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Facetten der Genomforschung Wissenschaftler entschlüsseln die Baupläne des Lebens

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Facetten der Genomforschung

Wissenschaftler entschlüsseln die Baupläne des Lebens

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Impressum

Facetten der Genomforschung – Wissenschaftler entschlüsseln die Baupläne des Lebens

Verlag Geschäftsstellen der Forschungsnetzwerke NGFN, FUGATO, PLANT 2030 und GenoMik, vertreten durchdie PLANT 2030 Geschäftsstelle, c/o MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie, Am Mühlenberg 1, 14476Potsdam Redaktion Dr. Matthias Arlt, Dr. Christiane Hilgardt (PLANT 2030 Geschäft sstelle Potsdam); Dr. Silke Argo, Dr. Anke Kugelstadt, Dr. Johanna Lampert (NGFN Geschäfts stelle Heidelberg); Dr. Petra Ehrenreich, Dr. Dietrich Trzeciok (GenoMik-Transfer Geschäftsstelle Göttingen); Dr. Gabriele Gerlach (Medizi-nische Infektionsgenomik, Geschäftsstelle Würzburg); Dr. Gerog Ostermann (FUGATO), Dr. Monika Offen berger (München) Texte Dr. Monika Offenberger, München Bild nachweis P. Sonnabend (S. 7 o.) F. Berthold (S. 8), R. Spitz (S. 9), Fotolia (S. 7, 10, 11, 13, 17, 27, 37), IKMB (S. 12), S. Geisler (S. 14), Deut-sche Mausklinik/Helmholtz-Zentrum München (S. 15), Länderinstitut für Bienenkunde Hohen Neuendorf (S.18), M. Lattorf (S. 19 o.), M. Popp (S. 19 u.), S. Sachse, G. Galizia, R. Menzel (S. 20), M. Welling (2x S. 21),H.-M. Seyfert/FBN (S. 22 o.), R. M. Brunner/FBN (S. 22 u.), D. Höltig (S. 23, 24 o.), S. Härtle (S. 24, 25 u.),Lohmann Tierzucht Cuxhaven (S. 25 o.), W. Schmidt/KWS (S. 28 o.), T. Presterl/KWS (S. 28 u.), KWS (S. 29,31 o., 32), P. Schweizer (S. 30, 31 u.), R. Snowdon (S. 33, 34), T. Drepper (S. 38), A. Heck (S. 39, 40 o.), R.Garcia (S. 40 u.), A. Mehlitz (S. 42), R. Borriss (S. 44), K. Dietel/ABiTEP GmbH (S. 45 o.), S. Chowdhury (2xS. 45 u., 46) Druck GS Druck und Medien GmbH, Gerlachstraße 10, 14480 Potsdam Layout Dirk BiermannGrafik Design, Potsdam

ISBN 978-3-00-027026-0

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3Facetten der Genomforschung

Facetten der Genomforschung Wissenschaftler entschlüsseln die Baupläne des Lebens

Das Genom – Gesamt-heit aller Gene eines Lebewesens und Bau-plan des Lebens: DieAbfolge der Basen derErbsubstanz und das gezielte Zusammenspielvor allem der Gene undihrer Produkte steuern

die Entwicklung und die biologischen Prozesse voneinfachen Mikroorganismen bis hin zu komplexenLebewesen wie Pflanze, Tier und Mensch.

Mittlerweile sind die Genomsequenzen vonFruchtfliege und Hauskatze, Reis und Kartoffel, Kolibakterium und Salmonelle, Schimpanse undMensch und zahlreichen weiteren Lebewesen ent-schlüsselt. Aktuelles Ziel der Genomforschung istes, die Funktionen mög-lichst aller Gene einesOrganismus aufzuklären.Die Forscher haben er-kannt, wie ungeheuerkomplex das molekula-re Zusammenspiel istund welche sogenann-ten Signalwege beson-ders wichtig für die Lebewesen sind. Längst habensie damit begonnen, genau zu untersuchen, welcheMoleküle Schlüsselpositionen innehaben, so dassderen Schädigung oder Fehlen ein Desaster für dieZelle oder den ganzen Organismus bedeutet.

Bei diesen Untersuchungen, die häufig hun-derte oder gar tausende paralleler Versuchsansät-ze erfordern, sind Hochdurchsatzverfahren unum-gänglich. Über die letzten Jahre hinweg wurde eine Palette von sogenannten „Omics“-Technolo-gien ent wickelt, mit deren Hilfe die Wissenschaft-

ler in automatisierten Hochdurchsatzverfahren neben der DNA weitere zelluläre Bestandteile (z.B.RNA, Proteine, Lipide) und die in der Zelle statt -findenden Prozesse – wie den Stoffwechsel – untersuchen. Ungeheure Datenmengen werden sogesammelt und computergestützt mit Hilfe vonbioinfor ma tischen Methoden analysiert. Damit hatsich die Ge nom forschung zu einer fächerübergrei-fenden Disziplin entwickelt, die stark durch die enge Zusammenarbeit von Wissenschaftlern ausunterschiedlichen Fachbereichen profitiert.

Die gesellschaftliche Relevanz der Ge nom -forschung zeigt sich zunehmend in ihrem nahezuun er schöpflichen Anwendungspotential für die Medizin, die Biotechnologie und die Landwirtschaft.So bietet die Sequenz- und Funktionsanalysemenschlicher Genome die Möglichkeit, die Rollegenetischer Faktoren für Krankheiten und deren individuellen Verlauf besser zu verstehen. Auf dieser Erkenntnis werden Diagnose- und Therapie -mög lichkeiten von Volkskrankheiten verbessert.Auf der Kenntnis molekularer Funktionen gründetaber auch die Bekämpfung pflanzlicher und tieri-scher Schädlinge. DieGenomforschung leistetdarüber hinaus einenentscheidenden Beitragbei der Entwicklung in-novativer biotechnolo-gischer Verfahren undProdukte für Industrieund Landwirtschaft.

In den vergangenen Jahren wurden mit der finanziellen Unterstützung des Bundesministeriumsfür Bildung und Forschung (BMBF) vier bundeswei-te, sehr erfolgreiche Genomforschungsnetzwerkevon hoher internationaler Sichtbarkeit in den Berei-

Die Produktion chemischer Wirkstoffe mit Hilfe von Bakterien, die Optimierung der Inhaltsstoffevon Rapspflanzen, das Züchten von Bienen, die resistenter gegen Krankheitserreger sind, oder dieEntwicklung differenzierterer Diagnosen bei Krebserkrankungen – die Herausforderungen für dieForscher, die sich diesen Aufgaben stellen und die Organismen, mit denen sie arbeiten, sind höchstunterschiedlich. Gemeinsam ist ihren Projekten, dass sie am Genom der verschiedenen Lebewesenforschen.

Menschvollständig sequenziert 2001ca. 23.000 Gene3.270 Mb

Arabidopsisvollständig sequenziert 2000ca. 25.500 Gene135 Mb

Haemophilus influenzaeHaemophilus influenzaevollständig sequenziert 1995ca. 1.700 Gene1,8 Mb

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FUGATO – Funktionelle Genomanalyse im tierischen OrganismusNutztiere sind ein wichtiger Teil unserer Ernährung. Um die Produktion und Haltung der Tiere nach haltig zu gestalten, nutzendie Wissenschaftler von FUGATO die moderne funktionelle Genomforschung. Auch im Bereich der Tierzucht stellt diese heutedie Basis der angewandten Forschung dar. Wichtige Ziele der Forscher sind die Tiergesundheit und die Produktqualität. Sie dienen also sowohl dem Tier schutz als auch dem Verbraucher. Diese Ziele effizient in Zuchtprogrammen umzusetzen ist einegroße Herausforderung, die mit Hilfe der funktionellen Genomforschung erreicht werden kann.

GABI – Genomanalyse im biologischen System Pflanze (heute PLANT 2030)Die Photosyntheseleistung der Pflanzen ist Grundlage der Landwirtschaft und somit der Ernährung von Mensch und Tier. Dieangewandte Genomforschung an der Lebensbasis Pflanze war das Kern stück von GABI und ist auch heute wichtiger Teil derProjekte von PLANT 2030. Die Genomfor schung stellt die Grundlagen für zahlreiche Anwendungen dar – von „smart breeding“bis hin zur Pflanzen bio tech nologie. Wissenschaftler und Pflanzenzüchter arbeiten innerhalb der Projekte eng zusammen, umNutzpflanzen in Zukunft besser zu machen. Pflanzen, die resistent gegen Schädlinge sind oder weniger Dünger benötigen, stehen der Landwirtschaft so besonders schnell zur Verfügung.

GENOMIK – Genomforschung an MikroorganismenFür das menschliche Auge unsichtbar, haben Bakterien dennoch große Relevanz in allen Bereichen des Lebens – ob als Erregervon Infektionskrankheiten oder bei der Herstellung industrieller Produkte. Die Forscher in den GENOMIK-Projekten arbeiten anwissenschaftlich, klinisch und wirtschaftlich relevanten Mikroorganismen. Auch hier ist die enge Kooperation mit Gesundheits -einrichtungen und Wirt schafts unter nehmen wichtig, damit die Forschungsergebnisse erfolgreich zur Anwendungsreife geführtwerden.

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chen Mensch, Tier, Pflanze und Mikroorganismusaufgebaut. Durch die intensive Zusammenarbeit herausragender Wissenschaftler der entsprechen-den Forschungsgebiete wird so ein wichtiger Bei-trag geleistet, um die Herausforderungen unsererZeit anzunehmen und kompetente Lösungen zu erarbeiten. Die rasante Weiterentwicklung und Ver-feinerung modernster Technologien lässt die Wissen -schaftler immer wieder völlig neue Forschungsfel-der erschließen. So können die stetig fallenden Kos-ten für hochmoderne Sequenzierungen einepersonalisierte Medizin in greifbare Nähe rücken.In der Folge können Therapien auf die Bedürfnissevon Patientengruppen zugeschnitten und so demEinzelnen gerechter werden. Die technologische

Weiterentwicklung wird in nicht allzu ferner ZukunftAnalysen auf der Ebene einzelner Zellen erlauben.

Für ihren langen Atem und ihre Investitionenwerden die beteiligten Wissenschaftler und unse-re gesamte Gesellschaft langfristig belohnt, wennzunehmend Ergebnisse der Genomforschung in dieAnwendung kommen. Mit den vorliegenden „Facetten der Genomforschung“ wollen wir Ihneneinen Einblick in die eindrucksvollen Forschungs-arbeiten der an den vier bundesweiten Netzwerkenbeteiligten Wissenschaftler geben und zeigen, warum es sich für Deutschland lohnt, auch zukünf-tig in die Genomforschung zu investieren.

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen.

Facetten der Genomforschung

NGFN – Nationales GenomforschungsnetzKrebs, Herz-Kreislauf- und neurologische Erkrankungen sind weit verbreitet. Die Forscher des Nationales Genomforschungs -netzes erkunden die genetischen Ursachen dieser Leiden mit den modernsten Methoden in hohem Durchsatz – und leisten so einen entscheidenden Beitrag zu ihrer Bekämpfung. Die enge Zusammenarbeit der Wissenschaftler verschiedenster Fach -rich tun gen aus Akademie, Klinik und Industrie führt zur schnellstmöglichen Umsetzung der Erkennt nisse in spezifischereDiagnostik, bessere Medikamente und gezieltere Therapien.

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Inhalt

3 Einführung

Medizinische Genomforschung6 Wie Genomforschung die Medizin verbessern kann

Auf der Suche nach Krankheitsursachen und Heilungsmöglichkeiten8 Gensignaturen verbessern die individuelle Diagnose von Krebs-Erkrankungen10 Krankheiten an der Wurzel packen – durch genomweite Assoziationsstudien13 Parkinson verstehen: Defekte Mitochondrien führen zur Degeneration von Nervenzellen

Tiergenomforschung16 Tiergesundheit und Lebensmittelqualität

Funktionelle Genomforschung für Qualitätsoptimierung, Nachhaltigkeit und Tierschutz 18 Gesunde Bienen und Hummeln sichern eine vielfältige und ertragreiche Kulturlandschaft21 Fleisch, Milch, Butter: Gesunde Kühe liefern hochwertige Lebensmittel 23 Genomforschung erleichtert die Zucht krankheitsresistenter Schweine und Hühner

Pflanzengenomforschung26 Forschen an der Lebensbasis Pflanze

Von der Genomforschung zur modernen Pflanzenzüchtung28 Pflanzen als Energiequelle der Zukunft30 Resistente Pflanzen für eine gesunde Ernährung33 Nahrhaft und gesund: Lebens- und Futtermittel aus Raps

Mikrobielle Genomforschung36 Klein, aber oho!

Mikroorganismen – nützliche Helfer und todbringende Feinde des Menschen38 Mikroorganismen für die industrielle Produktion von Biomolekülen41 Infektionskrankheiten: Wie Bakterien ihre Wirtszellen überlisten44 Ein Bodenbakterium düngt Pflanzen und wehrt Schädlinge ab

47 Kontaktadressen

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Wie Genomforschung die Medizin verbessern kannAuf der Suche nach Krankheitsursachen und Heilungsmöglichkeiten

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Ob man kleine oder große Ohren hat, bestim-men maßgeblich die Gene. Aber auch bei derEntstehung von Krankheiten spielt un sere Erb-substanz eine große Rolle. Diesen Zusammen-hängen widmen sich die Forscherinnen und For-scher von NGFN-Plus und NGFN-Transfer im Pro-gramm der Medizinischen Ge nom forschung mitdem Ziel, unser Verständnis der Krankheiten zuverbessern und Betroffenen noch besser helfenzu können.Wenn ein Paar mit blauen Augen ein gemeinsamesKind hat, so sorgen die Gene dafür, dass es in 99%der Fälle ebenfalls blaue Augen hat. Zwar wird dieAugenfarbe nicht – wie lange vermutet – von einem einzelnen, sondern von mehreren Genen bestimmt, doch ist deren Zahl überschaubar. DieKörpergröße hingegen wird von mehr als 180 ver-schiedenen Genen bedingt.

