Die Aktivität und Ungeduld der Studenten nimmt zu. Beim Geschlecht gibt es
unterschiedliche Einflüsse. Während die Frauen vorgeben, sich mehr anzustrengen, sagen die Männer aus,
schneller zu essen.
Während in hoch industrialisierten Ländern die Einwohner tendenziell ein weniger hitziges Temperament
haben, sind sie beim Warten sehr ungeduldig und bezeichnen sich insgesamt als aktiver. In größeren Städten
sind die Menschen ungeduldiger und aktiver als auf dem Land. Die Größe der Stadt, wo jemand aufwuchs, hat
eine positive Beziehung zum Faktor „Termindruck“ und „Wettbewerbsorientierung“.
Die einzige unabhängige Variable, die in die schrittweise Regressionsanalyse eingebracht wurde und die bei
den Untersuchungsergebnissen keinen Faktor des zeitlichen Verhaltens signifikant beeinflusste, war Item 56,
der Wohlstand des Landes.
7.4.4 Tests zum Auffinden kulturspezifischer Besonderheiten
Im Kapital 5 wurden kulturspezifische Besonderheiten in Westdeutschland, Ostdeutschland, der Westukraine
und der Ostukraine vorgestellt. Mit einem Mittelwertvergleich der Merkmale des zeitlichen Verhaltens getrennt
nach Ländergruppen kann man testen, ob sich signifikante Unterschiede ergeben. Dies muss nicht der Fall sein,
denn aktuelle Berichte schildern große Veränderungen im Bewusstsein der Menschen und deren
Lebensgewohnheiten in Ostdeutschland und der Ukraine. Der Osten bricht ins Technologiezeitalter auf und will
genauso konkurrenz- und wettbewerbsfähig sein wie der Westen. Der gemächliche „Ossi“, der sich genügsam
in die Warteschlangen einreiht, ist nicht mehr so oft zu finden. Vielmehr beherrschen Ehrgeiz und Strebsamkeit
die Szene. Ostdeutschland und die Ukraine befinden sich nicht mehr in einer kollektivistischen „Oase“ der
offiziellen Vollbeschäftigung. Der Staat sorgt nicht mehr für jeden. Gerade die jungen Leute müssen sich auf
mehr Wettbewerb und Konkurrenz einstellen.
Eine Varianzanalyse der Variablen des JAS zum zeitlichen Verhalten soll Aufschluss darüber geben, ob es
signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Ländergruppen gibt. Ostdeutsche werden oft
aufgrund ihrer sozialistischen Vergangenheit von den Westdeutschen als weniger leistungsorientiert und
flexibel eingestuft. Die Westukrainer gelten als fortschrittlich und mehr an westlichen Werten orientiert,
während die Ostukrainer als eher rückständig und immer noch sozialistisch orientiert beschrieben werden (siehe
Kap. 5.3).
Die genannten Beschreibungen der oben genannten Ländergruppen müssen Jahre nach Öffnung der Grenzen
zum Westen neu hinterfragt werden. Auch durch das Zusammenwachsen der Länder Europas und der
weltweiten Globalisierungsprozesse können Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Werthaltungen und
den Verhaltensweisen der Menschen zunehmend verschwinden.
Viele der befragten Studenten, vor allem die ukrainischen Studenten, wohnen heute in einer Großstadt. Was
unterscheidet den Großstadtmenschen in Kiew vom Großstadtmenschen in Berlin? Sassen (1995) geht davon
aus, dass die Großstädte in der Zeit der Globalisierung Zentren des Wandels sind. So sind in den Großstädten
die Wandlungsprozesse mehr sichtbar als in ländlichen Regionen.
Im industrialisierten Europa verschwinden kulturelle Unterschiede im Umgang mit der Zeit zunehmend. Trends
sind eine Beschleunigung bei der Arbeitszeit und in der Freizeit bei gleichzeitigem Abhandenkommen von
Mußezeiten (vgl. Garhammer 1999). Die temporeiche Arbeitswelt wirkt sich auf das Verhalten der Menschen
ein. Die schnelllebige Umgebung zwingt das Individuum dazu sich anzupassen.
Die zu widerlegende Grundhypothese für die Varianzanalyse zum Auffinden länderspezifischer Unterschiede
lautet, dass es aufgrund der Anpassungsprozesse im Zuge der Europäisierung und Globalisierung keine
signifikanten Unterschiede bei den befragten Studenten aus West- und Ostdeutschland und aus der West- und
Ostukraine bezüglich des zeitlichen Verhaltens gibt. Die Gegenthese lautet, dass es landestypische Unterschiede
bei den Merkmalen des zeitlichen Verhaltens gibt, die statistisch nachgewiesen werden können. Aufgrund von
historischen und kulturellen Entwicklungen und den vermuteten unterschiedlichen Wertvorstellungen in der
Bevölkerung wird bei dieser Untersuchung nicht nur zwischen Deutschland und der Ukraine, sondern auch
zwischen dem Westen und Osten der beiden Länder unterschieden.
7.4.4.1 Die Varianzanalyse
Der Mittelwertvergleichstest (Varianzanalyse, eng. Analysis of Variance), untersucht, ob die Mittelwerte einer
Grundgesamtheit gleich oder verschieden sind. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Variablen mindestens
Intervallskalenniveau haben. Da wir nicht die Items selbst, sondern die Faktoren, die hinter den Items stehen, in
die Analyse einfließen lassen, können wir ein Intervallskalenniveau voraussetzen. Weiterhin müssen die
erfragten Merkmalsausprägungen von einer Zufallsstichprobe kommen, die aus einer normalverteilten
Grundgesamtheit gezogen wurde. Die beobachteten Werte werden verglichen mit den Werten, die beim
Vorliegen einer Normalverteilung zu erwarten sind (vgl. Brosius, 2006, S. 496). Ein Kolmogoroff- Smirnoff-
Test auf Normalverteilung ergab, dass von einer Normalverteilung der untersuchten Variablen ausgegangen
werden kann.
Bei der einfaktoriellen ANOVA-Untersuchung wird als unabhängige Variable der jeweilige Ländercode
eingegeben, während als abhängige Variablen die sieben Faktoren des zeitlichen Verhaltens (siehe Kap. 7.4.2.3)
ausgewählt werden.
Folgende Hypothesen werden aufgestellt:
H0: Die Stichproben entstammen derselben Grundgesamtheit und
H1: Die Stichproben entstammen unterschiedlichen Grundgesamtheiten.
Die Varianzanalyse geht davon aus, dass sich die gesamte Streuvarianz der betrachteten Variablen gedanklich
in die Streuung der einzelnen Fallgruppen und die Streuung zwischen den einzelnen Gruppen aufteilen lässt. Es
wird die externe Varianz durch die Quadratsumme der internen Varianz geteilt. So wird der sogenannte F-Wert
ermittelt. Da angenommen wird, dass der F-Wert zufallsverteilt ist, kann nun die Wahrscheinlichkeit
(Signifikanz) ermittelt werden, mit der der F-Wert mindestens einen bestimmten Wert annimmt, wenn die
Gruppenmittelwerte in der Grundgesamtheit identisch sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass alle vier
Ländergruppen in der Grundgesamtheit einen im Durchschnitt gleichen Mittelwert aufweisen, ist sehr gering.
Wir können folglich die Nullhypothese, dass alle vier Stichproben einer Grundgesamtheit entstammen,
verwerfen. Tab. 18: Ergebnis des einfaktoriellen ANOVA-Tests mit sieben Faktoren des zeitlichen Verhaltens
Quadrat-summe df
Mittel der Quadrate F Signifikanz
Temperament Zwischen den Gruppen 21,827 3 7,276 7,519 ,000 Innerhalb der Gruppen 563,173 582 ,968 Gesamt 585,000 585 Anstrengung Zwischen den Gruppen 28,128 3 9,376 9,799 ,000 Innerhalb der Gruppen 556,872 582 ,957 Gesamt 585,000 585
Termindruck Zwischen den Gruppen 68,449 3 22,816 25,707 ,000 Innerhalb der Gruppen 516,551 582 ,888 Gesamt 585,000 585 Wettbewerbs-orientierung
Zwischen den Gruppen 27,874 3 9,291 9,706 ,000
Innerhalb der Gruppen 557,126 582 ,957 Gesamt 585,000 585 Aktivität und Ungeduld
Zwischen den Gruppen 46,873 3 15,624 16,898 ,000
Innerhalb der Gruppen 538,127 582 ,925 Gesamt 585,000 585 Schnelles Essen Zwischen den Gruppen 34,385 3 11,462 12,115 ,000 Innerhalb der Gruppen 550,615 582 ,946 Gesamt 585,000 585 Verspätung bei Terminen
Zwischen den Gruppen 22,450 3 7,483 7,742 ,000
Innerhalb der Gruppen 562,550 582 ,967 Gesamt 585,000 585
Anhand der Signifikanzniveaus kann davon ausgegangen werden, dass es Unterschiede im zeitlichen Verhalten
der Studenten der unterschiedlichen Ländergruppen gibt. In diesem Fall können wir einen Duncan-Test als
Post-Hoc-Mehrfachvergleich durchführen. Mit dem Duncan-Test lässt sich eruieren, ob sich unter diesen vier
Ländergruppen homogene Untergruppen finden lassen oder ob sich alle Ländergruppen voneinander in ihrem
zeitlichen Verhalten unterscheiden.
7.4.4.2 Ergebnisse des Duncan-Tests auf homogene Untergruppen
Beim Faktor „Temperament“ lassen sich drei Gruppen unterschieden, wobei die westdeutsche und die
westukrainische Gruppe nicht eindeutig zuzuordnen sind.
Tab. 19: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Temperament“
Temperament Duncan
Untergruppe für Alpha = .05.
Ländercode N 1 2 3 Ostdeutschland 46 -,4054910 Westdeutschland, Österreich, Schweiz 235 -,1458220 -,1458220
Westukraine 59 ,1396145 ,1396145 Ostukraine 246 ,1816403 Signifikanz ,086 ,059 ,781
Die Mittelwerte für die in homogenen Untergruppen befindlichen Gruppen werden angezeigt. a Verwendet ein harmonisches Mittel für Stichprobengröße = 85,091. b Die Gruppengrößen sind nicht identisch. Es wird das harmonische Mittel der Gruppengrößen verwendet. Fehlerniveaus des Typs I sind nicht garantiert.
Abb. 27: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Temperament“ Bei der ostdeutschen Ländergruppe ist beim „Temperament“ ein sehr niedriger Mittelwert erkennbar, während
die Westdeutschen einen eher moderaten Mittelwert zeigen. Die Ukrainer, besonders die Ostukrainer, zeigen
höhere Mittelwerte und zeichnen sich damit als temperamentvoller und leichter reizbar aus. Als Nächstes stehen die Unterschiede beim Faktor „Anstrengung“ im Blickfeld. Hier lassen sich zwei
homogene Untergruppen finden. Die west- und ostdeutschen Studenten unterscheiden sich von den west- und
ostukrainischen Studenten. Während die deutschen Studenten niedrigere Mittelwerte aufweisen, zeigen die
ukrainischen Studenten eher höhere Mittelwerte. Dies bedeutet, dass die Ukrainer subjektiv eine höhere
Anstrengung empfinden als ihre deutschen Studienkollegen. Tab. 20: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Anstrengung“ Anstrengung Duncan
Untergruppe für Alpha = .05.
Ländercode N 1 2 Westdeutschland, Österreich, Schweiz 235 -,2439871
Ostdeutschland 46 -,1344957 Ostukraine 246 ,2005329 Westukraine 59 ,2405535 Signifikanz ,466 ,790
Die Mittelwerte für die in homogenen Untergruppen befindlichen Gruppen werden angezeigt. a Verwendet ein harmonisches Mittel für Stichprobengröße = 85,091. b Die Gruppengrößen sind nicht identisch. Es wird das harmonische Mittel der Gruppengrößen verwendet. Fehlerniveaus des Typs I sind nicht garantiert.
Abb. 28: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Anstrengung“ Beim Faktor „Termindruck“ erscheinen bei den deutschen Studenten die höheren Werte. Die deutschen
Studenten müssen oft zwischen Tätigkeiten hin- und herspringen und sehen sich einem starken Termindruck
ausgesetzt. Störungen und Ärgernisse treten häufiger auf.
Tab. 21: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Termindruck“
Termindruck Duncan
Untergruppe für Alpha = .05.
Ländercode N 1 2 Westukraine 59 -,3694437 Ostukraine 246 -,3165106 Westdeutschland, Österreich, Schweiz 235 ,3378043
Ostdeutschland 46 ,4407560 Signifikanz ,714 ,476
Die Mittelwerte für die in homogenen Untergruppen befindlichen Gruppen werden angezeigt. a Verwendet ein harmonisches Mittel für Stichprobengröße = 85,091. b Die Gruppengrößen sind nicht identisch. Es wird das harmonische Mittel der Gruppengrößen verwendet. Fehlerniveaus des Typs I sind nicht garantiert.
Abb. 29: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Termindruck“
Der nächste Faktor zeigt die „Wettbewerbsorientierung“ der Studenten. Während sich die ostukrainischen
Studenten nicht so sehr wettbewerbsorientiert sehen, zeigen sich gerade die westdeutschen Studenten sehr
konkurrenzfähig. Dazwischen liegen die westukrainischen und ostdeutschen Studenten, die sich nicht genau
zuordnen lassen. Die Tendenz zeigt allerdings, dass die Deutschen sich insgesamt als konkurrenzfähiger und
fleißiger betrachten als die Ukrainer.
Tab. 22: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Wettbewerbsorientierung“ Wettbewerbsorientierung Duncan
Untergruppe für Alpha = .05.
Ländercode N 1 2 3 Ostukraine 246 -,2302542 Westukraine 59 -,1063082 -,1063082 Ostdeutschland 46 ,1861521 ,1861521 Westdeutschland, Österreich, Schweiz 235 ,2312839
Signifikanz ,409 ,052 ,764 Die Mittelwerte für die in homogenen Untergruppen befindlichen Gruppen werden angezeigt. a Verwendet ein harmonisches Mittel für Stichprobengröße = 85,091. b Die Gruppengrößen sind nicht identisch. Es wird das harmonische Mittel der Gruppengrößen verwendet. Fehlerniveaus des Typs I sind nicht garantiert.
Abb. 30: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Wettbewerbsorientierung“ Der Faktor „Aktivität und Ungeduld“ weist wieder zwei homogene Untergruppen auf. Dabei bildet die
ostukrainische Ländergruppe eine eigene Gruppe, die sich über den geringen Grad an Aktivismus definiert. Es
sieht aus als wären die Ostukrainer weniger aktiv als ihre westukrainischen und deutschen Studienkollegen. In
der Ostukraine zeigt man den Antworten nach erstaunlich viel Geduld beim Warten und nimmt das „Schlange
stehen“ gelassen hin. Die Westdeutschen fallen als am aktivsten und ungeduldigsten auf.
Tab. 23: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Aktivität und Ungeduld“ Aktivität und Ungeduld Duncan
Untergruppe für Alpha = .05.
Ländercode N 1 2 Ostukraine 246 -,3200642 Ostdeutschland 46 ,0193099 Westukraine 59 ,1459405 Westdeutschland, Österreich, Schweiz 235 ,2946257
Signifikanz 1,000 ,078 Die Mittelwerte für die in homogenen Untergruppen befindlichen Gruppen werden angezeigt. a Verwendet ein harmonisches Mittel für Stichprobengröße = 85,091. b Die Gruppengrößen sind nicht identisch. Es wird das harmonische Mittel der Gruppengrößen verwendet. Fehlerniveaus des Typs I sind nicht garantiert.
Abb. 31: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Aktivität und Ungeduld“ Beim „Essverhalten“ unterscheiden sich die Ukrainer von den Deutschen. Sie essen in der Regel schneller als
die Deutschen. Die Studierenden der Ostukraine gaben an, am schnellsten zu essen, gefolgt von ihren
westukrainischen Studienkollegen. Am meisten Zeit lässt man sich in Ostdeutschland.
Tab. 24: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Schnelles Essen“
Schnelles Essen Duncan
Untergruppe für Alpha = .05.
Ländercode N 1 2 Ostdeutschland 46 -,3240934 Westdeutschland, Österreich, Schweiz 235 -,2359468
Westukraine 59 ,1732490 Ostukraine 246 ,2444476 Signifikanz ,555 ,633
Die Mittelwerte für die in homogenen Untergruppen befindlichen Gruppen werden angezeigt. a Verwendet ein harmonisches Mittel für Stichprobengröße = 85,091. b Die Gruppengrößen sind nicht identisch. Es wird das harmonische Mittel der Gruppengrößen verwendet. Fehlerniveaus des Typs I sind nicht garantiert.
Abb. 32: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Schnelles Essen“
Vorbildlich beim Einhalten von Terminen und im Bezug auf Pünktlichkeit erscheinen die westdeutschen
Studenten. Sie bilden eine homogene Untergruppe, die sich von den anderen befragten Studenten unterscheidet.
Die ostdeutschen und ukrainischen Studenten kommen öfter zu spät zu Verabredungen oder müssen sich
beeilen, um die Termine einzuhalten.
Tab. 25: Homogene Ländergruppen beim Faktor „Verspätungen“ Verspätung bei Terminen Duncan
Untergruppe für Alpha = .05.
Ländercode N 1 2 Westdeutschland, Österreich, Schweiz 235 -,2375908
Ostukraine 246 ,1398909 Westukraine 59 ,2021646 Ostdeutschland 46 ,2063691 Signifikanz 1,000 ,681
Die Mittelwerte für die in homogenen Untergruppen befindlichen Gruppen werden angezeigt. a Verwendet ein harmonisches Mittel für Stichprobengröße = 85,091.
b Die Gruppengrößen sind nicht identisch. Es wird das harmonische Mittel der Gruppengrößen verwendet. Fehlerniveaus des Typs I sind nicht garantiert.
Abb. 33: Liniendiagramm: länderspezifische Mittelwerte beim Faktor „Verspätungen“
7.4.4.3 Länderspezifische Unterschiede beim zeitlichen Verhalten
Der ANOVA-Test und der Duncan-Test zeigen klar, dass sich das Verhalten der Studenten länderspezifisch
unterscheidet. Es konnten signifikante Unterschiede bei allen Faktoren des zeitlichen Verhaltens nachgewiesen
werden. Beim Faktor „Anstrengung“, „Termindruck“ und „Schnelles Essen“ bildeten die deutschen und
ukrainischen Befragten jeweils eine homogene Untergruppe. Beim Faktor „Temperament“ und
„Wettbewerbsorientierung“ gibt es drei homogene Gruppen, das heißt, Deutschland und die Ukraine bilden
keine eigene homogene Gruppe. Beim Faktor „Aktivität und Ungeduld“ bildeten die Ostukrainer eine eigene
Untergruppe mit niedrigeren Mittelwerten, beim Faktor „Verspätungen“ die Westdeutschen.
Bei der Interpretation der Ergebnisse muss man sich nun fragen, mit welchen kulturspezifischen Besonderheiten
der Länder und Ländergruppen die Unterschiede im zeitlichen Verhalten begründet werden können. Was kann
der Grund sein, dass sich die Studenten länderspezifisch in ihren Verhaltensmustern bei Teilaspekten des
zeitlichen Verhaltens voneinander unterscheiden? Diese Fragestellung führt direkt zu den Werten und Normen,
die eine Gesellschaft ihren Mitgliedern vorgibt. Unterschiede können aufgrund unterschiedlicher
Sozialisierungs- und Lernprozesse entstanden sein. Die Umwelt bietet Anreize, wie zum Beispiel einen
erfolgreichen Studienabschluss und eine berufliche Karriere, sie fordert aber Anstrengung und Entbehrungen
auf dem Weg dahin. Weiterhin werden unterschiedlichen Volksgruppen unterschiedliche Mentalitäten
nachgesagt. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale sollen in einzelnen Ländern häufiger anzutreffen sein.
Beginnen wir mit den Faktoren, bei denen sich die Deutschen von den Ukrainern unterscheiden: Während die
Ukrainer zum Beispiel ein hitzigeres Temperament haben, sind die deutschen Studenten wettbewerbsorientierter
und haben mehr Termindruck. Die Deutschen, vor allem die Ostdeutschen, sehen sich als weniger
temperamentvoll und reizbar. Die Regressionsanalyse (Kap. 7.4.3) zeigte bereits, dass ein hitziges
Temperament und eine hohe Reizbarkeit in einem industrialisierten Land weniger häufig vorkommen, als in
einem Land, das noch nicht industrialisiert oder auf erst auf dem Weg zu einer Industrienation ist. Als
Erklärung wurde dazu eingefügt, dass in Industriestaaten der Mensch aufgrund der strikten Produktionsabläufe
beherrschter und disziplinierter sein muss. Gefühlsausbrüche und Temperament sind in einer solchen
Umgebung nicht gefragt.
Während die Bewohner der Ukraine angeben, ihr Studium sehr ernst zu nehmen, sich mehr anzustrengen und
verantwortungsbewusster zu sein, zeigen die west- und ostdeutschen Studenten geringere Mittelwerte als die
Ukrainer. Es wäre falsch, daraus sofort den Umkehrschluss zu ziehen, dass die Deutschen ihr Studium nicht
ernst nehmen und sich nicht anstrengen. Im Durchschnitt sind die Mittelwerte beim Faktor „Anstrengung“ bei
allen Studenten hoch, wenngleich sie bei den Ukrainern noch höher sind. Dieser hohe Grad des
Verantwortungsbewusstseins könnte noch ein Vermächtnis der sozialistischen Weltanschauung sein, dass
gerade ein junger Mensch für das Kollektiv da sein sollte und gesellschaftlich eine hohe Verantwortung trägt.
Er ist dem Gemeinwohl aller verpflichtet und sollte die Volksgemeinschaft unterstützen. Studenten wurden im
Sozialismus auf ihre Gesinnung geprüft, und es war eine gesellschaftliche Auszeichnung, studieren zu dürfen.
Widersachern des kommunistischen Regimes wurde es erst gar nicht erlaubt, zu studieren, um somit der
Allgemeinheit keinen Schaden zufügen zu können. Wer zum Studium von der Partei „auserkoren“ war, nahm
seine Aufgabe in der Regel sehr ernst und versuchte, den Ansprüchen der sozialistischen Gesellschaft gerecht
zu werden. Es kann aber auch sein, dass einige Jahre nach der Öffnung zum Westen die Studenten ihre
Erfolgschancen nach dem Studium auf dem Arbeitsmarkt kritischer sehen als noch zu sozialistischen Zeiten.
Wer erfolgreich sein will, muss sich mehr anstrengen als zu Zeiten der Vollbeschäftigung.
Ein zweiter Grund, weshalb sich die Studenten in Deutschland nicht so verantwortungsbewusst und angestrengt
ausgeben, wie ihre ukrainischen Kommilitonen, kann sein, dass in Deutschland andere Wertvorstellungen
vorherrschen. Die junge Generation lebt im Westen schon seit vielen Jahren ohne Not, und die Deutschen haben
international gesehen einen hohen Wohlstand aufgebaut. Die Nachkriegsjahre sind lange schon vergessen, und
die Menschen bezeichnen sich selbst als Mitglieder einer „Spaßgesellschaft“. Die Werbung suggeriert ein
„relaxtes Dasein“ mit allen Annehmlichkeiten und individuellen Freiheiten. Werte wie „Anstrengung“,
„Verantwortungsbewusstsein“ oder „Ernsthaftigkeit“ sind nicht mehr „modern“. Natürlich sieht die Realität
anders aus. Auch die Deutschen müssen im Studium und auf dem Arbeitsmarkt hohe Anforderungen erfüllen,
um erfolgreich zu sein und sich im internationalen Wettbewerb durchzusetzen. Hier ist es fraglich, ob bei den
Selbsteinschätzungen und Antworten der Studenten aus Deutschland auf der einen Seite die „Spaßgesellschaft“,
auf der anderen Seite aber auch die „Leistungsgesellschaft“ ihre Auswirkungen zeigen.
Ein weiterer Faktor, bei dem sich die Ukraine von Deutschland unterscheidet, ist der „Termindruck“. Die
deutschen Befragten empfinden subjektiv einen höheren Zeitdruck als ihre ukrainischen Kommilitonen. Die
deutschen Studenten setzen sich oft selbst unter Termindruck und müssen öfters zwischen zwei Tätigkeiten hin-
und herspringen. Stress und Termindruck sind Kennzeichen der westlichen Industriegesellschaft. Die
westdeutschen, aber auch die ostdeutschen Studenten sehen sich dem Druck der Anforderungen einer
individualistisch geprägten Leistungsgesellschaft ausgesetzt. Die meisten deutschen Befragten waren
Fernstudenten. Gerade diese Gruppe von Studierenden hat häufig schon einen Beruf, in dem sie tätig ist, oder
einen Haushalt mit Kindern zu führen. Dies könnte ebenso ein wichtiger Grund sein, warum die Studenten mehr
unter Termindruck stehen. Doppelbelastungen im Studium, im Beruf und in der Familie kommen hier
wesentlich häufiger vor, als bei den meist jungen ukrainischen Vollzeitstudenten.
Die ostukrainischen Studenten gehen die Dinge eher gelassen an, gefolgt von den westukrainischen und
ostdeutschen Studenten. Die westdeutschen Studenten sehen sich am meisten wettbewerbsorientiert und
konkurrenzfähig. Haben hier Jahre des westlichen Kapitalismus ihre Spuren hinterlassen? Schon von klein auf
hat man in der westlichen Welt gelernt, konkurrenzbewusst zu denken. Ab der Schulzeit stand man in einem
Wettbewerbsprozess. In der Leistungsgesellschaft kann nur der gut leben, der sich durch besonderen Fleiß und
Konkurrenzfähigkeit von andern abhebt. Der andere wird dabei immer als Konkurrent betrachtet. Wer kann in
einer solchen Atmosphäre des ständigen Wettbewerbs schon gelassen und entspannt sein? Verbietet sich eine
solche Grundhaltung gerade für einen Studenten, der sich hohe Ziele steckt, nicht von selbst? Auch bei diesem
Faktor kann man eine gesellschaftliche Werthaltung erkennen, die hinter dem hohen Konkurrenzdenken
besonders der westdeutschen Studenten stehen kann. Grundsätzlich sind die Mittelwerte beim Faktor
Wettbewerb bei allen Studenten relativ hoch. Deshalb können wir davon ausgehen, dass auch die ukrainischen
Studenten sind nicht völlig entspannt und gelassen sind. Auch sie sehen sich dem Wettbewerbsdruck ausgesetzt.
Ob dies mit der Öffnung der Grenzen zum Westen und der neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Situation zusammenhängt, lässt sich nur vermuten.
Die Ostukrainer sind auch heute noch geduldiger beim Warten. Sie könnten nach Einschätzung von Freunden
aktiver sein und zeigen weniger Energie als andere. Im Gegensatz dazu beschreiben sich die deutschen und
westukrainischen Studenten als eher ungeduldig und aktiv. Die westliche Wertorientierung, dass der Mensch
aktiv sein sollte, zeigt sich hier. Vor allem die westliche Werbung hat stets aktive und energiegeladene Personen
als Zielgruppe. Der Arbeitsmarkt, aber auch der Freizeitmarkt mit seinen vielschichtigen Angeboten ist auf ein
Menschenbild ausgerichtet, bei dem „Jungsein und Aktivsein“ die Voraussetzung für weiteren Erfolg darstellen.
In dieser von der Werbeindustrie, aber auch von Arbeitgebern propagierten Gesellschaft ist für Menschen, die
nicht so aktiv sein können, kein Platz. Der Arbeitnehmer ist nur solange interessant, solange er seine gesamte
Energie und Leistungsfähigkeit dem Betrieb zur Verfügung stellen kann. Menschen, die weniger Energie haben
oder weniger leisten können, werden ausgegrenzt. „Aktiv sein“ ist selbst in der Freizeit eine Maxime.
Kann es sein, dass sich in der Ostukraine noch einige der alten sozialistischen Werthaltungen in die neue Zeit
herübergerettet haben? In Zeiten des Sozialismus waren alle Bevölkerungsschichten, egal ob jung oder alt,
Mann oder Frau, in den Arbeitsprozess eingegliedert. Die Produktionszahlen waren teilweise niedriger als im
Westen. Man nahm in Kauf, auch mal zu warten und für manche Luxusgüter anzustehen. Insgesamt ging man
an viele Dinge ruhiger heran.
Das „schnelle Essen“ scheint eine Eigenart der Ukrainer darzustellen. Sowohl die west- als auch die
ostukrainischen Studenten geben an, schneller zu essen als die deutschen. In Deutschland zeigt sich gerade in
jüngster Vergangenheit ein Trend zur bewussteren Ernährung. Durch die Aufklärung in den Medien und
Schulen werden die Menschen animiert, ausgewogene und vitaminreiche Nahrung zu sich zu nehmen. Fast-
Food-Restaurants und Imbissbuden sind zwar nach wie vor gerade bei jungen Leuten beliebt, der Trend zu einer
gesünderen Ernährung zeigt jedoch seine Folgen. Wer eine Familie zu ernähren hat, schaut bewusster darauf,
was auf den Tisch kommt und nimmt das Essen im Kreise der Familie ein. Das gemeinsame Mittag- oder
Abendessen ist auch eine Möglichkeit, miteinander Zeit zu verbringen und zu kommunizieren. Gerade bei den
befragten deutschen Fernstudenten ist dies eher der Fall.
So ist es bei diesem Punkt schwer nachvollziehbar, ob das „Schnelle Essen“ wirklich eine Eigenart der Ukrainer
darstellt, oder ob es mehr durch die Umstände, wie und wo das Essen eingenommen wird, bedingt ist. Jüngere,
ukrainische Studenten essen wohl oft alleine im Imbiss oder der Mensa, sodass für das Essen weniger Zeit
gebraucht wird. Die Zeit, die man für Nahrungsaufnahme verwendet, ist stark situationsabhängig. In einem
gemütlichen Restaurant oder im Kreise der Familie wird man mehr Zeit beim Essen verbringen, als wenn man
zwischen den Vorlesungen schnell etwas essen geht. Unsere Fragen lauteten: „Wie schnell essen Sie
gewöhnlich?“ und „Hat Ihr Lebenspartner/in oder Freund/in Ihnen jemals gesagt, dass Sie zu schnell essen?“.
Diese Fragen zielen auf die allgemeinen Essgewohnheiten ab. Bei diesen scheinen sich die Ukrainer selbst als
„schnelle Esser“ einzuschätzen.
Bei der Pünktlichkeit stehen die Westdeutschen an oberster Stelle. Viele geben an, pünktlich zu sein und immer
rechtzeitig bei Terminen und Verabredungen zu erscheinen. Anders stellen sich die ostdeutschen und
ukrainischen Studenten dar. Sie müssen sich oft beeilen, um ihre Verabredungen pünktlich einzuhalten und
kommen auch manchmal zu spät. Pünktlichkeit ist eine „grunddeutsche Eigenschaft“. In vielen historischen,
aber auch aktuellen Texten wird die deutsche „Pünktlichkeit“ gerühmt.
Während in manchen Ländern das verspätete Kommen zu einem Termin eher vernachlässigt wird, in manchen
Ländern es sogar üblich ist, immer etwas zu spät zu sein, ist es in Deutschland ein grober Regelverstoß. Ämter
und in Geschäfte öffnen und schließen pünktlich. Es wird erwartet, dass ein Termin, egal ob beim Arzt, beim
Arbeitgeber oder mit der Verlobten, eingehalten wird. Hält man sich nicht an die Regeln der Pünktlichkeit, so
riskiert man bestenfalls eine Rüge, im schlimmsten Fall kommt man nicht mehr dazu, sein Anliegen
vorzubringen, da man nicht mehr empfangen wird.
Am Arbeitsplatz haben sich seit der Zeit der Industrialisierung und dem Einführen einer Stechuhr schon Anfang
des letzten Jahrhunderts für die Arbeitnehmer neue Regeln zur Pünktlichkeit umgesetzt. Häufige Verspätungen
sind auch heute noch ein Entlassungsgrund. In Ostdeutschland und der Ukraine nimmt man es mit der
Pünktlichkeit nicht so genau wie im stark industrialisierten Westdeutschland.
