WUW 2016 02 U1-U4 · WuW Nr. 02 05.02.2016 49 Kommentar Derzeit laufen die Vorbereitungen für...

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Seite 49 – 100 05. Februar 2016 66. Jahrgang 2 Aus dem Inhalt KOMMENTAR Jens Steger Beispiel USA: Berücksichtigung von Compliance Management Systemen bei der Bußgeldbemessung 49 ABHANDLUNGEN Jürgen Coppik/Justus Haucap Die Behandlung von Preisschirmeffekten bei der Bestimmung von Kartellschäden und Mehrerlösen 50 Marius Klotz Google und Facebook im Kontext von Art. 102 AEUV 58 Dirk Zetzsche „Jedermann“ ist jedermann! – Zum Schadensersatz des Aktionärs einer durch Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung geschädigten AG 65 ENTSCHEIDUNGEN EuGH: Zur Kartellkomplizenschaft im EU-Kartellrecht 71 EuGH: Bezweckte und bewirkte Wettbewerbsbeschränkung bei Geschäftsraummiete 74 EuG: Aufhebung der Kommissions-Entscheidung im Luftfracht-Kartell: Widersprüchlichkeiten in der Begründung 77 OLG Düsseldorf: Edeka/Tengelmann: Anordnung des Bundeskartellamts teilweise rechtswidrig 81 LG Mannheim: Umsetzung der Huawei-Kriterien (1) 86 LG Düsseldorf: Umsetzung der Huawei-Kriterien (2) 93 BKartA: Erlösvergleich im Fernwärmemarkt 97 INTERVIEW Vier Fragen an Johannes Laitenberger 100 www.wuw-online.de

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Seite 49 – 100 05. Februar 2016

66. Jahrgang

2

Aus dem Inhalt

KOMMENTARJens Steger Beispiel USA: Berücksichtigung von Compliance Management Systemen bei der Bußgeldbemessung 49

ABHANDLUNGENJürgen Coppik/Justus Haucap Die Behandlung von Preisschirme�ekten bei der Bestimmung von Kartellschäden und Mehrerlösen 50

Marius Klotz Google und Facebook im Kontext von Art. 102 AEUV 58

Dirk Zetzsche „Jedermann“ ist jedermann! – Zum Schadensersatz des Aktionärs einer durch Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung geschädigten AG 65

ENTSCHEIDUNGENEuGH: Zur Kartellkomplizenschaft im EU-Kartellrecht 71

EuGH: Bezweckte und bewirkte Wettbewerbsbeschränkung bei Geschäftsraummiete 74

EuG: Aufhebung der Kommissions-Entscheidung im Luftfracht-Kartell: Widersprüchlichkeiten in der Begründung 77

OLG Düsseldorf: Edeka/Tengelmann: Anordnung des Bundeskartellamts teilweise rechtswidrig 81

LG Mannheim: Umsetzung der Huawei-Kriterien (1) 86

LG Düsseldorf: Umsetzung der Huawei-Kriterien (2) 93

BKartA: Erlösvergleich im Fernwärmemarkt 97

INTERVIEWVier Fragen an Johannes Laitenberger 100

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Frankfurter Kommentar zumKartellrechtHrsg. von Wolfgang Jaeger,Prof. Dr. Juliane Kokott, Prof. Dr.Petra Pohlmann und Prof. Dr. DirkSchroeder. Bearbeitet von rd. 70 nam-haften Kartellrechtsexperten.Loseblatt, z.Zt. 10.476 Seiten in6 Ordnern. Nur 379,– € bei einemAbonnement für mindestens zweiJahre. Ergänzungslieferungen 3-mal imJahr. ISBN 978-3-504-41182-4.Ohne Abonnement 549,– €.ISBN 978-3-504-41183-1.

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WuW Nr. 02 05.02.2016

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M1

Inhaltsverzeichnis

KOMMENTAR

Beispiel USA: Berücksichtigung von Compliance Management Systemen bei der BußgeldbemessungJens StegerWUW1188103 S. 49

ABHANDLUNGEN

Die Behandlung von Preisschirme�ekten bei der Bestimmung von Kartellschäden und MehrerlösenJürgen Coppik / Justus HaucapWUW1187936 S. 50

Google und Facebook im Kontext von Art. 102 AEUVMarius KlotzWUW1189090 S. 58

„Jedermann“ ist jedermann! – Zum Schadensersatz des Aktionärs einer durch Missbrauch einer marktbeherr-schenden Stellung geschädigten AGDirk ZetzscheWUW1189177 S. 65

ENTSCHEIDUNGEN

Zur Kartellkomplizenschaft im EU-KartellrechtEuGH, Urteil vom 22.10.2015 – Rs. C-194/14WUW1189822 S. 71

Bezweckte und bewirkte Wettbewerbsbeschränkung bei GeschäftsraummieteEuGH, Urteil vom 26.11.2015 – Rs. C-345/14WUW1189824 S. 74

Aufhebung der Kommissions-Entscheidung im Luft-fracht-Kartell: Widersprüchlichkeiten in der BegründungEuG, Urteil vom 16.12.2015 – Rs. T-46/11WUW1189826 S. 77

Edeka/Tengelmann: Anordnung des Bundeskartellamts teilweise rechtswidrigOLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.12.2015 – VI-Kart 1/15 (V)WUW1189832 S. 81

Umsetzung der Huawei-Kriterien (1)LG Mannheim, Urteil vom 27.11.2015 – 2 O 106/14WUW1189830 S. 86

Umsetzung der Huawei-Kriterien (2)LG Düsseldorf, Urteil vom 03.11.2015 – 4a O 144/14WUW1189828 S. 93

Erlösvergleich im FernwärmemarktBKartA, Beschluss vom 15.10.2015 – B8-34/13WUW1189181 S. 97

INTERVIEW

Vier Fragen an Johannes LaitenbergerWUW1189196 S. 100

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M2

IMPRESSUM

WIRTSCHAFT UND WETTBEWERB Competition Law and EconomicsHerausgeberProf. Dr. Justus Haucap, Heinrich-Heine-Universität DüsseldorfRiBGH Dr. Wolfgang Kirchho�, BundesgerichtshofAndreas Mundt, Präsident des BundeskartellamtsProf. Dr. Rupprecht Podszun, Universität Bayreuth Prof. Dr. Petra Pohlmann, Westfälische Wilhelms-Universität, MünsterRA Prof. Dr. Dirk Schroeder, Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP, KölnProf. Dr. Daniel Zimmer, Universität Bonn

FachbeiratDr. Daniel Dittert, Gerichtshof der Europäischen UnionMinDirig. Christian Dobler, Bundesministerium für Wirtschaft und EnergieProf. Dr. Ulrich Ehricke, Universität KölnDipl.-Vw. Christian Ewald, BundeskartellamtRA Dr. Wolfgang Heckenberger, Siemens AGProf. Dr. Andreas Heinemann, Wettbewerbskommission SchweizDr. Johannes Lübking, EU-Kommission - Generaldirektion WettbewerbProf. Dr. Frank Maier-Rigaud, NERA Economic Consulting und IESEG, LEM-CNRSRi’inOLG Dr. Christine Maimann, OLG DüsseldorfDr. Peter Matousek, Bundeswettbewerbsbehörde ÖsterreichDr. Florian Wagner-von Papp, University College London

SCHRIFTLEITUNGAbhandlungsteil: Prof. Dr. Petra Pohlmann Fon 0251 83-22797 eMail [email protected]: Prof. Dr. Rupprecht Podszun Fon 0921 55-6291 eMail [email protected] und Entscheidungen können per eMail an [email protected] übermittelt werden.Die für die Einsendung eines Manuskripts (Rubriken: „Kommentar“, „Abhandlung“, „Entscheidungsanmerkung“, „Buchrezen-sion“) relevanten Autorenhinweise können unter: http://www.wuw-online.de/pdf/auto-renmerkblatt.pdf abgerufen werden.

REDAKTIONAss. jur. Ruth Smith (v.i.S.d.P.)Fon 0211 887-1597Fax 0211 887 97-1597eMail [email protected] Braun Fon 0211 887-1435 Fax 0211 887-1450eMail [email protected]

INTERNETwww.wuw-online.de

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KUNDENSERVICEeMail [email protected]; Inland: Fon 0800 000-1637 (kostenfrei), Fax 0800 000-2959 (kostenfrei); Ausland: Fon +49 211 887-3670, Fax +49 211 887-3671Anschrift: Handelsblatt Fachmedien GmbH, Kundenservice, Postfach 9254, 97092 Würzburg

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ISSN 0043-6151

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MEDIASALESFon 0211 887-1519, Fax 0211 887 97-1519eMail [email protected] DISPOSITIONAstrid JüngstFon 0211 887-1477, Fax 0211 887 97-1477eMail [email protected]

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WuW Nr. 02 05.02.2016 49

www.wuw-online.de Kommentar

Derzeit laufen die Vorbereitungen für eine 9.  GWB Novelle. Bekanntlich befasst sich das Bundeswirtschaftsministerium auch mit der Frage, ob und ggf. wie Compliance-Programme bei der Bußgeldbemessung wegen eines Kartellrechtsverstoßes Berücksichtigung finden können. Dieselbe Diskussion läuft seit langem auch in den USA – mit erstaunlichen Parallelen. Die neuesten US-Entwicklungen sollten auch dem deutschen Gesetz-geber weitere Impulse verleihen.Die bisherige Haltung des BKartA ist gemeinhin bekannt: Wenn ein Compliance Management System (CMS) besteht und es dennoch zu einem Kartellverstoß komme, habe das CMS versagt. Wenn das CMS dagegen funktioniere, ebne es bestenfalls den Weg zum Kronzeugenantrag und sichere auf diesem Weg Bußgeldfreiheit.In den USA wurden CMS bei Kartellrechtsverstößen bislang ebenfalls nicht berücksichtigt. Eine Privilegierung durch CMS gab es lediglich in anderen Rechtsbereichen. Die Rechtfertigung für eine Sonderbehandlung von Kartellrechtsverstößen wurde aus der „Federal Prosecution of Corporations“ geschöpft. Dort wurde u. a. ausgeführt: „[Fine reductions] would not […] be appropriate in an antitrust investigation, in which antitrust violations, by definition, go to the heart of the corporation’s business…“. Die Kernargumente sowohl der US-Kartellbehörde DoJ, als auch die des BKartA waren mithin identisch. Seit jeher wurde jedoch die Ungleichbehandlung von Kartellrechtsverstößen mit anderen Rechtsverstößen in den USA stark kritisiert, denn nicht zuletzt in § 8B2.1 der US Sentencing Guidelines heißt es: „The failure to pre-vent or detect the instant offense does not necessarily mean that the program is not generally effective…”. Hierin wurde zu Recht ein deutlicher Widerspruch zur Sonderbehandlung von Kartellrechts-verstößen gesehen, welcher nach jahrelangen Diskussionen nun vom DoJ dezidiert aufgegriffen wurde. Nachdem im Vorfeld in zwei vielbeachteten Redebeiträgen der Behörde ein möglicher Ausweg skizziert wurde, machte das DoJ kürzlich Nägel mit Köpfen:

USA vs. Kayaba Industry Co. Ltd.Die Mitarbeiter des in den USA tätigen japanischen Automobil-zulieferers KYB waren an einem Autoteilekartell beteiligt. Nach Abschluss der Ermittlungen hat das DoJ dem US-Gericht vorge-schlagen, die gegen KYB zu verhängende Geldbuße auf 62 Mio. USD festzusetzen und damit stark zu reduzieren (das Gesetz sah einen Bußgeldrahmen von 103,68-207,37 Mio. USD vor). Als Grund gab die Behörde an, dass das Unternehmen mit Beginn der Ermittlungen (i) bei der Aufklärung der Kartellrechtsverstöße sehr gut mit der Behörde zusammengearbeitet und überdies (ii) unmittelbar nach Verfahrenseinleitung ein effektives neues CMS eingeführt habe. Am 16.09.2014 hat KYB eine entsprechende Ver-gleichsvereinbarung (Plea-Agreement) mit dem DoJ geschlossen und sich darin zur Zahlung von 62 Mio. USD verpflichtet. Die Behörde ist damit von ihrer Verwaltungspraxis abgewichen, für CMS bei Kartellrechtsverstößen generell keinen Rabatt einzu-räumen. Die entscheidende Frage lautet deshalb: Wann ist ein CMS als „effektiv“ einzustufen, um von einem Bußgeldrabatt zu profitieren? Das DoJ stuft ein CMS dann als effektiv ein, wenn es mindestens die nachfolgenden fünf Grundpfeiler aufweist:

1. Das Senior Management und das Verkaufspersonal müs-sen kartellrechtlich geschult werden. Zusätzlich zum Präsenz- muss ein eins-zu-eins-Unterricht für Mitarbeiter durchgeführt werden, die einem hohen Risiko ausgesetzt sind (nebst Vorher/Nachher-Prüfung).

2. Ein Kontakt mit Wettbewerbern ist – sofern praktikabel – nur nach Einwilligung des Unternehmens (z. B. Rechts-abteilung) zulässig. Zusätzlich muss ein Bericht zu jedem Wettbewerberkontakt angefertigt werden, der von einem Unternehmensjuristen begutachtet wird.

3. Vertriebsmitarbeiter müssen bestätigen, sämtliche Preise unabhängig festgesetzt – und keinerlei Informationen mit Wettbewerbern ausgetauscht – oder aber Vereinbarungen geschlossen zu haben, die die Preissetzung betreffen.

4. Es muss eine Whistleblower-Hotline eingerichtet werden.5. Das Senior Management muss sich zur Kartellrechtscom-

pliance bekennen, „a true corporate priority at the top“.Neben diesen Mindestvoraussetzungen werden in den o.  g. Redebeiträgen weitere Voraussetzungen skizziert, die ebenfalls bedacht werden sollten, wie z. B. eine regelmäßige Risikoanalyse des Unternehmens, nebst regulärer Überprüfung des bestehenden CMS. Falls etwaige Kartellrechtsverstöße nicht aufgedeckt werden konnten, muss das CMS an den neuralgischen Punkten verbessert werden. Bedacht werden sollten auch Disziplinarmaßnahmen gegenüber Mitarbeitern.

FazitFür den deutschen Gesetzgeber sollte der klare Richtungswech-sel der US-Justiz ein deutlicher Anreiz sein, CMS künftig bei der Bußgeldbemessung auch hierzulande zu berücksichtigen. In der Praxis investieren Unternehmen sehr viele Mittel in die Implemen-tierung von effektiven kartellrechtlichen CMS, um etwaigen Kar-tellrechtsverstößen wirksam vorzubeugen. Selbstverständlich ist es hierbei nicht von der Hand zu weisen, dass auch das beste CMS praktisch keinen 100%igen Schutz vor Kartellrechtsverstößen bietet. Dies stellt allerdings keine Besonderheit des Kartellrechts dar. Dennoch bietet eine gesetzliche Regelung einen normierten wirtschaftlichen Anreiz auch für kleinere Unternehmen, effektive CMS aufzusetzen. Rechtspolitisch würde eine solche Maßnahme die Kartellverfolgung durch die hiesigen Kartellbehörden flankie-ren und zu einer weitaus flächendeckenderen Durchsetzung des Kartellrechts führen, als die bloß repressive behördliche Kartell-verfolgung.

Dr. Jens Steger, Rechtsanwalt, Kaye Scholer LLP, Frankfurt

Kontakt: [email protected]

»WUW1188103

Beispiel USA: Berücksichtigung von Compliance Management Systemen bei der Bußgeldbemessung

METATAGS: meta_zeitschrift_WUW; meta_doctype_Gastkommentar; meta_SiriusID_1188103; meta_RawID_0;

WuW Nr. 02 05.02.201650

www.wuw-online.deAbhandlungen Coppik / Haucap: Behandlung von Preisschirme�ekten

Dr. Jürgen Coppik ist mit dem Unternehmen Coppik Economics selbst-ständiger Unternehmensberater und Lehrbeauftragter am Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Prof. Dr. Justus Haucap ist Direktor des DICE.Kontakt: [email protected]

In den letzten Jahren weisen sowohl die Zahl der aufgedeckten Kartellverstöße als auch die verhängten Bußgelder eine stark an-steigende Tendenz auf. Bei der Bemessung schadensorientier-ter Bußgeldbeträge, aber auch bei der Bestimmung möglicher Kartellschäden in sich inzwischen häufig anschließenden Scha-densersatzprozessen, erlangt die Frage nach der Behandlung von Preiserhöhungen nicht am Kartell beteiligter Unternehmen als Reaktion auf die Kartellpreisbildung zunehmende Bedeu-tung. In der vorliegenden Arbeit werden die verschiedenen Er-klärungsansätze derartiger Preisschirmeffekte untersucht und unter besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Entschei-dungen in Sachen „Kone“ und „Flüssiggas“ Folgerungen für die Behandlung des Themas in der Rechtspraxis abgeleitet.

I. EinleitungII. Die ökonomische Problematik von Preisschirme�ekten 1. Grad der Substituierbarkeit und Produktdi�erenzie-

rung 2. Angebotsverhalten der Kartellaußenseiter 3. Konsequenzen für Auftreten, Richtung und Höhe von

Preisschirme�ektenIII. Die Behandlung von Preisschirme�ekten in der

gerichtlichen Entscheidungspraxis 1. Zur Kausalitätsfrage (Kone) 2. Probleme einer Vergleichspreisbestimmung

„im selben Markt“ (Flüssiggas)IV. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

I. EinleitungSeit Einführung der Kronzeugenregelung kommt es spürbar häufiger zur Aufdeckung von Kartellen teilweise erheblichen Aus-maßes.1 Kartellverstöße haben neben Bußgeldern zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen die Kartellanten zur Folge, und zwar i. H. der wirtschaftlichen Schäden, die anderen Marktteil-nehmern – insbesondere Kunden – durch die Zuwiderhandlung entstanden sind. Sowohl im Zusammenhang einer Sanktions-bemessung, die sich an der Höhe kartellbedingter Mehrerlöse orientiert, als auch in zivilrechtlichen Schadensersatzprozessen, in denen Kartellschadensersatz verlangt wird, befasst sich die Fachwelt zunehmend auch mit der Frage sog. „Preisschirmef-fekte“. Darunter werden Preisänderungen von nicht am Kartell beteiligten Unternehmen (Kartellaußenseitern) in Reaktion auf die kartellbedingt veränderten Marktbedingungen verstanden.

1 Vgl. Monopolkommission, 20. Hauptgutachten: Eine Wettbewerbsordnung für die Finanzmärkte, 2014, Rn. 134 �., 142.

Obwohl im Sanktions- und Kartellzivilrecht unterschiedliche Beweisstandards gelten und insbesondere Schätzungen im Zusammenhang kartellbedingter Mehrerlöse den jeweiligen und durchaus unterschiedlichen prozessrechtlichen Anforde-rungen im Einzelfall genügen müssen, ist die grundsätzliche ökonomische Methodik zur Ermittlung der zugrundeliegenden kartellbedingten Preiseffekte in beiden Fallgruppen gleich. Deshalb können und sollen im Hinblick auf die hier untersuchte Bedeutung von Preisschirmeffekten zwei in ganz unterschied-lichen Verfahrensarten ergangene Urteile betrachtet werden. Dies ist zum einen die im Zusammenhang von Schadensersatz-forderungen ergangene Entscheidung des EuGH in Sachen Kone et al2 (im Folgenden „Kone“) und zum anderen das kurz zuvor ergangene Urteil des OLG Düsseldorf in Sachen Flüssiggas,3 in dem es um eine Bußgeldbemessung aufgrund einer Mehrerlös-berechnung nach dem GWB 1999 ging.Im Verfahren Kone war dem EuGH in einem Vorabentschei-dungsersuchen des Obersten Gerichtshofes der Republik Österreich die abstrakte Rechtsfrage vorgelegt worden, ob eine Auslegung und Anwendung innerstaatlichen Rechts, wonach es aus Rechtsgründen kategorisch ausgeschlossen ist, dass die an einem Kartell beteiligten Unternehmen zivilrechtlich für Schäden haften, die daraus resultieren, dass ein an die-sem Kartell nicht beteiligtes Unternehmen in Anbetracht der Machenschaften des Kartells seine Preise höher festgesetzt hat, als es dies ohne das Kartell getan hätte, mit Art. 101 AEUV in Einklang steht, was der EuGH verneint hat.4

Im noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren Flüs-siggas sind BKartA und diesem folgend das OLG Düsseldorf zu dem Ergebnis gelangt, dass die führenden Flüssiggasanbieter in Deutschland sich darauf verständigt hatten, sich gegenseitig keine Kunden abzuwerben. Grundlage für die Bußgeldbemes-sung war entsprechend des zur Zeit des Verstoßes geltenden Rechts der Mehrerlös.5 Das BKartA und auch das OLG Düs-seldorf haben diesen Mehrerlös aufgrund eines Vergleiches der Preise der an der vorgeworfenen Absprache beteiligten Unternehmen, welche ca. die Hälfte des Marktes ausmachten, mit den Preisen kleinerer, sog. freier in diesem Markt tätiger Anbieter (m. a. W. Kartellaußenseitern) ermittelt. Das BKartA hatte hierbei in Einzelfällen Preisunterschiede von bis zu 100 % festgestellt,6 obwohl Flüssiggas ein homogenes Gut wie z. B.

2 EuGH, Urt. v. 05.06.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 = WuW/E EU-R 3030 = WuW 2014, 783 – Kone u.a.

3 OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.04.2013, VI-4 Kart 2-6/10 – Owi-Flüssiggas. Die Unternehmen haben Rechtsbeschwerde zum BGH eingelegt. Die Urteilsbegründung des OLG war zeitweilig in der Entscheidungsdatenbank NRW verö�entlicht, wurde jedoch wieder entfernt.

4 EuGH, Urt. v. 05.06.2014 (Fn. 2) – Kone u.a.5 Anzuwenden war § 81 Abs. 2 GWB 1999. Die danach vorgenommene Mehrerlösermittlung ent-

spricht methodisch der Schadensberechnung: In beiden Fällen geht es um die kartellbedingte Erlösdi�erenz der jeweils betro�enen Unternehmen.

6 Vgl. BKartA, Pressemitteilung v. 19.12.2007, Bundeskartellamt verhängt Millionenbußen gegen Flüssiggasunternehmen, http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Presse-mitteilungen/2007/19_12_2007_Flüssiggaskartell.html (zuletzt abgerufen am 10.12.2015).

»WUW1187936

Jürgen Coppik / Justus Haucap, Düsseldorf

Die Behandlung von Preisschirme�ekten bei der Bestimmung von Kartellschäden und Mehrerlösen

WuW Nr. 02 05.02.2016 51

www.wuw-online.de AbhandlungenCoppik / Haucap: Behandlung von Preisschirme�ekten

Heizöl sei. Das OLG Düsseldorf hat aufgrund einer größeren Datengrundlage nur noch geringe Preisunterschiede feststel-len können. Unabhängig davon haben das BKartA und diesem folgend das OLG Düsseldorf einen Preisvergleich im (vermeint-lich) kartellbefangenen Markt selbst vorgenommen.Zielsetzung der vorliegenden Ausarbeitung ist es, vor dem Hintergrund dieser beiden Entscheidungen Einflussfaktoren aufzuzeigen, von denen Preisschirmeffekte hinsichtlich Auf-treten, Richtung und Höhe abhängen, und Folgerungen für deren Handhabung bei der Ermittlung von Kartellschäden bzw. Mehrerlösen abzuleiten.7 Dabei werden die Auswirkun-gen der Zuwiderhandlung auf die Preisbildung von solchen Preiseffekten unterschieden, die in gleicher Weise auch ohne den Wettbewerbsverstoß aufgetreten wären und folglich dem Wettbewerb in dieser Hinsicht immanent sind. Nur erstere lassen sich als Reaktion auf die Kartellbildung interpretieren und können somit Auslöser eines in diesem Kontext relevanten Preisschirmeffektes sein.

II. Die ökonomische Problematik von Preisschirmeffekten

Generalanwältin Kokott beschreibt in ihren Schlussanträgen zu dem Vorabentscheidungsersuchen in Sachen Kone Preis-schirmeffekte wie folgt:

„Von Preisschirme�ekten wird gesprochen, wenn Unternehmen, die selbst nicht an einem Kartell beteiligt sind (sog. Kartellaußenseiter), im Windschatten der Machenschaften dieses Kartells, gleichsam unter ‚dem Schirm des Kartells‘, ihre eigenen Preise – wissentlich oder unwissentlich – höher festsetzen, als ihnen dies unter Wettbe-werbsbedingungen möglich gewesen wäre.“8

Es geht also um Preisanpassungen von Kartellaußenseitern, die nur dadurch ermöglicht werden, dass ein Kartell den Wett-bewerb auf dem betroffenen Markt einschränkt, zu denen die Außenseiter also bei unbeeinträchtigtem Marktgeschehen nicht in der Lage gewesen wären. Wie derartige Reaktionen auf eine kartellbedingt veränderte Marktsituation ausfallen, hängt von denjenigen Faktoren ab, die den marktwirtschaft-lichen Handlungsspielraum der Nicht-Kartellanten auch in Anbetracht höherer Kartellpreise weiterhin eingrenzen.

1. Grad der Substituierbarkeit und ProduktdifferenzierungZunächst müssen die Leistungsangebote von Kartellmit-gliedern und Außenseitern aus Sicht der Nachfrager in einer Substitutionsbeziehung zueinander stehen. Dies ist Grund-voraussetzung dafür, dass die Veränderung eines Angebots-parameters bei einem Marktteilnehmer oder einer Gruppe von Marktteilnehmern, hier dem Kartell, bei anderen Markt-teilnehmern Handlungsspielräume eröffnen bzw. Reaktionen hervorrufen kann. Fehlt hingegen jegliche Substitutionsbezie-hung zwischen zwei Gütern, so gehören diese auch nicht zum selben relevanten Markt. Erhöht ein Kartell nun den Preis für eine Leistung, so haben die Nachfrager die Möglichkeit, auf das Substitut auszuweichen. Je näher Substitute den betreffenden Waren oder Dienstleistungen sind, d. h. umso eher sie sich aus Sicht der Nachfrager zur Befriedigung desselben Bedarfs eig-

7 In Ansehung der bereits vorliegenden umfangreichen Abhandlungen über die Existenz von Preisschirme�ekten (vgl. etwa Blair/Maurer, 4 Utah L. Rev. (1982), 763; Inderst/Thomas, Scha-densersatz bei Kartellverstößen, 2014, S. 305 �.) wird in der vorliegenden Ausarbeitung insbe-sondere auch Augenmerk auf Umstände gelegt, die bei den verschiedenen Erklärungsansätzen dem Auftreten von Preisschirme�ekten entgegenstehen können.

8 GA Kokott, Schlussanträge. v. 30.01.2014, ECLI:EU:C:2014:45, Rn. 2 – Kone u.a.

nen, desto größer wird die Bereitschaft eines Kunden sein, den Anbieter zu wechseln.9 Diese Wechselbereitschaft ermöglicht es sodann den Anbietern von Substituten, ihr Angebotsverhal-ten gewinnbringend zu verändern.

a) Implikationen des BedarfsmarktkonzeptesNach st. Rspr. des BGH erfolgt die Abgrenzung sachlich rele-vanter Märkte anhand des Bedarfsmarktkonzeptes. Danach sind dem relevanten Angebotsmarkt alle Produkte und Dienst-leistungen zuzurechnen, die aus Sicht der Nachfrager nach Eigenschaft, Verwendungszweck und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs austauschbar sind.10

Eine Substitutionsbeziehung ist also innerhalb eines auf diese Art abgegrenzten Marktes qua Definition gegeben. Allerdings ist auch auf ein- und demselben Markt Produktdifferenzierung möglich. Im Fall Flüssiggas hat das BKartA alle Anbieter schon aufgrund des Vertriebes des DIN-normierten und damit zumin-dest aus technischer Sicht geradezu perfekt austauschbaren Gutes Flüssiggas als demselben Markt zugehörig angesehen.11 Allerdings reflektiert das Gas allein bei näherer Betrachtung nicht die Wertschöpfung der Flüssiggasunternehmen, denn keines der Unternehmen stellt das Flüssiggas selbst her, sie kaufen es ihrerseits ein. Der Wettbewerb erfolgt in der Flüs-siggasbranche u. a. über den Vertrieb und die Auslieferung. Hier bestehen durchaus Unterschiede in Inhalt und Reichweite des Angebotes. Einige Unternehmen konzentrieren sich auf bestimmte Regionen, z. T. urbane Zentren, wohingegen andere Anbieter ein bundesweites Liefernetz unterhalten, also auch in der Fläche anbieten.12 Auch vermieten einige Unternehmen den Tank für die Einlagerung des Gases an den Abnehmer, andere dagegen setzen für eine Belieferung voraus, dass der Kunde einen solchen Tank selbst bereitstellt, also zu Eigentum erwor-ben hat.13 Das Angebot der Unternehmen besteht folglich nicht allein im Flüssiggas, sondern in einem teilweise recht unter-schiedlichen Leistungsbündel, das neben der Gaslieferung auch diverse Dienstleistungen (wie etwa die Vermietung von Tanks) beinhaltet. Derartige Unterschiede in den Angeboten können aus Sicht der Nachfrager relevante Produktdifferenzierungen darstellen, die den Grad der Substituierbarkeit auch bei grund-sätzlich gegebener Austauschbarkeit beeinträchtigen können. Sie können überdies kostenrelevant sein und ein Preisdifferen-zial als wettbewerbskonform rechtfertigen. Preisdifferenziale können dann Ausdruck von Produktdifferenzierung und unter-schiedlichen Produktstrategien sein. Diese Differenzierung ist jedoch gerade ein Kernelement funktionsfähigen Wettbewerbs und nicht etwa ein Wettbewerbsversagen.Eine Wechselwirkung kann auch zwischen Produkten unter-schiedlicher Märkte gegeben sein. Die formale Zugehörigkeit zu einem Markt ist insoweit eine künstlich gezogene Grenze, denn die dadurch suggerierte binäre Unterscheidung in

9 Vgl. Inderst/Maier-Rigaud/Schwalbe, WuW 2014, 1043, 1047.10 BGH, Urt. v. 06.12.2011, KVR 95/10, Rn.  27 – Total/OMV; BGH, Urt. v. 30.03.2011, KZR 6/09,

WuW/E DE-R 3303 = WuW 2011, 739, Rn. 12 – MAN-Vertragswerkstatt.11 Vgl. BKartA, Fallbericht B11-20/05, 2009 – OWiG-Verfahren Flüssiggas.12 Vgl. etwa die Übersicht verschiedener lokaler, regionaler und überregionaler Anbieter unter

http://www.infofarm.de/linksammlung.php?Kat=603 (zuletzt abgerufen am 12.11.2015) sowie den Jahresbericht Deutscher Verband Flüssiggas, http://www.dvfg.de/�leadmin/user_upload/Verband_-_Markt_-_etc/DVFG-Jahresbericht-2014.pdf (zuletzt abgerufen am 12.11.2015) für die im Deutschen Verband Flüssiggas (DVFG) organisierten Unternehmen.

13 Vgl. BKartA, Fallbericht B11-20/05 (Fn.  11) – OWiG-Verfahren Flüssiggas; Bund der Ener-gieverbraucher, http://www.energieverbraucher.de/de/preise__93/ (zuletzt abgerufen am 12.11.2015).

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„austauschbar oder nicht“ existiert in dieser Form nicht. In der Realität sind die Übergänge fließend: Waren und Dienst-leistungen sind mehr oder weniger substituierbar.14 In der Telekommunikation beispielsweise wird Festnetztelefonie gemeinhin als nicht hinreichend austauschbar mit Mobilte-lefonie, die Erreichbarkeit an einem bestimmten Ort nicht als vollwertiges Substitut zu jederzeitiger ortsunabhängiger Erreichbarkeit angesehen. Folglich werden sie i. d. R. (noch) unterschiedlichen Märkten zugeordnet.15 Dennoch sind beides Möglichkeiten, eine Person fernmündlich zu kontaktieren, und solange sich diese Person in der Nähe ihres Festnetzanschlus-ses aufhält, sind beide Dienste sogar gleichwertig. Je größer das Preisgefälle zwischen diesen Diensten, desto mehr werden Nachfrager geneigt sein, trotz möglicherweise nur partieller funktioneller Substituierbarkeit, im Rahmen dessen auf den günstigeren Dienst auszuweichen.Aus der Marktabgrenzung nach dem Bedarfsmarktkonzept ergibt sich jedoch, dass eine Substituierbarkeit innerhalb eines definierten Marktes höher sein muss als zwischen Gütern, die nicht demselben Markt zugerechnet werden. Die Produktdiffe-renzierung zwischen Wettbewerbern innerhalb eines Marktes ist folglich tendenziell geringer, die Ausweichbereitschaft der Nachfrager und damit das Potenzial für Preisschirmeffekte grundsätzlich höher als zwischen Anbietern aus unterschied-lichen Märkten.

b) WechselkostenJe höher der Grad der Substituierbarkeit, desto größer wird das Potenzial für Außenseiter eingeschätzt, von einer Kartell-preiserhöhung zu profitieren.16 Allerdings können mögliche Wechselkosten den im Fahrwasser eines Kartells resultieren-den Preiserhöhungsspielraum für die Außenseiter durchaus beschränken. Wechselkosten können materieller oder immate-rieller Natur sein.17 Möchte beispielsweise ein Flüssiggaskunde mit gemietetem Tank zu einem anderen Anbieter wechseln, so müsste er zuvor den Tank auswechseln und selbst einen Tank erwerben oder erneut einen anderen Tank anmieten. Derartige Aufwendungen stellen direkte Kosten der Substitution dar, die (auch unter Wettbewerb) durch den Preisvorteil infolge des Wechsels kompensiert werden müssen, und schränken Preissetzungsspielräume ein.18 Eine weitere typische Wechsel-barriere ist die i. d. R. mit einem Anbieterwechsel verbundene Unsicherheit: Während der Nachfrager beim bisherigen Anbie-ter recht genau weiß, was er bekommt (z. B. welche Servicequa-lität er erwarten kann), ist dies bei einem Wechsel zu einem anderen Anbieter, mit dem der Nachfrager i. d. R. noch keine Erfahrungen gesammelt hat, zunächst weniger sicher. Diese Unsicherheit kann, je nach Produkt und Leistungsumfang, sehr

14 Der Terminus „Kartellaußenseiter“ ist daher im weiteren Verlauf i. S. eines Oberbegri�es für alle Anbieter zu verstehen, die aus Sicht der Nachfrager das Kartells als Substitute, sei es vollwertig oder nur teilweise, in Frage kommen und deren Nachfrage sich folglich in Abhängigkeit einer Kartellpreisbildung ändern kann, unabhängig davon, ob sie formal demselben Markt zugeord-net sind.

15 Vgl. BNetzA, Festlegung v. 02.01.2012, BK 1-10/001, S. 88 – Anrufzustellung in einzelnen Mobil-funknetzen, Markt Nr. 7 der Märkteempfehlung 2007.

16 Vgl. Beth/Pinter, WuW 2013, 228, 232; Inderst/Thomas (Fn. 7), S. 10.17 Immaterielle Wechselkosten können etwa bei der Änderung eines Bankkontos oder der Tele-

fonnummer in Form des Aufwandes durch das erforderliche in Kenntnis Setzen aller relevanter Personen und Institutionen auftreten. Ebenso ist eine mögliche Unsicherheit über die Service-qualität oder Kundenfreundlichkeit alternativer Anbieter eine immaterielle Wechselbarriere.

18 Für eine allgemeine ökonomische Darstellung von Wechselkosten vgl. Farrell/Klemperer, in: Armstrong/Porter, Handbook of Industrial Organization, Bd. 3, 2007, S. 1967.

unterschiedlich stark ausgeprägt sein, wird aber regelmäßig als eine mögliche immaterielle Wechselbarriere identifiziert.19

c) RestwettbewerbDas Potenzial von Außenseitern, von einer Kartellpreiserhö-hung zu profitieren, kann ferner durch Restwettbewerb20 unter den Außenseitern verringert werden. Zur Veranschaulichung diene folgendes Beispiel in Anlehnung an Generalanwältin Kokott aus dem Kone-Verfahren.Der Kartellpreis liege bei 120, der unter Wettbewerbsbedingun-gen erzielbare Preis bei 100. Hat der Kartellaußenseiter genügend freie Kapazitäten, um zusätzliche Nachfrage bedienen zu kön-nen, so habe er (auch dann21) einen Anreiz, seinen Preis auf 110 anzuheben. Dies sei wirtschaftlich rational und vorhersehbar.22

Das ist für eine Situation mit nur einem Außenseiter zutreffend. Genau genommen hätte dieser bei vollständiger Substituier-barkeit und in Abwesenheit von Wechselkosten ein Interesse, seinen Preis soweit an jenen des Kartells anzunähern, dass Nachfrager gerade noch wechselbereit sind, im Idealfall also auf 119.23 Befinden sich jedoch weitere nicht dem Kartell zugehörige Anbieter im Markt, so haben diese einen Anreiz, den Preis des ersten Außenseiters ihrerseits zu unterbieten, zunächst auf 118, usw. Im Wettbewerb unter den Außenseitern würde sich der Preis also wieder auf das Wettbewerbsniveau zubewegen.Weiterhin würde in einem solchen Fall hoher Substituierbar-keit bei geringen Wechselkosten und genügend freien Kapazi-täten das Kartell schnell unrentabel werden, da es erheblich an Nachfrage einbüßen müsste (sog. Mengeneffekt).Je höher der Grad der Substituierbarkeit und je größer damit das vermutete Potenzial für einen Preisschirmeffekt einerseits, umso wirksamer wird zugleich durch einen wettbewerbli-chen Rand – ceteris paribus – die Möglichkeit für ein Kartell begrenzt, seinen Preis profitabel über das Wettbewerbspreis-niveau anzuheben.24 Bei homogenen Gütern und effektivem Restwettbewerb wäre daher auch ein Preisschirmeffekt eher unwahrscheinlich. Es wäre vielmehr ein recht einheitliches Marktpreisniveau zu erwarten.Haben die Sachverhaltsermittlungen bei funktionierendem Restwettbewerb ein Preisgefälle zwischen Kartell und Rest-wettbewerbern (und möglicherweise noch weitergehende Preisheterogenität innerhalb dieser beiden Gruppen) ergeben, so kann dies ein Indiz für Defizite in der Austauschbarkeit der angebotenen Leistungen der einzelnen Anbieter, mithin für Produktdifferenzierung innerhalb des Marktes,25 oder

19 Vgl. etwa schon Schmalensee, 72 Am. Econ. Rev. (1982), 349.20 In der Literatur auch als neben einem Kartell verbliebener „wettbewerblicher Rand“ bezeichnet,

vgl. Inderst/Maier-Rigaud/Schwalbe, WuW 2014, 1043.21 Zur Bedeutung freier Kapazitäten bzw. Mengenanpassungen s. Abschnitt II.2.a.22 GA Kokott, Schlussanträge v. 30.01.2014 (Fn. 8), Rn. 50 – Kone u.a.23 Soweit ihm keine Preisdiskriminierung zwischen Neu- und Bestandskunden möglich ist, müsste

der Anbieter bei seinem Kalkül allerdings die Reaktion seiner aktuellen Kunden auf eine derarti-ge Preiserhöhung berücksichtigen.

24 Koordinierte E�ekte unter den Kartellaußenseitern, etwa ein Parallelverhalten i. S. einer stets einheit-lichen Reaktion auf eine weitere Kartellpreiserhöhung, würden die Intensität eines derartigen Rest-wettbewerbs allerdings einschränken. So wie die Abstimmung der kartellierten Unternehmen dem Zweck dient, sich am Markt wie ein einziger (marktbeherrschender) Anbieter zu verhalten, würde die Wettbewerbsvielfalt unter den Außenseitern durch implizite Kollusion reduziert.

25 Bei vollständig homogenen Produkten (und Kosten) ließen sich Preisaufschläge nicht durchset-zen. Fallen die Preise der Anbieter folglich stark unterschiedlich aus, so kann dies auf eine Zu-gehörigkeit zu verschiedenen Märkten hindeuten, vgl. Komm., Entsch. v. 4.12.1996, IV/M.774, Rn. 67 – Saint Gobin/Wacker Chemie/NOM; Komm., Entsch. v. 23.9.2008, COMP/M.4980, Rn. 73 – ABF/GBI Business.

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Wechselhürden sein, welche wiederum wettbewerbskonforme Preisunterschiede begründen können.

2. Angebotsverhalten der KartellaußenseiterNeben der Substitutionsnähe des Leistungsangebots eines Kartellaußenseiters und Wechselkosten bestimmen auch die Art des Wettbewerbs und die Stellung des jeweiligen Anbie-ters auf dem betroffenen Markt, wie dessen Reaktion auf eine Preisanhebung eines Kartells über das Marktpreisniveau ver-mutlich ausfallen wird.

a) Art des WettbewerbsIm Extremfall vollständiger Konkurrenz kann ein einzelner Anbieter selbst keinen Einfluss auf den Preis ausüben. Er ist sog. Preisnehmer und reagiert auf Änderungen des Marktprei-ses allein mit einer Anpassung seiner Angebotsmenge.26 Diese Ausbringungsmenge wählt er so, dass seine Grenzkosten, also die Kosten der letzten produzierten Einheit, gerade dem Preis entsprechen, den er dafür erzielen kann.27 Vorausset-zung ist jedoch, dass die Außenseiter mit ihren Kapazitäten die gesamte Marktnachfrage bedienen können, es also keine Kapazitätsbeschränkungen gibt.Existieren hingegen zumindest kurzfristig Kapazitäts-beschränkungen, verwenden Ökonomen i.  d.  R. das sog. Cournot-Modell. In diesem Modell wählen Anbieter ihre Produktionsmenge so, dass sich Grenzerlöse und Grenzkos-ten gerade gleichen. Der Grenzerlös wird dabei durch zwei Elemente bestimmt: Den zusätzlichen Erlös für die zusätzlich verkaufte Einheit abzüglich etwaiger Preissenkungen für die „Bestandskunden“, die erforderlich sind, um eine Einheit zusätzlich zu verkaufen. Auf die Einschränkung der angebo-tenen Mengen durch ein Kartell reagieren Kartellaußenseiter durch eine Mengenausdehnung, da angesichts höherer Preise auch höhere Grenzerlöse erzielt werden und somit eine Pro-duktionsausdehnung lohnend ist. In welchem Ausmaß diese Ausdehnung der Produktionsmenge erfolgt, hängt sowohl vom Ausmaß der kartellbedingten Preissteigerung ab als auch vom Verlauf der Kostenfunktionen sowie von der Intensität des Restwettbewerbs unter den Kartellaußenseitern. Je stärker die Grenzkosten ansteigen, desto geringer wird die Ausdehnung der Produktionsmenge ausfallen.Sind die Produkte und dazugehörigen Leistungen nun zudem differenziert und zumindest aus Sicht einiger Nachfrager nicht vollständig austauschbar, z. B. aufgrund von Wechselkosten, so werden die Kartellaußenseiter in Reaktion auf eine Kar-tellbildung bei mengengetriebenem Wettbewerb die Produk-tionsmenge ebenfalls in Reaktion auf ein Kartell ausdehnen. Das Ausmaß dieser Ausdehnung hängt nun auch vom Ausmaß der Substituierbarkeit ab: Je schwächer diese ist, desto weni-ger werden die Kartellaußenseiter überhaupt auf das Kartell reagieren.Ist der Wettbewerb jedoch vor allem preisgesteuert und sind Produktionskapazitäten weitgehend irrelevant (sog. Bertrand-Wettbewerb28), dann reagieren die Kartellaußenseiter auf eine Preiserhöhung des Kartells ihrerseits auch mit einer Preiser-höhung. Das Ausmaß dieser Reaktion hängt wiederum ab vom Ausmaß der Kartellpreiserhöhung, vom Grad der Substituier-

26 So das ökonomische Standard-Konkurrenzmodell, vgl. Varian, Grundzüge der Mikroökonomik, 8. Au�. 2011, S. 442 f.

27 Vgl. Stiglitz/Walsh, Mikroökonomie, 4. Au�. 2010, S. 253; Varian (Fn. 26), S. 444 f.28 Vgl. Motta, Competition Policy, 2004, S. 552 f.

barkeit sowie der Intensität des Restwettbewerbs unter den Außenseitern.Wie sich die Preise in Reaktion auf eine Kartellbildung ent-wickeln, hängt folglich in jedem Fall auch von der Kosten-struktur der Außenseiter ab. Diese können von Branche zu Branche, aber auch zwischen Unternehmen derselben Branche erhebliche Unterschiede aufweisen.29 Steigende Grenzkosten (und damit steigende durchschnittliche Stückkosten) werden gemeinhin als Normalfall angesehen.30 Gegen eine Produktion im Bereich sinkender Stückkosten wird hingegen eingewandt, dass in einem solchen Fall schon vor dem Kartellschluss eine Ausweitung der Produktionsmenge profitabel gewesen wäre und – rationales Verhalten unterstellt – bereits hätte vollzo-gen werden müssen.31 Der Annahme steigender Grenzkosten wird teilweise eine Reproduktionsthese entgegengehalten, wonach es einem Hersteller möglich sein sollte, seine Aus-bringungsmenge zu gleichen Kosten zu verdoppeln, indem er seine Produktionsstätte schlicht in genau der gleichen Weise dupliziert.32 Letzteres Argument vernachlässigt jedoch Vertriebs-, Transport- und vor allem Transaktionskosten. Welche Kostenstruktur in der betroffenen Branche und bei den einzelnen Unternehmen vorliegt, ist letztlich eine Frage der Sachverhaltsermittlung.33

b) TrittbrettfahrerEin weiterer Erklärungsansatz für Preisschirmeffekte ist der des sog. Trittbrettfahrens. Er abstrahiert von jeglicher Mengenreaktion und unterstellt, dass ein Kartellaußenseiter anhand der beobachteten Kartellpreiserhöhung für sich die Gelegenheit erblickt, seine Gewinnmarge bei rein statischer Betrachtung durch eine an der Kartellpreiserhöhung orien-tierte Anhebung seines eigenen Preises zu vergrößern, ohne die Mengen anzupassen, bzw. ohne dass etwaige Ausweitun-gen der Angebotsmenge einen Einfluss auf sein Preiskalkül hätten.34

Eine solche Sichtweise ist jedoch nicht ohne weiteres plausi-bel.35 Sie verfehlt das angestrebte Ziel der Bestimmung eines Kartellpreiseffektes, denn bei dessen Ermittlung ist eine Dif-ferenzbetrachtung vorzunehmen zwischen der Realität und

29 Es kann inzwischen als empirisch gesicherte Erkenntnis gelten, dass in praktisch jeder Branche eine erhebliche Kostenheterogenität zwischen Unternehmen besteht. Ökonometrische Untersu-chungen haben ergeben, dass i. d. R. die 10% e�zientesten Firmen einer Branche mindestens doppelt so e�zient produzieren wie die 10% ine�zientesten, vgl. Syverson, 86 Rev. Econ. Stat. (2004), 534; Syverson, 49 J. Econ. Lit. (2011), 326.

30 Dahinter steht die Annahme, dass ein rational agierender Anbieter zunächst die günstigsten verfüg-baren Konditionen auswählt (sog. Least-Cost-Regel), vgl. Samuelson/Nordhaus, Volkswirtschaftsleh-re, 4. Au�. 2010, S. 209 f. Bei einer Produktionsausweitung muss er dann zunehmend auf (kosten)ungünstigere Alternativen zurückgreifen, etwa Überstunden bezahlen oder weniger geeignete Standorte in Kauf nehmen. Diese theoretische Sicht stellt allerdings hohe Anforderungen an den Produzenten. So müsste er beispielsweise jederzeit über die Kosten aller verfügbaren Produktions-faktoren vollständig informiert sein, wovon in der Realität nur selten auszugehen sein wird.

31 Vgl. Inderst/Thomas (Fn. 7), S. 308, Fn. 1358.32 Eine solche Produktionsstruktur liefert konstante Skalenerträge, vgl. Varian (Fn. 26), S. 379.33 Nicht selten werden sich Größenvorteile in gewissem Umfang, etwa durch die Realisierung höherer

Rabattstufen oder weiterer Großkundenkonditionen im Einkauf oder verbesserte Rationalisie-rungsmöglichkeiten und größere E�zienzpotenziale, feststellen lassen. Dabei ist allerdings zu be-rücksichtigen, dass ein Kartell vermutlich nicht gebildet worden wäre, wenn (Rest-) Wettbewerber oder Neueinsteiger es durch relativ einfache Anpassungen ihres Angebotes „überholen“ können.

34 Vgl. etwa GA Kokott (Fn. 8), wonach sich eine Preisanhebung unabhängig von einer möglichen Ausweitung der Angebotsmenge einstellen soll.

35 Ebenso könnte der Außenseiter in den Kartellpreisen eine günstige Gelegenheit für eine ag-gressive Strategie sehen, um mit einer Preissenkung Marktanteile zu gewinnen. Solche Markt-teilnehmer werden „Herausforderer“ oder „Mavericks“ genannt (vgl. Motta (Fn. 28), S. 143) und können als das Gegenteil von Trittbrettfahrern angesehen werden.