Noch komplizierter wird es, wenn es um dengenetischen Einfluss auf die Entstehung häufig vor-kommender Krankheiten geht. Im Nationalen Genomforschungsnetz (NGFN), das seit 2001 vomBundesministerium für Bildung und Forschung(BMBF) gefördert wird, widmen sich hunderte Wissenschaftler der Aufklärung der genetischen Hin-tergründe von Volkskrankheiten. NGFN-Forscher haben bereits Krankheitsgene für viele Erkrankun-gen iden ti fiziert, beispielsweise für Herzversagen,

Allergien, chronischeDarm ent zün dun gen, Alkoholsucht, Epi lepsie,Parkinson oder Alz - heimer. Die Entwicklungvon DNA-Chips, mit denen krankheitsrelevan-te Genveränderungenbei Nieren-, Prostata-und Brustkrebs, Leu -kämie (Blutkrebs) oderangeborenen Herzkrank-heiten erkannt werdenkönnen, fand weltweite Beachtung.

Möglich sind diese Erfolge durch die enge Kooperation von Experten unterschiedlicher Fach-richtungen wie Biologie, Medizin, Chemie und In for ma tik, die in Kliniken, Universitäten, Groß -forschungseinrichtungen und Industrieunternehmenin ganz Deutschland zusammenarbeiten. Hat mandie genetischen Ursachen für eine Krankheit ent -deckt, so bewirkt dies ein tieferes Krankheitsver-ständnis und kann so zu einer verbesserten Krank-heitsbehandlung zum Vorteil des Patienten führen.Einige Beispiele aus der viel fältigen Palette von Pro-jekten im NGFN werden Ihnen auf den folgendenSeiten als Facetten der Genomforschung näher vorgestellt.

Die Forscher des NGFN ergründen die genetischen Ursachen weitverbreiteter Krankheitenund leisten damit einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung dieser Leiden. Die engeZu sam men arbeit der Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen aus Akademie undIndustrie führt zur schnellstmöglichen Umsetzung der Erkenntnisse in gezieltere Diagnoseund bessere Medikamente und Thera pien.

Facetten der Genomforschung

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Gensignaturen verbessern die individuelle Diagnose von Krebs-Erkrankungen

Jeder Patient ist anders: Bei manchen entwickelt sich ein bösartiger Tumor sehr langsam und bedarf keiner Behandlung, bei anderen wächst er schnell und erfordert rasche und heftige Ein-griffe. Ziel der medizinischen Genomforschung ist es, solche individuellen Krankheitsverläufe mög-lichst frühzeitig richtig einzuschätzen und für jeden Betroffen die bestmögliche Therapie vorzu-schlagen. Als besonders aussagekräftig erweisen sich hierbei Gensignaturen, die eine Vielzahl voncharakteristischen Markern kombinieren und so die spezifische Ausprägung einer komplexen Erkrankung präziser abbilden als wenige Einzelmarker.

Wenn Kinder über Bauchweh klagen, müde und lust-los sind, dann steckt dahinter meist nur ein harmlo-ser Infekt. In seltenen Fällen sind diese unspe -zifischen Symptome aber Begleiterscheinungen ei-nes Neuroblastoms, ausgelöst durch bösartigeVeränderungen der peripheren Ner venzellen. „Kind-liche Tumoren sind ja insgesamt glücklicherweisesehr selten“, weiß Privatdozent Dr. Matthias Fischervom Universitätsklinikum Köln: „Am Neuroblastomerkranken in Deutschland pro Jahr etwa 130 Kinder.Trotzdem gehört dieser Tumor zu den häufigstenKrebserkrankungen im frühen Kindesalter“.

Die tückischen Wucherungen kön-nen in den Nebennieren und entlangder Wirbelsäule in Bauch, Brust undBecken oder im Halsbereich entste-hen. Nicht nur im Hinblick auf die befallenen Organe unterscheiden sichdie Betroffenen. „Eine Besonderheitbeim Neuroblastom ist die Vielfalt derklinischen Verläufe“, erklärt der Köl-ner Kinder-Onkologe: „Es gibt sehr aggressive Tumoren mit Meta stasen,

die trotz intensiver Behandlung zum Tod führen.Andererseits werden viele Kinder ohne jede Behandlung gesund, weil sich der Tumor spontanzurückbildet. Daher ist es enorm wichtig, dass wirden Krankheitsverlauf schon zum Zeitpunkt der Diagnose abschätzen können.“

Derzeit geschieht dies in der deutschen Neu-roblastomstudie anhand verschiedener Kriterien.Entscheidend ist dabei, wie alt die Kinder zum Zeit-punkt der Diagnose sind (je jünger, desto besser),und wie weit die Erkrankung fortgeschritten ist(mit oder ohne Metastasen). Als zusätzlicher Mar-ker dient ein bekanntes Onkogen namens MYCN,das bei etwa 20 Prozent der erkrankten Kinder inerhöhter Kopienzahl im Tumorgewebe nachweis-bar ist (Bild rechts). Anhand dieser Parameter wird

das Risiko der Betroffenen, infolge der Erkrankungzu sterben, als gering, mittel oder hoch eingestuft.„Diese Einteilung erweist sich bei den meisten Patienten als richtig“, so Fischer, „trotzdem gibtes immer wieder einige Kinder mit vermeintlichniedrigem Risiko, die dann doch am Tumor ster-ben. Umgekehrt haben wir Patienten in der mitt-leren und Hochrisiko-Gruppe, die vermutlich viel intensiver therapiert werden als nötig und oft erhebliche Nebenwirkungen wie etwa bleibendeHörschäden erleiden, die bei einer angemessenenBehandlung vermeidbar wären“.

Im Rahmen eines NGFN-Projekts in dem vonProf. Angelika Eggert (Universitätsklinikum Essen)koordinierten Verbund ENGINE (kurz für „Erweiter-tes Neuroblastom Genom Interaktions-NEtzwerk“)entwickelte die Gruppe um Matthias Fischer einenGentest, der den Krankheitsverlauf der Betroffe-nen zuverlässiger vorhersagen kann als die her-kömmliche Methode. Zusammen mit Dr. Frank Wes-termann vom Deutschen Krebsforschungszentrum(DKFZ) in Heidelberg wählte Fischer insgesamt10.163 Gene des menschlichen Genoms aus, diezuvor von verschiedenen Studien in Beziehungzum Neuroblastom gebracht worden waren, undließ daraus einen Gen-Chip herstellen. Damit un-tersuchten die Wissenschaftler das Tumorgewebevon 77 Kindern mit extrem unterschiedlichenKrankheitsverläufen: Die eine Hälfte der kleinenPatienten hatte den Krebs mindestens drei Jahrelang ohne jegliche Behandlung überlebt, währenddie andere Hälfte trotz massiver Chemotherapieverstorben war. Mit Hilfe eines speziellen Algo-rithmus namens „Prediction Analysis for Microar-ray“, kurz PAM, spürte Verbundpartner Dr. BenediktBrors vom DKFZ 144 Gene auf, deren Ausprägungcharakteristisch für den Verlauf der Krankheit ist.Diese komplexe Gensignatur bildet nun die Basis

Die Blutergüsse an den

Augen dieses jungen

Neuroblastom-Patienten

(„Brillenhämatom“) sind

auf Knochenmetastasen

zurückzuführen.

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des PAM-Klassifikators, der die Neuroblastom-Patienten in solche mit günstiger oder ungünstigerPrognose einteilt.

Der PAM-Klassifikator schneidet deutlich bes-ser ab als die bisherige Methode, so Fischer: „Wirhaben das Tumorgewebe von 440 weiteren Patienten klassifiziert, die nach gängiger Praxis indie niedrige, mittlere bzw. Hochrisikogruppe ein-geteilt worden waren. In allen drei Risikogruppenkonnte der Klassifikator voraussagen, bei welchenPatienten die Krankheit günstig bzw. ungünstigverlaufen sollte. Insbesondere in der mittleren undNiedrigrisiko-Gruppe zeigte er korrekterweise fürall jene Patienten eine ungünstige Prognose auf,die tatsächlich später gestorben sind. Das heißt,wo die alte Methode fehlerhaft ist, lässt sich mitHilfe der Gensignatur ein großer Teil dieser Feh-ler ausmerzen“. Damit die betroffenen Kinder mög-lichst schnell von der Neuerung profitieren, bemüht sich der Arzt in einem weiteren NGFN-geförderten Projekt um die Einführung des PAM-Klassi fikators in den Klinik-Alltag.

Gensignaturen könnten künftig auch die Erken-nung und Beurteilung weiterer Krebsarten ver-bessern. Beispiel Prostatakarzinom: Allein inDeutschland erkranken daran jedes Jahr 45.000Männer; für drei Prozent von ihnen ist der Krebstödlich. Bis zu einer eindeutigen Diagnose ist es oftein weiter Weg. „Es gibt derzeit keinen guten Mar-ker – weder klinisch, noch histologisch oder mole-kular – für eine spezifische Früherkennung von Pros-tatakrebs. Und auch keinen, der uns sagt, welche Patienten mit sicher festgestelltem Karzinom über-haupt eine Therapie brauchen und welche nicht.Ein hoher PSA-Wert im Blut ist dazu ungeeignet“,betont Prof. Dr. Holger Sültmann vom DKFZ.

Weil PSA, das �Prostataspezifische Antigen�, ausschließlich in der Vorsteherdrüse gebildet wird,messen Urologen routinemäßig dessen Konzentra-tion im Blut ihrer Patienten. Erhöhte PSA-Werte kön-nen allerdings auch von einer gutartigen Wuche-rung herrühren. Daher lässt sich ein Verdacht aufKrebs derzeit nur durch eine Gewebebiopsie abklä-ren – doch auch das ist problematisch, so Sültmann:„Der Tumor kann überall im Organ verteilt sein undman weiß a priori nicht, wo er liegt. Also stanzt derArzt oftmals ein Dutzend Gewebeproben aus – undkann bei einem negativen Befund trotzdem nichtsicher sein, dass er nichts übersehen hat. Hier setztunsere Arbeit an: Wir wollen im normalen Gewe-be der Biopsieproben molekulare Marker finden,die anzeigen, dass irgendwo im Organ schon einemaligne Veränderung vorliegt“.

Bereits 2005 suchte Holger Sült-mann im Rahmen eines NGFN-Projektsmit Hilfe der Mikro-Array-Technik nachgenetischen Unterschieden in augen-scheinlich normalen Prostataprobenvon gesunden Männern sowie von Patienten, bei denen anderswo in derDrüse ein Karzinom nachgewiesenworden war. Ergebnis: Von den insge-samt 37.500 auf dem Chip präsentier-ten Genen waren 29 im Gewebekrebskranker Männer signifikant stärker oder schwä-cher aktiv als in Proben von gesunden Kontroll-Per-sonen. Fünf dieser Gene erwiesen sich in einer auf-wändigen Validierungsstudie als besonders aus -sagekräftig. Sültmann: „Mit Hilfe dieser fünf Geneerkennen wir nun schon im normalen Biopsiege-webe molekulare Veränderungen, die auf einen Tumor hinweisen. Damit können wir mit höhererGenauigkeit vorhersagen, ob die betroffenen Män-ner ein niedriges, mittleres oder hohes Risiko fürdas Vorhandensein eines Prostatatumors haben.“

Als Koordinator des NGFN-Verbunds PROCEED(kurz für „Prostata Karzinom Verbesserte Frühe Dia -gnose“) sucht Sültmann zusammen mit Prof. Hart-wig Huland und Prof. Thorsten Schlomm vom Univer-sitären Cancer Center Hamburg (UCCH) nach weite-ren molekularen Markern, die eine frühzeitigeDiagnose und verlässliche Prognosen erlauben. In 14Teilprojekten nimmt ein interdisziplinäres Team ausÄrzten, Molekularbiologen und Bioinformatikern amUCCH und an der Martini-Klinik Hamburg sowie amDKFZ und am European Molecular Biology Laborato-ry (EMBL) in Heidelberg alle Ebenen der geneti-schen Regulation unter die Lupe – von der DNA überdie RNA bis zu den Proteinen.

Die Wissenschaftler wollen nicht nur wissen,welche Gene im Gewebe von Krebs-Patienten unterschiedlich stark exprimiert werden, sondernauch, wie es dazu kommt: Welchen Einfluss habenunterschiedliche Kopienzahlen ein und desselbenGens? Sind bestimmte Genregionen stummgeschal-tet? Falls ja, geschieht dies durch chemische Modi-fizierung der DNA oder aber mittels so genannter Micro-RNAs? Mittlerweile wurde das Forschungs-vorhaben durch zusätzliche BMBF-Fördermittel erweitert und ist nun Teil des deutschen Beitragszum International Cancer Genome Consortium (ICGC).Holger Sültmann ist überzeugt, dass die Erkennt-nisse früher oder später Eingang in die medizini-sche Anwendung finden werden: „Wir haben schongezeigt, dass es prinzipiell möglich ist, über genom-weite Analysen robuste dia gnostische Marker fürdas Prostatakarzinom zu identifizieren“.

Mikroskopische Aufnahme

eines Neuroblastoms mit

angefärbtem Chromosom 2.

Das Onkogen MYCN (pink)

existiert in etwa hundert

mal mehr Kopien als ein

einfaches Kontroll-Gen

(je zwei türkis leuchtende

Pünktchen pro Zelle).

Unter einer Gensignatur ver-

steht man die Aktivität der

Gene in einem Gewebe zu

einem gegebenen Zeitpunkt.

Die verschiedenen Farben

zeigen an, wie aktiv die

Gene sind.

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Krankheiten an der Wurzel packen – durch genomweite Assoziationsstudien

Herzinfarkt, Diabetes, Übergewicht: Die Ursa-chen zahlreicher „Volkskrankheiten“ sind viel-schichtig und bei jedem Betroffenen verschie-den. Für ihre Entstehung sind neben Alter, Ernährung und Lebensweise auch vererbbare An lagen maßgeblich. Welchen Genen eineSchlüsselrolle zukommt, untersuchen NGFN-For-scher mit Hilfe genomweiter Assoziationsstudi-en, kurz GWAS. Die Screening-Methode decktüberraschende Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Krankheiten auf und weistden Weg zur Entwicklung neuartiger Therapien.