An den unterschiedlichen Mittelwerten der Ländergruppen lässt sich erkennen, dass je nach Faktor manchmal
die deutschen Testpersonen höhere Mittelwerte aufweisen, manchmal die ukrainischen Studenten. Beim Faktor
„Aktivität und Ungeduld“ haben die Ostukrainer niedrigere Werte als die anderen Ländergruppen, beim Faktor
„Verspätungen“ haben die Westdeutschen niedrigere Werte als die anderen.
Teilweise ist man von den Ergebnissen auch erstaunt, da sie sich beim ersten Blick widersprechen. So ist es nur
schwer einzuordnen, dass sich die Ukrainer mehrheitlich als angestrengter, ernsthafter und
verantwortungsbewusster beschreiben, gleichzeitig beim Faktor Wettbewerbsorientierung und Termindruck
aber geringere Werte als die deutschen Studenten aufweisen. Um dies schlüssig erläutern zu können, muss man
vorher die Faktoren „Anstrengung“, „Termindruck“ und „Wettbewerbsorientierung“ voneinander abgrenzen.
Jemand, der angestrengt arbeitet, ernsthaft sein Studium betreibt und Verantwortungsbewusstsein zeigt, muss
nicht unbedingt wettbewerbsorientiert denken. Jahrelang lebten die Ukrainer unter sozialistischer Herrschaft.
Anstrengungen wurden mehr für die Volksgemeinschaft als zum individuellen Fortkommen erbracht. Erst die
Öffnung zum kapitalistischen Westen brachte eine Änderung im Bewusstsein der Menschen mit sich. Dass sich
die ukrainischen Studenten als entspannter und gelassener als die deutschen sehen, kann auch mit dem
geringeren Termindruck zusammenhängen, den die Ukrainer verspüren.
Ein weiterer Punkt ist der, dass es sich bei den untersuchten Merkmalen oft um subjektive Einschätzungen
eigener Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale handelt. Man kann nicht ausschließen, dass bei der
Beantwortung der Fragen oft Merkmalsausprägungen angekreuzt wurden, die als gesellschaftlich erwünscht
erscheinen. So lassen die Antworten auch wieder Rückschlüsse auf das Wertesystem zu, das gesellschaftlich in
den Ländern vorherrscht.
In den letzten zwanzig Jahren hat es gesellschaftliche Veränderungen in der ehemals kommunistisch regierten
Ländergruppe Ostdeutschland und in der Ukraine gegeben. Gesellschaftliche Umstrukturierungen, aber auch
neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen, vor allem auf dem Arbeitsmarkt, beeinflussen die Lebensziele und
Einstellungen und damit das Verhalten der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft. Am meisten unterscheidet
sich bei unserer Studie das zeitliche Verhalten der deutschen Studenten vom zeitlichen Verhalten der
ukrainischen. Wir können davon ausgehen, dass das Verhalten der ostdeutschen Studenten dem der
westdeutschen sehr ähnelt. Dies ist jedoch nicht bei jedem Aspekt des zeitlichen Verhaltens der Fall (vgl.
„Pünktlichkeit“). Auch die ukrainischen Studenten verhalten sich nicht durchgängig gleich (vgl. „Ungeduld und
Aktivität“). Insgesamt kann man aber eine Tendenz erkennen, dass es Unterschiede zwischen den
Ländergruppen gibt, am meisten zwischen Deutschland und der Ukraine.
7.4.5 Länderspezifische Analyse der Merkmalsausprägungen Es konnte im vorhergehenden Kapitel 7.4.4 gezeigt werden, dass es länderspezifische Unterschiede im
Verhalten gibt. Um festzustellen, ob es in den einzelnen Ländergruppen Personen gibt, die mehr dem Typ A
oder B entsprechen, wurde eine Syntax programmiert, die angibt, ob Personen eher hohe oder niedrige
Merkmalsausprägungen aufweisen (siehe Anhang 6). Hohe Werte der Items weisen auf Typ A hin, niedrige
Itemwerte auf Typ B (vgl. Kap. 3.4.1).
„Das Typ-A-Verhalten ist eine Agglomeration von Verhaltensweisen, ohne dass zunächst eine theoretische Grundlage entwickelt wurde. Das gegenübergestellte Typ-B-Verhalten wird nicht durch eigenständige Beschreibungskategorien, sondern ist durch die Abwesenheit von Typ-A-Verhaltensweisen definiert. ... Wesentliche Merkmale dieses multidimensionalen Konstrukts sind ehrgeiziges Leistungsstreben, Rivalität, Reiz und Erregbarkeit, Aggressivität, Feinseligkeit gegenüber anderen, Hast, Ungeduld und Zeitdruck, aber auch Ausdrucksmerkmale wie eine explosive, laute und schnelle Sprechweise, häufiges Gestikulieren sowie abrupte Einwortreaktionen (wie `nie!´, `absolut!´, `definitiv!´)“ (Schwenkmezger, 1994, S. 48f).
Bei den Untersuchungen von Rosenman (1978) wurden zwei Methoden der Erfassung der Merkmale
angewendet. Der Fragebogen (JAS) und ein strukturiertes Interview (SI). So konnten Ausdrucksmerkmale, wie
eine schnelle, explosive Sprechweise bei Rosenman berücksichtigt werden. Da wir als empirisches
Datenmaterial nur die Fragebogenauswertung zur Verfügung haben, beschränkt sich die Betrachtung auf die
sieben Faktoren, die sich als Dimensionen der Items des JAS bei dieser Studie herausstellten: „Temperament“,
„Anstrengung“, „Termindruck“, „Ungeduld und Aktivität“, „Schnelles Essen“ und „Verspätungen“. In weiteren Studien (vgl. Wright, 1988; Levine, Lynch, Miyake & Lucia, 1989) wird von einer höheren
Anfälligkeit für Herzinfarkt bei Menschen des Typs A ausgegangen. Verhaltenstyp B dagegen ist entspannt,
ohne Hast und Eile und hat ein reifes und zufriedenes Auftreten. Auch Typ-B-Testpersonen können an Fort-
schritt und Leistung interessiert sein. Aber sie „schwimmen mit im Fluss des Lebens“. Price (1982a) erkannte
Zusammenhänge zwischen der ständigen Aktivierung des Menschen, des ständigen Zeitdrucks, der auf dem
Menschen lastet, und der Anfälligkeit für Herzkranzgefäßerkrankungen. Der Zeitdruck kann Bluthochdruck und
im schlimmsten Fall sogar einen Herzinfarkt verursachen.
Bislang ist strittig, ob das Typ-A-Verhalten erlernt ist, ob es ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal ist, oder
eine Reaktion auf die Umwelt darstellt. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um ein Zusammenspiel der
Umwelteinflüsse mit der physiologischen Konstitution des Menschen. Manche Menschen lassen sich leichter
als andere unter Zeitdruck setzen und sind stressanfälliger als andere.
„In all likelihood, there is either an interaction between physiology and environment with respect
to the development of a sense of time-urgency or a stress vulnerability mechanism, in
which certain individuals (e.g., those with an abundance of a particular neuro-transmitter or
hormone) are vulnerable to the development of a sense of time urgency in particular
environments (e.g., an occupation that places a great emphasis on the judicious of time)”
(Landy, Rastegary, Thayer & Colvin, 1991, S. 645).
Die Prüfung wird für die Itemwerte der in Kap. 7.4.2.3 gefundenen Faktoren des zeitlichen Verhaltens
durchgeführt. Dabei wurde bei der Auswertung unterschieden nach Personen des Typs A mit hohen Itemwerten,
Personen des Typs B mit niedrigen Itemwerten sowie nach Mischtypen, die nicht eindeutig zuzuordnen sind.
7.4.5.1 Einteilung der Testpersonen in Typ A, Typ B und Mischtypen
Schon der Duncan-Test belegt, dass die Ukrainer beim Faktor „Temperament“ höhere Mittelwerte aufweisen als
die Deutschen (vgl. Kap. 3.4.3.2). Dies verdeutlicht die Analyse der Merkmalsausprägungen der Items 22, 23,
24, 25 zum hitzigen Temperament und zur leichten Reizbarkeit der befragten Personen.
Temperament
0
20
40
60
80
100
120
140
160
Wes
tdeu
tsch
land
Ostde
utsc
hlan
d
Wes
tukr
aine
Ostuk
raine
Typ A
Mischtyp
Typ B
Abb. 34: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Temperament“ Bei der Zusammenstellung der Typen fällt auf, dass vor allem die Ostdeutschen ein weniger temperamentvolles
Gemüt zeigen, aber auch bei den Westdeutschen kommt der Typ B häufig vor. Insgesamt muss man feststellen,
dass außer in Ostdeutschland am häufigsten der Mischtyp, der weder Typ A noch Typ B zuzuordnen ist, auftritt.
Immerhin gibt über 20 Prozent der ukrainischen Befragten an, leicht reizbar und temperamentvoll zu sein. Tab. 26: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Temperament
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 87 36,9 36,9 36,9 Mischtyp 116 49,2 49,2 86,0 Typ A 33 14,0 14,0 100,0
Gültig
Gesamt 236 100,0 100,0
In Westdeutschland sind die Merkmalsausprägungen der zum Faktor „Temperament“ zählenden Items bei
vielen Testpersonen (36,9 Prozent) sehr niedrig. Die Personen sind nicht so leicht reizbar und haben ein eher
gemäßigtes Temperament. Ungefähr die Hälfte der befragten westdeutschen Studenten sind Mischtypen. Nur 14
Prozent der Westdeutschen geben an, ein hitziges, schwer kontrollierbares Temperament zu haben und sind so
dem Typ A zuzuordnen.
Die ostdeutschen Studenten sind in der Mehrzahl (58 Prozent) dem Typ B zuzuordnen. Sie sind weniger leicht
reizbar und temperamentvoll. 34 Prozent sind Mischtypen, und nur 6,5 Prozent der Befragten lassen sich dem
Verhaltenstyp A zuordnen. Tab. 27 : Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Temperament
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 27 58,7 58,7 58,7 Mischtyp 16 34,8 34,8 93,5 Typ A 3 6,5 6,5 100,0
Gültig
Gesamt 46 100,0 100,0
Bei den Westukrainern entsprechen nur 16,9 Prozent dem Typ B. Fast 60 Prozent der Westukrainer sind als
Mischtypen nicht eindeutig zuordenbar, und immerhin 23,4 Prozent (fast ein Viertel) der Befragten geben zu,
temperamentvoll, leicht reizbar und stets in Eile zu sein.
Tab. 28: Verhaltenstypen in der Westukraine, Temperament
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 10 16,9 16,9 16,9 Mischtyp 35 59,3 59,3 76,3 Typ A 14 23,7 23,7 100,0
Gültig
Gesamt 59 100,0 100,0
Die Studenten der Ostukraine antworteten ähnlich wie die Westukrainer. Die Mehrheit (fast 60 Prozent) sind
Mischtypen. Von den restlichen Befragten sind 22 Prozent Personen mit Verhaltensmuster A. 19,1 Prozent
lassen sich dem Typ B zuordnen.
Tab. 29: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Temperament
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 47 19,1 19,1 19,1 Mischtyp 145 58,9 58,9 78,0 Typ A 54 22,0 22,0 100,0
Gültig
Gesamt 246 100,0 100,0
Bei den Ukrainern kommt Typ A öfter vor als Typ B. Die Mischtypen treten am häufigsten auf. Nur die
ostdeutschen Studenten zeigen eine klare Tendenz, nicht so temperamentvoll und reizbar zu sein. Dies bestätigt
auch den Mittelwertvergleich, bei dem die Ostdeutschen bereits weniger Temperament und Reizbarkeit zeigten,
als die Befragten anderer Ländergruppen.
Als nächste Itemgruppe wurde der Faktor „Anstrengung“ untersucht. Dabei wurde Item 46, das unterschiedliche
Aussagen bei der Skalierung hat, weggelassen.
Anstrengung
02040
6080
100120
140160
Wes
tdeu
tsch
land
Ostde
utsc
hlan
d
Wes
tukr
aine
Ostuk
raine
Typ A
Mischtyp
Typ B
Abb. 35: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Anstrengung“ Bei dem Gesamtbild kann man erkennen, dass auch bei diesem Faktor der Mischtyp häufig vorkommt. Der
angestrengte Typ A macht in der Westukraine (fast die Hälfte der Befragten) aus und in der Ostukraine 43
Prozent. In Deutschland wird Typ A zwar weniger häufig, aber immerhin um die 30 Prozent ausgewiesen. Es ist
auffällig, dass der entspannte B-Typ in allen Ländern kaum vorkommt.
Tab. 30: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Anstrengung
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 15 6,4 6,4 6,4 Mischtyp 141 59,7 59,7 66,1 Typ A 80 33,9 33,9 100,0
Gültig
Gesamt 236 100,0 100,0 Die Auswertungen für Westdeutschland ergeben, dass fast 60 Prozent der Befragten Mischtypen sind. 33,9
Prozent lassen sich dem Typ A zuordnen, der sich mehr anstrengt, genauer ist und arbeitet, sein Leben ernster
nimmt und mehr Verantwortung trägt. Nur 6,4 Prozent der Studenten entsprechen dem Typ B, der sich weniger
anstrengt.
Tab. 31: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Anstrengung
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 1 2,2 2,2 2,2 Mischtyp 32 69,6 69,6 71,7 Typ A 13 28,3 28,3 100,0
Gültig
Gesamt 46 100,0 100,0
Auch in Ostdeutschland sind die meisten Studenten Mischtypen (70 Prozent). 28,3 Prozent der Studenten sind
dem angestrengten Typ A zuzuschreiben; nur ein verschwindend geringer Teil der Studenten (2,2 Prozent) ist
Typ B. Tab. 32: Verhaltenstypen in der Westukraine, Anstrengung
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 1 1,7 1,7 1,7 Mischtyp 29 49,2 49,2 50,8 Typ A 29 49,2 49,2 100,0
Gültig
Gesamt 59 100,0 100,0 Fast die Hälfte der westukrainischen Studenten sind Mischtypen, die andere Hälfte sind Typ A. Ein
verschwindend geringer Anteil (1,7 Prozent sind Typ B).
Tab. 33: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Anstrengung
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 9 3,7 3,7 3,7 Mischtyp 129 52,4 52,4 56,1 Typ A 108 43,9 43,9 100,0
Gültig
Gesamt 246 100,0 100,0 Ein ähnliches Bild wie die Westukraine liefert die Ostukraine. Hier sind 52,4 Prozent der Studenten Mischtypen
und immerhin fast 44 Prozent Typ A. Nur 3,7 Prozent der Studenten entsprechen Typ B.
Insgesamt überwiegt der Mischtyp. In der Ukraine tritt Typ A häufiger auf, als in Deutschland. Dieses Ergebnis
entspricht dem Test auf homogene Gruppen, der die Ukrainer noch angestrengter zeigte. Allerdings wird
deutlich, dass der entspannte Typ B in Deutschland und in der Ukraine kaum vorkommt.
Der dritte Aspekt, der untersucht wird, ist der Termindruck, dem sich die Testpersonen ausgesetzt sehen.
Termindruck
0
20
40
60
80
100
120
140
Wes
tdeu
tsch
land
Ostde
utsc
hlan
d
Wes
tukr
aine
Ostuk
raine
Typ A
Mischtyp
Typ B
Abb. 36: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Termindruck“ Das Gesamtbild zeigt, dass beim Faktor „Termindruck“ bei allen Ländergruppen Typ A am häufigsten in
Erscheinung tritt. Viele Deutsche und Ukrainer sehen sich einem hohen Termindruck ausgesetzt. Prozentual
gesehen tritt in der Ukraine aber auch oft der Typ B auf.
Tab. 34: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Termindruck
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 37 15,7 15,7 15,7 Mischtyp 73 30,9 30,9 46,6 Typ A 126 53,4 53,4 100,0
Gültig
Gesamt 236 100,0 100,0 Eine Vielzahl der westdeutschen Studenten steht unter Termindruck. Die Studenten finden kaum Zeit für
alltägliche Dinge, wie zum Beispiel den Gang zum Friseur. Bei der Arbeit werden sie oft gestört und müssen
zwischen zwei Tätigkeiten hin- und herspringen. Über die Hälfte der Befragten (53,4 Prozent) entspricht dem
Typ A, der immer unter Zeitdruck steht, 30,9 Prozent lassen sich als Mischtypen zuordnen und nur 15,7 Prozent
der westdeutschen Studenten haben einen weniger stressigen Alltag.
Tab. 35: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Termindruck
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 6 13,0 13,0 13,0 Mischtyp 13 28,3 28,3 41,3 Typ A 27 58,7 58,7 100,0
Gültig
Gesamt 46 100,0 100,0
Viele der Studenten aus Ostdeutschland sehen sich ebenso unter Termindruck. Sie werden häufig mit Stö-
rungen und Ärgernissen konfrontiert. 58,7 Prozent der Befragten lassen sich dem Typ A zuordnen, nur 13
Prozent dem Typ B. Der Mischtyp entspricht 28,3 Prozent.
Tab. 36: Verhaltenstypen in der Westukraine, Termindruck
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 16 27,1 27,1 27,1 Mischtyp 19 32,2 32,2 59,3 Typ A 24 40,7 40,7 100,0
Gültig
Gesamt 59 100,0 100,0
Auch bei den westukrainischen Studenten überwiegen die Studenten mit hohem Termindruck (40,7 Prozent).
Allerdings lassen sich hier auch viele Studenten dem Typ B zuordnen, der weniger Termindruck empfindet
(27,1 Prozent). 28,3 Prozent sind als Mischtypen einzustufen. Tab. 37: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Termindruck
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 72 29,3 29,3 29,3 Mischtyp 77 31,3 31,3 60,6 Typ A 97 39,4 39,4 100,0
Gültig
Gesamt 246 100,0 100,0 In der Ostukraine kann man eine fast paritätische Aufteilung zwischen ca. 30 Prozent Mischtypen und fast 30
Prozent Personen des Typs B erkennen. 39,4 Prozent der Befragten lassen sich dem gestressten Typ A
zuordnen. Die Verteilung entspricht in etwa der in der Westukraine.
Bei der Untersuchung der Merkmalsausprägungen der Items des Faktors „Termindruck“ lässt sich erkennen,
dass sich besonders die deutschen Studenten, bei denen es sich meist um Fernstudenten handelt, einem hohen
Termindruck ausgesetzt sehen. Bei den Ukrainern ist die Anzahl des Typs A auch hoch, allerdings gibt es auch
viele Personen, die sich dem weniger gestressten Typ B oder dem Mischtyp zuordnen lassen.
Als Nächstes werden die Items des Faktors „Wettbewerbsorientierung“ untersucht.
Wettbewerbsorientierung
0
20
40
60
80
100
120
140
Wes
tdeu
tsch
land
Ostde
utsc
hlan
d
Wes
tukr
aine
Ostuk
raine
Typ A
Mischtyp
Typ B
Abb. 37: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Wettbewerbsorientierung“ Aus dem Überblick aller Ländergruppen kann man erkennen, dass insgesamt das Verhaltensmuster Typ A sehr
oft vorkommt. Auch der Mischtyp kommt häufig vor. In Westdeutschland ist der Prozentsatz der
wettbewerbsorientierten Personen am höchsten. In der Ostukraine gibt immerhin ein Fünftel der Befragten an,
weniger wettbewerbsorientiert zu sein. Sonst liegen in der Ukraine Typ A und der Mischtyp prozentual auf
gleicher Höhe. In Ostdeutschland überwiegt der Mischtyp, gefolgt von Typ A.
Tab. 38: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Wettbewerbsorientierung
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 19 8,1 8,1 8,1 Mischtyp 94 39,8 39,8 47,9
Gültig
Typ A 123 52,1 52,1 100,0
Gesamt 236 100,0 100,0
Beim Faktor Wettbewerbsorientierung gehören die meisten Befragten aus Westdeutschland zum Typ A (52,1
Prozent). Sie bezeichnen sich als fleißig und konkurrenzfähig. 39,8 Prozent sind Mischtypen. Nur 8,1 Prozent
der Studenten entsprechen dem Typ B. Sie sind eher entspannt und gelassen.
Tab. 39: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Wettbewerbsorientierung
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 1 2,2 2,2 2,2 Mischtyp 28 60,9 60,9 63,0 Typ A 17 37,0 37,0 100,0
Gültig
Gesamt 46 100,0 100,0
In Ostdeutschland lassen sich die meisten Studenten dem Mischtyp zuordnen (60,9 Prozent). Immerhin 37
Prozent sehen sich als sehr fleißig und konkurrenzfähig an. Nur 2,2 Prozent der Studenten lassen sich dem
entspannten Typ B zuordnen.
Tab. 40: Verhaltenstypen in der Westukraine, Wettbewerbsorientierung
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 5 8,5 8,5 8,5 Mischtyp 27 45,8 45,8 54,2 Typ A 27 45,8 45,8 100,0
Gültig
Gesamt 59 100,0 100,0
In der Westukraine sind die Mischtypen (45,8 Prozent der Befragten) genauso oft zu finden wie der Typ A. Der
Typ B tritt nur mit 8,2 Prozent in Erscheinung.
Tab. 41: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Wettbewerbsorientierung
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 50 20,3 20,3 20,3 Mischtyp 99 40,2 40,2 60,6 Typ A 97 39,4 39,4 100,0
Gültig
Gesamt 246 100,0 100,0
Ähnlich ist es in der Ostukraine: Mit ungefähr 40 Prozent sind Mischtyp und Typ A am häufigsten anzutreffen.
Hier sind aber immerhin 20,3 Prozent der Studenten dem entspannteren B-Typ zuzuordnen.
Nun wird der Faktor „Ungeduld und Aktivität“ ins Auge gefasst. Können Unterschiede bei den einzelnen
Ländergruppen bezüglich des Aktivismus und der Ungeduld festgestellt werden?
Aktivität und Ungeduld
0
20
40
60
80
100
120
140
Wes
tdeu
tsch
land
Ostde
utsc
hlan
d
Wes
tukr
aine
Ostuk
raine
Typ A
Mischtyp
Typ B
Abb. 38: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Aktivität und Ungeduld“ Bei der Gesamtschau der Ländergruppen kann man sehen, dass die meisten Studenten Mischtypen sind. Außer
in der Ostukraine kommt der ungeduldige, aktive Typ A sonst insgesamt häufiger vor als Typ B. Tab. 42: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Aktivität und Ungeduld:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 13 5,5 5,5 5,5 Mischtyp 133 56,4 56,4 61,9 Typ A 90 38,1 38,1 100,0
Gültig
Gesamt 236 100,0 100,0 In Westdeutschland warten nur 5,5 Prozent der Befragten geduldig, 38,1 Prozent der Studenten warten nur
ungern und bezeichnen sich selbst als sehr aktiv, über die Hälfte sind Mischtypen.
Tab. 43: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Aktivität und Ungeduld:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 2 4,3 4,3 4,3 Mischtyp 32 69,6 69,6 73,9 Typ A 12 26,1 26,1 100,0
Gültig
Gesamt 46 100,0 100,0 Bei den Ostdeutschen sind fast 70 Prozent der befragten Studenten Mischtypen - weder besonders ungeduldig,
noch besonders geduldig. Über ein Viertel der Studenten sind dem ungeduldigen Typ A zuzuordnen. Nur 4,3
Prozent entsprechen dem geduldigen Typ B.
Tab. 44: Verhaltenstypen in der Westukraine, Aktivität und Ungeduld:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 12 20,3 20,3 20,3 Mischtyp 30 50,8 50,8 71,2 Typ A 17 28,8 28,8 100,0
Gültig
Gesamt 59 100,0 100,0
Ungefähr die Hälfte der westukrainischen Studenten gehört zu den Mischtypen. 28,8 Prozent sind eher
ungeduldig. Hier fällt auf, dass immerhin ein Fünftel der Studenten sich als eher geduldig sehen.
Tab. 45: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Aktivität und Ungeduld:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 66 26,8 26,8 26,8 Mischtyp 121 49,2 49,2 76,0 Typ A 59 24,0 24,0 100,0
Gültig
Gesamt 246 100,0 100,0
Auch in der Ostukraine gehört etwa die Hälfte der Studenten zu den Mischtypen. 24 Prozent bezeichnen sich
als sehr aktiv und ungeduldig. Die geduldigeren Studenten kommen mit 26,8 Prozent öfter vor als bei den
anderen Ländergruppen.
Insgesamt kann man feststellen, dass in der Westukraine immerhin über ein Fünftel der Studenten kein Problem
haben zu warten. In der Ostukraine zeigen sogar fast 27 Prozent Geduld und bezeichnen sich als nicht so aktiv.
Insgesamt überwiegt in Deutschland und der Ukraine der Mischtyp, der weder besonders ungeduldig, noch
besonders geduldig ist. Vor allem in Ostdeutschland ist dieser Typ sehr oft vertreten. Am ungeduldigsten und
aktivsten zeigen sich die Westdeutschen. Fast 40 Prozent der Befragten entsprechen dem rastlosen,
ungeduldigen Typ A. Kann man auch bei den Essgewohnheiten Unterschiede feststellen?
Schnelles Essen
02040
6080
100120
140160
Wes
tdeu
tsch
land
Ostde
utsc
hlan
d
Wes
tukr
aine
Ostuk
raine
Typ A
Mischtyp
Typ B
Abb. 39: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Schnelles Essen“ Bei dem Länderüberblick sieht man, dass insgesamt der Mischtyp bei allen Ländergruppen am häufigsten
vorkommt. In der Ukraine tritt Typ A häufiger in Erscheinung als Typ B. In Deutschland ist es umgekehrt der
Fall. Bei den Ukrainern isst nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Befragten eher langsam. Tab. 46: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Schnelles Essen:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 70 29,7 29,7 29,7 Mischtyp 111 47,0 47,0 76,7 Typ A 55 23,3 23,3 100,0
Gültig
Gesamt 236 100,0 100,0
47 Prozent der Westdeutschen sind Mischtypen, 23,3 Prozent sind schnelle Esser, und fast 30 Prozent sind
langsame Esser. Bei den Westdeutschen gibt es prozentual mehr langsame als schnelle Esser. Tab. 47: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Schnelles Essen:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 16 34,8 34,8 34,8 Mischtyp 20 43,5 43,5 78,3 Typ A 10 21,7 21,7 100,0
Gültig
Gesamt 46 100,0 100,0 Abb. 43: Balkendiagramm: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Schnelles Essen
Nur ungefähr ein Fünftel der Ostdeutschen ist beim Essen als Erster fertig. 43,5 Prozent lassen sich nicht genau
einordnen, und immerhin 34,8 Prozent lassen sich Zeit beim Essen.
Tab. 48: Verhaltenstypen in der Westukraine, Schnelles Essen:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 4 6,8 6,8 6,8 Mischtyp 35 59,3 59,3 66,1 Typ A 20 33,9 33,9 100,0
Gültig
Gesamt 59 100,0 100,0 Bei den Westukrainern lassen sich fast 60 Prozent der Befragten nicht klar zuordnen. 33,9 Prozent der
Studenten sind schnelle Esser, nur 6,8 Prozent sind langsame Esser. Tab. 49: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Schnelles Essen:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 21 8,5 8,5 8,5 Mischtyp 143 58,1 58,1 66,7 Typ A 82 33,3 33,3 100,0
Gültig
Gesamt 246 100,0 100,0
Bei den ostukrainischen Befragten erhalten wir ähnliche Werte wie bei den westukrainischen. 60 Prozent sind
Mischtypen, 33,3 Prozent essen schnell und nur 8,5 Prozent langsam. Vergleicht man die ukrainischen
Studenten mit den deutschen, sind bei den Ukrainern mehr schnelle Esser zu finden. Als nächster Aspekt sollen Pünktlichkeit und die Neigung zu spät zu kommen untersucht werden:
Verspätungen
020406080
100120140160180200
Wes
tdeu
tsch
land
Ostde
utsc
hlan
d
Wes
tukr
aine
Ostuk
raine
Typ A
Mischtyp
Typ B
Abb. 40: Länderspezifische Verhaltensmuster bezüglich des Faktors „Verspätungen“ Der Überblick über alle Ländergruppen zeigt, dass bei der Untersuchung des Faktors „Verspätungen“ der
Mischtyp am häufigsten vorzufinden ist. Allerdings geben mehr Studenten in Westdeutschland an, immer
pünktlich in Erscheinung zu treten als in Ostdeutschland und der Ukraine.
Tab. 50: Verhaltenstypen in Westdeutschland, Verspätungen:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 39 16,5 16,5 16,5 Mischtyp 163 69,1 69,1 85,6 Typ A 34 14,4 14,4 100,0
Gültig
Gesamt 236 100,0 100,0 In Westdeutschland halten es 16,5 Prozent der Studenten ganz genau mit der Pünktlichkeit. Sie kommen nie zu
spät und müssen sich auch nicht beeilen, um zu einem Termin oder einer Verabredung rechtzeitig in
Erscheinung zu treten. Ein hoher Anteil ist den Mischtypen zuzuschreiben und immerhin 14 Prozent dem Typ
A. Tab. 51: Verhaltenstypen in Ostdeutschland, Verspätungen:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 2 4,3 4,3 4,3 Mischtyp 30 65,2 65,2 69,6 Typ A 14 30,4 30,4 100,0
Gültig
Gesamt 46 100,0 100,0
30,4 Prozent der ostdeutschen Studenten kommt öfters mal zu spät oder muss sich beeilen rechtzeitig zu sein.
Dies ist fast die doppelte Prozentzahl wie bei den westdeutschen Studenten. Die Mehrheit der Ostdeutschen
sind Mischtypen, und lediglich 4,3 Prozent lassen sich dem pünktlichen Typ B zuordnen. Tab. 52: Verhaltenstypen in der Westukraine, Verspätungen:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 6 10,2 10,2 10,2 Mischtyp 39 66,1 66,1 76,3 Typ A 14 23,7 23,7 100,0
Gültig
Gesamt 59 100,0 100,0
Ähnlich ist das Bild in der Westukraine. Nur 6,8 Prozent der westukrainischen Studenten sind stets pünktlich.
Fast 60 Prozent sind Mischtypen, 33,9 Prozent kommen öfters mal zu spät. Tab. 53: Verhaltenstypen in der Ostukraine, Verspätungen:
Häufigkeit Prozent Gültige
Prozente Kumulierte Prozente
Typ B 21 8,5 8,5 8,5 Mischtyp 181 73,6 73,6 82,1 Typ A 44 17,9 17,9 100,0
Gültig
Gesamt 246 100,0 100,0
Und auch die Ostukraine liefert ein ähnliches Bild. Nur 8,5 Prozent der Befragten gibt an, stets pünktlich zu
sein. Fast 60 Prozent sind Mischtypen. Eine große Zahl, 33,3 Prozent der Studenten, ist nicht immer pünktlich.
Sie müssen sich oft beeilen, um noch rechtzeitig zu kommen (Typ A). Man trifft nur selten den Typ B an, der stets pünktlich ist. Immerhin 16 Prozent der Westdeutschen geben an,
immer pünktlich zu sein. Insgesamt überwiegt der Mischtyp. Allerdings kommt Typ A, der sich oft beeilen
muss, um pünktlich zu kommen, oder der zu spät kommt am häufigsten in Ostdeutschland mit 30 Prozent vor.
In der Westukraine (24 Prozent) und in der Ostukraine (18 Prozent) tritt Typ A ebenfalls häufiger auf als in
Westdeutschland (14 Prozent). 7.4.5.2 Zuordnung der Verhaltenstypen zu den einzelnen Ländergruppen
Insgesamt bestätigten sich die Aussagen des Duncan-Tests. Bei den Faktoren „Wettbewerbsorientierung“ und
„Termindruck“ war in Deutschland häufiger Typ A vorzufinden als in der Ukraine. Bei den Faktoren
„Temperament“, „Anstrengung“ und „Schnelles Essen“ wies die Ukraine häufiger den Typ A aus. Man konnte
allerdings auch sehen, dass bei allen vier Ländergruppen beim Faktor „Anstrengung“, „Termindruck“ und
„Wettbewerbsorientierung“ der Typ A prozentual sehr viel stärker in Erscheinung trat als Typ B. Beim Faktor
„Aktivität und Ungeduld“ überwog in der Ostukraine Typ B. Beim „Schnellen Essen“ kam in Deutschland öfter
Typ B vor, in der Ukraine Typ A. Beim Faktor Verspätungen wiesen nur die Westdeutschen einen
nennenswerten Anteil des pünktlichen Typ B aus.