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jener hypothetischen Situation, die sich in dem konkreten Fall unter Wettbewerbsbedingungen eingestellt hätte. Dieser Ver-gleich enthält eine Preis- und eine Mengenkomponente, denn jeder Erlös ergibt sich aus der Multiplikation von Verkaufs-preis und Absatzmenge. Zwischen beiden besteht ein kausaler Zusammenhang: Jedem Preis entspricht stets eine spezifische Absatzmenge, denn zu jedem Preis sind die Nachfrager bereit, eine ganz bestimmte Menge abzunehmen. Typischerweise steigt diese Menge, wenn der Preis fällt, und umgekehrt.36 Die somit zwangsläufig zu erwartenden Mengenreaktionen der Nachfrage auf eine Preisänderung muss und wird der Anbieter in sein Kalkül einbeziehen. Diese Mengenreaktion hängt ent-scheidend von der Preiselastizität der Nachfrage ab.Eine Mengenreaktion auf eine Preisanhebung kann unter the-oretischen Gesichtspunkten allerdings dann ausnahmsweise fortfallen, wenn entweder das Angebot oder die Nachfrage sich vollständig unelastisch verhalten.So wird bei der Betrachtung von Preisschirmeffekten zuweilen davon ausgegangen, dass es sich bei den kartellierten Unter-nehmen um große und seit längerem etablierte Unternehmen handelt, die Außenseiter hingegen relativ klein und eventuell erst vor kurzem in den Markt eingetreten sind. Diese kleineren Kartellaußenseiter verfügen dann nicht über die Kapazität, unmittelbar signifikante Teile der Marktnachfrage überneh-men zu können, sodass eine nennenswerte Mengenausweitung für sie als Reaktionsmöglichkeit ausscheidet.37

Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass derartige Kapazitäts-schranken permanenter Natur sind, denn je langfristiger die Perspektive, umso mehr werden Produktionsfaktoren variabel.38 Die gestiegene Nachfrage wird die Außenseiter in Kombina-tion mit dem erhöhten Marktpreis veranlassen, ihre Kapazi-täten, möglicherweise Schritt für Schritt, auszuweiten, sodass die Mengenbeschränkung sukzessive abgebaut wird und die Außenseiter sich wieder in Richtung „normale“ Preisnehmer entwickeln, welche Preise entsprechend ihren Kosten setzen.In Bezug auf die Nachfrage ist es zwar zutreffend, dass eine geringe Preiselastizität der Gesamtmarktnachfrage als eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Kartell angesehen wer-den kann.39 Vorliegend geht es jedoch in erster Linie um die unternehmensbezogene Nachfrageelastizität, namentlich die Ausweichbereitschaft der Kunden der Kartellunternehmen auf einen alternativen Anbieter. Diese ergibt sich bereits aus dem Substitutscharakter der Angebote, der es Außenseitern überhaupt erst ermöglicht, Nutzen aus einer Kartellpreiserhö-hung zu ziehen. In dem üblicherweise bemühten Fall großer Kartellanten und kleiner Außenseiter, also Preisnehmern, ist eine Nachfrageverschiebung wesentlicher Bestandteil des gängigen Begründungsansatzes für Preisschirmeffekte,40 was zwangsläufig eine in gewissem Umfang elastische unterneh-mensbezogene Nachfrage impliziert.Allerdings benötigt ein funktionierendes Kartell eine gewisse Abschirmung vor einem Abwandern seiner Kunden. Ande-

36 Vgl. Ashurst, Study on the conditions of claims for damages in case of infringement of EC com-petition rules, 2004, S. 15; Bishop/Walker, The Economics of EC Competition Law: Concepts, Ap-plication and Measurement, 3. Au�. 2010, S. 23; Europäische Kommission, Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwi-derhandlungen gegen Art. 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, 2013, S. 65 f.

37 Vgl. Beth/Pinter, WuW 2013, 228, 231.38 Vgl. Varian (Fn. 26), S. 454 f.39 Vgl. Pindyck/Rubinfeld, Mikroökonomie, 8. Au�. 2013, S. 643 �.40 Vgl. Inderst/Thomas (Fn. 7), S. 306.

renfalls wäre die Kollusion nicht profitabel und würde schnell wieder gelöst. Auch die unternehmensindividuelle Nachfrage darf also nicht zu elastisch sein. Im Zusammenhang mit der Bemessung von Kartellschäden bzw. Mehrerlösen kommt es dabei darauf an, worin die Ursachen für eine eingeschränkte Wechselbereitschaft liegen und ob diese wettbewerbswidrig herbeigeführt oder aber dem betreffenden Markt immanent und damit wettbewerbskonform sind. Marktimmanente Wechselschranken können etwa in Form von Transaktions-kosten (Wechselkosten), Stammkundeneffekten, Produktdif-ferenzierung, Informationsunvollkommenheiten oder Kos-tenheterogenität bestehen. Solche abschirmenden Umstände ermöglichen es dem Kartell erst, die für ein Funktionieren der Preisabsprache erforderliche monopolartige Stellung zu schaffen. Für Außenseiter ist es dann erforderlich, einen ent-sprechenden Preisabstand einzuhalten, wollen sie Nachfrager zu einer Überwindung dieser Wechselhürden bewegen. Der-artige Faktoren können zu Preisunterschieden führen, die in gleicher Weise auch ohne das Kartell, also in einem vollständig wettbewerblich ausgerichteten Markt auftreten würden. Ein Preisschirmeffekt kann erst dann einsetzen, wenn das Kartell seine Preise soweit über jene der Außenseiter angehoben hat, dass dieses „Wechseldifferenzial“ überschritten ist. Erst dann hätten die Außenseiter Preissetzungsspielräume bzw. könnte sich eine Nachfragesteigerung bei ihnen einstellen.Wettbewerbswidrige Einschränkungen ließen sich hingegen in dem mutmaßlichen Unterlassen des Konkurrierens um Bestandskunden bei Flüssiggas sowie in den Preisabsprachen im Fall Kone erblicken.Ferner ist auch der Grad der Elastizität in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren. Kurzfristig werden „Wechselketten“ ver-mutlich halten, denn die Preiserhöhung wird eventuell nur als temporärer Preisschock interpretiert. Über eine längere Frist wird die Nachfrage üblicherweise elastischer, da sich damit der Planungshorizont verlängert und auch Substitute mit höherer Amortisationsdauer wirtschaftlich werden. Je länger ein Preisgefälle anhält und je größer es ist, umso mehr Kunden werden etwa bei Flüssiggas bereit sein, in den Erwerb eines eigenen Tanks zu investieren, wenn sie dadurch das Heizmittel von alternativen Anbietern über einen hinreichend langen Zeitraum günstiger beziehen können. Außerdem reagiert typischerweise bei längerfristigen Hochpreisphasen auch die aggregierte Preiselastizität der Nachfrage nach dem betroffenen Gut. Es resultiert eine Reduktion des Verbrauchs.41 Eine langfristig sehr unelastische Nachfrage ist dagegen unwahrscheinlich. Je länger ein (Preis-)Kartell existiert, umso deutlichere Mengeneffekte sind zu erwarten.

c) Verhaltensökonomische AspekteEine Erweiterung der Perspektive rein rationaler Gewinnma-ximierung bieten verhaltensökonomische Erklärungsansätze des Preissetzungsverhaltens von Unternehmen. Sie beziehen zum einen Eigeninteressen der Entscheidungsträger (Prinzipal-Agenten-Problematik42) ein. Zum anderen berücksichtigen sie, dass Menschen sich aufgrund von Transaktions- und Informati-onsbeschaffungskosten nicht völlig rational verhalten können.43

41 Vgl. Pindyck/Rubinfeld (Fn. 39), S. 72 f.; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2. Au�. 2011, S. 56 f.

42 Vgl. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 4. Au�. 2010, S. 217 �., sowie weiterfüh-rend La�ont/Martimort, The Theory of Incentives, 2002.

43 Vgl. Richter/Furubotn (Fn. 42), S. 55 �.

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Sind Geschäftsführer (Agent) und Unternehmensinhaber (Prinzipal) nicht identisch, so ist für die Entscheidung über das Angebotsverhalten zunächst die Perspektive des Agenten maßgeblich. Geschäftsführer können neben der langfristi-gen Gewinnmaximierung auch andere Ziele verfolgen, etwa wenn ihre Zielvorgaben ein Umsatzziel enthalten, woran eine erfolgsabhängige Entlohnungskomponente geknüpft ist oder wenn Unternehmenswachstum zu persönlichem Prestige beiträgt. Dies kann dazu führen, dass eine gemessen an dem Gewinnmaximierungsziel zu hohe Menge und zu geringe Preise gewählt werden.44

Ferner können Manager infolge unvollständiger Information Fehleinschätzungen unterliegen, insbesondere über den Wert, der mit einer bestimmten Entscheidung, etwa für eine aggres-sive, auf Wachstum ausgerichtete Unternehmensstrategie generiert wird. Derartig eingeschränkte Rationalität macht Abweichungen von dem theoretisch optimalen Verhalten möglich. Die „Reaktionsrichtung“ auf eine Kartellpreiserhö-hung lässt sich dann u. U. nicht mehr ohne weiteres eindeutig bestimmen. Aggressive statt modelltheoretisch gewinnmaxi-mierende Preissetzungsstrategien können die Folge sein.45

Solch verhaltensökonomische Aspekte hatte der OGH Wien bei seinem Vorlagebeschluss an den EuGH in Sachen Kone in den Vordergrund gestellt und darin sogar eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs gesehen.46

3. Konsequenzen für Auftreten, Richtung und Höhe von Preisschirmeffekten

Das Auftreten von Preisschirmeffekten in Reaktion auf eine Kartellpreiserhöhung mag intuitiv erscheinen, ist jedoch – wie aufgezeigt – keine ausnahmslose ökonomische Gesetzmä-ßigkeit. Es hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Hierzu zählen neben dem Grad der Substituierbarkeit insbesondere die Kostenstruktur der Kartellaußenseiter und das Ausmaß des Restwettbewerbs sowie das – nicht notwendig in jeder Hinsicht rationale – Verhalten der Anbieter. Daneben kommen marktimmanente Faktoren als wettbewerbskonforme Ursa-chen für die festgestellten Preisstrukturen in Frage, die von dem Kartell unabhängig sein können. Auch der EuGH betont in seinem Kone-Beschluss, dass ein Preisschirmeffekt erst anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Besonderheiten des betreffenden Marktes, nachgewiesen werden muss.47 Dies impliziert, dass auch nach Auffassung des Gerichts ein Preisschirmeffekt nicht regelmäßige oder zwangsläufige Folge eines Kartellpreises ist.Ähnliches gilt für die Richtung einer möglichen Preisreaktion. Gemeinhin werden Preisschirmeffekte, wenn sie auftreten, mit Preiserhöhungen gleichgesetzt. Dies mag zwar häufig die Folge sein, ist jedoch nicht zwangsläufig. So geben etwa Berry und Pakes48 ein Beispiel, wie ein Kartell zu einer Reduzierung der Preise der Kartellaußenseiter führen kann. Ferner wird in der Literatur auf mögliche Änderungen in den Produktionsbe-dingungen durch die kartellbedingte Ausdehnung des Außen-

44 Vgl. Jensen, 76 Am. Econ. Rev. (1986), 323, 327 f.; Hope/Wayne, 46 J. Account. Res. (2008), 592, 618 f.

45 Vgl. Camerer/Malmendier, in: Diamond/Vartiainen, Behavioral Economics and its Applications, 2007, S. 235, 266 f.

46 OGH (Österreich), Beschl. v. 17.10.2012, 7 Ob 48/12b, WuW/E KRInt 445, 447 = WuW 2013, 805 – Umbrella Pricing I.

47 EuGH, Urt. v. 05.06.2014 (Fn. 2), Rn. 34 – Kone u. a.48 Vgl. Berry/Pakes, 83 Am. Econ. Rev. (1993), 247.

seiter-Absatzvolumens hingewiesen, etwa dass bei größerer Menge nunmehr eine andere Technologie eingesetzt werden kann,49 ebenso auf das mögliche alternative Ziel der Markt-anteilsgewinnung durch Mengenausweitung als Reaktion auf den Kartellpreis,50 ggf. verstärkt durch Eigeninteressen der Geschäftsleitung und eingeschränkte Rationalität.51 Derartige Umstände können Preissenkungen als Außenseiterreaktion zur Folge haben.Des Weiteren ist an ein Vorliegen weiterer Marktunvollkom-menheiten zu denken. Die ökonomisch logische Reaktion „Preisanhebung“ unterstellt in der Theorie bestimmte Voraus-setzungen. So ist es zwar theoretisch nicht sinnvoll, dauerhaft im Bereich sinkender Durchschnittskosten anzubieten, da dies nicht dem (abstrakten) Produktionsoptimum entspricht, welches ein rationaler Anbieter auch ohne Vorliegen eines Kartells bereits realisiert hätte.52 Kostenstrukturen können allerdings je nach Branche sehr unterschiedliche Charakte-ristika aufweisen. Tatsächlich existieren Branchen, die durch steigende Skalenerträge gekennzeichnet sind und in denen dennoch intensiver Wettbewerb zwischen mehreren Anbie-tern herrscht, wie z. B. im Mobilfunk.53 In solchen Branchen mit sehr hohen Fixkosten wäre die Erzielung weiterer Skalener-träge durchaus denkbar.54 Dies könnte im Kartellfall sogar zu Preissenkungen infolge einer Mengenausweitung bei einem Außenseiter führen.Hinsichtlich einer quantitativen Bestimmung der Höhe mög-licher Preisschirmeffekte sind insbesondere die marktimma-nenten, von dem Kartell unabhängigen Preisbildungsfaktoren zu berücksichtigen.Aufgrund der zahlreichen möglichen Konstellationen sind Auftreten, Richtung und Höhe eines möglichen Preisschirmef-fektes anhand der im Einzelfall gegebenen Datenlage mit Hilfe der gängigen empirischen Verfahren55 zu bestimmen.

III. Die Behandlung von Preisschirmeffekten in der gerichtlichen Entscheidungspraxis

1. Zur Kausalitätsfrage (Kone)Nach der Entscheidung des EuGH wäre die volle Wirksamkeit des europäischen Wettbewerbsrechts beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch eine Wettbewerbsbeschränkung entstanden ist, soweit ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Daher kann ein durch Preisschirmeffekte Geschädigter Ersatz des ihm durch die Mitglieder eines Kartells entstandenen Schadens verlangen, wenn erwiesen ist, dass dieses Kartell nach den Umständen des Falles und insbesondere den Besonderheiten des betreffenden Marktes ein „umbrella pricing“ durch eigen-ständig handelnde Dritte zur Folge haben konnte, und wenn diese Umstände und Besonderheiten den Kartellbeteiligten

49 Vgl. Inderst/Maier-Rigaud/Schwalbe, WuW 2014, 1043, 1047.50 Vgl. Hartung, ecolex 2012, 498, ebenso im Falle einer Maverick- oder Herausforderer-Strategie,

vgl. o. Fn. 34.51 Vgl. o. Abschnitt II.2.c.52 Vgl. o. Abschnitt II.2.a.53 Vgl. etwa Haucap/Heimesho�/Stühmeier, Z Wirtschaftspol. 2011, 240, 249.54 Zwar unterliegen Netzökonomien wie die Telekommunikationsindustrie i. d. R. einer besonderen

sektorspezi�schen Regulierung. Doch bedeutet dies im vorliegenden Kontext lediglich, dass in besonderem Maße auf die Einhaltung der Wettbewerbsregeln geachtet wird, das Verhalten der Unternehmen also marktkonform sein sollte.

55 Einen Überblick geben Davis/Garcés, Quantitative Techniques for Competition and Antitrust Ana-lysis, 2010, S. 62 �.

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nicht verborgen bleiben konnten. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, sei fallbezogen zu prüfen.56

Dieser Grundsatz steht im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung, wonach sowohl das Auftreten als auch Richtung und Höhe möglicher Preisschirmeffekte von den Marktgege-benheiten im Einzelfall abhängen.Eine Prüfung sollte aus ökonomischer Sicht folgende Schritte umfassen:

– Welche Konstellation lag im konkreten Fall vor, gab es einen Schirmeffekt des Kartells, welche Preiseffekte sind tatsächlich auf diesen zurückzuführen und wären nicht auch ohne die Kartellabrede aufgetreten?

Zunächst wäre der Preiseffekt qualitativ und ggf. quantitativ zu bestimmen. Dies setzt eine präzise Analyse des Marktes voraus. Dabei wären marktimmanente Faktoren als Ursachen für ein Preisgefälle herauszufiltern.

– Waren diejenigen Effekte unter den konkret für die Preis-erhöhung Dritter ursächlichen Gegebenheiten, die auf die Zuwiderhandlung zurückzuführen sind, dem Schädiger bekannt und musste er folglich mit deren Eintritt rechnen?

Ein gutes Verständnis der Marktgegebenheiten wird man i. d. R. bei allen Anbietern vorfinden. Unternehmensinterne Informationen wie Kostenverläufe sind hingegen sensib-ler Natur und der Konkurrenz gewöhnlich nicht im Detail zugänglich. Dies gilt umso mehr für verhaltensökonomische Faktoren, die sowohl von unternehmensinternen, nicht mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehenden und für Außenstehende u. U. kaum erkennbaren Umständen, als auch von der subjektiven Einschätzung handelnder Personen abhängen und damit sehr schwer vorhersehbar sein können.57

– Falls dem Schädiger die konkret ursächlichen Faktoren nicht bekannt waren, hätten sie ihm bei ordnungsgemäßer Ausübung seines Geschäftsbetriebs bekannt sein müssen?

Aus ökonomischer Sicht ist die Frage der Informiertheit von Entscheidungsträgern vornehmlich eine Frage der Kosten der Informationsgewinnung. Informationen sind ein Gut, das i. d. R. nicht ohne weiteres verfügbar, dessen Beschaffung jedoch unter Aufwendung von Kosten möglich ist. Hinsichtlich der Reichweite möglicher Informationsbeschaffungspflichten geht es folglich auch darum, welches Ausmaß an Beschaffungs-aufwand von dem potenziellen Schädiger verlangt werden soll.Im Zuge einer solchen Prüfung können sich zahlreiche diffizile Detailfragen stellen. Wie ist beispielsweise ein wettbewerbsre-duzierendes und dadurch (zusätzlich) preiserhöhendes Parallel-verhalten unter den Kartellaußenseitern zu qualifizieren? Sollte es sich dabei um eine rechtswidrige Vereinbarung handeln, so dürfte dies im Regelfall eine kausalitätsunterbrechende Eigen-verantwortung begründen. Weniger eindeutig verhält es sich, wenn kein Wettbewerbsverstoß vorliegt. Dann könnte z. B. in der Marktstruktur, speziell in Größe und Anzahl der Außenseiter, ein Anknüpfungspunkt gesehen werden – weist der Restwett-bewerb oligopolartige Strukturen auf, so ist ein gleichartiges Verhalten wahrscheinlicher und somit eher zu erwarten als bei atomistischem Wettbewerb mit zahlreichen kleinen Randanbie-tern. Ähnliche Schwierigkeiten bereiten verhaltensökonomische Aspekte: Inwieweit sind etwa auf subjektive Erwartungen und individuelle, möglicherweise sogar persönliche und daher schwer vorherzusehende Interessen zurückzuführende Handlungen des

56 EuGH, Urt. v. 05.06.2014 (Fn. 2), Rn. 21, 22, 34 – Kone u. a.57 Vgl. o. Abschnitt II.2.c.

Entscheidungsträgers dem (potenziellen) Schädiger zuzurech-nen? Derartige Fragen dürften letztlich im Wege einer rechtlichen Abwägung des präventiven Abschreckungseffekts i. S. des „effet utile“ einerseits und der Vermeidung einer uferlosen Haftung ande-rerseits, bezogen auf den konkreten Einzelfall, zu beurteilen sein.

2. Probleme einer Vergleichspreisbestimmung „im selben Markt“ (Flüssiggas)

Größere Probleme noch bereitet das Phänomen „Preisschirm-effekt“ bei der Heranziehung von Vergleichspreisen im selben Markt zum Zwecke der Ermittlung des kartellbedingten Preisüberhangs bei den Kartellanten, so geschehen im Fall Flüssiggas58. Problematisch ist dabei insbesondere, dass gemäß Bedarfsmarktkonzept eine vollwertige Austauschbar-keit zwischen den Leistungsangeboten aller Anbieter auf dem relevanten Markt, hier also von Kartellanten und Außensei-tern, gegeben sein muss, die Anforderungen an die Vergleichs-preisermittlung jedoch voraussetzen, dass die Vergleichspreise nicht von der Zuwiderhandlung beeinflusst sind. Der BGH hat angesichts dessen bereits in seiner Entscheidung Papiergroß-handel geurteilt, dass die Preise von Kartellausreißern für eine solche Vergleichsbetrachtung ungeeignet sind, da sich auf einem durch eine Preisabsprache kartellierten Markt kein Marktpreis bilden könne.59 Fraglich wird bei der gegenwärtig anhängigen Rechtsbeschwerde in Sachen Flüssiggas folglich sein, ob die hier vorliegende Konstellation mit Kartellaußen-seitern eine andere Beurteilung zulässt.Aus den bisherigen Betrachtungen60 lässt sich ableiten, dass die Feststellung unbeeinf lusster Restwettbewerbspreise innerhalb desselben Marktes zwar nicht per se ausgeschlos-sen ist. Sie ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich und bedarf einer eingehenden Prüfung der Marktgegebenheiten, insbe-sondere auf die durchaus speziellen Voraussetzungen, die in solch einem Fall einer „Reaktionsverbundenheit ohne (Preis-)Reaktion“ gegeben sein müssten. Dies wäre z. B. vorstellbar, wenn der Preisaufschlag der Kartellanten marktimmanente Wechselhürden nicht übersteigt, das „Wechseldifferenzial“ also nicht erreicht und die Preisdifferenz zu den sog. freien Anbietern zu gering ist, um Kunden zu einem Wechsel zu bewegen. Dann hätten Außenseiter (noch) keinen Spielraum für eine Preisanhebung und ihre Preise wären in diesem Sinne von dem Kartellpreisniveau unbeeinf lusst. Allerdings wäre in einer solchen Konstellation zweifelhaft, ob überhaupt eine wettbewerbswidrige Preisgestaltung vorliegt.Falls die Preise von Kartellaußenseitern für die Berechnung des Kartellpreiseffektes herangezogen werden sollen, muss jeden-falls geprüft werden, ob sich die beobachteten Preisunterschiede nicht aus marktimmanenten Faktoren ergeben. Ein Kartell-preiseffekt (und damit ein „Preisschirm“) entsteht erst dann, wenn das Kartellpreisniveau eine hinreichend hohe Differenz zu den Preisen der Restwettbewerber erreicht, dadurch die im Markt vorhandenen wettbewerbskonformen Wechselhürden übersteigt und somit die Nachfrage bei den Kartellaußenseitern tatsächlich erhöht. Im Fall Flüssiggas können solche Wechsel-barrieren angesichts der Marktgegebenheiten insbesondere in der Existenz von Wechselkosten, Produktdifferenzierung und Preisheterogenität infolge verschiedener Geschäftsmodelle

58 Vgl. BKartA, Fallbericht B11-20/05 (Fn. 11) – OWiG-Verfahren Flüssiggas.59 BGH, Beschl. v. 19.06.2007, KRB 12/07, WuW/E DE-R 2225 = WuW 2008, 457, Rn. 16 – Papier-

großhandel.60 Vgl. o. Abschnitte II.2. und II.3.

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www.wuw-online.de AbhandlungenCoppik / Haucap: Behandlung von Preisschirme�ekten

bei der Belieferung von Kunden mit Flüssiggas, Kostenhetero-genität durch unterschiedliche Transportkosten61 sowie einer systematisch unterschiedlichen Kundenstruktur zwischen lange etablierten und später in den Markt eingetretenen Unter-nehmen62 bestehen und müssten bei der Berechnung eines Kar-tellpreiseffektes entsprechend berücksichtigt werden.Es ist anerkannt, dass eine Vergleichsbetrachtung im kar-tellbefangenen Markt infolge der grundsätzlich vorhandenen Reaktionsverbundenheit der Anbieter untereinander mit hohen Schätzunsicherheiten behaftet ist. Die Europäische Kommission beispielsweise empfiehlt aus diesem Grund in ihren Leitlinien zur Schadensermittlung Vergleiche im sel-ben Markt ausdrücklich nicht zur Anwendung.63 Auch das BKartA selbst stellt in einer einschlägigen Publikation fest, ein Vergleich erfolge nicht auf dem kartellierten, sondern einem hiervon verschiedenen aber ähnlichen Markt.64 In der Tat wäre eine solche Betrachtung eines entweder zeitlich, räumlich oder sachlich anderen Vergleichsmarktes wegen der geringeren damit verbundenen Anfälligkeit für systematische Schätzfeh-ler einem Vergleich im selben Markt vorzuziehen.65

Wird ungeachtet dessen dennoch ein „Markt-im-Markt-Ver-gleich“ angewendet, so sollte aufgrund der gegenüber den o. g. etablierten Vergleichsmethoden erhöhten Fehlerwahrschein-lichkeit jedenfalls bei der Schätzung konservativ vorgegangen werden, d. h. bei Unsicherheiten über einzelne Parameter sollte jeweils die bezogen auf die zu schätzende Größe zurückhalten-dere Ausprägung zugrunde gelegt werden. Dieses Prinzip der konservativen Schätzung kann als ökonomisches Pendant des Rechtsgrundsatzes „in dubio pro reo“ interpretiert werden, der im Fall Flüssiggas als Ordnungswidrigkeitsverfahren zu beachten ist.Gesetzt den Fall schließlich, eine gerichtliche Überprüfung habe zweifelsfrei einen unabhängigen und von der Zuwider-handlung unbeeinflussten Restwettbewerb ergeben, so wären dann allerdings die Preise der Kartellaußenseiter (korrigiert um wettbewerbsimmanente Faktoren) ohne weiteres „Aussor-tieren“ als hypothetische Wettbewerbspreise dem kontrafak-tischen Szenario zugrunde zu legen. Es darf dann, wenn nach Auffassung des Gerichts der Nachweis unbeeinflussten wettbe-werblichen Geschehens erbracht ist, nicht noch zusätzlich eine „Niedrigpreisselektion“ bei der Durchführung der konkreten Vergleichspreiskalkulation erfolgen. Ein derartiges Vorgehen würde – zumindest ohne das Vorliegen weiterer wettbewerbs-fremder Effekte – zu einem fehlerhaften Ergebnis führen.Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Vorwurf einer wettbewerbs-widrigen Preisüberhöhung mit einem Unwerturteil verbunden

61 Vgl. o. Abschnitte II.1.a. und b. Der bedeutendste Faktor in den Kostenstrukturen von Unter-nehmen, die ein Produkt nicht selbst herstellen, sondern es ihrerseits einkaufen und sodann ausliefern, sind neben den Kosten für den Bezug des Produkts i. d. R. die Kosten für den Transport zu den Endkunden. Die E�zienz von Transportkostennetzwerken bei Belieferungsunternehmen kann dabei deutliche Unterschiede aufweisen.

62 Letztere müssen nach dem Markteintritt zunächst Kunden von den etablierten Unternehmen abwerben und haben daher in ihrem Kundenportfolio anteilig mehr Wechselkunden, die mit günstigen Wechselangeboten angeworben wurden. Der demgegenüber höhere Anteil an Stammkunden mit teureren Alttarifen bei den eingesessenen Anbietern führt zu einer systema-tischen Di�erenz in den durchschnittlichen Preisen dieser beiden Anbietergruppen.

63 Vgl. Europäische Kommission (Fn. 36), S. 23, Fn. 46; OECD, Policy Roundtables, Quanti�cation of Harm to Competition by National Courts and Competition Agencies, 2011, S. 36; Oxera, Quantify-ing Antitrust Damages, 2009, S. 48.

64 Vgl. BKartA, Private Kartellrechtsdurchsetzung – Stand, Probleme, Perspektiven, 2005, S. 22, http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Diskussions_Hintergrundpapier/Bundeskar-tellamt%20-%20Private%20Kartellrechtsdurchsetzung.html (zuletzt abgerufen am 11.08.2015).

65 Zu den methodisch allgemein anerkannten Vergleichsmarktkonzepten vgl. Europäische Kom-mission (Fn. 36), S. 16 �.

ist.66 Unter diesem Gesichtspunkt wäre aus Vorsichtsgründen zumindest in Bußgeldverfahren eher von den höchsten im Wett-bewerb noch durchsetzbaren Preisen auszugehen (sog. höchster unverzerrter Wettbewerbspreis). Selbst bei einer statistischen Unsicherheit über mögliche Ausreißer unter den Vergleichswer-ten wäre jedoch zumindest von einem Durchschnitt der oberen Wettbewerbspreise auszugehen und nicht von den untersten.

IV. Zusammenfassung und SchlussfolgerungenZusammenfassend lässt sich für die Ermittlung von Kartell-schäden bzw. kartellbedingten Mehrerlösen im Hinblick auf mögliche Preisschirmeffekte, insbesondere bei Vergleichen „im selben Markt“, Folgendes festhalten:1. Es sind verschiedene Marktsituationen mit unterschiedli-chen Verhaltensweisen der Außenseiter möglich. Eine genaue Untersuchung der jeweiligen Gegebenheiten im Einzelfall ist daher – im Einklang mit den vom EuGH aufgestellten Grund-sätzen – erforderlich.2. Preisschirmeffekte sind hinsichtlich Auftreten und Rich-tung keine (ausnahmslose) ökonomische Gesetzmäßigkeit. Im Einzelfall können Umstände vorliegen, die ein Abweichen von der intuitiven Reaktion „Preiserhöhung“ bewirken.3. Die konkrete Höhe eines Preisschirmeffektes ist insbeson-dere unter Berücksichtigung marktimmanenter Faktoren zu ermitteln und kann nicht anhand einer „Daumenregel“ o. ä. gemutmaßt werden. Insbesondere können Preisschirmeffekte nur insoweit eintreten, als der Kartellpreisaufschlag markt-strukturell bedingte preisliche Wechseldifferenziale übersteigt.4. Vergleiche im selben Markt sind methodisch schwierig und mit hoher Schätzunsicherheit behaftet. Sie sollten daher allen-falls dann zur Anwendung gelangen, wenn im konkreten Fall keines der anerkannten Schätzverfahren zur Verfügung steht.5. Das mögliche Auftreten von Preisschirmeffekten ließe sich schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt für eine unge-prüfte Heranziehung der Preise von Kartellaußenseitern als hypothetische Wettbewerbspreise ins Feld führen, der Kartell-preisaufschlag werde in der Tendenz stets unterschätzt, da man allenfalls Preisaufschläge der Außenseiter übersehe, und es werde daher gleichsam eine Untergrenze bestimmt. Aufgrund der engen Reaktionsverbundenheit von Anbietern innerhalb eines Marktes ist eine Vielzahl relevanter preisbildender Faktoren bei den Außenseitern zu berücksichtigen, deren Wirkrichtung zum Teil im Vorhinein nicht eindeutig bestimmbar ist. Diese sind, soweit nicht auf die Zuwiderhandlung zurückzuführen, bei der Vergleichspreisbildung herauszufiltern.

SUMMARYRecent years have shown an increasing tendency in both the num-ber of cartels uncovered and the size of the fines imposed. In order to determine damage-based fines and to quantify cartel damag-es, the question arises how to deal with eventual price increases of those undertakings that have not actively participated in the cartel but still increased their prices in response to the cartel price. In the present paper different approaches to explain such umbrel-la-pricing effects are examined in order to derive conclusions for the treatment of these effects in the legal practice. Special con-sideration is given to two recent court decisions in the „Kone“ and „Flüssiggas“ (liquefied gas) cases.

66 Vgl. zuletzt BVerwG, Beschl. v. 10.12.2014, 6 C 16.13, Rn. 47 (m. w. N.) zur entsprechend gela-gerten Frage des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung.

METATAGS: meta_zeitschrift_WUW; meta_doctype_Aufsatz; meta_SiriusID_1187936; meta_RawID_0;

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www.wuw-online.deAbhandlungen Klotz: Marktmachtmissbrauch auf Nutzermärkten

Dr. Marius Klotz ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationales Wirtschaftsrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.Kontakt: [email protected]

Aufgrund ökonomischer Eigenheiten wie dem Bestehen starker Skaleneffekte und dem Bedürfnis nach einheitlichen Standards bestehen im IT-Bereich erhebliche Tendenzen zur Entstehung von Monopolen. Das hierdurch begünstigte, teils rasante Wachs-tum von Internetkonzernen wie Google und Facebook gibt aus wettbewerbsrechtlicher Sicht Anlass zur Sorge. Angesichts des von diesen Unternehmen aggressiv betriebenen „Informations-kapitalismus“ sieht manch einer gar die marktwirtschaftliche Ordnung in Gefahr (Gabriel, Unsere politischen Konsequenzen aus der Google-Debatte, FAZ v. 16.05.2014). Inwieweit das Kar-tellrecht dieser Problematik entgegenwirken kann, ist dabei nach wie vor unklar. So ist die Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV auf kostenfreie Webdienste ebenso mit Zweifeln behaftet wie die Frage, ob Google und Facebook überhaupt als Marktbeherr-scher anzusehen sind. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass Art. 102 AEUV auch auf kostenfreie Webdienste anwendbar ist. In Bezug auf die Frage, ob Google und Facebook eine marktbeherr-schende Stellung innehaben, muss differenziert werden. Google besitzt gegenüber den Nutzern letztlich keine solche Stellung. Facebook hingegen ist als Marktbeherrscher einzustufen.

I. EinleitungII. Zum Vorliegen kartellrechtlich beherrschbarer Märkte

bei Unentgeltlichkeit 1. Stand der Diskussion in der Praxis 2. Meinungen im Schrifttum 3. Kritische Würdigung 4. ZwischenergebnisIII. Zur Bestimmung des relevanten Marktes 1. Das Konzept mehrseitiger Märkte 2. Mehrseitige Märkte = mehrseitige Missbrauchs-

kontrolle 3. Marktabgrenzung 4. ZwischenergebnisIV. Zur Beherrschung der Nutzermärkte 1. Marktstruktur 2. Relativierung durch potenziellen Wettbewerb 3. Ein�uss von Netzwerk- und Lock-In-E�ekten 4. ZwischenergebnisV. Ergebnis

I. EinleitungMit Beginn der Internetökonomie hat sich innerhalb der moder-nen Wirtschaft ein fundamentaler Wandel vollzogen.1 Nicht nur ist mit Aufkommen des Versandhandels im Internet der klassi-sche Warenaustausch in großem Umfang ins World Wide Web

1 Klees, in: Kilian/Heussen, Computerrechts-Handbuch, 32. EL, 2013, Grundlagen Rn. 3.

abgewandert. Zahlreiche Leistungen haben sich im Zuge der Digitalisierung auch gänzlich „entmaterialisiert“. Das Angebot umfasst Kommunikationsdienste, Suchdienstleistungen und soziale Netzwerke, darunter vielfach Dienste, die kostenfrei angeboten werden. Die Besonderheiten der Internetökonomie stellen dabei auch das Kartellrecht vor nicht zu unterschät-zende Herausforderungen.2 Eine der vielleicht drängendsten unter ihnen ist die Kontrolle von Großunternehmen wie Google und Facebook anhand des kartellrechtlichen Marktmacht-missbrauchsverbots. Den Schwerpunkt des Interesses bildete dabei bislang meist der Marktmachtmissbrauch zu Lasten von Werbekunden oder anderen gewerblichen Vertragspartnern solcher Plattformen – Stichwort: „Netzneutralität“.3 Der Vorwurf der Bevorzugung konzerneigener Anwendungen und Dienste gegenüber Konkurrenten stellt aber nur eine Dimension der Problematik dar. Denn Marktmacht kann auch gegenüber den privaten Kunden, den Stellern von Suchanfragen bzw. den Mit-gliedern des sozialen Netzwerks, kurz auf dem Nutzermarkt, missbraucht werden.4 Die Möglichkeit der Wettbewerbsbehör-den, hier einzuschreiten, hängt dabei von der Beantwortung zweier entscheidender Fragen ab: Handelt es sich bei den Nut-zermärkten um kartellrechtlich beherrschbare Märkte? Und falls ja, werden diese durch Google bzw. Facebook beherrscht?5

II. Zum Vorliegen kartellrechtlich beherrschbarer Märkte bei Unentgeltlichkeit

Die erste Frage mag zunächst einmal verwundern. Sie erklärt sich aber vor dem Hintergrund, dass unter Hinweis auf die fehlende Entgeltlichkeit der Leistungserbringung z. T. bereits das Bestehen eines kartellrechtlichen Marktes verneint wird.6 Das ist jedenfalls insoweit nachvollziehbar, als man nach „klassischer Lehre“ im deutschen wie europäischen Kontext unter einem Markt einen wirtschaftlichen Raum versteht, in dem sich Angebot und Nachfrage zu einem bestimmten Preis treffen.7 Die Entgeltlichkeit die Erbringung erfordert danach eine finanzielle Gegenleistung, ist m. a. W. conditio sine qua non. Diese Position ist jedoch keinesfalls unumstritten.

2 Müller, in Wandtke/Ohst, Praxishandbuch Medienrecht Band 3, 3. Au�. 2014, § 4 Rn. 301; Hei-nemann, Google als kartellrechtliches Problem, Referate im Rahmen der Vortragsreihe Rechts-fragen der europäischen Integration, 19.01.2015; Zimmerlich/Aufderheide, Herausforderungen für das Wettbewerbsrecht durch die Internetökonomie, Working Paper: Internetökonomie und Hybridität, No. 4, 2004, S. 1; ausführlich Körber, WuW 2015, 120.

3 Vgl. die Pressemitteilung der Kommission zu den Ermittlungen gegen Google, http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/13234_de.htm (alle URLs zuletzt abgerufen am 11.01.2016). Vgl. zum entsprechenden Verfahren in den USA die Pressemitteilung der Federal Trade Commission vom 03.01.2013, www.ftc.gov/opa/2013/01/google.shtm. Für einen Ge-samtüberblick über die Verfahren siehe van Loon, in: Lopez-Taruella, Google and the law – Em-pirical Approaches to Legal Aspects of Knowledge-Economy Business Models, 2012, S. 9, 15 �.

4 Vgl. auch Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014), 149, 163.5 Zu Facebook etwa Haucap/Kehder, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 5; Haucap/Wenzel, ZfW 60/2

(2011), 200; Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014), 149 und Weber Waller, 90 North Carolina Law Review (2012), 1772.

6 Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 7 �.7 Podszun/Franz, NZKart 2015, 121; vgl. Weck, NZKart 2015, 290, 291 f.; ähnlich Schmidt, ZUM 1997,

472, 473: „Der ökonomische Ort des Tausches, an dem Angebot und Nachfrage zusammentre�en.“

»WUW1189090

Marius Klotz, Münster

Google und Facebook im Kontext von Art. 102 AEUV– Missbrauch von Marktmacht auf unentgeltlichen Nutzermärkten –

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1. Stand der Diskussion in der PraxisDie Rechtspraxis auf Unionsebene scheint sich an fehlender Entgeltlichkeit nicht nennenswert zu stören. Dass die Kom-mission auf Grund der Unentgeltlichkeit beispielsweise das Bestehen eines Fernsehzuschauermarktes verneint, ist zwar im Schrifttum bisweilen behauptet worden.8 Zutreffend ist diese Bewertung jedoch nicht (mehr). Zwar deuten ältere Entscheidungen durchaus in diese Richtung.9 Die Aussagen in der neueren Entscheidung Newscorp Premiere erschöp-fen sich jedoch in der Feststellung, dass das unentgeltliche Angebot von Fernsehprogrammen (FTA TV) nicht mit dem entgeltpflichtigen Fernsehangebot (Pay-TV) einen einheitli-chen Fernsehmarkt bildet.10 Auch hat die Kommission in der Microsoft-Entscheidung11 Märkte für unentgeltlich nutzbare Streaming-Player bejaht12 und grenzte in Microsoft/Skype und Microsoft/Nokia Märkte ohne Rücksicht darauf ab, dass nur eine Minderheit der Nutzer „zahlende“ Kunden darstellte.13 Die Entscheidung Facebook/WhatsApp deutet schließlich eben-falls darauf hin, dass für die Kommission die fehlende Entgelt-lichkeit allein keinen Hinderungsgrund für die Annahme eines kartellrechtlichen Marktes darstellt.14

Auf vergleichbarer Linie bewegt sich der EuGH.15 Bereits das Urteil in der Sache Magill kann so gedeutet werden, dass der Gerichtshof einen kartellrechtlichen Markt auch für unent-geltlich erbrachte Leistungen für möglich hält.16 Fernsehan-stalten hatten die Vermarktung wöchentlicher Fernsehpro-grammzeitschriften dadurch zu unterbinden versucht, dass sie die hierfür notwendigen Programminformationen nur unter strenger Reglementierung veröffentlichten. Zwar stellt der EuGH i. R. des letztlich bejahten Missbrauchs darauf ab, dass die beklagten Unternehmen die Möglichkeit hätten, Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt für Programm-zeitschriften zu verhindern. Als ausschlaggebend für die Marktbeherrschung sah er es jedoch an, dass die Fernseh-anstalten ein „faktisches Monopol“ hinsichtlich der für die Erstellung solcher Zeitschriften notwendigen Informatio-nen, d. h. auf einem unentgeltlichen „Informationsmarkt“, besäßen.17 Bestätigung findet diese Betrachtung mit der Entscheidung IMS Health. Für die Anwendung von Art. 102 AEUV – so der EuGH – genüge es, dass ein potenzieller oder auch nur hypothetischer Markt für ein Produkt bestimmt werden könne.18 Dies sei dann der Fall, wenn die Erzeugnisse oder Dienstleistungen für eine bestimmte Tätigkeit unerläss-lich sind und nach ihnen eine tatsächliche Nachfrage seitens der Unternehmen besteht, für deren Tätigkeit sie gebraucht werden.19

8 Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 7 in Fn. 4.9 Vgl. etwa Komm., Entsch. v. 27.05.1998, IV/JV.1 Rn. 14 – Telia/Telenor/Schibsted.10 Komm., Entsch. v. 25.06.2008, Comp/M.5121, Rn. 15 – News Corp Premiere. Die Formulierung,

es handle sich um zwei getrennte Märkte („two separate product markets“) indiziert eher das Gegenteil.

11 Komm., Entsch. v. 24.03.2004, Comp/C-3/37.792 Rn. 1071 – Microsoft.12 Körber, WRP 2012, 761, 764.13 Komm., Entsch. v. 07.10.2011, Comp/M.6281 Rn. 10 �., 13 – Microsoft/Skype; Komm., Entsch. v.

04.12.2013, Comp/M.7047 Rn. 122 – Microsoft/Nokia; vgl. Weck, NZKart 2015, 290, 291.14 Komm., Entsch. v. 03.10.2014, Comp/M.7217 Rn. 31, 47 – Facebook/WhatsApp.15 So auch die Deutung durch Weck, NZKart 2015, 290, 291.16 EuGH, Urt. v. 06.04.1995, Rs. C-241/91 P, ECLI:EU:C:1995:98, Rn. 47 – Magill.17 EuGH, Urt. v. 06.04.1995 (Fn. 16), Rn. 47 – Magill.18 EuGH, Urt. v. 29.04.2004, Rs. C-418/01, ECLI:EU:C:2004:257, WuW/E EU-R 804 = WuW 2004,

668, Rn. 44 – IMS Health/Kommission.19 EuGH, Urt. v. 29.04.2004 (Fn. 18), Rn. 43 f. – IMS Health/Kommission.

Die deutsche Praxis ist von ihrer einstmals kritischen Haltung ebenfalls in Teilen abgerückt.20 Das BKartA lehnt zwar einen Markt für Fernsehzuschauer mit der Begründung ab, dass Fern-sehzuschauer für das Angebot nicht zahlen.21 Ein kartellrecht-lich beherrschbarer Markt wurde aber etwa bei der Verteilung kostenloser Anzeigenblätter bejaht22 und dies darauf gestützt, dass potenzielle Entgeltlichkeit vorliege. In eine ähnliche Richtung gehen Ausführungen des OLG Düsseldorf. Dass ein Unternehmen die Erbringung einer Leistung nicht vermarktet habe, „stehe der Geltung von Art. 82 EG nicht entgegen“.23 Für die Annahme eines Marktes und damit für die Anwendbarkeit der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle genüge, wenn ein „potenzieller oder auch nur hypothetischer“ Markt besteht.24 Kürzlich erst äußerte sich schließlich auch das BKartA in diese Richtung.25 Dem Angebot von Immobilienplattformen komme Marktqualität zu. Gegen diese Betrachtung spreche nicht zwingend die Unentgeltlichkeit der Vermittlung. Vielmehr sei die „Nullbepreisung“ Teil einer Markt-strategie und stelle eine bewusste Geschäftsentscheidung dar.26

2. Meinungen im SchrifttumIm Schrifttum ist die Frage nach der Notwendigkeit einer Entgelt-zahlung gleichwohl umstritten. Manche Autoren bejahen sie.27 Zur Begründung wird angeführt, hohen Marktanteilen könne man auf einem unentgeltlichen Endnutzermarkt allenfalls durch eine Berücksichtigung auf einem hiermit korrespondierenden Werbemarkt Rechnung tragen.28 Von anderer Seite wird diese Betrachtung abgelehnt.29 Verwiesen wird darauf, dass die Kosten-freiheit des Angebots eine „ökonomische Geschäftsentscheidung“ sei.30 Die Beziehung der Onlineunternehmen zu den Nutzern nicht als eigenständige Marktbeziehung einzuordnen, sei daher nicht nur nicht sachgerecht, sondern in ihren Konsequenzen geradezu „fatal“.31 Auch wird vielfach bestritten, dass es sich bei kosten-freien Webangeboten überhaupt um „unentgeltliche“ Leistun-gen handelt. Die Gegenleistung der Nutzer beim Gebrauch von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken bestehe zwar nicht in Geld, wohl aber in der Bereitstellung von Aufmerksamkeit für die kontextsensitive Werbung.32 Andere Autoren stellen auf die Preisgabe von Daten als relevante Gegenleistung ab.33

20 So auch Podszun/Franz, NZKart 2015, 121, 124.21 Vgl. nur BKartA, Beschl. v. 19.01.2006, B 6-103/05, WuW/E DE-V 1163, 1168 = WuW 2006, 405 –

Springer/Pro7: „Im frei empfangbaren Fernsehen fehlt es wegen des fehlenden Entgelts an einer für den Leistungsaustausch im Marktprozess wesentlichen Voraussetzung.“; aus der Rspr. des BGH, Urt. v. 16.01.2008, KvR 26/07, BGHZ 175, 333 = WuW DE-R 2327, 2330 = WuW 2008, 977 – Kreiskrankenhaus Bad Neustadt; vgl. auch BKartA, Beschl. v. 29.04.2009, B 6-09/09, Rn. 63 – Bertelsmann Brockhaus.

22 BGH, Urt. v. 20.11.2003, I ZR 151/01, BGHZ 157, 55, 60 – 20 Minuten Köln.23 OLG Düsseldorf, Urt. v. 05.12.2007, VI-U (Kart) 25/06, WuW/E DE-R 2008, 2184, 2189 = WuW

2008, 212 – Reisestellenkarte.24 OLG Düsseldorf, Urt. v. 05.12.2007 (Fn. 23), WuW/E DE-R 2008, 2184, 2189.25 BKartA, Beschl. v. 20.04.2015, B 6-39/15 – Axel Springer/Immowelt.26 BKartA, Beschl. v. 20.04.2015 (Fn. 25), S. 3 – Axel Springer/Immowelt.27 Kersting/Dworschak, NZKart 2013, 46, 47  f.; ebenso Schulz/Held/Laudien, Suchmaschinen als

Gatekeeper in der ö�entlichen Kommunikation, 2005, S. 84.28 Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 7 �.29 U. a. Körber, WuW 2015, 120, 125.30 Höppner/Grabenschröer, NZKart 2015, 162, 163.31 Höppner/Grabenschröer, NZKart 2015, 162, 163; zweifelnd auch Müller (Fn. 2), § 4 Rn. 336.32 Kühling/Gauß, MMR 2007, 751, 752; Körber, WRP 2012, 761, 764; Hopf, Der Missbrauch einer marktbe-

herrschenden Stellung von Internetsuchmaschinen, dargestellt am Beispiel von Google, 2014, S. 63 �.; Babey, Kartellrechtliche Anforderungen an Suchmaschinen, 2010, http://www.zora.uzh.ch/33160/1/Babey_Dissertation_2010.pdf, S. 55; vgl. auch Schmidt, ZUM 1997, 472, 474, der in der Aufmerksam-keit der Zuschauer ein „Vorprodukt“ für den nachgelagerten Fernsehwerbemarkt sieht (mit Hinweis auf Monopolkommission, Hauptgutachten 1994/1995, S. 69: „Opferung von Zeit“).

33 Höppner/Grabenschröer, NZKart 2015, 162, 163 f.; Dewenter/Rösch/Terschüren, NZKart, 2014, 387, 389.

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3. Kritische Würdigunga) Zur fehlenden EntgeltlichkeitTatsächlich lässt sich mit guten Gründen bereits die Annahme von Unentgeltlichkeit der Dienste von Google und Facebook verneinen. Jedenfalls kann „unentgeltliche“ Nutzung nicht mit der Nutzung „ohne Gegenleistung“ gleichgesetzt werden,34 denn Nutzer bezahlen für die Nutzung von Onlineplattformen; nur ist das Entgelt, das bezahlt wird, kein pekuniäres.35 Das Investieren von Aufmerksamkeit ist hierbei noch die unbe-deutendste Investition. Weitaus bedeutsamer als das Opfern von Zeit ist die Preisgabe von Daten.36 Informationen sind zwar nicht Geld, sie sind aber geldwert.37 Sie werden gespeichert, archiviert und von professionellen „Datenbrokern“ gehan-delt.38 Dass aber die Gegenleistung für eine Leistung auch aus anderen Dingen als Geld bestehen kann, ergibt sich unstrei-tig aus den gemeinsamen zivilrechtlichen Traditionen der Mitgliedstaaten, namentlich den in den Zivilgesetzbüchern enthaltenen Vorschriften über Tauschgeschäfte.39 Gegenstand eines Tausches kann die Leistung von Sachen, Rechten oder „anderen Vermögenswerten“ sein.40 Von der Einordnung als (Aus)Tauschgeschäft allein deswegen abzusehen, weil die Gegenleistung im Vergleich zu klassischen Tauschleistungen weniger „greifbar, überprüfbar oder berechenbar“ ist,41 leuch-tet schlicht nicht ein.42

b) Teleologische BetrachtungHiervon abgesehen wäre die Herausnahme unentgeltlicher Angebote aus dem Anwendungsbereich des Kartellrechts auch unter teleologischer Betrachtung verfehlt.43 Das europäische Wettbewerbsrecht verfolgt den Anspruch der Maximierung der Konsumentenwohlfahrt.44 Durch bestmögliche Allokation von Ressourcen soll erreicht werden, dass den Verbrauchern möglichst hochwertige Produkte zu möglichst niedrigen Preisen zur Verfügung stehen.45 Unter dieser Prämisse ist es schlicht nicht nachvollziehbar, unentgeltliche Angebote von vornherein aus dem Anwendungsbereich des Kartellrechts auszuklammern. Mögen Internetdienste auch kostenfrei sein, so handelt es sich bei ihnen gleichwohl um nachgefragte und damit wirtschaftliche Güter. Die am Markt tätigen Unterneh-men wirtschaften gewinnorientiert, investieren Kapital in die Erstellung des Produktes und stehen beim Absatz desselben miteinander im Wettstreit.46 Wo aber Wettbewerb besteht, sollte er auch geschützt werden. Dass es sich hierbei auf Grund

34 Anders Podszun/Franz, NZKart 2015, 121.35 Körber, WRP 2012, 761, 764.36 Zutre�end Körber, WRP 2012, 761, 764. Die Preisgabe von Daten lässt sich präzisieren als eine

Einwilligung in die Datenverarbeitung nach § 4 Abs. 1 BDSG, siehe Buchner, DuD 2010, 39.37 Ähnlich Gal/Rubinfeld, The Hidden Costs of Free Goods: Implications for Antitrust Enforcement,

NYU School of Law, Law & Economics Research Paper Series, Working Paper No. 14-44, 2015, http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2529425, S.  2: „information becomes a currency for what might otherwise be perceived as a free good”.