Jedes Jahr sterben in Europa etwa 750.000 Men-schen an einem Herzinfarkt, meist bedingt durcheine Atherosklerose der Herzkranzgefäße. Entspre-chend groß ist das gesellschaftliche Interesse, dieUrsachen dieses komplexen Krankheitsbildes zuverstehen, um wirkungsvolle Vorsorgemaßnah-men und Therapien zu entwickeln. „Bereits in den1990er Jahren hielt man Assoziationsstudien beinicht miteinander verwandten Herzinfarkt-Patien-ten und gesunden Personen für den Schlüssel zumErfolg“, erinnert sich Prof. Jeanette Erdmann von derUniversität zu Lübeck: „Doch die Suche nach Kan-didatengenen erwies sich als wenig fruchtbar. Inmehr als 5.000 Studien ließ sich nur eine sehr geringe Anzahl von Genvarianten identifizieren,die mit Herzinfarkt assoziiert waren“.

Nach diesem Rückschlag versuchten die For-scher ihr Glück bei genetisch verwandten Men-

schen, konkret: bei Patienten und deren ebenfallserkrankten Geschwistern. „Dabei konnten wir zwareinige relevante Genomregionen identifizieren,doch sie waren relativ groß und enthielten stetsmehrere Gene. Letztlich kamen wir auch damitnicht weiter“, so die Biologin. Erst die Technik derDNA-Chip-Arrays brachte den Durchbruch. Sie ermöglicht es, vollautomatisch bis zu zwei Millio-nen Stellen im Genom eines einzigen Menschengleichzeitig auf sogenannte SNPs zu untersuchen.SNPs („single nucleotide polymorphisms“) sindPosi tionen im Genom, bei denen nur eine ein zel-ne DNA-Base variiert. Vergleicht man mittels solcherDNA-Chips eine große Anzahl von Herzinfarkt-Patienten und Gesunden, so lassen sich anhand ab weichender SNPs jene Gen-Varianten aufspüren,die mit der Erkrankung einhergehen.

Eine der ersten großen GWAS an Herzinfarkt-Pa-tienten begann 2006 im Rahmen eines EU-Pro-jekts. Erdmanns Team war von Anfang an dabei. Esfolgten zwei deutsche GWAS durch das interdiszip-linäre Forschungs-Konsortium Atherogenomics�, dasim Rahmen des NGFN von der Lübecker Professorinund ihrem Kollegen Prof. Heribert Schunkert, inzwi-schen am Deutschen Herzzentrum München, gelei-tet wird. An den Studien waren jeweils 1.000 bis2.000 Patienten und ein Vielfaches an gesundenVergleichspersonen beteiligt. Sie brachten insge-samt neun Genvarianten ans Licht, die das Risikoeiner Atherosklerose signifikant erhöhen.

„Trotzdem lassen sich mit GWAS dieser Grö-ßenordnung nur die tief hängenden Früchte abgreifen. Denn sie stoßen uns nur auf die häufig -sten Gen-Varianten mit relativ schwachem Effektauf die Erkrankung“, räumt Erdmann ein. DieseEinsicht führte zu einer erfreulichen Entwicklung,so die Genomforscherin: „Vormals konkurrierendeWissenschaftler schließen sich jetzt zusammen und

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tauschen sich sehr intensiv über ihre Forschungaus“. Die neue Kooperationsbereitschaft machteden Weg frei zu einer weltweit beispiellosen Meta-GWAS: Im Rahmen des �CARDIoGRAM-Kon-sortiums, welches von Erdmann und Schunkert koordiniert wird, untersuchten 150 Forscher ins-gesamt 22.000 Herzinfarkt-Patienten und 65.000gesunde Personen aus Deutschland, England,Frankreich, Belgien, Italien, Island, Kanada undden USA. Beim Vergleich der jeweils 2 MillionenSNPs aller Test- und Kontrollpersonen entdecktedas internationale Team 13 neue Risikogene fürkoronare Herzerkrankung und Herzinfarkt und bestätigte 10 der 12 bereits bekannten Gene.

GWAS durchforsten das Erbgut �krankheitsneu-tral� auf Abweichungen. Dadurch offenbaren sichzuvor unbekannte Zusammenhänge, die das Ver-ständnis der Krankheitsentstehung entscheidenderweitern. Dies zeigte sich auch bei den Studienan Herzinfarkt-Patienten: Nur ein kleiner Teil dergefundenen Gen-Varianten lässt sich Parameternwie erhöhtem Blutdruck oder LDL-Cholesterin zuordnen, deren Rolle bei der Ausprägung vonHerz- und Gefäßkrankheiten belegt ist. Andere Va-rianten beeinflussen Entzündungs- oder Zellwachs-tumsvorgänge, deren Einflüsse auf das Krankheits-geschehen nahe liegen. „Doch beim überwiegen-den Teil der Risikogene haben wir bislang keine

genaue Vorstellung von ihremBezug zu Athero sklerose und

Herzinfarkt. Wirwissen noch

viel zu

wenig über die Biologiedieser Krankheitsbilder.Durch GWAS können wirenorm viel dazulernen“,sagt Jeanette Erdmann.

Auch Prof. StefanSchreiber vom Univer -sitätsklinikum Schles-wig-Holstein in Kiel, Koordinator des NGFN-Verbunds „Umweltbe-dingte Erkrankungen“,misst der genomweitenSc reen ing-Methode eine große Bedeutungbei. Der international renommierte Experte fürchronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED)wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sagt übersein Spezialgebiet: „CED sind das Paradebeispieldafür, wie weit man mit GWAS in der Aufklärungpolygener Erkrankungen kommen kann“. Auf derSuche nach krankheitsassoziierten Genen begannauch Schreibers Team mit Studien an erkranktenVerwandten: „Bei Geschwister-Studien an MorbusCrohn-Patienten haben wir erstmals ein konkre-tes Gen für eine polygene Krankheit entdeckt –das war eine erhebliche Sensation. Mit den ers-ten GWAS im Rahmen der NGFN-Förderung konn-ten wir das bestätigen. Schon damals zeigte sich,dass dieses Gen NOD2 nichts mit einer Autoimmu-nitätserkrankung zu tun hat, für die man MorbusCrohn immer gehalten hatte“.

Stattdessen ist NOD2 an der Auseinanderset-zung mit Mikroorganismen beteiligt. Stefan Schrei-ber: „Es erkennt bakterielle Zellwandbestandtei-

le, die in die Epithelzellen der Darmwandeingedrungen sind, und beeinflusst dieErneuerung der Darmzellen. Somitsteuert NOD2, wenn man so will,

direkt den Verteidigungsprozess derDarmzellen gegen Bakterien des Darm-inhalts und möglicherweise auch auf anderen Köperoberflächen“. Die bei

Morbus-Crohn-Patienten typischen NOD2-Varianten kommen ihrer Schutzfunktion nichtmehr nach und führen zu einer fehlgeleite-ten Bakterienabwehr, die sich in einer sekundären chronischen Entzündung äußert. Etliche GWAS später, darunter eineinnerhalb des NGFN durchgeführte Meta -analyse an mehr als 20.000 Patienten, sindjetzt mehr als 71 Krankheitsgene bekannt.„Viele sind an der angeborenen Abwehrvon Bakterien beteiligt, andere an der Pro-teinsynthese, am Zytokinsystem oder an

Der Herzinfarkt ist eine der

Haupttodesursachen in den

Industrienationen.

11Facetten der Genomforschung

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unspezifischen Entzündungsmechanismen“, erläu-tert der Kieler Internist und betont: „Durch dieseErkenntnisse hat sich unser ursprüngliches Krank-heitsverständnis total verschoben“.

Eine weitere Überraschung erlebten die Ärztedurch den Vergleich von Patientengruppen mit unterschiedlichen Entzündungserkrankungen:„NOD2 und andere Gene spielen bei mehrerenKrankheitsbildern eine Rolle. In den betroffenenGenen zeigen bis zu 30 oder 40 Prozent Überlap-pung von Morbus Crohn zu Colitis ulcerosa oderaber zu Asthma, Schuppenflechte und sogar zu Le-pra. Interessanterweise finden wir auch Überlap-pungen zwischen Darm-Entzündungen und Rheu-ma oder zwischen Zahnfleisch-Entzündungen undder Koronaren Herzerkrankung. Da stellt sich dieFrage: Ist es in Zukunft noch sinnvoll, Krankheitennach dem offensichtlich befallenen Organ einzutei-

len, wenn vermutlich – weniger offensichtlich –noch andere Organe befallen sind?“, so Schreiber.Die Antwort liefert er gleich nach: „Wir dürfen unsere Patienten nicht mehr in �Haut� und �Darm�sortieren, sondern müssen sie anhand der geneti-schen Krankheitsursachen neu gruppieren. Dazusollten sich Genomforscher und Kliniker zusam-mentun und krankheitsübergreifende Therapie-konzepte ent wickeln.“

Dass GWAS die medizinische Forschung revolu-tioniert haben, darin sind sich Vertreter ver-schiedener Fachbereiche einig. Doch auch dieseTechnik stößt an ihre Grenzen. Sie deckt nur häufi-ge Varianten der krankmachenden Gene auf, iden-tifiziert aber nicht die ursächlichen Mutationen. Ofthaben aber gerade die seltenen Defekte besondersgravierende Auswirkungen und liefern wichtige Ein-blicke in Krankheitsmechanismen. Um diese rarenMutationen aufzuspüren, verfolgen die NGFN-For-scher eine neue Strategie: Statt viele Genome nachSNPs zu durchsuchen, wollen sie künftig einzelneGenome von schwer betroffenen Patienten kom-plett sequenzieren und analysieren. Jeanette Erd-mann beschränkt sich auf das Exom, also jene Bereiche des Genoms, die als Vorlage für Proteinedienen. Für die Tests haben sich Mitglieder mehre-rer deutscher Großfamilien mit ungewöhnlich vie-len Herzinfarkt-Fällen zur Verfügung gestellt. DieKardiologin ist bereits fündig geworden: „Wir haben zwei Mutationen entdeckt, die jeweils nurin einer bestimmten Familie vorkommen und dorteine hohe Herzinfarkt-Rate verursachen“. Und Ste-fan Schreiber betont: „Die individuelle genetischeRisikoarchitektur eines Patienten hilft uns bereitsjetzt, schwierige The rapieentscheidungen zu treffen.“

Die Gene NOD2 (grün) und

CARD8 (rot) erschweren das

Eindringen von pathogenen

Bakterien in die Epithelzellen

des Darms und dämmen

dadurch Entzündungen ein.

Mutationen in diesen Genen

bewirken bei Morbus Crohn

Patienten eine Einschränkung

dieser Schutzfunktion.

Facetten der Genomforschung12

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Parkinson verstehen: Defekte Mitochondrien führen zurDegeneration von Nervenzellen

In Deutschland leiden derzeit etwa 350.000 Menschen an Parkinson. Noch immer sind die Ur sa chen dieser neurologischen Krankheit weitgehend unklar. Auf der Suche nach genetischenRisi ko faktoren des unheilbaren Leidens sind Wissenschaftler des NGFN auf die Mitochondrienaufmerksam geworden: Diese Organellen versorgen unseren Körper mit Energie und sinddaher von immenser Bedeutung für das Überleben von Nervenzellen.

Leistungsfähige Kraftwerke bergen stets das Risi-ko eines schweren Unfalls – ein Problem, das Indus-triegesellschaften ebenso betrifft wie Lebewesen.Dabei drängt sich der Vergleich zwischen indus-triellen Kraftwerken und Mitochondrien, den Kraft-werken der Zelle, auf: In beiden Systemen kannes zu mehr oder weniger schwerwiegenden Stör-fällen kommen. Die Folgen reichen von Liefer-Eng-pässen über die Anhäufung toxischer Abfallpro-dukte bis hin zu einem Unfall mit tödlichem Aus-gang. Denn im Inneren der Mitochondrien läufteine Form der Knallgasreaktion ab – und damit einer der gefährlichsten biochemischen Prozesseüberhaupt: Über die so genannte Atmungskettewerden einzelne Wasserstoff-Moleküle mit Sauer-stoff zu Wasser oxidiert. Dabei wird portionsweiseEnergie freigesetzt (und sofort in einem Biomole-

kül namens ATP gespeichert), die alle Lebenspro-zesse in der Zelle antreibt.

„Wenn die Reaktionsführung in der Atmungs-kette nicht absolut perfekt kontrolliert ist, danngehen die beteiligten Elektronen nicht wie vorge-sehen auf den molekularen Sauerstoff über, son-dern bilden freie Sauerstoff-Radikale, die wichtigeZellbestandteile schädigen können“, erklärt Prof.Philipp Kahle vom Hertie-Institut für Klinische Hirn-forschung der Universität Tübingen. Das hat weitreichende Auswirkungen, so der Neurobiologe:„Falls die DNA der Mitochondrien zu Schadenkommt, werden fehlerhafte Proteine produziertund in die Atmungskette eingebaut; dadurch ver-schlechtert sich die Reaktionsführung weiter undes entweichen noch mehr Sauerstoff-Radikale, dieimmer neue Schäden anrichten“.