So kann man insgesamt feststellen, dass kein Verhaltensmuster klar einem bestimmten Land zuordenbar ist. Es
lassen sich Tendenzen aufzeigen, die dem wettbewerbsorientierten, unter Termindruck stehenden deutschen
Studenten einen temperamentvollen, leicht reizbaren und angestrengten ukrainischen Studenten
gegenüberstellen. Allerdings wäre dies eine stark vereinfachte Darstellung. Man würde bei dieser Aussage
verschweigen, dass bei allen Studenten die Merkmalswerte bei den Faktoren „Termindruck“ und
„Wettbewerbsorientierung“ eher hoch sind. Die extremen Verhaltensmuster des Typs A treten bei diesen zwei
Aspekten des zeitlichen Verhaltens bei allen Ländergruppen wesentlich häufiger auf als der entspannte Typ B.
Auch das häufige Auftreten des Mischtyps, der sich keinem Verhaltensmuster klar zuordnen lässt, muss bei der
Beurteilung der Ergebnisse berücksichtigt werden. Er überwog zum Beispiel beim Faktor „Temperament“. Nur
in Ostdeutschland trat Typ B häufiger auf. Beim Faktor „Anstrengung“ war der Typ A in der Ukraine gleich
stark wie der Mischtyp vertreten, Typ B entfiel fast ganz. In Deutschland überwog hier der Mischtyp. Beim
Faktor „Termindruck“ überwog Typ A in Deutschland und in der Ukraine, wobei in der Ukraine öfter noch als
in Deutschland auch der Mischtyp und Typ B ausgewiesen wurde. Bei der „Wettbewerbsorientierung“ hielt sich
der Mischtyp und Typ A in der Ukraine die Waage, Typ B kam vor allem in der Westukraine eher selten vor,
während in Westdeutschland Typ A und in Ostdeutschland der Mischtyp überwog.
Viele Studenten wurden so bei den Ausprägungen des zeitlichen Verhaltens dem Mischtyp zugeordnet. Sie
wiesen also weder Verhaltensmuster A noch B auf. Beim Faktor „Verspätungen“ waren ca. 65-70 Prozent der
Studenten dem Mischtyp zuzuordnen. Beim Faktor „Anstrengung“ und „Aktivität und Ungeduld“ gehörten
zwischen 50 und 60 Prozent dem Mischtyp an. Die Mischtypen haben keine eindeutige Kennzeichen. Sie sind
weder besonders wettbewerbsorientiert, angestrengt und eilig, noch sehr entspannt und geduldig.
Die Häufigkeiten von Typ-A-Verhaltensmuster konnten länderspezifisch analysiert werden. So ist der
temperamentvolle, reizbare Typ A, der viel Verantwortung trägt, ernsthafter durchs Leben geht, der sich sehr
anstrengt und auch für das Essen wenig Zeit nimmt, am häufigsten bei den Studenten der Ukraine vorzufinden.
Der konkurrenzbewusste, wettbewerbsorientierte Typ A, der unter hohem Termindruck leidet, ist vor allem in
Deutschland zu finden. Die westdeutschen Studenten zeichnen sich durch ihre Ungeduld und hohe Aktivität
aus. Typ-A-Verhaltensmuster treten folglich bei allen vier Ländergruppen auf, zeigen aber kulturspezifisch
jeweils andere Ausprägungen.
Ebenso wie die Verhaltensmuster des Typs A, konnten auch Typ-B-Verhaltensmuster, wenn auch in geringerer
Anzahl, sowohl in Deutschland, als auch in der Ukraine gefunden werden. Die Deutschen, vor allem die
Ostdeutschen, zeigten einen hohen Anteil von Testpersonen, die weniger temperamentvoll sind und nicht so
schnell ärgerlich werden. Die Studenten aus der Ostukraine fielen dadurch auf, dass immerhin ein Fünftel
angab, entspannt und gelassen zu sein. Ein Viertel der Ostukrainer warten geduldig, bis sie an der Reihe sind
und bezeichnen sich selbst als eher weniger aktiv. Insgesamt trat Typ B bei der Auswertung allerdings nicht so
häufig in Erscheinung wie Typ A.
Man kann festhalten, dass die Häufigkeiten, mit denen Typ-A- und Typ-B-Verhaltensweisen bei den einzelnen
Ländergruppen auftreten, die Ergebnisse des Duncan-Tests auf homogene Untergruppen (vgl. Kap. 7.4.4.2)
bestätigen. Kulturspezifische Verhaltensweisen sind sichtbar geworden, wobei keine eindeutige Zuordnung
eines Verhaltensmusters zu einer bestimmten Ländergruppe vorgenommen werden konnte. Bei manchen
Faktoren war die Mehrheit der Befragten dem „Mischtyp“ zuzuordnen, der keine besonders hohen oder
niedrigen Merkmalsausprägungen zeigt. Die Häufigkeiten des Typs A unterscheiden sich länderspezifisch bei
den Faktoren des zeitlichen Verhaltens. Die Deutschen zeigten sich mehr unter Termindruck und
wettbewerbsorientierter, während die Ukrainer sich etwas mehr noch angestrengt zeigten, schneller essen und
eher zu Verspätungen neigen. Wobei sich auch die Ostdeutschen öfter verspäten. Beim Faktor „Ungeduld und
Aktivität“ überwog zwar insgesamt der Mischtyp, die Ostukrainer zeigten jedoch mehr Geduld als die
Deutschen und Westukrainer.
Da die ländervergleichenden Aussagen mit den Ergebnissen des Duncan Tests in etwa übereinstimmen, soll bei
der inhaltlichen Interpretation auf Kap. 7.4.4.3 verwiesen werden. Der Duncan Test verglich welche
Ländergruppen höhere oder niedrigere Mittelwerte bei den Merkmalen des zeitlichen Verhaltens zeigten. Bei
diesem Vergleich blieb unbeachtet, ob insgesamt ein hoher oder niedriger Mittelwert beim Vergleich zugrunde
gelegt wird. Bei der Analyse der Häufigkeiten von Typ A und Typ B wird nun auch ersichtlich, ob die
Antworten eher hohe oder niedrige Merkmalsausprägungen zeigen.
Bei den Faktoren „Termindruck“ und „Wettbewerbsorientierung“ lässt sich klar erkennen, dass der Typ A bei
den Studenten aller Ländergruppen überwiegt. Auch wenn es beim Mittelwertvergleich länderspezifisch
Unterschiede bei diesen Faktoren gab, so waren diese auf einem hohen Niveau angesetzt. Das gehäufte
Vorkommen des Typ-A-Verhaltensmusters spricht für den enormen Konkurrenzdruck, den Studierende aller
Länder Europas, sowohl in Westeuropa, als auch in Osteuropa ausgesetzt sind. Dies bedeutet: Auch wenn sich
beim Mittelwertvergleichtest zeigt, dass der deutsche Student noch mehr Wettbewerbs- und Termindruck
verspürt als der ukrainische, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier insgesamt ein hoher Mittelwert
als Vergleichsniveau angesetzt wurde. Kaum ein Student in Deutschland und der Ukraine sieht sich entspannt
und gelassen. Die Studenten sehen sich mehrheitlich als fleißig und konkurrenzfähig. Schon der Alltag der
Studenten ist geprägt von Termindruck, Störungen und dem Gefühl mehrere Dinge auf einmal erledigen zu
müssen.
Hierzu könnte man auf Kapitel 3.3 verweisen, das den Trend in Europa zu mehr Zeitdruck und weniger Freizeit
zeigt. Moderne Leistungsgesellschaften zeichnen sich nicht nur durch höheren Wohlstand aus. Sie fordern von
den Gesellschaftsmitgliedern aber auch höhere Leistungsbereitschaft, mehr Arbeitsstunden und höhere
Produktivität. Dies betrifft nicht nur etablierte Industrienationen wie Deutschland, sondern auch Nationen wie
die Ukraine, die auf dem Weg zur Industrienation sind.
7.5. Gütekriterien der Testergebnisse
Auswertungsergebnisse statistischer Verfahren lassen sich aufgrund bestimmter Gütekriterien beurteilen.
Gütekriterien sind Reliabilität und Genauigkeit, ebenso wie die Validität und Generalisierbarkeit der Un-
tersuchung. Im folgenden soll die hier vorliegende Studie nach diesen wichtigen Kriterien analysiert und
beurteilt werden.
7.5.1 Reliabilität und Genauigkeit
Die Reliabilität sagt aus, wie zuverlässig die Untersuchung ist. Im technischen Sinne bedeutet dies: Wie
bestimmt sich das Verhältnis von der wahren Varianz einer Variablen zu ihrer Gesamtvarianz, wobei sich die
Gesamtvarianz aus der wahren Varianz und der Fehlervarianz zusammensetzt. Dies heißt konkret, dass jede
Messung fehlerbehaftet ist. „Störende Einflüsse der Umwelt, zu grobe Instrumente, Fehler im konkreten
Instrument und so weiter tragen zu dem tatsächlichen Ergebnis der Messung bei“ (Greve & Wentura, 1991, S.
45). Eine Messung ist umso reliabler, je geringer der Anteil dieser Fehler am Ergebnis ist.
Manche Fehlerquellen sind wegen der ungenauen Fragestellung vorhersehbar. Es gibt aber auch Fehler, die
aufgrund der Tagesstimmung der Testperson entstehen. Beispiel ist die Frage 4 des JAS: „ Einige Menschen
leben ein ruhiges, überschaubares Leben. Andere werden oft mit unerwarteten Ereignissen, häufigen
Unterbrechungen und Unannehmlichkeiten konfrontiert oder damit, dass Dinge in die falsche Richtung laufen.
Wie oft werden Sie mit solchen kleineren oder größeren Ärgernissen konfrontiert?“ Die Antwort derselben
Person kann anders ausfallen, je nachdem, ob sie in der jüngsten Vergangenheit viele Unannehmlichkeiten und
Ärgernisse hatte oder nicht. Bei diesen Fehlerquellen wäre ein Retest sinnvoll, das heißt, dieselbe Person sollte nach einiger Zeit nochmals
den Testbogen ausfüllen, damit sich prüfen lässt, ob die Antworten noch übereinstimmen. Bei der vorliegenden
empirischen Untersuchung war ein Retest aufgrund zeitlicher Beschränkungen leider nicht möglich.
Weiterhin wäre es möglich, den Testpersonen nicht nur den standardisierten Fragebogen vorzulegen, sondern
auch ein strukturiertes Interview durchzuführen oder die Testpersonen in bestimmten Situationen, etwa beim
Essen, zu beobachten. Auch diese Möglichkeit, die Reliabilität der Ergebnisse zu überprüfen, haben wir bei
dieser Untersuchung nicht wahrnehmen können.
Es stellt sich die Frage, wie detailgenau der JAS das zeitliche Verhalten der Studenten messen kann. Es gibt zu
den Items verschiedene Antwortmöglichkeiten, die sich je nach Frage in zwei bis acht Kategorien aufteilen.
Nehmen wir als Beispiel die Frage 5, was die Testperson unternimmt, wenn sie unter Stress steht. Zwei
Antworten sind möglich: „Ich unternehme sofort etwas.“ oder „Ich plane sorgfältig, was zu tun ist, bevor ich
handle.“ Was passiert, wenn die Antwort irgendwo dazwischen liegt? Vielleicht handelt die Testperson nicht
sofort, plant allerdings auch nicht sorgfältig, sondern handelt nach einiger Zeit eher intuitiv? Dieser Fall ist bei
den Antwortmöglichkeiten nicht berücksichtigt, und die Testperson kann sich nur für das am ehesten
Zutreffende entscheiden oder die Frage unbeantwortet lassen. Beides führt zu Messfehlern. So ist auch beim
Fragebogen die Genauigkeit nur in soweit gegeben, wie detailliert die Antwortmöglichkeiten sind. Nicht zuletzt spielt es eine Rolle, ob der Fragebogen von einem Interviewer vorgelegt wurde, der bewusst oder
unbewusst Einfluss auf die Antworten der Testpersonen nahm, oder ob der Fragebogen nach kurzer mündlicher
oder schriftlicher Anweisung von der Testperson selbst ausgefüllt wurde. In unserem Fall hatten die
Testpersonen den Fragebogen im Laufe einer Studienveranstaltung erhalten und selbstständig ausgefüllt, oder
sie haben den Fragebogen auf der Internetseite der Universität mit der Bitte, diesen selbstständig auszufüllen,
vorgefunden. Die Gefahr der Einflussnahme eines Interviewers bestand somit nicht. Allerdings gibt es die
Möglichkeit, dass Fragen von den Testpersonen falsch interpretiert oder nicht ausreichend verstanden wurden
und somit entweder gar nicht oder nicht zutreffend beantwortet wurden, da eine Rückfragemöglichkeit fehlte.
Bei jeder Untersuchung dieser Art bleibt die Gefahr, dass Fragen von der Testperson nicht zutreffend
beantwortet werden, weil sich die Testperson selbst falsch einschätzt oder bewusst und absichtlich falsch
antwortet. Eine Fehlerquelle kann auch sein, dass der Befragte gestört oder unterbrochen wird, was im
Einzelfall zu Konzentrationsschwierigkeiten und falschen Aussagen führen kann.
Noch eine Fehlerquelle eröffnet sich bei der Übertragung der Daten aus dem Fragebogen in das
Anwendungssystem SPSS. Bei der manuellen Dateneingabe und Speicherung können Fehler entstehen. Es ist
trotz aller Sorgfalt nicht auszuschließen, dass bei der Anzahl der einzugebenden Daten Schreib- oder
Flüchtigkeitsfehler vorkommen. Diese Fehlerquelle sollte bei sorgfältiger Datenübernahme und der Kontrolle
der gespeicherten Daten allerdings zu vernachlässigen sein.
Insgesamt kann man beim Blick auf die Fehlerquellen, die zufällig sind (z.B. unkonzentrierte Testpersonen)
oder durch den Test bedingt sind (z.B. ein Fragebogen, der nicht alle möglichen Antworten berücksichtigt),
festhalten, dass es wohl nie eine Studie geben wird, die völlig reliabel ist. Das Bestreben dieser Studie war,
Fehlerquellen möglichst gering zu halten und nach Möglichkeit auszuschließen.
7.5.2 Die Validität der Untersuchung
Die Validität will klären, ob und inwieweit tatsächlich das gemessen wurde, was gemessen werden sollte. Wird
mit dem JAS-Fragebogen überhaupt das Zeitmanagement der Testperson erfasst? Der JAS wurde erstellt, um
den Zeitdruck, unter dem eine Person steht, abzubilden. Viele Fragen weisen auch eindeutig in diese Richtung,
etwa Item 5: „Was machen Sie gewöhnlich, wenn Sie unter Druck oder Stress stehen?“
Andere Fragen zielen eher auf Personeneigenschaften ab. Das Item 43 fragt nach der Verantwortlichkeit oder
Item 46 fragt, wie ernst die Person das Leben nimmt. Hier kann man darüber nachdenken, ob eine Person, die
das Leben ernster nimmt und mehr Verantwortung zeigt, damit mehr unter Zeitdruck steht (A-Typ). Allerdings
lässt sich im Umkehrschluss an diesen Variablen der eher gelassene entspanntere B-Typ erkennen. Nehmen wir
die Frage 10 des JAS: „Wie oft legen Sie der anderen Person Worte in den Mund, um schneller voran zu
kommen?“. Misst diese Frage wirklich zeitliches Verhalten, wie Hast und Ungeduld, oder ist es vielmehr die
Aussage eines schnell Gelangweilten oder notorischen Besserwissers, der anderen gerne „Worte in den Mund
legt“? Das Verhalten von Menschen auf der Arbeit kann sich beispielsweise sehr stark vom Verhalten in der Freizeit
unterscheiden. So kann etwa bei Frage 6 des JAS, wie schnell die Testperson gewöhnlich isst, dadurch ein
Fehler entstehen, dass die Testperson auf der Arbeit sehr hastig und schnell isst, während sie sich zu Hause Zeit
lässt. Wird die Testperson ihr Essverhalten auf der Arbeit, das in der Freizeit oder einen Durchschnittswert
wählen? Weiterhin kann kein Fragebogen allumfassend sein. Es gibt sicherlich Fragen zum zeitlichen Verhalten, die
beim JAS gar nicht oder nicht ausreichend gestellt werden. Bei dieser Untersuchung wurden nur die 25 Items
berücksichtigt, die zu den sieben Faktoren zählten, die im Kap, 3.4.2 gefunden wurden. Alle anderen Fragen des
JAS fanden bei dieser Studie bei den Auswertungen keine Berücksichtigung. So gibt Landy (1991) Vorschläge
für weitere Faktoren: z.B. „Speech Pattern“ (das Sprechverhalten). Im Übrigen spricht die Tatsache, dass außer dem JAS weitere Fragebögen zur Untersuchung des zeitlichen
Verhaltens verwendet werden, dafür, dass es Items gibt, die zur Erforschung des zeitlichen Verhaltens nützlich,
allerdings im JAS nicht enthalten sind (vgl. die Items der Framingham Scale, der Bortner Scale und der
Thurstone Activity Scale, Kap. 3.2). Es wird wohl nicht gelingen, einen Fragebogen zu konstruieren, der alle
relevanten Items ausreichend berücksichtigt. Dazu ist die Erfassung zeitlichen Verhaltens zu komplex. Und so
muss man sich bei dieser Studie damit begnügen, wichtige Teilausschnitte des zeitlichen Verhaltens untersucht
zu haben.
Die Fragen sollten leicht verständlich und nachvollziehbar sein, um falsche Antworten zu vermeiden. Beim JAS
werden Fragen und Antworten oft sehr kurz und nicht sehr variabel formuliert. Die Testperson muss eine der
Kategorien wählen. Nur Testpersonen, die alle Fragen beantwortet haben, wurden in die Auswertung
genommen.
Bei den Antworten gibt es Möglichkeiten der Fehleinschätzung beim Befragten. Dies ist vor allem dann der
Fall, wenn die Testperson Auskunft darüber geben soll, wie sie von anderen gesehen wird, Item 22: „Denken
Menschen, die Sie gut kennen, dass Sie leicht reizbar sind?“ oder die Items, die die Meinung des
Lebenspartners der Testperson betreffen, Item 18 „Wie würde Sie Ihr Partner oder beste(r) Freund(in)
einschätzen?“
Es kann bei den befragten Studenten ferner zu der Überlegung kommen, welche Antworten von einem
Studenten wohl erwartet werden, und die Testperson antwortet in der gesellschaftlich „erwünschten“ Weise, die
aber nicht den Tatsachen entspricht. Dies könnte bei Frage 17 der Fall sein, bei der die Testperson angeben soll,
inwiefern sie sich als fleißig und konkurrenzfähig einschätzt. Es könnte sein, dass der einzelne Student sich als
fleißig beschreibt, da er den Erwartungen der Gesellschaft entsprechen will. Die Werte des Items 42, das nach
der Anstrengung der Testperson fragt, hatte bei allen Studenten eine hohe Merkmalsausprägung. Hängt dies
vielleicht auch damit zusammen, dass es gesellschaftlich erwünscht ist, dass Studenten ihr Studium ernst
nehmen, dass sie sich engagieren und anstrengen?
7.5.3 Die Generalisierbarkeit der Untersuchung
Bei dieser Studie, die der Fragestellung nachgeht, ob es einen Zusammenhang zwischen der kulturellen
Herkunft und dem zeitlichen Verhalten der Testperson gibt, wurden verschiedene statistische Methoden
verwendet. Bei den Tests und Analysen sind Ergebnisse als signifikant oder nicht signifikant eingestuft. Im
Allgemeinen geht man in der Statistik davon aus, dass die Signifikanz folgendermaßen beurteilt werden kann:
Irrtumswahrscheinlichkeit Bedeutung Symbolisierung
p > 0.05 nicht signifikant ns
p <= 0.05 signifikant *
p <= 0.01 sehr signifikant **
p <= 0.001 höchst signifikant ***
Abb. 41: Irrtumswahrscheinlichkeiten (Bühl, 2006, S. 115)
In fast allen Fällen wurden sehr gute Signifikanzwerte erreicht, so dass die Nullhypothesen verworfen wurden
und signifikante Zusammenhänge zwischen Herkunftsland und zeitlichem Verhalten zutage traten.
Aber diese Studie weist auch Schwachstellen und Verzerrungen aufgrund der Auswahl der Stichprobe auf. Es
wurden zum Beispiel vor allem Testpersonen untersucht, die an der FernUniversität in Hagen und an der
Universität Charkow und Kiew studieren. Die Testpersonen studierten zum Großteil an den Fakultäten
Psychologie und Pädagogik. Dies bedeutet, dass die Stichprobe auf einen engen Kreis von Studenten begrenzt
blieb.
Kritisch sei angemerkt, dass eigentlich noch mehr Studenten anderer Universitäten und verschiedener
Fakultäten hätten befragt werden müssen, um ein ausgewogeneres Bild zu schaffen.
Dass die Studenten vornehmlich aus dem Bereich Psychologie und Pädagogik kamen, bedingt die mehrheitliche
Anzahl weiblicher Testpersonen, die geantwortet haben. An diesen Fakultäten herrscht „Frauenüberschuss“. Es
sind mehr Frauen als Männer eingeschrieben. Auch dies kann das Auswertungsergebnis beeinflussen.
Grundsätzlich sind die deutschen Studenten, die oftmals Fernstudenten waren, älter als ihre ukrainischen
Kommilitonen, die zumeist mit 18 bis 20 Jahren studieren. Man kann bei unserer Untersuchung sehen, dass in
der Ukraine die Befragten jünger sind als in Deutschland. Menschen ändern ihr Verhalten mit den Jahren.
Deshalb kann sich auch der Umstand, dass die deutschen Testpersonen in den meisten Fällen älter waren, auf
das Testergebnis auswirken.
Die Ergebnisse können sich nicht auf die gesamte Bevölkerung Deutschlands und der Ukraine beziehen, da nur
Studierende befragt wurden. Um Aussagen über das Verhalten der gesamten Bevölkerung zu erhalten, müssten
unterschiedliche Bevölkerungsschichten untersucht werden. Grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass die
Untersuchung einer Stichprobe, die nur aus Studierenden besteht, nicht Aussagen über die gesamte
Bevölkerung eines Landes treffen kann. Studenten sind eine Minorität mit spezifischen Eigenschaften. Man
kann davon ausgehen, dass Personen, die studieren, im Regelfall eine höhere Leistungsbereitschaft als andere
zeigen. Eine solche Gruppe ist intelligenter einzustufen als andere Bevölkerungsgruppen. Gerade Fernstudenten
unterliegen häufig einer Doppelbelastung mit Studium und Arbeit oder Haushalt. Dies führt zu zusätzlichem
Zeitdruck. Andererseits genießen viele Studenten nicht nur den Ruf, das Leben von seiner leichteren Seite zu
nehmen, sie tun es auch. Und so wird den Studenten nachgesagt, lieber etwas länger zu studieren, um noch nicht
arbeiten zu müssen. So konnte erst die Auswertung der Stichprobe zeigen, ob die befragten Studierenden in
Deutschland und der Ukraine einen eher leistungsorientierten oder einen eher entspannten Lebensstil pflegen.
Leider konnte nicht explizit auf die Andersartigkeit von Minderheitengruppen in den beiden Ländern
eingegangen werden. Unterschiede in Wertvorstellungen und Verhalten werden pauschal national betrachtet
und bewertet, ohne Unterschiede bei ethischen Minoritäten berücksichtigen zu können. Die Testpersonen
wurden länderspezifisch eingeordnet ohne zu wissen, ob eine Testperson einer im Land lebenden ethischen
Minderheit angehört.
Wie bereits erläutert (vgl. Kap. 7.3.2) sind wichtige Merkmale der Studierenden, wie Alter und Geschlecht,
zwischen den Ländergruppen nicht gleich verteilt. In Deutschland sind die befragten Studenten meist älter als in
der Ukraine. Insgesamt wurden bei der Stichprobe mehr Frauen als Männer befragt. All dies hat Auswirkungen
auf die Ergebnisse. Bei den Interpretationen der Untersuchungsergebnisse wurde versucht, auch auf die
Besonderheiten dieser Stichprobe einzugehen und diese bei den Erläuterungen zu berücksichtigen.
7.5.4 Möglichkeiten und Grenzen kulturvergleichender Forschung
Eckensberger (1982) merkt an, dass es am Vielversprechendsten wäre, eine Theorie zu entwickeln, die sowohl
Kultur, als auch Verhalten erklären kann.
„Das erste, für die kulturvergleichende Psychologie wesentliche Spezifikum ist, daß dieser Ansatz den Wissenschaftler zwingt, über die Relation zwischen `Kultur´ und `Verhalten´ zu reflektieren, die auf den ersten Blick so unproblematisch erscheint. Tatsächlich haben aber, wie bereits erwähnt, diese beiden Konzepte völlig unterschiedliche epistemologische Niveaus, so daß es sehr schwierig ist, beide in einem Ansatz zu verknüpfen“ (Eckensberger, 1982, S. 13).
Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine kulturvergleichende Studie auch entwicklungs-
psychologisch orientiert sein sollte. Es besteht Uneinigkeit darüber, ob ein kultureller Wandel eher kultur-
intrinsisch- oder extrinsisch ist. Die Erklärungsversuche gehen teilweise darauf zurück, manche Änderun-gen
als Anlageänderungen, andere als umweltbeeinflusste Änderungen zu erklären. Eckensberger (1982, S. 14) sieht
das Problem die Veränderung von Individuen und dem Verhalten der Individuen mit dem kulturellen Wandel in
Beziehung zu setzen.
Dass in Deutschland und der Ukraine in den letzten zwei Jahrzehnten ein kultureller Wandel nicht zuletzt durch
die Auflösung sozialistischer Gesellschaftsformen stattfand, steht außer Frage. Allerdings ist es zunächst rein
spekulativ, bestimmte beobachtbare Verhaltensweisen diesem kulturellen Wandel direkt zuzuschreiben. Das
Verhalten eines Individuum kann je nach Situation, in der sich das Individuum befindet auch unterschiedlich
ausfallen. Es erforderlich, die Einzigartigkeit der Individuen und auch das unterschiedliche Verhalten in
verschiedenen Situationen zu berücksichtigen.
Eckensberger (1982) unterscheidet in seinem Aufsatz „Eine metamethodologische Bewertung psychologischer
Theorien unter einer kulturvergleichenden Perspektive“ vier verschiedene metaphysische Modelle, die zur
kulturvergleichenden Forschung genutzt werden können:
Dies wäre zunächst das metaphysische Modell der „Vielheit und Größe“ nach Bredenkamp & Graumann
(1973). Es ist rein deskriptiv, und ihm liegt keine psychologische Theorie zugrunde. Dieses Modell ist der
Versuch, die Sprache der Mathematik auf die Theoriekonstruktion anzuwenden. Die Realität, die Kultur als ein
vom Menschen geschaffener Teil der Umwelt, wird als „Vielheit und Größe“ erkannt. Es handelt sich hier um
die ausschließliche Anwendung von Statistik und Methoden, um eine „Ordnung“ in die Realität zu bringen.
Man muss aber berücksichtigen, dass Beziehungen, die man statistisch zwischen Kultur und Verhalten
nachweisen kann, ohne Wert sind, wenn dem keine geeignete Theorie zugrunde liegt.
Das zweite, mechanistische Modell wird von den Lerntheorien beeinflusst. Man kann dieses Modell ähnlich wie
eine Maschine funktionierend erklären. Bei diesem Modell wird die Umwelt als gegeben vorausgesetzt und als
Ursache für das Verhalten beschrieben. Die Umwelt ist der Stimulus (S), der das Verhalten als Reaktion (R)
hervorruft. Genauer betrachtet, wird das Verhalten durch eine Verknüpfung zwischen S und R hervorgerufen.
Ein großer Teil der kulturvergleichenden Forschung wendet dieses Modell an. Ein bekanntes Beispiel dazu ist
die Harvard/Cornell/Yale-Studie, bei der die Familienstruktur und die kulturelle Komplexität über unmittelbare
Lernumwelten zu Verhaltensvariablen in Bezug gesetzt wurden (Whiting & Whiting, 1975).
Auch bei unserer Studie wurden zunächst theoretische Erklärungsansätze für den Zusammenhang zwischen
Kultur und zeitlichem Verhalten gesucht. Das heißt, die Tests wurden aufgrund einer mit theoretischen
Ansätzen formulierten Hypothese durchgeführt. Die Hypothese ging davon aus, dass sich Merkmale der Kultur
auf das zeitliche Verhalten der in diesem Kulturraum lebenden Menschen auswirken, und dass es
unterschiedliche länderspezifische Verhaltensweisen gibt. Bei der Regressionsanalyse wurde untersucht, ob
externe Variablen, wie das Herkunftsland, Grad der Industrialisierung, Wohlstand, Gesellschaftsstruktur und
Größe der Stadt, aber auch das Alter und das Geschlecht, eine kausale Beziehung zum Verhalten der Personen
haben.
Allerdings wurde auch bei dieser Studie die von Eckensberger (1982) erhobenen Ansprüche an eine
kulturvergleichende Forschung nicht erfüllt. Die Kultur wird a priori als Ursache für das Verhalten
angenommen. Die Kultur selbst wird nicht erklärt. Auch bei unserer Studie werden Variablen, die kulturelles
Verhalten beeinflussen, wie z.B. Werthaltungen, gesellschaftliche Rahmenbedingungen zwar theoretisch
erläutert, sie werden allerdings nicht abgefragt und empirisch erfasst, um die kulturellen Besonderheiten auch
empirisch herausarbeiten zu können. Lediglich aufgrund theoretischer Vorüberlegungen und Hinweisen aus der
Literatur werden vier Ländergruppen als zu untersuchende, unterschiedliche Kulturräume festgelegt.
Ebenso wenig wird der kulturelle Wandel berücksichtigt oder die Veränderung des Verhaltens der Individuen in
unterschiedlichen Alltagssituationen. Da es sich bei dieser Studie um keine Langzeitstudie handelte, konnte eine
Veränderung bei den externen kulturellen Einflussfaktoren und auch beim zeitlichen Verhalten der
Testpersonen bei dieser Studie nicht empirisch erfasst werden. Es handelt sich folglich um eine
Momentaufnahme, die keine Rückschlüsse auf Vergangenheits- und Zukunftswerte zulässt. Erstrebenswert
wäre es, kulturelle Vergleichstudien über längere Zeiträume durchzuführen, um Veränderungen in die
Teststruktur aufnehmen zu können.
Weiter gehen Modelle, die auf der Analogie des lebenden Organismus aufbauen. Looft (1973) fordert ein
Modell, das der Komplexität der Veränderung zwischen und innerhalb der Individuen und der Gesellschaft
besser gerecht wird. Wechselseitige, abhängige Beziehungen zwischen den Organismen werden in einem
Aufbau dargestellt, das man auch „Ökosystem“ oder „Organismus/Umwelt-System“ nennt. Bei diesen
Untersuchungen betrachtet der Wissenschaftler einen Ausschnitt der Realität, der eine unterschiedliche Anzahl
von Elementen, Relationen und Subsysteme berücksichtigt. Bei solchen Studien werden Untersuchungen zu den
Formen des Behavior Settings (Barker, 1968), des urbanen Ökosystems (Burgard, 1977) und sogar Modelle
ganzer Kulturen als adaptive ökologische Systeme (Berry & Annis, 1974) beschrieben. Dabei werden die
Ökosysteme als dynamische Netzwerke gesehen, die zueinander in Wechselwirkung stehen und die Fähigkeit
zur Selbstregulation haben, so dass sie sich in einem Fließgleichgewicht befinden. Das System selbst kann
stabil oder weniger stabil sein.