38 Monopolkommission, Hauptgutachten 2012/2013, S. 58; vgl. FTC, Data Brokers and the Need for Transparency and Accountability, 2014, passim; ebenso US Senat, A Review of the Data Broker Industry: Collection, Use, and Sale of Consumer Data for Marketing Purposes, passim.

39 Vgl. beispielsweise § 480 BGB, Art. 1702 des französischen Code civil, Art. 1555 des italienischen Codice civile, Art. 1541 des spanischen Codigo civil.

40 Saenger, in: Hk-ZPO, § 480 Rn. 1.41 So Podszun/Franz, NZKart 2015, 121.42 Wie hier Gal/Rubinfeld (Fn. 37), S. 3.43 Diesen Aspekt ebenfalls aufgreifend Schmidt, ZUM 1997, 472, 478.44 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Au�. 2014, § 3 Rn. 43 m. w. N.45 Sinngemäß Baethge, Globalisierung des Wettbewerbsrechts: eine internationale Wettbewerbs-

ordnung zwischen Kartell- und Welthandelsrecht, 2009, S. 122.46 Vgl. zum Fernsehzuschauermarkt Schmidt, ZUM 1997, 472, 473.

der Unentgeltlichkeit nicht um einen Preis-, sondern um Qualitätswettbewerb handelt, spielt keine Rolle.47 Es steht der Annahme eines kartellrechtlichen Marktes nämlich ebenso wenig entgegen, wenn ein Preiswettbewerb durch staatli-che Intervention ausscheidet, etwa wenn ein Angebotspreis öffentlich-rechtlich reguliert ist.48 Auch ein reiner Qualitäts-wettbewerb generiert technischen Fortschritt49 und verdient infolgedessen kartellrechtlichen Schutz.

4. ZwischenergebnisBei der Leistung von Webangeboten durch Google und Face-book handelt es sich bereits nicht um „unentgeltliche“ Märkte. Selbst wenn man dies annähme, wäre die Ausklammerung solcher Webdienste aus dem Anwendungsbereich des Kartell-rechts vor dem Hintergrund des Zwecks der Wohlfahrtssteige-rung nicht sachgerecht.

III. Zur Bestimmung des relevanten MarktesAufbauend darauf, dass die Unentgeltlichkeit der Leistungser-bringung gegenüber den Nutzern der Marktmachtmissbrauchs-kontrolle nicht im Weg steht, ist es notwendig, den relevanten Markt in Bezug auf seine sachliche und räumliche Ausdehnung sowie seine besonderen Eigenheiten zu spezifizieren.50

1. Das Konzept mehrseitiger MärkteVon elementarer Bedeutung ist dabei im Rahmen der kar-tellrechtlichen Bewertung von Internetplattformen ein Ver-ständnis des Phänomens „mehrseitiger Märkte“ (multi-sided platforms). Von mehrseitigen Märkten spricht man, wenn ein Unternehmen Märkte bedient, die zueinander in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen.51 Wesensmerkmal eines mehrseitigen Marktes ist, dass die Abnehmergruppen der ver-schiedenen Märkte durch das anbietende Unternehmen qua Externalität aufeinander einwirken.52 Im IT-Sektor finden sich solche Plattformmärkte in Gestalt von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken.53 Das Prinzip dahinter ist einfach: Durch das Anbieten oder Auffindbarmachen von Inhalten wird auf dem Nutzermarkt zunächst Aufmerksamkeit generiert. Der auf diese Weise erzeugte Traffic wird dann gegenüber Wer-bekunden und Contentanbietern vermarktet.54 Dass hierbei Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Marktseiten entstehen, ist offensichtlich. Je attraktiver der Content, desto attraktiver ist die Plattform für Nutzer und desto reizvoller wird sie auch für Werbekunden.55 Im Fokus kartellrechtlicher

47 Ebenso Babey (Fn. 32), S. 56.48 So etwa auf dem Markt für Krankenhausdienstleistungen. Der „Preis“ wird hier über das Fall-

pauschalen-Regime ö�entlich-rechtlich festgelegt, Bruckenberger/Klaue/Schwintowski, Kran-kenhausmärkte zwischen Regulierung und Wettbewerb, 2006, S. 7.

49 Schmidt, ZUM 1997, 472, 474.50 Zutre�end Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014), 149, 156.51 Siehe etwa Haucap/Wenzel, ZfW 60/2 (2011), 200.52 Rochet/Tirole, Platform Competition in Two-Sided Markets, 1 Journal of the European Economic

Assiciation 990 (2003); Evans/Schmalensee, 1 Issues in Competition Law and Policy (2008), 667; Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014), 149, 154; Thépot, Market Power in Online Search and Social-Networking: a Matter of Two-Sided Markets, 2013, https://www.ucl.ac.uk/cles/-researchpaper-series/research-papers/cles-4-2012, S. 5.

53 Wie hier Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014), 149, 155.54 Heinemann (Fn. 2), S. 13 f.55 Auf Grund dieser Interpendenzen kann ohne weiteres eine der Marktseiten zu Preisen bedient

werden, die nicht kostendeckend sind, solange auf den anderen Marktseiten ein entsprechender Überschuss erwirtschaftet wird, Evans/Schmalensee, 1 Issues in Competition Law and Policy (2008), 667, 668  �.; Dewenter/Rösch, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2014, S. 119 sprechen von „Subvention”; ähnlich Heinemann (Fn. 2), S. 14.

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Überlegungen stand bei all dem bisher meist, inwieweit Platt-formunternehmen ihre Macht gegenüber Vertragspartnern auf dem Werbemarkt oder im Verhältnis zu Contentprovidern missbrauchen.56 Im Rahmen dieses Beitrags soll es jedoch um den Leistungsaustausch mit den Suchmaschinennutzern bzw. den Facebook-Mitgliedern – kurz: um Missbrauch auf dem „Nutzermarkt“ – gehen. Denkbar sind auch hier Formen des Ausbeutungsmissbrauchs (Durchsetzen „unangemesse-ner Geschäftsbedingungen“57) ebenso wie sachfremde Dis-kriminierungen (Art. 102 Satz 2 Buchst. c AEUV) oder die Einschränkung von Entwicklungstätigkeit (Art. 102 Satz 2 Buchst. b AEUV).58

2. Mehrseitige Märkte = mehrseitige MissbrauchskontrolleIm Unterschied zur ökonomischen Betrachtung als einen mehr-seitigen Markt hat man für die Zwecke des Kartellrechts davon auszugehen, dass jede Marktseite einen eigenständigen anhand Art. 102 AEUV zu kontrollierenden Markt darstellt. Abzulehnen ist damit insbesondere die gelegentlich vertretene These, dass sich ein Missbrauch gegenüber den Nutzern mittelbar, d. h. über eine Missbrauchskontrolle auf dem korrelierenden Werbemarkt bekämpfen lässt.59 Einzuwenden ist hiergegen erstens, dass eine starke Marktstellung auf dem Nutzermarkt nicht zwingend den Schluss darauf zulässt, dass dasselbe Unternehmen auch auf dem entsprechenden Werbe- oder Contentmarkt eine domi-nierende Stellung innehat.60 Und zweitens steht einer solchen Betrachtung entgegen, dass ein Marktmachtmissbrauch gegen-über Nutzern keinesfalls stets mit einen Missbrauch auch auf der anderen Marktseite einhergehen muss. Wenn Google seine Vertragspartner gegenüber eigenen Diensten benachteiligt, dann mag sich das für die Diensteanbieter und die Nutzer glei-chermaßen nachteilig auswirken. Wenn aber das missbräuch-liche Verhalten – Beispiel Facebook – darin besteht, dass ein unangemessen hohes Maß persönlicher Daten gesammelt wird, dann liegt hierin kein Marktmachtmissbrauch gegenüber den Werbekunden. Im Gegenteil: Womöglich ist ein derartiges Vor-gehen gar in deren Interesse, weil mit dem Umfang der persönli-chen Informationen Werbung zielgerichteter geschaltet werden kann. Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Marktseiten sind zweifellos zu berücksichtigen. Von einer separaten Kont-rolle des Missbrauchs von Marktmacht gegenüber den Nutzern abzusehen, überzeugt jedoch nicht.61

3. MarktabgrenzungZum Zweck einer sich anschließenden Marktanalyse ist der hiernach relevante Nutzermarkt hinsichtlich seines sachlichen und geografischen Umfangs näher zu bestimmen.

56 Siehe die Vorwürfe in den in Fn. 3 genannten Verfahren. Aus dem Schrifttum statt aller Crane, 8(3) Journal of Competition Law & Economics (2012), 459.

57 Eilmansberger/Bien, in: Münchener Kommentar zum Kartellrecht, 2.  Au�. 2015, Art.  102 Rn. 234 �.

58 Für eine ausführliche Darstellung der denkbaren Marktmachtmissbrauchsformen siehe Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014), 149, 163 �.

59 So aber Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 7.60 Crane, 8(3) Journal of Competition Law & Economics (2012), 459, 463 �. unterscheidet zutref-

fend zwischen „search dominance“und „referral dominance”.61 So i. E. auch Heinemann (Fn. 2), S. 14 unter Hinweis auf Dewenter/Rösch (Fn. 55), S. 119; ebenso

Babey (Fn.  32) S.  64  f.; Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014), 149, 156; Thépot (Fn. 52), S. 10 f.; zweifelnd Gal/Rubinfeld (Fn. 37), S. 25 f.; a. A. (Annahme eines einheitlichen, mehrseitigen Marktes) Emch/Thompson, Market de�nition and Market Power in Payment Card Networks, 5(1) Review of Network Economics, 45, 53-4 (2006); Evans/Noel, De�ning Antitrust Markets When Firms Operate Two-Sided Platforms, 3 Columbus Law Review, 667 (2005).

a) SachlichAusgangspunkt der sachlichen Marktabgrenzung ist auch in der Internetökonomie das Konzept der funktionellen Austauschbarkeit (Bedarfsmarktkonzept).62 Der sachlich rele-vante Markt besteht demnach aus sämtlichen Produkten oder Dienstleistungen, die für die Marktgegenseite ohne weiteres, d. h. ohne besondere psychische oder physische Anpassungs-lasten, austauschbar sind.63 Konkurrenz zu Google besteht hiernach zweifelsfrei in Form von Yahoo! oder Bing. Beide sind nicht-spezialisierte, „horizontale“ Websuchmaschinen und somit aus Nutzersicht Substitute für Google. Ob ein Konkur-renzverhältnis auch zu „vertikalen“ d. h. speziellen Suchdiens-ten wie eBay, Amazon oder das Reiseportal Opodo64 besteht,65 ist dagegen fraglich.66 Vertikale Websuchen sind jedenfalls in Fällen spezialisierter Suchen keine Konkurrenz zu Google. Wer spezielle Inhalte wie günstige Flüge oder wissenschaftliche Publikationen sucht, bedient sich hierfür spezieller Suchpor-tale und Datenbanken und nicht der allgemeinen, horizon-talen Websuche. Und umgekehrt stellt eine vertikale Suche in aller Regel keinen adäquaten Ersatz für eine unbestimmte, horizontale Suche dar.67 Jedenfalls auf dem allgemeinen Such-maschinenmarkt „auf ersten Zugriff “ besteht Konkurrenz zu Google durch Vertikalsuchen daher nur in Ausnahmefällen.68

In ganz ähnlicher Form gilt das für soziale Netzwerke. Als „echte“ Konkurrenzprodukte, die denselben Markt wie Face-book bedienen, kann man nur Netzwerke einordnen, die einen umfassenden Leistungskatalog aus Kommunikation, Profil-erstellung und dem Teilen von Inhalten bieten. Zahlreiche Facebook-ähnliche Diensteanbieter bedienen danach nicht denselben Markt, sondern Nischengebiete neben Facebook und treten somit nicht in direkten Wettbewerb.69 Das Portal Xing etwa dient der Jobsuche. Twitter grenzt sich von Facebook als Kurznachrichtendienst ab. Instagram ist ein Foto-Sharing-Netzwerk. Dass man viele dieser Dienste eher als Konkurrenz-produkte zu Facebook wird einordnen dürfen, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass zahlreiche Nutzer die besagten Dienste kumulativ nutzen; wären sie echte Substitute, müsste man aber annehmen, dass Nutzer sich nur für eine der Plattformen entscheiden.

b) GeografischAuch die räumliche Marktabgrenzung von Internetmärkten ist nicht unumstritten. Der räumliche Markt wird – nach Maß-gabe des Bedarfsmarktkonzeptes – durch das geografische Gebiet bestimmt, auf dem sich Abnehmer erfolgreich nach einem Konkurrenzprodukt umsehen können, wo ein Unter-nehmen also Konkurrenz ausgesetzt ist.70 Dabei kommt es

62 Müller (Fn. 2), § 4 Rn. 312; Heinemann (Fn. 2), S. 21 �. Allgemein siehe die Bekanntmachung der Kommission über die De�nition des relevanten Marktes i. S. des Wettbewerbsrechts der Gemein-schaft, ABl. 1997 C 372/5 Rn. 7, 13 �.; Zweifel an der Geeignetheit des Bedarfsmarktkonzeptes auf IT-Märkten Körber, WuW 2015, 120, 125.

63 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 1 EU/Teil 1, 5.  Au�. 2012, Art. 102 Rn. 96, Art. 101 Rn. 160.

64 Eine genaue Abgrenzung �ndet sich bei Thépot (Fn. 52), S. 11.65 So Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 8.66 Ablehnend Thépot (Fn. 52), S. 11; Heinemann (Fn. 2), S. 25 f.; di�erenzierend Dewenter/Rösch/

Terschüren, NZKart 2014, 387, 392 f.; ähnlich Weck, NZKart 2015, 290, 291.67 Heinemann (Fn. 2), S. 25; a. A. Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 8.68 Heinemann (Fn. 2), S. 25; ebenso Dewenter/Rösch/Terschüren, NZKart, 2014, 387, 392.69 Weber Waller, 90 North Carolina Law Review (2012), 1772, 1777 f.70 Kagan, 55 New York Law School Law Review (2010/2011), 271, 279; Shipper, The Market De�-

nition of Google Search, 2012. http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2207686, S. 7.

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bei Internetmärkten zum einen auf das vom Internet erfasste Gebiet71 und zum anderen auf eine hinreichende Einheitlich-keit der „Wettbewerbsbedingungen“ an.72 Denkbare Lösungen reichen danach von nationalen Märkten bis hin zur Annahme eines weltweiten Marktes. Richtigerweise ist jedenfalls der Markt für soziale Netzwerke – abhängig vom tatsächlichen Zugang zum Internet – global. Sofern dem „Sprachbarrieren“73 entgegengehalten werden, ist dies kaum überzeugend. Der Erfolg von Facebook etwa gegenüber StudiVZ beruhte ja gerade darauf, dass es Facebook ermöglichte, Länder- und Sprachgrenzen zu überschreiten. Dies zeigt sich bereits daran, dass sich das Interface von Facebook auf über 100 Sprachen einstellen lässt. Für Google ist die Annahme eines weltumspan-nenden Marktes ebenfalls umstritten.74 Sie ist aber letztlich in gleicher Weise zutreffend. Die Tatsache, dass im Suchmaschi-nensektor bisweilen eine nicht unerhebliche Spezialisierung auf einzelne, nationale Nutzergruppen erfolgt,75 widerspricht dem nicht. Denn jedenfalls die englische Sprachversion einer Suchmaschine – so sie existiert – ist für die allgemeine Web-suche weltweit ein taugliches Substitut.76 Wenn also etwa die chinesische Suchmaschine Baidu einen englischsprachigen Ableger startet,77 dann nimmt dieser an einem weltweiten Markt für Websuchen teil. Weder der Suchmaschinen- noch der soziale Netzwerk-Markt muss schließlich deshalb national definiert werden, weil Staaten den Zugang zum Internet durch hoheitliche Maßnahmen sperren oder einschränken können.78 Konsequenz aus einer solchen Sperre könnte allenfalls die sein, dass der Staat, der hiervon Gebrauch macht, nicht mehr länger in den Markt einzubeziehen ist, d.h. dass sich der räumliche Markt entsprechend verkleinert. Warum eine länderübergrei-fende Marktabgrenzung deswegen grundsätzlich ausscheiden soll, erschließt sich nicht.

4. ZwischenergebnisBei mehrseitigen Märkten unterliegen alle Marktseiten einer eigenständigen kartellrechtlichen Marktmachtkontrolle. Der hier untersuchte Nutzermarkt ist sowohl im Fall Google als auch im Fall Facebook ein globaler. Er umfasst diejenigen Dienste, die aus Nutzersicht nach dem Bedarfsmarktkonzept als taugliche Ausweichdienste angesehen werden können.

IV. Zur Beherrschung der NutzermärkteIst man gewillt, das Bestehen eigenständiger kartellrechtlicher Nutzermärkte zu bejahen, dann führt einen das zur zweiten der eingangs aufgeworfenen Fragen – der Frage danach, ob Facebook und Google diese Nutzermärkte beherrschen. Viel-

71 Vgl. hierzu EG-Kommission, Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung be-trächtlicher Marktmacht nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommuni-kationsnetze und -dienste, ABl. 2002 C 165/03, Rn. 59.

72 Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 56.  EL 2015, Art.  102 Rn. 49.

73 Weber Waller, 90 North Carolina Law Review (2012), 1772, 1779 f.74 Für Weltmarkt Ott, MMR 2006, 195, 199; Babey (Fn. 32) S. 70; van Loon (Fn. 3), S. 25 f., We-

ber/Volz, Online Marketing und Wettbewerbsrecht, 2011, Rn.  395; für nationale Märkte Hopf (Fn. 32), S. 73; für Märkte nach Sprachräumen Heinemann (Fn. 2), S. 29; o�engelassen bei Ka-gan, 55 New York Law School Law Review (2010/2011), 271, 284.

75 Heinemann (Fn. 2), S. 29; Hopf (Fn. 32), S. 73.76 Das dürfte i.  Ü. auch das Ergebnis einer konsequenten Anwendung des u.  a. von Heinemann

(Fn. 2), S. 29 befürworteten SSNDQ-Testes (small but signi�cant non-transitory decrease in qua-lity) sein. Ausführlich hierzu Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014), 149; Ansätze hierzu auch bei Thépot (Fn. 52), S. 13.

77 http://www.baiduinenglish.com/.78 So aber Weber Waller, 90 North Carolina Law Review (2012), 1772, 1779 f.

fach wird das bejaht.79 Von anderer Seite werden marktbeherr-schende Stellungen jedoch auch abgelehnt.80 Als Grund hierfür wird eine vermeintliche Überbewertung des Marktanteilskri-teriums angeführt.81 Jedenfalls seien die (Quasi)Monopole von Google und Facebook weitaus weniger stabil, als der Markt-anteil dies vermuten lassen würde und damit angreif bare Monopole (contestable monopolies).82

Eine beherrschende Stellung i. S. von Art. 102 AEUV besitzt, wer im Stande ist, die Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, weil er die Möglich-keit hat, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten.83 Ein klares Indiz für eine sol-che Unabhängigkeit vom Wettbewerbsgeschehen ist es, wenn ein Unternehmen über einen längeren Zeitraum hinweg einsei-tig Preiserhöhungen gegen die Konkurrenz durchsetzen kann, ohne hierdurch nennenswerte Umsatzeinbußen zu erleiden.84 Zur Beurteilung des Bestehens derartiger Spielräume bedarf es jedoch der Würdigung einer Vielzahl von Indikatoren:85 Primär entscheidend für die Beherrschung eines Marktes ist der Markt-anteil.86 So soll man dem EuGH zufolge annehmen dürfen, dass besonders hohe Anteile regelmäßig ohne weiteres den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung liefern.87 Gleichwohl griffe eine allein auf den Marktanteil abstellende Betrachtung zu kurz.88 Für das Bestehen von Marktmacht sind Marktanteile zwar in erster Linie, nicht aber alleinig entschei-dend89 und die Aussagekraft des Marktanteils auf kostenfreien Internetmärkten geringer als auf analogen Märkten.90 Das „Angebot“ ist dort nämlich allein durch vergleichsweise einfach zu erweiternde Serverkapazitäten begrenzt. Die Abhängigkeit von einem Marktführer ist daher tendenziell schon deshalb geringer, weil die Marktgegenseite ihren Bedarf nach dem

79 Für Google bejahend etwa Kühling/Gauß, MMR 2007, 751, 753; Babey (Fn. 32) S. 75; Heinemann (Fn. 2), S. 41; Hopf (Fn. 32), S. 103; für Facebook bejahend Gebicka/Heinemann, 37 World Com-petition (2014), 149, 161.

80 Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 7, 9; Körber, WRP 2012, 761, 766.81 Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 7, 9; Körber, WRP 2012, 761, 766.82 Körber, WRP 2012, 761, 765; ähnlich Kühling/Gauß, MMR 2007, 751, 753.83 EuGH, Urt. v. 11.12.1980, Rs. 31/80, ECLI:EU:C:1980:289, Rn.  30 – L’Oréal; EuGH, Urt. v.

09.11.1983, Rs. C-322/81, ECLI:EU:C:1983:313, Rn. 37 – Michelin/Kommission; EuGH, Urt. v. 03.10.1985, Rs. 311/84, ECLI:EU:C:1985:394, Rn.  16 – CBEM; EuGH, Urt. v. 04.05.1988, Rs. C-30/87, ECLI:EU:C:1988:225, Rn. 26 – Bodson.

84 Komm., Entsch. v. 29.07.1987, IV/32.279 Rn.  18 – Comp Boosey & Hawkes; Komm., Entsch. v. 22.12.1987, IV/30.787 und 31.488, Rn.  71 – Euro�x-Bauco/Hilti; Eilmansberger/Bien, in: MünchKomm (Fn.  57), Art.  102 Rn.  117; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn.  72), Art.  102 Rn. 109; Schröter/Bartl, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Au�. 2015, Art. 102 Rn. 116.

85 Schröter/Bartl, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Fn. 84), Art. 102 Rn. 91; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 63), Art. 102 Rn. 96; Yoo, 19 George Mason Law Review (2012), 1147, 1161.

86 EuGH, Urt. v. 13.02.1979, Rs. 85/76, ECLI:EU:C:1979:36, Rn. 41 – Ho�mann-La Roche/Kommis-sion; aus dem Schrifttum satt aller Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 63), Art. 102 Rn. 80, 87; Eilmansberger/Bien MünchKomm (Fn. 57), 2015, Rn. 104; zum US-antitrust-Recht Weber Waller, 90 North Carolina Law Review (2012), 1772, 1775.

87 EuGH, Urt. v. 13.02.1979 (Fn. 86), Rn. 41 – Ho�mann-La Roche/Kommission.88 Zutre�end Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 7, 9; siehe ebenso bereits Bellamy/

Child, 6th Ed., Rn. 10–022; Crane, 8(3) Journal of Competition Law & Economics (2012), 459, 463 f.

89 Komm., Entsch. v. 29.07.1987 (Fn.  84), Rn.  18 – Comp Boosey & Hawkes. Allgemein zur Kri-tik an der starken Orientierung an Marktanteilen Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 63), Art. 102 Rn. 96. Grundlegend für einen stärker wirkungsbasierten Ansatz (e�ects based approach) Robert H. Bork, Legislative Intent and the Policy of the Sherman Act, 9 J. L.& Econ. (1966), 7.

90 Komm., Entsch. v. 07.10.2011 (Fn. 13), Rn. 78, 99 – Microsoft/Skype; aus dem Schrifttum Kers-ting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 8; Ott, K&R 2007, 375, 378; Körber, WuW 2015, 120, 126.

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nachgefragten Gut in beinahe beliebiger Höhe auch bei Kon-kurrenten decken kann.91

1. MarktstrukturDer Marktanteil bleibt dessen ungeachtet auch bei digita-len Leistungen Ausgangspunkt der Betrachtung. Da auf unentgeltlichen Märkten eine Orientierung am Umsatz ausscheidet,92 ist für die Zwecke der Marktstrukturanalyse stattdessen auf Nutzerzahlen bzw. das Nutzungsvolumen abzustellen.93 Ausgehend von der Gesamtzahl aller Suchan-fragen hat Google danach in Deutschland gegenwärtig einen Marktanteil von 93,3  %.94 Mit Ausnahme Tschechiens hat der Suchmaschinenbetreiber in keinem europäischen Land einen Marktanteil von weniger als 90 %.95 Weltweit geht man von Marktanteilen um 70 % bei Desktopzugriff und 90 % bei mobiler Nutzung aus.96 Google bewegt sich damit sowohl nach den Standards des GWB als auch i. R. von Art. 102 AEUV im Bereich einer Quasimonopolstellung.97 Hinsichtlich des Marktanteils von Facebook gehen Studien – ausgehend von der Anzahl der Seitenaufrufe – von Marktanteilen um 82 % aus.98 Auch Facebook bewegt sich somit im Bereich eines Quasimonopols.

2. Relativierung durch potenziellen WettbewerbTatsächlich kann und muss eine auf hohen Marktanteilen beruhende Marktmacht jedoch eine Relativierung erfahren.99 Marktanteile sind naturgemäß „Momentaufnahmen“ und geben als solche nur wenig Aufschluss über die Dauerhaf-tigkeit von Machtverhältnissen d. h. die „Dynamik“ eines Marktes.100 Grundsätzlich plausibel verweisen manche Auto-ren deshalb auch darauf, dass es sich bei Internetmärkten um sehr schnelllebige und dynamische Sektoren handelt.101 Spätestens im Fall einer mittelfristigen Verschlechterung der Qualität der Leistung des Marktführers – so die Annahme – sei damit zu rechnen, dass Konkurrenzanbieter auf den Plan träten.102

Die Erfahrung mit Microsoft , dessen Unternehmenspoli-tik bereits Gegenstand zahlreicher Missbrauchsverfahren

91 Vgl. hierzu Helmuth Schröter/Ulrich Bartl, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Fn. 84), Art. 102 Rn.  94. Auf die kaum vorhandenen physischen Kapazitätsgrenzen hinweisend auch Haucap/Wenzel, ZfW 60/2 (2011), 200, 205.

92 Höppner/Grabenschröer, NZKart 2015, 162, 164 mit Hinweis auf BKartA, Beschl. v. 29.04.2009, (Fn. 21) Rn. 64 – Bertelsmann Brockhaus; siehe auch Podszun/Franz, NZKart 2015, 121, 127; Weck, NZKart 2015, 290, 292.

93 So dem Grunde nach auch Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014), 149, 160.94 https://seo-summary.de/suchmaschinen-marktanteile-europa/.95 Vgl. Nachweis in Fn. 94.96 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/222849/umfrage/marktanteile-der-suchmaschi-

nen-weltweit/.97 Siehe KG, Beschl. v. 09.07.1974, WuW/E OLG 1507, 1511 – Chemische Grundsto�e II bzw. EuGH,

Urt. v. 06.03.1974, Rs. 6/73 und 7/73, ECLI:EU:C:1974:18, Rn. 16 f. – Commercial Solvents/Kom-mission; EuGH, Urt. v. 13.02.1979 (Fn. 86), Rn. 67 – Ho�mann-La Roche/Kommission (Markt-anteil 93 %); aus dem Schrifttum Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 63), Art. 102 Rn. 90; allgemein Körber, WRP 2012, 761, 762; für die Bewertung nach US-Recht siehe Weber Waller, 90 North Carolina Law Review (2012), 1772, 1775 m. w. N.

98 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/241601/umfrage/marktanteile-fuehrender-soci-al-media-seiten-weltweit/.

99 Zimmerlich/Aufderheide (Fn. 2), S. 19.100 Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 72), Art. 102 Rn. 96.101 Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 9. Allgemein zur Bedeutung der Dauerhaftig-

keit von Marktanteilen EuGH, Urt. v. 13.02.1979 (Fn. 86), Rn. 41 – Ho�mann-La Roche/Kommis-sion; vgl. auch Müller (Fn. 2), § 4 Rn. 296 f.

102 Ähnlich Bork/Sidak, 8 Journal of Competition Law & Economics 663 (2012); Manne/Wright, 34 Harvard Journal of Law & Public Policy 171 (2011); Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 9; Heinemann (Fn. 2), S. 11.

gewesen ist ,103 zeigt jedoch, dass auch IT-Märkte nicht unbegrenzt dynamisch sind.104 Jedenfalls erscheint das Aus-maß potenziellen Wettbewerbs, das manche Autoren dem Marktgeschehen im Internet unterstellen,105 überzogen.106 Konkurrenten haben es in der Internetökonomie vielfach extrem schwer, eine einmal abgegebene Marktführerpo-sition wieder anzugreifen (Winner-takes-it-all-Prinzip).107 Google wurde bereits um die Jahrtausendwende Markt-führer und hat seine Marktanteile seitdem kontinuierlich ausgebaut. Hinzu kommt, dass der Neueintritt in den Suchmaschinenmarkt mit enormen Investitionskosten ver-bunden ist, etwa für die Erstellung und Aktualisierung des Suchalgorithmus.108

Frei von Wettbewerbsdruck ist Google gleichwohl nicht. Yahoo! und Bing sind zwei überaus finanzstarke Konkurren-ten109 und haben zudem die Möglichkeit, ihre Suchmaschinen über andere Dienste zu promoten und Netzwerk- und Hebel-wirkungen zu nutzen, um Google anzugreifen. Ferner besteht ein erheblicher Preisdruck dahingehend, dass die Unentgelt-lichkeit der Internetsuche Kernbestandteil des Angebots ist und der zwingenden Erwartung der Nutzer entspricht. Für den Fall, dass Google für die Bereitstellung der Suchleistung Geld verlangen würde, ist daher anzunehmen, dass Kunden in großer Zahl den Anbieter wechseln würden. Gleiches gilt im Hinblick auf die Suchqualität (Passgenauigkeit der ange-zeigten Ergebnisse, Geschwindigkeit der Suche, Gestaltung der Benutzeroberf läche).110 Auch hier unterliegt Google einem andauernden Konkurrenzkampf. Druck üben nicht nur Bing und Yahoo! aus. Auch eine Reihe kleinerer Suchanbieter tritt zunehmend selbstbewusst am Markt auf.111 Deshalb trifft die Einschätzung, dass die starke Marktstellung Googles fragil ist, i. E. zu.Anders verhält es sich auf dem Markt für soziale Netzwerke. Zwar bestehen hier vergleichsweise Marktzutrittsschran-ken – anders als bei Suchmaschinen ist „nur“ die Program-mierung der Plattform und nicht auch die Entwicklung eines Algorithmus notwendig. Als Marktzutrittsschranke wirkt sich aber aus, dass ein soziales Netzwerk von einer hohen Mitgliederzahl lebt. Es muss erst eine „kritische Masse“ erreichen, um für Nutzer attraktiv zu werden.112 Zudem zeigen die Erfahrungen mit StudiVZ, dass auch und insbesondere die Internationalität eines sozialen Netzwerks notwendige Voraussetzung für dessen Konkurrenzfähigkeit ist. Nationalen Wettbewerbern fehlt daher schon auf Grund ihrer fehlenden weltweiten Verbreitung jegliche Konkur-renzfähigkeit.

103 Siehe hierzu FAZ v. 03.05.2006, S. 24, zitiert nach Klees (Fn. 1), Grundlagen Rn. 6 Fn. 14.104 Klees (Fn. 1), Grundlagen Rn. 6.105 Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 9.106 Wie hier Zimmerlich/Aufderheide (Fn. 2), S. 13 f.107 Müller/Troski/Weber, Ökonomik als allgemeine Theorie menschlichen Verhaltens, 2012, S. 211;

Thépot (Fn. 52), S. 3; Zimmerlich/Aufderheide (Fn. 2), S. 6.108 Komm., Entsch. v. 22.02.2006, Comp/B-2/38.381, Rn. 27 – Alrosa/De Beers; Monopolkommissi-

on, Hauptgutachten 2012/2013, S. 61; Körber, WRP 2012, 761, 762; Babey (Fn. 32), S. 73 f.109 Zu der Bedeutung leistungsstarker Konkurrenzanbieter für die Marktstrukturanalyse siehe

EuGH, Urt. v. 09.11.1983 (Fn. 83), Rn. 59 – Michelin/Kommission.110 Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 9.111 Kersting und Dworschak nennen u. a. die Anbieter Wolfram Alpha, Blekko und DuckDuckGo als

potenzielle zukünftige Konkurrenten, Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 9; siehe auch Höppner, WRP 2012, 625, 626.

112 Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014), 149, 161; vgl. auch Körber, WRP 2012, 761, 762.

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3. Einfluss von Netzwerk- und Lock-In-EffektenMaßgeblichen Einfluss auf die Beurteilung von Marktmacht haben schließlich Faktoren wie Netzwerk-113 und Lock-In-Effekte. Als (direkten) Netzwerkeffekt bezeichnet man es, wenn der Nutzen, den ein Verwender aus einem bestimmten Gut oder einer Dienstleistung zieht, in dem Maße zunimmt, in dem andere Nutzer dasselbe Gut nachfragen.114 Marktaußen-seiter mit geringen Nutzerzahlen werden hierdurch bereits auf Grund ihrer geringen Größe für Nutzer unattraktiv. Indirekte Netzwerkeffekte treten auf, wenn der Nutzen einer Leistung mit dem Ausmaß der Nachfrage auf einer anderen Seite des Marktes korreliert.115 Als Lock-In-Effekt bezeichnet man es, wenn die einmalige Wahl eines bestimmten Produktes oder Dienstes den Nutzer auch zukünftig auf dieses Produkt fest-legt.116 Lock-In-Effekte resultieren in aller Regel daraus, dass die Wahl eines Anbieters den Einsatz einer (Kapital)Investi-tion erfordert und der Wechsel zum Konkurrenzprodukt mit zusätzlichen Kosten oder Lernaufwendungen verbunden ist.117

Die Auswirkungen solcher Faktoren auf die Marktmacht von Google sind überschaubar. Zwar bestehen direkte Netzwerkef-fekte auf dem Suchmaschinenmarkt rein technisch betrachtet ebenfalls;118 Suchmaschinenbetreiber nutzen die eingegebenen Suchanfragen zur ständigen Verbesserung ihres Algorithmus‘, weshalb eine höhere Zahl von Nutzern mittelbar auch den Nut-zern selbst hilft.119 Die Wirkung dieses direkten Netzwerkeffekts ist aber überaus gering, denn dem einzelnen Nutzer ist der Zusammenhang zwischen seiner Nutzung der Suchmaschine und der Qualität der Leistung in keiner Weise ersichtlich. Sprich: Kein Nutzer wählt Google deshalb als Suchmaschine, „weil viele andere Nutzer auf Google zurückgreifen.“120 Ebenso wenig wird Googles Marktmacht durch sog. Lock-In-Effekte verstärkt, denn auch Faktoren, die einen Wechsel der Suchmaschine oder die parallele Nutzung (Multi-homing) behindern, bestehen auf dem Nutzermarkt für Internetsuchen kaum.121 Zwar zeigen sich Tendenzen hin zu einer „Personalisierung“ der Websuche, etwa durch Anmeldeerfordernisse und die Angabe von Interessen-schwerpunkten zur passgenaueren Suche,122 hierbei handelt es sich aber zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt um Nischen-erscheinungen – die Konkurrenz ist nur „einen Mausklick entfernt“.123 Und auch die „Pfadabhängigkeit“ des Nutzerverhal-tens rechtfertigt im Fall Google keine andere Bewertung – im Gegenteil. Durchaus richtig ist zwar, dass das Suchverhalten in hohem Maße „habitualisiert“, d. h. Gewohnheit ist.124 Dies

113 Teilweise auch als „Netze�ekte“ bezeichnet, siehe Dewenter/Rösch/Terschüren, NZKart, 2014, 387, 388.

114 Haucap/Wenzel, ZfW 60/2 (2011), 200, 201; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 63), § 18 Rn. 36; Höppner/Grabenschröer, NZKart 2015, 162 in Fn. 4; Müller/Troski/Weber (Fn. 107), S. 211; Müller (Fn. 2), § 4 Rn. 304; Yoo, 19 George Mason Law Review (2012), 1147, 1148; Zim-merlich/Aufderheide (Fn. 2), S. 2.

115 Haucap/Wenzel, ZfW 60/2 (2011), 200, 201; Höppner/Grabenschröer, NZKart 2015, 162; Thépot (Fn. 52), S. 3; Zimmerlich/Aufderheide (Fn. 2), S. 2.

116 Müller (Fn.  2), §  4 Rn.  305; Perzanowski/Schultz, Digital Exhaustion, 58 UCLA Law Review (2010), 889, 900.

117 Müller (Fn. 2), § 4 Rn. 305; Zimmerlich/Aufderheide (Fn. 2), S. 2, 5 f.118 Anders Kühling/Gauß, MMR 2007, 751, 752.119 Monopolkommission, Hauptgutachten 2012/2013, S. 61 f.120 Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 7. i. E. ähnlich auch Kersting/Dworschak, ifo

Schnelldienst 16/2014, S. 8; Haucap/Wenzel, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 2/2011, 200, 206.121 Ebenso Kühling/Gauß, MMR 2007, 751, 752.122 Zu nennen sind iGoogle, Google Webprotokoll und MyWeb von Yahoo. Detailliert hierzu Kühling/

Gauß, MMR 2007, 751, 752.123 Vgl. Körber, WRP 2012, 761, 762.124 Heinemann (Fn. 2), S. 35.

spricht aber nicht für, sondern umgekehrt gegen das Vorlie-gen von Marktmacht. Beruht aber die Wahl eines bestimmten Anbieters überwiegend auf schierer Gewohnheit, besteht für die Anwendung von Art. 102 AEUV keine Rechtfertigung. Gleichen sich die Angebote mehrerer Konkurrenten stark, dann mag die „Trägheit der Masse“ die Dynamik des Marktes mindern. Tun sich aber wahrnehmbare Qualitäts- oder Preisunterschiede auf, wird die Macht der Gewohnheit allein kaum ausreichen, Kunden vom Wechsel zur Konkurrenz abzuhalten.Weitaus stärker als auf dem Suchmaschinenmarkt spielen die genannten Effekte bei sozialen Netzwerken eine Rolle.125 Face-book zieht das Gros seiner Marktstärke aus seiner schieren Nutzerzahl,126 denn je größer die Nutzeranzahl eines Netzwerks ist, desto mehr potenzielle Kontakte stehen den Nutzern zur Verfügung. Allein durch das Wachstum der Mitgliederzahl wird das Netzwerk so für seine Nutzer reizvoller.127 Auch das Bestehen erheblicher Lock-In-Effekte lässt sich im Social Media Bereich nicht leugnen.128 Zwar bestehen keine monetären Wechselkosten. Anders als im Fall der Websuche erfordert aber die Mitgliedschaft in einem sozialen Netzwerk die Registrierung unter Wahl eines Nutzernamens,129 der Angabe einer Mailadresse und der Erstel-lung eines individualisierten Profils. Schließlich fügt der Nutzer andere Mitglieder des Netzwerks zu seinem virtuellen Freundes-kreis hinzu.130 Einem Wechsel der Plattform steht das entgegen.Weiter gestützt wird die Annahme einer marktbeherrschenden Stellung Facebooks schließlich durch das tatsächliche Markt-verhalten des Unternehmens. Zwar besitzt auch Facebook auf dem Nutzermarkt keine Preisspielräume.131 Trotz teils massiver Kritik ist es dem Unternehmen aber bisher bereits mehrfach gelungen, seine Nutzungsbedingungen zum Nachteil der Nut-zer anzupassen. Seine Befugnisse in der Erhebung, Nutzung und Weitergabe von Daten hat das Unternehmen erst kürzlich erneut ausgeweitet. Gesunken ist demgegenüber in einigen Punkten der Leistungsumfang, etwa die Reichweite von Posts im Newsfeed. Die Nutzeranteile Facebooks sind trotz dieser zahlreichen negativen Veränderungen jedoch weitgehend konstant geblieben. Wenn überhaupt, haben Nutzer die AGB-Änderungen mit der Beendigung der Mitgliedschaft quittiert, nicht aber mit dem Wechsel zu einem Konkurrenzanbieter.

4. ZwischenergebnisAus der Gesamtschau der genannten Argumente ergibt sich letztlich eine differenzierende Betrachtung. Google hat i. R. von Art. 102 AEUV keine marktbeherrschende Stellung inne. Im Fall Facebook hingegen ist vom Bestehen einer solchen auszugehen.

V. ErgebnisEntgegen abweichender Auffassungen ist auch bei Webangebo-ten, für deren Nutzung keine pekuniäre Gegenleistung bezahlt werden muss, vom Vorliegen kartellrechtlich beherrschbarer

125 Haucap/Wenzel, ZfW 60/2 (2011), 200, 206.126 Vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten 2012/2013, S. 61.127 Siehe auch Weck, NZKart 2015, 290, 291; Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014),

149, 161.128 Gebicka/Heinemann, 37 World Competition (2014), 149, 161; skeptisch Yoo, 19 George Ma-

son Law Review (2012), 1147, 1154 f.; zur Diskussion um „data portability“ vgl. Perzanowski/Schultz, Digital Exhaustion, 58 UCLA Law Review (2010), 889, 900.

129 Siehe Punkt 4 der Nutzungsbedingungen von Facebook.130 Vgl. hierzu Komm., Entsch. v. 26.07.1988, IV/31.043 Rn. 37 – Tetra Pak I.131 Für weite Teile der Nutzerschaft dürfte die Unentgeltlichkeit der Mitgliedschaft bei Facebook

nicht verhandelbar sein.

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Märkte auszugehen. Dies lässt sich bereits unter Hinweis darauf begründen, dass es sich auch hier um Austauschver-hältnisse und damit definitionsgemäß nicht um unentgeltliche Dienste handelt. Die Gegenleistung besteht in der Preisgabe von Informationen und die Einwilligung in deren Verwertung. Selbst wenn man hier Entgeltlichkeit verneinen wollte, würde es der wohlfahrtssteigernde Zweck des Wettbewerbsrechts gebieten, auch die unentgeltliche Seite eines mehrseitigen Marktes kartellrechtlicher Kontrolle zu unterwerfen. Was die Analyse der Machtverhältnisse anbelangt, zeigen sich Unterschiede nicht nur im Verhältnis zu analogen Märkten, sondern auch zwischen digitalen Märkten untereinander, d. h. zwischen Websuche und Social Media. Den hohen Markt-anteilen Googles auf dem Suchmaschinenmarkt zum Trotz ist das Unternehmen kein Marktbeherrscher.132 Ausschlag-gebend hierfür ist in erster Linie das Fehlen nennenswerter Netzwerk- oder Lock-In- Effekte sowie der Umstand, dass die gegenwärtigen Marktanteile auf einem Gewohnheitsmoment („Pfadabhängigkeit“) beruhen. Nennenswerte Verhaltensspiel-räume außerhalb der Kontrolle durch die Marktgegenseite bestehen deshalb nicht. Anders verhält es sich auf dem Markt für soziale Netzwerke. Hier bestehen in ganz erheblichem Aus-maß Netzwerk- und Lock-In-Effekte. Auch das Marktverhalten Facebooks bildet einen Indikator für die Marktmacht des Unternehmens. Facebook verfügt deshalb anders als Google über nennenswerte, wettbewerbsunabhängige Verhaltens-spielräume und ist deshalb i. R. v. Art. 102 AEUV als marktbe-herrschendes Unternehmen einzuordnen. Bei all dem bleibt abzuwarten, ob der Konzentrationsprozess im Bereich sozialer

132 Zutre�end Kersting/Dworschak, ifo Schnelldienst 16/2014, S. 9.

Netzwerke zukünftig durch „Kapazitätsgrenzen“ gebremst wird. Zwar fehlt es auf digitalen Märkten an nennenswerten physischen Kapazitätsgrenzen. Als Korrektiv könnte aber die immer weiter steigende Heterogenität der Nutzergruppe und das damit verbundene Absinken des „Wertes“ der Nutzerschaft als Zielgruppe von Werbung wirken.133

SummaryDue to economic features such as strong network effects, econ-omies of scale and scope and the necessity for standardization IT markets have proven to possess a significant tendency towards mo-nopolization. From the perspective of competition law the hereby promoted swift growth of companies like Google and Facebook gives cause for concern. The extensive data policy of these com-panies, occasionally referred to as „information capitalism”, is even seen by some as a threat to the concept of free economy (Gabriel, Unsere politischen Konsequenzen aus der Google-Debatte, FAZ v. 16.05.2014). At the same time it is still unclear if and to what extent competition law can be considered a tool against this issue. That is because the applicability of Art. 102 TFEU to free of charge user mar-kets is not beyond doubt. What’s also unclear is if Google and Face-book do hold a dominant position on these markets. Upon closer examination it shows that Art. 102 TFEU can very well be applied to internet services even if they are provided free of charge. With reference to the question of whether or not Google and Facebook do hold a dominant position on their respective markets one has to differentiate. Whereas Google lacks such a position, Facebook in-deed is dominant in the sense of Art. 102 TFEU.

133 Evans/Schmalensee, 1 Issues in Competition Law and Policy (2008), 667, 680; Haucap/Wenzel, ZfW 60/2 (2011), 200, 204 f.

METATAGS: meta_zeitschrift_WUW; meta_doctype_Aufsatz; meta_SiriusID_1189090; meta_RawID_0;

Prof. Dr. Dirk Zetzsche, LL.M. (Toronto), ist Inhaber des Propter Homines Lehrstuhls für Bank- und Finanzmarktrecht an der Universität Liechtenstein sowie einer der Direktoren des Instituts für Unternehmensrechts an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.Kontakt: [email protected]

Das OLG Düsseldorf hat unter Hinweis auf den Schutzzweck von Art. 101, 102 AEUV einen Schadensersatzanspruch von zwei Gründern einer AG abgewiesen, die durch den Missbrauch ei-ner marktbeherrschenden Stellung geschädigt wurden. Der Beitrag hält die Schutzzweckargumentation für unvereinbar

mit der Rspr. des EuGH und der Kartellschadensersatz-Richtlinie und arbeitet die nach Europarecht zulässigen Grenzen von Er-satzansprüchen heraus. Für mittelbare Schädigungen liegt der Argumentationsschwerpunkt danach im haftungsausfüllenden Tatbestand. Bei der Vorteilsausgleichung besteht Raum für nor-mative Anreicherungen, etwa ob der Ersatzberechtigte durch Zuweisung des Anspruchs von der Rechtsverletzung profitiert, ob sich das Opfer vertraglich selbst schützen konnte und ob sich die Natur des Wirtschaftsgutes auf einer Wirtschaftsstufe so fundamental verändert, dass sich der nachfolgende Abnehmer nicht mehr als Teil der Lieferkette versteht.

»WUW1189177

Dirk Zetzsche, Vaduz / Düsseldorf

„Jedermann“ ist jedermann! – Zum Schadensersatz des Aktionärs einer durch Missbrauch einer markt-beherrschenden Stellung geschädigten AG– Zugleich Besprechung von OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.07.2014, VI U (Kart) 22/13 – Telegate/Telekom –

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I. Kartelldeliktsrecht im WandelII. Die Schutzzwecktheorie des OLG Düsseldorf 1. Sachverhalt 2. Behauptete Schadensposten 3. LG Köln: Verwässerung und Unterbewertung als Re�exschaden 4. OLG Düsseldorf: Ausschluss des Aktionärs aus dem SchutzbereichIII. Vorgaben des Europarechts 1. „Jedermann“-Anspruchsberechtigung 2. Haftungsbegründender Tatbestand 3. Haftungsausfüllender Tatbestand4. E�ektivitätsprinzipIV. Fazit

I. Kartelldeliktsrecht im WandelOb entfernte oder mittelbar Geschädigte – etwa Lieferanten des durch Verstöße gegen Art. 101, 102 AEUV geschädigte Lieferanten, Teilnehmer auf anderen Märkten, Aktionäre, Gläubiger oder Arbeitnehmer der geschädigten Gesellschaft oder sogar Familienangehörige des Verbrauchers – anspruchs-berechtigt sind, ist umstritten.1 Diese Frage hat ein im Juli 2014 ergangenes Urteil erneut in das Blickfeld gerückt, in welchem der 1. Kartellsenat des OLG Düsseldorf dem Aktionär einer durch Verstoß gegen Art.  102 AEUV geschädigten AG die Anspruchsberechtigung mit Normzweckerwägungen abge-sprochen und zugleich die Revision nicht zugelassen hat.2

Die Nichtzulassungsbeschwerde verwarf der Kartellsenat des BGH sodann gem. § 544 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 ZPO ohne weitere Begründung.3 Ein öffentliches Interesse an einer Klärung der Rechtsfragen hat man nicht erkannt – was angesichts der streitgegenständlichen europarechtlichen Zweifelsfragen überrascht.4 Offensichtlich herrschte Unbe-hagen, am Ende eines von Telegate/Telekom-Prozessen geprägten Jahrzehnts einem über 600 Mio. Euro schweren Ersatzanspruch der Telegate-Gründer die Tür zu öffnen; die vom OLG Düsseldorf der AG zugesprochenen ca. 64 Mio. Euro hielt man für genug.5

Im Folgenden sollen deshalb die personellen Grenzen des Ersatzanspruchs für Verstöße gegen Art. 101 und 102 AEUV unter Berücksichtigung der jüngeren EuGH-Rspr. und der EU-Kartellschadensersatz-Richtlinie ausgelotet werden.