Facetten der Genomforschung

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Dagegen setzt sich die Zel-le zur Wehr. Wie sie das macht,konnte Philipp Kahle zusammenmit seinem Kollegen Dr. Wolf-dieter Springer in einer im Rah-men des NGFN geförderten Stu-die aufklären: Zwei bekannter-maßen mit Parkinson assoziierteProteine namens PINK1 und Par-kin steuern gemeinsam die Ent-sorgung geschädigter Mitochon-drien. Dazu markieren sie diehavarierten Zellkraftwerke fürden Abbau, indem sie einen anihrer Oberfläche befindlichenKanal mit einem weiteren, sehrkleinen Protein namens Ubiqui-tin verknüpfen. Diese Markie-rung wertet die Zelle als Alarm-signal: Derart gekennzeichneteMitochondrien werden einerzelleigenen Verdauungs-Maschi-nerie zugeführt und dort mit Hil-fe von sauren Hydrolasen zer-setzt. „Dieser Prozess ist extremaufwändig“, betont Kahle, „daher deuten wir das als ver-zweifelten Akt der Zelle, sichgegen lebensbedrohliche Schä-den zu wehren.“

Tatsächlich hat es für den Organismus fataleFolgen, wenn die Entsorgung schadhafter Mito-chondrien gestört ist: „Wer eine Mutation entwe-der im PINK1-Gen oder im Parkin-Gen hat, erkranktmit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeitan Parkinson“, weiß Philipp Kahle. Die TübingerForscher haben ihre spektakulären Entdeckungenan kultivierten menschlichen Krebszellen gemacht.In einem aktuellen Projekt des NGFN-VerbundesParkinson’sche Erkrankungen, der von Prof. Tho-mas Gasser (Universität Tübingen) koordiniert wird,wollen sie nun herausfinden, ob sich die gleichenmolekularen Prozesse auch in den Nervenzellenvon Parkinson-Patienten abspielen. Dabei hilft ih-nen Verbundpartnerin Prof. Christine Klein von derUniversität zu Lübeck: Die Neurowissenschaftlerinhat die genetischen Daten von mehr als hunderteuropäischen Parkinson-Patienten mit mutiertemPINK1- oder Parkin-Gen zusammengetragen. Nunist sie dabei, Gewebe aus Hautbiopsien dieser Patienten so „umzuprogrammieren“, dass sich daraus nervenähnliche Zellen züchten lassen – andenen Philipp Kahle seine Untersuchungen fort-setzen kann.

Prof. Thomas Meitinger vom Helmholtz Zen-trum München interessiert sich ebenfalls für dieAuswirkungen mitochondrialer Defekte, konkret:für den Komplex I der Atmungskette. „Das ist eine riesige Maschine mit mehr als 60 beteiligtenProteinen. Und zu allen gibt’s entsprechende Gene, die mutiert sein können“, sagt der Wissen-schaftler. Dass bereits die Mutation eines einzigenGens schwerste körperliche Behinderungen zurFolge haben kann, muss ein jugendlicher Patientam eigenen Leib erfahren: Seine Gehirnfunktio-nen sind eingeschränkt und er leidet an einer extremen Herz- und Muskelschwäche sowie anparkinsonähnlichen Bewegungsstörungen.

Die vielfältigen Symptome des jungen Manneswerden allesamt von einer seltenen Variante desKomplex-I-Gens ACAD9 verursacht. Das konnte Mei-tingers Team zusammen mit Dr. Holger Prokisch vonder TU München im Rahmen einer NGFN-Studie zei-gen. Um den seltenen Gendefekt zu identifizieren,hatten sich die bayerischen Forscher ausschließlichauf das Genom des Betroffenen konzentriert undgezielt dessen proteinkodierende Bereiche – das sogenannte Exom – sequenziert. Auch bei einem anderen Jugendlichen, der an einer seltenen Fehl-bildung des Gehirns leidet, konnte Meitingers Teammittels Exomsequenzierung ein einziges mutiertesGen als Ursache ausmachen. Ob diese Mutation auchbei der Entstehung von Parkinson eine Rolle spielt?Die Forscher wollten es wissen – und fanden untertausend Betroffenen tatsächlich einen mit diesemspeziellen Gendefekt.

„Wir haben uns dieses Gen angesehen und fest-gestellt: Es kodiert ebenfalls für eines von den vie-len hundert Mitochondrien-Proteinen, deren Funkti-on bisher niemand kennt“, sagt Meitinger und kommtzu dem Schluss: „Auch komplexe Erkrankungen wer-den manchmal durch eine einzige Genmutation aus-gelöst; selbst Parkinson oder Herzinfarkt kann bei einigen Patienten monogen sein oder zumindest aufein ganz starkes Hauptgen zurückgehen.“ Deshalbwünscht sich der Wissenschaftler, dass künftig auchseltene Krankheiten intensiver als bisher erforschtwerden: „Das sind wir schon den Betroffenen schul-dig. Außerdem stoßen wir dabei auf neue, uner -wartete Pathomechanismen, die uns auch bei derAufklärung von Volkskrankheiten wie Parkinson, Herz-infarkt oder Diabetes weiterhelfen“. Die Forschungzu den seltenen mitochondrialen Erkrankungen wirdseit 2009 vom BMBF in einem Deutschen Netzwerkfür mitochondriale Erkrankungen (mitoNET) unter-stützt, das von Prof. Meitinger und Prof. Thomas Klopstock von der Neurologischen Klinik der LMUMünchen koordiniert wird.

Unter künstlich erzeugten

Stressbedingungen werden

sämtliche Mitochondrien (rot)

im Inneren von Zellen (blau:

der Zellkern) so stark geschä-

digt, dass sie entsorgt werden

müssen. Die hier gezeigten

Tumorzellen sind dazu jedoch

nicht in der Lage, weil sie ein

am Abbau beteiligtes Protein

namens Parkin nicht produzie-

ren. In den beiden Zellen am

rechten Bildrand (weiß um -

randet) konnte dieses Manko

durch von außen zugegebene

Parkin-Gene ausgeglichen

werden. 24 Stunden nach die-

sem Gentransfer sind dort alle

Mitochondrien mit Hilfe von

Parkin (grün) abgebaut, das

nun gleichmäßig in den Zellen

verteilt ist.

Facetten der Genomforschung

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Neben der Exomsequenzierungstellen mutante Mäuse ein wichtigesHilfsmittel der Genomforschung dar.Das Helmholtz Zentrum München istweltweit führend im Erstellen undAnalysieren von Mauslinien. DieseMauslinien weisen einen genau definierten Gendefekt auf und eignensich somit als Modellorganismen fürmonogene Erbkrankheiten. Erstelltwerden sie vor allem unter der Lei-tung von Prof. Wolfgang Wurst, derauch das International Knock-outMouse Consortium (IKMC), eine Wei-terentwicklung des NGFN-geförderten DeutschenGenfallenkonsortiums, initiiert hat. Darauf basie-rend verfügt das Helmholtz Zentrum München nunüber rund 1.400 genetisch bestens definierte Maus-linien. Im Rahmen des NGFN-Verbundes Parkin-son’sche Erkrankungen wurden im Labor von Wolfgang Wurst Mausmodelle mit Mutationen bei-spielsweise in den Genen PINK1, DJ-1 und LRRK2 erstellt, die auch in Parkinson Patienten identifiziertwurden. Mit Hilfe dieser Linien lassen sich die zunächst in Zellkultur gefundenen Ergebnisse bezüglich der Beeinträchtigung der mitochondria-len Funktion nun auch in lebenden Mäusen über-prüfen. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Mitochon-drien in Mäusen mit dem Gendefekt offenbar anders umgehen als in isolierten Zellen.

In der Deutschen Mausklinik, einer weltweitführenden Einrichtung, die mit Mitteln des NGFNaufgebaut wurde und unterhalten wird, werdendiese wertvollen Linien nach einem festgeschrie-benen Diagnoseplan systematisch mittels nicht-invasiver medizinischer Verfahren untersucht. Durchden umfassenden und krankheitsübergreifendenGesundheits- und Verhaltenscheck – Biologen spre-chen von systemischer Phänotypisierung – offen-baren sich überraschende Zusammenhänge zwi-schen unterschiedlichsten Körperfunktionen, dieoft alle von einem einzigen defekten Gen verur-sacht werden.

„Neben den oben genannten Mausmodellenhaben wir mehrere weitere mit Gendefekten, diebeim Menschen schlimmste Krankheitssymptomewie Herzmuskelschwäche, extreme Stressanfällig-keit, aber auch bestimmte neurologische Störun-gen und Gangunsicherheiten ähnlich wie bei Par-kinson hervorrufen“, sagt der Direktor der Deut-schen Mausklinik, Prof. Martin Hrabe de Angelis. AlsBeispiel nennt er die Gene TIM23 und TOM40: Sindsie mutiert, dann ist der Transport wichtiger Bio-moleküle ins Innere der Mitochondrien gestört –

und folglich auch die Funktionsfähigkeit der Zell-kraftwerke. Diese Mausmodelle werden von derArbeitsgruppe um Thomas Klopstock untersucht.In seiner Doppelfunktion als klinischer Neurologean der Universität München und als Leiter des neu-rologischen Screens der Deutschen Mausklinik hater einen besonderen Blick dafür, was sich aus denMäusen für den Menschen lernen lässt.

Viele der Parkinson-Mausmodelle habenSchwierigkeiten, Gerüche zu unterscheiden. Inte-ressanterweise haben dieses auch Parkinson-Pa-tienten mit denselben Gendefekten – und zwarschon einige Jahre bevor ihre Bewegungsstörungenauftreten. Demnach sind die Mauslinien ideale Modelle, um den Krankheitsverlauf der sich überJahrzehnte entwickelnden Parkinson-Erkrankungschon in einem sehr frühen Stadium zu untersu-chen. „Die hieraus gewonnen Erkenntnisse bildendie Grundlage für neue Diagnoseverfahren und –wenn die Krankheit entsprechend früher erkanntwerden kann – für effektive neue präventive The-rapien“ sagt Wolfgang Wurst, der diesem Ansatz imRahmen des NGFN-Verbundes Parkinson’sche Erkrankung in enger Zusammenarbeit mit der Deut-schen Mausklinik weiter nachgehen wird. Gleich-zeitig stimmt er deren Direktor Hrabe de Angeliszu, welcher mahnt: „Wir dürfen uns bei derParkinsonforschung nicht nur aufHauptschauplätze wie die dopami-nergen Neuronen und die Sub -s tantia nigra konzentrieren,sondern müssen auch in einem ganzheitlichen Ansatz klären, welcheweiteren Systeme im Kör-per davon beeinträchtigtwerden. Nur so werdenwir diese schrecklicheKrankheit besser verste-hen und irgendwann viel-leicht sogar heilen können“.

Mäuse mit bekannten Gen -

defekten werden in der

Deutschen Mausklinik am

Helmholtz Zentrum München

systematisch bestimmten

Verhaltenstests unterzogen.

Mit dem „Rotarod“ wird

untersucht, ob Gleichge -

wichts- oder Bewegungs -

störungen vorliegen.

15Facetten der Genomforschung

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Tiergesundheit und Lebensmittelqualität Funktionelle Genomforschung für Qualitätsoptimierung,Nachhaltigkeit und Tierschutz

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Seit Beginn der Tierzuchtgeschichte vor mehr als

10.000 Jahren versucht der Mensch, Nutztiere an

ihm dienliche Zwecke anzupassen. Dabei sind die

Erwartungen an den züchterischen Fortschritt in

heutiger Zeit nicht geringer als damals. Allein der

nun ermöglichte Einblick in das Genom eröffnet

völlig neue Perspektiven der züchterischen Selek-

tion bei landwirtschaftlichen Nutztieren. Aber wie

kommt es zur Ausprägung eines relevanten Leis-

tungs- oder Gesundheitsmerkmals bei Tierarten

wie z.B. Rind, Schwein oder Geflügel? Und wel-

che Mechanismen haben einen Einfluss hierauf?

Durch welche Faktoren werden Erkrankungen her-

vorgerufen oder eingedämmt? Und welchen Ein-

fluss haben Umweltfaktoren oder Wechselwirkun-

gen der Gene untereinander? Diese und viele wei-

tere Fragen versuchen Forscher und Zuchtpraktiker

im Rahmen des Förderschwerpunkts FUGATO zu

entschlüsseln.

Die Entwicklung eines „eierlegenden Wollmilch-

schweins“ ist dabei nicht Ziel der Forschungsarbeiten,

auch wenn sich so manche Zielsetzung der Tierzucht in

einem Spannungsfeld der Interessen bewegt. So stellt

der Wunsch nach einer verantwortungsvollen Steige-

rung von z.B. Milch- und Fleischleistungsmerkmalen

unter gleichzeitiger Wahrung einer tiergerechten Hal-

tung Züchter und Produzenten vor große Herausforde-

rungen. Aber auch der Wunsch nach einer kostengüns-

tigen und dennoch qualitativ hochwertigen wie nach-

haltigen Produktion von Nahrungsmitteln tierischer

Herkunft ist nicht frei von Interessenskonflikten.

Die Funktionelle Genomanalyse am Tierischen

Organismus (FUGATO) vermag hier neue Lösungsbei-

träge zu leisten. Nachdem die Sequenzierung der ge-

netischen Information der meisten unserer landwirt-

schaftlichen Nutztiere weitestgehend abgeschlossen

ist, gilt es nun, den genetischen Hintergrund und die

funktionellen Zusammenhänge relevanter Leistungs-

und Gesundheitsmerkmale sowie deren Vererbung

zu entschlüsseln. Darauf aufbauend müssen die Er-

kenntnisse dann in Diagnoseverfahren, medizinische

Maßnahmen sowie in Zuchtprogrammen praktisch

umgesetzt werden. Ob dabei Gesundheitsaspekte wie

Infektabwehr, Vi talität und Fruchtbarkeit oder der Ein-

fluss von Genotyp-Umwelt-Interaktionen und der Er-

nährung auf die Lebensmittelqualität im Fokus ste-

hen: es bedarf einer engen, disziplinübergreifenden

Zu sammenarbeit von Biologen, Genetikern, Physiolo-

gen, Veterinären, Bioinformatikern und

Tierzüchtern, um die komplexen Frage-

stellungen im Sinne einer nachhaltigen

Tierproduktion, hochwertiger Lebens-

mittel, der Tiergesundheit und des Tier-

schutzes zu bearbeiten.

Diesen Zielen hat sich der Förder-

schwerpunkt FUGATO verpflichtet, den

das Bundesministerium für Bildung und

Forschung (BMBF) im Jahr 2005 initiiert

hat. Dabei stehen nicht nur die großen

landwirtschaftlichen Nutztiere wie z.B.

Rind, Schwein oder Geflügel im Blick-

punkt von FUGATO. Auch Bienen und

Hummeln sind aufgrund ihrer wertvol-

len Bestäubungsleistungen und dem da-

mit verbundenen ökologi-

schen wie ökonomischen

Nutzen in die Forschungs-

arbeiten eingeschlossen.

Aus der Vielfalt der The-

men und wissenschaftli-

chen Fragestellungen wer-

den Ihnen nachfolgend ei-

nige ausgewählte Projekte

und deren konkreten Ziel-

setzungen näher vorge-

stellt.