Es gibt eine Wechselbeziehung zwischen den Organismen und der Umwelt. Dabei passt sich der Mensch an die
Umwelt an, aber die Umwelt selbst wird auch vom Menschen verändert. Die Organismen können sich in dem
Ökosystem bestimmte Voraussetzungen schaffen, die ihre Überlebenschancen verbessern. Die
Wechselwirkung, dass nicht nur die Kultur das Verhalten der Menschen beeinflusst, sondern auch der Mensch
die kulturellen Voraussetzungen schafft, wurde bei dieser Studie ebenfalls nicht untersucht. Um eine solche
Wechselwirkung aufzeigen zu können, müssen komplexe Langzeitstudien vorgenommen werden, die Personen
und deren Verhaltensweisen, als auch das kulturelle Umfeld dieser Personen über längere Zeit beobachten und
Zusammenhänge herstellen. Eine solche Untersuchung wäre sehr langwierig und komplex, und es ist fraglich,
ob sie bei der Vielzahl der zu untersuchenden Einflussvariablen und Wechselwirkungen überhaupt möglich
wäre.
Es gibt eine kausale und funktionale Beziehung zwischen Organismus und Umwelt. Beim Modell des
Ökosystems können Interaktionen zwischen den Organismen und der Umwelt berücksichtigt werden. Bei dieser
Studie wird lediglich der kausale Zusammenhang zwischen externen kulturspezifischen Faktoren oder
Ländergruppen und dem Umgang mit der Zeit untersucht. Der kausale Zusammenhang ist damit stark
vereinfacht. Das kulturelle Umfeld beeinflusst den Menschen, er selbst beeinflusst wiederum auch sein Umfeld.
Diese Prozesse konnten bei dieser Untersuchung nicht aufgegriffen werden, obwohl sie sicherlich für
interkulturelle Studien relevant sind.
Damit könnte man dann erstmals auch eine Erklärung der Kultur und des Individualverhaltens liefern und deren
Entwicklung. Allerdings bleibt die Anwendung des Modells nur auf frühe Entwicklungsstadien beschränkt.
Wenn kognitive Variablen oder komplexer entwickelte Kulturen untersucht werden sollen, stößt dieser Ansatz
an seine Grenzen (vgl. Eckensberger, 1978). Der Erklärungsansatz von Entwicklung bei diesem Modell liegt bei
den adaptiven Prozessen der Gene der Spezies. Das dritte Modell bezieht sich auf die Phylogenese und nicht auf
die Ontogenese. So können lediglich Erklärungsversuche für die soziale Veränderung, nicht aber für die
individuelle Entwicklung gegeben werden.
Das vierte Modell Eckenbergers, das den Menschen als reflexives Wesen sieht, stützt sich auf die
Handlungstheorien. Die Erklärung der Kultur geschieht durch Reifikation der Handlungen. Die Kultur ist ein
vom Menschen geschaffener Teil der Umwelt. Die Handlungstheorien gehen davon aus, dass der Mensch fähig
ist, sich in eine Situation hineinzudenken und die Situation aktiv zu ändern. Er kann die Realität nicht nur
rekonstruieren, sondern konstruiert sich selbst die Realität. Der Mensch kann zwischen verschiedenen
Handlungsmöglichkeiten wählen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dabei unterscheidet der Mensch bei
seinen Handlungen zwischen beabsichtigten Konsequenzen und unbeabsichtigten Konsequenzen, die sein
Handeln nach sich zieht. Er selbst ist für die Konsequenzen verantwortlich. Dies hat eine dialektische
Verknüpfung zur Folge: „Durch die Verwirklichung seiner Ziele verändert der Mensch die Umwelt, welche
ihrerseits wieder seine Ziele verändern kann“ (Eckensberger, 1982, S.24).
Kulturelle und psychologische Variablen lassen sich als Voraussetzungen für Handlungen oder als Ergebnisse
von Handlungen interpretieren. Die Entwicklung kann unter dem Aspekt der Aktualgenese betrachtet werden.
Man untersucht, wie ein konkretes Ziel erreicht wird, die Auswahl der Mittel und das Bereitstellen von Energie.
Mit der Ontogenese erklärt man die Entwicklung von Konzepten und Bezugsrahmen. Weiterhin wird der
soziokulturelle Wandel, der historische Prozess des Schaffens und des Veränderns der Kultur ins Modell
integriert. Eckensberger (1982) zeigt Vor- und Nachteile dieser Modelle zur kulturvergleichenden Forschung
auf und merkt kritisch an:
„In jedem Fall haben wir allen Anlass, die Grundlagen unseres wissenschaftlichen Tuns immer aufs Neue zu reflektieren und zu überprüfen. Das zeigt sich besonders dann, wenn wir versuchen, die Psychologie auf den Alltag einer bestimmten Kultur anzuwenden. Dann erkennen wir nämlich, dass der Mensch zwar eine Spezies unter anderen ist, dass seine Handlungen zwar bis zu einem gewissen Grad vorhersagbar sind, und dass sein Verhalten in bestimmtem Umfang erfolgreich in Regressionsgleichungen abgebildet werden kann; wir sehen aber auch, dass der Mensch `seine Existenz reflektiert´ und sich gegen die aus der Vergangenheit abgeleiteten Vorhersagen entscheiden kann. ... Für welche Theorien man sich entscheidet, hängt nämlich von dem Anliegen ab, das man hat. Aus diesem Grunde sollten in der Psychologie verschiedene Theorienfamilien nebeneinander existieren dürfen“ (Eckensberger, 1982, S. 26f).
Diese Studie versuchte anhand einer Regressionsanalyse einen Zusammenhang zwischen kultureller Herkunft
und dem zeitlichen Verhalten der untersuchten Studenten zu finden und kulturspezifische
Merkmalsausprägungen und Verhaltensmuster aufzudecken. Der Aspekt des sich verändernden Verhaltens
aufgrund der Globalisierung und einem Wertewandel in der Gesellschaft konnte lediglich bei der Interpretation
der Ergebnisse theoretisch aufgegriffen werden. Da es sich um eine einmalige Stichprobe und Untersuchung
handelt, stellt diese Studie eine Momentaufnahme dar. Sinnvoll wäre eine Befragung derselben Studenten zu
einem späteren Zeitpunkt gewesen, um auch Aspekte der Veränderung persönlicher Einstellungen,
Personenkennzeichen und Verhaltensmuster in die Analyse aufnehmen zu können.
Zwei sehr interessante Aspekte konnten im Rahmen dieser Studie nicht untersucht werden: der Zusammenhang
zwischen den persönlichen Wertvorstellungen und dem zeitlichen Verhalten und Veränderungen im Laufe der
Jahre aufgrund der persönlichen Weiterentwicklung der Studenten und des gesellschaftlichen Wandels.
Interkulturelle Studien können immer nur Teilaspekte des kulturellen Lebens untersuchen. Die Kultur und das
menschliche Verhalten sind zu komplex, um sie ausreichend mit Merkmalen beschreiben zu wollen. Auch diese
Studie konnte lediglich einige kulturelle Variablen und Ausschnitte aus dem Alltagsverhalten der Studenten
verschiedener Kulturräume untersuchen. Die interkulturelle Forschung kann Trends bei den vorgefundenen
Verhaltensmustern aufzeigen, sie kann jedoch keine allgemeingültigen Aussagen über das Verhalten von
Menschen unterschiedlicher Kulturen in bestimmten Situationen treffen. Das Individuum selbst hat
verschiedene Verhaltensmuster zur Auswahl. Diese sind abhängig vom kulturellen Umfeld, von der
Persönlichkeit, von der jeweiligen Situation aber auch von Erfahrungen und Lernprozessen, die der Mensch im
Laufe seiner Sozialisation durchlaufen hat.
8 Kulturspezifische Verhaltensmuster und ihre gesellschaftlichen Folgen 8.1 Unterschiede im zeitlichen Verhalten bei den einzelnen Ländergruppen
Ziel dieser Studie war es herauszufinden, ob bei es kulturspezifische Unterschiede im Umgang mit der Zeit bei
deutschen und ukrainischen Studenten gibt. Das zeitliche Verhalten wurde mit einem Fragebogen abgefragt
(siehe Anhang), der sich an den Jenkins Activity Survey anlehnt, der bereits seit den 60er Jahren bei vielen
internationalen Studien zum Einsatz kam. Es wurden einige Fragen umgeschrieben, sodass speziell Studenten
zu ihrem Umgang mit der Zeit Auskunft geben konnten (siehe Kap. 7.4.1). Insgesamt sieben Faktoren des
zeitlichen Verhaltens fanden bei den weiteren Tests Verwendung: „Temperament“, „Anstrengung“,
„Termindruck“, „Wettbewerbsorientierung“, „Aktivität und Ungeduld“, „Schnelles Essen“ und
„Verspätungen“. Mit diesen sieben Teilaspekten sollten Hinweise für einen kulturspezifischen Umgang mit der
Zeit gefunden und bestimmte zeitliche Verhaltenstypen herauskristallisiert werden.
Wie bereits im Kap. 7.3 erläutert, gingen bei der Untersuchung lediglich die Antworten von Studenten in die
Analyse ein. Dies schränkt die Aussagekraft der Ergebnisse der empirischen Studie auf eine bestimmte
Bevölkerungsschicht ein. Die Studenten bilden in der Gesellschaft eine gebildete Minderheit, die sich von
anderen Bevölkerungsschichten unterscheidet. Inwiefern es eher Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zum
zeitlichen Verhalten von anderen Mitgliedern der Gesellschaft gibt, kann mit dieser Studie nicht dargelegt
werden. Hierzu wäre eine Folgestudie notwendig, die auch andere Gesellschaftsgruppen (z.B. Industriearbeiter,
Angestellte, Akademiker, Selbstständige, ...) untersucht. Man kann aber davon ausgehen, dass die gebildete
gesellschaftliche Gruppe der Studenten in Deutschland und der Ukraine sehr bewusst die Aufbruchstimmung
und den kulturellen Wandel in den letzten zwei Jahrzehnten verfolgt hat und auch im Studium mit neuen
gesellschaftlichen Wertvorstellungen der modernen Leistungsgesellschaft konfrontiert worden ist (vgl. Kap.
3.3).
Die multiple Regressionsanalyse zeigte, dass das zeitliche Verhalten vom Herkunftsland und dem Grad der
Industrialisierung beeinflusst wird (siehe Kap. 7.4.3). Als unabhängige Variablen wurden noch Alter und
Geschlecht einbezogen, und ob die Personen in ländlicher oder städtischer Umgebung aufgewachsen sind und
leben. Als Ergebnis konnte nachgewiesen werden, dass sowohl das Alter, das Geschlecht und die Größe der
Heimatstadt und des Wohnortes bei einigen Aspekten des zeitlichen Verhaltens eine Rolle spielen, als auch die
Gesellschaftsform, ob sie eher individualistisch oder kollektiv ausgerichtet ist.
Danach konnte der einfaktorielle ANOVA-Test signifikant nachweisen, dass es länderspezifische Unterschiede
bezüglich aller sieben Faktoren des zeitlichen Verhaltens bei den vier Ländergruppen West- und Ostdeutschland
und der West- und Ostukraine gibt (vgl. Kap. 7.4.4.1). Aufgrund vorangegangener theoretischer Überlegungen
zu den Kulturräumen wurden bei der Varianzanalyse nicht nur die Länder Deutschland und Ukraine, sondern
auch jeweils der Westen und Osten beider Länder unterschieden.
Bei einem anschließenden Duncan-Test, der homogene Untergruppen unterscheidet, wurden kulturelle
Besonderheiten (vgl. Kap. 7.4.4.2) untersucht. In den meisten Fällen bildeten die west- und ostdeutschen
Studenten eine homogene Untergruppe und die west- und ostukrainischen Studenten. Eine Ausnahme zeigte der
Faktor „Aktivität und Ungeduld“, bei dem sich die weniger aktiven und geduldigeren Ostukrainer von den
anderen drei Ländergruppen unterscheiden. Beim Faktor „Verspätungen“ fallen die pünktlichen Westdeutschen
vor den anderen Ländergruppen auf. Insgesamt konnte man feststellen, dass die Deutschen höhere Mittelwerte
beim Faktor „Termindruck“ und „Wettbewerbsorientierung“, die Ukrainer höhere Mittelwerte beim Faktor
„Temperament“, „Anstrengung“ und „Schnelles Essen“ zeigen.
Als nächstes wurden die befragten Studenten in Typ A, einem sehr leistungsorientierten Typ, der möglichst viel
in möglichst kurzer Zeit erledigen will, und Typ B, einem eher gelassenen, entspannten Typ, eingeteilt. Hohe
Merkmalswerte, entsprachen Typ A und niedrige Merkmalswerte dem Typ B. Studenten, die keine extrem
hohen oder niedrigen Werte zeigten, wurden dem Mischtyp zugeordnet. Der länderspezifische Ausdruck der
Häufigkeiten der Verhaltenstypen zeigte, bei welchen Ländergruppen öfter Typ A oder Typ B in Erscheinung
trat (vgl. Kap. 7.4.5). Insgesamt bestätigten sich die Ergebnisse des Duncan Tests auf homogene Gruppen.
Beim Faktor „Termindruck“ und „Wettbewerbsorientierung“ kommt Typ A bei allen Studenten häufig vor, bei
den deutschen Befragten noch mehr als bei den ukrainischen. Dafür überwiegen beim Faktor „Anstrengung“ in
Deutschland die Mischtypen, während in der Ukraine, vor allem im Westen, der Typ A fast gleich oft
vorkommt. Der entspannte, gelassene Typ B tritt bei diesen drei Faktoren weder in Deutschland, noch in der
Ukraine kaum in Erscheinung.
Bei den Faktoren „Temperament“, „Aktivität und Ungeduld“, „Schnelles Essen“ und „Verspätungen“ überwog
bei allen Ländergruppen der Mischtyp. Eine Ausnahme bildete Ostdeutschland beim Faktor Temperament. Hier
überwog Typ B, der weniger temperamentvoll und nicht so leicht reizbar ist. Prozentual trat beim Faktor
„Aktivität und Ungeduld“ der ungeduldige Typ A öfter auf als der geduldige Typ B (Ausnahme Ostukraine). In
Deutschland gab es mehr langsame Esser, in der Ukraine überwogen die schnellen Esser. Beim Faktor
„Verspätungen“ war die Tendenz ersichtlich, dass der pünktliche Typ B am ehesten in Westdeutschland zu
finden ist.
So konnten kulturspezifische Unterschiede bei den zeitlichen Verhaltensmustern der Studenten aufgezeigt
werden. Allerdings darf man nicht vergessen, dass es sich nur um Trends handelt, die sich aus den
länderspezifischen Häufigkeitsanalysen der Verhaltensmuster ergeben. Über individuelle Unterschiede im
Verhalten und deren persönlichen Ursprung kann diese Studie keine Auskünfte geben.
„Über die psychologische Verschiedenheit der Menschen, diesen notwendigen Faktor der
Lebensenergie einer menschlichen Gesellschaft, wird keine soziale Gesetzgebung
hinwegkommen. Darum ist es wohl nützlich, von der Verschiedenheit der Menschen zu
reden. Diese Unterschiede bedingen derartig verschiedene Glücksansprüche, dass keine
auch noch so vollkommene Gesetzgebung ihnen jeweils auch nur annähernd genügen
könnte. Es wäre auch noch so billig und gerecht, eine erscheinende allgemeine äußere
Lebensform zu erdenken, welche nicht für den einen oder andern Typus eine
Ungerechtigkeit bedeuten würde“ (Jung, 1960, S. 529f).
Ohne individuelle Unterschiede beim Umgang mit der Zeit bestreiten zu wollen, wurden im Kapitel 4 Gründe
gefunden, wie historisch gewachsene kulturspezifische Voraussetzungen und politische und gesellschaftliche
Herrschaftsstrukturen Einfluss auf das Verhalten der in Deutschland und der Ukraine lebenden Menschen
nehmen. Gerade in den Ländern Deutschland und Ukraine gab es in den letzten Jahrzehnten einen Aufbruch.
Die ehemals kommunistisch regierten Satellitenstaaten DDR und die Ukraine öffneten sich dem Westen. Der
„Eiserne Vorhang“, der nicht nur eine befestigte Grenze zu den Warschauer-Pakt-Staaten des Ostens darstellte,
sondern auch eine ideologische Grenze bildete, wurde schon vor der Grenzöffnung durchlässig. Obwohl das
sozialistische Regime versuchte die Bevölkerung von westlichem Gedankengut fernzuhalten, lernten viele die
Vorzüge von Demokratie und freien Handel über den illegalen Empfang von Westmedien kennen.
Konsumwünsche und der Wunsch zu reisen wurden geweckt. Die Parolen von „Freiheit und Sozialismus“
scheiterten jedoch an einer hermetisch abgeriegelten Grenze.
Spätestens in den achtziger Jahren wurde klar, dass das sozialistische Wirtschaftssystem dem westlichen,
kapitalistischen System unterlegen war. Während die Wirtschaft im „goldenen Westen“ prosperierte, war die
Misswirtschaft im Osten nicht zu übersehen. Es war eine Frage der Zeit bis die Menschen sich gegen das
Regime auflehnten und mehr Selbstbestimmung forderten. Nachdem das sowjetische Regime unter
Gorbatschow mit „Glasnost“ und „Perestroika“ die Abschottung gegen den Westen sowohl wirtschaftlich, als
auch politisch gelockert hatte, war auch für die DDR der Weg frei für eine friedliche Revolution. Ohne dem
Einsatz von Gewalt wurden die alten Machthaber des SED-Regimes und mit ihnen auch kommunistische
Wertvorstellungen „abgelegt“. Später kam es auch in der Ukraine zu einer „Orangenen Revolution“, die dem
ehemals sozialistischen Satellitenstaat der UdSSR die Demokratie und freie Marktwirtschaft bringen sollte. Nachdem die erste Freude über die Grenzöffnung verflogen war, trat zunächst Ernüchterung ein. Zwar hatten
die alten sozialistischen Wertvorstellungen ausgedient, aber schnell stellte man fest, dass auch die freie
Marktwirtschaft und die damit einhergehende Eigenverantwortung ihre Nachteile hatte. So stießen die alten
Werte von Solidarität und Gemeinschaftssinn mit der Wettbewerbsorientierung und dem Konkurrenzdenken
des Westens zusammen. Die Bürger des ehemaligen sozialistischen Ostens sahen sich hohen
Leistungsanforderungen ausgesetzt. Trotz der Fünfjahrespläne, die die Vorgaben für die Wirtschaft bildeten,
war das Arbeitsleben im Osten zu Zeiten des Sozialismus nicht so temporeich wie im Westen. Oft kam es zu
Lieferengpässen, die in der Industrie und im Handwerk zwangsläufig für weniger Produktivität und mehr
Ruhezeiten sorgten. Durch die Absicherung des einzelnen Bürgers über den so-zialistischen Staat und die
Tatsache, dass zumindest offiziell Vollbeschäftigung herrschte, gab es zwar einen Verzicht auf Luxusartikel
und westliche Konsumgüter, aber niemand hatte Angst vor Arbeitsplatzverlust und Armut. Dies änderte sich
nach Grenzöffnung. Es erschlossen sich für die Bürger der ehemals sozialistischen Staaten viele neue
Möglichkeiten, gleichzeitig wurden aber auch Existenzängste geschürt. Der Leistungsdruck erhöhte sich.
Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten beim Umgang mit der Zeit, die von der historischen Entwicklung,
den früheren und heutigen Gesellschaftssystemen und regionalen Besonderheiten herrühren können, wurden bei
unserer Studie festgestellt. Der Termindruck und die Wettbewerbsorientierung sind inzwischen auch in den
ehemals sozialistisch regierten Ländern Ostdeutschland und der Ukraine groß. Während in West- und
Ostdeutschland die private Marktwirtschaft seit Öffnung der Grenzen eingeführt ist, hat der
Umstrukturierungsprozess in der Ukraine von einem kollektivistisch organisiertem Wirtschaftssystem mit viel
Agrarwirtschaft zu einem kapitalistischen, industrialisierten Wirtschaftssystem erst begonnen.
Aus der Regressionsanalyse war ersichtlich, dass hohe Werte beim Faktor „Temperament“ von der
Industrialisierung des Landes abhängen. Während die Ukrainer aussagten, eher wenig industrialisiert, oder erst
auf dem Weg zu einer Industriegesellschaft zu sein, sehen die west- und ostdeutschen Befragten ihr Land als
industrialisiert an. Bei den Ukrainern gaben mehr Befragte an, sehr temperamentvoll und leicht reizbar zu sein.
Studenten aus Deutschland, vor allem Ostdeutschland, zeigten sich weniger temperamentvoll. Man kann
interpretieren, dass im Arbeitsleben der modernen Industriegesellschaft keine temperamentvollen
Gefühlsausbrüche geduldet werden (vgl. Kap. 7.4.3.3). Eine Unterschiedlichkeit im Verhalten kann aber auch
in der Persönlichkeitsstruktur und im Wesen des Ukrainers liegen. Die Ukrainer grenzen an die als
temperamentvoll bekannten Balkanvölker an und werden als Volksgruppe ebenso als temperamentvoll
eingestuft (vgl. „Volksstamm der Kosaken“). Der Deutsche gilt als diszipliniert und besonders die
Ostdeutschen haben eher den Ruf nicht so temperamentvoll und weniger reizbar zu sein.
Einen Sonderfall bildete der Faktor „Aktivität und Ungeduld“. Am ungeduldigsten zeigten sich Westdeutsche
und Westukrainer. Viele Ostukrainer haben kein so großes Problem auf jemanden warten zu müssen. Schlange
stehen nehmen sie gelassener hin. In sozialistischen Zeiten war es im Osten üblich für Konsumgüter, vor allem
Luxusartikel, Schlange zu stehen. Die Bürger gewöhnten sich daran. Auch heute noch ist die Ostukraine ein
Land, in dem die Wirtschaft noch weitgehend kollektivistisch organisiert ist. Staatsbetriebe werden erst
langsam von Privatunternehmen abgelöst. Die „träge“ sozialistische Volkswirtschaft steht dem temporeichen
marktwirtschaftlichem System nach westlichem Vorbild gegenüber. Im Westen läuft der Alltag bereits anders
ab. Arbeitswelt und Werbung verlangen einen aktiven Lebensstil. Energiegeladene, junge Menschen werden
idealisiert. Warten gilt als Zeitverschwendung. Wartezeiten sind zu vermeiden. Der Aspekt, dass der Mensch
auch durch Wartezeiten zur Ruhe kommen und sich entspannen kann, ist den Menschen westlicher
Leistungsgesellschaften fremd. Pünktlichkeit hat, vor allem in Westdeutschland, einen hohen Stellenwert.
Ein Aspekt, der ebenfalls untersucht wurde, ist die Schnelligkeit beim Essen. Von vielen Ernährungsexperten
wird betont, wie wichtig es ist, regelmäßig ausgewogene Mahlzeiten möglichst in einer ruhigen Atmosphäre
einzunehmen. In der Ukraine scheint man davon nicht so viel zu halten. Insgesamt nehmen sich die Ukrainer
nicht so viel Zeit zum Essen wie die Deutschen. So konnten bei den untersuchten Aspekten des zeitlichen Verhaltens von Studenten kulturspezifische
Besonderheiten aufgezeigt werden. Man muss allerdings die höheren Werte der Deutschen, die der Duncan-
Test beim Faktor „Termindruck“ und „Wettbewerbsorientierung“ gezeigt hat, insofern relativieren, dass die
Merkmalswerte hier im Durchschnitt bei allen Studenten hoch waren und der entspannte Typ B kaum vorkam.
So stehen die Deutschen mehr noch als die Ukrainer unter Termindruck, die Ukrainer strengen sich dafür mehr
an. Es findet sich aber kaum ein Student, der sich ohne Termindruck oder Konkurrenzdruck sieht. Dies spricht
für einen großen Zeitdruck und für hohe Belastungen, denen Studenten sowohl in Deutschland, als auch in der
Ukraine ausgesetzt sind. Man kann hier eine Angleichung der Länder an ein hohes Leistungsniveau erkennen
und dies als Folgen wachsender Industrialisierung und Globalisierung der Weltmärkte deuten.
Aufgrund von Stellungnahmen von zwei Ukrainerinnen soll schlaglichtartig versucht werden, die bei dieser
Studie gefundenen Ergebnisse zu hinterfragen und gegebenenfalls zu kritisieren.
8.1.1 Interview mit einer Westukrainerin
Zu den Ergebnissen der Studie wurde eine Frau, die aus der Westukraine stammt und dort vor einigen Jahren
studierte, interviewt (Anhang 7). Nach ihren Aussagen gibt es nach wie vor einen Unterschied zwischen der
westukrainischen und ostukrainischen Lebensform. In der Ostukraine sind viele Menschen russischen
Ursprungs. Es gibt dort bevölkerungsanteilig viele Menschen, die in der Landwirtschaft, in Bergwerken und in
den alten Industriebetrieben aus der Sowjetzeit arbeiten. Viele Ostukrainer würden auch heute noch ein
kommunistisches Regime bevorzugen. Die Westukrainer sind dagegen eher dem westlichen Lebensstil
zugekehrt und bevorzugen die Demokratie, die seit der „Orangenen Revolution“ im Land herrscht. Sie würden
gerne schon heute der Europäischen Union beitreten.
Die orthodoxe Kirche hat insbesondere auf junge Leute keinen entscheidenden Einfluss mehr. Sie hält sich
größtenteils aus den politischen Entscheidungen heraus und wirkt mäßigend auf ihre Mitglieder ein. Der Unfall
im Kernkraftwerk Tschernobyl hatte die Kritik vieler Ukrainer am Sowjetregime zur Folge, die beklagen, dass
Russland die Ukraine nur als Kornkammer und Energielieferant ausbeutet, gegenüber Folgeschäden an der
Natur allerdings gleichgültig bleibt.
Die interviewte Westukrainerin bejahte, dass man in der Ukraine die Dinge gelassener und entspannter sieht als
in Deutschland. Es herrscht in der Ukraine weniger Zeitdruck als in Deutschland. Der Ukrainer ist nicht so
pünktlich, kleinere Verspätungen sind an der Tagesordnung. Im privaten Bereich ist man es gewohnt,
aufeinander zu warten. Treffen finden eher zufällig statt, man macht keine großen Terminabsprachen. Selbst
zum Arzt kann man ohne Termin gehen und wartet dort, bis man an der Reihe ist. Der Ukrainer plant nicht so
gerne im Voraus. Die Termine ergeben sich eher zufällig, und man kommt meist ohne Merkzettel und
Terminkalender aus.
8.1.2 Stellungnahme einer Ostukrainerin
Auch die Ostukrainerin, eine Professorin für Psychologie in Charkow, beschreibt, dass die Menschen in der
Ukraine keine homogene Gruppe darstellen (siehe Anhang 8). Allerdings sieht sie die Unterschiede in den
Einstellungen und Verhaltensweisen in manchen Punkten anders als die interviewte Westukrainerin. Sie stellt
klar, dass auch viele Ostukrainer die demokratischen Prozesse im Land begrüßen und nicht mehr zum alten
kommunistischen Regime zurückkehren möchten. Die Mehrheit der jungen Leute in der Ostukraine wünscht
ebenso eine Integration der Ukraine in die Europäische Gemeinschaft.
Die Ostukraine sei auch keineswegs ein rückständiges Gebiet mit Agrarproduktion und Bergwerken, meint sie.
Vielmehr war die Ostukraine bereits zu Sowjetzeiten ein ausgewähltes Gebiet mit Militärproduktionsstätten,
elektronischer Industrie und Raumfahrtindustrie. Im Gegensatz zur Westukraine war die Ostukraine ein
Zentrum der Hochtechnologie und hat auch heute noch viele hochkarätige Universitäten und
Bildungseinrichtungen.
Zur Pünktlichkeit besteht eine eher kontroverse Beziehung. Während des kommunistischen Regimes mussten
die Menschen pünktlich zur Arbeit erscheinen, zu Zeiten Stalins riskierte man sonst Haftstrafen. Gerade beim
älteren Teil der Bevölkerung hat sich dies fest eingeprägt. Schon die Schulkinder und Studenten haben einen
genauen Stundenplan zu befolgen. Die Disziplin ist ähnlich wie beim Militär. Andererseits konnte man früher
und kann man auch heute noch in vielen Fällen entspannen, sobald man das Werksgelände pünktlich betreten
hat. Wenn sich die Ukrainer auch als temperamentvoll und energisch darstellen, so hat diese Eigenschaft nicht
unbedingt etwas mit Effizienz zu tun.
Zum Thema Zeiteinteilung und -planung ist zu sagen: Zu Zeiten des kommunistischen Regimes lebten und
arbeiteten die Menschen gemäß des aufgestellten Fünf-Jahres-Plans. Die ältere Generation der Ukrainer plant
auch heute noch sehr viel und macht sich Listen und Merkzettel über die Dinge, die zu erledigen sind. In vielen
Bereichen, z.B. dem Bildungsbereich oder der Landwirtschaft, ist eine genaue Zeitplanung auch heute noch
vorgegeben.
8.1.3 Die Situation an deutschen Hochschulen und bei Fernstudenten
Die meisten Studenten in Deutschland nehmen ihr Studium sehr ernst und achten auf gute Noten. Die Zeit der
wilden Studentenpartys und des Protestierens sind vorbei. Statt einer „Zeit des Sich Ausprobierens“ bringt das
Studium heute für die meisten Studenten in Deutschland eine enorme Anspannung mit sich. Eifrig basteln die
Studenten an ihrem Lebenslauf. Wenn sie sich wohltätigen Organisationen anschließen und Ehrenämter
annehmen (z.B. bei Amnesty International oder Greenpeace), geschieht dies oft nur, um später damit beim
Arbeitgeber zu punkten. Der Gruppendruck ist groß. Viele Fächer dürfen nur mit einem bestimmten
Abiturnotendurchschnitt studiert werden, und auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt hängen sehr stark von
einem guten Examensabschluss ab. Dabei haben sich die Studienbedingungen und die Anforderungen auf dem
Arbeitsmarkt in West- und Ostdeutschland sehr stark angeglichen. Der „Bummelstudent“, der sich zum Abschluss zwölf oder mehr Semester Zeit nimmt, ist nur noch selten an
den Universitäten zu finden. Neuerdings müssen auch in Deutschland Studiengebühren entrichtet werden, und
die Regelstudienzeit beläuft sich beispielsweise bei den neuen Bachelor- oder Master-Studien-gängen auf nur
noch sechs bis acht Semester. Die Studienleistungen gehen von Anfang an in die Endbenotung ein. Deshalb ist
bei vielen Studenten die Studienzeit exakt durchgeplant. Selbst in den Ferien werden karrierefördernde
Praktikas im In- und Ausland absolviert. Um später eine gute Position in der Wirtschaft oder bei staatlichen
Stellen einzunehmen, muss sich der Student von seinen Kommilitonen durch besondere Leistungen
auszeichnen. Studenten, die nebenbei noch „jobben“ oder eine Familie zu versorgen haben, stehen unter
enormem Stress.
Bei unserer Studie muss der Besonderheit, dass vorwiegend Fernstudenten befragt wurden, die ihr Studium als
Teilzeitstudium neben einem Beruf oder der Führung eines Haushalts betreiben, auch bei den Bewertungen der
Ergebnisse berücksichtigt werden. Miller (1991) führte eine Studie über „Erwachsene im Studium“ durch. Die
Fernstudenten unterscheiden sich von den Studenten anderer Präsenzhochschulen:
„In der kurzen Charakterisierung der Fernuniversität und ihrer Studentenschaft wurde bereits darauf hingewiesen, dass es sich in der Mehrzahl um Erwachsene zwischen 25 und 50 Jahren handelt. Diese unterscheiden sich in wesentlichen Aspekten von den Studierenden an Präsenzhochschulen. Gleichzeitig lassen bedeutsame Charakteristika der alltäglichen Lebenssituation vergleichbare Merkmale mit solchen Personengruppen erwarten, die sich neben ihrer Berufstätigkeit ebenfalls weiterqualifizieren“ (Miller, 1991, S.29).