1 Für weite Anspruchsberechtigung nach europäischem Recht Alexander, Schadensersatz und Ab-schöpfung im Lauterkeitsrecht, 2010, S. 329, 389 (alle Wirtschaftsbeteiligten); Bulst, Schadens-ersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, 2006, S. 111 f., 259 �.; ders., ZEuP 2008, 178, 187 (Schädigung allein maßgeblich, keine Eingrenzung nach dem Schutzzweck); Karolus, ecolex 2006, 797, 799; Poelzig, ZGR 2015, 801, 832; Zetzsche, ZHR 179 (2015), 490; wohl auch Wagner, AcP 206 (2006), 352, 416; Lettl, WRP 2015, 537, 539 (Dritte nach Kartellschadenser-satzRL ersatzberechtigt); gegen Anspruchsberechtigung derartig indirekt Geschädigter gem. § 33 Abs. 3 GWB Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Au�. 2014, § 33 Rn. 14; Görner, Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten, 2007, S. 144, 164 f.; für Zulässig-keit einschränkender Kriterien auch K. Schmidt, in: Festschrift für Canaris, Bd. I, 2007, S. 1175, 1186 �.; vgl. zudem W.H. Roth, in: Festschrift für Huber, 2006, S. 1133, 1141, anders aber jetzt wohl ders., ZHR 179 (2015), 668, 685 f. (zur Gestaltungsfreiheit des Europäischen Regelsetzers).

2 OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.07.2014, VI U (Kart) 22/13 (juris); vgl. dazu die Vorinstanz LG Köln, Urt. v. 28.05.2013, 87 O (Kart) 8/06 (juris).

3 Vgl. BGH, Beschl. v. 14.04.2015, KZR 36/14; eine gegen den Beschluss gerichtete Anhörungsrüge lehnte der Kartellsenat mit Beschluss v. 18.05.2015 ab, vgl. WuW 2015, 1010 = WuW01125763.

4 Vgl. zur Auslegung umstrittenen Unionsrechts als grundsätzliche Bedeutung per se MüKoZPO/Krüger, 4. Au�. 2012, § 543 Rn. 6. Zur Vorlagep�icht bei ungeklärter europäischer Rechtslage vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.10.2015, 1 BvR 137/13, 1 BvR 3509/13, 1 BvR 1320/14.

5 Vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.06.2011, VI-U (Kart) 2/11 (juris) – Telefondaten II.

II. Die Schutzzwecktheorie des OLG Düsseldorf1. SachverhaltEiner der Gründungsaktionäre einer im Jahr 1996 gegründeten AG, die Telefonauskunftsdienste am Markt anbot, fordert Scha-densersatz wegen Verstoßes gegen Art. 102 AEUV. Die AG hatte seit 1998 einem Inhaber einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Telefonverbindungsmarkt überhöhte Entgelte für die zum Betrieb der Auskunftei erforderlichen Teilnehmerdaten zahlen müssen.6 Infolge des kartellrechtswidrigen Verhaltens soll sich der Kapitalbedarf der AG erhöht haben. Es kam zur Ausgabe von Aktien an neue Aktionäre bei drei Kapitalerhöhungen zwischen 1997 und 1999. Infolgedessen reduzierte sich der Anteil der Grün-der an der Telegate AG von 37,72 % auf 9,66 % bzw. von 43,02 % auf 11,21 %. Der Kläger, der bei Gründung der AG ca. 8 Euro pro Aktie einbezahlt hatte, veräußerte seine Aktien im Jahr 2000 zum Preis von 150 Euro pro Aktie und nahm sodann den Inhaber der markt-beherrschenden Stellung auf Ersatz des Verwässerungsschadens sowie des Unterbewertungsschadens in Anspruch.

2. Behauptete SchadenspostenDer Verwässerungsschaden umfasst den durch die Reduzierung des relativen Aktienanteils erlittenen Nachteil. Beispiel: Der Anteil des Klägers vor den Kapitalerhöhungen beträgt 38 %. In den drei Kapitalerhöhungsrunden reduziert sich der Anteil auf 10  %. Der Vermögenswert bei der Veräußerung im Jahr 2000 beträgt 1 Mrd. Euro. Ohne die Kapitalerhöhungsrunden hätte der Kläger 380 Mio. Euro erhalten, nunmehr erhält er „nur“ 100 Mio. Euro.Der Unterbewertungsschaden entsteht aus dem Minderertrag der Auskunftei-AG infolge zu hoher Datenentgelte. Es handelt sich um den Betrag, um den das Gesamtunternehmen infolge des Missbrauchs der Marktmacht zu niedrig bewertet wurde. Der Schaden entsteht, wenn die Unternehmensbewertung auf dem zukünftigen Unternehmenserfolg beruht.7 Der pro-gnostizierte Unternehmensertrag orientiert sich regelmäßig an den Erträgen einer Referenzperiode in der Vergangenheit, die dann in die Zukunft hochgerechnet und risikoorientiert abgezinst wird. Nach Vortrag des Klägers hätte die AG ohne das kartellrechtswidrige Verhalten angemessene Datenent-gelte bezahlt und deshalb in der für die Veräußerung im Jahr 2000 maßgeblichen Referenzperiode in den Jahren 1998 pp. höhere Erträge erzielt. Ohne den Kartellverstoß wäre das Unternehmen dann zum Verkaufszeitpunkt höher bewertet. Beispiel: Für die Unternehmensbewertung wird nach einer an Wachstumserwartungen, Risiken und Marktvergleichswerten orientierten Betrachtung ein Faktor von 50 auf den Ertrag in der Referenzperiode ermittelt. Der Ertrag der Auskunftei-AG beträgt (1) bei erhöhten Datenentgelten im Referenzzeitraum 20 Mio. Euro, (2) bei angemessenen Datenentgelten 30 Mio. Euro. Die Unternehmensbewertung kommt dann zu einem Unternehmensgesamtwert von 1 Mrd. Euro – im Verhältnis zu 1,5 Mrd. Euro im Szenario ohne Kartellverstoß –, der Unterbe-wertungsschaden des Klägers beträgt (bei 38 %) 190 Mio. Euro, bei 10 % noch 50 Mio. Euro.

6 Vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.06.2007, VI-U (Kart) 4/02, sowie vom 08.06.2011, VI-U (Kart) 2/11 (Fn. 5) – Telefondaten II.

7 Alternative Wertansätze beruhen auf der Markteinschätzung (Börsenkurs) und der Unterneh-mensgröße (Umsatz). Zur Bewertung im Jahr 2000 dürfte u. a. auch die allgemeine Börseneu-phorie beigetragen haben, die als Teil der Markteinschätzung zu berücksichtigen ist. Vgl. zur Relevanz des Börsenkurses für die Unternehmensbewertung BVerfG, Urt. v. 23.08.2000, 1 BvR 68/95, NJW 2001, 279, 281 – Moto Meter; Urt. v. 27.04.1999, 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289, 305 – DAT/Altana; Urt. v. 08.09.1999, 1 BvR 301/89, ZIP 1999, 1804 – Hartmann & Braun.

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3. LG Köln: Verwässerung und Unterbewertung als Reflexschaden

Die Beklagte und die Vorinstanz LG Köln hatten die Verwässe-rungs- und Unterbewertungsschäden lediglich für einen Reflex der Schäden gehalten, welche die AG als unmittelbar geschädigter Vertragspartner der Beklagten erlitten hatte. Mit der vom OLG Düsseldorf in einem Parallelverfahren zugesprochenen Rück-zahlung der rechtswidrig vereinnahmten Datenentgelte i. H. von 64 Mio. Euro8 seien deshalb alle Schäden der Gesellschafter abge-golten (Ansprüche wegen entgangenen Gewinns hatte die AG nicht beweisen können.9) Ob und aus welchem Rechtsgrund der Aktionär ggf. anspruchsberechtigt ist, ließ das LG Köln dahinstehen.Im Kontext der aktienrechtlichen § 117 Abs. 1 Satz 2 AktG und § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG, aus denen das LG Köln unter Hintan-stellung von § 246a Abs. 4 AktG10 einen allgemeinen Rechts-gedanken ableitete, werden eigene Ansprüche der Aktionäre freilich nicht so pauschal abgelehnt, wie es das LG Köln11 meint. Ein eigener Anspruch des Aktionärs scheidet aus, wenn sich der Schaden des Aktionärs in der Wertminderung der AG erschöpft, sodass der Aktionär durch Zahlung an die AG hinreichend Kompensation erfährt; andernfalls würde der Aktionär doppelt Ersatz erhalten.12 Dagegen werden u. a. Ansprüche für den Aus-fall mit einem Überbrückungsdarlehen in der Insolvenz,13 eine zu geringe Dividendenzahlung nach fehlerhaft erstelltem Jah-resabschluss14 oder eine Veräußerung unter Wert nach irrefüh-renden Aussagen15 als eigene Schäden des Aktionärs anerkannt.Der Unterbewertungsschaden ist eine durch Verkauf verewigte Minderung des Aktienkurses.16 Soweit sich eine Schädigung im Aktienkurs abbildet, ist die Minderung des Aktienkurses als (reiner) Reflexschaden nicht ersatzfähig.17 Auch spricht gegen die Ersatzfähigkeit die normative Erwägung, dass sich der Veräußerer einer Unternehmensbeteiligung vor kartellindu-zierten Bewertungsschäden durch Vereinbarung eines Besse-rungsanspruchs gegen den Veräußerer schützen kann.Der Gründer der Telefonauskunft hatte sich in 2. Instanz – wohl auch deshalb – auf den Verwässerungsschaden konzentriert. Insoweit steht der AG kein Anspruch zu, wenn sich der Schaden vollständig bei dem Aktionär realisiert: Begrenzt sich die Kapi-talerhöhung auf kartellinduzierte Verluste, hätte die AG ohne die schädigende Handlung genausoviel Kapital gehabt, aber durch einbehaltenen Gewinn (Eigenfinanzierung) statt durch Ausgabe neuer Aktien (Fremdfinanzierung). Ob die AG eigen- oder über ihre Aktionäre fremdfinanziert ist, ist für die AG-Bilanz irrelevant.

8 OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.06.2011 (Fn. 5) – Telefondaten II.9 LG Köln, Urt. v. 28.05.2013, 87 O (Kart) 7/06, WuW 2013, 1238 = WuW0630707.10 Nach dieser Vorschrift ist der Verwässerungsschaden ersatzfähig, vgl. Begr RegE, BT-Drucks.

15/5092, S. 28; Ihrig/Erwin, BB 2005, 1973, 1977; Koch, ZGR 2006, 769, 799; M. Winter, in: Fest-gabe Happ, 2006, S. 363, 373 f.

11 LG Köln, Urt. v. 28.05.2013 (Fn. 9).12 BGH, Urt. v. 04.03.1985, II ZR 271/83, BGHZ 94, 55, 58 f.; Urt. v. 11.07.1988, II ZR 243/87, BGHZ

105, 121, 130 f.; Cahn/Mertens, in: KK-AktG, 3. Au�. 2013, § 117 Rn. 34; Koch, in: Hü�er, AktG, 11. Au�. 2014, § 117 Rn. 20; Witt, in: Lutter/Schmidt, AktG, 2. Au�. 2015, § 117 Rn. 23.

13 BGH, Urt. v. 04.03.1985 (Fn. 12), BGHZ 94, 55, 58.14 BGH, Urt. v. 22.06.1992, II ZR 178/90, NJW 1992, 3167, 3171 f.15 Cahn/Mertens, in: KK-AktG (Fn. 12), § 117 Rn. 20; Spindler, in: MünchKommAktG, 4. Au�. 2014,

§ 117 Rn. 46 �.; Koch, in: Hü�er (Fn. 12), § 117 Rn. 9; Witt, in: Lutter/Schmidt (Fn. 12), § 117 Rn. 2f.16 Die AG hatte Schadensersatz erhalten, jedoch erst in den Jahren 2007 und 2011, also sieben Jahre

nach der Veräußerung. Wären die Zahlungen bereits im Zeitpunkt der Veräußerung erfolgt (im Jahr 2000), würde es sich unstreitig um einen Re�exschaden handeln. Die Besonderheit liegt einzig im zeitlichen Versatz sowie der in der Bewertung enthaltenen zukunftsbezogenen Betrachtung.

17 Cahn/Mertens, in: KK-AktG (Fn. 12), § 117 Rn. 34; Mertens, in: Festschrift für Lange, 1992, S. 561, 569 f.; Witt, in: Lutter/Schmidt (Fn. 12), § 117 Rn. 23.

4. OLG Düsseldorf: Ausschluss des Aktionärs aus dem Schutzbereich

Die vorgenannten Bedenken mögen erklären, warum das OLG Düsseldorf die Klageabweisung bestätigt, jedoch die Begrün-dung ausgetauscht hat: Gesellschafter eines vom Kartell geschädigten Unternehmens seien nicht in den Schutzbereich von Art. 102 AEUV einbezogen und deshalb nicht ersatzbe-rechtigt. Der Gesetzgeber habe nicht alle Wirtschaftsteilneh-mer in den Schutzbereich des Missbrauchsverbots einbeziehen wollen, die durch die missbräuchliche Ausnutzung von Markt-macht einen Schaden erleiden, sondern nur Personen, die als Wettbewerber des Kartellanten, als Nachfrager oder (End-)Verbraucher am Markt tätig sind. Unerheblich war danach, dass Aktionäre als Anbieter auf einem Drittmarkt tätig sind: dem Kapitalmarkt.

III. Vorgaben des Europarechts1. „Jedermann“-Anspruchsberechtigunga) Formel des EuGHDas Urteil des OLG Düsseldorf ist ein Puzzle-Teil der seit mehr als einer Dekade geführten Diskussion um die Anspruchsberechti-gung bei Wettbewerbsverstößen gem. Art. 101 und 102 AEUV: Nachdem man lange nur Opfer zielgerichteter Eingriffe für anspruchsberechtigt hielt,18 erklärte der BGH nach den EuGH-Urteilen Courage vs. Crehan19 und Manfredi20 im ORWI-Urteil21 auch Abnehmer auf weiteren Vertriebsstufen (sog. mittelbare Abnehmer) für anspruchsberechtigt. Dieser Rechtsstand wurde der 7. GWB-Novelle22 und der Kartellschadensersatz-Richtlinie 2014/104/EU (RL)23 zugrunde gelegt. Nach Verabschiedung der RL hat sich der europarechtlich gesicherte Kreis der Anspruchs-berechtigten erweitert, indem der EuGH in Kone24 erstmals Personen, die keine Abnehmer der Kartellanten, sondern solche anderer Wettbewerber waren, eine Anspruchsberechtigung zum Ausgleich von Preisschirmeffekten zusprach.Die personelle Extension beruht auf der in st. Rspr. zu Art. 101 AEUV vertretenen „Jedermann“-Formel,25 deren Übertragbarkeit

18 Z. B. BGH, Urt. v. 23.01.1983, KZR 12/81, WuW/E BGH 1985, 1986 = WuW 1983, 473 = BGHZ 86, 324, 330 – Familienzeitung.

19 EuGH, Urt. v. 20.09.2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 = WuW/E EU-R 479 = WuW 2001, 1121 – Courage und Crehan.

20 EuGH, Urt. v. 13.07.2006, Rs. C-295/04, ECLI:EU:C:2006:461= WuW/E EU-R 1975 = WuW 2006, 1069, 4. Ls. und Rn. 54 � – Manfredi. Der Manfredi-Tenor wurde obiter bestätigt durch EuGH, Urt. v. 14.06.2011, Rs. C-360/09, ECLI:EU:C:2011:389 = WuW/E EU-R 1975 = WuW 2011, 769, 4. Ls. und Rn. 28 �. – P�eiderer; Urt. v. 06.11.2012, Rs. C-199/11, ECLI:EU:C:2012:684 = WuW/E EU-R 2566 = WuW 2013, 49, Rn. 41 – Otis; Urt. v. 06.06.2013, Rs. C-536/11, ECLI:EU:C:2013:366 = WuW/E EU-R 2746 = WuW 2013, 797, Rn. 23 – Donau Chemie.

21 Vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2011, KZR 75/10, BGHZ 190, 145 = WuW/E DE-R 3431 = WuW 2012, 57 – ORWI. Dazu Bergmann/Fiedler, BB 2012, 206; Kersting/Dworschak, JZ 2012, 777; Kirchho�, WuW 2012, 927; Morell, WuW 2013, 959; Buntscheck, WuW 2013, 947.

22 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 15/3640, 54. Überblick zur Regelungshistorie bei Poelzig, Norm-durchsetzung im dt. Privatrecht, 2012, S. 154 �.

23 Richtlinie 2014/104/EU über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaat-lichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. L 349/1. Dazu Kersting, WuW 2014, 564; Lettl, WRP 2015, 537; Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7; zum abweichenden Kommissionsentwurf vom 11.06.2013 und Praxisleitfaden zur Schadensberechnung Gussone/Schreiber, WuW 2013, 1040; Bernhard, NZKart 2013, 4888; zum vorbereitenden Weißbuch (KOM(2008) 165 endg.) Kießling, GRUR 2009, 733. Vgl. zudem zur Umsetzung Kersting/Preuss, Umsetzung der Kartellschadenser-satzrichtlinie (2014/104/EU) – Ein Gesetzgebungsvorschlag aus der Wissenschaft, 2015; Müller-Gra�, ZHR 179 (2015), 691.

24 EuGH, Urt. v. 05.06.2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 = WuW/E EU-R 3030 = WuW 2014, 783 – Kone; zust. Gänser/Harsdorf, ÖZK 2014, 167 �.; Lettl, WuW 2014, 1032; Matranga, ECLR 36 (2015), S. 362 �.; zum ökonomischen Hintergrund von Preisschirme�ekten Inderst/Maier-Rigaud/Schwalbe, WuW 2014, 1043.

25 Zuletzt EuGH, Urt. v. 05.06.2014 (Fn. 24), Rn. 20 �. – Kone.

WuW Nr. 02 05.02.201668

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auf Verstöße gegen Art. 102 AEUV anerkannt ist:26 „[D]ie Art. 101 Abs. 1 AEUV und 102 AEUV [erzeugen] in den Beziehungen zwi-schen Einzelnen unmittelbare Wirkungen und [lassen] unmit-telbar in deren Person Rechte entstehen (…), die die nationalen Gerichte zu wahren haben. Die volle Wirksamkeit des Art. 101 AEUV und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in seinem Abs. 1 ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist. Daher kann jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen, wenn zwischen dem Schaden und einem nach Art. 101 AEUV verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusam-menhang besteht. Das Recht eines jeden, Ersatz eines solchen Schadens zu verlangen, erhöht nämlich die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln der Union und ist geeignet, Unternehmen von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können; damit trägt es zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Europäischen Union bei.“ Personelle Ein-schränkungen sieht die Rechtsprechungsformel nicht vor.

b) Abbildung in der Kartellschadensersatz-RichtlinieDie Kartellschadensersatz-Richtlinie 2014/104/EU (RL) greift die EuGH-Judikatur mit leichten Modifikationen auf. Nach Art. 3 Abs. 1 RL soll jede natürliche oder juristische Person, die einen durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ver-ursachten Schaden erlitten hat, vollständigen Ersatz verlangen können. Personelle Beschränkungen sucht man dort ebenso ver-geblich wie in Art. 1 Abs. 1 zum Geltungsbereich der Richtlinie, die gewährleisten soll, dass „jeder, der einen durch Zuwiderhandlung … gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schaden erlitten hat,“ das Recht auf vollständigen Schadensersatz wirksam durch-setzen können soll. Weit definiert auch Art. 2 Nr. 6 RL: „Geschä-digter“ ist jeder, der einen durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schaden erlitten hat.Hinweise auf eine personelle Beschränkung auf Wettbewerber und Abnehmer finden sich auch nicht im weiteren Richtlinientext: Die RL definiert die Geschädigten, nicht aber Wettbewerber und Verbraucher; offensichtlich handelt es sich um schadensersatz-rechtlich unerhebliche Kategorien. Für eine weite Anspruchsbe-rechtigung sprechen zudem Art. 11 Abs. 2 und Abs. 5 RL. Nach Abs. 2 ist der Ersatzanspruch gegen kleine und mittlere Unterneh-men auf Ansprüche unmittelbarer und mittelbarer Abnehmer beschränkt. Dies gilt „unbeschadet des Rechts auf vollständigen Schadensersatz nach Art. 3“, der folglich einem weiteren Perso-nenkreis zustehen muss. Nach Abs. 5 soll bei anderen Geschä-digten als unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern und Lieferanten der Schaden anhand der relativen Verantwortung des Schädigers bestimmt werden. Die „anderen Geschädigten“ könnten nur die (unmittelbaren) Wettbewerber sein. Näher liegt es, Art. 11 Abs. 2 und 5 RL als Kontrast zum „jeder“ gem. Art. 1 Abs. 1, 2 Nr. 6 und 3 Abs. 1 RL zu deuten. Eine generell großzü-gige Tendenz zur Anspruchsberechtigung ist auch Art. 2 Nr. 4 RL zu entnehmen, wonach Zessionare Ansprüche der Zedenten geltend machen dürfen.27 Die Großzügigkeit erklärt sich mit der gedanklichen Ausgangsposition der RL, dass ein zivilrechtlicher Ersatz von Schäden infolge Verletzung der Art. 101, 102 AEUV

26 EuGH, Urt. v. 20.09.2001 (Fn. 19), Rn. 23 – Courage und Crehan; Bulst, in: Langen/Bunte, Kar-tellR, Bd. 2, 12. Au�. 2014, Art. 102 AEUV Rn. 391.

27 Vgl. dazu Kersting/Preuss (Fn. 23), S. 42 f.

regelmäßig am Schadensnachweis scheitert,28 eine Extension der Anspruchsberechtigung unüberschaubare Klagehäufungen also nicht erwarten lässt.

c) Keine unmittelbaren Rechte mittelbar Geschädigter aus Art. 102 AEUV?

Das Schutzzweckargument des OLG Düsseldorf könnte man als Versagung unmittelbarer Rechte des Aktionärs aus Art. 101, 102 AEUV deuten. Insoweit darf man dem EuGH aber wohl Großzü-gigkeit attestieren. So überwindet der EuGH im OTIS-Urteil selbst Bedenken wegen Befangenheit des Richters in eigener Sache, um der „Jedermann“-Formel zur Durchsetzung zu verhelfen.29

Für diese Großzügigkeit spricht im Kontext des Art. 102 AEUV, dass ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung den Marktaustritt insbesondere der neuen Wettbewerber, jedenfalls aber den Erhalt des Status Quo der Marktdominanz bezweckt. Jeder Markteintritt geht mit Anfangsverlusten einher. Den Austritt des neuen Wettbewerbers erreicht nur, wer neben dem Wettbewerber auch dessen Finanziers frustriert, sodass diese die Finanzierung des Wettbewerbers einstellen. Denn bei unbe-grenzter Nachfinanzierung der neuen Wettbewerber wird die bezweckte Verteidigung der Marktstellung misslingen.Primärziel des Marktmachtmissbrauchs ist deshalb nicht die Ertragskraft des neuen Wettbewerbers, mit der es anfangs regel-mäßig nicht gut bestellt ist, sondern die Finanzierungsbereitschaft seiner Aktionäre. Die Schädigung des Rechtsträgers ist damit Zwischen-, die seiner wesentlich beteiligten Gesellschafter Haupt-ziel. Dies unterscheidet den geschädigten Aktionär eines Wett-bewerbers (z. B.) von dem Angehörigen eines kartellgeschädigten Verbrauchers, der den Kartellschaden nicht zwangsläufig finanziell spüren muss.

2. Haftungsbegründender TatbestandVon den zahlreichen mit der „Jedermann“-Formel verbunde-nen Zweifelsfragen30 sind zwei für die Anspruchsberechtigung mittelbar Geschädigter von besonderer Bedeutung: Die Frage nach dem europäischen Minimalstandard und der zulässigen Konkretisierung durch das nationale Recht.

a) Conditio sine qua non und AdäquanzDer Minimalstandard lässt sich dem Kone-Urteil entnehmen. Dessen vagen Formulierungen31 ist eine Anerkennung der (natür-lichen) Kausalität (conditio sine qua, Äquivalenzformel) und der Vorhersehbarkeit (i. e. die Adäquanzformel) zu entnehmen. Die von einem Teil des Schrifttums aus der EuGH-Rspr. zur europäischen Staatshaftung abgeleitete Unmittelbarkeit des Kausalzusammenzusammenhangs32 lehnt der EuGH jedoch ab.33

28 Vgl. Erw. 13, 14 Kartellschadensersatz-Richtlinie.29 Vgl. EuGH, Urt. v. 06.11.2012 (Fn. 20), Rn. 40 – Otis.30 Dazu Bornkamm, in: Langen/Bunte (Fn. 32), § 33 Rn. 49 f.; Alexander (Fn. 1), S. 325 �.; Poelzig

(Fn. 22), S. 153 �.31 Vgl. EuGH, Urt. v. 05.06.2014 (Fn. 24), Rn. 34 – Kone („Daher kann ein … Geschädigter den Ersatz

des ihm durch die Mitglieder eines Kartells entstandenen Schadens verlangen, obwohl er keine vertraglichen Beziehungen zu ihnen hatte, wenn erwiesen ist, dass dieses Kartell nach den Um-ständen des konkreten Falles und insbesondere den Besonderheiten des betre�enden Marktes ein „umbrella pricing“ durch eigenständig handelnde Dritte zur Folge haben konnte, und wenn diese Umstände und Besonderheiten den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben konnten. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.“).

32 Vgl. Meessen, Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht, S. 2011, S. 200 (mit Nachweisen zur EuGH-Rspr.); im Ergebnis ähnlich Koch, WuW 2005, 1210, 1218, 1221; ebenso noch Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, 10. Au�. 2006, § 33 Rn. 38; zurückhaltender jetzt ders., in: Langen/Bunte (Fn. 32), § 33 Rn. 54.

33 EuGH, Urt. v. 05.06.2014 (Fn. 24), Rn. 33 – Kone.

WuW Nr. 02 05.02.2016 69

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Die Vorhersehbarkeit ist kein Kriterium des Anspruchs gem. Art. 3 Abs. 1 RL; ein durch Verstoß gegen das Wettbewerbs-recht „verursachter Schaden“ genügt. Gem. Erw. 12 soll die Kartellschadensersatz-Richtlinie die EuGH-Judikatur abbil-den, deren Weiterentwicklung jedoch nicht behindern. Die der RL nachfolgende Konkretisierung mittels Vorhersehbarkeit / Adäquanz in Kone ist eine solche Weiterentwicklung und damit bei der RL-Anwendung zu berücksichtigen.Die soeben dargestellten Kriterien können durchaus zur Ablehnung des haftungsbegründenden Tatbestands führen. Zur vorrangigen Frage, ob der Vermögensschaden auf der Verletzung des Art. 102 AEUV beruht, haben sich die erste und zweite Instanz im Telegate-Fall einer Feststellung enthalten. So könnte die Kapitalmaßnahme aufgrund einer anfängli-chen Unterfinanzierung ohnedies erforderlich, ein möglicher Kartellschaden bereits durch höhere Weiterverkaufskosten ausgeglichen sein. Eine Kapitalmaßnahme kann zudem andere Gründe als die Finanzierung der AG haben. So ist es etwa durchaus üblich, einflussreiche Investoren, Inkubatoren, Zulieferer und Kunden am Unternehmen zu beteiligen.Zur weiteren Frage der Vorhersehbarkeit der Schädigung gilt: Die Finanzierung eines neuen Markteintritts, der typischerweise mit Anfangsverlusten einhergeht, erfolgt üblicherweise in mehreren Finanzierungsrunden. Kommt es infolge des Wettbewerbsver-stoßes zu einer Vertiefung der Verluste oder einer Minderung der Erträge, sind weitere Finanzierungsrunden mit niedriger Bewertung zwangsläufig. Der Verwässerungsschaden – so er denn auf dem Verstoß beruht – ist deshalb vorhersehbar. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der großzügigen Handhabung des Adäquanz-Kriteriums im deutschen Deliktsrecht.34

b) Konkretisierung durch nationales RechtDie Konkretisierung über die Äquivalenz- und Adäquanzformeln hinaus überlässt der EuGH dem nationalen Recht: „In Ermange-lung einer einschlägigen Unionsregelung ist die Regelung der Modalitäten für die Ausübung dieses Rechts einschließlich derjenigen für die Anwendung des Begriffs ‚ursächlicher Zusam-menhang‘ Aufgabe der innerstaatlichen Rechtsordnung des ein-zelnen Mitgliedstaats.“35 Nach Erw. 11 RL dürfen einzelstaatliche Bedingungen für Schadensersatz „wie etwa Zurechenbarkeit, Angemessenheit oder Schuld“ beibehalten werden.Die Konkretisierungsbefugnis dürfte jedoch die Schutznormtheo-rie des OLG Düsseldorf nicht decken. Zwar könnte man die Nicht-erwähnung unbeteiligter Dritter in der RL als Indizien für eine begrenzte Anspruchsberechtigung deuten;36 auch der (unverbind-liche) Kommissionsleitfaden zur Ermittlung des Ersatzanspruchs nennt für den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung nur Wettbewerber und Abnehmer betreffende Beispiele.37 Jedoch verstößt die Schutznormtheorie gegen Wortlaut und Zweck der Richtlinie. Ausgehend von der Prämisse, dass Beweisschwierig-keiten regelmäßig zu einer geringen Rechtsdurchsetzung führen („underenforcement“), zielt die RL auf ein effektives System priva-

34 Vgl. Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 6. Au�. 2014, Rn.  54 f. (Adäquanz selten abzulehnen); ge-nerell gegen Adäquanz als Kriterium zur Eingrenzung des haftungsbegründenden Tatbestands Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 12. Au�. 2013, Rn. 191 �.

35 EuGH, Urt. v. 05.06.2014 (Fn. 24), Rn. 24 f. – Kone.36 So nennt Erw. 12 als Beispiele für anspruchsberechtigte Personen „Verbraucher, Unternehmen

wie Behörden“. Art. 12 bis 15 RL regeln die Schadensabwälzung nur in der Abnehmerkette, nicht aber in der gleichermaßen von Schadensstreuung geprägten Gesellschafter-Beziehung.

37 Vgl. Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen ge-gen Art. 101 oder 102 AEUV, 2014, S. 62 f.

ter Rechtsdurchsetzung, wonach der auf jeder Wirtschaftsstufe entstandene Schaden durch die dort Geschädigten einklagbar sein soll.38 Damit sind auch außerordentliche hohe Ersatzansprü-che vereinbar, solange es nicht zur Überkompensation kommt (vgl. Art. 3 Abs. 3 RL). Schadensersatz, der wirksames Private Enforcement sein soll, muss spürbar sein.Die von der deutschen h. M.39 bejahte Frage, ob Schutzzwecker-wägungen neben der EuGH-Rspr. eine eigenständige Funktion zukommen kann, ist im Lichte der „Jedermann“-Formel somit dahingehend zu beantworten, dass Schutzzweckerwägungen zwar grds. zulässig sind, jedoch kein Geschädigter aufgrund eines postulierten Schutzzwecks a priori aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeschlossen sein darf.40 Damit unvereinbar ist jede normativ-pauschale Betrachtung, gleich ob diese auf das Fehlen eines adäquaten Kausalzusammen-hangs (vgl. das österreichische Bundesgericht in Kone) oder die Begrenzung des Schutzzwecks der verletzten Norm (vgl. das OLG Düsseldorf in Telegate) gestützt wird.

3. Haftungsausfüllender TatbestandWer eine Berechtigung mittelbar Geschädigter präferiert, muss sich einer Reihe von Standardargumenten erwehren, die von der minderen Differenzierungsfähigkeit, über die potenzielle Ersatz-multiplikation, das Floodgate-Argument bis hin zur Effizienz-minderung durch Schadensdiffusion reichen. Diese Diskussion ist nicht zu wiederholen.41 Hier von Interesse sind lediglich die europarechtlichen Vorgaben der EuGH-Rspr. und der RL, die dem Ermessen auf Ebene der Mitgliedstaaten Grenzen setzen.Diese Determinanten waren ursprünglich zurückhaltend ausge-prägt: Die Rspr. zum Umfang der Haftung nach Art. 340 AEUV ist nicht übertragbar,42 die Ermittlung des Umfangs des Schadenser-satzes ist grds. Aufgabe des Rechts der Mitgliedstaaten.43 Europa-rechtlich bestimmt ist nur, dass vollständiger Ersatz zu gewähren ist, der die Person in die Lage versetzt, in der sie sich ohne Verstoß befunden hätte, und der aus einem Ersatz der Vermögenseinbuße sowie entgangenem Gewinn bestehen muss.44 Weiter geht die RL, wonach die Schadensberechnung nicht zur Überkompensation führen darf (jetzt Art. 2 RL) und der Einwand der Schadensab-wälzung grds. zulässig ist (Art. 12 ff. RL).45 Mit letzterem hätte sich das OLG befassen müssen, weil nicht auszuschließen ist, dass die höheren Einkaufspreise weitergegeben werden konnten (Passing-on defence). Obwohl die Restitution des verstoßlosen Zustands auch entgangene Chancen erfasst,46 wird die Durchsetzung dieses Schadensteils regelmäßig an den Beweisproblemen hypotheti-scher Kausalverläufe scheitern (vgl. Erw. 13 RL).Dagegen sind die Ermittlung der einzelnen Schadensposten, Einschränkungen der haftungsausfüllenden Kausalität, die Vor-teilsausgleichung und mit ihr verbundene normative Wertungen nach wie vor dem nationalen Recht überlassen. Der daraus abzu-

38 Vgl. Erw. 1, 4 und 7 der Richtlinie; dazu Lettl, WRP 2015, 537; krit. unter der Prämisse der Scha-densatomisierung Makatsch/Mir, EuZW 2015, 12.

39 Vgl. für die h. M. Bornkamm, in: Langen/Bunte (Fn. 32), § 33 Rn. 34; Meessen, Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht, 2011, S. 309 m. w. N.; K. Schmidt, in: Fest-schrift für Canaris, Bd. I, 2007, S. 1175, 1186 �.; dagegen Poelzig, ZGR 2015, 801, 832.

40 Zutr. Eilmansberger, CMLRev. 2007, 431, 366.41 Ausf. Zetzsche, ZHR 179 (2015) 490, 512 f.42 Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 208 �.43 EuGH, Urt. v. 13.07.2006 (Fn. 20), Rn. 92 – Manfredi.44 Vgl. bereits EuGH, Urt. v. 13.07.2006 (Fn. 20), Rn. 95 – Manfredi.45 Für einen Vergleich zwischen der bisherigen deutschen Rechtslage und der RL vgl. dazu Kers-

ting/Preuss (Fn. 23), S. 46 �.46 A. A. Meessen (Fn. 32), S. 453.

WuW Nr. 02 05.02.201670

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leitende Wertungsspielraum muss jedoch – wie Kone klarstellt47 – individuell statt kategorisch-pauschal genutzt werden.

4. EffektivitätsprinzipNach Art. 3 und Erw. 11 f. RL sowie der EuGH-Judikatur48 müssen die einzelstaatlichen Bedingungen mit der Rspr. des Gerichtshofs, dem europäischen Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz sowie den Bestimmungen der RL im Einklang stehen. Nach dem Effek-tivitätsgrundsatz dürfen die nationalen Konkretisierungen die wirksame Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV nicht erschwe-ren oder beeinträchtigen. Für die Frage nach der Anspruchsbe-rechtigung von „Jedermann“ kommt es somit entscheidend darauf an, ob die (ggf. sehr weite) Anspruchsberechtigung die effektive Durchsetzung des Unionsrechts fördert. Dabei beschränkt sich das Effektivitätsprinzip nicht auf die Haftungsbegründung, es ist auch Leitmaxime für die Haftungsausfüllung, i. e. die Schadenshöhe.49

Das Effektivitätsprinzip gebietet eine Detailuntersuchung, warum in dem zu entscheidenden Fall die effektive Durchsetzung der vom europäischen Wettbewerbsrecht verliehenen Rechte durch Versagung des Anspruchs nicht erschwert wird. Im Rah-men dieser Argumentation ist zugunsten von Ansprüchen der Abnehmer kein Kriterium die Bündelung oder Atomisierung durch „Weiterleitung“ des Schadens, denn Art. 12 ff. RL bereiten durch Zuweisung der Anspruchsberechtigung an mittelbare Abnehmer einer Schadensatomisierung den Boden (vgl. Art. 12 ff. RL). Im Rahmen der Effektivitätsbetrachtung könnte jedoch beachtlich sein, ob der Ersatzberechtigte durch Zuweisung des Anspruchs von der Rechtsverletzung noch profitieren50 und des-halb gleichsam zur Förderung von Kartellverstößen angehalten würde, ob sich das Opfer vertraglich selbst schützen kann,51 und ob sich die Natur des Wirtschaftsguts auf einer Wirtschaftsstufe so fundamental verändert,52 dass sich der nachfolgende Abneh-mer nicht als Teil der Lieferkette versteht; dann wird er einen ihm zugesprochenen Anspruch nicht geltend machen. Es ist ineffizi-ent, in solchen Fällen eine Anspruchsberechtigung zuzusprechen.

IV. Fazit1. „Jedermann“ ist nach der einschlägigen EuGH-Rspr. und der insoweit deckungsgleichen RL jede Person, die durch den Kar-tellrechtsverstoß einen finanziellen Nachteil erleidet. Für katego-rische (teleologische) Begrenzungen besteht kein Raum. Damit unverträglich ist eine Ablehnung von Ersatzansprüchen von Aktionären einer geschädigten AG aufgrund des Schutzzwecks der Norm, wie vom OLG Düsseldorf und einem Teil des deutschen Schrifttums vertreten. Ebenso unzulässig ist die von der Vorins-tanz LG Köln angedeutete Ablehnung des Ersatzanspruchs man-gels unmittelbarer oder direkter Schädigung. Das im deutschen Deliktsrecht etablierte Dogma vom Gläubigerinteresse findet im europäisch geprägten Kartelldeliktsrecht keine Entsprechung.2. Auf Ebene des haftungsbegründenden Tatbestands weiterhin zulässig ist eine Begrenzung von Ersatzansprüchen (1) man-

47 EuGH, Urt. v. 05.06.2014 (Fn. 24), Rn. 33 – Kone („Die volle Wirksamkeit von Art. 101 AEUV wäre aber in Frage gestellt, wenn das jedem zustehende Recht, Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu verlangen, nach dem nationalen Recht kategorisch und unabhängig von den speziellen Umständen des konkreten Falles vom Vorliegen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs abhängig gemacht würde …“).

48 EuGH, Urt. v. 05.06.2014 (Fn. 24), Rn. 25 – Kone.49 Bereits EuGH, Urt. v. 13.07.2006 (Fn.  20), Rn.  92 – Manfredi; dazu Meessen (Fn.  32), S.  447;

Poelzig, ZGR 2015, 801, 832 f.; Müller-Gra�, ZHR 179 (2015), 698 �.50 Vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2011 (Fn. 21), Rn. 50 f. – ORWI.51 Vgl. Zetzsche, ZHR 179 (2015), 522.52 Im Ergebnis auch Bulst (Fn. 1), S. 252; Bulst kommt zu dem Schluss jedoch auf der Grundlage einer

hier abgelehnten Unmittelbarkeitsmaxime; Bsp.: Mehlanteil in Brötchen, Eieranteil im Kuchen.

gels von Art. 101 und 102 AEUV gewährter Rechte, (2) mangels Kausalität i. S. der Äquivalenzformel (conditio sine qua non), sowie (3) mangels Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts. Der EuGH zeigt sich bei der Rechtszuweisung großzügig. Der Vor-hersehbarkeit kommt bei der Haftungsbegründung selten eine Filterfunktion zu. Nukleus ist damit der Kausalitätsnachweis.3. Der Schwerpunkt der Argumentation liegt bei mittelbaren Schädigungen durch Wettbewerbsverstöße im Bereich des haftungsausfüllenden Tatbestands, und dort der haftungsaus-füllenden Kausalität sowie der Vorteilsausgleichung / Schadens-abwälzung. Insbesondere die im Rahmen der Vorteilsausglei-chung möglichen normativen Anreicherungen bieten Raum für Ergebnisgestaltung.4. Im Telegate-Fall hätte das OLG Düsseldorf einen offenbar als unbillig erachteten Anspruch auch ohne das zweifelhafte Schutzzweckargument ablehnen können, insbesondere weil (1) die Unterbewertung und Verwässerung nicht auf dem Miss-brauch der marktbeherrschenden Stellung beruhen oder (2) nach Berücksichtigung der Vorteile aus den höheren Endverbraucher-kosten für Auskunftsdienste kein zu ersetzender Schaden ver-blieben ist (Passing-on-Defence). Sind diese Ablehnungsgründe nicht gegeben, ist der Verwässerungsschaden grds. ersatzfähig, die Unterbewertung als Reflexschaden jedoch nicht.

SummaryThe article reviews the options granted by European law to limit damage claims in light of the ECJ’s judicature in Courage vs. Crehan, Manfredi and Kone. A recent decision of the Higher Regional Court („OLG“) of Düsseldorf in the Telegate/Telekom litigation provides the background of this analysis: the founding shareholders of Telegate, a company engaged in hotline services, claim damages for losses suf-fered from the violation of Art. 102 TFEU. The losses claimed consist of a) the lower share price of their shares upon the day they sold their shares back in 2000, and b) the dilution of their share in the company due to three capital increases between 1997 and 1999. The Higher Regional Court („OLG“) of Düsseldorf denied the claims on the basis that the objective of Art. 102 AEUV is limited to market participants which includes competitors, customers/clients and consumers. The author rejects the court’s objective-based argument and argues that a monopolist’s abuse of a dominant position under Art.  102 TFEU necessarily targets its competitors’ shareholders, given that new en-trants typically suffer losses and the competitiveness of the new en-trant thus depends on the willingness of its shareholders to support the loss-making entity. He further argues that the shareholders enjoy standing to sue under both the ECJ’s judicature and the Directive 2014/104/EU on antitrust damages actions. Whether compensation shall be granted depends for the most part on whether the share-holders can show that the damages are caused by the antitrust vio-lation. Further, while the lower value of the shares may be compen-sated by granting damages to the firm rather than the shareholders, the damage suffered from dilution of shares is unrelated to the firm’s damage and unique to the shareholders: in the absence of the anti-trust violation, internal financing (i. e. the firm’s income) substitutes for the external financing provided by the shareholders. The author argues that, as a principle, the dilution damage shall be granted as private enforcement of Art. 102 TFEU if the claimants can show that the abuse of the dominant position prompted the losses.

Redaktioneller Hinweis:Vgl. die Anhörungsrüge des BGH, Beschl. v. 18.05.2015, KZR 36/14, WuW 2015, 1010 = WuW01125763.

METATAGS: meta_zeitschrift_WUW; meta_doctype_Aufsatz; meta_SiriusID_1189177; meta_RawID_0;

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Zur Kartellkomplizenschaft im EU-KartellrechtPassive Beteiligung an Zuwiderhandlungen • Berechnung von Geldbußen • Haftung von Beratungsunternehmen • Bestimmt-heitsgrundsatz • Vorhersehbarkeit • Prüfungsumfang

Art. 101, 102 AEUV; Art. 47 GRCh; Art. 23 VO (EG) Nr. 1/20031. Auch passive Formen der Beteiligung an der Zuwider-

handlung können eine Komplizenschaft zum Ausdruck bringen, die geeignet ist, die Verantwortlichkeit des Unternehmens im Rahmen von Art.  81 Abs.  1 EG (Art. 101 Abs. 1 AEUV) zu begründen.

2. Mit der Vorhersehbarkeit der strafrechtlichen Ver-antwortlichkeit ist es nicht unvereinbar, dass die be-treffende Person gezwungen ist, fachkundigen Rat einzuholen, um unter den Umständen des konkreten Falles angemessen zu beurteilen, welche Folgen sich aus einer bestimmten Handlung ergeben können.

3. Die Kommission hat bei der Bestimmung der Geld buße ihrer Begründungspflicht genügt, wenn sie in ihrer Ent-scheidung die Beurteilungsgesichtspunkte angibt, die es ihr ermöglichen, Schwere und Dauer der Zuwider-handlung zu ermitteln. Sie ist nicht verpflichtet, bezif-ferte Angaben zur Berechnungsweise der Geldbuße zu machen.

(LS von der Redaktion formuliert)EuGH, Urteil vom 22.10.2015 – Rs. C-194/14, AC-Treuhand

AUS DEM SACHVERHALTRechtlicher RahmenVerordnung (EG) Nr. 1/2003Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geld-bußen gem. Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1/2003[1 … 4] (Ziff. 4-6, 13, 36 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen)

Vorgeschichte des Rechtsstreits[5] Mit der streitigen Entscheidung legt die Kommission einer Reihe von Unternehmen zur Last, gegen Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 02.05.1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) verstoßen zu haben, indem sie sich an einer Reihe wettbewerbswidriger Vereinbarungen und aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen im Gebiet des EWR, zum einen im Bereich Zinnstabilisatoren und zum anderen im Bereich Epoxid Sojaöle und Ester (im Folgenden: Bereich ESBO/Ester), beteiligt hätten.[6 … 7] AC-Treuhand, deren Hauptsitz sich in Zürich befindet, ist ein Beratungsunternehmen, das verschiedene Dienstleistungen für nationale und internationale Verbände und Interessengemeinschaften anbietet, einschließlich der Geschäftsführung und Administration von schweizerischen und internationalen Fachverbänden, Vereinigungen und Non-Profit-Organisationen, der Beschaffung, Verarbeitung und Auswertung von Marktdaten, der Präsentation von Markt-statistiken und der Prüfung von gemeldeten Zahlen bei den Mitgliedern.[8] Nach Art. 1 der streitigen Entscheidung hat sich AC-Treu-hand vom 01.12.1993 bis zum 21.03.2000 im Bereich Zinnsta-bilisatoren und vom 01.12.1993 bis zum 26.09.2000 im Bereich

ESBO/Ester an einer Reihe von Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen im EWR beteiligt, die aus der Festsetzung von Preisen, der Aufteilung des Marktes unter Zuweisung von Lieferquoten, der Aufteilung und Zuteilung von Kunden und dem Austausch wirtschaftlich sensibler Informationen insbesondere über Kunden sowie Produktions- und Liefermengen bestanden hätten.[9] AC-Treuhand hat nach Ansicht der Kommission bei beiden Zuwiderhandlungen eine ähnliche, zentrale Rolle gespielt, indem sie mehrere Zusammenkünfte organisiert habe, bei denen sie anwesend gewesen sei und sich aktiv beteiligt habe, indem sie Liefermengen der betreffenden Güter erfasst und den betreffenden Herstellern zur Verfügung gestellt habe, indem sie angeboten habe, bei Spannungen zwischen diesen Herstellern als Moderator aufzutreten, und indem sie diese zu Kompromissen ermutigt habe, und zwar gegen Vergütung.[10] Gemäß Art. 2 der streitigen Entscheidung wurden gegen AC-Treuhand zwei Geldbußen zu je 174.000 Euro verhängt.[11 … 13] (Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil)[14 … 15] (Anträge der Parteien auf Nichtigerklärung und Zurückweisung des Rechtsmittels)

AUS DEN GRÜNDENZum RechtsmittelAC-Treuhand stützt ihr Rechtsmittel auf vier Gründe.Zum ersten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 81 EG und den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit[16 … 25] (Vorbringen der Parteien und Entgegentreten der Kommission)Würdigung durch den Gerichtshof[26] In der vorliegenden Rechtssache ist festzustellen, ob ein Beratungsunternehmen für eine Zuwiderhandlung gegen Art.  81 Abs.  1 EG verantwortlich gemacht werden kann, wenn es sich aktiv und in voller Kenntnis der Sachlage an der Durchführung oder der Überwachung eines Kartells zwischen Herstellern beteiligt, die auf einem anderen Markt tätig sind als es selbst.[27 … 30] Handelt es sich wie im vorliegenden Fall um Verein-barungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit wettbewerbswidrigem Zweck, kann die Kommission nach der Rspr. des Gerichtshofs nur dann auf die Teilnahme eines Unter-nehmens an der Zuwiderhandlung und seine Verantwortlichkeit für die verschiedenen Elemente, die diese umfasst, schließen, wenn sie nachweist, dass das betreffende Unternehmen durch sein Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten ver-folgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten tatsächlichen Verhalten wusste oder dieses vernünftigerweise vorhersehen konnte und es bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (vgl. in die-sem Sinne EuGH, Urt. v. 08.07.1999, Rs. C-49/92 P, Rn. 86 und 87, EU:C:1999:356 = WuW 2000, 642 = WuW 0199795 – Kommission/Anic Partecipazioni und EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P, C-219/00 P, Rn. 83, EU:C:2004:6 = WuW 2005, 557 = WuW0128586 – Aalborg Portland u. a./Kommission).