Die zü�chterische Verbesserung des genetischen Potentials einer Nutztierrasse benötigt Jahre der Aufzucht und Vermehrung. Dies kann sich nun ändern, denn moderne Verfahren der funktionellen Genomanalyse ermöglichen einen unmittelbaren Blick auf die Wirkungsweise der Gene, ihre Wechselwirkung untereinander und deren Beeinflussung durch Umweltfaktoren.Zuchtfortschritte lassen sich so zukü�nftig schneller und gezielter erreichen.

Facetten der Genomforschung

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Gesunde Bienen und Hummeln sicherneine vielfältige und ertragreicheKulturlandschaft

Imker, Landwirte und Naturschützer sind gleichermaßen bestürzt über das dramatische Bienen -sterben, das in ganz Europa die Völker unserer wich tigsten Blüten-Bestäuber dezimiert. Als Haupt -ursache gelten Krankheitserreger und Para siten, die vor allem die Brut der Insekten be fallen. Bis-lang ist es nicht gelungen, krankheitsresistente Honigbienen zu züchten. Um dieses wichtige Zucht-ziel dennoch zu erreichen, suchen FUGATO-Forscher nach Elementen im Genom der Insekten, diemaßgeblich an der Resistenz gegen Patho gene beteiligt sind.

Bienen sind nicht nur als Honig-Lie feranten un-entbehrlich, sondern vor allem wegen ihrer Be -stäu bungs leistung. Denn der Großteil unserer Obst-und Gemüsekulturen, aber auch unzählige Wild - pflanzen, bilden nur dann Früchte und Samen aus,wenn sie zuvor von Ho nigbienen oder verschiede-

nen Wildbienen und -hummeln be-stäubt werden. Der massive Rückgangder Bienenvölker bedroht also nichtnur die Existenz der gewerblichen Im-ker, sondern auch die Ertragssicherheitder Land wirt schaft und die Funktions-fähigkeit ganzer Ökosysteme.

„Wir wissen, dass Bienen in der La -ge sind, kranke Brut zu erkennenund auszuräumen“, erklärt Prof. Kas-par Bienefeld vom Länderinstitut fürBienenkunde Hohen Neuendorf. DerBiologe koordiniert den For schungs -ver bund HyBee, dessen Kürzel auf dasHygieneverhalten bestimmter Bienenanspielt: Manche Ar beiterinnen ver-hindern die Ausbreitung von Pathoge-nen, indem sie befallene Brut frühzei-

tig beseitigen. Bienefeld: „Wir haben in 20 Ex pe ri -menten insgesamt 36.000 Arbeitsbienen individuellmarkiert und dann unter kontrollierten Be dingungenmit einer Infrarotkamera dabei beobachtet, ob siekünstlich mit Varroa-Milben in fizierte Brutzellen in-mitten gesunder Brut erkennen und ausräumen.Nur 52 von ihnen hatten diese besondere Fähig-keit.“

Was zeichnet diese wenigen Tiere vor ge -wöhnlichen Arbeitsbienen aus – und welche Genesteuern ihr Hygiene-Verhalten? „Wahrscheinlich er-kennen die Bienen nicht den Erreger selbst, son-dern den atypischen Geruch erkrankter Brut“, soBienefeld. Diese Vermutung will ein Team von Neu-

robiologen um Prof. Randolf Menzel an der FU Ber-lin überprüfen. In Lernversuchen wurden Ar -beitsbienen mit bekanntem Hygieneverhalten mitausgewählten Test-Substanzen, aber auch mit demGeruch kranker oder gesunder Bienenlarven kon-frontiert. „Die Ergebnisse dieser Versuche lassensich noch nicht eindeutig interpretieren“, so Menzel.Nun will der Neurobiologe herausfinden, wie dieDuftreize im Gehirn der Bienen verarbeitet werden– und ob es dabei Abweichungen zwischen Indivi-duen mit unterschiedlichem Hygiene ver halten gibt.Dazu werden die Insekten mit Duftstoffen angebla-sen, nachdem die Nerven zellen in ihrem Gehirn miteinem Fluores zenz farbstoff gefärbt werden, der dieKalzium kon zen tra tion anzeigt. Durch den Duft ak-tivierte Nerven zellen werden so im Mikroskop sicht-bar und geben Aufschluss über seine Verarbeitungim Bienengehirn.

Am Institut für Genetik der Universität Düssel -dorf sucht ein weiterer HyBee-Partner, Prof. Mar-tin Beye, nach den genetischen Grundlagen dieserneuronalen Prozesse. Um herauszufinden, ob be-stimmte Gene nur bei ´hygienischen´, nicht aberbei ´unhygienischen´ Bienen exprimiert werden,ließ Beye bei ausgewählten Insekten aus drei Gewe-ben die gesamte RNA entnehmen und vergleichen:aus den Antennen (dort treffen die Duftmoleküleein), den Antennallobi (wo die Duft ko die rung vor-genommen wird) und dem Pilz körper im Haupthirnder Bienen (wo Infor ma tionen längerfristig abge-legt werden). „Wir haben erste Hinweise auf eineunterschiedliche Gen expression – insbesondere inden Genom berei chen, die mit der Reizverarbeitungim Gehirn in Verbindung stehen“, so Bienefeld. Wel-che Gene beteiligt sind, versucht derzeit ein Teamvon Bio statistikern um Prof. Norbert Reinsch amLeibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummers torfabzuklären.

Um das Hygieneverhalten

von Honigbienen zu unter -

suchen, werden einzelne

Waben geöffnet und mit

Varroa-Milben infiziert (Bild

oben). Mit Hilfe von Infrarot-

Kameras lassen sich individu-

ell markierte Arbeits-Bienen

dabei beobachten, ob sie die

erkrankte Brut aufspüren und

ausräumen können (Bild

unten).

Facetten der Genomforschung

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Kranke Larven zu erkennen und zu beseitigen, istgut fürs Bienenvolk. Noch besser ist es allerdings,wenn die Brut gar nicht erst erkrankt. Solche Bienen,die natürlicherweise gegen Para siten resistent sind,gibt es tatsächlich, erklärt Prof. Robin F. A. Moritzvon der Universität Halle-Witten berg: „SchwedischeKollegen haben auf der Insel Gotland Bienenvölkerzwanzig Jahre lang sich selbst überlassen und kei-ne Maßnahmen gegen Varroa-Befall ergriffen. Die-se harte natürliche Auslese haben nur diejenigenBienen überlebt, denen die Milben nichts anhaben,sprich: auf deren Brut sie sich nicht mehr fortpflan-zen konnten. Wir suchen nun nach den Genen, diedieser Immunität zugrunde liegen“.

Moritz koordiniert den von drei Partnern gebil-deten Forschungsverbund FUGAPIS, der sich die funk-tionelle Genomanalyse zur Krankheits resis tenz beider Honigbiene Apis mellifera zum Ziel gesetzt hat.Dabei kommt den Forschern eine genetische Be-sonderheit der Bienen entgegen: Die weiblichenArbeiterinnen entwickeln sich aus befruchteten Ei-ern und erhalten daher jedes ihrer Gene in zweiKopien – eine vom Vater, die andere von der Mut-ter. Dagegen entwickeln sich die männlichen Droh-nen aus unbefruchteten Eier und besitzen folglichvon jedem Gen nur die Kopie von ihrer Mutter, derKönigin. Da diese von jedem Gen selbst zwei Ko-

pien besitzt, überträgt sie jeweils der Hälfte ihrerSöhne die eine oder andere Vari ante eines bestimm-ten Gens. Verpaart man nun eine Varroa-resistenteKönigin aus Gotland mit einem Drohn aus einemanfälligen Volk, so erhält man hybride Nachkom-men: Sie besitzen von jedem Gen je eine Kopie derresistenten Mutter und des nichtresistenten Vaters.

Wird eine hybride Biene zur Königin und legtunbefruchtete Eier, dann sollte die Hälfte der da-raus schlüpfenden Söh ne resistent, die andere aberanfällig gegenüber Varroa-Milben sein. Tat sächlichfanden die FUGAPIS-Forscher Drohnen, auf denensich die Para siten nicht fortpflanzen konnten. DasGenom dieser resistenten Individuen verglichen sieanhand von 2000 genetischen Markern mit demGenom anfälliger Tiere. „Die gute Nachricht: Wirhaben insgesamt drei Genregionen identifiziert, diemit dieser Resistenz korrellie-ren. Die schlechte Nachricht:Es gibt sehr starke epistatischeEffekte. Das heißt, nur dieKombination aller drei Geneist wirksam; dagegen verlei-hen ein oder zwei Gene ge-meinsam keinerlei Resistenz“,fasst Robin Moritz die Analy-sen zusammen.

Einzellige Darm-Parasiten

namens Chrithidia bombi

(hier in 400-facher

Vergrößerung) schwächen

die Völker verschiedener

Hummelarten weltweit.

Erdhummeln sind für den

Erhalt unserer Naturland -

schaft von entscheidender

Bedeutung: Sie bestäuben

sowohl Wildkräuter als auch

Kulturpflanzen auf dem Feld

und im Gewächshaus.

Facetten der Genomforschung

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Epistatische Effekte, wenn auch weniger stark aus-geprägt, zeigten sich auch bei der Resistenz gegendie Amerikanische Faulbrut. Auch dieser von Bakte-rien hervorgerufenen Krankheit widerstehen ein-zelne Bienenlarven besser als das Gros der Brut. Eingenomweiter Vergleich zwischen männlichen Lar-ven, die an der Infektion gestorben waren und ih-ren überlebenden Geschwistern brachte drei Genre-gionen ans Licht, die an der Faulbrut-Resistenz be-teiligt sind. Einer dieser Genorte wirkt auch bei derallgemeinen Immunantwort gegen weit verbreite-te Bakterien wie E. coli mit, wie die Genetiker in

Halle zusammen mit Physiologen um Prof. JürgenTautz an der Universtität Würzburg herausfanden:„Möglicherweise haben wir hier einen wichtigenFaktor entdeckt, der ganz allgemein gegen bakte-rielle Erreger wirkt“, so Moritz.

Neben Bienen setzen Landwirte seit zwei Jahr -zehnten zusehens auch Hummeln – vor allem dieErdhummel Bombus terrestris – als Bestäuber ein,besonders in Gewächshäusern. Durch die Massen-zucht werden die Hummelvölker vermehrt vonKrankheiteerregern geplagt und stecken damit auchihre frei lebenden Verwandten im Umkreis von Obst-plantagen und Gewächshäusern an. Umgekehrtschleppen wilde Hummeln stets neue Pathogenein die Zuchtvölker ein: Denn um deren genetischeVielfalt zu erhalten und Inzucht zu vermeiden, müs-sen laufend Königinnen aus unterschiedlichen Re-gionen Europas gefangen und eingekreuzt werden.

Dr. Michael G. Lattorff von der Universität Hal-le-Wittenberg will aus dieser züchterischen Not-wendigkeit eine Tugend machen: „Wenn man so-wieso einkreuzen muss, sollte man dazu gezielt re-sistente Tiere nehmen“, so der junge Biologe. Mitseiner Nachwuchsgruppe FUGABEE will er daher je-ne Gene identifizieren, die Erdhummeln gegen zweiverheerende Parasiten wappnen: den Einzeller Crit-hidia bombi, der die Fruchtbarkeit der Königinnenmindert und den Pilzverwandten Nosema bombi,der ganze Hummelvölker abtöten kann. Lattorff:„Wir infizieren Individuen aus drei geographischenHerkünften mit einem der beiden Erreger und ver-gleichen dann nach zwei, vier oder acht Tagen Artund Menge der exprimierten Gene mit den Datenvon gesunden Tieren“. Zusätzlich werden auch Kan-didatengene untersucht, die bei anderen Insekten-arten bekanntermaßen wichtige Immunreaktionenbeeinflussen. „Dabei haben wir ein Gen gefunden,das für ein antimikrobielles Peptid kodiert“, so Lat-torff. Mit solchen Immun- und Resistenzgenen willder Forscher nun ein Diagnosewerkzeug für die Zuchtresistenter Hummeln entwickeln.

Geruchsverarbeitung im

Gehirn von Arbeits-Bienen,

sichtbar gemacht durch einen

Fluoreszenzfarbstoff. Die vier

Bilder zeigen das Aktivitäts -

muster von Nervenzellen

vor (links), während (ODOR)

und nach der Beblasung mit

einer Testsubstanz.

Facetten der Genomforschung

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Fleisch, Milch, Butter: Gesunde Kühe liefern hochwertige Lebensmittel

Die Gesundheit unserer Nutztiere ist der beste Garant für die Qualität der von ihnen ge-wonnenen Produkte. Gutes Futter und eine artgerechte Haltung tragen dazu ebensobei wie die genetische Konstitution der Tiere. Mehrere FUGATO-Projekte befassen sichmit dem Rind als Lieferant von Fleisch, Milch und Butter. Dabei werden die geneti-schen Grundlagen des Eiweiß- und Fettstoffwechsels sowie erbliche Komponenten derEutergesundheit untersucht. Die Erkenntnisse sollen in bestehenden Zuchtprogram-men berücksichtigt werden, um widerstandsfähige Tiere – und damit auch besondershochwertige Lebensmittel – zu erzeugen.

Geschmack und Nährwert tierischer Produkte so-wie ihre Verarbeitungsfähigkeit werden maßgeb-lich von ihrem Fettgehalt beeinflusst. So machenzum Beispiel ungesättigte Fettsäuren die Butter be-sonders streichfähig. Wie schmackhaft oder zart einStück Rindfleisch ist, hängt dagegen von Art undMenge der im Muskel eingelagerten Lipide ab. ImForschungsverbund QuaLIPID haben Wissenschaftleraus neun Institutionen – darunter Universitäten, For-schungsinstitute und Wirt schaftspartner – drei Jah-re lang die genomischen Grundlagen des Lipidstoff-wechsels untersucht und die wichtigsten beteiligtenGene identifiziert.