Bei seiner Studie betrachtete Miller die Wechselwirkungen zwischen der studentischen Identität von
Fernstudenten und deren Umwelt. Das Leben der Fernstudenten läuft hauptsächlich in den vier Teilumwelten
Arbeitsplatz, Familie, Studium an der Fernuniversität und Freizeit ab. Die zeitliche Abfolge der Tätigkeiten in
den verschiedenen Umwelten kann zeitlich versetzt erfolgen, z.B. man geht vormittags einem Beruf nach,
nimmt sich mittags Zeit für die Familie und studiert am Nachmittag in den Skripten oder fertigt Studienarbeiten
an. Am Abend hat man wieder Zeit für die Familie oder für Freizeitaktivitäten. Dies wäre der günstigste Fall.
Allerdings kann es auch zu „Überlappungen“ kommen (vgl. Miller, 1991, S. 11). Ist eine Fernstudentin
alleinerziehende Mutter mit kleinen Kindern, so wird sie Studium und das Versorgen der Kinder nicht immer
strikt trennen können. Hier ist oft „gleichzeitiges Handeln“ nötig. Dies bestätigen auch die vielen deutschen
Studenten dieser Studie, die aussagten, oft gestört zu werden und zwischen verschiedenen Tätigkeiten hin- und
herspringen zu müssen (vgl. Faktor „Termindruck, Kap. 7.4.4.2).
Überlegungen zum Leben in einer westlichen Leistungsgesellschaft (Kap. 3.3) deuteten darauf hin, dass die
Menschen einem höheren Konkurrenzdruck ausgesetzt ist, als Menschen, die in eher kollektiven Gesellschaften
leben. In Deutschland herrscht zwar eine soziale Marktwirtschaft, die sozialen Aspekte werden jedoch im Zuge
der Globalisierung eher zurückgedrängt. Auch die Ergebnisse unserer Studie sprechen dafür, dass die meisten
deutschen Studenten sehr wettbewerbsorientiert sind. Sie versuchen, mit Fleiß konkurrenzfähig zu sein. Sie
entwickeln viel Ehrgeiz und haben hohe Zielsetzungen. Sie wollen sich im Wettbewerb behaupten, planen ihr
Studium gründlich und sind sehr aktiv. Aber auch in der Ukraine sind deutliche Tendenzen spürbar, dass die
Studenten, wenn auch in einem etwas geringeren Ausmaß als in Deutschland, Termindruck und Wettbewerb
spüren. Sie zeigen sich sogar verantwortungsbewusster, ernster und angestrengter als die deutschen Studenten.
Es konnten bei dieser Studie einige kulturelle Besonderheiten beim Umgang mit der Zeit bei den einzelnen
Ländergruppen Deutschlands und der Ukraine gezeigt werden. Insgesamt konnte man feststellen, dass
erstaunlich viele Studenten aus Deutschland und der Ukraine das Verhaltensmuster des Typs A zumindest bei
einigen Aspekten des zeitlichen Verhaltens aufweisen. Deshalb soll erläutert werden, welche Auswirkungen das
Verhaltensmuster A auf die physische und psychische Gesundheit der Menschen hat.
8.2 Auswirkungen des Typ-A-Verhaltens 8.2.1 Gesellschaftliche und individuelle Auswirkungen
In der modernen Industriegesellschaft hört man häufig Klagen darüber, dass die Zeit zu knapp ist, um allen
Anforderungen gerecht zu werden. Stress herrscht nicht nur im Studium und auf der Arbeit, sondern auch in der
Freizeit. Der Zeitdruck, den der Einzelne empfindet, ist groß.
„Wir finden keine Zeit mehr für das Wesentliche und wissen gar nicht mehr, was das ist. Muse haben,
etwas ganz bewusst genießen, still verweilen und wahrnehmen, was um einen herum ist: Das
haben die Menschen verlernt. Sie sind zu Sklaven ihrer Gier geworden – der Neugier,
Wissensbegierigkeit, Habgier. Dieses Immer-mehr-haben-Wollen ist mit einer Sucht vergleichbar.
Und die Werbung gibt uns vor, dass wir nur glücklich sind, wenn wir dieses oder jenes besitzen
oder erleben. Wir haben immer mehr, aber nur in der Stückzahl. Was verloren geht, ist die
Lebensqualität“ (Assländer, 2006, S. 3).
Assländer rät dazu, Wege der „Entschleunigung“ zu finden. Es sei zwar nicht möglich, in einer Zeit der stetigen
Beschleunigung als Einzelner stets gegen den Strom zu schwimmen, sagt er, man soll aber die Fähigkeit nicht
verlieren, den Augenblick zu genießen. Bei einem Konzert, einem guten Essen oder einem schönen Spaziergang
steht nicht der Faktor Zeit, sondern das Genießen im Vordergrund.
„In diesen Momenten ist der Faktor Zeit völlig außen vor. Im Vordergrund steht das Genießen. Ich habe von einem Spaziergang nicht mehr, wenn ich schneller laufe. Und kein Mensch wird zum Dirigent sagen: Dirigiere schneller, damit das Konzert eher vorbei ist. Nur im Verweilen kann man genießen, und Beschleunigung zerstört den Genuss“ (Assländer, 2006, S. 3).
Assländer empfiehlt, nicht immer an das Ziel zu denken, das erreicht werden soll, sondern in dem zu verweilen,
was man gerade tut und dieses Tun zu genießen. Der Prozess, das Tun, ist das eigentliche Erleben. Er warnt
davor, auch seine Freizeit zu verplanen. Freizeitstress entsteht dann, wenn die Menschen den inneren Zwang
haben, möglichst viel in ihrer knappen Freizeit erleben zu müssen. Um seine Zeit bewusst zu leben und
genießen zu können, bedarf es nach Ansicht von Assländer einer guten Zeitstruktur und eines Zeitmanagements.
Man sollte lieber fünf Minuten früher aufbrechen und die Zeit bewusst genießen, anstatt zu hetzen. Falsch ist es
nur ans Ziel zu denken und dabei das „Hier und Jetzt“ zu vernachlässigen. Von vielen Kritikern unserer westlichen Kultur wird eine „Entschleunigung“ gefordert, eine Rückkehr zur
Langsamkeit. Ein weiterer Vertreter des Ideals der „Langsamkeit“ ist Geißler (1996), der soweit geht, dass er
die Einrichtung eines Ministeriums vorschlägt, das alle Gesetze, die zur Beschleunigung der Gesellschaft
beitragen, verhindern soll. In Klagenfurt wurde 1990 ein „Verein zur Verzögerung der Zeit“ gegründet, dessen
Mitglieder auch als „Slobbies“ („Slower But Better Working People“) bezeichnet werden. Dem Verein gehören
vor allem Universitätsprofessoren und –doktoren an (vgl. Baur, 1997). Wenn der Mensch nicht dem gehetzten Tempo und dem Zeitdruck zum Opfer fallen will, so muss er sich
Auszeiten gönnen und Ruhenischen finden. Er muss dagegen ankämpfen, dem Diktat der modernen
Informationsgesellschaft zu folgen, das besagt, immer erreichbar und verfügbar zu sein. Selbst bei den
Studenten wird dies schon deutlich. Besonders die deutschen Studenten, die oftmals Fernstudenten sind und
bereits arbeiten und/oder eine Familie versorgen müssen, klagen darüber, immer zwischen Tätigkeiten hin- und
herspringen zu müssen. Sie leiden unter einem höheren Termindruck, als die ukrainischen Studenten.
Hinz (2000, S. 170f) hat bei seiner Befragung von 404 Studenten der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg
festgestellt, dass Studenten mit Nebentätigkeiten oder eigenen Kindern, dazu neigen, sich im Studium zu
überlasten. Sie legen ein höheres Lebenstempo vor und wollen alles gleichzeitig erledigen. Dabei planen sie
keine Zeitpuffer ein. Insgesamt nehmen sie nur selten eine konkrete Zeitplanung vor, da sie flexibel bleiben
wollen. Sie können schlecht zwischen Arbeitszeit und Freizeit trennen.
Hinz (2000, S. 184) kam zu dem Ergebnis, dass die wenigsten Beschwerden Studenten haben, die auch mal
„Nein“ sagen können, die flexibel und gelassen sind, die sich nicht überarbeiten und die nicht an
„ungeeigneten“ Dingen oder Menschen kleben. Ein „Erlernen“ des Loslassens, „Nein-Sagen-Können“ und der
Abbau von Überarbeitung sei gut für das körperliche Wohlbefinden. Allerdings stellt sich die Frage, ob und wie
diese Verhaltensweisen erlernt werden können und ob Flexibilität und Gelassenheit eingeübt werden kann.
„Zeit ist das kostbarste Gut, das der Mensch zu verwalten hat. Ein Rohstoff, aus dem das Leben selbst gewirkt ist. `Liebst Du das Leben, dann verschwende die Zeit nicht, denn daraus besteht das Leben´, sagte der zeitbegnadete Benjamin Franklin einmal. `Ich habe keine Zeit´ ist die vorsätzliche, verstümmelnde und schädlichste Streßprogrammierung. Dieser Schlachtruf ist aber auch eine Absage an die Kommunikation mit anderen Menschen, an den Dialog mit sich selbst, an die Wahrnehmung dieser Welt. Letztlich ist dieser Ausspruch auch Selbstblockade vor dem Lernprozeß“ (Feyler, 1990, S. 1).
Eine Gesellschaft, die ihren Mitgliedern kein Muße mehr gönnt, wird selbst „erkranken“. Nicht nur das
Wohlbefinden der einzelnen Individuen dieser Gesellschaft leidet. Man kann davon ausgehen, dass eine solche
Gesellschaft sehr viel Geld ausgeben muss, um Menschen zu behandeln, die aufgrund des hohen Zeitdrucks
psychisch und physisch krank geworden sind.
Eine moderne, westliche Kultur verlangt vom Einzelnen einen aktiven Aufbau seiner Identität. Menschen, die
sich dem Leistungsdruck verweigern, da sie sich nicht so sehr anstrengen und möglichst nur einfache Aufgaben
bewältigen möchten, geraten in einen Konflikt mit den Werten der modernen Leistungsgesellschaft (vgl.
Baumeister, 1986).
Interessant ist auch die Feststellung, dass es ebenso chronischen Stress erzeugt, wenn die Einzelperson aufgrund
ihrer Herkunft und Kultur nicht anerkannte Eigenschaften aufweist. Die Migration in einen anderen Kulturraum
kann zu Stress führen, da diese Migration meist mit sozialer Isolation und dem Annehmen noch unbekannter
sozialer Rollen und Verhaltensweisen, etwa dem Umgang mit der Zeit, einhergeht. Der Anthropologe Hall
(1959) bezeichnete die Regeln der Zeit als „stumme Sprache“ (silent language). Diese „Sprache“ erlernen alle
Kinder der Welt. Es geht dabei um das Warten, um Eile, um die Begriffe „früh“ oder „spät“, um Gegenwart und
Zukunft. Kommt man in eine neue Umgebung, so kann diese wieder andere Regeln aufweisen, als die, die man
erlernt hat. Ein Mensch, der in ein anderes Land zieht und in eine andere Kultur wechselt, hat oftmals Schwierigkeiten,
sich auf den anderen Lebensrhythmus und auf das andere Tempo, das in dieser Kultur vorherrscht, einzustellen.
So kann es sein, dass ein Mensch, der aus einer westlichen Industrienation kommt und in einem afrikanischen,
südamerikanischen oder asiatischen Land seine neue Heimat findet, von der Langsamkeit des
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens frustriert ist. Der moderne Mensch einer westlichen Kultur ist
Warten nicht gewohnt. Er wird schnell ungeduldig, und es kostet ihn Zeit und Nerven, sich auf das verringerte
Tempo einzustellen.
Nationen des modernen Kommunikationszeitalters können sich für viele Menschen als zu schnell und zu
hektisch erweisen. Nicht überall ist man es gewohnt, sich so stark unter Termindruck zu setzen, wie es in der
deutschen Gesellschaft der Fall ist. In einem solchen Arbeitsumfeld entsteht leicht Hektik, was wiederum zu
Stresssituationen führen kann. An deutschen Schulen und Universitäten und in deutschen Betrieben sieht man
sich einem hohen Konkurrenzdruck ausgesetzt.
In der Ukraine sieht sich der Student auch als angestrengtes, ernsthaftes Mitglied der Gesellschaft. Er arbeitet
sehr genau und zeigt eine große Verantwortung. Andererseits nehmen es die Ukrainer mit der Pünktlichkeit
nicht so genau. Ein Ukrainer, der in Deutschland lebt, ist leicht von der deutschen Pünktlichkeit überfordert.
Insgesamt ist es fraglich, ob Pünktlichkeit dazu führen kann, stressfreier zu leben, weil man nicht so oft auf
andere warten muss, oder ob sie eher Stress erzeugt, da sich jeder nach der Uhr richten muss, um pünktlich zu
sein. Leben nicht Gesellschaften, die es nicht so genau mit der Pünktlichkeit nehmen, wesentlich entspannter?
Bei einer Gastprofessur in Brasilien hatte Levine die Erfahrung gemacht, dass die Uhren meist falsch gingen,
und die Studenten viel später in die Vorlesung kamen, dafür aber oft länger blieben. Zu diesem Thema
befragten Levine und Wolff (1985) brasilianische und amerikanische Studenten. Es stellte sich heraus, dass
man in Brasilien wesentlich toleranter gegenüber Verspätungen war. Während westliche Touristen eine solche
Einstellung oft als Wohltat empfinden, kann einem Menschen, der aus einer industrialisierten Nation kommt
und in einem Land wie Brasilien arbeitet, die Unpünktlichkeit Probleme bereiten. Selbst in Europa
unterscheidet man zwischen „zeitvergessenen“ Ländern, wie Spanien, Portugal, Südfrankreich, Süditalien und
Griechenland und den „zeitbewussten“ Ländern, wie Deutschland, Schweiz, Großbritannien, Dänemark,
Schweden und Norwegen (vgl. Collett, 1994). Während die „zeitvergessenen Länder“ eher lässig mit der Zeit
umgehen, achtet man in „zeitbewussten Ländern“ auf Pünktlichkeit. Je nachdem in welchem Land man
aufwuchs und lebt, bringt ein Wechsel in eine andere „Zeitkultur“ zunächst Umstellungsschwierigkeiten mit
sich.
8.2.2 Gesundheitliche Auswirkungen
Der Fragebogen, der bei dieser Studie verwendet wurde, lehnt sich stark an den Jenkins Activity Survey an, der
vor allem die Fragestellung, ob bei einer Person eher ein Typ-A- oder ein Typ-B-Verhalten vorliegt,
beantwortet. Eine weiterführende Studie könnte sich zum Inhalt machen, gleichzeitig auch Fragen zum
allgemeinen Wohlbefinden und zur Gesundheit der Testpersonen zu stellen, um Auswirkungen des Verhaltens
auf das gesundheitliche und psychische Wohlbefinden einer Person nachweisen zu können.
Voruntersuchungen machten bereits deutlich, dass das Typ-A-Verhalten gesundheitliche Folgen haben kann. In
der Literatur gibt es zahlreiche Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Typ-A-Verhal-ten und
koronaren Herzerkrankungen herstellen. So nahmen in den 50er Jahren die Kardiologen Meyer Friedman und
Ray Rosenman systematische Beobachtungen an ihren Herzpatienten vor. Sie beobachteten Menschen, die stets
gehetzt und wie „auf dem Sprung“ wirkten. Sie strahlten Dominanz und Unruhe aus. Das beobachtete
ausgeprägte Leistungsstreben und Konkurrenzverhalten nannten sie Typ-A-Verhal-tensmuster. Ungeduld und
Geschwindigkeitsorientierung waren die Kennzeichen. Patienten, die diese Merkmale nicht aufwiesen, wurden
mit Typ B beschrieben. Später kamen noch die Mischtypen A1 und B1 hinzu. Bei den über acht Jahre
durchgeführten Längsschnittstudien von Friedman und Rosenman schien klar zum Vorschein zu kommen, dass
das Typ-A-Verhalten ein psychosozialer Risikofaktor bei der Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen
ist. Ergebnis der Studie war, dass Menschen mit ausgeprägtem Typ-A-Verhaltensmustern ein doppelt so hohes
Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen aufwiesen, als dies bei Typ-B-Personen der Fall war.
„Friedman und Roseman sagten, Typ-A-Personen, die sich in einem ständigen Kampf befinden, immer mehr Arbeit in immer weniger Zeit zu erledigen, würden ihr Nervensystem so sehr überbeanspruchen, dass durch die Übererregung des sympathischen Nervensystems das Herz in Mitleidenschaft gezogen würde. Persönlichkeiten vom Typ A sind nach ihren Worten immer in Eile, ungeduldig, impulsiv, `überdreht´, potentiell feindselig und sehr angespannt - ein explosives Paket, das manchmal als `Workaholic´-Persönlichkeit bezeichnet wird. Diese Überlegungen führten zu Jahrzehnten intensiver Forschungsarbeit auf dem Gebiet der zu Herzerkrankungen neigenden Persönlichkeit“ (Friedman & Schustack, 2004, S. 539).
Auch Studien von Wright (1988) und Levine, Lynch, Miyake & Lucia (1989) lassen darauf schließen, dass
Bevölkerungsgruppen mit hohen Typ-A-Ausprägungen krankheitsanfälliger sind. Menschen des Typs A
erkranken häufiger an Bluthochdruck und sind anfälliger für einen Herzinfarkt. Sie sind größeren Belastungen
ausgesetzt und leiden häufiger unter Stresssymptomen.
Ein Kritiker an den Ergebnissen der Längsschnittstudie von Friedman und Rosenman ist Myrtek (1985). Er
führte eigene Untersuchungen an Sportstudenten durch, wobei seine Studien ergaben, dass das strukturierte
Interview und der Jenkins Activity Survey nur schwach miteinander korrelierten. Eine Hyperaktivität der Typ-
A-Personen konnte nicht nachgewiesen werden. Man muss bei den Ergebnissen von Myrtek berücksichtigen,
dass nur junge Sportstudenten untersucht wurden. Die Hauptrisikogruppe bei Friedman und Rosenman, zu
denen valide Aussagen zur psychophysiologischen Aktivierung gemacht werden konnten, waren zwischen 40
und 60 Jahre alt.
Einige Studien zeigten auch weitere Faktoren, die in Zusammenhang mit der kardiovaskulären Reaktivität
stehen, wie z.B. interpersonelle Kontrolle, die der Einzelne ausüben kann (Smith, Baldwin & Christensen, 1990,
Smith & Christensen, 1992). Weiterhin wurde auch ein Zusammenhang zwischen Typ-A-Verhalten, Ärger und
Herzkranzgefäßerkrankungen festgestellt (vgl. Friedman & Booth-Kewley, 1988). Dass Feinseligkeit ein
erhöhtes Risiko von Herzerkrankungen bewirkt, wird vermutet (vgl. Barefoot, Dahlstrom & Williams, 1983).
Man geht auch davon aus, dass vor allem der Faktor „Feindseligkeit-Wut“ ein Auslöser für Herzerkrankungen
sein kann, und dass Zeitdruck alleine nicht zu koronaren Herzerkrankungen führt (vgl. Booth-Kewley &
Friedman, 1987, Matthews, 1988; Wright 1988).
Gendolla und Krüsken (2000) stellen die Theorie auf, dass Selbstverwirklichung krank machen kann. Wenn
sich die Person aufgrund hochgesteckter Ziele ständig selbst überfordert, so führt dies zu starker
kardiovaskulärer Reaktivität (KV-Reaktivität) und zu essentieller Hypertonie (EH).
„Das heißt, die ultimative Verwirklichung von hoch selbstrelevanten Zielen steigert nicht ausschließlich das psychische und physische Wohlbefinden – wie etwa von Vertretern humanistischer Ansätze vertreten worden ist (Maslow, 1970; Rogers, 1980), sondern ist auch mit
negativen Konsequenzen verbunden. Wenn starke KV-Reaktivität zu EH und EH wiederum zu KV-Erkrankungen führt, wird Selbstverwirklichung sogar häufig mit frühem Tod bezahlt“ (Gendolla & Krüsken, 2000, S. 26).
Menschen mit Typ-A-Verhaltensmustern zeigen bei Anforderungen eine starke KV-Reaktivität und leiden
häufig unter KV-Erkrankungen (vgl. Scherwitz & Canick, 1988). Eine starke Selbstfokussierung der Individuen
mediiert dies noch (vgl. Duval & Wicklund, 1972).
Der Typ A neigt sehr dazu, alle Anforderungen als selbstrelevant anzusehen. Gendolla (1998, 1999) untersuchte
Studenten nach ihrer Motivation und Anstrengung bei selbstrelevanten Aufgaben. Der Test wurde vor allem mit
Aufgaben, die mit dem Aufbau einer beruflichen Identität zu tun hatten, durchgeführt. Die Aufgaben galten als
diagnostisch für das Vorhandensein von Fähigkeiten, um das Berufsziel und den gewünschten Erfolg zu
erreichen. Das Ergebnis war, dass die Gefährdung, an essentieller Hypertonie zu erkranken, bei manchen
Berufsgruppen größer ist als bei anderen. Berufliche Anforderungen haben oft mittlere oder hohe
Schwierigkeitsstufen. Bei Überforderung ist eine kardiovaskuläre Erkrankung denkbar. Weiterführende
Untersuchungen bestätigten, dass für die Entstehung von Bluthochdruck und kardiovaskulärer Reaktivität (KV-
Reaktivität) vor allem gefühlte Stresssituationen ein Hauptprädikator sind (vgl. Blascovich & Katkin, 1993).
Laut Gendolla & Krüsken (2000, S. 12) sind Herz-Kreislauferkrankungen immer noch die Haupttodesursache in
westlichen Industriegesellschaften. Ein dauerhaft überhöhter Blutdruck ist oft verantwortlich für die Entstehung
von Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems. Ungefähr bei 90 Prozent aller Fälle liegt eine „essentielle
Hypertonie“ (EH), d.h. Bluthochdruck ohne klar definierbare biologische Krankheitsursache, vor. Man schätzt,
dass jeder fünfte Erwachsene im Alter über vierzig Jahren hiervon betroffen ist. Die genaue Zahl lässt sich nur
schätzen, da diese Erkrankung am Anfang keinen Leidensdruck hervorruft und die Betroffenen daher keine
medizinische Behandlung beanspruchen.
„Der Mensch wird von zwei großen polaren Kräften bestimmt – den Hauptnervensträngen Sympathicus und
Parasympathicus. In der Medizin kennt man ihre Wirkweisen und achtet auf ihre ausgeglichenen Funktionen“
(Braem, 1988, S. 207f). Durch den Sympathicus werden Energien mobilisiert und Spannung erzeugt. Ein
anhaltend erregter Zustand hat Verkrampfungen zur Folge. Ein überhöhter Adrenalinausstoß, wie er auch bei
erhöhtem Stress zu erkennen ist, und gesteigerte Muskel- und Nerventätigkeiten führen zu einer „Plus-
Stimulanz“, das heißt, die Körperfunktionen sind aktiviert und befinden sich in einem Alarmzustand. Anders als
der Sympathicus ist der Parasympathicus auf eine „Minus-Stimulanz“ ausgerichtet. Er sorgt für eine
Beruhigung und Erschlaffung der Körperfunktionen (z.B. Atmung, Blutkreislauf und Verdauung). Jede
Überfunktion in die eine oder andere Richtung kann ein Krankheitsbild hervorrufen. Eine ausgewogene Plus-
Minus-Stimulanz ist erforderlich, um gesund zu leben. Der harmonische Wechsel zwischen den beiden Polen
kennzeichnet den normalen Gesundheitszustand.
Der Verhaltenstyp A wird als stark wettbewerbsorientiert, stets in Eile und von Termin zu Termin hastend
gekennzeichnet. Bei diesem Menschen liegt im biologisch-medizinischen Sinne eine überhöhte Plus-Stimulanz
vor. Die ständige Aktivierung und Anspannung wird zur Norm und trübt gleichzeitig den Blick für das eigene
Verhalten. Die anhaltende „Generalmobilmachung der Körperfunktionen“ kann auf Dauer zu einer
Krampfneurose oder zum Herzinfarkt führen.
Der A-Typ „will Macher sein, auch Zeitmacher, und wird doch – so sehr er sich auch krampfhaft an die
scheinbar erforderlichen Spielregeln hält – zum Opfer der Sachzwänge, zum Knecht des selbstgeschaffenen
Systems, zum Sklaven des eigenen Terminkalenders“ (Braem, 1988, S. 207f). Laut Braem ist für diesen Typus
ein lustvolles Erholen selbst in der Freizeit kaum möglich. Er kann aus dem Teufelskreis nicht mehr aussteigen.
In der Freizeit oder wenn er Urlaub macht, befindet er sich vor einem „großen schwarzen Loch“, so sehr
begleitet ihn die offene oder versteckte Angst vor dem Passivsein und Nichtstun. Richter und Hacker (1998)
stellten mögliche auslösende und verstärkende Faktoren und Persönlichkeitsmerkmale für das Typ-A-Verhalten
zusammen und gaben an, welche Krankheitsbilder wiederum aus diesem Verhalten entstehen können.
Abb. 42: Typ-A-Verhalten als Ergebnis des Zusammenwirkens von Tätigkeits- und Personenvariablen (Richter
& Hacker, 1998, S. 134)
Es wird deutlich, dass das Typ-A-Verhalten von der Umwelt, in der der Mensch lebt, beeinflusst wird. Der
Zeitdruck spielt eine große Rolle, aber auch Faktoren wie ein eingeengter Handlungsspielraum, mangelnde
Planbarkeit, fehlende soziale Unterstützung und überfordernde, konflikthaltige Aufgabenstellungen. Die
Persönlichkeit des Betroffenen muss berücksichtigt werden. Typ-A-Personen wurden oftmals schon zu
Leistungsträgern erzogen. In ihrer Persönlichkeitsstruktur sind Aggressivität und Dominanzstreben erkennbar.
Typ-A-Personen weisen Stresssymptome auf und zeigen einen erhöhten Cholesterinspiegel. Richter & Hacker
Auslösende/ verstärkende Faktoren Psychische Überforderung, insbesondere Zeitdruck; fehlende Rückmeldungen; eingeengter Tätigkeitsspielraum; fehlende Vorhersehbarkeit/- Planbarkeit; fehlende soziale Unterstützung; konflikthaltige Aufgaben
Sensitive Persönlichkeit Erziehung zu extremer Leistungsorientierung im Kindesalter; Persönlichkeitsdispositionen: Dominanzstreben „Aggressivität“ überzogene Leistungsmotiviertheit
Typ-A-Verhalten
Symptomatik Herzfrequenz-/ Blutdruckerhöhung; Koronararterien- Verengung Katecholamin-erhöhung Erhöung des Triglyzerid- und Cholesterinspiegels Angina pectoris Herzinfarkt Arbeitsunzufriedenheit Kooperations-/Kommunikations-störungen Beeinträchtigte Familienleben (Sexualstörungen, hohe Scheidungsrate)
(1998) gehen auch von einer Anfälligkeit für Erkrankungen, vom Bluthochdruck bis hin zum Herzinfarkt, aus.
Das Arbeitsleben wird erschwert aufgrund von Unzufriedenheit und Kommunikations- und
Kooperationsproblemen. Im privaten Bereich sind oftmals erhöhte Scheidungsraten und Sexualstörungen die
Folge von zu viel Stress. Zu hohe Zielsetzungen und eine übersteigerte Leistungsmotivation verhindern oft ein
zufriedenes Arbeits- und Familienleben.
Man kann bei den Regressionsanalysen (Kap. 7.4.3) erkennen, dass das Herkunftsland und der Grad der
Industrialisierung des Landes, aber auch andere Einflüsse, wie z.B. das Leben in der Großstadt, in Beziehung
steht zum Verhalten der Testpersonen. Ständiger Termindruck und eine hohe Wettbewerbsorientierung, wie
dies bei über der Hälfte der deutschen Studenten zum Vorschein kam, können, wenn andere abschwächende
Faktoren, wie z.B. eine hohe Kompetenz, ein hohes Selbstwertgefühl und soziale Unterstützung fehlen,
Auslöser für „Zivilisationskrankheiten“, wie Bluthochdruck, erhöhter Cholesterinspiegel und
Herzkranzgefäßerkrankungen, sein. Sie können auch zu negativer Beeinflussung des sozialen Zusammenlebens
auf der Arbeit und im privaten Bereich führen und somit die Lebensqualität einschränken. Aber auch über 40
Prozent der ukrainischen Studenten zeigten bei den untersuchten Faktoren „Anstrengung“, „Termindruck“ und
„Wettbewerbsorientierung“ die Verhaltensmuster des Typs A. Sieht man dies zusammen mit einem hitzigeren,
leicht reizbaren Temperament, so sind auch ukrainische Studenten gesundheitlich gefährdet.
Fraglich ist, ob unsere befragten Testpersonen, die vor allem in der Ukraine aus vorwiegend jüngeren
Altersgruppen stammen, bereits von Krankheitssymptomen betroffen sein können. Nach erfolgten Studien von
Friedman and Rosenman in den 50er Jahren lassen sich nur für ältere Altersgruppen zwischen 40 und 60 Jahren
konkrete Hinweise auf einem Zusammenhang zwischen Typ-A-Verhalten und gesundheitlichen Schädigungen
nachweisen. Dennoch kann man die Vermutung anstellen, dass ein Typ-A-Verhalten über Jahre hinweg
gesundheitliche Folgen haben kann, die im jungen Alter noch nicht sichtbar sind.
Wenn wir bei dieser Untersuchung Typ-A-Verhaltensmuster bei einer großen Zahl von Studenten nachweisen
konnten, kann dies ein Indiz dafür sein, dass bereits Studenten einem starken Zeitdruck und großen
Anstrengungen ausgesetzt sind. Wenn sie nicht lernen, ihr Leistungsstreben und ihre Wettbewerbsorientierung
auf ein gesundes Maß einzuschränken, werden sie die „Kranken von morgen“ sein.
8.2.3 Belastung und Beanspruchung
Laut Internationaler Norm (ISO 10075, vgl. Richter & Hacker, 1998, S. 32) ist die psychische Belastung
(stress) als Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch
auf ihn einwirken, definiert. Bei den Merkmalen unserer Untersuchung konnte nur ein kleiner Aspekt der
möglichen Belastungen, die auf die Studenten einwirken, beachtet werden. Auch zu hohe Anforderungen, Angst
vor Misserfolg, Informationsüberlastung, fehlende Unterstützung und Hilfeleistung, fehlende Anerkennung und
Konflikte mit Professoren, Kommilitonen und im Familienkreis könnten zum Beispiel zusätzliche Belastungen
darstellen.
Lepore (1997, S. 133-156) schreibt in seiner Abhandlung über „Social-Environmental Influences on the
Chronic Stress Process“ über den sozialen Ursprung von chronischem Stress. Nicht nur Einsamkeit,
Lebenskrisen, unerwünschte soziale Interaktionen und soziale Dichte erzeugen chronischen Stress (social
stimulus overload), sondern auch die soziale Rolle, die ein Einzelner einnimmt (gender roles, work roles,
marital roles) und die jeweiligen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten, die damit zu tun haben. Dieser
letzte Punkt spricht für die These, dass der Typ A, der grundsätzlich mehr Verantwortlichkeit auf sich nimmt
und gewissenhafter seinen Verpflichtungen nachgeht, auch anfälliger für Stress ist.
Hoyos (1980) und McGrath (1982) stellten eine Tabelle mit Belastungen in der Arbeitswelt auf, die die Qualität
potentieller Stressoren annehmen können. In dieser Tabelle werden unter anderen auch die bei dieser Studie
untersuchten Merkmale „Zeit und Termindruck“, „Verantwortung“, „Konkurrenzverhalten unter den
Mitarbeitern“ und „unerwartete Unterbrechungen und Störungen“ genannt.
Abhängig von den eigenen habituellen Voraussetzungen und den individuellen Auseinandersetzungsstrategien
mit Stress kann durch psychische Belastungen eine psychische Beanspruchung (strain) hervorgerufen werden.
Eine hohe psychische Beanspruchung kann wiederum Ermüdungszustände, Motivationsverlust, Monotonie,
Sättigung und Stress zur Folge haben.