Passive Beteiligung an einer Zuwiderhandlung[31] In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof u. a. fest-gestellt, dass passive Formen der Beteiligung an der Zuwider-

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handlung, wie die Teilnahme eines Unternehmens an Sitzun-gen, bei denen, ohne dass es sich offen dagegen ausgesprochen hat, wettbewerbswidrige Vereinbarungen getroffen wurden, eine Komplizenschaft zum Ausdruck bringen, die geeignet ist, die Verantwortlichkeit des Unternehmens im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG zu begründen, da die stillschweigende Billigung einer rechtswidrigen Initiative, ohne sich offen von deren Inhalt zu distanzieren oder sie bei den Behörden anzu-zeigen, dazu führt, dass die Fortsetzung der Zuwiderhandlung begünstigt und ihre Entdeckung verhindert wird (vgl. in die-sem Sinne EuGH, Urt. v. 28.06.2005, Rs. C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P bis C-208/02 P und C-213/02 P, Rn. 142 und 143, EU:C:2005:408 = WuW 2005, 819 = WuW0137512 – Dansk Rør-industri u. a./Kommission und die dort angeführte Rspr.).[32 … 33] Aus diesen Erwägungen geht aber nicht hervor, dass die Begriffe „Vereinbarung“ und „abgestimmte Verhal-tensweise“ eine wechselseitige Beschränkung der Handlungs-freiheit auf ein und demselben Markt, auf dem alle Parteien vertreten wären, voraussetzen.[34 … 35] Nach gefestigter Rspr. des Gerichtshofs bezieht sich [nämlich] der Wortlaut von Art. 81 Abs. 1 EG allgemein auf alle Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, die – sei es in horizontalen oder vertikalen Beziehungen – den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt verfälschen, unabhän-gig davon, auf welchem Markt die Parteien tätig sind, und unabhängig davon, dass nur das Geschäftsverhalten einer der Parteien durch die Bedingungen der in Rede stehenden Vereinbarungen betroffen ist (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 30.06.1966, Rs. 56-65, S.  358, EU:C:1966:38 – LTM/MBU; EuGH, Urt. v. 13.07.1966, Rs. C-56/64 und 58/64, S. 492 und 493, EU:C:1966:41 – Consten und Grundig/Kommission; EuGH, Urt. v. 07.06.1983, Rs. 100/80 bis 103/80, Rn. 72-80 EU:C:1983:158 – Musique Diffusion française u. a./Kommission; EuGH, Urt. v. 03.07.1985, Rs. 243/83, Rn. 39-47, EU:C:1985:284 – Binon; EuGH, Urt. v. 28.04.1998, Rs. C-306/96, Rn. 10-14, EU:C:1998:173 = WuW 1998, 611 = WuW0199244 – Javico).[36 … 37] Im vorliegenden Fall hat AC-Treuhand nach den Feststellungen des Gerichts in Rn. 10 des angefochtenen Urteils bei beiden in Rede stehenden Zuwiderhandlungen eine ähnli-che, zentrale Rolle gespielt, indem sie mehrere Zusammen-künfte organisiert hat, bei denen sie anwesend war und sich aktiv beteiligt hat, indem sie Liefermengen der betreffenden Güter erfasst und den Herstellern der Wärmestabilisatoren zur Verfügung gestellt hat, indem sie angeboten hat, bei Span-nungen zwischen den betroffenen Herstellern als Moderator aufzutreten, und indem sie diese zu Kompromissen ermutigt hat, und zwar gegen Vergütung.

Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit der strafbaren Handlungen[38 … 40] Was als Zweites die behauptete Verletzung des Grundsatzes der gesetzlichen Bestimmtheit von straf baren Handlungen und Strafen durch das Gericht angeht, ist fest-zustellen, dass nach der Rspr. des Gerichtshofs aus diesem Grundsatz folgt, dass die Straftaten und die für sie angedroh-ten Strafen gesetzlich klar definiert sein müssen. Diese Vor-aussetzung ist erfüllt, wenn der Rechtsunterworfene anhand des Wortlauts der einschlägigen Bestimmung und nötigenfalls mit Hilfe ihrer Auslegung durch die Gerichte erkennen kann, welche Handlungen und Unterlassungen seine strafrechtli-che Verantwortung begründen (vgl. EuGH, Urt. v. 22.05.2008,

Rs. C-266/06 P, Rn. 39, EU:C:2008:295 = WuW 2008, 1027 = WuW0297957 – Evonik Degussa/Kommission und die dort angeführte Rspr.).

Kriterium der Vorhersehbarkeit[41] Der Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafba-ren Handlungen und Strafen darf folglich nicht so verstanden werden, dass er die schrittweise Klärung der Vorschriften über die strafrechtliche Verantwortlichkeit durch richterliche Auslegung von Fall zu Fall untersagt, vorausgesetzt, dass das Ergebnis zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung insbesondere unter Berücksichtigung der Auslegung, die zu dieser Zeit in der Rspr. zur fraglichen Rechtsvorschrift vertre-ten wurde, hinreichend vorhersehbar ist (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 28.06.2005, Rs. C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P bis C-208/02 P und C-213/02 P, Rn. 217 und 218, EU:C:2005:408 = WuW0137512 – Dansk Rørindustri u. a./Kommission).

Einholung von fachkundigem Rat[42] Die Bedeutung des Begriffs der Vorhersehbarkeit hängt in hohem Maß vom Inhalt der in Rede stehenden Vorschriften, von dem durch sie geregelten Bereich sowie von der Zahl und der Eigenschaft ihrer Adressaten ab. Mit der Vorhersehbarkeit des Gesetzes ist es nicht unvereinbar, dass die betreffende Person gezwungen ist, fachkundigen Rat einzuholen, um unter den Umständen des konkreten Falles angemessen zu beur-teilen, welche Folgen sich aus einer bestimmten Handlung ergeben können. (…)[43] Vor diesem Hintergrund hätte AC-Treuhand, auch wenn die Gerichte der Europäischen Union zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlungen, die Anlass der streitigen Entscheidung waren, noch keine Gelegenheit gehabt hatten, sich konkret zu dem Verhalten eines Beratungsunternehmens wie dem von AC-Treuhand zu äußern, insbesondere unter Berücksichti-gung der sich aus der Rspr. des Gerichtshofs ergebenden weiten Bedeutung der Begriffe „Vereinbarung“ und „abgestimmte Verhaltensweise“ nötigenfalls nach Einholung fachkundigen Rates davon ausgehen müssen, dass ihr Verhalten für mit den Wettbewerbsregeln des Unionsrechts unvereinbar erklärt werden könnte. (…)[44 … 46] Der erste Rechtsmittelgrund ist daher unbegründet.Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen den Grund-satz der Gesetzmäßigkeit, den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Begründungspflicht[47 … 51] (Vorbringen der Parteien und Entgegentreten der Kommission)Würdigung durch den Gerichtshof[52 … 53] AC-Treuhand [erhebt] im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittelgrundes neue Rügen, mit denen sie unabhän-gig von der Frage, ob die Anwendbarkeit von Art. 81 EG auf ihr Verhalten vorhersehbar war, die Unvorhersehbarkeit des hohen Betrags der im vorliegenden Fall gegen sie verhängten Geldbußen und einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungs-grundsatz geltend macht.

Prüfungsumfang im Rechtsmittelverfahren[54] Nach st. Rspr. könnte eine Partei, wenn ihr erlaubt wäre, vor dem Gerichtshof erstmals Angriffs- oder Verteidigungs-mittel und Argumente geltend zu machen, die sie vor dem Gericht nicht geltend gemacht hat, den Gerichtshof, dessen Befugnisse im Rechtsmittelverfahren beschränkt sind, im

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Ergebnis mit einem weiterreichenden Rechtsstreit befassen, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte. Im Rechtsmittelver-fahren ist die Zuständigkeit des Gerichtshofs daher auf die Prüfung beschränkt, wie das Gericht die vor ihm erörterten Klagegründe und Argumente gewürdigt hat. Die genannten Rügen sind daher als unzulässig zurückzuweisen.[55] Zu der von AC-Treuhand erhobenen Rüge einer man-gelnden Begründung in Bezug auf die Erfordernisse, die sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben, genügt die Feststellung, dass dem Gericht nicht vorgeworfen werden kann, über einen Klagegrund nicht entschieden zu haben, der ihm nicht unterbreitet worden ist (vgl. in diesem Sinne u. a. EuGH, Urt. v. 08.12.2011, Rs. C-386/10 P, Rn. 70, EU:C:2011:815 – Chalkor/Kommission). Diese Rüge ist daher als unbegründet zurückzuweisen.Zum dritten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003, die Leitlinien von 2006 sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Gleichbe-handlung und der Verhältnismäßigkeit[56 … 59] (Vorbringen der Parteien und Entgegentreten der Kommission)Würdigung durch den Gerichtshof[60 … 62] Soweit AC-Treuhand geltend macht, das Gericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Kommission nicht verpf lichtet gewesen sei, die verhängten Geldbußen auf der Grundlage der Honorare, die sie erhalten habe, fest-zusetzen, ist darauf hinzuweisen, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden darf, der mit den Waren, hinsichtlich deren die Zuwiderhandlung begangen wurde, erzielt worden ist und der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 23.04.2015, Rs. C-227/14 P, Rn. 50, EU:C:2015:258 = WuW 2015, 798 = WuW0708144 – LG Display und LG Display Taiwan/Kommission).[63 … 64] (Ziff. 13 der Leitlinien)Nach Ziff. 37 der Leitlinien von 2006 allerdings wird „[i]n die-sen Leitlinien … die allgemeine Methode für die Berechnung der Geldbußen dargelegt; jedoch können die besonderen Umstände eines Falles oder die Notwendigkeit einer ausrei-chend hohen Abschreckungswirkung ein Abweichen von dieser Methode … rechtfertigen“.Im vorliegenden Fall steht fest, dass von den festgestellten Zuwiderhandlungen nur die Märkte für Zinn- und ESBO/Ester-Wärmestabil isatoren betroffen sind, auf denen AC-Treuhand als Beratungsunternehmen nicht tätig war. Folglich kann kein Teil des von diesem Unternehmen erziel-ten Umsatzes aus Waren stammen, die Gegenstand dieser Zuwiderhandlungen waren. Unter solchen Umständen würde die Bestimmung der verhängten Geldbußen auf der Grund-lage der Honorare, die AC-Treuhand für die den Herstellern erbrachten Dienstleistungen erhalten hat, zur Berücksich-tigung eines Wertes führen, der zwar einen Hinweis auf die Höhe des Gewinns liefert, den sie aus den Zuwiderhandlungen gezogen hat, jedoch entgegen dem mit Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 verfolgten Zweck weder die wirtschaftliche Bedeu-tung der fraglichen Zuwiderhandlungen noch das Gewicht der individuellen Beteiligung von AC-Treuhand an diesen angemessen widerspiegeln würde.

[65 … 67] Folglich hat das Gericht in den Rn. 302-305 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Kommission den Grundbetrag der verhängten Geldbußen zu Recht abweichend von der in den Leitlinien von 2006 vorge-sehenen Berechnungsmethode für Geldbußen nach Ziff. 37 dieser Leitlinien pauschal festgesetzt hat. Daher ist die Rüge von AC-Treuhand, mit der sie insoweit einen Verstoß gegen die Leitlinien von 2006 geltend macht, als unbegründet zurück-zuweisen.

Keine Pflicht zur Offenlegung der Berechnungsweise der Geldbuße[68] Soweit AC-Treuhand beanstandet, das Gericht habe unzutreffend festgestellt, dass die Kommission ihre Ent-scheidung in Bezug auf die Kriterien, anhand deren sie den Betrag der verhängten Geldbuße festgesetzt habe, hinreichend begründet habe, ist festzustellen, dass die Kommission bei der Bestimmung des Betrags der wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbuße ihrer Begründungs-pf licht genügt, wenn sie in ihrer Entscheidung die Beurtei-lungsgesichtspunkte angibt, die es ihr ermöglichten, Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu ermitteln; sie ist nicht verpflichtet, bezifferte Angaben zur Berechnungsweise der Geldbuße zu machen (vgl. in diesem Sinne u. a. EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-295/12 P, Rn. 181, EU:C:2014:2062 = WuW 2015, 88 = WuW0688792 – Telefónica und Telefónica de España/Kommission).[69] Im vorliegenden Fall ist insbesondere festzustellen, dass in den Erwägungsgründen 747-750 der streitigen Entschei-dung die Faktoren bezüglich Schwere und Dauer der von AC-Treuhand begangenen Zuwiderhandlungen genannt werden, die von der Kommission zur Berechnung der gegen dieses Unternehmen verhängten Geldbußen herangezogen wurden. Daraus folgt, dass dem Gericht nicht vorgeworfen werden kann, in den Rn.  306 und 307 des angefochtenen Urteils festgestellt zu haben, dass die Kommission den Anforderungen, die sich aus der ihr obliegenden Begrün-dungspf licht ergeben, genügt habe. Folglich ist diese Rüge unbegründet.[70] Infolgedessen ist der dritte Rechtsmittelgrund als teil-weise unzulässig und teilweise unbegründet zurückzuwei-sen.Zum vierten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 261 AEUV, den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechts-schutzes sowie Art. 23 Abs. 3 und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003[71] Mit ihrem vierten Rechtsmittelgrund macht AC-Treu-hand geltend, das angefochtene Urteil sei rechtsfehlerhaft, da das Gericht seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprü-fung nicht in einer Weise ausgeübt habe, die einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz i. S. von Art. 47 Abs. 1 der Charta gewährleiste.[72 … 73] (Vorbringen der Parteien und Entgegentreten der Kommission)Würdigung durch den Gerichtshof[74] Bei der gerichtlichen Kontrolle von Entscheidungen der Kommission, eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld wegen Ver-stoßes gegen die Wettbewerbsregeln zu verhängen, verfügt der Unionsrichter über die in Art.  263 AEUV vorgesehene Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus über eine ihm durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 im Einklang mit Art. 261 AEUV

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eingeräumte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, die ihn ermächtigt, die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herab-zusetzen oder zu erhöhen (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 18.07.2014, Rs. C-501/11 P, Rn. 36, EU:C:2013:522 = WuW 2013, 1026 = WuW0612368 – Schindler Holding u. a./Kommission und die dort angeführte Rspr.).

Unbeschränkte Nachprüfung gem. Art. 261 AEUV nicht von Amts wegen[75] Es ist jedoch zu beachten, dass die Ausübung der Befug-nis zu unbeschränkter Nachprüfung gem. Art.  261 AEUV und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 nicht einer Prüfung von Amts wegen entspricht und dass das Verfahren vor den Unionsgerichten ein streitiges Verfahren ist. Mit Ausnahme zwingenden Rechts, das der Richter von Amts wegen zu berücksichtigen hat, ist es daher Sache des Klägers, gegen die streitige Entscheidung Klagegründe geltend zu machen und für die Klagegründe Beweise beizubringen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.07.2014, Rs. C-295/12 P, Rn. 213, EU:C:2014:2062 = WuW0688792 – Telefónica und Telefónica de España/Kom-mission und die dort angeführte Rspr.).[76] Dagegen hat der Unionsrichter, um den Erfordernissen des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes i. S. von Art. 47 Abs. 1 der Charta zu genügen und angesichts des Umstands, dass nach Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 die Höhe der Geldbuße anhand der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung festzusetzen ist, bei der Ausübung der Befugnisse nach den Art. 261 AEUV und 263 AEUV jegliche Rechts- oder Sachrüge zu prüfen, mit der dargetan werden soll, dass die Höhe der Geldbuße nicht der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung angemessen ist (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-434/13 P, Rn. 75, EU:C:2014:2456 = WuW0692481 – Kommission/Parker Hannifin Manufactu-ring und Parker-Hannifin, C-434/13 P, und die dort angeführte Rspr.).[77] Was die vorliegende Rechtssache betrifft, geht aus den Rn. 52, 53 und 60 des vorliegenden Urteils hervor, dass die Rügen von AC-Treuhand bezüglich eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung im ersten Rechtszug nicht erho-ben worden sind. Nach der in Rn. 75 des vorliegenden Urteils angeführten Rspr. des Gerichtshofs kann dem Gericht aber nicht vorgeworfen werden, diese Rügen nicht von Amts wegen im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung geprüft zu haben.[78] Im Übrigen ist festzustellen, dass das Gericht (…) auf die vorgetragenen Argumente rechtlich hinreichend eingegangen ist. Damit hat das Gericht seine richterliche Kontrolle der strei-tigen Entscheidung im Einklang mit den Erfordernissen des in Art. 47 Abs. 1 der Charta niedergelegten Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ausgeübt.[79] Infolgedessen ist der vierte Rechtsmittelgrund unbegrün-det.[80] Da die Gründe, auf die AC-Treuhand ihr Rechtsmittel stützt, teilweise unzulässig und teilweise unbegründet sind, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Redaktioneller Hinweis:Volltext-Urteil online: RS1189822.

METATAGS: meta_zeitschrift_WUW; meta_doctype_Entscheidung; meta_SiriusID_1189184; meta_RawID_1189822;

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Bezweckte und bewirkte Wettbewerbs-beschränkung bei GeschäftsraummieteBezweckte und bewirkte Wettbewerbsbeschränkung • Geschäftsraummiete • Referenzmieter-Klausel • Vertragslaufzeit

Art. 101 AEUV; Art. 11 Abs. 1 Nr. 7 Konkurences likums (Wettbe-werbsgesetz Lettland)1. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass der

Umstand, dass ein Geschäftsraummietvertrag über die Vermietung einer Supermarktfläche in einem Ein-kaufszentrum eine Klausel enthält, die dem Mieter das Recht einräumt, der Vermietung von Gewerbeflächen in diesem Einkaufszentrum durch den Vermieter an andere Mieter zu widersprechen, für sich genommen nicht bedeutet, dass dieser Vertrag eine Einschrän-kung des Wettbewerbs im Sinne dieser Bestimmung bezweckt.

2. Geschäftsraummietverträge wie die im Ausgangsver-fahren in Rede stehenden, bezüglich deren sich nach einer vertieften Prüfung des wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhangs, in dem sie ste-hen, sowie der Besonderheiten des betreffenden re-levanten Marktes erweist, dass sie erheblich zu einer möglichen Abschottung dieses Marktes beitragen, kön-nen als Vereinbarungen angesehen werden, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs i. S. von Art. 101 Abs. 1 AEUV „bewirken“. Die Bedeutung des Beitrags des einzelnen Vertrags zu dieser Abschottung hängt u. a. von der Stellung der Vertragspartner auf diesem Markt und der Laufzeit dieses Vertrags ab.

(LS von der Redaktion formuliert)EuGH, Urteil vom 26.11.2015 – Rs. C-345/14, Maxima Latvija

AUS DEM SACHVERHALTAusgangsrechtsstreit und Vorlagefragen[1 … 4] Maxima Latvija ist ein lettisches Unternehmen im Bereich des Einzelhandels mit Schwerpunkt Lebensmittel, das Supermärkte betreibt. Die Gesellschaft schloss mit Ein-kaufszentren in Lettland eine Reihe von Geschäftsraummiet-verträgen über die Vermietung von Gewerbeflächen in diesen Einkaufszentren.[5] Nach Prüfung von 119 dieser Verträge stellte der Wettbe-werbsrat fest, dass zwölf davon eine Klausel enthielten, die Maxima Latvija in ihrer Eigenschaft als „Referenzmieterin“ das Recht auf Einwilligung in die Vermietung der nicht von ihr angemieteten Gewerbeflächen durch den Vermieter an Dritte einräumten. (...)[6] [Der Wettbewerbsrat ging davon aus,] dass die Geschäfts-raummietverträge mit der Klausel vertikale Vereinbarungen darstellten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckten. Folglich erließ er eine Entscheidung, in der er feststellte, dass diese Verein-barungen gegen Art. 11 Abs. 1 Nr. 7 des Wettbewerbsgesetzes verstießen (…).(…) In Art. 11 Abs. 1 des Konkurences likums (Wettbewerbs-gesetz) heißt es:„Vereinbarungen zwischen Wirtschaftsbeteiligten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wett-

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bewerbs innerhalb Lettlands bezwecken oder bewirken, sind verboten und von Anfang an nichtig; dazu gehören insbeson-dere Vereinbarungen über…7. Handlungen (oder Unterlassungen), infolge deren ein anderer Wirtschaftsbeteiligter dazu gedrängt wird, sich aus einem bestimmten Markt zurückzuziehen, oder infolge deren der Eintritt eines möglichen Wirtschaftsbeteiligten in einen bestimmten Markt erschwert wird.“Der Nachweis, dass die Klauseln tatsächlich einzelnen Wirt-schaftsbeteiligten den Marktzugang erschwerten, sei nicht erforderlich. Der Wettbewerbsrat verhängte daher gegen Maxima Latvija eine Geldstrafe von 25.000 lettischen Lats (LVL) (etwa 35.770 Euro).[7] Maxima Latvija erhob gegen diese Entscheidung Nichtig-keitsklage bei der Administrativa apgabaltiesa (regionales Verwaltungsgericht), die die Klage mit Urteil vom 28.06.2013 abwies. Dieses Gericht entschied, dass der Zweck der im Aus-gangsverfahren in Rede stehenden Vereinbarungen angesichts der Marktmacht von Maxima Latvija auf dem Einzelhandels-markt darin bestehe, den Wettbewerb zu behindern, und es daher nicht erforderlich sei, mögliche Auswirkungen auf den Wettbewerb nachzuweisen.[8] Maxima Latvija legte gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde ein. (...)[9] Das vorlegende Gericht weist (...) darauf hin, dass zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens unstreitig sei, dass diese Vereinbarungen nicht geeignet seien, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Es ist jedoch der Ansicht, dass der Wortlaut von Art. 11 Abs. 1 des Wettbewerbsgesetzes im Wesentlichen dem von Art. 101 Abs. 1 AEUV entspreche und dass dieses Gesetz im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts anzuwenden sei. (...)[10] Unter diesen Umständen hat die Augstaka tiesa (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist die im vorliegenden Fall geprüfte Vereinbarung zwischen einem Vermieter von Geschäftsräumen und einem Einzelhändler (Referenzmieter), die das Recht des Vermieters beschränkt, eigenständig und ohne vorherige Zustimmung des genannten Referenzmieters über die Vermietung von anderen Geschäftsräumen an mögliche Wettbewerber des Referenzmieters zu entscheiden, als eine Vereinbarung zwischen Unternehmen anzusehen, die i.  S.  von Art.  101 Abs.  1 AEUV eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt?

2. Ist zur Würdigung der Vereinbarkeit dieser Vereinbarung mit Art. 101 Abs. 1 AEUV eine Prüfung der Marktstruktur durchzuführen und, wenn ja, mit welchem Ziel?

3. Ist die Marktmacht der Parteien der im vorliegenden Fall geprüften Vereinbarung und ihr möglicher Zuwachs ein Umstand, der im Rahmen der Würdigung der Verein-barkeit dieser Vereinbarung mit Art. 101 Abs. 1 AEUV zwingend zu berücksichtigen ist?

4. Falls es erforderlich ist, zur Klärung des Charakters der Vereinbarung und zum Nachweis des Vorliegens der Ele-mente einer verbotenen Vereinbarung zu prüfen, ob sich die Vereinbarung möglicherweise auf den Markt auswirkt, genügt bereits diese Möglichkeit einer Auswirkung auf den Markt, um die Vereinbarung als eine verbotene Ver-

einbarung einzuordnen, unabhängig davon, ob tatsäch-lich negative Wirkungen eingetreten sind?

AUS DEN GRÜNDENVorbemerkungen zur Zuständigkeit des Gerichtshofs[11] Es ist zu prüfen, ob der Gerichtshof für die Beantwor-tung der Vorlagefragen zuständig ist. Wie die Augstaka tiesa (Oberster Gerichtshof) in der Vorlageentscheidung ausgeführt hat, betreffen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vereinbarungen nämlich einen rein innerstaatlichen Sachver-halt und haben keine Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten. Daher ist Art. 101 AEUV auf den Aus-gangsrechtsstreit nicht anwendbar.[12] Der Gerichtshof hat insoweit wiederholt seine Zustän-digkeit für die Entscheidung über Vorabentscheidungser-suchen bejaht, die Vorschriften des Unionsrechts in Fällen betrafen, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht in den unmittelbaren Anwendungsbereich des Uni-onsrechts fiel, diese Vorschriften aber durch das nationale Recht, das sich zur Regelung rein innerstaatlicher Sach-verhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen richtete, für anwendbar erklärt worden waren. In solchen Fällen besteht nach st. Rspr. des Gerichtshofs nämlich ein klares Interesse der Europäischen Union daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu vermeiden (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 14.03.2013, Rs. C-32/11, Rn. 20, EU:C:2013:160 = WuW0593530 – Allianz Hungária Biztosító u. a./Gazdasági Versenyhivatal und EuGH, Urt. v. 04.12.2014, Rs. C-413/13, Rn. 18, EU:C:2014:2411 – FNV Kunsten Informatie en Media/Staat der Nederlanden).Zur ersten Frage[13 … 17] Wenn feststeht, dass eine Vereinbarung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt, brauchen ihre Aus-wirkungen auf den Wettbewerb (...) nicht geprüft zu werden. Lässt jedoch die Prüfung des Inhalts der Vereinbarung keine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen, sind ihre Auswirkungen zu untersuchen, und es müssen, damit sie vom Verbot erfasst wird, Umstände vorliegen, aus denen sich insgesamt ergibt, dass der Wettbewerb tat-sächlich spürbar verhindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist (EuGH, Urt. v. 14.03.2013, Rs. C-32/11, Rn.  34, EU:C:2013:160 = WuW0593530 – Allianz Hungária Biztosító u. a./Gazdasági Versenyhivatal, vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 11.09.2014, Rs. C-67/13 P, Rn.  52, EU:C:2014:2204 = WuW0682059 – CB/Kommission und EuGH, Urt . v. 19.03.2015, Rs. C-286/13 P, Rn.  116, EU:C:2015:184 – Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission).[18] (Der Begriff der „bezweckten“ Wettbewerbsbeschränkung ist eng auszulegen)[19] Insoweit steht fest, dass bestimmte kollusive Verhaltens-weisen, wie z. B. diejenigen, die zur horizontalen Festsetzung der Preise durch Kartelle führen, als ihrem Wesen nach geeig-net angesehen werden können, negative Auswirkungen auf insbesondere den Preis, die Menge oder die Qualität der Waren und Dienstleistungen zu haben, sodass für die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV der Nachweis, dass sie konkrete Auswir-kungen auf den Markt haben, als überflüssig erachtet werden kann (vgl. in diesem Sinne u. a. EuGH, Urt. v. 30.01.1985, Rs.

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C-123/85, Rn. 22, EU:C:1985:33 – BNIC/Clair). Die Erfahrung zeigt nämlich, dass solche Verhaltensweisen Minderungen der Produktion und Preiserhöhungen nach sich ziehen, die zu einer schlechten Verteilung der Ressourcen zulasten ins-besondere der Verbraucher führen (EuGH, Urt. v. 11.09.2014, Rs. C-67/13 P, Rn. 51, EU:C:2014:2204 = WuW0682059 – CB/Kommission).

Zwischen Maxima Latvija und den Einkaufszentren besteht kein Wettbewerbsverhältnis[20 … 21] Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass Maxima Latvija mit den Ein-kaufszentren, mit denen sie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge geschlossen hat, nicht im Wettbewerb steht. (...)[22] Selbst wenn die im Ausgangsverfahren streitige Klausel möglicherweise eine Einschränkung des Zugangs der Wettbe-werber von Maxima Latvija zu bestimmten Einkaufszentren zur Folge hätte, in denen diese Gesellschaft einen Supermarkt betreibt, würde dieser Umstand – sein Vorliegen unterstellt – nicht offensichtlich bedeuten, dass die Verträge, die diese Klausel enthalten, schon aufgrund des Wesens dieser Klausel den Wettbewerb auf dem relevanten Markt, d. h. dem örtlichen Markt des Lebensmitteleinzelhandels, verhindern, einschrän-ken oder verfälschen.[23] In Anbetracht der wirtschaftlichen Begleitumstände der Durchführung von Vereinbarungen wie den im Ausgangs-verfahren in Rede stehenden würde die Prüfung des Inhalts dieser Vereinbarungen es nämlich im Hinblick auf die vom vorlegenden Gericht übermittelten Akten nicht erlauben, eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs eindeutig festzustellen, die hinreichend wäre, um diese Vereinbarungen als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung i. S. von Art. 101 Abs. 1 AEUV ansehen zu können.[24] Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass ein Geschäftsraummietvertrag über die Vermietung einer Supermarktf läche in einem Einkaufszentrum eine Klausel enthält, die dem Mieter das Recht einräumt, der Vermietung von Gewerbeflächen in diesem Einkaufszentrum durch den Vermieter an andere Mieter zu widersprechen, für sich genom-men nicht bedeutet, dass dieser Vertrag eine Einschränkung des Wettbewerbs i. S. dieser Bestimmung bezweckt.Zu den Fragen 2 bis 4[25] Mit den Fragen 2 bis 4, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, unter welchen Voraus-setzungen Geschäftsraummietverträge wie die im Ausgangs-verfahren in Rede stehenden als Vereinbarungen angesehen werden können, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs i. S. von Art. 101 Abs. 1 AEUV „bewirken“.[26] (Berücksichtigung des wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhangs)[27] Im vorliegenden Fall bedeutet die Beurteilung der Auswirkungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehen-den Verträge auf den Wettbewerb erstens, dass sämtliche Umstände zu berücksichtigen sind, die für den Zugang zum relevanten Markt bestimmend sind, um zu beurtei-len, ob ein Mitbewerber in den Einzugsgebieten, in denen die von diesen Verträgen erfassten Einkaufszentren liegen, wirkliche und konkrete Möglichkeiten besitzt, dort u.  a.

durch die Belegung von Gewerbef lächen, die sich in anderen Einkaufszentren in diesen Gebieten befinden, oder durch die Belegung anderer Gewerbef lächen außerhalb dieser Einkaufszentren Fuß zu fassen. Hierbei sind u. a. die Ver-fügbarkeit und die Zugänglichkeit des Gewerbegrundes in den betreffenden Einzugsgebieten sowie das Bestehen wirt-schaftlicher, administrativer oder rechtlicher Hindernisse zu berücksichtigen, die dem Zugang neuer Mitbewerber zu diesen Gebieten entgegenstehen (vgl. entsprechend EuGH, Urt. v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, Rn. 20 und 21, EU:C:1991:91 – Delimitis/Henninger Bräu AG).[28] Zweitens sind die Bedingungen zu beurteilen, unter denen der Wettbewerb auf dem relevanten Markt stattfin-det. Hierbei geht es nicht nur um die Zahl und die Größe der auf diesem Markt tätigen Wirtschaftsteilnehmer, sondern auch um den Grad der Konzentration dieses Marktes, die Treue der Verbraucher zu bestehenden Geschäften und die Konsumgewohnheiten (vgl. entsprechend EuGH Urt. v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, Rn. 22, EU:C:1991:91 – Delimitis/Henninger Bräu AG).

Berücksichtigung der Marktstellung und der Vertragslaufzeiten[29] Nur wenn nach einer vertieften Prüfung des wirtschaft-lichen und rechtlichen Gesamtzusammenhangs, in dem die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge stehen, sowie der Besonderheiten des relevanten Marktes festgestellt wird, dass der Zugang zu diesem Markt durch die Gesamtheit aller auf diesem Markt festgestellten gleichartigen Verträge erschwert wird, ist danach zu prüfen, inwieweit diese zu einer möglichen Abschottung dieses Marktes beitragen, wobei nur solche Vereinbarungen verboten sind, die erheblich zu dieser Abschottung beitragen (vgl. entsprechend EuGH, Urt. v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, Rn. 23 und 24, EU:C:1991:91 – Deli-mitis/Henninger Bräu AG). Die Bedeutung des Beitrags jedes dieser im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge zu dieser kumulativen Abschottungswirkung hängt von der Stellung der Vertragspartner auf dem betreffenden Markt und der Laufzeit der Verträge ab (vgl. entsprechend EuGH, Urt. v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, Rn. 25, EU:C:1991:91 – Delimitis/Henninger Bräu AG)[30] (Auch Berücksichtigung potenzieller Auswirkungen)[31] Nach alledem ist auf die Fragen 2 bis 4 zu antworten, dass Geschäftsraummietverträge wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, bezüglich deren sich nach einer vertieften Prüfung des wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusam-menhangs, in dem sie stehen, sowie der Besonderheiten des betreffenden relevanten Marktes erweist, dass sie erheblich zu einer möglichen Abschottung dieses Marktes beitragen, als Vereinbarungen angesehen werden können, die eine Verhin-derung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs i. S. von Art. 101 Abs. 1 AEUV „bewirken“. Die Bedeutung des Beitrags des einzelnen Vertrags zu dieser Abschottung hängt u. a. von der Stellung der Vertragspartner auf diesem Markt und der Laufzeit dieses Vertrags ab.[32] (…)

Redaktionelle Hinweise:– Volltext-Urteil online: RS1189824;– vgl. zu bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen Fiebig, WuW

2015, 462 = WuW0694199.METATAGS: meta_zeitschrift_WUW; meta_doctype_Entscheidung; meta_SiriusID_1189185; meta_RawID_1189824;

WuW Nr. 02 05.02.2016 77

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Aufhebung der Kommissions-Entscheidung im Luftfracht-Kartell: Widersprüchlichkeiten in der BegründungLuftfrachtkartell • Tenor • Verfügender Entscheidungsteil • effektiver Rechtsschutz • einheitliche und fortgesetzte Zuwider-handlung

Art. 47 GRCh; Art. 101 AEUV1. The statement of reasons required by Article 296(2)

TFEU must disclose in a clear and unequivocal fashion the reasoning followed by the institution which adop-ted the measure in question in such a way as to make the persons concerned aware of the reasons for the measure and thus enable them to defend their rights and the Court of the European Union to exercise its power of review.

2. The operative part of a decision adopted by the Com-mission must be particularly clear and precise and the undertakings held liable and penalised must be in a position to understand and to contest that imputation of liability and the imposition of those penalties, as set out in the wording of that operative part.

3. The mere existence of a contradiction between the grounds and the operative part of a decision is not suf-ficient to establish that the decision is vitiated by a defective statement of reasons, provided that, first, the decision, taken as a whole, is such that the applicant is able to identify and plead that lack of consistency, secondly, the wording of the operative part of the deci-sion is sufficiently clear and precise to allow the appli-cant to ascertain the exact scope of the decision and, thirdly, the evidence relied upon to demonstrate the applicant’s participation in the infringements imputed to it in the operative part is clearly identified and exa-mined in the grounds.

(LS von der Redaktion formuliert)EuG, Urteil vom 16.12.2015 – Rs. T-46/11, Luftfrachtkartell

AUS DEM SACHVERHALTBackground to the dispute[1] The applicants, Deutsche Lufthansa AG (‘Lufthansa’) and its subsidiaries, Lufthansa Cargo AG and Swiss International Air Lines AG (‘Swiss’), form part of the Lufthansa Group, which operates in the airfreight (‘freight’) market.[2] On 7 December 2005, the Commission of the European Communities received an application for immunity under the Commission notice on immunity from fines and reduction of fines in cartel cases (OJ 2002 C 45, p. 3, ‘the 2002 Leniency Notice’) lodged by the applicants. According to that applica-tion, anticompetitive contacts existed between a number of undertakings operating in the freight market (‘the carriers’) with respect, inter alia, to:

– the fuel surcharge (‘the FSC’), which had been introduced to tackle rising fuel costs;

– the security surcharge (‘the SSC’), which had been introdu-ced to address the costs of certain security measures impo-sed following the terrorist attacks of 11 September 2001.

[3] On 14 and 15 February 2006, the Commission carried out unannounced inspections (…).

[4] Following the inspections, a number of carriers made an application under the 2002 Leniency Notice.[5] On 19 December 2007, the Commission addressed a statement of objections to 27 carriers, including the appli-cants (‘the statement of objections’). It stated that those carriers had infringed Article 101 TFEU, Article 53 of the Agreement on the European Economic Area (EEA) and Article 8 of the Agreement between the European Com-munity and the Swiss Confederation on Air Transport (‘the Swiss Agreement’) by participating in a worldwide cartel relating, inter alia, to the FSC, the SSC and a refusal to pay commission on surcharges (‘the refusal to pay commis-sion’). (…)[6] On 9 November 2010, the Commission adopted Decision C (2010) 7694 final relating to a proceeding under Article 101 TFEU, Article 53 of the EEA Agreement and Article 8 of the Swiss Agreement (Case COMP/39258 — Airfreight) (‘the con-tested decision’). The contested decision was addressed to the following 21 carriers (‘the carriers at issue’): (List of carriers at issue)[7] The objections raised provisionally against the other addressees of the statement of objections were withdrawn.[8] The grounds of the contested decision describe a single and continuous infringement of Article 101 TFEU, Article 53 of the EEA Agreement and Article 8 of the Swiss Agreement, covering the EEA territory and Switzerland, by which the carriers at issue coordinated their behaviour as regards the pricing of freight services.[9] The operative part of the contested decision, in so far as it relates to the applicants, reads as follows:(Operative part)[10 … 24] (…)

AUS DEN GRÜNDENPleas in law[25] In support of their action, the applicants invoke four pleas in law, alleging (i) infringement of Article 11(1) and (2) of the Swiss Agreement, in so far as, to establish the infringement at issue, the contested decision is based on contacts in Switzerland; (ii) infringement of Article 1(2) of Council Regulation (EEC) No 3975/87 of 14 December 1987 laying down the procedure for the application of the rules on competition to undertakings in the air transport sector (OJ 1987 L 374, p. 1), as amended, in so far as the contested decision is based on contacts outside the EEA and before 1 May 2004; (iii) infringement of Article 101 TFEU, Article 53 of the EEA Agreement and Article 8 of the Swiss Agreement, in so far as the latter contacts were regarded as forming part of the same single and continuous infringement, in the same way as those which took place at the headquarters of the carriers at issue; and (iv) infringement of Article 101 TFEU and Article 53 of the EEA Agreement in so far as the contacts outside the EEA were considered to constitute an infringement.[26] In addition, in its response to the measure of organisa-tion of procedure referred to in paragraph 20 above, and at the hearing, the applicants claimed, in essence, that there was a ‘fundamental discrepancy’ between the operative part of the contested decision, which refers to four separate infringements, and the grounds, which describe a single and continuous infringement, covering hundreds of contacts bet-

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ween carriers around the world. According to the applicants, the Commission’s failure to provide any explanation for that discrepancy amounts to a failure to state reasons, which rela-tes to an essential procedural requirement that the Court must raise of its own motion.[27] At the hearing, the applicants stated that the fact that certain carriers were not mentioned in Articles 1 to 4 of the contested decision had an impact on the actions for damages brought before the national courts since the carriers which were referred to in those articles would not be able to obtain contributions from carriers which were not mentioned in those articles.[28] By those arguments, the applicants argue, in essence, that the contested decision is vitiated by a failure to state reasons, since the grounds and the operative part of that decision are contradictory, which the Commission disputes.

Requirements for the statement of reasons[29] In that regard, it should be noted that it has consistently been held that an absence of or inadequate statement of reasons constitutes an infringement of essential procedural requirements for the purposes of Article 263 TFEU and is a ground involving a matter of public policy which may, and even must, be raised by the EU judicature of its own motion (see ECJ, judgment of 2 December 2009, Case C-89/08 P, paragraph 34 and the case-law cite, ECR, EU:C:2009:742 – Commission/Ireland and Others).[30] According to equally settled case-law, the statement of reasons required by Article 296(2) TFEU must disclose in a clear and unequivocal fashion the reasoning followed by the institution which adopted the measure in question in such a way as to make the persons concerned aware of the reasons for the measure and thus enable them to defend their rights and the Court of the European Union to exercise its power of review (…).[31] It is not necessary for the reasoning to go into all the rele-vant facts and points of law, since the question whether the statement of reasons meets the requirements of Article 296 TFEU must be assessed with regard not only to its wording but also to its context and to all the legal rules governing the matter in question (see, to that effect, ECJ, judgment of 2 April 1998, Case C-367/95 P, paragraph 63, EU:C:1998:154 – Com-mission/Sytraval and Brink’s France and EGC, judgment of 2 February 2012, Case T-83/08, paragraph 91, EU:T:2012:48 – Denki Kagaku Kogyo and Denka Chemicals/Commission).[32] Nevertheless, in stating the reasons for a decision which it takes to enforce the rules on competition, the Commission is required under Article 296 TFEU to set out at least the facts and considerations having decisive importance in the context of the decision in order to make clear to the competent court and the persons concerned the circumstances in which it has applied EU law (see, to that effect, EGC, judgment of 2 February 2012, Case T-83/08, paragraph 91, EU:T:2012:48 – Denki Kag-aku Kogyo and Denka Chemicals/Commission).[33] In addition, the statement of the reasons must be logi-cal and, in particular, contain no internal inconsistency that would prevent a proper understanding of the reasons under-lying the measure (see, to that effect, ECJ, judgment of 10 July 2008, Case C-413/06 P, paragraph 169, ECR, EU:C:2008:392 = WuW0309334 – Bertelsmann and Sony Corporation of Ame-rica/Impala and ECJ, judgment of 29 September 2011, Case

C-521/09 P, paragraph 151, ECR, EU:C:2011:620 = WuW0461096 – Elf Aquitaine/ Commission).[34] It must be added that, notwithstanding Article 23(5) of Regulation No 1/2003, which states that decisions imposing fines for infringements of the competition rules are not of a criminal law nature, the infringement of Article 101(1) TFEU, of Article 53 of the EEA Agreement and of Article 8 of the Swiss Agreement involves engaging in conduct which is generally regarded as underhand, to the detriment of the public at large, and which entails a clear stigma and a potential fine, for the undertakings responsible, of up to 10% of annual turnover, which is undoubtedly severe (see the Opinion of Advocate General Sharpston in Case C-272/09, paragraph 64, ECR, EU:C:2011:63 P – KME Germany and Others/Commission). Given the nature of the infringements in question and the nature and degree of severity of the ensuing penalties (see EGC, judgment of 27 March 2014, Cases T-56/09 and T-73/09, paragraph 78 and the case-law cited, ECR, EU:T:2014:160 – Saint-Gobain Glass France and Others/Commission), those penalties pertain to criminal matters for the purpose of Article 6 of the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, signed in Rome on 4 November 1950 (‘the ECHR’), as can be seen, inter alia, from the judgment of the European Court of Human Rights in A. Menarini Diagnostics S.R.L. v. Italy (no. 43509/08, §§ 39 to 44, 27 September 2011).[35] Moreover, in paragraphs 58 and 59 of its judgment in A. Menarini Diagnostics S.R.L. v. Italy, cited in paragraph 34 above, the European Court of Human Rights noted that, if a ‘penalty’ is imposed by a decision of an administrative authority, the person concerned must have an opportunity to challenge any decision made against him before a tribunal that offers the guarantees provided for in Article 6 of the ECHR (see, to that effect, ECJ, judgment of 18 July 2013, Case C-501/11 P, paragraph 34, ECR, EU:C:2013:522 = WuW0612368 – Schindler Holding and Others/Commission).

The principle of effective judicial protection[36] The principle of effective judicial protection, a general principle of EU law which is now enshrined in Article 47 of the Charter of Fundamental Rights of the European Union and which corresponds, in EU law, to Article 6(1) of the ECHR (see ECJ, judgment of 10 July 2014, Case C-295/12 P, paragraph 57 and the case-law cited, ECR, EU:C:2014:2062 = WuW0688792 – Telefónica and Telefónica de España/Commission), requires that the operative part of a decision adopted by the Commis-sion, finding infringements of the competition rules, must be particularly clear and precise and that the undertakings held liable and penalised must be in a position to understand and to contest that imputation of liability and the imposition of those penalties, as set out in the wording of that operative part.[37] It should be borne in mind that it is in the operative part of a decision that the Commission must indicate the nature and extent of the infringements which it penalises. As the appli-cants essentially submitted at the hearing, it must be observed that, in principle, as regards in particular the scope and nature of the infringements penalised, it is the operative part, and not the statement of reasons, which is important. Only where there is a lack of clarity in the terms used in the operative part should reference be made, for the purposes of interpretation, to the statement of reasons contained in a decision. As the European

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Union Courts have held, for the purpose of determining the persons to whom a decision finding an infringement applies, only the operative part of the decision must be considered, provided that it is not open to more than one interpretation (ECJ, judgments of 16 December 1975, Cases 40/73 to 48/73, 50/73, 54/73 to 56/73, 111/73, 113/73 and 114/73 paragraph 315, ECR, EU:C:1975:174 – Suiker Unie and Others/Commis-sion and EGC, judgment of 11 December 2003, Case T-61/99, paragraph 43, ECR, EU:T:2003:335 – Adriatica di Navigazione/Commission).[38] Moreover, it should also be borne in mind that Article 101(1) TFEU produces direct effects in relations between indi-viduals and creates rights for individuals with the result that it must be open to any individual to claim damages for loss caused to him by a contract or by conduct liable to restrict or distort competition. National courts whose task it is to apply that provision in areas within their jurisdiction must there-fore ensure that those rules take full effect and must protect the rights which they confer on individuals (ECJ, judgment of 6 June 2013, Case C-536/11, paragraphs 21 and 22, ECR, EU:C:2013:366 = WuW0603048 – Donau Chemie and Others). It follows that any person can claim compensation for the harm suffered where there is a causal relationship between that harm and an agreement or practice prohibited under Article 101(1) TFEU (ECJ, judgment of 13 July 2006, Cases C-295/04 to C-298/04, paragraph 61, ECR, EU:C:2006:461 = WuW01769023 – Manfredi and Others and ECJ, judgment of 6 November 2012, Case C-199/11, paragraph 43, ECR, EU:C:2012:684 = WuW0561091 – Otis and Others).[39] In accordance with Article 16(1) of Regulation No 1/2003, when national courts rule on agreements, decisions or practi-ces under Article 101 TFEU which are already the subject of a Commission decision, they cannot take decisions running counter to that decision.[40] In that respect, it must be considered that a national court would take a decision contrary to that adopted by the Commission not only if it gave a different legal classification to the anticompetitive conduct examined, but also if its decision differed from that of the Commission as regards the temporal or geographic scope of the conduct examined or as regards the liability or non-liability of persons investigated in relation to the conduct at issue and whose liability was examined in the Commission’s decision.[41] The national courts are therefore bound by the decision adopted by the Commission, provided that it has not been annulled or invalidated, and consequently the meaning of the operative part of that decision must be unambiguous.[42] In particular, clear wording of the operative part of a decision finding an infringement of the competition rules must allow the national courts to understand the scope of that infringement and to identify the persons liable, in order to be able to draw the necessary inferences as regards claims for damages brought by persons harmed by that infringement.[43] Lastly, it must be noted that the full effectiveness of Article 101 TFEU would be undermined if a person’s right to claim compensation from another person for harm suffered depen-ded, unconditionally, on the existence of a contractual link between those two persons (…)[44] The national court may also, if provided for by national law, be required to find that all of the persons held liable for the infringement of the competition rules found by the Commis-

sion must jointly and severally make good the damage caused. In that case, the wording of the operative part of a decision finding an infringement of the competition rules may also be decisive as regards the persons concerned.[45] In the light of the foregoing, the Court must therefore establish, even before examining, if necessary, the pleas in law put forward by the applicants, whether, as the applicants essentially submit in their response to the measure of organi-sation of procedure referred to in paragraph 20 above, there is a contradiction between the grounds and the operative part of the contested decision.[46] (Wording of the operative part)[47] It must be pointed out, first of all, that, as the Commission stated, inter alia, in its response to the measure of organisation of procedure referred to in paragraph 20 above, the division of the operative part of a decision finding infringements of the competition rules into four separate articles does not necessa-rily imply the existence of four separate infringements.[48] That division could be a reflection of the fact that the com-plex of instances of anticompetitive conduct comprising the single and continuous infringement described in the contested decision infringed three different provisions prohibiting that conduct which have different territorial and temporal scopes.[49] Indeed, the Commission indicated, in paragraphs 815 to 817 of the contested decision and in its written submissions to the Court, that, until 1 May 2004, it had implementing powers to apply Article 101 TFEU only with respect to international air transport between Community airports and therefore could not apply Article 101 TFEU to anticompetitive agreements and practices concerning routes between airports within the European Union and airports outside the EEA. Moreover, it explained, in recitals 818 to 821 of the contested decision, that, until 19 May 2005, it was competent to apply Article 53 of the EEA Agreement only to air transport between airports within the EEA and that it was only as from that date that it became competent to apply that provision as regards routes between airports in countries which are contracting parties to the EEA Agreement but which are not Member States and airports in third countries. Furthermore, it can be seen from recitals 822 to 825 of the contested decision that the Commission con-sidered that it was competent to apply Article 8 of the Swiss Agreement to routes between airports in the European Union and airports in Switzerland as from 1 June 2002.[50 … 56] Thus, the first four articles of the contested deci-sion cannot be interpreted as supporting the hypothesis of a single and continuous infringement in relation to all the routes covered by the cartel and in which all of the carriers at issue participated. Rather, given that several of the carriers at issue are not mentioned in Articles 1, 3 and 4 of the contested decision, the first four articles of that decision must necessarily be interpreted as meaning either:

– that the operative part of the contested decision finds four separate single and continuous infringements, each con-cerning a different category of routes, which might also explain, as the applicants submitted at the hearing, the use of the word ‘infringements,’ in the plural, in Articles 5 and 6 of that decision, as cited in paragraph 9 above; or

– that the operative part of the contested decision finds one single and continuous infringement, liability for which is attributed only to the carriers which — as regards the routes mentioned in each of the first four articles of the

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contested decision — participated directly in the unlawful conduct referred to in each of those articles or were aware of collusion regarding those routes and accepted the risk.