Dabei stießen sie unter anderem auf ein Gen,das die Fetteinlagerung ins Fleisch beeinflusst. „Ur-sprünglich hat man das bei Studien über die Milchentdeckt“, erinnert sich QuaLIPID-Ko or di na tor Prof.Ruedi Fries vom Lehrstuhl für Tierzucht der TU Mün-chen-Weihenstephan, „doch die Kuh lagert ihr Fettnatürlich nicht nur in die Milch ein, sondern auchins Fleisch und Unterhautgewebe. Deshalb habenwir unsere Kandidatengene bei sehr vielen Tierenganz genau angesehen und dabei festgestellt, dassdie Variante eines Gens – DGAT1 –, die zu einemhöheren Milchfettgehalt führt, auch eine deutlicherhöhte Lipideinlagerung im Muskel und damit ei-ne bessere Marmorierung des Fleisches zur Folgehat.“ Auf diese Entdeckung ist mittlerweile ein in-ternationales Patent erteilt worden. Und sie hat Ein-gang in die Praxis gefunden: Durch entsprechendeGentests lassen sich nun gezielt Mastrinder mit starkmarmoriertem Fleisch auswählen und für die Zuchtverwenden.

„Diese Erkenntnisse haben mich motiviert, michin einem neuen Projekt noch viel grundsätzlichermit dem Fettstoffwechsel der Kuh zu be fassen“, er-

klärt Fries. ´Meta bo lo mi sche und ge-nomische Analysen der Milch für ge-sunde Milchkühe´, kurz MeGA-M,heißt das Vorhaben, an dem Arbeits-gruppen am Helmholtz Zentrum Mün-chen, den Universitäten Berlin, Regens-burg und Kiel, der Tierärztlichen Hoch -schule Hannover, des Leibnitz-Institutfür Nutztier bio lo gie in Dummerstorfsowie des För der vereins Biotechnologieforschungmitgewirkt haben.

Dabei suchten die Wissen schaftler systematischnach Kühen, die sich während der ersten drei Wo-chen nach dem Abkalben deutlich in ihrem Fett-stoffwechsel unterschieden. Denn in dieser frühenLaktationsphase läuft die Milchproduktion für dasfrisch geborene Kälbchen auf Hochtouren und zehrtan den Fettreserven der Mutter. „Wenn die Tiere indieser Phase übermäßig viel Fett mobilisieren undihren Körper über längere Zeit mit freien Fettsäu-ren anfluten, dann ist das für den Organismus sehrbelastend“, betont Fries. Es beginnt ein Teufelskreis:Die Tiere schalten gleichsam auf Notbetrieb um,fressen weniger und verschlimmern so ihren Zu-stand immer mehr. „Solche Kühe sind oft schonnach zwei Laktationen ausgepowert“, so Fries: „Dasist sowohl ethisch als auch ökonomisch gesehennicht akzeptabel“.

Allerdings gibt es auch Kühe mit robusteremFettstoffwechsel, die ihren Körper weniger stark be-lasten. Sie werden schneller wieder trächtig undsind zudem weniger anfällig für typische Krankhei-ten wie Klauen- oder Euterentzündungen (Masti-tis). Um solche Tiere schnell und einfach zu erken-nen, ist es hilfreich, das Fett-Eiweiß-Verhältnis inihrer Milch zu bestimmten, betont Fries: „Relativhohe Fettwerte in der frühen Laktationsphase wei-

Nur Kühe mit gesundem

Euter geben hochwertige

und schmackhafte Milch.

Facetten der Genomforschung

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sen auf eine starke Anflu-tung mit freien Fettsäurenhin. Und sie sind – daskonnten wir im MeGA-M-Projekt nach weisen – auchnegativ korreliert mit dem

Ge sund heits sta tus der Kuh, ins-besondere mit der Widerstandskraft

gegen Mastitis. Damit haben wir einensehr zuverlässigen Biomarker, auf den auch die Bau-ern achten sollten“.

Die Eiweiß- und Fettwerte werden bei Milchprü-fungen von den Kontrollverbänden der Bundeslän-der routinemäßig erfasst. Mit ihrer Hilfe konntendie Genomforscher insgesamt 2.300 stoffwechsel-stabile und -labile Tiere aus drei verschiedenen Ras-sen identifizieren und vergleichen. „Von diesen Tie-ren haben wir anhand von 54.000 genetischen Mar-kern ergebnisoffen das gesamte Genom nachPunktmutationen abgesucht und mehrere Genortegefunden, die einen großen Teil der Variation desFett-Eiweiß-Verhältnisses in der frühen Laktation er-klären“, fasst Fries die Ergebnisse des MeGA-M-Pro-jekts zusammen. Erfreulich für die Milchbauern istein weiterer Fund: Kühe mit einem körperschonen-den Fettstoffwechsel geben nicht zwangsläufig we-niger Milch.

Wie anfällig eine Kuh gegenüber Infektionenist, wird jedoch nicht nur von ihrem Fett stoff wech-sel bestimmt. Ein weiteres FUGATO-Kon sor ti um willdaher die genetischen Mechanismen iden tifizieren,die die natürlichen Abwehr stra te gien von Kühengegen Mastitis stärken. M.A.S.-Net heißt das Pro-jekt, und sein Name ist Programm: Es soll eine Mar-kerassistierte Selektion (M.A.S) von Tieren mit erb-licher Veranlagung für eine hohe Eutergesundheitermöglichen, um diese künftig in der Rinderzucht zuberücksichtigen.

Die Eutergesundheit wirkt sich direkt auf dieQualität der Milch aus und ist daherfür die Tierhalter ebenso relevant wiefür die Verbraucher. „Natürlich wurdeschon früher versucht, auf hohe Eut-ergesundheit zu selektieren, indemman Tiere mit möglichst geringenKeim- oder Zellzahlen in der Milch aus-gewählt hat“, sagt Projekt-Koordina-tor Prof. Manfred Schwerin vom Leib-niz-Institut für Nutztierbiologie in Dum-merstorf. Doch leider sind dieseMerkmale nur gering erblich und zum

Teil eng gekoppelt mit niedrigen Milcherträgen. „MitHilfe von genetischen Markern können wir nun ge-zielt auf Eutergesundheit selektieren, ohne zumBeispiel die Milchleistung negativ zu beeinflussen“,so Schwerin. Dieser wichtige Schritt gelang denM.A.S.-Net-Forschern, weil sie auf die Daten einesGenomforschungsprojekts der Arbeitsgemeinschaftdeutscher Rinderzüchter zugreifen konnten: Darinwaren mehr als 155.000 Rinder der Rassen Deut-sche Holstein und Fleckvieh genetisch und zugleichhinsichtlich ihrer Eutergesundheit charakterisiertworden.

„Aus dieser großen Population haben wir dieempfindlichsten und die unempfindlichsten Färsenim gleichen Alter und Laktationsstadium herausge-sucht und unter vergleichbarer Keimbelastung ge-halten“, so Schwerin. Nach dem Schlachten wur-den die beiden Gruppen daraufhin untersucht, wel-che Gene in ihrem Eutergewebe unterschiedlichstark exprimiert waren. „Wir wollten die Abwehrme-chanismen aufdecken, die die angeborene Masti-tis-Unempfindlichkeit bedingen“, erklärt ManfredSchwerin: „Können die Erreger schlechter ins Eutereindringen – oder werden bereits eingedrungenePathogene besser abgewehrt? Unsere Analysen zei-gen ganz eindeutig, dass letzteres zutrifft, dass al-so die Immunreaktivität erhöht ist. Interessanter-weise läuft bei beiden Gruppen im Prinzip die glei-che Immunantwort ab, nur dass die empfindlichenTiere verzögert und weniger stark als die unempfind-lichen reagieren.“

Auf der Suche nach den genetischen Elemen -ten, die dieser erhöhten Abwehrbereitschaft zu grunde liegen, kombinierte das M.A.S.-Net-Kon -sor tium die funktionellen Genexpressions-Unter -schiede mit Kartierungsdaten wichtigen Gen re gio -nen auf drei Chromosomen des Rindergenoms.Die biostatistische Auswertung dieser Informa tio -nen, ergänzt um das verfügbare Wissen zu ausge-wählten Suchbegriffen aus über zwölf MillionenDatenbanken weltweit, brachte zehn Kandidaten -gene ans Licht. Verschiedene Varianten dieserGene – sie unterscheiden sich durch kleinsteSequenzunterschiede, so genannte SNPs – lassensich mit Hilfe von Gen-Chips erfassen. „Damithaben wir ein Instrument zur Diagnose der Eu ter -gesundheit entwickelt“, betont Manfred Schwerin,„und ermöglichen den deutschen Rinderzüchtern,schon heute routinemäßig jedes Tier individuellauf seine Immuneigen schaften zu testen und ent-sprechend zu bewerten“.

Rinder-DNA-Chip mit etwa

19.000 Genen, der mit einer

RNA-Mischung aus E. coli-

infizierten bzw. nicht infi -

zierten Eutern hybridisiert

wurde. Jeder Farbpunkt

repräsentiert ein aktives Gen;

bestimmte Gene werden in

infizierten Eutern stärker

(grün) oder schwächer (rot)

exprimiert als in den gesun-

den Kontroll-Eutern.

Histologische Unter suchun -

gen geben Aufschluss über

Ausmaß und Verlauf bakte-

rieller Euter-Infektionen.

Facetten der Genomforschung

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Genomforschung erleichtert die Zucht krankheitsresistenter Schweine und Hühner

Infektionskrankheiten stellen ein erheblichesProblem bei der Haltung von Nutztieren dar: Sieschränken das Wohlbefinden der Tiere ein und ver-ursachen hohe wirtschaftliche Verluste. Mit mo -dernen Techniken der Genomforschung lassen sichdie Wechselwirkungen zwischen Krank heits erre-gern und ihren Wirten aufklären. Mehrere FUGATO-Projekte verfolgen dabei zwei Konzepte: die Iden-tifizierung von natürlicherweise resistenten Tierenund die Entwicklung wirkungsvoller Impf stoffe.

Zu den häufigsten Erkrankungen von Schwei nenund Hühnern gehören Infektionen der Atem wege.Sie belasten die Tiere oder führen gar zu ihrem Tod– und damit auch zu hohen Ertrags ein bußen für dieHalter. Vorbeugende Impfungen sind teuer oder nureingeschränkt wirksam. An tibiotika als Krankheits-prophylaxe sind verboten, weil sie die Entstehungresistenter Erregerstämme fördern und damit auchfür die Verbraucher zum Problem werden können.

„Wenn Medikamente nötig sind, ist es eigent-

lich schon zu spät. Wir sollten viel früher ansetzen“,betont Prof. Gerald Reiner, Veterinärme dizi ner ander Klinik für Wiederkäuer und Schweine der Univer-sität Gießen. Reiners Arbeitsgruppe bildet mit zweiIndustrie- und drei akademischen Partnern in Han-nover, Köln und Berlin den FUGATO-Verbund RePo-RI. Er will genetische Marker für die natürliche Wi-derstandskraft der Schweine gegen Atemwegser-krankungen entwickeln und so die Zucht resistenterTiere vorantreiben.

Die wichtigste Voraussetzung für dieses Fern zielliefert die Natur: In allen Schweinerassen gibt eseinzelne Tiere, die weniger anfällig gegen Krank-heitserreger sind als die Masse. „In den Be -samungsstationen stehen oft mehrere Eber ne -beneinander, die gleiche ökonomische Leis tungenim Hinblick auf Wachstum und Fleischfülle bringenund trotzdem sehr unterschiedlich empfindlich sindgegenüber Krankheitskeimen“, erklärt Reiner. „DasKernproblem ist: In unseren Schweine-Be stän den

Wenige Tage alte Ferkel

in einem Teststall der

Tierärztlichen Hochschule

Hannover.

Facetten der Genomforschung

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sind zwar allerlei Gene für gute oder schlechte Re-sistenz vorhanden, doch jedes Tier hat eine ande-re Kombination davon. Bislang konnte man nichtauf hohe Resistenz selektieren, weil die ursächli-chen Gene mit den verfügbaren Methoden nichtdarstellbar waren“.

Mit Hilfe der funktionellen Genomanalyse wol-len die RePoRI-Forscher dieses Problem lösen. Da-zu brauchen sie zwei Gruppen von Schweinen, diesich deutlich in ihrer Empfindlichkeit gegenüberbestimmten Erregern unterscheiden. Diese Voraus-setzung war in dem bereits abgeschlossenen FU-GATO-Projekt IRAS unter Leitung von Prof. GeraldGerlach an der Stiftung Tierärztliche HochschuleHannover geschaffen worden: Dort hatten ForscherSchweine aus möglichst unterschiedlichen Wür-fen, die infolge einer Infektion durch Bakterien derArt Actinobacillus pleuropneumoniae an den Atem-wegen erkrankt waren, „phänotypisiert“, will hei-ßen: Infektionsverlauf, Anzahl der Keime im Lun-gengewebe sowie weitere physiologische und im-munologische Kennwerte wurden genauestenserfasst. Trotz gleicher Hal tungs be dingungen entwi-ckelten manche Tiere keinerlei Beschwerden, wäh-rend andere schwer erkrankten.

Diese Tiere nutzten die IRAS-Forscher für ihreAnalysen. „Wir haben 24.000 Gene angeschaut –

das sind fast alle, die das Schwein hat.Für jedes einzelne Gen haben wir ver-glichen, wie stark es in einem erkrank-ten und in einem nicht erkrankten Tieraktiv ist. So fanden wir insgesamt 1000differenziell exprimierte Gene, bei 200waren die Unterschiede hoch signifi-kant“, so Reiner. Durch weitere Kreu-zungsexperimente konn ten die Wis-senschaftler die Zahl der Kandidaten-Gene weiter eingrenzen. Dazuverpaarten sie einen be sonders resis-

tenten Hampshire-Eber mit vier stark anfälligen Sau-en der Deutschen Landrasse. An schlie ßend wurdendie Nachkommen untereinander gekreuzt, um zuerreichen, dass sie aufspalten: Dabei entstandeninsgesamt 170 Tiere, deren Re sistenz gegen Actin-obacillus entweder äußerst schwach, mittel odersehr stark ausgeprägt war.