Aber nicht nur Überforderung kann Stress verursachen. Laut einer Studie von Frankenhäuser (1981) können
Menschen des Typs A auch aufgrund von Unterforderung neuroendokrine Reaktionen zeigen. Menschen, die
beruflich unterfordert oder arbeitslos sind, zeigen oft Stresssymptome. Schon die bekannte Marienthalstudie
über Arbeitslose aus den 30er Jahren von Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel (1960, 1933) hatte entsprechende
Anhaltspunkte geliefert. Die Menschen, die arbeitslos wurden, litten zunächst unter schlechten wirtschaftlichen
Verhältnissen und Armut. Genauso aber litten sie auch unter Langeweile, dem Wegfall des Bekanntenkreises
und dem schlechten sozialen Status, den die Arbeitslosigkeit mit sich bringt. So entstand eine andere Art von
Stress, die ebenso negative Folgen für das Wohlbefinden und die Gesundheit hat. Nicht mehr arbeiten zu
können, gibt vielen Menschen das Gefühl des nicht mehr Gebrauchtwerdens. Studien belegen, dass auch
Unterforderung oder Arbeitslosigkeit zu schweren psychischen und psychosomatischen Störungen führen
können bis hin zur Depression.
Die Forschergruppe um Lazarus (1966, 1977) hat in den 20er Jahren ein neues Stresskonzept entwickelt, das auf
der kognitiven Emotionstheorie beruht. Diese Theorie besagt, dass physiologische Reaktionen erst durch die
kognitive Bewertung ihre „Tönung“ erhalten. Es wird unterschieden zwischen der primären und sekundären
Bewertung der Situation. Nur wenn die Situation eine Bedrohung darstellt oder mit einem Verlust oder einer
Herausforderung verbunden ist, kann von Stress gesprochen werden (primary appraisal). Die sekundäre
Bewertung (secondary appraisal) beinhaltet die Selbsteinschätzung des Menschen in Bezug auf seine
Bewältigungsmöglichkeiten (coping). Diese beiden Bewertungen führen dazu, dass der Mensch
Bewältigungsstrategien auswählt und einsetzt. Dabei gibt es emotionsbezogene Strategien, wie Distanzierung,
Ablenkung, Leugnen, Vermeiden, und es gibt problembezogene Strategien, wie eine aktive Veränderung der
Situation.
Die Coping-Strategien zeigen die verschiedenen Möglichkeiten, mit Stress umzugehen. Man kann versuchen,
Situationen zu vermeiden, die Stress erzeugen. Dies wird allerdings nicht immer möglich sein. Gerade
Studenten sind während ihres Studiums und vor den Abschlussprüfungen stark gefordert. Es gibt Studenten, die
gerne aufschieben und erst in letzter Minute mit der Studienarbeit oder den Prüfungsvorbereitungen beginnen.
Dies führt dann zumindest in den letzten Tagen vor Abgabetermin oder Prüfungstermin zu starker Anspannung.
Die Sozialpsychologie des Stresses geht davon aus, dass Stress krank machen kann. Es gibt zwar auch einen
„positiven“ Stress (Eustress, griechisch: eu = gut), der dazu führt, dass das Adrenalin steigt und der Mensch zu
„Höchstleistungen“ fähig ist. Auf Dauer kann dieser Zustand jedoch nicht aufrecht erhalten bleiben. Selye
gliederte den Prozess der Anpassung an den Stressreiz in drei Phasen. Das erste Stadium bezeichnet er als
Alarmreaktion. Sie besteht aus der „Schockphase“ und einer Regulationsphase. Die durch den Schock
ausgelösten Funktionsstörungen von Körpertemperatur, Blutdruck und intestinalem Gewebe von Magen und
Darm werden vom Körper nur zum Teil ausgeglichen. Bei anhaltendem Stress kommt es zu einer
Widerstandsphase. Alle Kräfte werden aufgeboten, um zu regulieren. Hält der Stress weiter an, ist eine
dauerhafte Schädigung des Körpergewebes möglich. Der Mensch gerät in einen Zustand der Erschöpfung. Der
Körper gibt die Abwehr auf, was zu schwerer Krankheit bis hin zum Tod führen kann (vgl. Legewie & Ehlers,
S. 201).
Die Mediziner kennen viele gesundheitliche Reaktionen von überhöhtem Stress. Es gibt die so genannte
Kampf-Flucht-Reaktion mit entsprechender Hormonstimulierung im Nebennierenmark. Negative Folgen
können psychosomatische Erkrankungen wie chronische Muskelschmerzen sein. Es können aufgrund von Stress
auch kardiovaskuläre Schäden im Kreislaufsystem auftreten, wie Bluthochdruck und koronare
Herzerkrankungen. Es gibt allerdings auch eine passive Stressbewältigung, die eher zu Organschäden, wie
Zwölffingerdarmgeschwüren und Asthma, führt.
Menschen mit leistungsorientierter oder idealistischer Einstellung sind gefährdet an den Folgen von Stress und
Überbelastung zu erkranken. Die Faktoren, die Überforderung hervorrufen, sind vielfältig. Besonders
dramatisch, so der Psychiater Schürgers, wirke sich die enorme Beschleunigung des Lebens aus. Über Handy,
Smartphone, Blackberry und E-Mail ist der Mensch jederzeit erreichbar. Informationen werden blitzschnell
ausgetauscht. Ebenso schnell werden Entscheidungen gefällt. „Zeit für reifliche Überlegungen bleibt selten,
Stress wird zum ständigen Begleiter. Dank modernster Technik kann auch immer und überall gearbeitet werden,
die Freizeit ist porös geworden“ (Sandmeier P. & Fischer R., 2007, S.59). Dies kann zu einer Daueranspannung
besonders bei jüngeren und erfolgsorientierten Menschen führen, die manchmal kaum noch Phasen wirklicher
Entspannung haben.
Scherwitz, Graham, Grandits, Buehler & Billings (1986) erarbeiteten Befunde dafür, dass eine ständige
Bearbeitung selbstrelevanter Anforderungen krank macht. Lazarus & Folkman (1984) schlagen vor, dass
betroffene Personen in Trainingsverfahren lernen müssen, Anforderungen nicht stets als selbstrelevant zu
interpretieren, was wiederum zu geringerer KV-Reaktivität führen würde. Allerdings ist es möglich, dass
Personen, die ein solches „nicht-selbstrelevantes“ Bewertungsmuster zeigen, sich weniger anstrengen und
weniger motiviert sind, ihre Ziele zu erreichen. Im negativen Sinne kann dies dazu führen, dass sie in ihrer
beruflichen Karriere nicht weit voran kommen.
Manche Studenten vermeiden Stress, indem sie sich lieber mit anderen Dingen ablenken, um den
Anforderungen des Studiums zu entgehen. Es gibt auch „Langzeitstudenten“, die sich ganz dem geforderten
Arbeitspensum verweigern. Dies kann allerdings gegen Ende des Studiums dazu führen, dass das Studienziel
verfehlt wird, und somit entsteht wiederum eine neue Stresssituation. Andere Studenten wieder arbeiten zu
angestrengt, sodass sie schon während des Studiums „ausbrennen“ und oft in den entscheidenden Prüfungen
versagen. Wieder andere Studenten sehen die Prüfungen und die zu bewältigenden Aufgaben während des
Studiums als Herausforderungen, denen sie sich stellen und die sie erfolgreich bewältigen können. Auch sie
arbeiten angestrengt auf ein erfolgreiches Beenden des Studiums hin. Sie verlieren dabei aber nicht den
Überblick und teilen sich ihre Studienarbeit so ein, dass sie den Anforderungen gerecht werden können.
Diese Beispiele unterschiedlicher Einstellungen und Vorgangsweisen belegen, wie ein und dieselbe
Stresssituation von verschiedenen Individuen völlig anders bewertet und bewältigt wird. Eine der
erfolgreichsten Strategien ist es wohl, etwas aktiv an der Situation zu ändern. Dies könnte etwa mit geeigneter
Planung, Zeitmanagement mit Lern- und Ruhephasen und mit Hilfe von Entspannungstechniken geschehen.
Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Personentypen und ihren ebenfalls unterschiedlichen
Bewältigungsstrategien fällt es schwer, generelle Aussagen zu treffen, ob und wie sich Stress und Zeitdruck auf
die Gesundheit auswirken können. Es gibt inzwischen zahlreiche Studien aus dem Bereich der Medizin und der
Psychologie, die sich mit der gesundheitlichen Auswirkung von Stress beschäftigten. Laut Aussagen von
Wissenschaftlern haben fast 70 Prozent aller Krankheiten primär oder sekundär Zeitnot- und Stressursachen
(vgl. Feyler, 1990, S. 35).
Eine leistungsorientierte Gesellschaft kann Stress im Arbeitsleben erzeugen und bei den Mitgliedern dieser
Gesellschaft Typ-A-Verhaltensmuster auslösen. Andererseits beeinflussen die Menschen selbst ihre Umwelt.
Personen, die zu Typ A Verhaltensmustern tendieren, schaffen sich selbst wieder das entsprechende
Arbeitsumfeld. So ist der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nicht klar erkennbar. Es liegt wohl
eine Wechselwirkung zwischen dem menschlichen Verhalten, das die Gesellschaft beeinflusst und der
Gesellschaft, die wiederum das Verhalten der Menschen beeinflusst, vor. Gesellschaftliche Ziele werden von
den individuellen Ziele der in dieser Gesellschaft lebenden Menschen bestimmt.
Wie der Mensch Stress verarbeitet und welche gesundheitlichen Folgen Stress nach sich zieht, hängt von der
Person und von äußeren Umständen ab. So haben nach neueren Forschungsergebnissen Kompetenzerwartungen
(vgl. Bandura, 1991), Hardiness (Engagement, Kontrolle, Herausforderung,, vgl. Maddi, 1990) und
Kohärenzsinn (Selbstwertgefühl, soziale Unterstützung und kulturelle Stabilität, vgl. Antonovsky, 1987) einen
Einfluss darauf, wie der Mensch Stresssituationen verarbeitet.
8.2.4 Das „Burnout-Syndrom“ und Symptome der Arbeitssucht
Bei seinen Untersuchungen über das Phänomen „Burnout“ bei Angestellten stellte Cherniss (1980) eine
Veränderung der gesellschaftlichen Werte in den 70er Jahren durch die Kürzung der Sozialprogramme fest. Die
sozialen und politischen Einstellungen der Studenten wurden konservativer. So wurden die 70er Jahre auch als
„Ich-Jahrzehnt“ oder „Narzissmus-Zeitalter“ bezeichnet. Die Träume aus den 60er Jahren zerbrachen. So
schufen die unerfüllten Hoffnungen und Erwartungen ein Klima, in dem Frustration und Arbeitsstress zum
Alltag gehörten. Dies erhöhte auch die Wahrscheinlichkeit, dass schon junge Menschen und auch Studenten am
Erschöpfungssyndrom „Burnout“ erkrankten.
Neueste Forschungen zum so genannten Burnout-Syndrom (deutsch: innere Erschöpfung, vgl. Hillert, A. &
Marwitz, M., 2006, Burisch, 2006) ergaben, dass die Stressempfindlichkeit zurückgeht, je mehr Kontrolle der
Mensch über sein Leben hat. Wenn der Mensch die Möglichkeit hat, frei über seine Arbeit zu entscheiden, ist er
zufriedener mit seiner Arbeitssituation und weniger stressanfällig. Deshalb stehen nicht die leitenden
Angestellten und Selbstständigen an der Spitze der Belastungsskala, sondern die Angestellten mittlerer und
unterer Hierarchiestufen. Ihre Aufgaben, Arbeitseinteilung, Termine und das Arbeitstempo sind
vorgeschrieben. Die Anerkennung für ihre Arbeit wird ihnen zudem häufig vorenthalten. Deshalb sind sie
stressanfälliger als ihre Vorgesetzten, obwohl sie weniger Stunden arbeiten. Es gilt: Je weniger Kontrolle der
Einzelne über sein Handeln hat, je kleiner der Entscheidungsspielraum ist und je weniger Lob oder
Gratifikationen in Aussicht stehen, desto größer ist der Stress und desto gravierender sind die gesundheitlichen
Folgen (vgl. Sandmeier P. & Fischer R., 2007, S.60).
Die gesundheitlichen Folgen von Überlastung und Stress bis hin zum „Burnout“, einem völligen
Erschöpfungszustand, werden in unserer westlichen Leistungsgesellschaft inzwischen von weiten Teilen der
Bevölkerung wahrgenommen und erörtert. Ganze Berufsgruppen sind davon betroffen (vgl. „Helfer-Leiden.
Stress und Burnout in psychosozialen Berufen“ von Enzmann, D. & Kleiber, D., 1989; „Psychische Belastung
in helfenden Berufen“ von Marquard, A., Runde, P. & Westphal, G., 1993; „Helfen macht müde.“ Von Fengler,
J., 1998; „Stress, Belastungen und Belastungsverarbeitung im Lehrerberuf“ von Kramis-Aebischer, K., 1996;
„Burnout bei Lehrern“ von Barth, A.-R., 1990; „Die psychische Belastung leitender Führungskräfte“ von
Stoffer, E., 2006). Es müssen neue Wege gefunden werden, den Menschen in ihrer Arbeitsumgebung und in der
arbeitsfreien Zeit Erholungsmöglichkeiten zu schaffen. Den Menschen sollten die Gefahren eines „rastlosen“
Lebens (vgl. Verhaltensmuster Typ A) bewusst gemacht werden. Ein Zeitmanagement, das bezweckt, noch
mehr Aktivitäten in der knappen Zeit unterzubringen, ist der falsche Ansatz.
Fassel (1991) hat sich sehr intensiv mit der Thematik „Arbeitssucht“ in der industriekapitalistisch geprägten
Gesellschaft beschäftigt und herausgefunden, dass Arbeitssüchtige aufgrund der hohen Arbeitsgeschwindigkeit
mehr Fehler machen als andere. Die Korrekturen dieser Fehler sind oft teurer als die Zeitersparnis. Weiterhin
entstehen durch die Arbeitssucht Krankheiten, vor allem psychosomatischer Art. Die langfristigen
Krankheitskosten sind für die Industrie und die Gesellschaft meist wesentlich teurer als die kurzfristig
eingefahrenen Gewinne.
Leider hat die industriell geprägte Gesellschaft diesen Zusammenhang noch nicht zur Kenntnis genommen,
sodass nach wie vor der Arbeitssüchtige Vorbildfunktion genießt. Arbeitssüchtige haben oft einen hohen Status
und verdienen mehr Geld. Dies ist auch der Grund, weshalb die negativen Folgen der Arbeitssucht lange Zeit
ignoriert und nur symptombezogen behandelt werden. Symptome sind: mangelnde Selbsteinschätzung, das
Anlegen von heimlichen Arbeitsvorräten, Isolation, Verleugnung, die Unfähigkeit zur Entspannung, die Sucht
nach Hetze und Geschäftigkeit, Perfektionismus, Ich-Bezogenheit und das Bedürfnis, alles zu kontrollieren.
Arbeitssüchtige Menschen, im modernen Sprachgebrauch „Workaholics“, können nicht mehr entspannen. Sie
lasten sich über lange Zeit ein immenses Arbeitspensum auf. Menschen, die der Arbeitssucht verfallen sind,
ziehen zunächst aus ihrer Krankheit Gewinn durch gesellschaftliche Anerkennung, materiellen Wohlstand und
andere Erfolgserlebnisse. Aufgrund dieser positiven Begleiterscheinungen ignorieren deshalb viele
Arbeitssüchtige die psychosomatischen Folgen, wie essentielle Hypertonie, Magengeschwüre, Magen-Darm-
Erkrankungen, Rückenschmerzen, Schlafprobleme und Kopfschmerzen sowie eine höhere Anfälligkeit für
Viruserkrankungen.
„Arbeitssucht ist eine Suchterkrankung mit einer hohen Mortalität (`Tod durch Überarbeitung´ oder `Karoshi´, in Japan Ursache für 10% der Todesfälle unter arbeitenden Männern (Fassel, 1991, S. 65). Tödliche Folgen entstehen in 2/3 aller Fälle durch Gehirnschlag und in 1/3 der Fälle durch Herzinfarkt“ (Hinz, 2000, S. 136).
Rückert (1994) vergleicht die Arbeitssucht mit anderen Suchterkrankungen, wie Spielsucht, Magersucht oder
Beziehungssucht. Bei den Betroffenen fehlt oft die Krankheitseinsicht, und durch die gestörte
Selbstwahrnehmung werden Beziehungen zu andern Menschen von der „Droge Arbeit“ zerstört. Der
Arbeitssüchtige steigert seinen Adrenalinspiegel durch Stress. Die Stressforschung zeigt, dass es nicht nur
positiven Stress (EU-Stress) gibt, sondern auch Stress, der auf Dauer krank macht und der mit anderen Faktoren
zum „Burnout-Syndrom“ führt.
Die Therapie der Arbeitssucht erachtet Fassel (1991) als äußerst schwierig. Vorschläge zur Heilung
Arbeitssüchtiger ähneln den üblichen Suchttherapien. Da wird der Besuch von Selbsthilfegruppen empfohlen,
ein Arbeitsplatzwechsel oder zumindest eine Einschränkung der Arbeitszeit. Der Arbeitssüchtige muss lernen,
Arbeiten zu delegieren, auch „Nein“ zu sagen und vom Perfektionismus Abstand nehmen.
Studierende sollten über die Folgen von Stress und Arbeitssucht aufgeklärt werden, um im späteren
Arbeitsleben den Fehler zu vermeiden, sich zu viel aufzulasten. Auch wenn gesundheitliche Folgen oft erst in
späteren Jahren auftreten, ist es wichtig schon in jungen Jahren ein Gespür für den richtigen Umgang mit der
Zeit zu entwickeln. Ein individuelles Zeitmanagement, das dem Einzelnen noch Zeit für Hobbys, Muse und
Entspannung einräumt, kann dabei helfen.
8.2.5 Möglichkeiten des Einsatzes von Zeitmanagementtechniken
Zu einigen der genannten Aspekte des zeitlichen Verhaltens haben Autoren zum Thema Zeitmanagement
Stellung genommen. So haben Plattner (1992) und Seiwert (1995) die Forderung aufgestellt, sich nicht zwei
Tätigkeiten auf einmal zu widmen, sondern die Aufgaben nacheinander zu erledigen („Salamitaktik“).
Überschaubare Aufgaben sollen nacheinander abgearbeitet werden, sodass Teilziele gesteckt werden auf dem
Weg zum Erreichen großer Ziele. Dies führt zu weniger Stress und somit zu mehr Wohlbefinden.
Weiterhin sollte zwischen Arbeitszeit und Freizeit eine strikte Trennung eingehalten werden. Laut Schraeder-
Naef (1993) wird sonst die Arbeitszeit unnötig in die Länge gezogen, und es bleibt zu wenig Zeit zum Erholen.
Viele Studierende trennen die Arbeitszeit weniger strikt von der Freizeit. Dies kann im schlimmsten Fall dazu
führen, dass Zeit „vertrödelt“ wird und bei Prüfungen und am Ende des Studiums ein hohes Arbeitspensum
aufkommt (vgl. Kruse, 1994). Wenn der Student dann keine Zeit mehr für Erholung hat, kann dies die
Arbeitseffektivität mindern.
Der Einsatz von Zeitmanagementtechniken und ein bewusster Umgang mit der Zeit wird von vielen Ratgebern
gefordert. Fraglich bleibt, wozu die Zeitmanagementtechniken dienen und ob ihr Einsatz grundsätzlich sinnvoll
ist. Eine Studie von Hinz (2000, S. 175) untersuchte, ob sich Zusammenhänge zwischen dem Einsatz von
Zeitplanungsinstrumenten, dem Studienerfolg und dem Wohlbefinden zeigen lassen. Als
Zeitmanagementtechniken wurden eine „realistische Planung“, „die Leistungskurve beachten“, „die
Salamitaktik“, „Zeitpuffer einplanen“, die „Ungleichzeitigkeit“ von Tätigkeiten, „die Schreibtischordnung“,
das „Prinzip der Schriftlichkeit“, „Belohnungen einplanen“ und „Trennung von Arbeitszeit und Freizeit“
untersucht. Außer den letzten beiden Punkten zeigten alle Zeitmanagementtechniken eine positive Korrelation
mit dem Studienerfolg. Eine „realistische Planung“, die „Leistungskurve beachten“, „Zeitpuffer einplanen“ und
die „Ungleichzeitigkeit“ trugen auch zum Wohlbefinden der Studenten bei. Die Studenten, die realistisch
planten und nicht mehrere Dinge gleichzeitig bewältigten, zeigten weniger Beschwerden. Studenten, die alle
Planungen schriftlich fixierten, klagten mehr. Eine realistische Planung und die Möglichkeit, auf
Veränderungen flexibel zu reagieren, führen zu weniger Stress.
Es gibt zahlreiche Ratgeber zum Thema „Zeitmanagement“, die Probleme beim Umgang mit der Zeit erörtern.
In den meisten Fällen werden organisatorische Probleme angesprochen, die lerntheoretisch erklärt und
korrigiert werden, oder es geht um individuelle neurotische Fehlentwicklungen. Zum organisatorischen Bereich
zählen verschiedene Denkmodelle der Prioritätensetzung (vgl. Schilling, 2002, S. 23ff). Das Pareto-Prinzip
(benannt nach einem italienischen Volkswirtschaftler, 1848-1923) besagt, dass man mit 20 Prozent Input
bereits 80 Prozent des Outputs erzielt. Wenn sich der Mensch auf 20 Prozent der wichtigsten Aufgaben
konzentriert und diese zur Zufriedenheit erledigt, erreicht er mehr, als wenn er sich mit den restlichen 80
Prozent abarbeitet. Der Mensch kann nicht alle Aufgaben erledigen. Unwichtige Aufgaben sollten fallen
gelassen oder delegiert werden, so dass man sich nicht „verzettelt“. Man sollte nicht danach streben, perfekt zu
sein. Ähnlich funktioniert das Eisenhower-Prinzip (benannt nach dem USA-General Dwight Eisenhower, 1890-
1969). Dieses Prinzip geht davon aus, dass die meisten wichtigen Dinge nicht dringlich und die meisten
dringlichen Dinge nicht wichtig sind. Der Mensch neigt dazu, den unwichtigen dringlichen Dingen
nachzuhetzen, wichtige Aufgaben werden dabei stets vor sich hergeschoben. So werden die wichtigen
Aufgaben irgendwann auch dringlich und können dann aus Zeitmangel nicht gut geplant und durchgeführt
werden. Eine Entscheidungshilfe, die das Eisenhower-Prinzip liefert, ist eine Einteilung der Aufgaben nach
Wichtigkeit und Dringlichkeit. Unwichtige Aufgaben mit geringer Dringlichkeit sollte man wegfallen lassen,
wichtige Aufgaben mit hoher Dringlichkeit müssen sofort erledigt werden. Für wichtige Aufgaben mit geringer
Dringlichkeit sollte eine Zeitplanung vorliegen, und dringliche Aufgaben, die nicht wichtig sind, sollten nach
Prioritäten geordnet und möglichst delegiert werden. Ein ähnliches Denkmodell ist die sogenannte ABC-
Analyse. Diese unterscheidet nach Anzahl der Aufgaben, Wert der Aufgaben und investierter Zeit. Ziel ist es,
65 Prozent der Zeit mit wichtigen Aufgaben zu füllen, 20 Prozent der Zeit mit weniger wichtigen Aufgaben
und nur 15 Prozent der Zeit mit unwichtigen Aufgaben zu verbringen.
Es gibt Zeitplanungsansätze, die die Tagesleistungskurve des Menschen berücksichtigen, die Zeitpuffer und
„stille Stunden“ einplanen. Das Prinzip der Ungleichzeitigkeit soll gewahrt werden. Das heißt, man sollte nicht
mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen. Weiterhin sollte eine klare Trennung von Arbeitszeit und Freizeit
erfolgen. Als Methoden zur Planung werden die „PLAN-Methode“ (vgl. Knoblauch 1994) und die „ALPEN-
Methode“ (vgl. Seiwert, 1995) vorgeschlagen.
Eine Effektivität des Zeitmanagementtrainings ließ sich empirisch jedoch noch nicht nachweisen. Autoren wie
Plattner (1993) und Schräder-Naef (1993) müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, „Patentrezepte“
anzubieten, die den Lebenslauf und die aktuellen Lebensumstände einer Person nicht ausreichend
berücksichtigen (vgl. dazu Hinz, 2000, S. 146f). Allerdings fand Hinz (2000, S. 184) bei seiner Studie heraus,
dass den größten Studienerfolg die Studenten erzielen, die die zu erledigenden Aufgaben eher nicht
aufschieben, die Zeitplanungs- und Zeitmanagementtechniken einsetzen und ihre freie Zeit strukturieren.
Zeitplanung und Zeitmanagement können den Erfolg im Studium begünstigen. Dies ist jedoch noch kein Indiz,
dass sich auch das Wohlbefinden der Studenten durch den Einsatz dieser Techniken anheben lässt.
Der Kern der Zeitplanung ist nicht, ob man schriftlich mit einem Kalender plant, auf kleinen Zetteln Termine
notiert oder ein elektronisches Zeitplanungssystem benutzt, sondern „wie“ man plant. Verplant man den ganzen
Tag oder gönnt man sich Auszeiten? Wie legt man die Ruhepausen? Welchen Tagesrhythmus hat der Einzelne,
und wie viel kann er sich zumuten, ohne gesundheitlichen Schaden zu nehmen? Laut Hinz (2000, S. 210)
„boomt der Zeitratgeber-Markt“. Allerdings gibt es zur Effektivität der Zeitmanagementmaßnahmen nur
wenige, schlecht kontrollierte Studien. Zeitmanagementkritiker empfehlen Spontaneität, Flexibilität,
Langsamkeit und Gelassenheit. Grundsätzlich können wir bei unserer Studie bei einem Mittelwertvergleich feststellen, dass die deutschen
Studenten eifrigere Planer sind als die ukrainischen. Auch wenn sie unter Druck stehen, versuchen die
Deutschen lieber planmäßig vorzugehen, als sofort etwas zu unternehmen. Sie schreiben wesentlich häufiger
Merkzettel als die Ukrainer. Ob auch die Neigung zum planmäßigen Vorgehen eine Eigenart der Deutschen ist,
lässt sich nicht genau beantworten. Wir sehen allerdings am Mittelwertdiagramm, dass das Thema Zeitplanung
in Deutschland einen besseren Ruf genießt als bei den osteuropäischen Studenten.
Abb. 43: Zeitplanung beim Handeln unter Druck und Schreiben von Merkzetteln
Die Zeit so zu planen und zu leben, als sei sie ein Geschäft, ist sicherlich falsch. Geißler (1990) kritisiert an den
Zeitmanagementberatern, dass sie oft anstatt die Menschen aufzufordern, eigene Rhythmen und
Zeitbedürfnisse zu erkennen, eine „optimale Zeitnutzung“ propagieren, die für alle gleich sei. Als könnte man
am Ende noch etwas „herausholen“. Zeitgewinn jedoch ohne einem bewussten Umgang mit der gewonnenen
Zeit ist noch „inhaltsleerer“ als ein reiner Geldgewinn. Jeder Zeitratgeber ist so gut, wie die Wertvorstellungen,
die hinter ihm stehen. Leider ermuntern viele Zeitmanagementtrainer dazu, immer mehr in der begrenzt zur
Verfügung stehenden Zeit unterzubringen. So kann der Arbeitssüchtige noch mehr arbeiten.
Einen Unterschied im Planungsverhalten von Männern und Frauen fand Macan (1994) ähnlich wie Hinz (2000,
S. 168) heraus. Frauen führen häufiger Terminkalender und Merkzettel und nehmen sie häufiger mit als
Männer. Sie gehen planender und kontrollierender vor als Männer. Hinz schreibt dies dem Umstand zu, dass
Jungen erzogen werden, spontan zu handeln und weniger auf einen geregelten Tagesablauf achten müssen.
Mädchen dagegen bekommen beigebracht, immer Übersicht zu wahren und auf einen geordneten Ablauf zu
achten. So achteten die untersuchten Studentinnen mehr auf einen geordneten Tagesablauf als ihre männlichen
Kommilitonen. Männer verlassen sich auch später gerne auf ihr Gedächtnis oder im Bedarfsfall auf eine
Sekretärin. Sie wollen nicht, dass sich jemand über ihre Zettelwirtschaft lustig macht. Frauen, die Termine
vergessen, geraten leichter in Gefahr, dass man dies als weibliche Gedächtnisschwäche interpretiert, oder gar
annimmt, sie hätten ihr Leben nicht im Griff.
Bei unserer Studie konnte beim Handeln unter Druck kein Unterschied zwischen Frauen und Männern
festgestellt werden. Ungefähr 44 Prozent Frauen als auch Männer unternehmen sofort etwas, 56 Prozent
unternehmen erst nach sorgfältiger Planung etwas. Anders ist dies bei den Merkzetteln während 22 Prozent der
Männer niemals Merkzettel verwendet, ist dies nur bei 12 Prozent der Frauen der Fall. Fast 40 Prozent der
Frauen geben an, sich häufig Merkzettel zu schreiben.
Insgesamt kann man davon ausgehen, dass Zeitplanung und Zeitmanagementtechniken sowohl für Studenten,
als auch für Arbeitstätige wichtig sind. Der bewusste Umgang mit der eigenen Lebenszeit hat allerdings mit
den persönlichen Zielsetzungen und Wertvorstellungen des einzelnen Individuums zu tun. Kulturell werden die
Ziele und Werte des Einzelnen wiederum in einem sozialen Lernprozess von der Umwelt, das heißt von der
jeweiligen Gesellschaftsform in der ein Mensch lebt, beeinflusst. Dies kann sich bei einer Leistungsgesellschaft
so auswirken, dass das Individuum die gesellschaftlichen Wertvorstellungen zu seinen eigenen macht oder aber
auch ganz andere Wertvorstellungen entwickelt. Menschen, die sich auf eine temporeiche Leistungsgesellschaft
einlassen, sollten bedenken, dass sie auch Zeit zur Muse und zum Ausruhen benötigen, wenn sie ihrem
Organismus nicht schaden wollen.
Einen für alle Individuen idealen Umgang mit der Zeit, der womöglich noch erlernt oder eingeübt werden kann,
gibt es nicht. Je nach Temperament (vgl. die ukrainischen Studenten zeigten mehr Temperament als die
Deutschen, vor allem als die Ostdeutschen), werden Dinge emotionaler oder eiliger erledigt. Andererseits sind
die deutschen Studenten mehr vom Wettbewerbsdenken angetrieben als die ukrainischen und stehen unter noch
größerem Termindruck. Während die deutschen Studenten kaum Zeit fanden, z.B. zum Friseur zu gehen, ließen
sich die ukrainischen Studenten weniger Zeit zum Essen. Kulturspezifische Unterschiede beim Umgang mit der
Zeit konnten bei der Studie herausgelesen werden, allerdings ohne ein Patentrezept zu einem „vernünftigeren
Umgang mit der Zeit“ geben zu können. Übermäßiger Stress ist gesundheitsschädigend (vgl. Kap. 8.2.2),
allerdings lassen sich Stresssituationen auch mit Techniken des Zeitmanagements nicht immer vermeiden. Es
kommt auf die persönliche Einstellung des Einzelnen an, wie er mit Stress und Zeitdruck im Studium und
später im Arbeitsleben, aber auch in der Freizeit umgeht. Sich ganz dem Leistungsstreben und Diktat der Uhr
unterzuordnen ist dabei sicherlich genauso wenig eine Lösung, wie sich ganz dem Stress der modernen
Arbeitswelt zu entziehen, indem man aus der Gesellschaft „aussteigt“.
9. Ausblick
In Zeiten der Globalisierungsprozesse erscheint es fraglich, ob interkulturelle Studien zum Verhalten noch Sinn
machen. Die Welt „wächst zusammen“. Gibt es in einer solchen Zeit überhaupt noch Unterschiede im Verhalten
der Menschen, die kulturell beeinflusst sind? Gibt es nicht vielmehr in jeder Gesellschaft den erfolgsorientierten
Typ A, der leistungsorientiert ist und kaum Entspannung findet, und gleichzeitig auch den langsameren,
entspannten Typ B, der weniger eilig und unruhig ist? Sind die Unterschiede nicht eher individuell zu suchen
und hängen sie nicht eher von der jeweiligen Lebensbiographie des Menschen ab als von kulturellen
Rahmenbedingungen?