[57] The latter interpretation may be explained by the fact the Commission is not entitled to attribute liability to an undertaking which participated directly in one or more of the aspects of anticompetitive conduct comprising a single and continuous infringement for the unlawful conduct planned or put into effect by the other participants in which it did not directly participate, unless it has been shown that that under-taking intended, through its own conduct, to contribute to all the common objectives pursued by the other participants in the cartel and that it was aware of all the other conduct in pursuit of the same objectives or that it could reasonably have foreseen that conduct and was prepared to take the risk (see, to that effect, ECJ, judgment of 6 December 2012, Case C-441/11 P, paragraph 44, ECR, EU:C:2012:778 = WuW0572931 – Commis-sion/Verhuizingen Coppens).[58 … 60] There is therefore a contradiction between the grounds of the contested decision, which describe a single and continuous infringement in relation to all of the routes covered by the cartel and in which all of the carriers at issue allegedly participated, and the operative part of that decision, which refers to either four separate single and continuous infringements or just one single and continuous infringement, liability for which is attributed only to the carriers which, as regards the routes mentioned in Articles 1 to 4 of the contested decision, participated directly in the unlawful conduct refer-red to in each of those articles or were aware of the collusion on those routes and accepted the risk.[61 … 62] (The Commission’s alternative interpretation)

Contradictory reasoning[63 … 67] In short, reading the operative part of the contested decision in the manner proposed by the Commission results in an operative part based on two contradictory lines of reaso-ning. On the one hand, a carrier mentioned in one of the first four articles of that decision is held liable for the anticompeti-tive conduct in which it participated, even if it did not operate all of the routes covered by the article in question. On the other hand, the same carrier, which is not mentioned in one of the other articles, avoids all liability for anticompetitive conduct in which it nevertheless allegedly participated if it did not operate any of the routes covered by that article.[68] In addition, it must be noted that, in its reply referred to in paragraph 20 above, the Commission justified the failure to mention some of the carriers at issue in Articles 1, 3 and 4 of the contested decision for the first time on the basis of a ‘discretion’ allowing it not to attribute liability to some par-ticipants in a worldwide cartel for all of the anticompetitive conduct comprising that cartel in which they nevertheless took part, provided that that approach is based on objective and non-discriminatory criteria, while acknowledging that the contested decision could have included all of the carriers in Articles 1, 3 and 4 thereof.[69 … 72] It has already been noted (see paragraph 62 above) that, in the grounds of the contested decision, the Commission specifically indicated that it was applying the principles deri-ved from the case-law according to which, in the context of a single and continuous infringement, a person may be held lia-ble for the participation of an undertaking in an infringement

even though it is established that the undertaking concerned participated directly only in one or some of the constituent elements of that infringement, if it is shown that it knew, or must have known, that the collusion in which it participated was part of an overall plan that included all the constituent elements of the infringement.[73] Thus, although the grounds of the contested decision describe a single and continuous infringement in relation to all of the routes covered by the cartel, they nevertheless contain significant internal inconsistencies.[74] It therefore follows from the foregoing that the contes-ted decision is vitiated by contradictions, first, between the grounds and the operative part and, secondly, within the grounds themselves.[75] It is necessary to examine, in the second place, whether, as the applicants essentially argued at the hearing, the internal inconsistencies of the contested decision infringe their rights of defence, in that they did not allow them to understand the nature and scope of the infringement or infringements found and prevent the Court from exercising its power of review.[76] In that respect, it must be borne in mind that the mere existence of a contradiction between the grounds and the operative part of a decision is not sufficient to establish that the decision is vitiated by a defective statement of reasons, provided that, first, the decision, taken as a whole, is such that the applicant is able to identify and plead that lack of consistency, secondly, the wording of the operative part of the decision is sufficiently clear and precise to allow the applicant to ascertain the exact scope of the decision and, thirdly, the evidence relied upon to demonstrate the applicant’s partici-pation in the infringements imputed to it in the operative part is clearly identified and examined in the grounds (see, to that effect, EGC, judgment of 11 December 2003, Case T-61/99, paragraphs 49 to 52, ECR, EU:T:2003:335 – Adriatica di Navi-gazione/Commission).[77] In the present case, neither of the two possible interpreta-tions of the operative part of the contested decision, referred to in paragraph 56 above, is consistent with the grounds of that decision. Accordingly, since the Court cannot favour one of those interpretations without substituting its own assess-ment for that of the Commission, it suffices to examine, in the context of at least one of those two possible interpretations, whether the internal inconsistencies in the contested decision were liable to infringe the applicants’ rights of defence and prevent the Court from exercising its power of review.[78] As regards the first interpretation, namely that the ope-rative part of the contested decision finds four separate single and continuous infringements, it must be noted that, although the applicants were able to identify a contradiction, inter alia between the grounds and the operative part of the contested decision, and to infer from the wording of the operative part that it found four separate infringements, they were not, how-ever, in a position to understand to what extent the evidence set out in the grounds, relating to the existence of a single and continuous infringement, was liable to establish the existence of four separate infringements found in the operative part, or to contest the sufficiency of that evidence.[79 … 81] In that regard, it must be pointed out that it is not clear from a reading of the contested decision why certain carriers were not included in some articles of the contested decision. It was only after the measure of organisation of pro-

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cedure mentioned in paragraph 20 above that the Commission indicated to the Court that certain carriers were not menti-oned in some articles of the contested decision either because those carriers did not operate the routes referred to in those articles or because their turnover generated on those routes was, for 2005, less than EUR 30.000.[82] In that respect, it must be borne in mind that, according to settled case-law, the statement of reasons must in principle be notified to the person concerned at the same time as the decision adversely affecting him and a failure to state the rea-sons cannot be remedied by the fact that the person concerned learns the reasons for the decision during the proceedings before the Court (ECJ, judgment of 26 November 1981, Case 195/80, paragraph 22, ECR, EU:C:1981:284 – Michel/Parlia-ment and ECJ, judgment of 28 June 2005, Cases C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P to C-208/02 P and C-213/02 P, paragraph 463, ECR, EU:C:2005:408 = WuW0137512 – Dansk Rørindustri and Others/Commission).[83] Otherwise, there is a risk that the obligation to state rea-sons will not achieve its purpose, which, according to settled case-law, is to provide the person concerned with sufficient information to ascertain whether the decision is well foun-ded or whether it is vitiated by a defect which may permit its legality to be contested and to enable the Court to review the legality of the decision (see, to that effect, ECJ, judgment of 28 June 2005, Cases C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P to C-208/02 P and C-213/02 P, paragraph 462 and the case-law cited, ECR, EU:C:2005:408 = WuW0137512 – Dansk Rørindus-tri and Others/Commission).[84] In addition, the Court is unable to review the legality of the contested decision, since it is not in a position to assess whether the evidence adduced by the Commission in order to establish the existence of a single and continuous infringement was sufficient to establish the existence of the four infringe-ments found in the operative part of that decision.[85] It follows that the contested decision is vitiated by a defec-tive statement of reasons which justifies its annulment.[86] Articles 1 to 4 of the contested decision must therefore be annulled in so far as they concern the applicants, given that the applicants have an interest in seeking the annulment of those articles only in so far as those articles concern them, and it is not necessary to examine the pleas raised by the applicants.

Redaktioneller Hinweis:Volltext-Urteil online: RS1189826.

METATAGS: meta_zeitschrift_WUW; meta_doctype_Entscheidung; meta_SiriusID_1189186; meta_RawID_1189826;

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Edeka/Tengelmann: Anordnung des Bundes-kartellamts teilweise rechtswidrigFortsetzungsfeststellungsklage • Vollzugsverbot • Vollzugsbegriff • einstweilige Anordnung

§§ 32a Abs. 1, 40 Abs. 2, 41 Abs. 1, 60, 61 GWB1. Das Vollzugsverbot des § 41 Abs. 1 GWB untersagt den

Fusionsbeteiligten nicht nur alle Maßnahmen, die den geplanten Zusammenschluss vollenden. Unter das Vollzugsverbot fällt darüber hinaus der faktische Voll-zug des Zusammenschlusses, bei dem durch tatsächli-

che Handlungen die wirtschaftlichen Wirkungen des geplanten Zusammenschlusses ganz oder teilweise vorweggenommen werden.

a) Gesetzlich verboten sind unter diesem Gesichtspunkt sämtliche Maßnahmen, die der Erwerber an sich nur kraft seiner zukünftigen Position als Inhaber der Ge-schäftsanteile und Gesellschafterrechte ausüben darf.

b) Untersagt sind überdies alle Maßnahmen, die zu einer faktischen Vorwegnahme der Integration der sich zu-sammenschließenden Unternehmen führen.

c) Solche faktischen Vollzugshandlungen sind auch dann nach § 41 Abs. 1 GWB verboten, wenn sie bei isolierter Betrachtung selbst keinen Zusammenschlusstatbe-stand i. S. von § 37 GWB verwirklichen.

2. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 60 GWB kommt nur in Betracht, wenn diese erforderlich ist, um bereits bis zur Hauptsachenentscheidung dro-hende irreparable Nachteile oder schwere Schäden im Interesse des Gemeinwohls abzuwenden.

a) Erforderlich ist eine Abwägung zwischen dem öffentli-chen Interesse an einem freien und wirksamen Wettbe-werb und den Belangen der betroffenen Unternehmen.

b) Dabei muss das an einer Eilmaßnahme bestehende öffentliche Interesse über das Interesse hinausgehen, das die Hauptsacheentscheidung selbst rechtfertigt

c) Im Fusionskontrollverfahren reicht das öffentliche Interesse an der Sicherung oder Vermeidung eines späteren Entflechtungsverfahrens allein nicht aus. Vo-raussetzung ist vielmehr, dass im konkreten Fall etwa-ige Entflechtungsmaßnahmen solche Schwierigkeiten bereiten, die über das normale Maß hinausgehen und die die mit der einstweiligen Regelung verbundenen Nachteile für die beteiligten Unternehmen überwiegen.

d) Die einzelnen Abwägungselemente und das Abwä-gungsergebnis sind von der Kartellbehörde im Einzel-nen darzulegen und glaubhaft zu machen.

(LS vom Gericht formuliert)OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.12.2015 – VI-Kart 1/15 (V), Einstweilige Anordnung Edeka/Tengelmann

AUS DEM SACHVERHALTIm Jahr 2014 beabsichtigte EDEKA, die von KT betriebenen Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte zu übernehmen. (…) Bis zur Bekanntgabe der beabsichtigten Fusion war die Warenbe-schaffung von KT so organisiert, dass sie den überwiegenden Teil der Herstellermarken und nahezu alle Handelsmarken unmittelbar selbst bei den Herstellern beschaffte. Den restli-chen Teil ihres Beschaffungsvolumens besorgte sie sich über die Einkaufskooperation „BHD“, in die sie aufgrund eines Kooperationsvertrages mit der Fa. Bünting seit April 2006 ein-gebunden war. Die Abrechnung und Regulierung der Waren-lieferungen erfolgt über die konzerneigene Zentralregulierung von KT und über die Fa. Markant, letzteres insbesondere für die Waren, die über „BHD“ beschafft worden sind.Der am 01.10.2014 zwischen EDKEA und KT geschlossene Kaufvertrag sieht die Übertragung der Geschäfte von KT an EDEKA durch Veräußerung sämtlicher Geschäftsanteile an den Zielgesellschaften vor. In Ziff. (H) der Präambel des Kaufvertrags ist die Absicht von KT formuliert, vor Vollzug der Fusion 24 (...) Filialen in der Region Berlin (sog. Carve-Out-Filialen) entweder zu schließen, zu veräußern oder in sonstiger

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Weise an einen oder mehrere Dritte zu übertragen. (...) Neben dem Kaufvertrag haben EDEKA und KT am selben Tag einen Rahmenvertrag geschlossen. (...). Er regelt unter Ziff. I den Kauf von Waren und unter Ziff. II. die Zentralregulierung. Danach erhält KT die Möglichkeit, bei der EDEKA AG und der EDEKA Zentralhandelsgesellschaft mH sämtliche Waren zu kaufen, die EDEKA bei Lieferanten beziehen kann. (...) Als „Gegenleis-tung für die Aufnahme der Belieferung“ zahlt EDEKA an KT einen Betrag (...), der in mehreren zeitlich gestaffelten Teilzah-lungen zu erbringen ist. (...)Nach Bekanntgabe des Fusionsvorhabens bat Bünting im Oktober 2014 um Aufhebung der Kooperationsvereinbarung mit KT, weil ihr die vereinbarte Vertraulichkeit in Bezug auf Einkaufskonditionen und sonstiger Inhalte der Zusammenar-beit nicht mehr gewährleistet schien. Die Einkaufskooperation endete einvernehmlich mit Wirkung zum 31.12.2014. Gleich-zeitig schloss KT mit Bünting einen Belieferungsvertrag, der es ihr ermöglichte, ab dem 01.01.2015 Waren zu Großhandels-konditionen bei Bünting zu beziehen.Ende Oktober 2014 leitete das BKartA (...) ein Verwaltungsver-fahren ein. (...)Mit Beschluss vom 03.12.2014 hat das BKartA den Beteilig-ten sowie den mit ihnen verbunden Gesellschaften bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache durch Verfügung nach § 40 Abs. 2 Satz 1, § 61 Abs. 1 GWB, längstens jedoch bis zum Ablauf von neun Monaten ab Zustellung dieser Verfü-gung, untersagt, den Rahmenvertrag vom 01.10.2014 ganz oder teilweise durchzuführen oder sich auf sonstiger Grundlage entsprechend zu verhalten (Tenor Ziff. I.). Darüber hinaus hat es den Beteiligten und den mit ihnen verbundenen Gesell-schaften untersagt, die im Kaufvertrag genannten 24 Carve-Out-Filialen zu schließen (Ziff. II. (1)) und wirtschaftlich zu entwerten (Ziff. II. (2)) sowie Lagerstandorte und Fleischwerke zu schließen oder wirtschaftlich zu entwerten (Ziff. III (1) – (3)) und einen Abbau von Verwaltungsfunktionen gem. Anlage 3.1 (c) des Kaufvertrags durchzuführen, soweit dieser mit den Maßnahmen zum Abbau der Beschaffung/Verrechnung bzw. zur Schließung von Filialen, Lägern oder Fleischwerken ver-bunden ist (Ziff. III. (4)).Das BKartA hat als Rechtsgrundlage für die einstweiligen Anordnungen sowohl § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB als auch § 32a GWB herangezogen.Gegen diesen Beschluss haben die Beteiligten (...) Beschwerde eingelegt. (…)Nachdem das BKartA mit Beschluss vom 31.03.2015 in der Hauptsache entschieden und das Zusammenschlussvorha-ben untersagt (Tenor Ziff. 1) sowie in Ziff. 2-5 des Tenors die einstweiligen Anordnungen inhaltsgleich erneut erlassen hat, haben die Beteiligten zu 1. bis 4. das Verfahren in der Hauptsa-che für erledigt erklärt.(Anträge der Beteiligten und des BKartA)

AUS DEN GRÜNDENI. … II. Die ausschließlich gegen die einstweilige Anordnung in Ziff. I des Beschlusstenors gerichtete Fortsetzungsfeststel-lungsbeschwerde der Beteiligten zu 1. ist zulässig und begrün-det, soweit das BKartA § 32a GWB als Grundlage herangezo-gen hat; im Übrigen ist die Beschwerde unzulässig.Die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde der Beteiligten zu 2. bis 4., die neben Ziff. I des Beschlusstenors auch die einstwei-ligen Anordnungen in Ziff. II. und III. zum Gegenstand hat, ist

zulässig und hat der Sache nach Erfolg, soweit das BKartA die einstweiligen Anordnungen auf § 32a GWB gestützt hat. Soweit die einstweiligen Anordnungen auf § 60 Nr. 1 GWB gestützt worden sind, ist die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde nur bezüglich der Anordnung in Ziff. I und nur bezogen auf die Warenbeschaffung zulässig und begründet; im Übrigen ist die Beschwerde unzulässig.

A. Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungs-beschwerdenDie Fortsetzungsfeststellungsbeschwerden der Beteiligten zu 1. (nachfolgend: EDEKA) und der Beteiligten zu 2. bis 4. (nachfolgend: KT) sind gem. § 71 Abs. 2 Satz 2 GWB in dem oben genannten Umfang zulässig. Die Verfügung des BKartA vom 03.12.2014 hat sich nach Einlegung der Beschwerde erle-digt; zudem steht den Beschwerdeführern ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des Gerichts zur Seite.1. (Erledigung der einstweiligen Anordnung)2. (Ausführungen zum Feststellungsinteresse)Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht ein Feststellungs-interesse von EDEKA und KT aus dem Gesichtspunkt der Wie-derholungsgefahr, soweit das BKartA die einstweiligen Anord-nungen auf § 32a GWB gestützt hat (siehe unter a.). Soweit es als Rechtsgrundlage für die einstweiligen Anordnungen § 60 Nr. 1 GWB herangezogen hat, fehlt ein Feststellunginteresse von EDEK A. KT hat ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Vorbereitung von Schadensersatzansprü-chen nur in Bezug auf Ziff. I des Beschlusstenors und dort auch nur, soweit es um die Warenbeschaffung und nicht auch um die Zentralregulierung geht (siehe unter b.). In Bezug auf Ziff. II und III des Beschlusstenors ist ein Forstsetzungsfeststel-lungsinteresse von KT nicht gegeben.a. Die von EDEKA bezüglich Ziff. I des Beschlusstenors und von KT bezüglich des gesamten Beschlusstenors begehrte Feststellung hat präjudizielle Wirkung für zukünftige, auf § 32a GWB gestützte einstweilige Anordnungen.Es besteht die Gefahr, dass die hier in Rede stehenden einst-weiligen Anordnungen vom 03.12.2014 inhaltsgleich erneut erlassen werden, soweit das BKartA in dem beanstandeten Verhalten der Zusammenschlussbeteiligten einen Verstoß gegen § 1 GWB und Art. 101 AEUV gesehen und die einstwei-ligen Anordnungen (auch) auf die Rechtsgrundlage des § 32a GWB gestützt hat (...)Eine Wiederholungsgefahr besteht nicht, soweit das BKartA die hier zur Überprüfung stehenden einstweiligen Anordnun-gen auf § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB gestützt hat.Das BKartA ist nur bis zum Abschluss des Hauptprüfverfah-rens nach § 40 Abs. 2 GWB befugt, einstweilige Anordnungen nach § 60 GWB zu erlassen. Nach Abschluss des kartellbehörd-lichen Verfahrens ist das Beschwerdegericht für den Erlass einstweiliger Anordnungen zuständig, wie aus § 64 Abs. 3 GWB folgt. Das Zusammenschlussvorhaben von EDEKA und KT ist mit Beschluss des Amtes vom 31.03.2015 untersagt wor-den. Vergleichbare auf § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB gestützte einst-weilige Anordnungen des Amtes können daher allenfalls in einem neuen Fusionskontrollverfahren eine Rolle spielen. Wird die Fusion rechtskräftig untersagt, ist nichts dafür ersichtlich, dass EDEKA oder KT einen neuen Zusammenschluss planen, bei dem ein Rahmenvertrag über die Warenbeschaffung und Zentralregulierung sowie die Schließung von Carve-Out-Filialen, Lagerstandorten und Fleischwerken zusammen mit

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einem etwaigen Rückbau von Verwaltungsfunktionen verein-bart werden soll. Wird die Untersagungsverfügung hingegen rechtskräftig aufgehoben, ist die Fusion freigegeben und kann vollzogen werden. In diesem Fall werden die LEH-Geschäfte von KT nach dem Carve-Out der 24 Filialen in Berlin/Bran-denburg in die EDEKA integriert. Es besteht dann kein Anlass mehr, beim Wareneinkauf und der Zentralregulierung – so wie im Rahmenvertrag vorgesehen – zu kooperieren.b. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse von KT an der beantragten Feststellung ist zur Vorbereitung eines Staats-haftungsprozesses in Bezug auf die einstweilige Anordnung in Ziff. I des Beschlusstenors, und zwar im Hinblick auf die Warenbeschaffung zu bejahen. Hinsichtlich der im Rahmen-vertrag vereinbarten Zentralregulierung (Ziff. I) und der einstweiligen Anordnungen in Ziff. II und III liegt ein Fortset-zungsfeststellungsinteresse von KT nicht vor.EDEKA steht im Hinblick auf einen etwaigen Amtshaftungs-prozess kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zur Seite.aa. Eine Amtshaftungsklage von KT und EDEKA ist mit Sicher-heit zu erwarten. In ihrem Vorbringen kommt die ernsthafte Absicht zum Ausdruck, im Falle der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung eine Schadensersatzklage anhängig machen zu wollen. (...)bb. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung ist für KT hinsichtlich der in Ziff. I des Beschlusstenors einstweilen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens untersagten Durchführung des Rahmenvertrags (Bestandteil: Warenbeschaffung) nicht offen-sichtlich aussichtslos. Der diesbezügliche Vortrag von EDEKA ist hingegen nicht schlüssig.(1) Ein etwaiger Anspruch der Beteiligten zu 1. bis 4. gegen das BKartA aus § 839 Abs. 1 BGB i. V. mit Art. 34 GG scheitert nicht bereits auf erste Sicht an einem fehlenden Verschulden. Sollten die hier in Rede stehenden einstweiligen Anordnungen rechtswidrig sein, kann ohne nähere Prüfung nicht davon aus-gegangen werden, dass den zuständigen Beamten des BKartA kein schuldhafter Verstoß gegen ihr Amtspflichten anzulasten ist. Das BKartA ist als oberste Bundesbehörde besonders fach-lich qualifiziert. (...)(2) Soweit EDEKA und KT die in Ziff. I. des Beschlusstenors untersagte Durchführung des Rahmenvertrags für rechtswid-rig halten, hat KT hinsichtlich der dort geregelten Warenbe-schaffung zum Eintritt eines hierdurch verursachten Schadens vorgetragen, der im Rahmen eines Amtshaftungsprozesses geltend gemacht werden könnte. (...)Ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf einen beabsichtig-ten Amtshaftungsprozess erfordert substantielle Ausführun-gen zu dem behaupteten Schaden und zur Schadenshöhe (...)(2.1) Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der EDEKA nicht. Sie hat trotz Hinweis des Gerichts nicht schlüssig dazu vorgetragen, dass ihr durch die untersagte Durchführung des Rahmenvertrags im ersten Quartal 2015 ein Gewinn ent-gangen ist, der die aus § 1 (4) des Rahmenvertrags folgende Zahlungsverpflichtung übersteigt. (...)(2.2) KT hat zu dem Eintritt eines Schadens schlüssig vorgetra-gen, soweit sie durch die Untersagung in Ziff. I des Beschluss-tenors gehindert war, ab dem 01.01.2015 Waren bei EDEKA zu beziehen (I. RahmenV). KT macht nachvollziehbar geltend, während der Wirkung der Sicherungsanordnung in der Zeit vom 03.12.2014 bis zur Zustellung der Untersagungsverfügung am 02.04.2015 sei ihr ein wirtschaftlicher Schaden i. H. eines niedrigen zweistelligen Millionenbetrags entstanden, weil sie

bei EDEKA Produkte aus dem Bereich Obst und Gemüse zu deutlich günstigeren Konditionen hätte einkaufen können als bei ihren derzeitigen Lieferanten. Einen etwaigen Schaden, der ihr dadurch entstanden sein könnte, dass die unter II. des Rahmenvertrags geregelte Zentralregulierung ebenfalls einstweilen untersagt war, hat KT nicht behauptet. (...)(3) Etwaigen Amtshaftungsansprüchen von EDEKA und KT stände weder der Einwand der Rechtmittelversäumung (§ 839 Abs. 3 BGB) noch ein aus dem Gesichtspunkt des Mitverschul-dens (§ 254 BGB) folgender vollständiger Haftungsausschluss entgegen. (...)

B. Begründetheit der Fortsetzungsfeststellungs-beschwerdenDie im dargestellten Umfang zulässigen Fortsetzungsfeststel-lungsbeschwerden sind begründet. Die in Ziff. I des Beschlus-ses vom 03.12.2014 getroffenen Anordnung war bezüglich der untersagten Warenbeschaffung rechtswidrig, soweit sie auf § 60 Nr. 1 Satz 2 GWB und auch soweit sie auf § 32a GWB gestützt worden ist. Die einstweiligen Anordnungen in Ziff. II und III des Beschlusses vom 03.12.2014 waren gestützt auf § 32a GWB rechtswidrig.

I. Formelle Rechtmäßigkeit1. Das kartellbehördliche Verfahren leidet an einem Verfah-rensfehler. Das BKartA hat in erheblicher Weise gegen den aus § 56 Abs. 1 GWB folgenden Grundsatz rechtlichen Gehörs verstoßen, weil es die Verfahrensbevollmächtigten von EDEKA und KT am 27.11.2014 lediglich fernmündlich über die kartell-rechtliche Beurteilung des Sachverhalts durch die zuständige Beschlussabteilung und den beabsichtigen Erlass der einst-weiligen Anordnungen informiert und ihnen zudem nur eine Stellungnahmefrist von zwei Arbeitstagen eingeräumt hat. (...)2. Hier ist der Verfahrensfehler geheilt worden. In der Beschwer-deerwiderung vom 15.09.2015 hat sich das Amt umfassend mit den tatsächlichen und rechtlichen Argumenten der Beschwer-deführer auseinandergesetzt, die sie insbesondere gegen einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot vorgetragen haben.

II. Materielle RechtmäßigkeitDie in der angefochtenen Entscheidung getroffenen einstweili-gen Anordnungen sind rechtswidrig. Weder waren in Bezug auf die in I. des Beschlusstenors untersagte Warenbeschaffung die Voraussetzungen des § 60 Nr. 1 Satz 2 GWB erfüllt (vgl. unter 1.), noch kam für sämtliche einstweiligen Anordnungen § 32a GWB als Ermächtigungsgrundlage in Betracht (vgl. unter 2.).1. § 60 Nr. 1 GWB (…)a. … b. (...) Vorliegend ist zwar ein Anordnungsanspruch zu bejahen (vgl. unter aa.), jedoch liegt kein Anordnungsgrund vor (vgl. unter bb.)aa. Ein Anordnungsanspruch folgt daraus, dass die im Rah-menvertrag vorgesehene Warenbeschaffung von KT über EDEKA einen Verstoß gegen das in § 41 Abs. 1 GWB geregelte Vollzugsverbot darstellt.(1) Zwar setzt das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs im Regelfall voraus, dass alle Tatbestandsmerkmale der Ermäch-tigungsgrundlage für die Entscheidung in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfüllt sind. Die dafür erforderlichen Tatsachen hat das BKartA gem. § 73 Nr. 2 i. V. mit § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen (...)

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(2) Die im Rahmenvertrag zwischen EDEKA und KT verein-barten Regelungen über die Warenbeschaffung stellen einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot dar.Da weder das deutsche noch das europäische Recht eine Legaldefinition des „Vollzugs“ eines Zusammenschlussvor-habens enthalten, werden unterschiedliche Meinungen dazu vertreten, wann von einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot auszugehen ist.(2.1) Einigkeit besteht, dass alle Maßnahmen, die den geplan-ten Zusammenschluss vollenden, vom Vollzugsverbot erfasst sind. (...)Erfasst vom Vollzugsverbot des § 41 Abs. 1 GWB wird auch der sog. faktische Vollzug des Zusammenschlusses, bei dem durch tatsächliche Handlungen die wirtschaftlichen Wirkungen des geplanten Zusammenschlusses vorweggenommen werden (Mäger, in: MünchKomm, GWB, § 41 Rn. 6; Riesenkampff/Lehr, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Auf l. 2009, § 41 Rn. 3; Bechtold, GWB, 7. Auf l. 2013, § 41 Rn. 5; Kuhn, in: Frankfurter Kommentar, § 41 Rn. 16). Betrof-fen hiervon sind sämtliche Maßnahmen, die der Erwerber an sich nur kraft seiner zukünftigen Position als Inhaber der Geschäftsanteile und Gesellschafterrechte ausüben darf – so die Einwirkung auf die Unternehmensführung der Zielgesellschaft, die Einflussnahme auf die Ernennung oder Absetzung des Führungspersonals oder der vorzeitige Trans-fer der Managementverantwortung auf den Erwerber – oder die zu einer faktischen Vorwegnahme der Integration der sich zusammenschließenden Unternehmen führen – so die Aufnahme gemeinsamer Marketingmaßnahmen (gemein-same Kundenbesuche, gemeinsamer Messeauftritt pp.), die Zusammenlegung oder Abstimmung der Produktion, z. B. der Rückzug aus bestimmten Geschäftsbereichen, die Integration der EDV-Systeme, der Austausch oder die Zusammenlegung personeller Ressourcen.(2.2) Unterschiedliche Auffassungen werden aber dazu vertre-ten, ob auch der teilweise, noch nicht vollendete Vollzug eines geplanten Zusammenschlussvorhabens gegen das Vollzugverbot verstößt. Von einem sog. Teilvollzug oder einer teilweisen Umset-zung eines Vorhabens ist auszugehen, wenn die Vollendung des Gesamtvorhabens mehrere voneinander unabhängige Hand-lungen (Teilakte) voraussetzt, bisher aber nur (ein oder mehrere) Teilakte des Vorhabens umgesetzt worden sind. (...)Während sich die europäische und deutsche Rspr. bisher noch nicht mit der in Rede stehenden Rechtsfrage beschäftigt hat, wird in der Kommentierung zu § 41 Abs. 1 GWB zumeist ohne nähere Ausführungen die Ansicht vertreten, bloße Vorberei-tungshandlungen verstießen nicht gegen das Vollzugsverbot (Bechtold, a.a.O., § 41 Rn. 4; Riesenkampff/Lehr, in: Loewen-heim/Meessen/Riesenkampff, a.a.O., § 41 Rn. 3).Das BKartA vertritt in der hier angefochtenen Entscheidung die Auffassung, das Vollzugsverbot erfasse auch Vorberei-tungshandlungen, wenn sie als Teil eines Gesamtplans auf die Verwirklichung eines formellen Zusammenschlusstatbe-standes „zusteuern“ und bereits im Vorfeld des Zusammen-schlusses nachteilige wettbewerbliche Wirkungen auslösen würden, die sich nachträglich nicht wieder vollständig aus der Welt schaffen lassen. Der Zweck der Zusammenschluss-kontrolle und ihre präventive Ausgestaltung erforderten, dass die Parteien mit dem Herbeiführen der Marktwirkungen des Gesamtplans insgesamt abwarten, bis das kartellbehördliche Verfahren zum Abschluss gekommen ist (Rn.  92 Amtsbe-

schluss). Diese Voraussetzungen sind nach Ansicht des BKartA durch den Abschluss des Rahmenvertrages vom 01.10.2014, der unter I. die Warenbeschaffung von KT bei der EDEKA AG und der EDEKA Zentralgesellschaft mbH regelt, erfüllt.

Kein weiter Vollzugsbegriff(2.3) Die vom BKartA vertretene weite Auslegung des Voll-zugverbots ist abzulehnen. Nach Ansicht des Senats ist in Übereinstimmung mit der teilweise in der Literatur vertrete-nen Auffassung erforderlich, aber auch ausreichend für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot, dass der Zusammenschluss rechtlich oder tatsächlich zumindest zu einem Teil vollzogen ist, ohne dass der Teilakt selbst einen Zusammenschlusstatbe-stand erfüllen muss.Gegen die vom Amt befürwortete weite Auslegung des Voll-zugsverbots spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift. Nach dem Wortlaut der in § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB getroffenen Regelung dürfen die Unternehmen einen Zusammenschluss vor seiner Freigabe nicht vollziehen. Der Begriff des Vollzugs ist in § 41 Abs. 1 GWB demzufolge auf den Zusammenschluss und damit auf die Zusammenschlusstatbestände des § 37 Abs. 1 GWB bezogen. Je nachdem, welcher Zusammenschlusstatbe-stand erfüllt ist, darf das Erwerbsunternehmen weder das Ver-mögen des Zielunternehmens (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB) noch die Kontrolle über das Zielunternehmen erwerben (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB). Gleiches gilt für den in § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB geregelten Anteilserwerb oder die Erlangung wettbewerblich erheblichen Einflusses (§ 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB). Auf den schuldrechtlichen Vertrag, der dem jeweiligen Erwerbsvorgang zugrunde liegt, bezieht sich das Vollzugsverbot nicht. Maßnahmen zur Umset-zung des betreffenden Vertrags können daher, wenn sie selbst nicht Teil des Erwerbsvorganges nach § 37 Abs. 1 GWB sind, nicht ohne weiteres/automatisch als Vollzugsmaßnahme i. S. von § 41 Abs. 1 GWB angesehen werden.Auch der Sinn und Zweck des Vollzugsverbots erfordert es nicht, Maßnahmen der Zusammenschlussbeteiligten im Vorfeld des eigentlichen Erwerbsvorgangs unter das Vollzugs-verbot zu stellen, wenn hierdurch nachteilige wettbewerbliche Wirkungen ausgelöst werden. Das Ziel der präventiven Fusi-onskontrolle und ihrer Absicherung durch das Vollzugverbot ist die Vermeidung des auch nur zeitweiligen Entstehens der mit § 36 GWB unvereinbaren Marktstrukturen sowie der mit ihrer Auflösung verbundenen Schwierigkeiten. Maßnahmen, die die spätere Durchführung des Zusammenschlusses ledig-lich vorbereiten und nicht selbst bewirken, dass (ein Teil der) Vermögensgegenstände oder Gesellschaftsanteile auf das Erwerbsunternehmen übertragen wird oder Möglichkeiten für den Erwerber geschaffen werden, auf strategische Entschei-dungen des Zielunternehmens Einfluss zu nehmen, erzeugen aber nicht die marktstrukturellen Wirkungen, deren Entste-hen § 36 GWB endgültig und § 41 Abs. 1 GWB für die Dauer des Fusionskontrollverfahrens verhindern will. Es entsteht nicht der von § 36 GWB als kritisch angesehene Zuwachs von Marktmacht durch einen Zusammenschluss, er bereitet einen solchen nur vor. Auch zum Schutz vor nachteiligen, im Falle einer endgültigen Untersagung des Zusammenschlussvor-habens nicht wieder vollständig aus der Welt zu schaffenden Marktwirkungen bedarf es einer Ausdehnung des Vollzugs-verbots auf die in Rede stehenden Vorbereitungshandlungen nicht. Soweit Maßnahmen im Vorfeld eines Zusammen-schlusses zu negativen Marktwirkungen führen, sind sie am

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Kartellverbot des § 1 GWB und Art. 101 AEUV zu messen. Solange der Zusammenschluss noch nicht vollzogen ist, sind die Zusammenschlussbeteiligten selbständige und voneinan-der unabhängige Unternehmen. Bis zur Freigabe des Zusam-menschlusses sind ihnen daher sämtliche Abstimmungen und Koordinierungen untersagt, die gegen das Kartellverbot verstoßen. Auch in diesem Fall stehen dem BKartA vor einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufige Eingriffsmöglich-keiten zur Verfügung. Gem. § 32a Abs. 1 GWB kann die Kartell-behörde in dringenden Fällen, wenn die Gefahr eines ernsten, nicht wiedergutzumachenden Schadens für den Wettbewerb besteht, von Amts wegen einstweilige Maßnahmen anordnen.

Weiter Vollzugsbegriff verstößt gegen BestimmtheitsgebotGegen die vom BKartA befürwortete extensive Auslegung des Vollzugsverbots sprechen überdies die aus dem rechts-staatlichen Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) folgen-den Grundsätze der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Der Gesetzgeber ist hiernach gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnen-den Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Dabei ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen. Die Rechtsunter-worfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm angesprochenen Rechtsfolgen vorliegen. (...)

Beurteilung von VorfeldmaßnahmenSelbst wenn sog. Vorfeldmaßnahmen „ungünstige wettbe-werbliche“ Wirkungen bewirken, steht damit noch nicht ein Verstoß gegen § 1 GWB oder Art. 101 AEUV fest. Weder ist damit gesagt, dass die in Rede stehenden Maßnahmen auf eine Vereinbarung zwischen Unternehmen oder abgestimmte Ver-haltensweisen zurückzuführen sind, noch dass sie eine spür-bare Wettbewerbsbeeinträchtigung bewirken oder bezwe-cken. Darüber hinaus ist bei einem möglicherweise in Betracht zu ziehenden Verstoß gegen § 1 GWB oder Art. 101 AEUV der Erlass einstweiliger Anordnungen – wie bereits ausgeführt – in der insoweit spezielleren Vorschrift des § 32a GWB geregelt. Sie dient der effektiven Durchsetzung der kartell- und miss-brauchrechtlichen Verbote. Aufgrund der unterschiedlichen Anwendungsbereiche und Eingriffsvoraussetzungen von § 60 GWB und § 32a GWB ist eine Anwendung von § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB auf den vom BKartA in Feld geführten „Verstoß eigener Art“ gegen § 1 GWB im Zusammenhang mit einem Fusions-kontrollverfahren systemwidrig und daher abzulehnen.(2.4) Nach der vom Senat vertretenen Auffassung ist vorliegend von einem faktischen (Teil-)Vollzug des Zusammenschlussvor-habens auszugehen. Der am 01.10.2014 geschlossene Rahmen-vertrag führt im Bereich der Warenbeschaffung in weiten Tei-len zu einer faktischen Integration von KT in die EDEKA. Für den Beschaffungsmarkt, auf dem sich der LEH als Nachfrager und die Hersteller als Anbieter gegenüberstehen, würde KT als Nachfrager weitestgehend wegfallen. Damit würde faktisch eine Situation geschaffen wie sie eintreten würde, wenn KT und EDEKA den Zusammenschluss schon vollzogen und die LEH-Geschäfte von KT in das Erwerbsunternehmen integriert worden wären. (...)c. Der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderli-che Anordnungsgrund liegt nicht vor.

Die einstweilige Anordnung muss erforderlich sein, um bereits bis zur Hauptsacheentscheidung drohende irre-parable Nachteile oder schwere Schäden im Interesse des Gemeinwohls abzuwenden (KG, Beschl. v. 13.06.1979, Kart. 18/79, WuW/E OLG 2145, 2146 – Sonntag Aktuell II; KG, Beschl. v. 10.12.1990, Kart. 19/90, WuW/E OLG 4640, 4642 – Hamburger Benzinpreise; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.11.2009, V I-Kart 2/09 (V), WuW/E DE-R 2894 = WuW0350190 = juris: Rn. 20 – Bauen und Garten). Sie setzt eine Abwägung zwischen diesem öffentlichen Interesse an einem freien und wirksamen Wettbewerb und den Belangen der betroffenen Unternehmen voraus. (...)Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Amtes in mehrfacher Hinsicht nicht.Das BKartA hat im Rahmen des Anordnungsgrundes von seiner Abwägungsermächtigung erklärtermaßen keinen Gebrauch gemacht. Das Amt geht rechtsfehlerhaft davon aus, dass eine separate Prüfung eines Anordnungsgrundes im Rah-men von § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB nicht erforderlich ist (Rn. 143, 146 Amtsbeschluss). (...)Soweit das BKartA im Rahmen des Anordnungsanspruchs die wettbewerblichen Wirkungen einer Warenbeschaffung über EDEKA dargestellt und eine Interessenabwägung vor-genommen hat (Rn. 75-85, 97-103 Amtsbeschluss), vermögen diese Ausführungen die erforderliche Abwägung zwischen dem aufgezeigten besonderen öffentlichen Interesse und den Belangen der betroffenen Unternehmen nicht zu ersetzen. Zwar befasst sich das Amt dort nur mit den wettbewerblich nachteiligen Wirkungen, die eine Übertragung der Beschaf-fung auf EDEKA nach sich ziehen würde. Es fehlen aber auch an dieser Stelle Ausführungen dazu, ob irreparable Nachteile oder schwere Schäden drohen, die im Interesse des Gemein-wohls abzuwenden sind, mithin ein über das öffentliche Interesse an der Sicherung oder Vermeidung eines späteren Entflechtungsverfahren hinausgehendes besonderes öffentli-che Interesse vorliegt. Hinzu kommt, dass die vom Amt aufge-zeigten negativen Marktwirkungen bei näherer Betrachtung nicht aufrechterhalten werden können. (Ausführungen zu den Befürchtungen des BKartA, die nicht aufrechterhalten werden können)2. § 32a GWBDer Erlass der in Rede stehenden einstweiligen Anordnungen war nicht aus § 32a GWB gerechtfertigt.Wie bereits ausgeführt, kann die Kartellbehörde nach § 32a GWB in dringenden Fällen, wenn die Gefahr eines ernsten, nicht wieder gutzumachenden Schadens für den Wettbewerb besteht, von Amts wegen einstweiligen Maßnahmen anordnen. Ebenso wie bei § 60 GWB setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung auch hier in formeller Hinsicht voraus, dass ein Verwaltungsverfahren in der Hauptsache bei der Kartellbe-hörde anhängig und noch nicht abgeschlossen ist.An einem solchen Hauptsacheverfahren, das auf den Erlass einer Abstellverfügung nach §  32 GWB abzielte, fehlte es jedoch bei Erlass der in Rede stehenden einstweiligen Anord-nungen.Das BKartA hat unter dem Aktenzeichen B2-96/14 ein Fusi-onskontrollverfahren eingeleitet, nachdem es zunächst am 17.10.2014 den Entwurf einer Anmeldung nach § 39 GWB und im Anschluss an die Besprechung mit EDKEA und KT Anfang November 2014 die tatsächliche Anmeldung des Zusam-menschlussvorhabens erhalten hat. (...) Dass das BKartA den

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ihm zur Kenntnis gelangten Sachverhalt, insbesondere den Rahmenvertrag vom 01.10.2014 sowie sonstige im Vorfeld des Zusammenschlusses getroffenen Abreden und Verhaltenswei-sen, darüber hinaus auch einer Prüfung nach § 1 GWB und Art. 101 AEUV unterziehen wollte und deshalb parallel zum Fusionskontrollverfahren ein zweites, auf eine Verfügung nach § 32 GWB abzielendes Verfahren eingeleitet hat, ergibt sich aus der Akte nicht. (…)

Redaktioneller Hinweis:Volltext-Beschluss online: RS1189832.

METATAGS: meta_zeitschrift_WUW; meta_doctype_Entscheidung; meta_SiriusID_1189189; meta_RawID_1189832;

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Umsetzung der Huawei-Kriterien (1)Patentmissbrauch • Zwangslizenz • standardessentielle Patente • Huawei-Kriterien • FRAND-Bedingungen

Art. 101, 102 AEUV; § 19 GWB; § 139 PatG; § 242 BGB1. Grundsätzlich hat bei Verletzung standardessentieller

Patente eine Abmahnung der Klageerhebung voraus-zugehen. Die Benachrichtigung von einer eingereich-ten, aber noch nicht zugestellten Klage kann u. U. je-doch als Hinweis auf die Patentverletzung genügen.

2. Wenn der Verletzer auch nach Klageerhebung und trotz Verstreichens einer angemessenen Frist kein Interesse an einer Lizenz äußert, ist die weitere Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs nicht missbräuchlich.

3. Es kann dahinstehen, ob ein Patentinhaber alle Liefe-ranten des Verletzers abmahnen muss.

4. Ein Zeitraum von über drei Monaten zwischen Kennt-nis von der behaupteten Patentverletzung und Anzeige der Lizenzwilligkeit ist zu lang.

5. Die Obliegenheit des Benutzers, im Fall der Ablehnung des Lizenzangebots des Patentinhabers ein Gegenan-gebot zu unterbreiten, ist nicht davon abhängig, dass ein gerade inhaltlich FRAND-Kriterien entsprechendes Angebot des Patentinhabers vorliegt.

6. Ein Gegenangebot ohne Nennung eines konkreten Li-zenzbetrags genügt nicht. Im Gegenangebot genügt auch nicht der Verweis auf die Festsetzung der Lizenz-gebühr durch einen Dritten.

(LS von der Redaktion formuliert)LG Mannheim, Urteil vom 27.11.2015 – 2 O 106/14, Huawei (1)

AUS DEM SACHVERHALT[1 … 51] Die Klägerin macht Unterlassungsansprüche wegen behaupteter Patentverletzung geltend. (…)[52 … 53] Bei der Klägerin handelt es sich um eine in der Rechtsform einer GmbH organisierte Patentverwertungs-gesellschaft (…)[54] Die Klägerin ist seit dem 28.08.2014 als Inhaberin des für Deutschland validierten Europäischen Patents EP 1 125 284 B1 (nachfolgend: Klagepatent) eingetragen, welches eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Wiederherstellung des Hochfrequenzanteils eines überabgetasteten synthetisierten Breitbandsignals betrifft. (…)[55 … 85] Die Beklagte ist ein großes deutsches Telekommu-nikationsunternehmen und vertreibt u. a. über ihre Website in

Deutschland Mobiltelefone (…), wobei sich aus den als Anlage K 9 vorliegenden technischen Spezifikationen zu dem Mobil-telefon „xxx“ ergibt, dass dieses das Audioformat „AMR-WB“ unterstützt. Dasselbe gilt für das von der Beklagten angebo-tene Mobiltelefon „xxx“ der Marke B. Die Klägerin führt zu diesen Verletzungsformen stellvertretend für alle Mobiltele-fone aus, bei deren Betrieb der Standard AMR-WB 3GPP TS 26.190 V11.0.0 verwirklicht wird (zukünftig einheitlich als angegriffene Ausführungsform bezeichnet). Solche Mobiltele-fone bezieht die Beklagte u. a. auch von H.[86] Das Klagepatent wurde vom internationalen Patent Evaluation Consortium (IPEC) als standardessentiell im Hinblick auf den Adaptive Multi-Rate-Wideband Standard (nachfolgend: „AMR-WB“) beurteilt (…). Bei diesem handelt es sich um einen Breitband-Sprachcodierungsstandard, der neben anderen Funktionen u. a. eine erheblich verbesserte Sprachqualität bei einer größeren Sprachbandbreite im Ver-gleich zu Schmalbandsprachcodierung bietet. AMR-WB ist als internationaler Standard kodifiziert u. a. als 3GPP AMR-WB-Sprachcodec durch das Standarddokument 3GPP TS 26.190 V11.0.0 (2012-10). (...)[87 … 88] Die Festsetzung des Standards durch das European Standards Telecommunications Institute (ETSI) erfolgte am 10.04.2001. (…) Die Offenlegung der Anmeldung des Klage-patents gegenüber ETSI erfolgte erst am 29.05.2001. Nach der Festsetzung des Standards erklärte sich V (…) bereit, u. a. betreffend die vorliegende Erfindung zu FRAND-Bedingungen eine Lizenz zu erteilen.[89] Nach Einreichung der vorliegenden (…) Klage wandte die Klägerin sich an die Beklagte (…) und teilte mit, dass sie bereit, willens und in der Lage sei, die (…) sechs deutschen Patente an die Beklagte unter FRAND-Bedingungen zu lizenzieren, und lud die Beklagte ein, sie umgehend zur Diskussion einer solchen Lizenz zu kontaktieren. Mit weiterem Schreiben vom 09.12.2014 bot die Klägerin der Beklagten die Übersendung eines schriftlichen Vertragsentwurfs an. Die Beklagte hat – im Gegensatz zu einzelnen Herstellern – bislang kein Interesse an einer Lizenz am Klagepatent gezeigt.[90] Die Klägerin nahm vor der Klageerhebung wegen der Benutzung des Klagepatents keinen Kontakt zu den Streit-helferinnen auf und unterbreitete diesen insbesondere kein (schriftliches) Lizenzangebot. H als Lieferantin der Beklag-ten erfuhr bereits im August 2014 durch die Beklagte von der Klage, wie sich aus dem Vortrag der Klägerin (…) ergibt, der nicht bestritten worden ist, und zwar weder durch die Beklagte, deren Bevollmächtigter im Rahmen der Erörterung der möglichen rechtlichen Bedeutung dieses Umstands in der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2015 insoweit lediglich erklärt hat, er habe am 08.08.2014 von der Klage Kenntnis erlangt und danach habe eine erste Besprechung zwischen ihm und der Beklagten stattgefunden, noch durch H (…), deren Bevollmächtigter im genannten Termin angegeben hat, er sei wohl im August 2014 durch – den zur Kanzlei der Beklagten-vertreter gehörenden – Herrn Rechtsanwalt xxx über eine Klage informiert worden, die eventuell H betreffe.[91] Nach der Streitverkündung durch die Beklagte wandte sich H mit (…) Schreiben vom 09.12.2014 an die Klägerin, in dem sie um Verhandlungen betreffend eine FRAND-Lizenz sowie ein Treffen zur Erläuterung der von der Klägerin veröffentlichten Lizenzsätze bat und sich dieser gegenüber verpf lichtete, im Fall der gerichtlichen Feststellung einer

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Patentverletzung eine FRAND-Lizenz am betroffenen Patent zu nehmen.[92] Mit Schreiben vom 22.12.2014 (…) übersandte die Kläge-rin H den Entwurf einer Geheimhaltungserklärung mit der Aufforderung, diese als Vorbedingung weiterer Gespräche zu unterzeichnen. H unterzeichnete diese Geheimhaltungs-erklärung und sandte sie an die Klägerin zurück. Im Vorfeld einer Besprechung am 23.01.2015 übersandte die A der H am 12.01.2015 den Entwurf eines – am 26.01.2015 von der Klägerin nochmals in korrigierter Form übermittelten – Lizenzvertrags unter Angabe insbesondere der Lizenzhöhe. Am 09.02.2015 fand eine Besprechung zwischen H und der Klägerin statt. Mit Schreiben vom 23.02.2015 (…) unterbrei-tete H der Klägerin eine gegenüber ihrer Erklärung vom 09.12.2014 ergänzten Vorschlag über ein Verfahren zur Bestimmung der Bedingungen einer letztlich zu vereinba-renden Lizenz. Mit Email vom 06.03.2015 (…) teilte H mit, dass sie bereit wäre, für eine auf Deutschland beschränkte Lizenz xxx US$ je Patentfamilie und Stück, insgesamt also xxx US$ pro Stück zu bezahlen.[93] In einem Treffen am 25.03.2015 wurde H ein Angebot für den Abschluss eines weltweiten Lizenzvertrags zwischen L sowie der Klägerin einerseits und H andererseits unter-breitet. Dieses Angebot wiederholte A mit (…) Email vom selben Tag. H bezeichnete dieses Angebot vom 25.03.2015 mit Email vom 14.04.2015 wegen des vorgesehenen Mecha-nismus gem. §  315 Abs.  3 BGB als nicht annehmbar und kritisierte dessen Erstreckung auf alle Länder, in denen die Unternehmensgruppe der Klägerin über entsprechende Patente verfügt und H AMR-WB-fähige Mobiltelefone ver-treibt (…).[94] Mit Schreiben vom 02.04.2015 (…) unterbreitete H ihrerseits der Klägerin ein Angebot in Form eines unter-zeichneten Lizenzvertrags für das Gebiet Deutschlands mit der Bitte um Gegenzeichnung binnen 30 Tagen, das die Bestimmung der Lizenzgebühren durch den High Court von England und Wales vorsieht. A teilte mit Email vom 19.04.2015 (…) mit, dass das Angebot von H, die Lizenz-gebühr von dem englischen High Court feststellen zu las-sen, nicht akzeptabel sei. Mit Schreiben vom 08.06.2015 (…) erklärte H, dass sie sich bis auf weiteres an ihr eigenes Angebot vom 02.04.2015 gebunden halte.[95] Zuletzt ließ H der Klägerin ein als „Zahlungsgarantie“ bezeichnetes Schreiben der xxx-Bank vom 03.09.2015 (…) zustellen, in dem diese unter verschiedenen Bedingungen für Patentbenutzungen in Deutschland eine Zahlung von xxx EUR auf etwaige Lizenzforderungen der Klägerin garan-tiert. Die Klägerin beanstandete mit Email an den Bevoll-mächtigten von H vom 13.09.2015, dass diese Garantie nicht nachvollziehbar sei. H erläuterte die Sicherheit darauf hin dahin, dass sie seit 2011 erfolgte (angebliche) Benutzungen der sechs zwischen den Beteiligten in parallelen Prozessen gegenständlichen Patentfamilien in Deutschland bis zum Auslaufen der Patente unter Ansatz des in der Email vom 06.03.2015 genannten Lizenzsatzes abdecken solle und legte dazu im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.09.2015 eine Aufstellung vor (Anzahl der an deutsche Abnehmer gelie-ferten, standardgemäßen Mobiltelefone aufgegliedert nach Jahren und Abnehmern für die Vergangenheit und geschätzt für die Zukunft), die im grünen Anlagenband („VERTRAU-LICH!“) erfasst ist.