Wie zuvor schon die Elterngeneration, wurdennun auch die 170 Tiere der zweiten Toch ter ge ne -ra tion mit Actinobacillus infiziert und phänotypi-siert. Die anschließende Transkriptom-Analyse brach-te erneut 172 Gene ans Licht, die bei besonders re-sistenten bzw. anfälligen Tieren unterschiedlichexprimiert werden – darunter neun Ge ne, die be-reits bei der Analyse der Eltern aufgefallen warenund alle mit der Mobilisierung des körpereigenenImmunsystems zu tun haben. Zwar müssen diesedifferenziell exprimierten Gene nicht zwangsläufigdie Ursache für eine erhöhte Resistenz sein. Doch sielassen Rückschlüsse auf die beteiligten Stoffwech-sel- und Signalwege zu. Durch aufwändige Path-way- und Netzwerk ana lysen konnte eine RePoRI-Arbeitsgruppe am Ber liner Max-Planck-Institut fürMolekulare Genetik insgesamt 69 „funktionelle hotspots“ im Genom der Schweine identifizieren, die ander Resis tenzausprägung mitwirken.

Parallel dazu fand die Gießener Gruppe mit Hilfe ge-netischer Marker insgesamt 30 Regionen und hotspots auf drei Chromosomen des Schweins, die sichmit erhöhter Resistenz in Verbindung bringen lassen.Durch die Kombination aller positionellen und funk-tionellen Daten stießen sie schließlich auf zehn be-sonders viel versprechende Kandidatengene, dienun näher untersucht werden. Besonders interes-sant sind dabei bestimmte Mutationen innerhalbdieser Gene, so genannte SNPs: Fände man be-stimmte SNPs ausschließlich bei resistenten Schwei-nen, so ließen sich diese begehrten Tiere künftigleichter erkennen und für die Zucht einsetzen.

Atemwegserkrankungen belasten auch andereNutztiere, insbesondere Geflügel. Zu den meist ge-fürchteten Erregern gehören aviäre pathogeneEscherichia coli-Bakterien, kurz APEC: Sie befallennahezu alle inneren Organe von Hühnern und Putenund bescheren der Geflügelindustrie weltweit er-hebliche wirtschaftliche Verluste – sowohl bei Kä-fig- als auch bei Bodenhaltung. Um die Ster be ratenbei Hühnern zu senken, aber auch zum Schutz derVerbraucher vor infizierten Lebens mitteln, werdendringend widerstandsfähigere Hühner und wirksa-mere Impfpräparate benötigt.

Beides versuchte der FUGATO-Verbund E. coli -Chick zu entwickeln. Auch hier sollte ein Vergleichmehr oder weniger anfälliger Tiere Hinweise auf

Bakterien der Art Actino ba -

cillus pleuropneumoniae (im

Bild als weiße Kolonien im

roten Kulturmedium) verur-

sachen bei Schweinen Infek -

tionen der Atemwege.

Die 2D-Gelelektrophorese

erlaubt einen Vergleich von

Protein-Profilen zu verschie-

denen Entwicklungs-Zeit -

punk ten eines Hühner em -

bryos (hier: 10. und 18. Em -

bryonaltag): Grün gefärbte

Proteine finden sich dabei

vermehrt im frühen, violette

dagegen mehr im späten

Entwicklungsstadium.

Facetten der Genomforschung

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Kandidatengene geben, die an der Resistenz ge -gen APEC beteiligt sind. „Wir haben Be las tungs -versuche mit den Erregern gemacht und dann dieDNA von stark anfälligen und weniger anfälligenHühnern analysiert“, erklärt Projekt-Koordinator Prof.Rudolf Preisinger, Geschäftsführer der Lohmann Tier-zucht GmbH in Cuxhaven: „Deutliche Familienun-terschiede in der Anfälligkeit verweisen auf einegenetische Komponente. Aber unsere Methodenwaren nicht fein genug, um sie zu identifizieren“.Einen Durchbruch erhofft sich Preisinger von demlaufenden, BMBF-finanzierten InnovationsclusterSynbreed: Darin wird ein Gen-Chip entwickelt, mitdem sich die DNA-Proben aus dem FUGATO-Projektauf rund 600.000 SNPs untersuchen lassen.

Sehr erfolgreich war der Verbund E. coli -Chickdagegen bei der Suche nach wirkungsvolleren Impf -stoffen. Dazu hatten die Forscher zunächst APEC-Proben aus 300 verschiedenen Problem be trie benisoliert und charakterisiert, um die aggressivste Va-riante zu ermitteln. Durch gezieltes Ausschalten ein-zelner Bakteriengene fanden sie schließlich Fakto-ren, die deren hohe Virulenz be dingen. „Wir kön-nen jetzt das APEC-Virulenzgen mit den wichtigstenstallspezifischen Erregern kombinieren und darauseinen äußerst effektiven Impfstoff herstellen“, er-klärt Rudolf Preisinger. Wie sehr sich diese kombi-nierten Vakzine bereits in der Praxis bewähren, zeigtdie große Nachfrage seitens der Geflügel-Halter.

Verbesserte Impfstoffe zu entwickeln, ist aucheines der Ziele von Dr. Sonja Härtle. Im FUGATO-Pro-jekt AvImmun untersucht die Tiermedizinerin mitihrer Nachwuchsgruppe an der Universität Münchenden Lebenslauf der B-Zellen. Beim Men schen wer-

den diese Immunzellen im Knochen mark gebildet,beim Huhn dagegen in einem speziellen Organ na-mens Bursa Fabricii. „B-Zellen produzieren Antikör-per, die den betroffenen Wirts orga nismus vor pa-thogenen Mikro orga nis men schützen“, erklärt Härt-le, „doch beim Ge flü gel wissen wir erst sehr wenigüber sie. Was veranlasst eine B-Zelle dazu, in dieBursa einzuwandern, sich zu teilen und zu reifen?Warum wandert sie schließlich in die peripherenlymphatischen Ge we be und beginnt mit der Pro-duktion von Anti kör pern? Erst wenn wir diese grund-legenden Mecha nis men verstehen, können wir po-tente und zu gleich verträgliche Konzepte zur Stär-kung des Immunsystems entwickeln.“ Einenwichtigen Fund hat die junge Wissenschaftlerinschon ge macht: Beim Vergleich der Transkriptomeund Pro teome aus unterschiedlich altem Bursa-Ge -we be entdeckte sie zahlreiche Überlebensfaktorenfür B-Zellen. Härtle: „Das sind natürlich heiße Kan-didaten für einen verbesserten Impfstoff“.

Mit unterschiedlichen Farben

markierte Hühner in einem

Testbetrieb der Lohmann

Tierzucht GmbH in Cuxhaven.

Durch Transkriptom-Analysen

lässt sich die Regulation

bestimmter Gene während

der Hühner-Entwicklung ver-

folgen. Der abgebildete

Ausschnitt umfasst 90 von

insgesamt 44.000 der auf

dem RNA-Array abgebildeten

Transkripte. Er zeigt die ver-

stärkte (rot) oder verminder-

te (grün) Expression

bestimmter Zytokine und

Zytokinrezeptoren am 10.

und 18. Embryonaltag (ET)

sowie bei 2 bzw. 28 Tage

alten Küken.

Facetten der Genomforschung

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Forschen an der Lebensbasis PflanzeVon der Genomforschung zur modernen Pflanzenzüchtung

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Pflanzenzu�chtung hat eine lange Tradition, war jedoch stets eine langwierige Angelegenheit.Die Erkenntnisse der Genomforschung machen heute Innovationen möglich, die zuvor nichtrealisierbar waren. Neue Methoden wie die „Markergestü�tzte Züchtung“ beschleunigen dieEntwicklung neuer Pflanzensorten erheblich.

Pflanzen können Sonnenlicht als Energiequellenutzen und mit Hilfe der Photosynthese Bio -masse produzieren. Sie sind damit die Basis un-seres Lebens. Vor mehr als 10.000 Jahren be-gann der Mensch sich die Pflanzen gezielt zuNutze zu machen. Durch Selektion entstandendie ersten bekannten Nutzpflanzen. Dies warder Beginn einer Entwicklung, die noch immernicht abgeschlossen ist.Ein Mönch gab der Pflanzenzucht den ersten entscheidenden Schub. Die Entdeckung der Verer-bungsregeln durch Gregor Mendel ermöglichte es,bestimmte Eigenschaften von Pflanzen gezielt zukombinieren. Allerdings basierte die erste Kom - binationszüchtung auf Merkmalen, die man beob-achten konnte. Trotzdem verdanken wir dieser Me-thode die Entwicklung der uns heute bekanntenSorten.

Durch die Genomforschung hat die Pflanzen-zucht in den letzten Jahren deutlich an Tempo ge-winnen können. Durch das neue Wissen um die Ge-nome der Pflanzen ist die Pflanzenzucht nun in derLage, auch komplexere Eigenschaften effizient undpräzise zu kombinieren. Das Zauberwort dabei heißtMolekulare Marker. Diese „Nummernschilder“ imGenom lassen sich mit molekularbiologischen Me-thoden leicht identifizieren. Sie erlauben es demZüchter bestimmte Eigenschaften bestimmten Ge-nomabschnitten zuzuordnen und diese dann wie ineinem Baukasten neu zusammenzustellen.

Pflanzengenomforschung in Deutschland ist un-trennbar mit dem GABI-Programm („Genomanaly-se im Biologischen System Pflanze“) verbunden.Seit 1999 förderte das Bundesministerium für Bil-dung und Forschung (BMBF) im Rahmen dieses Pro-gramms die angewandte Forschung an der Lebens-basis Pflanze. Neben den nationalen Ausschreibun-gen haben sich im Laufe der Jahre zahlreicheinternationale Programme dazugesellt. Heute wirddie angewandte Pflanzenforschung in Deutschlandunter dem Dach von PLANT 2030 erfolgreich wei-

tergeführt. Als Grundlage der Bio-ökonomie bleibt die Pflanze wichti-ges Forschungs- und Innovations-objekt.

Die Wissenschaftler arbeitenin den Forschungsprojekten engmit den Pflanzenzüchtern zusam-men, um unsere Nutzpflanzen fitfür die Zukunft zu machen. Die en-ge Verknüpfung der Grundlagen-forschung mit der Pflanzenzüch-tung ist einzigartig. Ob höherer Er-trag, Resistenz gegen Krankheitenoder verbesserter Geschmack –neue Forschungsergebnisse fließenauf kürzestem Weg in die Entwick-lung neuer Sorten ein. Die nächstenSeiten bieten einen kleinen Ein-blick in die verschiedenen Facet-ten der Pflanzen der Zukunft. Wei-tere Informationen: www.pflanzenforschung.de

Facetten der Genomforschung

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Pflanzen als Energiequelle der Zukunft

Nachwachsende Rohstoffe tragen entscheidend zueiner umweltverträglichen Energie ver sor gung bei.Denn Gas und Strom aus vergorenen Pflanzentei-len sind CO2-neutral, will heißen: Fast die gesamteMenge an klimaschädlichem Kohlen dioxid, das beiihrer Nutzung verpufft, haben die Pflanzen beimWachsen zuvor der Luft entzogen und in Biomassefestgelegt. Erfreulicher Neben effekt: Die Nährstof-fe, die dem Boden durch den Anbau von Energie-pflanzen verloren gehen, gelangen mit den Gärres-ten wieder zurück auf die Äcker – die somit weni-ger Kunstdünger benötigen. Derzeit trägt Biogashauptsächlich zur Strom versorgung bei, doch gilt esauch als Klima schonende Alternative zu Erdgas.

Neben diesen Pluspunkten bringt der zunehmen-de Anbau von Ener giepflanzen jedoch auch Proble-

me mit sich: Er beansprucht immermehr Flächen, die vormals als Brachender heimischen Wildflora und -faunaRückzugsräume boten oder zur Er -zeugung von Nahrungsmitteln ge nutztwurden. Die drohende Kon kurrenz umAnbauflächen könnte eine Lebensmit-telverknappung zur Folge haben. „Umdieses Dilemma zu lösen, brauchenwir Spezialsorten zur Energieproduk-tion, die auf der begrenzten Fläche ho-he Erträge bringen“, betont Dr. Mile-na Ouzunova von der KWS SAAT AG inEinbeck, Niedersachsen. Die in Bul -garien und Deutschland ausgebildeteMo lekularbiologin leitet die AbteilungBio tech no logie Mais der KWS und istzugleich Koordinatorin des Forschungs-projekts GABI-ENERGY, an dem insge-

samt sechs staatliche Forschungsinstitute und Uni-versitäten beteiligt sind.

Ziel des vom BMBF geförderten Verbundvor ha -bens ist es, den Biomasseertrag von Mais zu stei-gern – von derzeit 180 Dezitonnen Trockengewichtpro Hektar auf 300 Dezitonnen. Schon heute gehörtMais zu den Feldfrüchten mit dem höchsten Flä-

chenertrag an Biomasse und somit auch an Biogas.Mit Hilfe der Genomforschung sollen nun gezieltneue Sorten gezüchtet werden, die weniger emp-findlich gegen Kälte sind und zudem später blühenals herkömmliche Sorten. Dahinter steckt folgendeÜberlegung: Kühletoleranter Mais ließe sich im Früh-jahr zeitiger aussäen und im Herbst später ernten,ohne in kalten Nächten Schaden zu nehmen. In dernach vorne und hinten verlängerten Saison bliebeden Pflanzen mehr Zeit zu wachsen. Eine verzöger-te Blüte würde den Effekt noch verstärken, könntedoch zuvor über einen längeren Zeitraum alle Ener-gie in die Anlage üppiger Stängel und Blätter flie-ßen. Um den Ertrag zu steigern, wollen die GABI-Forscher daher beide Merkmale – sowohl Kühleto-leranz, als auch Blühzeitpunkt – in einer einzigenSorte optimieren.

„Wir sind zuversichtlich, dass das möglich ist“,versichert Milena Ouzunova und erklärt das Vorge-hen der Genomforscher: „Wir nutzen eine Eigen-schaft von Mais, der in tropischen Regionen wächstund so genannte Kurzzeitgene enthält. Wenn mandiese Pflanzen in Europa anbaut, wo die Tage län-ger sind als in ihrer Heimat, blühen sie später undwachsen entsprechend länger vegetativ. Allerdingsbringen diese tropischen Sorten nur geringe Erträ-ge. Deshalb haben wir sie mit frühblühenden, küh-letoleranten nordeuropäischen Hochleistungssortengekreuzt“. Die Kunst bestand nun darin, möglichstfrühzeitig jene Pflänzchen der Nachkommenschaftzu erkennen und auszuwählen, die von beiden El-ternlinien jeweils nur die vorteilhaften Eigenschaf-ten in sich vereinen.