Vorhergehende Studien (vgl. Levine, 2005) und auch diese Studie zeigen, dass es durchaus kulturspezifische
Unterschiede beim Umgang mit der Zeit gibt. Menschen industrialisierter und wohlhabender Gesellschaften
neigen eher dazu, ein hohes Tempo vorzulegen, als Menschen in weniger industrialisierten Ländern oder in
Ländern der „Dritten Welt“. Unsere Studie zeigt einen Zusammenhang zwischen der Industrialisierung und
anderen kulturellen Rahmenbedingungen und dem Umgang mit der Zeit. Je nach Aspekt des zeitlichen
Verhaltens zeigten west- und ostdeutsche oder west- und ostukrainische Studenten höhere Werte, die auf Typ-
A-Verhaltensmuster schließen lassen. Hoher Blutdruck, Herzgefäßerkrankungen und noch viele andere
Krankheitssymptome können in Zusammenhang mit zuviel Stress und einem mit Arbeit vollgepackten Alltag
stehen. Wenn sich Menschen nicht einmal in ihrer Freizeit erholen können, weil sie die freien Stunden mit
Terminen und Aktivitäten belegen, ist dies ein erstes Anzeichen für Arbeitssucht.
Unsere Studie zeigt klar, dass schon während des Studiums hohe Anforderungen an die Studenten gestellt
werden. Insgesamt sind die Mittelwerte bei den Faktoren „Anstrengung“, „Wettbewerbsorientierung“ und
„Termindruck“ bei den Studenten aller untersuchten Ländergruppen sehr hoch (vgl. Kap. 7.4.4). So kann
bereits während des Studiums die Wurzel für ein überlastetes und gehetztes Arbeitsleben gesetzt werden.
Typ B kam in Deutschland und in der Ukraine bei den untersuchten Studenten weniger häufig vor. Die Kultur
eines Landes wird z.B. vom Grad der Industrialisierung und der Gesellschaftsform geprägt. Moderne
Gesellschaften, die im globalen Wettbewerb stehen, können sich kaum dem Konkurrenzdruck entziehen. An
den Universitäten herrscht ein starker Leistungsdruck, den sich Studenten, gleich welcher Länderzugehörigkeit,
die sich im internationalen Wettbewerb bewähren möchten, stellen müssen. Auch die Öffnung der Grenzen
zwischen Ost- und Westeuropa hat zu einem gesteigerten internationalen Wettbewerb beigetragen.
Die Literatur zum Thema Zeitmanagement kann keine Musterlösungen anbieten, um in der modernen Studien-
und Arbeitswelt Stress zu vermeiden. Für alle Individuen einsetzbare Richtlinien zum Umgang mit der Zeit gibt
es nicht. Dazu sind die Menschen zu verschieden. Kulturelle Unterschiede beim Umgang mit der Zeit lassen
sich auch heute noch feststellen, obwohl sich die Menschen im Westen und Osten Europas im Zuge der
Europäisierung und Globalisierung immer mehr angleichen. Umso mehr noch können sich zwischen noch
unterschiedlicheren Kulturkreisen (z.B. europäische, asiatische, arabische, afrikanische, südamerikanische und
nordamerikanische Kultur) Unterschiede zeigen. Historisch gewachsene und kulturell verankerte
Gewohnheiten lassen sich nicht von heute auf morgen ablegen. Es ist zu befürchten, dass im Zuge von
Industrialisierungsprozessen und der Einführung immer schnellerer Kommunikationswege weltweit der
einzelne Mensch in ein Spannungsfeld zwischen kulturellen Lebensformen und Traditionen und den
Anforderungen einer hochtechnisierten Umwelt gerät.
Erstaunlicherweise werden trotz vieler Diskussionen zu einem vernünftigen Umgang mit der Zeit nur wenige
Seminare zum Thema „Zeitmanagement“ an den Universitäten angeboten. Diese Seminare richten sich dann
häufig nur an Studenten der Fachbereiche Medizin oder Psychologie. Sinnvoll wäre es, auch für Studenten
anderer Fachbereiche, wie etwa Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften, Seminare anzubieten, die sich
kritisch mit dem zeitlichen Verhalten der Studenten und späteren Werktätigen auseinander setzen. Kritiker
befürchten bereits eine „Erkrankung der modernen Gesellschaft“, wenn die Tendenz anhält, immer mehr in
immer weniger Zeit erledigen zu wollen. Der Gesellschaft entsteht großer wirtschaftlicher Schaden aufgrund
der gesundheitlichen Risiken. Kurzfristig lässt sich durch ein schnelleres Arbeitstempo mehr Gewinn
erwirtschaften, langfristig sind jedoch die Ausgaben für gesundheitliche Schäden, die die Gesellschaft trägt,
größer. Schon im Studium und in der Ausbildung sollte den späteren Arbeitnehmern und Vorgesetzten dieser
Umstand bewusst gemacht und auf die Gefahren des Typ-A-Verhaltens hingewiesen werden. In Workshops
und Seminaren könnten individuelle, aber auch gesellschaftliche Lösungsmöglichkeiten für einen
zufriedenstellenden Umgang mit der Zeit entwickelt werden. Kulturelle Besonderheiten müssen bei diesen
Seminaren berücksichtigt werden.
Gerade in der jüngsten Zeit erschienen viele Ratgeber zum Thema „Zeitmanagement“. Oft beschränken sich
diese Veröffentlichungen auf den Einsatz von Zeitmanagementtechniken. Bücher von Seiwert, wie „Das `neue´
1*1 des Zeitmanagements“ (1995), „Die Bärenstrategie“ (2005) oder „Simplify your life“, das Seiwert mit
Küstenmacher 2004 veröffentlichte, wurden zu Bestsellern. Grundsätzlich besteht in der modernen Welt ein
Bedarf an Ratgebern für einen besseren Umgang mit dem knappen Gut Zeit. Hinz (2000, S.137ff) kritisiert die
moderne Zeitmanagementliteratur hauptsächlich aus folgenden Gründen: Die Zeit wird oft als quantifizierbares
Kapital gewertet. Die Zielorientierung des Zeitmanagements steht zu sehr im Vordergrund. Es werden zu große
Versprechungen gemacht. Oft fehlt die wissenschaftliche Grundlage, und die Effektivität der
Zeitmanagementratgeber bleibt oft fragwürdig.
Es gibt nicht das ideale Zeitmanagement für jedermann. Dazu sind die Menschen zu verschieden. Was dem
einen Erleichterung verspricht, ist für den anderen zusätzlicher Stress. Nicht jedem liegt die schriftliche
Zeitplanung. Viele fühlen sich dadurch eingeengt und weniger zu spontanen Entscheidungen fähig. Nicht jeder
ist gleich fleißig und leistungsbewusst. Ob ein Mensch sich selbst wohlfühlt, hängt vor allem auch mit seiner
persönlichen Lebenseinstellung und seinen Lebenszielen zusammen. Individuelle Wertvorstellungen und
Zielsetzungen sind wiederum kulturell beeinflusst. Für den Erfolg nehmen viele Menschen Stress gerne in
Kauf. Es kommt auf den einzelnen Typen an, inwiefern er in hektischen Situationen Ruhe und Kraft bewahrt.
Unsere Studie hatte zum Ziel, verschiedene Faktoren zum Umgang mit der Zeit kulturspezifisch zu untersuchen
und den Typ A mit starker Arbeits- und Leistungsorientierung herauszufiltern. Es konnten keiner der
Ländergruppen das Verhaltensmuster des Typ A oder Typ B klar zugeordnet werden. Obwohl es Unterschiede
bei der Betrachtung der einzelnen Aspekte des zeitlichen Verhaltens gab, war insgesamt erkennbar, dass
befragte Studenten aller Ländergruppen eher als leistungs- und wettbewerbsorientiert zu bezeichnen sind. Der
entspannte Typ B kam insgesamt weniger häufig vor. Es gab aber auch eine Anzahl Studenten, die weder
besonders hohe, noch besonders niedrige Merkmalswerte zeigten. Sie wurden unter dem Begriff „Mischtyp“
aufgeführt.
Kulturelle Unterschiede im Umgang mit der Zeit konnten bei dieser Studie herausfiltert werden, z.B. der
pünktliche, wettbewerbsorientierte westdeutsche Student. Aber letztendlich sind nicht alle Individuen gleich. Es
gibt auch in Westdeutschland Menschen, die öfters unpünktlich oder weniger wettbewerbsorientiert sind.
Manchen Menschen bereitet es weniger Stress zu warten, als immer auf die Minute pünktlich zu sein.
Weiterhin gibt es Menschen, die sich gerne im Wettbewerb beweisen und es nicht als schlimm empfinden, mehr
Verantwortung zu tragen. Es gibt den leicht reizbaren Typ, dem es viel lieber ist, seinem Ärger manchmal Luft
zu machen, als stets die Fassung zu wahren. Der temperamentvolle Mensch hat vielleicht auch kein Problem,
Dinge schneller zu erledigen als andere. Er hat vielmehr ein Problem, lange warten zu müssen und wird leicht
ungeduldig. Ist schnelles Essen unbedingt ungesünder als langsames? Es gibt kein für alle Menschen gültiges
Rezept, denn es kommt stets auf das einzelne Individuum an, von welchen Situationen Belastungen und
körperliche Beschwerden herrühren.
So schreibt Hinz (2000, S. 211), dass Personen mit einem langsameren Lebenstempo zwar nicht so oft unter
Stress leiden, dafür aber häufiger unter Langeweile. „Langsame Menschen“ sind häufiger bedrückt und mit dem
Leben unzufrieden. Sie erleben weniger besondere Freuden. Am ehesten überzeugt Hinz noch die Empfehlung
zur Gelassenheit, da gelassene Personen seltener unter Stress und körperlichen Beschwerden leiden und ein
höheres Wohlbefinden zeigen. Das Bewusstsein, dass der Mensch und sein Umgang mit der Zeit kulturell beeinflusst werden, sollte uns zu
mehr gegenseitiger Toleranz und einem besseren Verständnis für andere Lebensformen und Kulturen führen.
Es ist nötig, Sensibilität für andersartige Lebensformen zu gewinnen. Der Umgang mit der Zeit ist dabei ein
wichtiger Aspekt. Es gibt keinen generell gültigen, für alle erlernbaren „richtigen Umgang“ mit der Zeit.
Geschäftsleute, die in der Welt umherreisen, aber auch Touristen, die fremde Länder und Kulturen kennen
gelernt haben, können sich an verschiedene Situationen erinnern, bei denen Menschen die Zeit anders einteilen
und nutzen.
Der Mensch ist nicht von Natur aus aktiv und temporeich oder eher langsam und gelassen. Dahinter stecken
vielmehr Lernprozesse, die der Mensch in der Familie und der Gesellschaft durchlebt hat. Der Umgang mit der
Zeit ist nicht allein einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur zuzuschreiben, er ist vielmehr auch sehr stark
kulturell determiniert.
Nicht alles, was moderne Technologien und Kommunikationsmittel möglich machen, muss genutzt werden.
Genauso wenig wie der Mensch seine ganze Zeit nur effektiv nutzen kann. Es sollte auch in einer modernen
Welt Oasen der Ruhe geben, in denen man Zeit für Muse und Selbstfindung hat. Nur so können
„Zivilisationskrankheiten“, wie Bluthochdruck, Herzinfarkt und andere psychosomatische Leiden vermieden
werden. Spannt man den Menschen zu sehr in ein Korsett von Anforderungen, wird dies letztendlich auch der
Gesellschaft nichts nützen. Hohe Krankheitsraten und die Abkehr von der Gesellschaft können die Folge sein.
Schon in den 60er und 70er Jahren haben Aussteiger Länder wie Indien aufgesucht, wo ein langsameres Tempo
herrscht als in der modernen Industriegesellschaft. Wohin sollen aber die Aussteiger heute gehen, in Zeiten, in
denen die Globalisierung bereits die letzten Winkel der Erde erreicht hat? Es wird schwer sein, noch
Fluchtpunkte zu finden. Ein bewusster Umgang mit der Zeit und eine Balance zwischen Arbeitszeiten und
Ruhezeiten sollten deshalb in jeder Kultur angestrebt werden.
Die interkulturellen Studie über das Zeitmanagement von Studierenden in Deutschland und der Ukraine konnte
einen Einblick darüber liefern, wie Akademiker von morgen mit der Zeit umgehen. Viele Studenten empfinden
einen hohen Zeit- und Wettbewerbsdruck. Dabei unterscheiden sich die deutschen Studierenden nicht
wesentlich von den ukrainischen. Insgesamt sehen die Studenten beider Länder eine große Verantwortung auf
sich lasten und strengen sich an, um ihre Ziele zu erreichen und den Erwartungen der Gesellschaft gerecht zu
werden. Es sollten bereits den Studierenden Wege zur Entspannung aufgezeigt werden, um Kraft für den
Studienalltag zu schöpfen. Im Zeitalter der Globalisierung können sich Studenten und Arbeitstätige dem
internationalen Wettbewerb und den Leistungsdruck nicht entziehen. Umso wichtiger wird es, den jungen
Menschen Lebenskonzepte aufzuzeigen, die ihnen helfen dem Druck standzuhalten. Ein vernünftiger Umgang
mit der Zeit gehört dazu.
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subcomponent of time urgency and perpetual activation. Psychological Assessment, 4, 352-356. Wright, S. (1934). The Method of Path Coefficients. The Annual of Mathematical Statis-tics, 5, 161 ff. Wurzbacher, G. (1963). Sozialisation – Enkulturation – Personalisation. In G. Wurzbacher (Hrsg.), Der Mensch
als soziales und personales Wesen, Bd. 1, S. 1 – 33. Stuttgart: Enke. Yang, K.S. (1988). Will societal modernization eventually eliminate cross-cultural psychological diffe-rences?
In M.H. Bond (Hrsg.), The Cross Cultural Challenge to Social Psychology. Newbury Park, Ca.: Sage.
Zapf, W. (1992). Entwicklung und Sozialstruktur moderner Gesellschaften. In H. Korte & B. Schäfers (Hrsg.),
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Zyzanski, S. J. & Jenkins, C. D. (1970). Basic dimensions within the coronary-prone behavior pattern. Journal
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www.radio101.de/chris/ukraine
Jenkins Activity Survey – ein Fragebogen zum Messen des zeitlichen Verhaltens C. David Jenkins, Ph. D., Stephan J. Zyzanski, Ph. D., Ray H. Roseman, M. D. Form C, mit Änderungen für die Umfrage bei Studenten und Zusatzfragen Nachname, Vorname
Alter Ländercode Männlich Weiblich Der Jenkins Activity Survey stellt Fragen über Aspekte des zeitlichen Verhaltens. Jede Person ist verschieden. Es gibt keine „richtigen“ oder „falschen“ Antworten. Finden Sie bei jeder Frage die Antwort, die Ihnen am meisten zusagt. Machen Sie ein Kreuzchen mit einem gut leserlichen schwarzen Stift bei der zutreffenden Antwort. Markieren Sie bitte immer nur eine Antwortmöglichkeit für jede Frage. Sollten Sie sich anders entscheiden, so löschen Sie die vorher angekreuzte Antwort oder machen Sie kenntlich, welche Antwort nun zutrifft. 1. Haben Sie schon einmal Probleme gehabt, für einen neuen Haarschnitt oder für eine neue Frisur
Zeit zu finden? A Niemals B Manchmal C Fast immer 2. Wie oft werden Sie bei Ihrer Arbeit gestört, so dass Sie reagieren müssen? A Weniger oft als andere Menschen bei der Arbeit B Nicht mehr oder weniger als andere. C Öfter als andere Menschen bei der Arbeit 3. Wird Ihr Alltagsleben bestimmt von A Problemen, die eine Lösung benötigen? B Veränderungen, denen man sich stellen muss? C von ziemlich leicht vorhersehbaren Ereignissen? D davon, dass es nicht genug Dinge gibt, die Sie interessieren bzw. beschäftigen? 4. Einige Menschen leben ein ruhiges, überschaubares Leben. Andere werden oft mit uner-warteten
Ereignissen, häufigen Unterbrechungen und Unannehmlichkeiten konfrontiert oder damit, dass „Dinge in die falsche Richtung laufen“. Wie oft werden Sie mit solchen kleineren oder größeren Ärgernissen konfrontiert.?
A Mehrmals am Tag. B Ungefähr einmal am Tag. C Einige Male am Tag. D Einmal in der Woche. E Einmal im Monat oder weniger. 5. Was machen Sie gewöhnlich, wenn Sie unter Druck oder unter Stress stehen? A Ich unternehme sofort etwas. B Ich plane sorgfältig, was zu tun ist, bevor ich handle. 6. Wie schnell essen Sie gewöhnlich? A Ich bin gewöhnlich als Erster fertig. B Ich esse etwas schneller als der Durchschnitt.
Anhang 1: Fragebogen
C Ich esse ungefähr genauso schnell wie die meisten Leute. D Ich esse langsamer als die meisten Leute. 7. Hat Ihr Lebenspartner/in oder Freund/in, Ihnen jemals gesagt, dass Sie zu schnell essen? A Ja, immer. B Ja, einmal oder zweimal. C Nein, niemals. 8. Wie oft ertappen Sie sich dabei, dass Sie mehr als eine Sache zur selben Zeit machen, wie z.B.
während des Essens arbeiten, Lesen während Sie sich anziehen oder über Probleme nachdenken, während Sie Auto fahren?
A Wann immer es geht, erledige ich zwei Dinge auf einmal. B Ich mache das nur, wenn ich in der Zeit knapp bin. C Ich mache selten oder nie zwei Dinge zur selben Zeit. 9. Wenn Sie jemanden zuhören und derjenige zu lange braucht, um „auf den Punkt zu kommen“, wie
oft möchten Sie diese Person dazu bringen, sich kurz zu fassen? A Häufig. B Gelegentlich. C Fast nie. 10. Wie oft legen Sie der anderen Person „Worte in den Mund“, um schneller voran zu kommen? A Häufig. B Gelegentlich. C Fast nie. 11. Wie oft kommen Sie zu spät, wenn Sie sich mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin zu einem bestimmten
Zeitpunkt verabreden? A Ab und zu. B Selten. C Ich komme nie zu spät. 12. Wie oft müssen Sie sich beeilen irgendwohin zu kommen, auch wenn eigentlich genügend Zeit zur
Verfügung stand? A Häufig. B Gelegentlich. C Fast nie. 13. Nehmen Sie an, Sie wollen jemanden an einem öffentlichen Platz treffen (an einer Straßenecke,
einer Eingangshalle oder im Restaurant) und die andere Person kommt zehn Minuten zu spät. Was würden Sie tun?
A Mich hinsetzen und warten. B Unhergehen beim Warten. C Gewöhnlich habe ich etwas zu lesen dabei oder Schreibpapier, so dass ich etwas tun kann,
solange ich warte. 14. Was tun Sie, wenn Sie im Restaurant, im Geschäft oder auf der Post „in einer Schlange“ warten
müssen? A Ich nehme es gelassen. B Ich werde ungeduldig, zeige es aber nicht. C Ich werde so ungeduldig, dass man merkt, dass ich unruhig bin.
D Ich weigere mich „Schlange zu stehen“ und finde eine Lösung, um solche Verzögerungen zu umgehen.
15. Wie oft haben Sie Kinder gewinnen lassen, wenn Sie mit jungen, etwa 10-jährigen Kindern spielen
(oder dies in den letzten Jahren getan haben)? A Meistens. B Ungefähr zur Hälfte. C Nur gelegentlich. D Niemals.
16. Wie wurden Sie von den meisten Menschen eingeschätzt, als Sie jünger waren? A Auf jeden Fall fleißig und konkurrenzfähig. B Eher fleißig und konkurrenzfähig. C Eher entspannt und gelassen. D Auf jeden Fall entspannt und gelassen. 17. Heute sehen Sie sich selbst als A ganz sicher fleißig und konkurrenzfähig? B eher fleißig und konkurrenzfähig? C eher entspannt und gelassen? D ganz sicher entspannt und gelassen? 18. Wie würde Sie Ihr Partner/Ihre Partnerin oder beste(r) Freund(in) einschätzen? A Auf jeden Fall fleißig und konkurrenzfähig? B eher fleißig und konkurrenzfähig? C eher entspannt und gelassen? D Auf jeden Fall entspannt und gelassen? 19. Wie würde Ihr Partner/Ihre Partnerin oder beste(r) Freund(in) ihren üblichen Grad an Aktivismus
bezeichnen? A Zu langsam – Sollten Sie aktiver sein? B Durchschnittlich – Die meiste Zeit sind Sie beschäftigt? C Zu aktiv – Sie sollten langsamer an die Dinge herangehen? 20. Wären sich die Leute, die Sie gut kennen, darüber einig, dass Sie Ihre Arbeit/Ihr Studium zu ernst
nehmen? A Ganz sicher ja. B Eher ja. C Eher nein. D Ganz sicher nicht. 21. Wären sich Menschen, die Sie gut kennen, darüber einig, dass Sie weniger Energie als andere
haben? A Ganz sicher ja. B Eher ja. C Eher nein. D Ganz sicher nicht. 22. Denken Menschen, die Sie gut kennen, dass Sie leicht reizbar sind?
A Ganz sicher ja. B Eher ja. C Eher nein. D Ganz sicher nicht. 23. Denken Menschen, die Sie gut kennen, dass Sie dazu neigen, die meisten Sachen in Eile zu
erledigen? A Ganz sicher ja. B Eher ja. C Eher nein. D Ganz sicher nicht. 24. Denken die Menschen, die Sie gut kennen, dass Sie gerne mit anderen im Wettbewerb stehen und
dass Sie sich sehr anstrengen, den Wettbewerb zu gewinnen? A Ganz sicher ja. B Eher ja. C Eher nein. D Ganz sicher nicht. 25. Wie war Ihr Temperament, als Sie jünger waren? A Hitzig und schwer zu kontrollieren. B Unerschütterlich, aber kontrollierbar. C Unproblematisch. D Ich wurde fast nie ärgerlich. 26. Wie ist Ihr Temperament heute? A Hitzig und schwer zu kontrollieren. B Unerschütterlich, aber kontrollierbar. C Unproblematisch. D Ich werde fast nie ärgerlich. 27. Wie fühlen Sie sich gewöhnlich, wenn Sie mitten in der Arbeit/im Studium sind und jemand
unterbricht Sie? A Das ist in Ordnung für mich, da ich besser nach einer gelegentlichen Unterbre- chung
weiterarbeite. B Ich fühle mich nur leicht gestört. C Ich bin richtig verärgert, weil die meisten dieser Unterbrechungen unnötig sind. 28. Wie oft haben Sie dringende Termine auf der Arbeit/Beim Studium einzuhalten? A Täglich oder sogar öfter. B Wöchentlich. C Monatlich oder weniger oft. D Niemals. 29. Diese Termine üben gewöhnlich A wenig Druck aus, da ich darin Routine habe. B beachtlichen Druck aus, da eine Verzögerung meine gesamte Arbeitsgruppe oder
meinen gesamten Studienablauf durcheinander bringen würde. C Genaue Ablieferungstermine gibt es bei meiner Arbeit nicht.
30. Setzen Sie sich auch selbst auf der Arbeit/beim Studium oder daheim unter Termindruck? A Nein. B Ja, aber nur gelegentlich. C Ja, einmal die Woche oder öfter. 31. Wie ist die Qualität Ihrer (Studien-)Arbeit, wenn Sie unter Termindruck arbeiten müssen? A Besser. B Schlechter. C Dieselbe. (Der Termindruck hat keine Auswirkung.) 32. Sind Sie auf der Arbeit/beim Studium zeitweise auch mit zwei Arbeiten gleichzeitig beschäftigt,
wobei Sie ständig zwischen den Tätigkeiten hin- und herspringen müssen? A Nein, niemals. B Ja, aber nur in Notfällen. C Ja, regelmäßig. 33. Sind Sie zufrieden, wenn Sie die nächsten zwei Jahren auf Ihrem jetzigen Wissensstand und
Ausbildungsgrad bleiben würden? A Ja. B Nein, ich möchte vorwärts kommen. C Ganz sicher nicht. Ich möchte vorwärts kommen und wäre unzufrieden, wenn ich nicht
in diesem Zeitraum bei meinem Studium vorwärts komme. 34. Was würden Sie bei Ihrer späteren Arbeit bevorzugen, wenn Sie die Wahl hätten,? A Einen besseres Einkommen ohne Karriereschub. B Einen Karriereschub ohne Einkommensanstieg. 35. Hatten Sie in den letzten drei Jahren weniger als die Ihnen zustehenden Urlaubstage in Anspruch
genommen? A Ja. B Nein. C Meine Beschäftigung/mein Studium sieht keine regulären Urlaubstage vor. 36. Wie sind Sie in den letzten drei Jahren im Studium weitergekommen? A Nicht sehr weit. B Den Studienjahren angemessen. C Ich bin sehr schnell vorwärts gekommen. 37. Wie oft erledigen Sie abends oder nachts Studienarbeiten? A Selten oder nie. B Einmal in der Woche oder weniger. C Mehr als einmal die Woche. 38. Wie oft sind Sie am Studienplatz, obwohl man Sie dort nicht erwartet (zum Beispiel spät abends
oder an den Wochenenden)? A Das ist bei meinem Studium nicht möglich. B Selten oder nie. C Gelegentlich (weniger als einmal die Woche). D Einmal in der Woche oder öfter. 39. Was tun Sie, wenn Sie über einer Arbeit ermüden? A Ich mache eine Weile etwas langsamer weiter, bis meine Kräfte wiederkehren. B Ich kämpfe mich trotz der Müdigkeit im selben Tempo vorwärts.
40. Wie oft sollen Sie die Führung übernehmen, wenn Sie in einer Arbeitsgruppe arbeiten? A Selten. B So oft, wie auch andere auch aufgefordert werden. C Öfter als andere. 41. Wie oft schreiben Sie sich Merkzettel, um sich daran zu erinnern, was getan werden muss? A Niemals. B Gelegentlich. C Häufig. Vergleichen Sie sich bei den Fragen 42 – 46 mit dem durchschnittlichen Sudenten/in an Ihrer Universität und markieren Sie die am besten zutreffende Antwort: 42. Insgesamt strenge ich mich A viel mehr an als andere. B etwas mehr an als andere. C etwas weniger an als andere. D viel weniger an als andere. 43. Bezogen auf die Verantwortlichkeit trage ich A viel mehr Verantwortung als andere. B etwas mehr Verantwortung als andere. C etwas weniger Verantwortung als andere. D viel weniger Verantwortung als andere. 44. Ich empfinde es als notwendig, mich zu beeilen: A Sehr oft bei der mir zur Verfügung stehenden Zeit. B Weniger oft. C Eher selten. D Sehr selten. 45. In der Genauigkeit (Sorge um das Detail) bin ich A wesentlich genauer als andere. B etwas genauer als andere. C etwas weniger genau als andere. D viel weniger genau als andere. 46. Ich nehme das Leben im Allgemeinen A viel zu ernst. B mehr ernst als andere. C nicht so ernst wie andere. D viel weniger ernst als andere. Vergleichen Sie bei den Fragen 47 – 49 Ihre jetzige Studientätigkeit mit der Tätigkeit, der Sie vor fünf Jahren nachgingen. Falls Sie vor fünf Jahren nicht gearbeitet haben, vergleichen Sie Ihre jetzige Studientätigkeit mit Ihrer Schulzeit. 47. Ich arbeite/arbeitete mehr Wochenstunden A bei meiner jetzigen Studientätigkeit. B vor fünf Jahren. C Ich weiß nicht.
48. Ich habe/hatte mehr Verantwortung A bei meiner jetzigen Studientätigkeit. B vor fünf Jahren. C Ich weiß nicht. 49. Ich habe/hatte einen höheren Status (Prestige oder sozialer Status) A bei meiner jetzigen Studientätigkeit. B vor fünf Jahren. C Ich weiß nicht. 50. Wie viele Veränderungen hatten Sie bei Ihren Tätigkeiten in den letzten zehn Jahren? (Zählen Sie
die Wechsel bei den Tätigkeiten/Studienfächern, die Wechsel bei Arbeits- und Studienplätzen, Beförderungen oder das Erreichen bestimmter Ausbildungsziele).
A 0 – 1 mal.. B 2 mal. C 3 mal. D 4 mal. E 5 mal und öfter. 51. Wie weit sind Sie bei Ihrer schulischen/universitären Bildung? (nur ein Kreuzchen!) A Weiterbildung/Studium auf dem 2. Bildungsweg B Fachabitur/Abitur C Nicht bestandene Vordiplomsprüfung/ Magisterzwischenprüfung D mit Note 3 oder schlechter bestandenes Vordiplom/Magisterzwischenprüfung E mit Note 1 oder 2 bestandenes Vordiplom/Magisterzwischenprüfung F Nicht bestandene Diplom-/Magisterprüfung G mit Note 3 oder schlechter bestandene Diplom-/Magisterprüfung H mit Note 1 oder 2 bestandene Diplom-/Magisterprüfung 52. Halten/Hielten Sie irgendwelche Ämter inne, während Sie in der Schule/an der Universität
sind/waren, (z.B. Klassensprecher(in), Mitglied einer Studentenverbindung, Kapitän des Fußballteams, Leiter(in) einer Sportgruppe, Vorstand eines Karnevalvereins, Redak-teur(in) der Schülerzeitung/Universitätszeitung ...)?
A Nein. B Ja, ich hatte ein solches Amt. C Ja, ich hatte mehrere solcher Ämter. Zusätzliche Fragen: 53. Wie beschreiben Sie die Größe der Stadt, in der Sie aufgewachsen sind? A Ich wuchs in einem Dorf bzw. in ländlicher Umgebung auf. B Ich wuchs in einer Kleinstadt oder Vorort einer Großstadt auf. C Ich wuchs in einer Großstadt auf. 54. Wo leben Sie jetzt? A Ich lebe in einem Dorf bzw. in ländlicher Umgebung. B Ich lebe in einer Kleinstadt oder in einem Vorort einer Großstadt. C Ich lebe in einer Großstadt.
55. Wie beschreiben Sie das Land, in dem Sie wohnen? A Noch sehr wenig industrialisiert. B Auf dem Weg zur Industriegesellschaft. C Ich lebe in einer Industriegesellschaft. 56. Wie beschreiben Sie den Wohlstand des Landes, in dem Sie leben? A Ich lebe in einem eher armen Land. B Mein Land ist weder arm, noch besonders wohlhabend. C Ich lebe in einem wohlhabenden Land. 57. Wie beschreiben Sie den sozialen Umgang in Ihrem Land? A Die Menschen helfen einander und das Wohl aller ist sehr wichtig. B Es kommt auf die Situation und die Umgebung des Einzelnen an. C Jeder arbeitet für sich allein und ist für sich selbst verantwortlich. Anhang 2: Erste Faktorenanalyse Faktorenladungen bei einer konfirmatorischen Faktorenanalyse nach 3 Faktoren (18 Items)
(vgl. Vorstudien von Jenkins, Zyzanski und Rosenman, 1979, S. 19): Rotierte Komponentenmatrix(a)
Komponente
1 2 3 Insgesamt strenge ich mich
,746
Bezogen auf die Verantwortung trage ich -,659
Nehmen Sie Ihr Studium zu ernst? Meinung guter Bekannter! ,595
In der Genauigkeit bin ich ,545 Ich habe/hatte einen höheren Status
Wie wurden Sie als junger Mensch eingeschätzt
Was würden Sie bevorzugen?
Sind Sie leicht reizbar? Meinung guter Bekannter! -,740
Wie war ihr Temperament, als Sie jünger waren? -,658
Mahnen, auf den "Punkt zu kommen" ,477
Warten in der "Schlange" ,379 Schnelligkeit beim Essen ,372 Wie weit in der universitären Bildung?