Vortrag der Klägerin[96 … 103] Die Klägerin sei auch nicht kartellrechtlich gehindert, die erhobenen Ansprüche im Klagewege geltend zu machen.[104] Es fehle schon an der marktbeherrschenden Stellung der Klägerin auf dem sachlich relevanten Technologiemarkt, auf dem die Patentinhaber ihre Lizenzen anböten, unter Berück-sichtigung der Auswirkungen auf den nachgelagerten, mindes-tens EU- bzw. EWR-, wenn nicht sogar weltweit abzugrenzen-den Produktmarkt, auf dem die Hersteller ihre Smartphones und Basic-Phones, die für die AMR-WB-Technik ebenfalls geeignet seien, anböten. (…) Die Nutzung des Standards sei daher weder Voraussetzung noch wenigstens von grundlegen-der Bedeutung für ein wettbewerbsfähiges Angebot und somit den Zutritt zum Produktmarkt für Mobiltelefone. Das Fehlen der marktbeherrschenden Stellung sei weder aufgrund der Standardessentialität zu vermuten noch mit dem Vorliegen einer FRAND-Lizenzbereitschaftserklärung zu überwinden.[105] Im Übrigen könne die Beklagte keinen Missbrauchsein-wand erheben. (…)[106 … 127] (Anträge der Parteien)

Vortrag der Beklagten[128] Dem Erfolg der Klage stehe ein kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand entgegen.[129] Die Klägerin habe als Inhaberin des unterstellt stan-dardessentiellen Patents eine zu vermutende marktbeherr-schende Stellung, nachdem inzwischen der Standard in allen Mobilfunknetzwerken in Deutschland implementiert sei, und zwar einschließlich des xxx-Netzes, in dem die Einführung von HD-Voice zumindest begonnen habe. Der Marktanteil des AMR-WB-Standard auf dem deutschen Technologiemarkt und damit einem wesentlichen Teil des Binnenmarktes betrage 100 %. Es gebe keine im Verhältnis zum Standard austausch-baren Technologien. (…)[130] Hier gälten die Maßstäbe, die sich aus den Schluss-anträgen des Generalanwalts und dem Urteil des EuGH in der Rs C-170/13 – Huawei Technologies/ZTE (WuW01066262) ergäben. Die Klägerin sei an die FR AND-Deklaration der früheren Patentinhaberin V nach Art. 6.1 bis der ETSI IPR-Policy, zur effektiven Durchsetzung des Kartellrechts und außerdem wegen deren dinglich-beschränkender Wirkung oder wenigstens analog § 404 BGB gebunden. Unabhängig davon sei die Klägerin auch unmittelbar aus Kartellrecht verpf lichtet, eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu ertei-len. Der mit Art.  102 AEU V verfolgte Zweck dürfe nicht dadurch unterlaufen werden, dass die Klägerin Unterlas-sungsansprüche gegen die Beklagten als wichtige (größte) Vertriebspartnerin des jeweils kartellrechtswidrig behin-derten Herstellers durchsetze. Ein solches Vorgehen sei ebenfalls rechtsmissbräuchlich i. S. des Art. 102 AEUV; es verschärfe sogar den Missbrauchstatbestand des Art. 102 AEU V im Vergleich zu einer unmittelbaren Inanspruch-nahme der Hersteller. Im Übrigen sei die Beklagte als Werk-zeug des Kartellrechtsverstoßes der K lägerin nach §  33 GWB berechtigte „Betroffene“. Weitere Voraussetzungen, insbesondere solche aus dem Urteil des BGH in der Sache Orange Book Standard , müssten nicht erfüllt sein, da der hier zu beurteilende Sachverhalt in wesentlichen Details vom dort entschiedenen, lediglich eine „de-facto-Norm“ betreffenden Sachverhalt abweiche.

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[131 … 136] Die Unterlassungsklage verstoße zudem gegen Art. 101 AEUV und sei der Klägerin daher verwehrt, solange diese ihren aus der Lizenzbereitschaftserklärung folgenden (Verhandlungs-)Pflichten nicht nachgekommen sei. Denn eine solche Lizenzbereitschaftserklärung gegenüber der Standardi-sierungsorganisation sei nach Art. 101 Abs. 3 AEUV zur Frei-stellung der mit dem Standardisierungsverfahren einherge-henden Wettbewerbsbeschränkung, die in der Festlegung auf die Aufgabe alternativer technologischer Entwicklungen liege, erforderlich gewesen. Die Darlegungs- und Beweislast trage insoweit nach Art. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 1/2003 die Klägerin.

AUS DEN GRÜNDEN[137 … 139] (A. Zulässigkeit)[140 … 152] B. Begründetheit[153] Die Klage ist im nunmehr noch zur Entscheidung gestell-ten Umfang begründet. Der Klägerin stehen gem. Art. 64 EPÜ i. V. mit § 139 Abs. 1 PatG die von ihr geltend gemachten Unter-lassungsansprüche gegen die Beklagte zu.

Kein Patenthinterhalt nachgewiesen[154 … 236] Die Klägerin ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt an der Durchsetzung der geltend gemachten Ansprüche gehindert. Insbesondere ist deren Durchsetzung weder wegen eines sog. Patenthinterhalts als rechtsmiss-bräuchlich zu bewerten (dazu 1.), noch steht dem Erfolg der Klage eine angebliche Lizenzbereitschaft auf Seiten der Pat-entbenutzer entgegen, und zwar weder unter dem Gesichts-punkt des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Klägerin (dazu 2.) oder mit Blick auf das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (dazu 3.) noch ausgehend von den Lizenzbereitschaftserklärungen der Klä-gerin oder ihrer Rechtsvorgängerin (dazu 4.).[237] 1. Soweit insbesondere die Beklagte durch das Verhal-ten der Klägerin den Tatbestand des sog. Patenthinterhalts verwirklicht sieht und über Art. 102 AEUV und § 242 BGB die Rechtsfolge der Klageabweisung herleiten will, folgt die Kammer dem nicht.[238] a) Der Vorwurf geht dahin, die Rechtsvorgängerin der Klägerin – die V – habe im Rahmen des Standardisierungsver-fahrens zum AMR-WB Standard bewusst und pflichtwidrig entgegen den ETSI-Statuten die Existenz (auch) der Anmel-dung des Klagepatents verschwiegen, welches nunmehr als essentiell für den verabschiedeten Standard bezeichnet werde. Erst nachdem der Standard am 10.04.2001 verabschiedet worden sei (sog. Freeze; …), habe sie auf diese Schutzrechte hingewiesen und sie gegenüber der ETSI als standardessentiell deklariert (29.05.2001), sodass die Geltendmachung dieses Schutzrechts als ein sittenwidriges, wettbewerbsbehinderndes und treuwidriges Verhalten anzusehen sei, welches sich die Klägerin zurechnen lassen müsse und welches zur Abweisung der Klage führe.[239] b) Das ist – jedenfalls für den hier zu entscheidenden Sachverhalt – unzutreffend. Denn weder die Beklagte noch deren Streithelferinnen, die insoweit darlegungs- und beweis-belastet sind, haben Vortrag geleistet, der sich – unabhängig davon, ob sich die Klägerin das Verhalten ihrer Rechtsvor-gängerin überhaupt zurechnen lassen müsste – als mögliche Anstiftung oder Beihilfe zu einer Haupttat der Fa. N bzw. als eine in den Formen der Mittäterschaft oder mittelbaren Täter-schaft begangene Handlung einordnen ließe.

[240 … 248] c) Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob – wie die Beklagte meint – Rechtsfolge eines in die-sem Sinne verstandenen Patenthinterhaltes (englisch: Patent ambush) die Verpflichtung der Klägerin, Dritten kostenlose Lizenzen zu gewähren, und damit die Abweisung einer auf eine Verletzung des Klagepatents gestützten Klage ist (dagegen mit beachtlichen Argumenten unter Hinweis auf den das deutsche Schadensersatzrecht prägenden und in § 249 BGB normier-ten Grundsatz der Naturalrestitution: LG Düsseldorf, Urt. v. 07.06.2011, 4b O 31/10, Juris Rn. 84 f. m.w.N.). Daher besteht für die Kammer auch kein Anlass, die Frage der Rechtsfolge eines Patenthinterhaltes dem EuGH gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Kein Missbrauch[249 … 250] 2. Die Beklagte kann sich ferner nicht auf einen aus dem kartellrechtlichen Missbrauchsverbot gem. Art. 102 AEUV hergeleiteten Einwand der Lizenzwilligkeit berufen.[251] Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin auf dem hier im Verhältnis zur Beklagten und deren Lieferanten relevan-ten Technologiemarkt, über dessen räumliche und sachliche Abgrenzung die Parteien streiten, aufgrund des Klagepa-tents (ggf. i. V. mit den übrigen von ihr gehaltenen, angeblich standardessentiellen Patenten) eine marktbeherrschende Stellung hat, insbesondere ob eine solche schon aufgrund des Standardisierungsverfahrens und insbesondere der FRAND-Erklärung zu vermuten sein kann, oder nicht mehr geprüft werden muss (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7. Aufl. 2014, Rn. 1709; LG Düsseldorf, Urt. v. 24.04.2014 – 4b O 273/10, juris Rn. 206). Offen bleiben kann auch, ob aus den Erklärungen der V gegenüber ETSI oder den Erklärungen der Klägerin gegenüber der Beklagten oder H eine Pflicht erwach-sen ist, sich (ggf. nach einem § 242 BGB zu entnehmenden Verbot widersprüchlichen Verhaltens) unabhängig vom tat-sächlichen Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung in derselben Weise wie ein marktbeherrschendes Unternehmen an kartellrechtlichen Rücksichtnahmepflichten messen zu lassen. Offenbleiben kann insbesondere auch, ob die Klägerin als Rechtsnachfolgerin von V sich so behandeln lassen müsste, als habe sie selbst gegenüber ETSI eine FRAND-Erklärung abgegeben (vgl. dazu OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 326, 328; GRUR-RR 2010, 120, 121 f). Schließlich bedarf auch keiner Ent-scheidung, ob im Fall einer missbräuchlichen Lizenzverweige-rung gegenüber einem lizenzwilligen Mobiltelefon-Lieferanten der Beklagten letztere – vorausgesetzt die Klägerin schließt üblicherweise Lizenzverträge gerade mit den Mobiltelefon-herstellern ab – unabhängig von eigener Lizenzbereitschaft dem Unterlassungsanspruch einen Missbrauchseinwand entgegenhalten könnte, soweit die Ausführungsformen dieses Lieferanten betroffen sind (in diese Richtung OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 326, 329). Selbst wenn man all dies zu Gunsten der Beklagten unterstellen wollte, wäre die Klage nicht aus diesen Gründen abzuweisen.[252] Es fehlt nämlich jedenfalls an einem Missbrauch i. S. von Art. 102 AEUV oder § 19 GWB, und zwar sowohl gegenüber der Beklagten als auch gegenüber der Streithelferin H. Auch gegenüber anderen Herstellern, deren Produkte nicht bereits vom Klageantrag ausgenommen sind, ist kein missbräuchli-ches Verhalten erkennbar.[253] a) Allerdings ergeben sich jedenfalls bei einer marktbe-herrschenden Stellung eines Patentinhabers aus dem Verbot

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des Missbrauchs einer solchen nach Art.  102 AEUV nach der Rspr. insbesondere des EuGH Einschränkungen für die gerichtliche Durchsetzbarkeit eines Unterlassungsanspruchs.

Huawei-Kriterien[254] Danach ist es dem Inhaber eines für einen von einer Standardisierungsorganisation normierten Standard essenzi-ellen Patents, der sich gegenüber dieser Organisation unwider-ruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen (sog. FRAND-Bedingungen) (fair, reasonable and non-discrimina-tory) zu erteilen, [grds.] untersagt, eine marktbeherrschende Stellung i. S. dieser Vorschrift dadurch zu missbrauchen, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beein-trächtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt.[255] Eine in diesem Sinne missbräuchliche Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs liegt aber (jedenfalls dann) nicht vor, wenn der Patentinhaber zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die diesem vorgeworfen wird, hingewiesen hat und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es ver-letzt worden sein soll, und zum anderen, nachdem der angebli-che Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, diesem ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und der Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gem. den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflo-genheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und u. a. impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird (EuGH, GRUR 2015, 764 Rn. 71 = WuW01066262 – Huawei Tech-nologies/ZTE). Nimmt der angebliche Verletzer das ihm unter-breitete Angebot nicht an, kann er sich auf den missbräuchli-chen Charakter einer Unterlassungs- oder Rückrufklage nur berufen, wenn er dem Inhaber des betreffenden SEP innerhalb einer kurzen Frist schriftlich ein konkretes Gegenangebot macht, das den FRAND-Bedingungen entspricht (EuGH, a.a.O., Rn. 66 – Huawei Technologies/ZTE). Darüber hinaus hat der angebliche Verletzer, wenn er das standardessenzielle Patent benutzt, bevor ein Lizenzvertrag geschlossen wurde, ab dem Zeitpunkt, zu dem sein Gegenangebot abgelehnt wurde, eine angemessene Sicherheit gem. den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten zu leis-ten, z. B. indem er eine Bankgarantie beibringt oder die erfor-derlichen Beträge hinterlegt. Die Berechnung dieser Sicherheit muss u. a. die Zahl der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das standardessenzielle Patent umfassen, für die der angebliche Verletzer eine Abrechnung vorlegen können muss (EuGH, a.a.O., Rn. 67 – Huawei Technologies/ZTE).

Mangelnde Lizenzwilligkeit der Beklagten[256] b) Ein Missbrauch der Klägerin zum Nachteil der Beklag-ten selbst liegt nach diesen Maßstäben nicht vor, weil die Beklagte nicht lizenzwillig ist.[257] Die Klägerin hat die Beklagte vor Zustellung der – aller-dings schon eingereichten – Klage auf die Verletzung des Klagepatents hingewiesen, also zu einem Zeitpunkt, als die

Beklagte noch nicht dem Druck einer gegen sie erhobenen Klage ausgesetzt war. Dahinstehen kann, ob dieser Hinweis der Klägerin in zeitlicher Hinsicht mit Blick auf die Anforderungen des EuGH (a.a.O. – Huawei Technologies/ZTE) möglicherweise unzureichend war, soweit die Anhängigkeit der Klage und die – allerdings grds. unter dem Vorbehalt der Vorschuss-zahlung stehende – kurzfristig anstehende Zustellung der Klage für die Beklagte schon aufgrund des Hinweisschreibens erkennbar war. Soweit die außergerichtliche Nachricht an die Beklagte dieser nicht hinreichend ermöglicht haben sollte, ohne anhängige Klage und noch vor Klagezustellung eine Ent-scheidung über ihre Lizenzwilligkeit zu treffen, vermag dies jedenfalls aufgrund des weiteren Geschehensablaufs einen Missbrauchseinwand nicht (mehr) zu tragen, weil die Beklagte unabhängig davon keine Lizenz am Klagepatent nehmen will.[258] Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Beklagte möglicherweise verfrüht unter Klagedruck gesetzt haben mag. Dass der Klageerhebung eine Abmahnung vorangehen soll, ergibt sich unter den besonderen Umständen bei standard-essentiellen Patenten daraus, dass in Anbetracht der großen Zahl von standardessentiellen Patenten, von denen ein Stan-dard wie der vorliegende regelmäßig besteht, nicht sicher ist, dass der Verletzer zwangsläufig weiß, dass er die Lehre eines rechtsbeständigen und standardessenziellen Patents benutzt (EuGH, a.a.O., Rn. 62 – Huawei Technologies/ZTE), der Patentinhaber aus der Untätigkeit des Patentverletzers also nicht ohne weiteres auf fehlende Lizenzwilligkeit schließen und (entgegen seiner grundsätzlichen Lizenzierungspflicht) Klage erheben darf. Der durch eine Klage erzeugte Druck mag sich auf die Verhandlungsposition und daher auch auf die Frage auswirken, was der Patentbenutzer (ggf. vorschnell) als Lizenzvertragsinhalt akzeptieren könnte. Die Verletzungs-klage beeinträchtigt ihn aber nicht unzulässig in der – hier in Rede stehenden – freien Entscheidung, ob er an einem Patent, auf dessen angebliche Benutzung er hingewiesen worden ist, überhaupt eine Lizenz nehmen will. Wenn der Verletzer auch nach Klageerhebung und trotz Verstreichens einer angemes-senen Frist schon kein Interesse an einer Lizenz äußert, ist die weitere Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs nicht missbräuchlich. Vielmehr wäre es eine in der Sache nicht berechtigte und vom Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV nicht geforderte Förmelei, einen auf mangelnde Bedenkzeit betreffend die Lizenzwilligkeit vor Klageeinreichung und/oder -zustellung gestützten Einwand des Verletzers gegen den Unterlassungsanspruch zuzulassen, über den nach dem Sach- und Streitstand zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist. So liegen die Dinge hier bei der Beklagten, nachdem diese noch immer – inzwischen mehr als ein Jahr nach Klageerhebung – keine Lizenzbereitschaft erklärt.

Kein Missbrauch zum Nachteil von H[259] c) Es fehlt auch an einem Missbrauch zum Nachteil von H.[260] aa) Ein Einwand betreffend die Geräte von H ergibt sich nicht daraus, dass die Klage erhoben worden ist, bevor H von der Klägerin auf die Verletzung hingewiesen und zur Erklä-rung ihrer Lizenzwilligkeit aufgefordert worden ist.[261] Ob überhaupt ein Missbrauch darin liegen könnte, dass ein Lieferant des Beklagten vor Klageerhebung nicht abgemahnt wird, obwohl der Patentinhaber kaum je alle Patentverletzer in der vorgeschalteten Lieferkette (zu denen hier womöglich nicht nur die unter einer Mobiltelefonmarke

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handelnden Hersteller, sondern auch deren Zulieferer, insbe-sondere Chiphersteller gehören könnten) kennen wird, kann dahinstehen.[262] Ein so hergeleiteter Missbrauchseinwand scheidet hier jedenfalls deshalb aus, weil H, nachdem sie von der Beklagten über die Klage bereits im August 2014 informiert worden ist, nicht binnen angemessener Frist gegenüber der Klägerin ihre Lizenzbereitschaft angezeigt hat.[263] (1) Mit der Kenntnis von der – u. a. Geräte aus dem Hause H betreffenden – Klageerhebung gegen die Beklagte bestand für H Anlass zu prüfen, ob sie eine Lizenz an den betroffe-nen Patenten, insbesondere dem Klagepatent, nehmen will. Für die Prüfung der eigenen Lizenzbereitschaft kam es dabei nicht darauf an, ob die Klägerin H selbst auf die Verletzung hingewiesen hatte, weil H im Zusammenhang mit dem tele-fonischen Austausch der Rechtsanwälte der Beklagten und von H im August 2014 betreffend die erhobene Klage entweder erfahren hat oder jedenfalls ohne nennenswerten Aufwand (bei der Klägerin oder der Beklagten) hätte erfragen können, welche (angeblich) standardessentiellen Patente die Klägerin wodurch verletzt sah (vgl. zu diesem Zweck des Hinweises auf den Verletzungsvorwurf EuGH, a.a.O., Rn. 62 – Huawei Technologies/ZTE).[264] (2) H hat daraufhin nicht innerhalb einer Frist bei der Klägerin um eine Lizenz nachgesucht, in der dies von einem sorgfältigen lizenzwilligen Marktteilnehmer zu erwarten gewesen wäre. Der Zeitraum von mehr als drei Monaten seit Hs Kenntnis von der Klage bis zum Schreiben vom 09.12.2014, in dem frühestens eine Anzeige der Lizenzbereitschaft durch H zu sehen ist (was i. Ü. mit Blick auf die dort aufgestellte Bedin-gung der gerichtlichen Feststellung einer Verletzung zweifel-haft sein könnte), war dafür zu lange. Insbesondere eine erste Nachprüfung des Verletzungsvorwurfs anhand des Standards und die sich daran anschließende Entscheidung, ob wenigs-tens dem Grunde nach Interesse an einer Lizenz besteht, war von einem Mobiltelefonhersteller in deutlich kürzerem Zeit-raum zu erwarten und musste für die Entscheidung, ob der Klägerin Lizenzbereitschaft angezeigt wird, auch genügen. Denn dem angeblichen Patentverletzer ist es unbenommen, neben Verhandlungen über die Erteilung von Lizenzen die Rechtsbeständigkeit dieser Patente und/oder ihren essenti-ellen Charakter für den Standard und/oder ihre tatsächliche Benutzung anzufechten oder sich die Möglichkeit vorzu-behalten, dies später zu tun (EuGH, a.a.O., Rn. 69 – Huawei Technologies/ZTE). Eine lange Überlegungsfrist (etwa für eine abschließende Prüfung des Verletzungsvorwurfs unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten) ist dem angeblichen Verletzer daher nicht zuzubilligen. I. Ü. scheint ein Zeitraum von mehr als drei Monaten auch für eine gründliche Prüfung der streitgegenständlichen Vorwürfe nicht erforderlich.[265] (3) Auch hier wäre es eine nicht gebotene Förmelei, die Klage allein deshalb abzuweisen, weil H nicht vor Klageer-hebung Gelegenheit zur Bekundung von Lizenzwilligkeit gegeben worden ist. Dies hätte nämlich bezüglich der nun bestehenden prozessualen Situation keinen Unterschied gemacht. Da sich H in Kenntnis der Verletzungsvorwürfe nicht in angemessener Frist mit einer solchen Erklärung an die Klägerin gewandt hat, kann davon ausgegangen werden, dass die Klägerin auch bei einem hypothetischen unmittelbaren Hinweis an H gleichzeitig mit dem Schreiben an die Beklagte vom Juli 2014 mangels vorheriger Lizenzbereitschaftsanzeige

jedenfalls vor dem 09.12.2014 und somit in nicht zu bean-standender Weise Klage betreffend die Geräte von H hätte erheben können. Denn wie bereits ausgeführt beeinträchtigt die Anhängigkeit einer Klage den Patentbenutzer nicht in der grundsätzlichen Entscheidung, ob er überhaupt bereit ist, eine Lizenz zu nehmen. Daher scheint ausgeschlossen, dass H ohne die Klageerhebung früher als am 09.12.2014 Lizenzbereitschaft angezeigt hätte. I. Ü. hätte sich die bestehende prozessuale Situation auch ergeben, wenn die Klägerin die vor Information von H erhobene Klage zunächst wieder zurückgenommen und – nach einer hinreichenden Überlegungsfrist für H – vor dem 09.12.2014 neu erhoben hätte.[266] bb) Allerdings mag ein Missbrauchseinwand daran anknüpfen können, dass H noch vor dem Schluss der mündli-chen Verhandlung ihre Lizenzbereitschaft erklärt hat, sofern H tatsächlich lizenzbereit sein sollte, was hier zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden kann. Ein solcher während des Prozesses eingetretener Einwand könnte die (weitere) Durch-setzung des Unterlassungsanspruchs möglicherweise hindern, solange die Klägerin auf eine solche Lizenzwilligkeit nicht mit einem den Anforderungen des EuGH entsprechenden Lizenz-vertragsangebot reagiert und solange im Fall eines solchen Lizenzvertragsangebots H sich darauf im Sinne der Rspr. des Gerichtshofs einlässt. Dies kann im Ergebnis aber dahinstehen, weil ein Missbrauchseinwand unter diesem Gesichtspunkt im Streitfall deshalb ausscheidet, weil die Voraussetzungen dafür, die Rechtsdurchsetzung durch die Klägerin als missbräuchlich zu qualifizieren, unter Berücksichtigung des Verhaltens von H gerade nicht vorliegen.

Fehlen eines hinreichenden Gegenangebots[267] (1) H hat entgegen den Anforderungen des EuGH (a.a.O., Rn.  65 f. – Huawei Technologies/ZTE) kein hinreichendes Gegenangebot zu dem Lizenzvertragsangebot der Klägerin gemacht.[268 ... 272] Zwar obliegt es zunächst dem Patentinhaber, ein Lizenzvertragsangebot zu machen, weil er sich gegenüber der Standardisierungsorganisation zur Erteilung von Lizenzen zu FRAND-Bedingungen verpflichtet hat und, wenn weder ein Standardlizenzvertrag noch mit anderen Wettbewerbern bereits geschlossene Lizenzverträge veröffentlicht sind, in einer besseren Lage ist, um zu prüfen, ob sein Angebot die Voraussetzung der Gleichbehandlung wahrt, als der angebli-che Verletzer (EuGH, a.a.O., Rn. 64). Nach der vom Gerichts-hof in Bezug genommenen Begründung des Generalanwalts kann sogar vernünftigerweise erwartet werden, dass er dieses Angebot vorbereitet und formuliert, sobald sein Patent erteilt ist und er die Verpf lichtung zur Erteilung von Lizenzen zu FRAND-Bedingungen übernommen hat. In Anbetracht des Umstands, dass diese Verpflichtung des SEP-Inhabers auch die Pflicht zur Gleichbehandlung der Lizenznehmer umfasst, verfügt zudem allein der SEP-Inhaber über die Informationen, die zur Erfüllung dieser Pflicht erforderlich sind, v. a. wenn er bereits andere Lizenzverträge geschlossen hat (GA Wathelet, Schlussanträge vom 20.11.2014 – C-170/13, juris Rn. 86 – Hua-wei Technologies/ZTE).[273] Indessen sind dies vor allem praktische Erwägungen, aufgrund derer der Patentinhaber bei den Lizenzverhandlun-gen den ersten Schritt zu machen und seine konkreten Vorstel-lungen von einem angemessenen Lizenzvertrag zu offenbaren hat. Freilich versteht sich von selbst, dass dem Patentinhaber

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dann ein Angebot zu FRAND-Bedingungen abverlangt wird (EuGH, a.a.O., Rn. 63). Die Obliegenheit des Benutzers, im Fall der Ablehnung dieses Angebots ein Gegenangebot zu unter-breiten, ist aber vom EuGH nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich daran geknüpft worden, dass ein gerade inhaltlich FRAND-Kriterien entsprechendes Angebot des Patentinhabers vorliegt (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 65 f.). Ein dahingehendes Verständnis ist auch nicht aus dem Zusammenhang heraus geboten. Die Obliegenheit eines Gegenangebots ist nämlich Ausdruck der Anforderungen an seine (ernsthafte) Lizenzwilligkeit, welche die grundlegende Voraussetzung für einen kartellrechtlichen Missbrauchseinwand darstellt.[274] Es ist nicht angezeigt, im Rahmen eines Verletzungs-streits das Angebot des Patentinhabers unter Berücksichti-gung der unterschiedlichen Auffassungen der Parteien auf die Vereinbarkeit mit Inhalt und Grenzen von FRAND-Bedingun-gen zu klären, solange der Verletzer nicht einmal ein konkretes Gegenangebot unterbreitet hat. Vielmehr steht dem Benutzer des standardessentiellen Patents insoweit die Möglichkeit zu, ein Angebot des Patentinhabers (ggf. als seiner Ansicht nach nicht FRAND) zurückzuweisen und ein eigenes Angebot zu unterbreiten. Dementsprechend geht auch der EuGH davon aus, dass es zu Angebot und Gegenangebot auch dann gekom-men sein muss, wenn die Parteien sich über die Einzelheiten der FRAND-Bedingungen nicht einigen können (EuGH, a.a.O., Rn. 68; siehe auch BGHZ 180, 312 Rn. 39 = WuW0332579 – Orange-Book- Standard).[275] (b) Danach hat das Angebot der Klägerin die Obliegen-heit eines Gegenangebots durch H ausgelöst. Die Klägerin hat – wie nach ihrem unbestrittenen Vortrag von H gewünscht – einen Gesamtbetrag für die unbefristete und unbeschränkte Nutzung genannt, dessen Zustandekommen sich im Einzelnen aus Appendix C zum Vertragsangebot ergibt (…). I. Ü. sind die stückbezogenen Lizenzvorstellungen von der Webseite der Klägerin bekannt und werden von H selbst mit yyy US$ benannt (…). Deshalb hat das Angebot der Klägerin – unab-hängig davon, ob die Klägerin eine weltweite Lizenznahme oder eine Gebühr in der genannten Höhe fordern kann – H auch ohne weiteres in die Lage versetzt, ein (ggf. auf Deutsch-land beschränktes) Gegenangebot unter Nennung eines nach Ansicht von H fairen und vernünftigen Preises zu machen. Die Klägerin hat nämlich die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 63 – Huawei Technologies/ZTE). Beim von der Klägerin offengelegten stückbezogenen Berechnungsansatz kann es insbesondere kaum einen Unterschied machen, welche terri-toriale Reichweite die Lizenz hat.[276] Offenbleiben kann insoweit, ob es im Rahmen von FRAND-Bedingungen liegt, wenn H ein auf Deutschland beschränktes Gegenangebot macht, etwa weil H am Bestand und der Durchsetzbarkeit der Schutzrechte in manchen Staa-ten besondere Zweifel hat oder in Kenntnis der Schutzrechte ihre Benutzungshandlungen in manchen Ländern einzustellen beabsichtigt. Sollten aus solchen Gründen auch einzelstaat-liche Lizenzen FRAND-Kriterien genügen, obliegt es H, auf dieser Grundlage ein konkretes Gegenangebot zu machen.[277] Dasselbe gilt, soweit H den von der Klägerin geforderten Lizenzbetrag für missbräuchlich überhöht halten mag. Auch insoweit kann und muss H ein Gegenangebot mit einem nach Ansicht von H den FRAND-Kriterien genügenden abweichen-den Lizenzsatz machen. Unerheblich ist auch, dass die Kläge-

rin konkret (nur) den Weg einer (schon in den angebotenen Vertrag aufgenommen) einseitigen Bestimmung der Lizenz-höhe durch die Klägerin bei deren Nachprüfbarkeit nach § 315 Abs. 3 BGB angeboten hat. Denn H hätte bei Annahme des Angebots schon gewusst, welchen Betrag die Klägerin damit zugleich festsetzen würde und stünde deshalb durch diese Konstruktion wegen der gerichtlichen Nachprüfbarkeit nur besser als bei verbindlicher Betragsfestlegung durch beide Parteien.[278] (c) Allerdings mag grds. zutreffen, dass – wie die Beklagte und H meinen – im Fall der Lizenzwilligkeit ein vor Klageerhebung unterlassenes Lizenzangebot des Patentinha-bers und das Abwarten einer daran anknüpfenden Frist zur Stellungnahme des Benutzers nicht durch den Patentinhaber nachholbar sind. Andernfalls bestünde nämlich möglicher-weise eine kartellrechtlich zu missbilligende Gefahr, dass die begonnene Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs die Lizenzverhandlungen zwischen dem marktbeherrschenden Patentinhaber und dem Benutzer verzerren und zu Lizenzbe-dingungen führen könnte, die letzterer ohne den drohenden Unterlassungstitel nicht akzeptiert hätte (vgl. OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 326, 329; siehe auch Kommission, Entsch. v. 29.04.2014 – C(2014) 2892 final Rn. 280 – Motorola; Presseer-klärung vom 06.05.2013 – IP/13/406). Daher scheint fraglich, ob im Regelfall eine Nachholung des FRAND-Angebots nach Klageerhebung dazu führen kann, dass nach Ausbleiben eines Gegenangebots des Benutzers in der Fortsetzung des Unter-lassungsrechtsstreits kein Missbrauch mehr liegt. Dies bedarf hier aber keiner abschließenden Erörterung. Zumindest unter den vorliegenden Umständen kann die Beklagte aus dem ohne Anhörung von H erzeugten Klagedruck keinen durchgreifen-den Einwand herleiten.[279] Jedenfalls wenn die Klageerhebung gerade nicht zu bean-standen war, weil nämlich eine Lizenzwilligkeit vom Benut-zer nicht erklärt worden war, obwohl ihm dazu Gelegenheit gegeben worden war, ist ein vom Patentinhaber auf ein erst während des Prozesses erklärtes Interesse an einer Lizenz hin unterbreitetes Angebot nicht deshalb unfair, weil der Benutzer inzwischen unter dem Druck einer Unterlassungsklage steht. Dasselbe gilt aber dann, wenn sich – wie hier – eine verfrühte Klageerhebung nicht ausgewirkt hat, weil sich nachträglich herausstellt, dass der Patentinhaber eine Klage jedenfalls noch vor der inzwischen – zögerlich – abgegebenen Erklärung der Lizenzwilligkeit ohnehin hätte erheben dürfen. Vielmehr geht die zögerliche Reaktion auf das Unterlassungsbegehren und die deshalb nicht zu beanstandende Klageerhebung dann mit dem Patentbenutzer heim. Im Rahmen der gebotenen Abwägung ist das Interesse des Klägers an der Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs unter solchen Umständen nicht zurückzustellen.

Unbillige Behinderung i. S. des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB[280] Bei dem hier in Rede stehenden Missbrauch durch die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs und damit der Beeinträchtigung des Marktzutritts trotz Lizenzierungspflicht handelt es sich um einen Fall der unbilligen Behinderung (vgl. BGHZ 180, 312 Rn. 27 = WuW0332579 – Orange-Book-Standard). Ob eine Behinderung unbillig i. S. von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB ist, bestimmt sich aufgrund einer umfassenden Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichti-gung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Ziel-

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setzung des GWB (BGH, WuW/E DE-R 3549 Rn. 29 m.w.N = WuW0470920 – Werbeanzeigen). Auch bei der Prüfung einer Lizenzverweigerung und Unterlassungsklage auf deren Ver-einbarkeit mit Art. 102 AEUV bedarf es einer Abwägung zwi-schen den betroffenen Interessen, namentlich zwischen – auf der einen Seite – dem Interesse des Rechtsinhabers am Schutz des Rechts des geistigen Eigentums und der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit seines Inhabers und – auf der anderen Seite – dem Interesse am Schutz des freien Wettbewerbs, bei dessen Bewertung berücksichtigt werden kann, ob die Verweigerung der Lizenz die Entwicklung des Marktes zum Nachteil der Verbraucher verhindert (vgl. EuGH, Slg 2004, I-5039 Rn. 48 = WuW078374- IMS Health), und insbesondere den Auswirkun-gen einer Unterlassungsanordnung auf die unternehmerische Freiheit der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer (GA Wathelet, Schlussanträge vom 20.11.2014 – C-170/13, juris Rn. 59). Des-halb hängt die Missbräuchlichkeit eines Unterlassungsbe-gehrens insbesondere davon ab, ob der Patentbenutzer sein Verhalten an den anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und den Grundsätzen von Treu und Glauben ausrichtet (vgl. EuGH, GRUR 2015, 764 Rn. 65 ff. = WuW01066262 – Huawei Technologies/ZTE).[281] Wird eine Lizenzwilligkeit vom Benutzer nur derart zögerlich erklärt hat, dass eine Klage zuvor, aber nach frucht-losem Ablauf einer angemessenen Überlegungsfrist erhoben worden ist oder – wie hier – eine bereits vor Ablauf einer Über-legungsfrist erhobene jedenfalls noch vor der späteren Lizen-zwilligkeitserklärung in nicht zu beanstandender Weise zu erheben gewesen wäre, ist das Interesse des Patentbenutzers, Lizenzverhandlungen ohne Klagedruck führen zu können, nicht überwiegend schutzwürdig. Der Patentinhaber verhält sich in einem solchen Fall nicht treuwidrig, wenn er das bereits eingeleitete Klageverfahren auch nach der verzögerten Lizenz-bereitschaftserklärung weiterbetreibt. Insbesondere erscheint vielmehr eine Berufung des Benutzers auf die Unterlassung einer Anhörung zur Lizenzwilligkeit vor Klageerhebung dann treuwidrig, wenn der weitere Verlauf gezeigt hat, dass eine solche mangels kurzfristiger Reaktion des Benutzers auf den Verletzungsvorwurf zu keiner anderen Situation als dem anhängigen Klageverfahren geführt hätte. So liegen die Dinge hier wegen der erst geraume Zeit nach Klageerhebung durch H erklärten Lizenzwilligkeit (s.o.).

Kein konkret beziffertes Gegenangebot[282] (d) Danach war von H zu erwarten, dass sie auf das (…) Lizenzangebot vom 25.03.2015 zumindest ein Gegenangebot abgibt. Dem genügt ihr Angebot vom 02.04.2015 jedenfalls deshalb nicht, weil es keinen Lizenzbetrag nennt. Es handelt sich deshalb schon nicht um ein „konkretes“ Gegenangebot i. S. von Rn. 66 der Entscheidung des EuGH (GRUR 2015, 764) in Sachen Huawei Technologies/ZTE. Eine Bestimmung der Lizenzsumme durch einen Dritten ist kein konkretes Gegenan-gebot, weil sie dem Patentinhaber nicht ermöglicht, entweder wenigstens eine Lizenzzahlungspflicht i. H. der Vorstellungen des Patentbenutzers durch Annahme sofort fällig werden zu lassen oder einen konkreten Gegenvorschlag insbesondere zur Lizenzhöhe als unzureichend abzulehnen (zu dieser Befugnis des Patentinhabers EuGH, a.a.O., Rn. 67 – Huawei Techno-logies/ZTE). I. Ü. gibt ein unbeziffertes Gegenangebot keine Grundlage für eine vom Benutzer zu leistende Sicherheitsleis-tung (vgl. dazu EuGH, a.a.O., Rn. 67 – Huawei Technologies/

ZTE). Eine Bestimmung des Lizenzbetrags durch einen Dritten kann der Patentbenutzer jedenfalls im ersten Zugriff nicht ver-langen; sie kommt vielmehr erst in Betracht, wenn nach dem Gegenangebot keine Einigung erzielt worden und deshalb eine Drittbestimmung einvernehmlich von den Parteien beantragt ist (EuGH, a.a.O., Rn. 68). (...)[283] Auch in diesem Zusammenhang kann damit dahinste-hen, ob ein Gegenangebot auf Deutschland beschränkt werden durfte. Offenbleiben kann ferner, ob ein Gegenangebot unbe-achtlich wäre, wenn es – etwa unter diesem Gesichtspunkt – die FRAND-Kriterien verfehlen sollte (siehe dazu EuGH, a.a.O., Rn. 66).

Fehlende Sicherheitsleistung[284] (2) I. Ü. hat H nach Ablehnung ihres Gegenangebots nicht die ab dann gebotene Sicherheit geleistet.[285] Das Angebot der H vom 02.04.2015 hat die A mit Email vom 19.04.2015 abgelehnt. I. Ü. ergab sich die Ablehnung dieses Angebots für H unzweifelhaft aus dem Verlauf der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 17.06.2015. Daher war H seit April, i. Ü. spätestens seit Juni 2015 zur Sicherheitsleistung verpflichtet, deren Berechnung u. a. die Zahl der vergangenen Benutzungshandlungen umfassen muss, und für die H eine Abrechnung vorlegen können muss (dazu EuGH, a.a.O., Rn. 67). Auch dem hat H nicht genügt.[286] (a) Zweifel an einer ordnungsgemäßen Sicherheit und Abrechnung ergeben sich schon daraus, dass H ihren Berech-nungen lediglich Benutzungen seit dem Jahr 2011 zugrunde-legt und dazu behauptet, sie habe erst zu diesem Zeitpunkt mit der Benutzung begonnen. Denn H hat mit ihrem Streitbeitritt für Handlungen bis zum 31.12.2010 die Einrede der Verjährung erhoben und dazu ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass die mit N zusammenarbeitende V von der Einführung des Mobiltelefons „…“ auf dem deutschen Markt im November 2008 Kenntnis gehabt habe.[287] (b) Letztlich ist aber unabhängig davon eine in der Höhe ausreichende Sicherheitsleistung nicht erkennbar. Maßstab der Sicherheitsleistung muss mindestens das „Gegenange-bot“ eines lizenzwilligen Patentverletzers sein. Dass H auf der Grundlage ihres Angebots vom 02.04.2015 hinreichende Sicherheit geleistet hat, kann schon deshalb nicht festgestellt werden, weil nicht vorhersehbar ist, welche Lizenzhöhe von dem anzurufenden (Schieds-)Gericht bestimmt werden würde. H konnte eine Pflicht zur Sicherheitsleistung betreffend ihr Angebot vom 02.04.2015 nicht durch Heranziehung des dort gerade nicht genannten Lizenzsatzes aus ihrer Email vom 06.03.2015 erfüllen.[288 … 290] (Kein Missbrauch betreffend Geräte anderer Unternehmen)

Kein Verstoß gegen Art. 101 AEUV[291] 3. Ein Einwand gegen die Durchsetzung des Unterlas-sungsanspruchs steht der Beklagten auch nicht mit Blick auf die Standardisierung im Zusammenhang mit dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach Art. 101 Abs. 1 AEUV zu.[292] a) Allerdings hat das LG Mannheim (Beschl. v. 21.11.2014 – 7 O 24/14, 7 O 26/14) bereits in Betracht gezogen, dass die Durchsetzung patentrechtlicher Unterlassungsansprüche unter Missachtung dieser Pflichten gegen Art. 101 AEUV ver-stößt und ihr deshalb ein Einwand entgegengehalten werden

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kann, wenn der Inhaber eines standardessentiellen Patents seinen sich aus einer – gegenüber der Standardisierungs-organisation abgegebenen – Lizenzbereitschaftserklärung ergebenden (Verhandlungs-)Pf lichten nicht ausreichend nachgekommen ist. Dafür hat das LG Mannheim angeführt, dass ein kartellrechtlich verbotenes Verhalten nicht mit Hilfe staatlicher Gerichte durchgesetzt werden darf. Diesem Ansatz liegt die Überlegung zugrunde, dass eine in der Standardisie-rung enthaltene wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung mit Blick auf die damit verbundene Aufgabe alternativer tech-nologischer Entwicklungen vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV nur dann nach Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellt sein könnte, wenn die Etablierung eines Normungsmodells unter anderem beinhaltet, Anwendern Zugang zu der standardisier-ten und patentierten Technologie zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen zu gewährleisten. Inso-weit wären möglicherweise die bei einer Missbrauchsprüfung wegen Marktbeherrschung nach Art. 102 AEUV geltenden, oben dargestellten Anforderungen an die beiderseitige Ver-tragsbereitschaft und die daraus ggf. folgenden Beschränkung der Durchsetzbarkeit eines Unterlassungsanspruchs mutatis mutandis auf einen an Art. 101 Abs. 1, Abs. 3 AEUV mit Blick auf abgegebene FRAND-Selbstverpf lichtungserklärungen anknüpfenden Einwand zu übertragen.[293] b) Indessen könnte ein solcher Ansatz der Beklagten im Streitfall nicht zur Klageabweisung verhelfen, weil weder die Beklagte selbst noch H die dafür jedenfalls zu stellenden Anforderungen an Lizenzwilligkeit bzw. ein konkretes Gegen-angebot, wie sie oben bereits erörtert worden sind, erfüllen. Auch im Zusammenhang mit dem Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV verhält der Patentinhaber sich nicht widersprüchlich, wenn er trotz einer ihm ggf. zurechenbaren Selbstverpflich-tungserklärung, Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu ertei-len, seinen Unterlassungsanspruch gegen einen nicht lizenz-willigen oder auf ein Lizenzierungsangebot nicht sorgfältig reagierenden Patentbenutzer durchsetzt.[294] (Gleiches gilt für einen Einwand aus § 242 BGB)[295 … 348] (Keine Aussetzung, Nebenentscheidungen)

Redaktionelle Hinweise:– Volltext-Urteil online: RS1189830;– vgl. auch LG Düsseldorf, Urt. v. 03.11.2015, 4a O 144/14 - Huawei (2),

abgedruckt in diesem Heft, S. 93, und Urt. v. 03.11.2015, 4a O 93/14.METATAGS: meta_zeitschrift_WUW; meta_doctype_Entscheidung; meta_SiriusID_1189188; meta_RawID_1189830;

»WUW1189828

Umsetzung der Huawei-Kriterien (2)Patentmissbrauch • Zwangslizenz • standardessentielle Patente • Huawei-Kriterien • FRAND-Bedingungen

Art. 102 AEUV; § 139 PatG; § 242 BGB1. Für Übergangsfälle ist es ausreichend, wenn der Patent-

inhaber sich gem. der Orange-Book-Standard-Kriteri-en verhält. Es genügt demnach, wenn der Patentverlet-zer durch die Klage Kenntnis von der Patentverletzung erhält.

2. Es stellt keinen Missbrauch einer marktbeherrschen-den Stellung dar, wenn der Inhaber eines standardes-sentiellen Patents dieses (zunächst) der Muttergesell-

schaft des angeblichen Patentverletzers anbietet, um entsprechende Verhandlungen zu initiieren.

3. Lehnt der SEP-Inhaber dieses Gegenangebot ab, muss der Patentverletzer ab diesem Zeitpunkt über die Be-nutzung des SEPs abrechnen und für die Zahlung der Lizenzgebühren Sicherheit leisten, was auch für Nut-zungen in der Vergangenheit gilt. Die Vorgabe, „ab dem Zeitpunkt, zu dem sein Gegenangebot abgelehnt wur-de“, ist grds. eng zu verstehen. Die Abrechnung mehr als einen Monat nach der Ablehnung eines zweiten Gegenangebots durch die Klägerin ist zumindest im vorliegenden Einzelfall nicht mehr als „ab dem Zeit-punkt“ anzusehen.

(LS von der Redaktion formuliert)LG Düsseldorf, Urteil vom 03.11.2015 – 4a O 144/14, Huawei (2)

AUS DEM SACHVERHALT[1 … 27] Tatbestand[28] Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen angeblicher Verletzung des europäischen Patents EP D (...) in Anspruch, dessen Inhaberin zu sein, die Klägerin behauptet.[29 … 30] Das Klagepatent betrifft ein Verfahren und eine Anordnung zur Optimierung des Wiederauf baus von Ver-bindungen in einem zellulären Funksystem mit Echt- und Nicht- Echtzeitkommunikation. (…)[31 … 39] (Ausführungen zum Patent)[40] Die Beklagten bieten in Deutschland Mobiltelefone mit den Bezeichnungen XX an (im Folgenden insgesamt als ange-griffene Ausführungsformen bezeichnet). Die Beklagte zu 2) hat die angegriffenen Ausführungsformen zumindest auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin im September 2014 angeboten.[41 … 42] Die Klägerin gab am 10.04.2013 gegenüber dem European Telecommunication Standard Institute (im Folgen-den: ETSI) eine Verpflichtungserklärung ab, wonach sie bereit ist, u. a. das Klagepatent zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen zu lizenzieren (im Folgenden: FRAND bzw. FRAND-Bedingungen). (…)[43] Die Klägerin betreibt ein „H Wireless Patent Programm“, das die Lizenzierung eines Patentportfolios im „Wireless“-Bereich vorsieht, wobei eine Lizenz an 47 Patentfamilien mit mehr als 480 Patenten angeboten wird, worin nach Angaben der Klägerin 33 Patentfamilien mit insgesamt mehr als 350 Patenten essentiell für verschiedene Kommunikationsstan-dards sein sollen (GSM, GPRS, UMTS und LTE).[44] Die Klägerin informierte die Muttergesellschaften der Beklagten (I und J) mit Schreiben vom 20.12.2012, 22.08.2013 und 11.11.2013 über ihr „H Wireless Patent Programm“. Am 17.02.2014 kam es zu Gesprächen zwischen Vertretern der Klägerin und der Muttergesellschaften der Beklagten, die letztlich ohne Ergebnis blieben. Am 29.08.2014 machte die Klägerin ein weiteres Lizenzierungsangebot (…), was die J am 01.09.2014 ohne Gegenvorschlag ablehnte. Unter dem 05.12.2014 bot die Klägerin ferner eine Zwischenvereinba-rung an (…). Der Konzern, dem die Beklagten angehören, ist Lizenznehmer verschiedener Lizenzpools der Klägerin, welche sich auf andere Technologien beziehen.[45 … 55] Die Beklagte zu 1) machte der Klägerin mit Schrei-ben vom 13.10.2014 ein Lizenzangebot (…) für das Klagepatent für Deutschland und alle europäischen Staaten, in denen die nationalen Parallelschutzrechte des Klagepatentes in Kraft

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sind (…). Dieses lehnte die Klägerin mit Verweis insbeson-dere auf Lizenzverhandlungen mit der Konzernmutter der Beklagten zu 1) ab (…). Mit Schreiben vom 12.08.2015 machten beide Beklagten der Klägerin ein weiteres Lizenzangebot (…). Dieses wurde von der Klägerin mit Schreiben vom 24.08.2015 (…) abgelehnt. In dem Schriftsatz vom 22.09.2015 unterbreite-ten die Beklagten ein weiteres Lizenzangebot. Dieses lehnte die Klägerin ebenfalls ab. Die Beklagten überreichten in der mündlichen Verhandlung am 29.09.2015 eine (Original-)Bürgschaft über 5.000 Euro (für das hiesige Verfahren und das Parallelverfahren 4a O 93/14) und Unterlagen mit Zahlen zu den Umsätzen mit angegriffenen Ausführungsformen.[56 … 70] (Rechtsansichten und Anträge der Parteien)

AUS DEN GRÜNDENEntscheidungsgründe[71] Die Klage ist zulässig und vollumfänglich begründet.[72 … 73] (A. Zulässigkeit)[74] B. Begründetheit[75] Die Klage ist begründet. (…) Der Klägerin ist es auch nicht verwehrt, ihre Ansprüche gegen die Beklagten durchzusetzen, da weder der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand noch die auf § 242 BGB gestützten Einwände der Beklagten durchgrei-fen (…).[76 … 176] Der von den Beklagten gegen die Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung geltend gemachte kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand greift nicht durch (hierzu unter 1.). Ebenso stehen weder die von den Beklagten behauptete G-Lizenz (hierzu unter 2.) noch die auf § 242 BGB (hierzu unter 3. und 4.) gestützten Einwände der Beklagten den hier geltend gemachten Ansprüchen der Klägerin entgegen.[177 … 178] 1. Die Beklagten können sich nicht mit Erfolg auf den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand berufen. Die Klägerin kann daher auch ihren Unterlassungsanspruch und die Ansprüche auf Rückruf und – gegen die Beklagte zu 1) – auf Vernichtung durchsetzen, ohne gegen Art. 102 AEUV zu verstoßen. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob das Kla-gepatent eine marktbeherrschende Stellung vermittelt. Denn auch wenn man dies annimmt, lässt sich ein Missbrauch dieser Stellung nicht feststellen.

Huawei-Kriterien[179 … 180] a) Der EuGH hat im Urteil vom 16.07.2015, Rs. C-170/13 (GRUR 2015, 764 = WuW01066262, im Folgenden kurz: (das) EuGH-Urteil) Vorgaben dazu gemacht, wann die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs aus einem von einer Standardisierungsorganisation normierten standardes-sentiellen Patents (nachfolgend auch: „SEP“), dessen Inhaber sich gegenüber dieser Organisation zur Erteilung von FRAND-Lizenzen („Fair Reasonable And Non-Disciminatory“, also fair, angemessen und nicht-diskriminierend) an jeden Dritten ver-pflichtet hat, keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i. S. von Art. 102 AEUV darstellt. Hiernach muss der Inhaber eines SEPs den angeblichen Verletzer auf die Patent-verletzung hinweisen, bevor er seinen Unterlassungsanspruch geltend macht (Rn. 61 EuGH-Urteil). Soweit der Verletzer zur Lizenznahme bereit ist, muss der SEP-Inhaber ihm ein konkre-tes schriftliches Angebot auf Lizenzierung des SEPs zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen (FRAND-Bedingungen) unterbreiten (Rn. 63 EuGH-Urteil). Hierauf muss der Verletzer nach Treu und Glauben und ins-

besondere ohne Verzögerungstaktik reagieren (Rn. 65 EuGH-Urteil). Nimmt er das Angebot des SEP-Inhabers nicht an, muss der Verletzer innerhalb kurzer Frist ein Gegenangebot machen, welches ebenfalls FRAND-Vorgaben einhält (Rn. 66 EuGH-Urteil). Lehnt der SEP-Inhaber dieses Gegenangebot ab, muss der Patentverletzer ab diesem Zeitpunkt über die Benutzung des SEPs abrechnen und für die Zahlung der Lizenzgebühren Sicherheit leisten, was auch für Nutzungen in der Vergangenheit gilt (Rn. 67 EuGH-Urteil). Diese kartell-rechtlichen Beschränkungen gelten nicht nur für den Unter-lassungsanspruch, sondern auch für den Rückrufanspruch, da auch auf Rückruf gerichtete Klagen geeignet sind, zu verhin-dern, dass von Wettbewerbern hergestellte Produkte, die dem betreffenden Standard entsprechen, auf den Markt gelangen oder auf dem Markt bleiben (Rn. 73 EuGH-Urteil). Gleiches gilt auch für den Anspruch auf Vernichtung patentverletzender Gegenstände, da er in seiner Wirkung auf den Marktzugang entsprechender Produkte ähnlich wie ein Unterlassungs- oder Rückrufanspruch wirkt. Dagegen ist die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rechnungslegung oder Schadensersatz grds. auch ohne weitere Voraussetzung nicht missbräuchlich i. S. von Art. 102 AEUV (Rn. 74 f. EuGH-Urteil).[181 … 182] b) Die Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung ist der Klägerin hier möglich und stellt keinen Missbrauch i. S. von Art. 102 AEUV dar, da die Beklagten sich bezüglich des Gegenangebots nicht an die vom EuGH formulierten Vorgaben gehalten haben.[183 … 184] aa) Die Klägerin hat ihre Hinweispflichten erfüllt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Gespräche der Klägerin mit Konzerngesellschaften der Beklagten hier als Hinweis auf das Klagepatent ausreichend waren. Jedenfalls durch die Klageschrift sind die Beklagten über das Klagepatent und die geltend gemachte Patentverletzung hinreichend informiert, was im vorliegenden Einzelfall ausreichend war.[185 … 186] (1) Zwar hat der Hinweis auf das durchzuset-zende SEP nach dem EuGH-Urteil vor einer gerichtlichen Geltendmachung zu erfolgen. Es ist zudem fraglich, ob eine Nachholung des versäumten Hinweises im Rahmen des Ver-letzungsverfahrens möglich ist, da durch die Klageerhebung Lizenzverhandlungen nunmehr nur unter dem Druck eines gerichtlichen Verfahrens möglich sind. Dies muss allerdings hier nicht entschieden werden.

Beurteilung nach den Orange-Book-Kriterien[187] Im vorliegenden Fall w urde die K lageschrift am 08.09.2014 eingereicht und damit zeitlich vor dem EuGH-Urteil (vom 16.07.2015) und den Schlussanträgen des Generalanwalts Wathelet in dieser Sache vom 20.11.2014. Zum Zeitpunkt der Klageeinreichung verlangte die höchstrichterliche Rspr. (BGH, GRUR 2009, 694 = WuW0332579 – Orange-Book-Standard) vom Inhaber eines eine marktbeherrschende Stellung ver-mittelnden Patents nicht, dass dieser den Verletzer auf die Patentverletzung hinweist und ein Lizenzangebot macht. Vielmehr oblag es dem Verletzer, ein Lizenzvertragsangebot zu machen. Missbräuchlich handelte der Patentinhaber durch die Durchsetzung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs aus einem solchen Patent nur dann, wenn der Verletzer ihm ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertra-ges gemacht hatte, an das er sich gebunden hielt und das der Patentinhaber nicht ablehnen durfte, ohne gegen das Dis-kriminierungs- oder das Behinderungsverbot zu verstoßen.

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Ferner musste der Verletzer, solange er den Gegenstand des Patents bereits benutzt, diejenigen Verpflichtungen einhalten, die der abzuschließende Lizenzvertrag an die Benutzung des lizenzierten Gegenstandes knüpft (BGH, GRUR 2009, 694 = WuW0332579 – Orange-Book-Standard). Die Orange-Book-Standard-Entscheidung erging zwar zu einem Patent, das für einen de-facto-Standard essentiell war. Diese Maßstäbe sind in der instanzgerichtlichen Rspr. jedoch auch auf solche standardessentiellen Patente angewendet worden, bei denen der Standard im Rahmen eines Standardisierungsprozesses zwischen den beteiligten Unternehmen vereinbart wurde und die Patentinhaber FRAND-Zusagen erteilt hatten (vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 24.04.2012 – 4b O 274/12 – Rn. 227 ff. bei Juris).[188] Zwar war die Orange-Book-Standard-Rspr. des BGH nicht unumstritten und insbesondere die EU-Kommission stellte abweichende Anforderungen an ein kartellrechtlich zulässiges Verhalten des Inhabers eines SEPs. Diese Divergenz führte letztlich über die Vorlageentscheidung des LG Düssel-dorf (GRUR-RR 2013, 196 = WuW0603039 – LTE-Standard) zum EuGH-Urteil. Allerdings ändert dies nichts daran, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Klageeinreichung nicht davon ausgehen musste, dass sie zuvor den Beklagten einen Hinweis auf das Klagepatent erteilen muss. Vor diesem Hintergrund ist für Übergangsfälle wie den hiesigen ausreichend, wenn der Patentverletzer durch die Klage Kenntnis von der Patentver-letzung erhält.

Angebot an die Konzernmuttergesellschaft[189 … 192] bb) Die Klägerin hat den Beklagten vor Klageer-hebung ein Lizenzangebot gemacht.[193] Es stellt keinen Missbrauch einer marktbeherrschen-den Stellung dar, wenn der Inhaber eines standardessenti-ellen Patents dieses (zunächst) der Muttergesellschaft des angeblichen Patentverletzers anbietet, um entsprechende Verhandlungen zu initiieren. Oftmals wird ein Konzern daran interessiert sein, eine Lizenz nicht nur für einzelne (Tochter-) Gesellschaften, sondern für den gesamten Unter-nehmensverbund zu nehmen. Auch wird der Abschluss von Lizenzverträgen in einem Konzern häufig von einer zentralen Stelle koordiniert, sodass die Konzernmutter im Regelfall ein tauglicher Ansprechpartner ist. Es kann auch davon ausge-gangen werden, dass zwischen der Muttergesellschaft und ihren einzelnen Konzerngesellschaften eine ausreichende Kommunikation besteht und der Patentinhaber ggf. an die zuständige Gesellschaft weitergeleitet wird. Dagegen wäre es eine unnötige Förmelei, vom Patentinhaber zu verlangen, ggf. jeder einzelnen Konzerngesellschaft ein Angebot zu machen.[194] Damit reicht es zur Feststellung, dass eine Lizenz angeboten wurde, aus, dass die Klägerin eine Lizenzierung den Muttergesellschaften der Beklagten angeboten hat und die Beklagten von der beabsichtigten Lizenz erfasst worden wären.

Kein FRAND-Angebot der Klägerin[195 … 196] cc) Ob das Angebot der Klägerin, insbesondere das Bestehen auf einer weltweit gültigen Portfoliolizenz, FRAND-Grundsätzen entspricht, kann vorliegend dahingestellt blei-ben. Selbst wenn man unterstellt, das klägerische Angebot sei nicht FRAND-gemäß gewesen, liegt in der Geltendmachung der patentrechtlichen Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf

und Vernichtung hier kein Missbrauch einer marktbeherr-schenden Stellung. Auch bei einem nicht FRAND-gemäßen Angebot der Klägerin mussten die Beklagten, als Nutzer der patentgemäßen Lehre, oder zumindest ihre Muttergesell-schaften hierauf reagieren und insoweit die Vorgaben des EuGH- Urteils beachten. Dies ist aber nicht in hinreichendem Maße erfolgt.

Zwingendes Gegenangebot des Patentverletzers[197 … 200] Dem angeblichen Patentverletzer, der sich auf den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand berufen will, steht es also nicht zu, auf das Lizenzvertragsangebot des Patentinha-bers gar nicht zu reagieren und die (unberechtigte) Nutzung der patentierten Lehre einfach fortzusetzen. Vielmehr geht der EuGH davon aus, dass auch der angebliche Patentverletzer sich um eine Lizenzierung bemühen muss. Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob er auf ein nicht FRAND-gemäßes Lizenzvertragsangebot zwingend mit einem Gegenangebot reagieren muss oder er auch anders reagieren kann, beispiels-weise indem er dem Patentinhaber nachweist, dass dessen Angebot nicht FRAND-Grundsätzen entspricht und konkrete Nachbesserungen des Angebots fordert. Ebenso muss nicht entschieden werden, ob der angebliche Patentverletzer ein FRAND-gemäßes Angebot annehmen muss, weil der Patent-inhaber seine kartellrechtlichen Verpflichtungen durch ein solches Angebot bereits erfüllt hat und damit kein Raum mehr für ein Gegenangebot besteht.

Erforderliche Sicherheitsleistung[201] Denn jedenfalls dann, wenn der angebliche Patentver-letzer sich dazu entscheidet, auf ein Angebot des Patentinha-bers mit einem Gegenangebot zu reagieren, treffen ihn die in Rn. 66 f. des EuGH-Urteils umschriebenen Pflichten. Selbst wenn das Angebot des Patentinhabers FRAND-Grundsätzen nicht entspricht, muss der angebliche Patentverletzer – ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Gegenangebots – über die Benutzung (auch in der Vergangenheit) abrechnen und für die fälligen Lizenzgebühren Sicherheit leisten (Rn. 67 EuGH-Urteil).[202] Mit der vorgezogenen Abrechnung und Sicherheits-leistung hat der EuGH nämlich formale Voraussetzungen dafür benannt, die der Lizenzsuchende erfüllen muss, um die Benutzung eines standardessentiellen Patents vor Abschluss einer Lizenzvereinbarung aufnehmen zu können. Er muss sich bereits vor deren Abschluss in Übereinstimmung mit seinem Lizenzvertragsgegenangebot verhalten und entsprechend diesem Angebot abrechnen und Sicherheit leisten. Bei einem angeblichen Patentverletzer, der nicht einmal bereit ist, trotz bereits im Vorfeld einer Vereinbarung erfolgter Patentbenut-zung auf Grundlage eines selbst formulierten Lizenzvertrags-gegenangebots mit einer diesbezüglichen Abrechnung und Sicherheitsleistung seinerseits in Vorleistung zu treten, kann bei objektiver Betrachtung nicht davon ausgegangen werden, dass er hinreichend lizenzwillig ist und keine Verzögerungs-taktik verfolgt. Dabei handelt es sich um eine formale Mindest-voraussetzung, die unabhängig von der Frage erfüllt sein muss, ob und in welchen Einzelheiten Angebot oder Gegenangebot in der Sache als FRAND-gemäß angesehen werden können.[203 … 204] (2) Diesen Erfordernissen sind die Beklagten nicht nachgekommen. Sie haben zwar Gegenangebote abgegeben, jedoch nicht fristgemäß abgerechnet und Sicherheit geleistet.

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[205 … 206] (aa) Der EuGH verlangt – außer einer Reak-tion gemäß den in dem Bereich anerkannten geschäftlichen Gepf logenheiten und nach Treu und Glauben – bei einem Gegenangebot der Beklagten (Rn. 67 EuGH-Urteil):[207] „[[67]] Darüber hinaus hat der angebliche Verletzer, wenn er das SEP benutzt, bevor ein Lizenzvertrag geschlos-sen wurde, ab dem Zeitpunkt, zu dem sein Gegenangebot abgelehnt wurde, eine angemessene Sicherheit gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepf logenheiten zu leisten, z.  B., indem er eine Bankga-rantie beibringt oder die erforderlichen Beträge hinterlegt. Die Berechnung dieser Sicherheit muss u.  a. die Zahl der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das SEP umfassen, für die der angebliche Verletzer eine Abrechnung vorlegen können muss.“[208] Neben der Verpf lichtung zur Sicherheitsleistung und zur Abrechnung über (vergangene) Benutzungshandlung auf-grund des gemachten Gegenangebots bestimmt der EuGH damit auch, dass dies ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Gegenangebots zu erfolgen hat. Eine relevante Verzögerung bei der Rechnungslegung und Sicherheitsleistung steht der Geltendmachung des kartellrechtlichen Zwangslizenzein-wands daher entgegen. Der EuGH hat den Zeitpunkt der Abrechnung und Sicherheitsleistung klar vorgegeben. Dem-entsprechend fordert der EuGH im Urteil vom 16.07.2015 auch ausdrücklich, dass der Verletzer bei der Reaktion auf das Ange-bot des Patentinhabers „keine Verzögerungstaktik verfolgt“ und dass ein Gegenangebot „innerhalb einer kurzen Frist“ zu unterbreiten ist (Rn. 65/66 EuGH-Urteil). Dem Patentbenutzer obliegt es damit, die Abrechnung und Sicherheitsleistung bei der Erstellung ihres Gegenangebots bereits vorzubereiten. Dies stellt keine unbillige Anforderung an den angeblichen Patentverletzer dar, da stets mit der Ablehnung des Gegenan-gebots gerechnet werden muss. Zudem muss eine Abrechnung auch dann erfolgen, wenn das Gegenangebot von dem Patent-inhaber angenommen wird.[209] Auch der Umstand, dass weitere Gegenangebote gemacht werden, kann den angeblichen Patentverletzer nicht davon befreien, ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des ersten Gegenangebots gegenüber dem Patentinhaber abzurechnen und Sicherheit zu leisten. Zwar steht es dem angeblichen Patentverletzer grds. frei, sein Gegenangebot nach dessen Ablehnung durch den Patentinhaber zu modi-fizieren, um eine Einigung herbeizuführen. Die Pf licht zur Sicherheitsleistung und Abrechnung besteht aber bereits dann, wenn das erste Gegenangebot abgelehnt w urde. Andernfalls könnte der Pa tentbenutzer durch immer neue Angebote die Erfüllung seiner Verpf lichtungen immer wei-ter herauszögern. Dies widerspräche aber dem Leitbild des lizenzwilligen Patentbenutzers, von dem der EuGH in seiner Entscheidung ausgeht.[210] Die zeitliche Vorgabe gilt spätestens ab Erlass des EuGH-Urteils am 16.07.2015 auch für Übergangsfälle, bei denen die Ablehnung des (ersten) Gegenangebots vor dem EuGH-Urteil erfolgt ist. Denn nach der vor Erlass dieses Urteils gültigen Rspr. des BGH (BGH, GRUR 2009, 694 = WuW0332579 – Orange-Book-Standard) galt eine noch früher einsetzende Pflicht zur Rechnungslegung und Sicherheitsleistung. Hier-nach war ein Patentverletzer bei einem eine marktbeherr-schende Stellung vermittelnden Patent verpflichtet, gegenüber dem Patentinhaber (auf eigene Initiative) ein unbedingtes

Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrags zu machen, an das er sich gebunden hält und das der Patentinhaber nicht ablehnen darf, ohne gegen das Diskriminierungs- oder das Behinderungsverbot zu verstoßen. Ferner musste der Patent-benutzer diejenigen Verpflichtungen einhalten, die der abzu-schließende Lizenzvertrag an die Benutzung des lizenzierten Gegenstands knüpft (BGH, GRUR 2009, 694 = WuW0332579 – Orange-Book-Standard (…)).[211] Ob eine Abrechnung in Übergangsfällen noch unmittel-bar nach Erlass des EuGH-Urteils wirksam nachgeholt werden konnte, muss vorliegend nicht entschieden werden, da auch dies nicht zeitgerecht erfolgt ist (hierzu sogleich).[212 … 213] (bb) Die Klägerin hat mit Schreiben vom 20.10.2014 (…) das Gegenangebot der Beklagten zu 1) abgelehnt. Damit musste die Beklagte zu 1) ab diesem Zeitpunkt Sicherheit leisten und über die Nutzung des Klagepatents abrechnen. Dies ist nicht erfolgt, auch nicht unmittelbar nach Erlass des EuGH-Urteils am 16.07.2015.[214] Selbst für das zweite Gegenangebot ist keine fristge-rechte Sicherheitsleistung und Abrechnung erfolgt. Nach der Ablehnung des zweiten Angebots der (beiden) Beklagten vom 12.08.2015 (…) am 24.08.2015 ist ebenfalls nicht innerhalb angemessener Zeit eine Abrechnung und Sicherheitsleistung erfolgt. Vielmehr haben die Beklagten erst in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2015 nach einem weiteren Gegenange-bot eine Sicherheitsleistung und Rechnungslegung vorgelegt.[215] Dies ist verspätet. Die Vorgabe, „ab dem Zeitpunkt, zu dem sein Gegenangebot abgelehnt wurde“, im EuGH-Urteil ist grundsätzlich eng zu verstehen. Die Abrechnung mehr als einen Monat nach der Ablehnung des zweiten Gegenangebots durch die Klägerin ist zumindest im vorliegenden Einzelfall nicht mehr als „ab dem Zeitpunkt“ anzusehen. Dies gilt schon deshalb, weil die Abrechnung und Übergabe der Bürgschaft zur Sicherheitsleistung erst in der mündlichen Verhandlung erfolgten, in der über die Ansprüche der Klägerin wegen der Verletzung des Klagepatents verhandelt wurde. Bis zum Ende der Verhandlung war der Klägerin weder eine ausreichende Prüfung der Richtigkeit der Rechnungslegung noch der Ange-messenheit der Sicherheitsleistung möglich. Es ist auch nicht ersichtlich, warum Abrechnung und Sicherheitsleistung nicht schon früher hätten erfolgen können, insbesondere da ein ers-tes Gegenangebot bereits im Oktober 2014 abgelehnt wurde. Die Übergabe von Rechnungslegung und Sicherheit erscheint daher vielmehr als Ausdruck einer Verzögerungstaktik, welche mit der Erhebung des kartellrechtlichen Zwangslizenzein-wands nicht vereinbar ist.

Keine unzulässige Rechtsausübung nach § 242 BGB[216 … 228] Die Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche stellt auch keinen Fall der unzulässigen Rechtsaus-übung nach § 242 BGB dar. (...)[229 … 230] Nach § 4.1 der ETSI IPR-Policy (…) sollen bei der Standardisierung die beteiligten Unternehmen standardrele-vante Schutzrechte offenlegen. Geschieht dies, wird nach § 6.1 der ETSI-IPR-Policy der Patentinhaber aufgefordert, schrift-lich seine Bereitschaft zu erklären, an dem jeweiligen Patent Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu vergeben. Solange eine solche Erklärung nicht vorliegt, kann die Arbeit am Standard unterbrochen werden (§ 6.3 ETSI-IPR-Policy). Für den Fall, dass keine FR AND-Erklärung abgegeben wird und eine alternative, patentfreie technische Lösung existiert, soll diese

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Alternative zum Gegenstand des Standards gemacht werden (§ 8.1.1 ETSI-IPR-Policy). Damit ist sichergestellt, dass die im Standard aufgenommene Lehre für jedermann zu FRAND-Lizenzbedingungen genutzt werden kann.[231] Allerdings führt ein sog. Patenthinterhalt, also das vor-sätzliche Verschweigen eines Schutzrechts während der Stan-dardisierung mit dem Zwecke, nach Festlegung des Standards überhöhte Lizenzgebühren verlangen zu können, grds. nicht dazu, dass der Patentinhaber den patentrechtlichen Unter-lassungsanspruch aus dem verschwiegenen Patent überhaupt nicht mehr durchsetzen kann. Rechtsfolge ist vielmehr nur eine Lizenzierungspflicht zu FRAND-Bedingungen an diesem Patent (LG Düsseldorf, Urt. v. 24.04.2012, 4b O 274/10, Rn. 252 bei Juris = WuW0489396 – FRAND-Erklärung; differenzierend Korp, Der Patenthinterhalt, Diss., 2014, S. 77, wonach u. U. eine Freilizenz Rechtsfolge eines Patenthinterhalts sein kann; die hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind aber vorliegend nicht hinreichend ersichtlich). (...)[232] Eine Verpf lichtung der Klägerin zur Lizenzierung zu FRAND-Bedingungen besteht aber ohnehin. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dies ohne eine entsprechende FRAND-Erklärung bereits ohne Weiteres aus Art. 102 AEUV folgt (sodass letztlich ein Patenthinterhalt stets folgenlos bleibt). Denn die Verpflichtung, Lizenzen zu FRAND-Bedin-gungen zu vergeben, folgt hier zumindest aus der FRAND-Erklärung der Klägerin, die sie gegenüber ETSI abgegeben hat und die auch das Klagepatent umfasst (…).[233] Mit der Abgabe der FR AND-Erklärung durch die Klägerin ist ein eventueller Verstoß (Patenthinterhalt) der früheren Inhaberin des Klagepatents geheilt. Hätte A eine entsprechende FRAND-Erklärung für das Klagepatent abge-geben, hätte der Aufnahme der patentierten Lehre in den Standard nichts entgegengestanden. Dass in diesem Fall eine andere technische Lösung standardisiert worden wäre, ist nicht ersichtlich. Damit unterscheidet sich nach Abgabe der FRAND-Erklärung die rechtliche Situation nicht von der Lage, die bestände, wenn sich A im Einklang mit der ETSI-IPR-Policy verhalten hätte und vor Festlegung des Standards auf das Kla-gepatent hingewiesen und eine FRAND-Erklärung hierfür abgegeben hätte.[234 … 313] (…)

Redaktionelle Hinweise:– Volltext-Urteil online: RS1189828;– vgl. auch LG Düsseldorf, Urt. v. 03.11.2015, 4a O 93/14 und

LG Mannheim, Urt. v. 27.11.2015, 2 O 106/14 - Huawei (1), abge-druckt in diesem Heft, S. 86.

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Erlösvergleich im FernwärmemarktFernwärme • Vergleichsmarktkonzept • Erlösvergleich • Markt-beherrschung

§§ 18 Abs. 1, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 32b, 49 Abs. 3 GWB1. Im Hinblick auf die Wärmeversorgung ist zwischen der

Entscheidung für ein Heizsystem und dem laufendem Bezug des systementsprechenden Energieträgers zu unterscheiden.

2. Steht der Kunde vor der Neuanschaffung eines Heiz-systems, so stehen die unterschiedlichen Heizsysteme in Wettbewerb zueinander, soweit sie vor Ort verfügbar sind, verwendet werden dürfen und keine Verpflich-tung zum Fernwärmebezug besteht. Hat der Kunde sich hingegen für ein Heizsystem entschieden, so ist für die nachfolgende Wärme- bzw. Brennstoffbeschaffung von separaten Märkten für die Energieträger auszuge-hen. Einen einheitlichen Markt für Fernwärme gibt es nicht.

3. In räumlicher Hinsicht entspricht der relevante Markt für die Belieferung mit Fernwärme dem Gebiet, das durch das jeweilige lokale Fernwärmenetz erschlossen wird.

4. Zur Bildung von Vergleichsgruppen beim Erlösver-gleich im Fernwärmemarkt.

5. Eine Preisüberhöhung in der Vergangenheit kann durch eine Preissenkung in der Zukunft kompensiert werden.

(LS von der Redaktion formuliert)BKartA, Beschluss vom 15.10.2015 – B8-34/13, Fernwärme Leipzig

AUS DEM SACHVERHALT[1] Die Beteiligte Stadtwerke Leipzig GmbH (im Folgenden: SW Leipzig) ist einer der größten kommunalen Energieversorger in Ostdeutschland. (…)[2 … 5] Die Auswertung der von SW Leipzig erhobenen Daten hat ergeben, dass die durchschnittlichen Fernwärmeerlöse pro kWh im betrachteten Dreijahreszeitraum 2010-2012 erheblich über den entsprechenden Erlösen anderer, zum Vergleich her-angezogener Fernwärmeversorgungsgebiete lagen. (…)[6 … 11] SW Leipzig hat der Beschlussabteilung (…) ein ver-bindliches Zusagenangebot unterbreitet, das inhaltlich die folgenden Punkte umfasst:

– SW Leipzig verpflichtet sich zu einer Erlösabsenkung ab dem 01.01.2016 und senkt dazu den Basisarbeitspreis im Rahmen des neuen Preissystems Leipziger wärme.kom-fort auf 6,32 ct/kWh. Das vereinbarte Gesamtvolumen der Preissenkung beträgt insgesamt rund 40,8 Mio. Euro. Bei einer Laufzeit von fünf Jahren entspricht dies einem Sen-kungsvolumen von etwa 8,2 Mio. Euro pro Jahr. Das neue Preissystem führt in Verbindung mit der Zusage und der vereinbarten Laufzeit von 5 Jahren zu einer Absenkung des jährlichen Erlösvolumens von durchschnittlich etwa 6,7 %. Die Absenkung für einzelne Abnahmefälle kann davon abweichen.

– SW Leipzig führt ab dem 01.01.2016 das in der Anlage zur Zusage näher ausgeführte Preissystem mit einer Befris-tung der dargestellten Preisregelung bis zum 31.12.2020 ein (Zusagenpreissystem). Dieses Preissystem wird allen Bestandskunden mit Vertragsbeginn ab dem 01.01.2016 angeboten. Allen Bestandskunden, die dieses Angebot nicht annehmen, wird SW Leipzig bis zum 30.06.2017 noch mindestens zwei weitere Male ein Angebot zum Wechsel unterbreiten.

– SW Leipzig verpflichtet sich zudem, auch allen Neukun-den das in der Anlage zur Zusage aufgeführte Preissystem ab dem 01.01.2016 anzubieten.

– SW Leipzig verzichtet bis zum 31.12.2018 auf die Weiter-gabe der Preiskomponente „Emissionspreis“ und führt diese damit später als zunächst vorgesehen ein.

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– SW Leipzig veröffentlicht die Preisregelung des neuen Preissystems und die sich jährlich daraus ergebenden Preise auf ihrer Internetseite.

– SW Leipzig informiert die Beschlussabteilung jährlich über die Preis- und Mengenentwicklung. (…)

AUS DEN GRÜNDENI. Verpflichtungszusagen[12 … 13] Die angebotenen Verpflichtungszusagen sind geeig-net, die nach vorläufiger Beurteilung bestehenden Bedenken der Beschlussabteilung im Hinblick auf das beanstandete wettbewerbliche Verhalten auszuräumen. Daher erklärt die Beschlussabteilung im Rahmen ihres Ermessens die Verpflich-tungszusagen für bindend und stellt das Verfahren vorbehalt-lich ihrer in § 32b Abs. 2 GWB enthaltenen Möglichkeiten ein. Die Verfahrenseinstellung bedeutet, dass die Beschlussabtei-lung im Bereich Fernwärme auch die Preisgestaltung der SW Leipzig in den Folgejahren 2013 bis 2015 nicht kartellrechtlich aufgreifen wird.

II. Zuständigkeit[14 … 15] (Zuständigkeit nach § 49 Abs. 3 GWB)

III. Materielle Würdigung[16] SW Leipzig hat nach vorläufiger wettbewerblicher Würdigung durch Verlangen missbräuchlich überhöhter Fernwärmepreise gegen § 19 Abs. 1 i. V. mit Abs. 2 Nr. 2 GWB verstoßen. Nach vorläufiger Bewertung weichen die Fernwär-mepreise von SW Leipzig von denjenigen Preisen ab, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden.

1. Normadressateneigenschaft[17] (Marktbeherrschende Stellung des alleinigen Fernwärme-versorgers)

a) Marktabgrenzung[18] Die Beschlussabteilung geht von einem eigenen Markt für die Versorgung von Endverbrauchern mit Fernwärme aus. Die-ser ist räumlich jeweils auf das lokale Netzgebiet beschränkt.[19 ... 20] Im Hinblick auf die Wärmeversorgung ist zwischen der Entscheidung für ein Heizsystem und dem laufendem Bezug des systementsprechenden Energieträgers zu unter-scheiden: Steht der Kunde vor der Neuanschaffung eines Heizsystems, so stehen die unterschiedlichen Heizsysteme in Wettbewerb zueinander, soweit sie vor Ort verfügbar sind, verwendet werden dürfen und keine Verpflichtung zum Fern-wärmebezug besteht. Hat der Kunde sich hingegen für ein Heizsystem – und damit den künftig zu beziehenden Energie-träger – entschieden, so ist für die nachfolgende Wärme- bzw. Brennstoffbeschaffung von separaten Märkten für die Energie-träger auszugehen. (Kein einheitlicher Markt für Fernwärme)[21] (Definition von Fernwärme des BGH)[22] Innerhalb des Fernwärmemarktes geht die Beschlussab-teilung nach bisheriger Praxis von unterschiedlichen Kunden-gruppen aus. Dabei ist zunächst zwischen der Belieferung von Endverbrauchern und der Belieferung von großen Weiterver-teilern, die ihrerseits Kunden auf eigene Rechnung beliefern, zu unterscheiden. (...)[23] In räumlicher Hinsicht entspricht der relevante Markt für die Belieferung mit Fernwärme dem Gebiet, das durch

das jeweilige lokale Fernwärmenetz erschlossen wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.08.2010, VI 2 (Kart) 8/09 (V) = WuW0364540 – Tankstellenbetriebe Thüringen). Da es sich jeweils um in sich geschlossene Leitungssysteme handelt, die untereinander nicht verbunden sind, können die an ein Netz angeschlossenen Kunden grds. nicht ohne weiteres aus ande-ren Netzen beliefert werden.

b) Marktbeherrschung[24] SW Leipzig verfügt nach Auffassung der Beschlussabtei-lung bei der Belieferung von Endkunden mit Fernwärme in Leipzig über eine marktbeherrschende Stellung i. S. des § 18 Abs. 1 GWB.[25] Nach der Rspr. des OLG Düsseldorf handelt es sich bei der Fernwärmeversorgung um einen nahezu idealtypischen Monopolmarkt. (...)[26] Die Beschlussabteilung geht daher grds. von einer markt-beherrschenden Stellung des Fernwärmeversorgers bei der Belieferung von Endkunden mit Fernwärme aus. SW Leipzig ist alleiniger Anbieter von Fernwärmelieferungen im vorlie-gend relevanten Fernwärmeleitungsnetz in Leipzig.

2. Verhalten[27 … 28] Auf Grundlage eines Vergleichs mit den Erlösen in Fernwärmeversorgungsgebieten anderer Unternehmen ergibt sich für die betrachteten Jahre 2010 bis 2012 eine Erlösüberhö-hung von SW Leipzig. (...)

a) Erlösvergleich[29] Um zu überprüfen, ob ein Unternehmen Entgelte for-dert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden, ist sowohl die Vergleichsmarktmethode als auch die Kosten-kontrolle anerkannt (vgl. BGH, Beschl. v. 15.05.2012, KVR 51/11 = WuW0489395 – Wasserpreise Calw). Vorliegend wurde die Vergleichsmarktmethode in Form des Erlösvergleichs heran-gezogen.[30] Die Vorteile des Erlösvergleichs bestehen insbesondere darin, dass die Mengenstruktur unter Berücksichtigung aller Abnahmefälle sowie Mischpreissysteme erfasst werden kann (bestätigt durch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.02.2014, Vl-2 Kart 4/12 (V), Rn. 140 = WuW0651922 – Berliner Wasserbe-triebe (zit. nach juris)). (...)[31] Der Erlösvergleich erfolgte anhand des Durchschnittser-löses für den gesamten Dreijahreszeitraum der Kalenderjahre 2010 bis 2012. (...)[32] In vorangegangenen Preismissbrauchsverfahren der Beschlussabteilung wurde ein abgabenbereinigter Net-todurchschnittserlös als Vergleichsgröße verwendet (Vorge-hen bestätigt durch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.02.2014, Vl-2 Kart 4/12 (V) = WuW0651922 – Berliner Wasserbetriebe). (...) Eine einheitliche Festlegung der Berechnungsgrundlage oder eine Obergrenze wie in der KAV für die Bereiche Strom und Gas gibt es dabei nicht. Dennoch hat die Beschlussabteilung für das vorliegende Verfahren entschieden, die Wärmeerlöse um die gezahlten Gestattungsentgelte zu bereinigen und für den Erlösvergleich den Erlös ohne Gestattungsentgelt zu betrachten.[33] Die so ermittelten Erlöse von SW Leipzig wurden den entsprechenden Erlösen einer Vergleichsgruppe bestehend aus den Versorgungsgebieten von drei Vergleichsunterneh-

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men gegenübergestellt. Gegenüber dem Mittelwert dieser Vergleichsgruppe wies SW Leipzig ein überhöhtes Erlös-niveau auf. Bei der Auswahl der Vergleichsnetzgebiete hat die Beschlussabteilung verschiedene Strukturmerkmale zur Wärmeerzeugung und -verteilung berücksichtigt. Von den drei für den vorläufigen Beurteilungsstand ausgewählten Netzgebieten liegt eines ebenfalls in Ostdeutschland. Das Heranziehen mehrerer Netzgebiete und die Ermittlung von Durchschnittswerten für die einzelnen Merkmale und Kenn-zahlen ermöglichen einen gewissen Ausgleich von struktu-rellen Unterschieden bereits innerhalb der Vergleichsgruppe. Die Fernwärmeversorgung von SW Leipzig konnte nach vorläufiger Beurteilung der Beschlussabteilung mit den drei ausgewählten Fernwärmeversorgungsgebieten gut vergli-chen werden, da sie sowohl im Hinblick auf Größenkriterien wie auch hinsichtlich relevanter Strukturkriterien (wie z. B. Metermengenwert, Dichte des Versorgungsnetzes) diesen insgesamt hinreichend ähnlich ist. (...)

b) Sachliche Rechtfertigung[34] Im Rahmen der Vergleichsmarktmethode sind grds. wegen objektiver struktureller Unterschiede Korrektur-zuschläge oder -abschläge zu berücksichtigen, da die Ver-gleichsmärkte mit dem betroffenen Markt meist strukturell nicht uneingeschränkt vergleichbar sind. (...) Als Korrektur-faktoren kommen alle objektiven Parameter des betroffenen Marktes in Betracht, die auch ein Vergleichsunternehmen zu berücksichtigen hätte, wenn es dort tätig würde. Dabei sind jedoch grds. nur unternehmensunabhängige Mehrkosten, nicht unternehmensindividuelle Parameter zu berücksich-tigen (vgl. Nothdurft, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Kom-mentar, 12. Auf l. 2014, Bd. 1, Rn. 117 f.).[35] SW Leipzig hat im Laufe des Verfahrens verschiedene Rechtfertigungsgründe vorgetragen, die ihrer Ansicht nach Korrekturzuschläge auf den Vergleichserlös erfordern bzw. einen höheren Erlös als denjenigen der herangezogenen Ver-gleichsgruppe rechtfertigen. Die Ausführungen umfassten u.  a. die Kundenstruktur und das Abnahmeverhalten, die Anschlussdichte, Temperaturunterschiede, sog. Sonderkosten Ost und den Primärenergiefaktor.[36] Einige der von SW Leipzig vorgebrachten Rechtferti-gungsgründe für höhere Kosten von SW Leipzig erscheinen der Beschlussabteilung substantiiert, sodass sie einen Teil der Erlösüberhöhung im Vergleich rechtfertigen können. Nach Ansicht von SW Leipzig können sie die gesamte Erlösüberhöhung rechtfertigen. Zur Auf k lärung wären weitere umfangreiche Ermittlungen bei SW Leipzig und den Vergleichsunternehmen sowie der Branche erforderlich. Aufgrund der Bereitschaft von SW Leipzig, ihre Fernwär-mepreise aufgrund von Zusagen gegenüber der Beschluss-abteilung in der Zukunft zu senken, hat die Beschlussab-teilung auf eine vollständige und noch weiteren Aufwand verursachende Ausermittlung des Sachverhalts hinsichtlich der geltend gemachten Rechtfertigungsgründe verzichten können.[37] Im Rahmen der Vergleichslösung hat die Beschluss-abteilung einige von den vorgetragenen Gründen als Zuge-ständnis ohne weiter vertiefende Ermittlungen anerkannt, allerdings meist in erheblich geringerem Umfang als von SW Leipzig vorgetragen. Dafür wurden Zuschläge auf den Ver-gleichserlös vorgenommen. SW Leipzig ist der Auffassung,

dass weit höhere Zuschläge hätten vorgenommen werden müssen.[38] (Berücksichtigung eines Sicherheits- und Erheblichkeits-zuschlags)

3. Beurteilung der Verpflichtungszusagen[39] Die von SW Leipzig angebotene (oben unter Rn. 11 dar-gestellte) Zusage zur Erlösabsenkung führt zeitnah und über einen längeren Zeitraum zu einer finanziellen Entlastung der betroffenen Fernwärmenachfrager, die das Verhalten von SW Leipzig hinsichtlich möglicher überhöhter Fernwärmepreise in der Vergangenheit kompensiert.[40] Im Bereich der Fernwärmeversorgung kann – ebenso wie im Bereich der Wasserversorgung (vgl. BKartA, Beschl. v. 08.05.2012, B8-159/11 – Stadtwerke Mainz und dazugehörige PM v. 09.05.2012; sowie PM v. 07.05.2014 (zur Senkung der Was-serpreise in Berlin)) – nach Auffassung der Beschlussabteilung aus folgenden Gründen eine mögliche Preisüberhöhung in der Vergangenheit auch durch eine Preissenkung in der Zukunft kompensiert werden:Durch die zukünftige Preissenkung entsteht keine (zusätzli-che) Kundenbindung, da die Fernwärmekunden aufgrund der Entscheidung für das Heizsystem Fernwärme ohnehin so gut wie keine Wechselmöglichkeiten haben, Wechsel zumindest mit hohem Aufwand verbunden oder wirtschaftlich nicht sinnvoll sind.Eine Rückerstattung überhöhter Preise in der Vergangenheit ist sehr schwierig umzusetzen, da die direkten Kunden der Fernwärmeversorger meist Vermieter sind, die die Fernwär-mepreise aber an die Mieter weitergereicht haben. Insoweit müssten die Vermieter – trotz bestandskräftiger Heizkosten-abrechnung in der Vergangenheit – die Heizkosten neu berech-nen und die Rückerstattungen durch den Fernwärmeversorger anteilsmäßig weiterreichen, was mit großem Aufwand verbun-den wäre.[41] Die Entgegennahme der Zusagen und der Abschluss des Verfahrens führen schneller zu einem effektiven Ergebnis für die Kunden als eine Fortführung des Verfahrens. Eine ent-sprechende Verfügung hätte aufgrund noch erforderlicher Ermittlungen erst erheblich später angeordnet werden kön-nen. Weitere Verzögerungen durch jahrelange und sehr res-sourcenintensive Rechtsstreitigkeiten hätten zudem in Kauf genommen werden müssen.[42] Darüber hinaus leistet SW Leipzig mit der zukünftigen Veröffentlichung der Preisregelung und den sich daraus jähr-lich ergebenden Preisen auf ihrer Internetseite einen Beitrag zur Erhöhung der Transparenz.

Redaktioneller Hinweis:Der Beschluss ist abrufbar unter http://hbfm.link/169.

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www.wuw-online.deInterview

Sie haben eine Konsultation zur Rolle der na-tionalen Kartellbehörden gestartet. Haben Sie sich selbst auch institutionelle Reformen vor-genommen, etwa mit Blick auf die Kritik, dass die Kommission Anklägerin und Richterin in einer Person ist?

Die Kommission wird die Äußerungen in dieser Konsultation aufmerksam auswerten und natür-lich auch darauf achten, ob aus der Debatte neue Impulse für unsere eigene Arbeit erwachsen.Was den institutionellen Rahmen der Arbeit der Generaldirektion Wettbewerb anbetrifft, möchte ich allerdings darauf verweisen, dass die letzten zwei Jahrzehnte von umfassenden Reform- und Modernisierungsvorhaben geprägt waren. Dabei ist auch die von Ihnen angesprochene Frage immer wieder erörtert worden.Das Wettbewerbsrechtsverfahren auf der Ebene der Europäischen Union ist keineswegs ein Son-derfall. Viele andere Rechtsordnungen, übrigens auch Deutschland, haben sich für ein ähnliches System entschieden, in welchem die Verwaltung unparteiisch ermittelt und bindende Entscheidun-gen erlässt, die schlussendlich vollumfänglicher gerichtlicher Kontrolle unterliegen. In der Phase der Entscheidungsfindung gehen alle wettbe-werbsrechtlichen Entscheidungen der Kommis-sion durch vielschichtige interne Kontrollen.Zweifeln an der Grundrechtsvereinbarkeit dieses Systems haben sowohl der EuGH als auch der EGMR eine klare Absage erteilt.

Ist Datenmacht ein Thema für das Kartellrecht, das vielleicht auch Reformen erfordert?

Die wettbewerbsrechtlichen Fragen, die sich aus der massiven Anhäufung von Daten ergeben, las-sen sich mit dem vorhandenen wettbewerbsrecht-lichen Instrumentarien durchaus bewerten. So können der Besitz und Zugangsmöglichkeiten zu „Big Data“ in die wettbewerbliche Bewertung mit einbezogen werden. Das Thema ist nicht völlig neu. Bislang hat der Besitz und Zugang zu „Big Data“ aber noch in keinem Fall die ausschlaggebende

Rolle eingenommen. Es ist allerdings keine allzu gewagte Prognose, dass das für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann.

Gerade läuft die Sektoruntersuchung E-Com-merce. Gibt es weitere Sektoren, in denen Sie besonderen wettbewerblichen Handlungsbe-darf sehen, weil die Märkte vielleicht nicht so funktionieren wie sie könnten?

Ich bin mir sicher, dass die Untersuchung des elektronischen Handels sehr nützlich sein wird. Die Untersuchung wird uns insbesondere Anhalts-punkte liefern, welche Hindernisse des grenz-überschreitenden Handels auf möglicherweise kartellrechtswidrige Praktiken von Unternehmen zurückgehen.Seit kurzem haben wir auch die Möglichkeit, im Beihilfenbereich Sektoruntersuchungen durchzu-führen. Erstes Beispiel ist die gegenwärtig laufende Untersuchung staatlicher Maßnahmen zur Siche-rung einer ausreichenden Stromversorgung (sog. Kapazitätsmechanismen).Es muss aber nicht immer eine förmliche und für alle Beteiligten ressourcenintensive Sektor-untersuchung sein. Auch unabhängig davon haben unsere Abteilungen vielfältige Möglich-keiten, Entwicklungen und Marktverhalten in den einzelnen Branchen aufmerksam zu verfol-gen.

Ihre Vorgänger Philip Lowe und Alexander Itali-aner waren Ökonomen, Sie sind Jurist. Wie geht es mit dem „more economic approach“ in Ihrer Amtszeit weiter?

Im Wettbewerbsrecht muss jeder Jurist auch ein wenig Ökonom sein. Genauso wie jeder Ökonom ein wenig Jurist sein muss. Nicht zuletzt mit Hilfe des Chefökonomen verfolgen wir die Ent-wicklungen und Erkenntnisse der Wirtschafts-wissenschaften und prüfen, inwiefern sie uns in der Fallpraxis helfen können, Märkte und das Verhalten der Marktteilnehmer besser zu verste-hen. Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie etwa finden schon heute bei der Ausarbeitung von effektiven Zusagen Berücksichtigung.Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch darauf hinweisen, dass – wie alle gesetzliche Bestimmungen – auch das Wettbewerbsrecht für die Adressaten klar verständlich und vorher-sehbar sein muss. Sie müssen ihr Marktverhalten nach den Wettbewerbsregeln ausrichten können, ohne andauernd ökonometrische Berechnungen durchzuführen oder ökonomische Modelle zu erstellen.

Die Fragen stellte Prof. Dr. Rupprecht Podszun, Universi-tät Bayreuth.

Johannes Laitenberger ist seit dem 01.09.2015 Chef der Generaldirektion Wettbewerb in der EU-Kommission. Laitenberger stammt aus Hamburg, wuchs jedoch in Lissabon auf. Er studierte Jura in Bonn und arbeitet seit 1996 – nach kurzem Aus�ug in die freie Wirtschaft – bei der Kommission. Er war Kabinettschef von Kommissionspräsident Barroso und Sprecher der Kommission. Gelegentlich hilft er als Organist in der evangelischen Gemeinde in Brüssel aus.

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Vier Fragen an Johannes Laitenberger

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Wirtschaft brauchtWettbewerb.Wettbewerb braucht Aufsicht.

Wissenschaftlich und praxisorientiert ausgerichtetbereitet WIRTSCHAFT und WETTBEWERB aktuelle Entwicklungen

der Kartellrechtspraxis auf.

Erstrangige Sachkenner in Autorenschaft, Fachbeiratund Herausgeberschaft garantieren seit Jahrzehnten

ein unverändert hohes Niveau der Beiträge undmachen WuW zu einem Diskussionsforum kartell-

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Herausgeber: Justus Haucap • Wolfgang Kirchoff • Andreas Mundt • Rupprecht Podszun • Petra Pohlmann • Dirk Schroeder • Daniel Zimmer

Competition Law and Economics

Seite xxx – xxxxOktober 201565. Jahrgang

11

Aus dem Inhalt

KOMMENTARFrank Maier-RigaudCompetition Dam

STANDPUNKTEWolfgang Müller-LüDas Wohl und W

ABHANDLUNGThorsten KörberAnaloges Kartell

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INTERVIEWVier Fragen an Si

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Herausgeber: Justus Haucap • Wolfgang Kirchoff • Andreas Mundt • Rupprecht Podszun • Petra Pohlmann • Dirk Schroeder • Daniel Zimmer

Competition Law and Economics

Aus dem Inhalt

KOMMENTARFrank Maier-Rigaud / Christopher Milde / Felix ForsterCompetition Damages Actions

STANDPUNKTEWolfgang Müller-Lüdenscheidt / Sabine Leutheuser-Schnarrenberger Das Wohl und Wehe der Kartellrechtsreform

ABHANDLUNGENThorsten Körber Analoges Kartellerecht für digitale Märkte

Ralf Müller-FeldhammerDas Gemeinschaftsunternehmen auf dem Prüfstand

Malte FischerDéjà-Vu „Weichschaumunfall“

Philipp Engelhoven / Dirk Meinhold-HeerleinDas ICC-Toolkit zur kartellrechtlichen Compliance

ENTSCHEIDUNGENBGH: Vereinbarkeit von Vertragsklauseln mit einem Nebenleistungsverbot

OLG Frankfurt: Schadensersatzansprüche

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EuGH: Gerichtliche Zuständigkeit bei Schadensersatzklagen wegen Kartellrechtsverstoßes

EuG: Verweigerung des Zugangs zu Kommissionsakten zwecks Vorbereitung von Schadensersatzklagen

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❚ Risiken und Haftungsfragen bei Kartellrechtsverstößen❚ Grundregeln in der Unternehmenspraxis❚ Rechtskonformer Umgang mit Wettbewerbern❚ Rechtskonformer Umgang mit Lieferanten und Kunden❚ Kartellbehördliche Ermittlungen im Unternehmen

❚ Kartellrechtliche Compliance im Unternehmenerfolgreich implementieren

❚ Überblick zu kartellrechtlichen Schadensersatz-ansprüchen und die Auswirkungen der EU-Kartell-schadensersatzrichtlinien

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