Hin- und Herspringen zwischen zwei Tätigkeiten ,695
Zeit für den Friseur ,520
Studienarbeiten abends oder nachts ,482
Wie viele Veränderungen der Tätigkeiten in den letzten 10 Jahren? ,470
Alltagsprobleme -,385 Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung. a Die Rotation ist in 4 Iterationen konvergiert.
Anfängliche Eigenwerte Gesamt % der Varianz Kumulierte % 2,188 12,154 12,154 1,626 9,033 21,187 1,563 8,681 29,868 1,218 6,764 36,632 1,159 6,442 43,074 1,080 6,001 49,074 1,000 5,553 54,627 Anhang 3: Korrelationskoeffizienten nach Spearman Rho: Korrelationen zwischen dem Item22, Item23, Item25 und Item26:
Sind Sie leicht reizbar?
Meinung guter Bekannter!
Erledigen Sie vieles in Eile? Meinung guter
Bekannter!
Wie war ihr Tempera-
ment, als Sie jünger waren?
Wie ist Ihr Tempera-
ment heute? Sind Sie leicht reizbar? Meinung guter Bekannter!
Korrelationskoeffizient 1,000 ,319(**) ,398(**) ,444(**)
Sig. (2-seitig) . ,000 ,000 ,000 N 587 587 587 587 Erledigen Sie vieles in Eile? Meinung guter Bekannter!
Korrelationskoeffizient ,319(**) 1,000 ,215(**) ,315(**)
Sig. (2-seitig) ,000 . ,000 ,000
N 587 587 587 587
Wie war ihr Temperament, als Sie jünger waren?
Korrelationskoeffizient ,398(**) ,215(**) 1,000 ,517(**)
Sig. (2-seitig) ,000 ,000 . ,000 N
587 587 587 587
Wie ist Ihr Temperament heute?
Korrelationskoeffizient ,444(**) ,315(**) ,517(**) 1,000
Sig. (2-seitig) ,000 ,000 ,000 . N 587 587 587 587
** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig). Korrelationen zwischen dem Item20, Item42, Item43, Item45 und Item46:
Nehmen Sie Ihr
Studium zu ernst? Meinung
guter Bekannter
Insgesamt strenge ich
mich
Bezogen auf die Verant-wortung trage ich
In der Genauig-keit bin
ich
Ich nehme
das Leben im Allgemei-
nen
Nehmen Sie Ihr Studium zu ernst? Meinung guter Bekannter!
Korrelationskoeffizient 1,000 ,369(**) ,235(**) ,171(**) ,262(**)
Sig. (2-seitig) . ,000 ,000 ,000 ,000 N 587 587 587 587 587 Insgesamt strenge ich mich Korrelationskoeffizient ,369(**) 1,000 ,348(**) ,281(**) ,247(**) Sig. (2-seitig) ,000 . ,000 ,000 ,000 N 587 587 587 587 587 Bezogen auf die Verantwortung trage ich
Korrelationskoeffizient ,235(**) ,348(**) 1,000 ,210(**) ,088(*)
Sig. (2-seitig) ,000 ,000 . ,000 ,033 N
587 587 587 587 587
In der Genauigkeit bin ich Korrelationskoeffizient ,171(**) ,281(**) ,210(**) 1,000 ,133(**) Sig. (2-seitig) ,000 ,000 ,000 . ,001 N 587 587 587 587 587 Ich nehme das Leben im Allgemeinen
Korrelationskoeffizient ,262(**) ,247(**) ,088(*) ,133(**) 1,000
Sig. (2-seitig) ,000 ,000 ,033 ,001 . N 587 587 587 587 587
** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig). * Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant (zweiseitig). Korrelationen zwischen dem Item01, Item02, Item04, Item30 und Item32:
Zeit für den
Friseur
Störungen bei der Arbeit Ärgernisse
Setzen Sie sich auch
selbst unter Termindruck
?
Hin- und Herspringen
zwischen zwei
Tätigkeiten Zeit für den Friseur Korrelationskoeffizient 1,000 ,198(**) ,131(**) ,255(**) ,188(**) Sig. (2-seitig) . ,000 ,001 ,000 ,000
N 587 587 587 587 587 Störungen bei der Arbeit Korrelationskoeffizient ,198(**) 1,000 ,179(**) ,239(**) ,260(**) Sig. (2-seitig) ,000 . ,000 ,000 ,000 N 587 587 587 587 587 Ärgernisse Korrelationskoeffizient ,131(**) ,179(**) 1,000 ,123(**) ,121(**) Sig. (2-seitig) ,001 ,000 . ,003 ,003
N 587 587 587 587 587 Setzen Sie sich auch selbst unter Termindruck?
Korrelationskoeffizient ,255(**) ,239(**) ,123(**) 1,000 ,274(**)
Sig. (2-seitig) ,000 ,000 ,003 . ,000
N 587 587 587 587 587 Hin- und Herspringen zwischen zwei Tätigkeiten
Korrelationskoeffizient ,188(**) ,260(**) ,121(**) ,274(**) 1,000
Sig. (2-seitig) ,000 ,000 ,003 ,000 .
N 587 587 587 587 587 ** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig). Die Korrelationen zwischen dem Item16, Item17 und Item18:
Wie wurden Sie als junger Mensch
eingeschätzt
Heute sehen Sie sich selbst
als Wie schätzt Sie Ihr Partner ein?
Wie wurden Sie als junger Mensch eingeschätzt
Korrelationskoeffizient 1,000 ,418(**) ,351(**)
Sig. (2-seitig) . ,000 ,000 N 587 587 587 Heute sehen Sie sich selbst als
Korrelationskoeffizient ,418(**) 1,000 ,417(**)
Sig. (2-seitig) ,000 . ,000 N 587 587 587 Wie schätzt Sie Ihr Partner ein?
Korrelationskoeffizient ,351(**) ,417(**) 1,000
Sig. (2-seitig) ,000 ,000 . N 587 587 587
** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig). Die Korrelationen zwischen dem Item13, Item14, Item19 und Item21:
Verhalten Wartezeit
Warten in der
"Schlange"
Wie bezeichnet der Partner Ihren
Grad an Aktivismus
Haben Sie weniger
Energie als andere?
Verhalten Wartezeit Korrelationskoeffizient 1,000 ,118(**) ,218(**) ,175(**) Sig. (2-seitig) . ,004 ,000 ,000 N 587 587 587 587 Warten in der "Schlange"
Korrelationskoeffizient ,118(**) 1,000 ,136(**) ,064
Sig. (2-seitig) ,004 . ,001 ,120 N 587 587 587 587 Wie bezeichnet der Partner Ihren Grad an Aktivismus
Korrelationskoeffizient ,218(**) ,136(**) 1,000 ,339(**)
Sig. (2-seitig) ,000 ,001 . ,000 N
587 587 587 587
Haben Sie weniger Energie als andere? Meinung guter Bekannter!
Korrelationskoeffizient
,175(**) ,064 ,339(**) 1,000
Sig. (2-seitig) ,000 ,120 ,000 . N 587 587 587 587
** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).
Die Korrelationen zwischen dem Item06 und Item07:
Schnelligkeit beim Essen
Schnelligkeit beim
Essen/Einschätzung
Lebenspartner Schnelligkeit beim Essen Korrelationskoeffizient 1,000 ,567(**) Sig. (2-seitig) . ,000 N 587 587 Schnelligkeit beim Essen/Einschätzung Lebenspartner
Korrelationskoeffizient ,567(**) 1,000
Sig. (2-seitig) ,000 .
N 587 587
** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig). Die Korrelationen zwischen dem Item11 und Item12:
Zu spät kommen bei
Verabredungen Notwendigkeit sich zu beeilen
Zu spät kommen bei Verabredungen
Korrelationskoeffizient 1,000 ,459(**)
Sig. (2-seitig) . ,000 N 587 586 Notwendigkeit sich zu beeilen
Korrelationskoeffizient ,459(**) 1,000
Sig. (2-seitig) ,000 . N 586 586
** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig). Anhang 4: Zweite Faktorenanalyse Faktorenladungen bei einer konfirmatorischen Faktorenanalyse mit 7 Faktoren (25 Items)
Komponente
1 2 3 4 5 6 7 Sind Sie leicht reizbar? Meinung guter Bekannter! ,719
Erledigen Sie vieles in Eile? Meinung guter Bekannter! ,485
Wie war ihr Temperament, als Sie jünger waren? ,781
Wie ist Ihr Temperament heute? ,793
Nehmen Sie Ihr Studium zu ernst? Meinung guter Bekannter! ,673
Insgesamt strenge ich mich ,737
Bezogen auf die Verantwortung trage ich ,635
In der Genauigkeit bin ich ,520
Ich nehme das Leben im Allgemeinen ,451
Zeit für den Friseur ,569 Störungen bei der Arbeit ,645 Ärgernisse ,505 Setzen Sie sich auch selbst unter Termindruck? ,624
Hin- und Herspringen zwischen zwei Tätigkeiten ,523
Wie wurden Sie als junger Mensch eingeschätzt ,727
Heute sehen Sie sich selbst als ,717
Wie schätzt Sie Ihr Partner ein? ,738
Verhalten Wartezeit ,579 Warten in der "Schlange" ,474 Wie bezeichnet der Partner Ihren Grad an Aktivismus ,627
Haben Sie weniger Energie als andere? Meinung guter Bekannter! ,651
Schnelligkeit beim Essen ,844 Schnelligkeit beim Essen/Einschätzung Lebenspartner ,847
Zu spät kommen bei Verabredungen ,838
Notwendigkeit sich zu beeilen ,779
Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung. Die Rotation ist in 7 Iterationen konvergiert. Die von den Faktoren erklärte Gesamtvarianz:
Anfängliche Eigenwerte Rotierte Summe der quadrierten Ladungen Komponente Gesamt % der Varianz Kumulierte % Gesamt % der Varianz Kumulierte % 1 3,163 12,653 12,653 2,306 9,223 9,223 2 2,468 9,870 22,524 2,070 8,280 17,503 3 2,198 8,792 31,315 1,901 7,605 25,109 4 1,518 6,073 37,389 1,863 7,453 32,562 5 1,401 5,605 42,993 1,730 6,922 39,483 6 1,241 4,964 47,958 1,703 6,812 46,296 7 1,163 4,651 52,609 1,578 6,314 52,609 8 1,034 4,137 56,747 9 ,962 3,848 60,595 10 ,855 3,421 64,015 11 ,840 3,358 67,373 12 ,799 3,197 70,570 13 ,775 3,099 73,670 14 ,709 2,835 76,504 15 ,679 2,717 79,221 16 ,655 2,619 81,840
17 ,613 2,453 84,293 18 ,574 2,295 86,588 19 ,570 2,280 88,868 20 ,555 2,221 91,089 21 ,504 2,016 93,105 22 ,485 1,939 95,044 23 ,443 1,773 96,817 24 ,412 1,646 98,463 25 ,384 1,537 100,000
Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse.
Anhang 4: Zweite Faktorenanalyse Faktorenladungen bei einer konfirmatorischen Faktorenanalyse mit 7 Faktoren (25 Items)
Komponente
1 2 3 4 5 6 7 Sind Sie leicht reizbar? Meinung guter Bekannter! ,719
Erledigen Sie vieles in Eile? Meinung guter Bekannter! ,485
Wie war ihr Temperament, als Sie jünger waren? ,781
Wie ist Ihr Temperament heute? ,793
Nehmen Sie Ihr Studium zu ernst? Meinung guter Bekannter! ,673
Insgesamt strenge ich mich ,737
Bezogen auf die Verantwortung trage ich ,635
In der Genauigkeit bin ich ,520 Ich nehme das Leben im Allgemeinen ,451
Zeit für den Friseur ,569 Störungen bei der Arbeit ,645 Ärgernisse ,505 Setzen Sie sich auch selbst unter Termindruck? ,624
Hin- und Herspringen zwischen zwei Tätigkeiten ,523
Wie wurden Sie als junger Mensch eingeschätzt ,727
Heute sehen Sie sich selbst als ,717
Wie schätzt Sie Ihr Partner ein? ,738
Verhalten Wartezeit ,579 Warten in der "Schlange" ,474 Wie bezeichnet der Partner Ihren Grad an Aktivismus ,627
Haben Sie weniger Energie als andere? Meinung guter Bekannter! ,651
Schnelligkeit beim Essen ,844 Schnelligkeit beim Essen/Einschätzung Lebenspartner ,847
Zu spät kommen bei Verabredungen ,838
Notwendigkeit sich zu beeilen ,779
Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung. Die Rotation ist in 7 Iterationen konvergiert. Die von den Faktoren erklärte Gesamtvarianz:
Anfängliche Eigenwerte Rotierte Summe der quadrierten Ladungen Komponente Gesamt % der Varianz Kumulierte % Gesamt % der Varianz Kumulierte % 1 3,163 12,653 12,653 2,306 9,223 9,223 2 2,468 9,870 22,524 2,070 8,280 17,503 3 2,198 8,792 31,315 1,901 7,605 25,109 4 1,518 6,073 37,389 1,863 7,453 32,562 5 1,401 5,605 42,993 1,730 6,922 39,483 6 1,241 4,964 47,958 1,703 6,812 46,296 7 1,163 4,651 52,609 1,578 6,314 52,609 8 1,034 4,137 56,747 9 ,962 3,848 60,595 10 ,855 3,421 64,015 11 ,840 3,358 67,373
12 ,799 3,197 70,570 13 ,775 3,099 73,670 14 ,709 2,835 76,504 15 ,679 2,717 79,221 16 ,655 2,619 81,840 17 ,613 2,453 84,293 18 ,574 2,295 86,588 19 ,570 2,280 88,868 20 ,555 2,221 91,089 21 ,504 2,016 93,105 22 ,485 1,939 95,044 23 ,443 1,773 96,817 24 ,412 1,646 98,463 25 ,384 1,537 100,000
Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse.
Anhang 5: Programmsyntax zum Auswerten der Testpersonen nach Typ A, Typ B und Mischtypen 1. Auswerten nach den Merkmalsausprägungen „Temperament“:
/* Analyse Typ A - Typ B - Mischtypen (Temperament) */ /* Datensatz deutsche und ukrainische Studenten */ /* Type A */ Do IF (IT22 >= 3 and IT23 >= 3 and IT25 >=3 and IT26 >=3 ) . Compute Typ1 = 13 . /* Type B */ Else If (IT22 <= 2 and IT23 <= 2 and IT25 <=3 and IT26 <=3 ) . Compute Typ1 = 11 . /* Mischtypen*/ Else .
Compute Typ1 = 12 . End If . variable labels Typ1 'Typen' . value labels Typ1 11 'Typ B' 12 'Mischtyp' 13 'Typ A' . execute . 2. Auswerten nach den Merkmalsausprägungen „Anstrengung“:
/* Analyse Typ A - Typ B - Mischtypen */ /* Datensatz deutsche und ukrainische Studenten */ /* Type A */
Do IF (IT20 >= 3 and IT42 >= 3 and IT43 >=3 and IT45 >=3) . COMPUTE Typ22 = 13 . /* Type B */ Else If (IT20 <= 2 and IT42 <= 2 and IT43 <= 2 and IT45 <= 2) . Compute Typ22 = 11 . /* Mischtypen*/ Else . Compute Typ22 = 12 . End If . variable labels Typ22 'Typen' . Value labels Typ22 11 'Typ B' 12 'Mischtyp' 13 'Typ A' . execute . 3. Auswerten nach den Merkmalsausprägungen „Termindruck“:
/* Analyse Typ A - Typ B - Mischtypen (Termindruck)*/ /* Datensatz deutsche und ukrainische Studenten */ /* Type A */
Do IF (IT1 >= 2 and IT2 >= 2 and IT4 >= 2 and IT30 >= 2 and IT32 >= 2) . Compute Typ3 = 13 . /* Type B */ Else If (IT1 <= 2 and IT2 <= 2 and IT4 <= 2 and IT30 <= 2 and IT32 <= 2) . Compute Typ3 = 11 . /* Mischtypen*/ Else . Compute Typ3 = 12 . End If . variable labels Typ3 'Typen' . Value labels Typ3 11 'Typ B' 12 'Mischtyp' 13 'Typ A' . execute . 4. Auswerten nach den Merkmalsausprägungen „Wettbewerbsorientierung“:
/* Analyse Typ A - Typ B - Mischtypen */ /* Datensatz deutsche und ukrainische Studenten */ /* Type A */
Do IF (IT16 >= 3 and IT17 >= 3 and IT18 >= 3) . Compute Typ4 = 13 . /* Type B */ Else If (IT16 <= 2 and IT17 <= 2 and IT18 <= 2 ) . Compute Typ4 = 11 . /* Mischtypen*/ Else . Compute Typ4 = 12 .
End If . variable labels Typ4 'Typen' . Value labels Typ4 11 'Typ B' 12 'Mischtyp' 13 'Typ A' . execute . 5. Auswerten nach den Merkmalsausprägungen „Aktivität und Ungeduld“:
/* Analyse Typ A - Typ B - Mischtypen */ /* Datensatz deutsche und ukrainische Studenten (Aktivität und Ungeduld)*/ /* Type A */
Do IF (IT13 >= 2 and IT14 >= 2 and IT19 >= 2 and IT21 >= 3) . Compute Typ5 = 13 . /* Type B */ Else If (IT13 <= 2 and IT14 <= 2 and IT19 <= 2 and IT21 <= 2) . Compute Typ5 = 11 . /* Mischtypen*/ Else . Compute Typ5 = 12 . End If . variable labels Typ5 'Typen' . Value labels Typ5 11 'Typ B' 12 'Mischtyp' 13 'Typ A' . execute . 6. Auswerten nach den Merkmalsausprägungen „Schnelles Essen“:
/* Analyse Typ A - Typ B - Mischtypen */ /* Datensatz deutsche und ukrainische Studenten */ /* Type A */
Do IF (IT6 >= 3 and IT7 >= 2) . Compute Typ6 = 13 . /* Type B */ Else If (IT6 = 1 and IT7 = 1) . Compute Typ6 = 11 . /* Mischtypen*/ Else . Compute Typ6 = 12 . End If . variable labels Typ6 'Typen' . Value labels Typ6 11 'Typ B' 12 'Mischtyp' 13 'Typ A' . execute . 7. Auswerten nach den Merkmalsausprägungen „Verspätungen“:
/* Analyse Typ A - Typ B - Mischtypen */ /* Datensatz deutsche und ukrainische Studenten */ /* Type A */
Do IF (IT11 = 3 and IT12 = 3) . Compute Typ7 = 13 . /* Type B */ Else If (IT11 = 1 and IT12 = 1) .
Compute Typ7 = 11 . /* Mischtypen*/ Else . Compute Typ7 = 12 . End If . variable labels Typ7 'Typen' . Value labels Typ7 11 'Typ B' 12 'Mischtyp' 13 'Typ A' . execute .
Anhang 6: Interview mit einer Westukrainerin am 03.01.07 von 15:00 bis 16:00 Uhr
Interviewer: In dieser Studie wurde unterschieden zwischen Testpersonen aus Westdeutschland, Ostdeutschland, der Westukraine und der Ostukraine. Halten Sie diese Unterscheidung, speziell für die Ukraine notwendig für einen kulturellen Vergleich?
Befragte: Auf jeden Fall. Es gibt einen großen Unterschied nach wie vor zwischen den Menschen der
westlichen und der östlichen Ukraine. Der Osten wird auch heute noch stark vom Kommunismus geprägt und öffnet sich nur zögerlich dem Westen. In diesen Gebieten bemerkt man auch den starken Einfluss von Russland. Viele Menschen, die sich dort angesiedelt haben, sind russischen Ursprungs. Andererseits gab es die „Orangene Revolution“ und gerade der Westen der Ukraine orientiert sich an der demokratischen, westlichen Lebensform. Die Westukraine ist stark an einem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft interessiert.
Interviewer: Inwiefern sieht man einen Wandel in der Gesellschaft der Ukraine? Befragte: Früher war die Ukraine die Kornkammer Russlands. Es gab im Osten auch viele Bergwerke
und Produktionsstandorte. Nach dem Unglück von Tschernobyl war es vielen Ukrainern klar geworden, dass die Ukraine von Russland nur benutzt wird. Die Energien wurden gerne in der Ukraine gewonnen, aber die Risiken für das Land wurden ignoriert. Als es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion freie Wahlen gab, siegte Präsident Juschtschenko, der einen eher pro-westlichen Kurs in der Politik einführte. Nach wie vor gibt es aber den Unterschied zwischen der Ostukraine mit ihren eher einfachen Bauern, Bergwerksarbeitern und Industriearbeitern und dem Westen der Ukraine mit einer eher westeuropäischen Lebensausrichtung und Kultur.
Interviewer: Welchen Einfluss hat die orthodoxe Kirche in der Ukraine? Befragte: Auf die jungen Leute hat die orthodoxe Kirche einen vernachlässigbaren Einfluss. Ich bin
zwar in der orthodoxen Kirche, dies beeinflusst jedoch mein Handeln nicht. Insgesamt verhält sich die orthodoxe Kirche eher unpolitisch und wirkt mäßigend auf ihre Mitglieder.
Interviewer: Bei dieser Studie wurde das zeitliche Verhalten von Studierenden aus dem
deutschsprachigen Raum und aus der Ukraine untersucht. Dabei kamen folgende Ergebnisse zum Vorschein: Der erste Faktor, der untersucht wurde, war der Termindruck, der vorherrscht. In Deutschland war dieser Termindruck größer, man musste öfter zwischen zwei Tätigkeiten hin- und herspringen und wurde auch öfter bei der Arbeit gestört. Man hat kaum Zeit für einen Friseurtermin. Wie sehen Sie dies im Vergleich zur Ukraine?
Befragte: Dem kann ich nur beipflichten. Was mir in Deutschland auffällt, ist die unheimlich hohe
Erwartungshaltung, die von der Umwelt an den Einzelnen gestellt wird. Der Druck, der hier in Deutschland auf mir lastet, ist wesentlich höher, als er es in der Ukraine war. Dies liegt nicht an meiner eigenen Erwartungshaltung, sondern an dem, was von den anderen erwartet wird. In Deutschland kann man nie genug arbeiten. Somit wächst die Unzufriedenheit.
Interviewer: Weiterhin zeigt es sich, dass der deutsche Student sich eher als fleißig und
konkurrenzfähig einstuft, der Ukrainer sieht sich eher als entspannt und gelassen. Konnten Sie diese Merkmale auch feststellen?
Befragte: Ich kann mit der Frage noch nichts anfangen. Weshalb steht hier als Gegensatz zu „fleißig
und konkurrenzfähig“, die Wörter „entspannt und gelassen“? Interviewer: Dies hat wohl mit dem Jenkins Activity Survey und der Grundausrichtung seiner
Fragestellungen zu tun. Bei diesem Fragebogen soll zwischen einem hektischen, rastlosen, sich stets im Wettbewerb befindlichen Typ A und einem eher gelassenen Typ B unterschieden
werden. Typ B kann durchaus auch erfolgsorientiert und leistungsorientiert sein, allerdings ist er weniger hektisch und auf Konkurrenzfähigkeit bedacht, als Typ A.
Befragte: Nun verstehe ich die Antworten der Befragten besser. Jetzt kann ich dem auch zustimmen.
Der Ukrainer sieht die Dinge durchaus gelassen und lebt auch entspannter als der Deutsche. Interviewer: Nur leichte Unterschiede können bei den Antworten bezüglich der Genauigkeit,
Ernsthaftigkeit und Anstrengung gefunden werden. Hierbei nimmt der Ukrainer das Leben etwas ernster als der Deutsche und sieht sich auch etwas genauer.
Befragte: Dazu kann ich nichts sagen. Dies sind wohl eher individuelle Unterschiede der einzelnen
Studenten. Interviewer: Etwas erstaunlich ist dann allerdings, dass die Ukrainer mehrheitlich ein hitzige- res
Temperament angegeben haben, das schwer kontrollierbar ist. Sie sind sehr oft mit Ärgernissen konfrontiert und erledigen vieles in Eile. Die Deutschen dagegen geben an, fast nie ärgerlich zu werden.
Befragte: Es kann sein, dass die Ukrainer direkter sind als die Deutschen. In Deutschland werden viele
Aggressionen versteckt. Es gilt als unschön, ärgerlich zu werden. Man versucht stets, eine freundliche Fassade nach außen hin zu zeigen. Dies erzeugt ebenfalls Druck für den Einzelnen. Als Ukrainerin bin ich auch eher dafür, ab und zu etwas „Dampf abzulassen“ und klärende Worte zu finden. Dies gilt sowohl für den Privat- als auch für den Arbeitsbereich. Im Endeffekt fühlt man sich so besser, als wenn man sich immer zurückhalten soll.
Interviewer: Wie steht es mit dem Essen? Ein kleiner Unterschied ist auch hier bemerkbar. Die
Ukrainer essen schneller als die Deutschen. Befragte: Das kann ich nur bestätigen. Auch ich esse sehr schnell. Ich esse auf jeden Fall schneller als
mein Lebensgefährte. Für mich ist Essen nicht so wichtig. Interviewer: Hier haben wir noch ein Ergebnis der Untersuchung: Der Westdeutsche kommt stets
pünktlich. Selten muss er sich beeilen, noch rechtzeitig wohin zu kommen. Ganz anders als die Kollegen aus der Ukraine oder aus Ostdeutschland.
Befragte: Auch das kann ich nachvollziehen. In der Ukraine ist man nicht auf die Minute pünktlich.
Man hat immer eine Viertelstunde, die man selbst zur Arbeit später kommen kann. Dafür bleibt man eben auch mal eine halbe Stunde länger. Auch meine Freundinnen warten dann auf mich, wenn ich eine Verabredung habe. In dieser Beziehung herrscht weniger Zeitdruck in der Ukraine. Wenn man zum Beispiel zu einem Arzt geht, muss man nicht unbedingt einen Termin haben. Man geht hin und wartet dann eben so lange, bis man dran kommt. Viele Termine, ob im geschäftlichen oder privaten Bereich, laufen ohne große Terminabsprachen und finden eher zufällig statt.
Interviewer: Bei der Auswertung bezüglich der Geduld beim Warten und des persönlichen Aktionismus
kam zum Vorschein, dass die Westukrainer und die Westdeutschen besonders ungeduldig sind und von ihren Partnern als eher zu aktiv eingeschätzt werden. Die Ostukrainer und Ostdeutschen dagegen haben kein Problem mit dem Warten. Vom Partner werden sie eher als zu langsam eingeschätzt.
Befragte: Ich selbst komme aus der Westukraine. Hier sind wir schon lange nicht mehr mit „Schlange
stehen“ und „Warten müssen“ konfrontiert. Deshalb kann ich dazu nichts sagen. Ich selbst sehe
mich nicht als ungeduldiger oder aktiver an, dies kann jedoch auch an einer
Schilddrüsenunterfunktion liegen, an der ich seit einiger Zeit leide. Über die Aktivität der
Westukrainer und Ostukrainer im Allgemeinen kann ich keine Aussage treffen. Interviewer: In Deutschland wird ein planmäßiges Vorgehen bevorzugt. Der Deutsche plant sorgfältig,
bevor er handelt. Er schreibt sich gerne Merkzettel und Terminkalender. Der Ukrainer handelt sofort, ohne große Planung. Er ist kein Freund von Merkzetteln.
Befragte: Dies kann ich nur unterstreichen. Wie vorher bereits erwähnt, plant der Ukrainer nicht so
lange im Voraus. Termine werden sehr kurzfristig gesetzt, oft ergeben sie sich zufällig. Dies geht auch ohne Merkzettel und Terminkalender. Merkzettel und Terminkalender erzeugen Druck und sind nicht beliebt.
Interviewer: Beim letzten Punkt, dem Abkürzen von Gesprächen, fällt nur der Ostdeutsche etwas aus
der Reihe. Er lässt seinen Gesprächspartner ausreden, ohne ihn zu ermahnen, auf den Punkt zu kommen oder ihm Worte in den Mund zu legen. Anders die Bewohner der Ukraine und Westdeutschlands, die dies gelegentlich tun.
Befragte: Auch ich lasse im Allgemeinen meinen Gesprächspartner ausreden. Sollte dieser jedoch zu
umständlich erklären oder erzählen, so versuche ich schon, das Gespräch abzukürzen.
Interviewer: Dies waren die wichtigsten Fragen zu unserer Studie. Ich bedanke mich für das
Gespräch.
Anhang 7: Stellungnahme einer Professorin der Universität in Charkow I have read the materials concerning the Ukrainian interview that Zhanna kindly translated for me and
have some thoughts to share. My general opinion is that the person who answered has tendentious
interpretation of East-West problems that is strongly simplified. I shall try to explain why I think so:
1. the first answer concerning Russian or communist orientation of the East. The East of Ukraine
is not homogeneous. Majority of common people are for progressive changes and they do not
wish to return to communism regime. For example the Governor of our Region actively
participated in Orange revolution together with million of Kharkovites. The majority of young
people (students) are for European integration. The communist doctrine is supported mainly
by old generation (after 70), by business circles that belong to Doneck group and to Sebastopol
and Odessa navy officers. More than that Russian orientation to KGB methods of suppressing
democracy diverted many people who tradi-tionally sympathized Russia. More and more pro-
Russian policy of Ukrainian prime minister is meeting active protest of people who have
disappointed in his hypocritical promises.
2. the second answer concerning primitive workers and farmers of the East is not true at all. The
infrastructure of former Soviet Union was organized in such a way that so called "final circle"
of production (mainly military that was on the high world's level) was si-tuated in the most
attractive places for living. The East of Ukraine was the concentration of so called "intellectual
industry". That is why we have so many Universities (only Kharkov had 22) and research
institutes for providing specialists and researches for numerous military plants, electronic and
cosmic industry enterprises. The population of the East was always considered the working
brains and even workers here had the fame of highest qualification because they were engaged
in highly technological fields. On the contrary West Ukraine had low opportunities for work
and most of the population were so called "season workers" who looked for work everywhere
(they still continue this traditions working as low qualified force in European countries). As a
result now we have a big problem with incompetent specialist from the West Ukraine that had
no scientific schools traditions who filters people not according to the competence but to the
knowledge of Ukrainian language (as communist did filtering through membership in the
Communist party).
3. Third answer is also not very corresponding to the real situation. As to Orthodox church its
influence is quite big as some kind of sublimation after long years of being factually forbidden
by the official communist power.
4. I also do not agree completely that Ukrainians are not punctual. Of course we are not as ideal
as Germans but all our life was regulated. In the former communist time to be late for the work
meant a danger not only loose the work but even loose a freedom (Stalin times). All that
remained in the blood of our people (especially old generation). Besides as I told traditionally
Military industry was governed by Military specialists and disci-pline in the enterprises was
similar to discipline in the army. Being school children and students we also were under strong
timetable pressure. So our former culture was very demanding as to the time discipline. The
paradox is that the main thing was not to be late but when you crossеd the border of the
enterprise you could completely relax and do nothing.
5. As to the energy of our people you can judge yourself. Ukrainians are rather tempera-mental
but it does not mean at all that they (sorry "we") are efficient.
6. As to planning. There are also some differences. You know that communist economy was totally
planned and people lived according to 5-years terms. Every step was recor-ded and discipline
demanded to control everything. So old generation are planning everything and very often makes
special list of things to do (our Rector, my parents). Those who are engaged in education process
and management also cannot do without planning. Even farmers live according to their strict
plan. So I cannot say that planning is not usual for Ukrainians.
As to other answers I agree. But anyway it is my personal opinion and I tried to explain some reason.
So I shall be happy if it helps your postgraduate to understand the subject of her research better.
Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Dissertation
Zeitmanagement von Studierenden.
Eine interkulturelle Vergleichsstudie zwischen Studierenden im
deutschsprachigen Raum und der Ukraine
selbständig und ohne unerlaubte fremde Hilfe angefertigt und andere als die in der Dissertation angegebenen
Hilfsmittel nicht benutzt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten oder nicht
veröffentlichten Schriften entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Die vorliegende Dissertation
hat zuvor keiner anderen Stelle zur Prüfung vorgelegen. Es ist mir bekannt, dass wegen einer falschen
Versicherung bereits erfolgte Promotionsleistungen für ungültig erklärt werden und eine bereits verliehene
Doktorwürde entzogen wird.
Sigrid Sittler