Dazu mussten die Wissenschaftler zunächst dieBereiche im Maisgenom aufspüren, die zur Ausprä-gung der Kurzzeitgene beitragen. An drei Stellenwurden sie fündig: „Die Chromosomen 1, 8 und 10enthalten Regionen, die bis zu zwei Drittel der ge-netischen Variation des Blühzeitpunkts erklären undgleichzeitig einen starken Einfluss auf die Biomas-se haben“, fasst Ouzunova die Ergebnisse zusam-men. Mit Hilfe molekularer Marker ließen sich die-se Genomregionen auch in den Nachkommen auf-finden, die aus der Kreuzung von ertragreichen

Heutige Silomais-Sorten

(linke Bildhälfte) bringen

Hektar-Erträge von 150 bis

180 Dekatonnen Trocken -

masse. Dieser Wert lässt

sich bei Energiemais-Sorten

(rechte Bildhälfte) auf bis

zu 300 steigern.

Der Zeitpunkt der ersten

Blüte kann bei unterschied -

lichen Mais-Sorten um

mehrere Tage variieren. Zur

Energiegewinnung eignen

sich Sorten, die spät blühen

und vorher viel Biomasse

bilden.

Pflanzen bilden die Grundlage für die Ernäh rung von Mensch und Tier. Angesichts schwin den der Erd-ölreserven und weltweiter Klima ver än de rungen werden sie jedoch auch als Energie-Lie feranten un-verzichtbar. Denn sie können in geeigneten Kraftwerken zu Methan vergoren werden, das sich inStrom oder Wärme umwandeln lässt. Deutschland kommt dabei in zweifacher Hinsicht eine Vor-reiterrolle zu: Es ist führend in der Pro duk tion von Biogas aus Pflanzenmasse und hat zudem dasweltweit erste Züchtungsprogramm für Spe zial sorten zur Energieerzeugung.

Facetten der Genomforschung

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Frühblühern mit den wenig ertragreichen tropischenSpätblühern hervorgegangen waren. So erhieltendie GABI-For scher wuchskräftige Maispflanzen, dieacht Tage später blühen. „Wir werten das als großenErfolg“, betont Projektkoordinatorin Ouzunova „denndaraus resultiert eine Steigerung der Wuchshöhevon über 20 Zentimeter“.

Auch in Sachen Kühletoleranz sind die Wissen -schaftler einen großen Schritt vorangekommen. AlsStudienobjekt diente ihnen eine Norddeutsche Mais-linie, die sich nach 30 Jahren konventioneller Züch-tung durch eine vergleichsweise geringere Kälte-empfindlichkeit auszeichnet. In dieser Linie wa renim Vorgängerprojekt GABI-COOL zwei Genomregio-nen identifiziert worden, die das Jugendwachstumbei niederen Frühjahrs-Tempe raturen beeinflussen.„Doch die eigentlichen Gene für die Kühletoleranzwaren bisher nur unscharf kartiert. Wir haben nungeeignete molekulare Marker entwickelt, mit de-nen wir von beiden Seiten näher an diese Gene he-rankommen und sie besser eingrenzen können. Mitdiesen Markern lässt sich unterscheiden, ob eineMaiskreuzung AB das Gen der kühletoleranten El-ternlinie A geerbt hat – oder aber das Gen der küh-leempfindlichen Elternlinie B. Das erleichtert diezüchterische Auswahl des Kreuzungsmaterials ganzerheblich“, erklärt Professor Peter Westhoff von derUni versität Düsseldorf.

Westhoffs molekulare Marker sind das lang er-sehnte Werkzeug zur weiteren Erforschung der Ge-ne, die Maispflanzen kälteunempfindlich machen.Zum einen eröffnen sie die Möglichkeit, die Funk-tion dieser Gene im Gesamtorganismus besser zuverstehen. Zum anderen erlauben sie es nun auch,in alten Maisrassen – zum Beispiel aus dem Anden-hochland – gezielt nach entsprechenden Genen zusuchen, die womöglich eine noch ausgeprägtereKühletoleranz bedingen. „Wir wollen diese mole-kularen Werkzeuge nutzen, um die natürliche Va-riation von Maislinien unterschiedlicher Herkunft zubeschreiben. Falls wir in urtümlichen Landrassen in-teressante Gene finden, können wir sie mit Hilfeder Markergestützten Selektion sehr schnell und ef-fizient in unser Zuchtmaterial einkreuzen. Dazu müs-sen wir keine transgenen Pflanzen erzeugen – ob-wohl wir auch diese Option für die Zukunft nichtausschließen wollen“, betont Milena Ouzunova.

Schon in zwei Jahren, so hofft die Biologin, könn-ten neue Linien mit höherer Kühletoleranz und spä-terer Blühe bereitstehen. Doch dann fängt für dieZüchter die eigentliche Arbeit erst an, erklärt Ou-zunova: „Sie müssen dieses von uns deutlich verbes-serte Material untereinander kreuzen und aus denzahlreichen Tochterlinien die Varianten mit dem

höchsten Ertrag auswählen“. Dazu werden die Li-nien an unterschiedlichen Standorten ausgesät undbis zur Ernte zahlreiche agronomische Daten wieWuchsverhalten, Nähr stoff auf nahme und Photosyn-thesleistung erfasst. Diese zeitaufwändigen Leis-tungserhebungen sollen künftig deutlich reduziertwerden – so das ehrgeizige Ziel des GABI-ENERGY-Konsortiums.

Um es zu erreichen, wurden auf Versuchsfeldernder Universität Hohenheim in zwei aufeinander fol-genden Jahren 300 Mais-Inzucht- und 600 Hybrid-linien angebaut und geerntet. Vier Wochen nachder Aussaat wurden Blattproben genommen undam Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphy-siologie in Potsdam-Golm auf ihren Gehalt an In-haltsstoffen untersucht. Ergebnis: „Mittels Gas chro -ma to gra phie-gekoppelter Massen spek tro me triekonnten wir 118 Subs tan zen identifizieren. Die sta-tistische Auswertung durch die Kollegen an den Uni-versitäten Potsdam und Hohenheim erbrachte ei-ne starke Korrelation bestimmter Metabolitenprofi-le mit der Biomasse. Wir können also aus dermengenmäßigen Zusammensetzung mehrererSchlüsselsubstanzen auf den späteren Ertrag einerMaislinie schließen – und zwar bereits in jungenPflänzchen“, betont Professor Thomas Altmann vomLeibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflan-zenforschung (IPK) Gatersleben, der die Studien ko-

ordiniert. Parallel zur Metabolitenzusammenset-zung wurden von jeder der 300 Inzuchtlinien 50.000genetische Marker erfasst, so Altmann: „Aus derKombination dieser unterschiedlichen Informa tio-nen wollen wir Profile erstellen, mit denen sich dieErtragsleistung der Hybridlinien künftig noch ge-nauer vorhersagen lässt“.

Bonitur-Arbeiten im

Gewächshaus: Eine KWS-

Mitarbeiterin prüft züchte-

risch relevante Merkmale

an Maispflanzen.

Facetten der Genomforschung

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Resistente Pflanzen für eine gesunde Ernährung

Pilzkrankheiten führen alljährlich zu gravieren-den Ernteeinbußen bei den weltweit meistan-gebauten Getreidearten. Bestimmte Schimmel-pilze produzieren zudem Mykotoxine, die fürMensch und Tier bereits in geringer Dosis giftigsind. Um die Ertragssicherheit zu steigern unddie Verunreinigung des Korns durch Giftstoffezu vermeiden, werden neue pilzresistente Wei-zen- und Getreidesorten benötigt. Mehrere GA-BI-Verbünde arbeiten daran, die genetischenGrundlagen pflanzlicher Abwehrmechanismenaufzuklären und für die Bereitstellung wider-standsfähiger Leistungssorten zu nutzen.

Pflanzen haben in den Jahrmillionen ihrer Evo-lution zahlreiche Abwehrmechanismen entwickelt,um sich gegen Pilze und andere Krankheitserregerzu schützen. Pflanzen verteidigen sich so wirkungs-voll gegen die meisten Schädlinge, dass sie garnicht erst als deren Wirt in Frage kommen. So be-fällt zum Beispiel der Weizen-Mehltau nur Weizen,nicht aber andere Gerste – und Gersten-Mehltaueben ausschließlich Gerste. Große Unterschiede gibtes auch innerhalb einer Getreideart: Wenn etwaWeizen prinzipiell als Wirt für einen speziellen Pilzin Frage kommt, sind doch manche Weizensortendeutlich besser gegen Befall geschützt als andere.

Pflanzenzüchter haben sich dieses Phänomenschon von jeher zunutze gemacht. Sie wählen ausder natürlichen Vielfalt die widerstandsfähigsten

Varianten aus und kreuzen deren Eigenschaften inbestehende Sorten ein. Doch dieses Verfahren hatzwei entscheidende Nachteile: Zum einen sind er-wünschte Eigenschaften oft genetisch gekoppeltmit weniger erwünschten Merkmalen; das erfolgrei-che Einkreuzen einer erhöhten Abwehrkraft kannalso beispielsweise mit verminderter Kornqualitätoder geringerer Wuchsfreudigkeit einhergehen. Zumanderen lehrt die Erfahrung, dass einzeln einge-kreuzte Resistenzen meist relativ schnell wiedervon den betreffenden Erregern überwunden wer-den.

„Wir wollen aber gerade die dauerhafte Resis-tenz wichtiger Getreidearten erhöhen“, sagt Dr.Patrick Schweizer vom Leibniz-Institut für Pflanzen-genetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Ga-tersleben. „Die konventionelle Züchtung stößt hieran ihre Grenzen. Denn dauerhafte Resistenzen, dieüber Jahrzehnte wirksam sind, basieren in der Re-gel nicht auf einem einzelnen Gen“, so der Biologe,„vielmehr werden sie von mehreren Genen vermit-telt, die sich in ihrer Wirkung addieren. Über diesequantitativ wirkenden Gene und ihr komplexesWechselspiel ist bisher noch viel zu wenig bekannt.“

Diese Wissenslücken versuchen mehrere GABI-Projekte mit unterschiedlichen Ansätzen zu schlie-ßen. Der Forschungsverbund PRO-GABI ging der Frage nach, welche Gene in Gerstenzellen aus-schließlich bei Pilzbefall aktiv sind. Um ihren Ener-gie-Haushalt zu schonen oder schädliche Neben -effekte zu minimieren, aktivieren Pflanzen mancheAbwehr-Gene nur im Ernstfall und nur in jenen Gewebetypen, die tatsächlich von einer Infektionbetroffen sind. Mehltau-Pilze befallen zum Beispielnur die oberste Schicht der Gerstenblätter und ernäh-ren sich von lebenden Zellen. Dagegen dringen dieErreger der Ährenfusariose vorzugsweise über dieSpelzen ein und leben von abgetötetem Gewebe.

Welche Gene erst nach Kontakt mit bestimmtenSchadpilzen im Blatt-, Frucht- oder Wurzelgewebeangeschaltet werden, lässt sich durch Expressions-studien ermitteln. Dazu betrachtet man nicht diePflanzengene selbst, sondern die von ihnen abge-schriebene Boten-RNA. Diese Molekülgruppe wirdnur von aktiven Genen gebildet und ist somit einverlässliches Spiegelbild der spezifischen Genaktivi-tät eines Zelltyps in einer bestimmten Situation. Umdiejenigen Gensequenzen aufzuspüren, die als Re-

Zwei Weizenähren, die expe-

rimentell in je einem Ähr-

chen mit Pilzsporen der

Ährenfusariose infiziert wur-

den (schwarz markiert). In

der resistenten Pflanze im

Bild links breitet sich der

Schadpilz deutlich weniger

aus als in der anfälligen

Pflanze im Bild rechts.

Facetten der Genomforschung

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aktion auf eindringende Erreger abgelesen werden,verglich das PRO-GABI-Team Art und Menge der Bo-ten-RNA von infizierten und nichtinfizierten Gers-tenzellen. Tatsächlich fanden die Wissenschaftlerzahlreiche Gene, die nur in von Pilzen befallenem,nicht aber in unversehrtem Gewebe exprimiert werden.

Besonders interessant an diesen Genen sind je-ne Bereiche, die gleichsam als Ein- und Aus-Schal-ter für die Genexpression fungieren: die Promotoren.Sie bestimmen, ob die kodierenden Abschnitte desGens in Boten-RNA umgeschrieben werden odernicht. Den PRO-GABI-Forschern gelang es, mehrerepotente Promotoren zu isolieren, beispielsweiseden Germin-Promotor: Er ist in Blättern und Wur-zeln von Gerste aktiv – und zwar nur nach Kontaktmit Schadpilzen. „Wir wissen, dass dieser Promo-tor auf diverse Pathogene anspricht, also nicht nur

auf Mehltau, sondern auch auf einige andere Krank-heitserreger“, so Patrick Schweizer: „Das funktio-niert in der Gerste, aber auch im Weizen und imMais. Wir haben hier also ein Werkzeug, mit demsich eine Abwehrreaktion nur dann und nur dortauslösen lässt, wo ein Pathogen angreift. Für diesesWerkzeug haben wir Patentschutz erworben.“

Im Forschungsverbund GABI-PHENOME leisteneinige der neu entdeckten Promotoren bereitswertvolle Dienste. Zum einen lassen sie sich mit be-kannten oder mutmaßlichen Resistenz- und Ab-wehrgenen kombinieren, um deren Wirkung zu ver-stärken oder zu untersuchen. Als Test-Kandidat da-zu dient auch eines von zehn Gerstengenen, die imForschungsprojekt GABI-NONHOST isoliert wurden:Sie tragen wesentlich dazu bei, dass Gerste gegenWeizen-Mehltau immun, also nicht als Wirt geeig-net ist. Dieses Gen der Nicht-Wirts-Resistenz will

Verschiedene Gerstensorten

aus der Genbank des IPK

Gatersleben, deren Blätter

mit hochvirulenten Isolaten

des Mehltaupilzes infiziert

wurden. Neben stark an -

fälligen Sorten (z.B. „I“,

linke Reihe Mitte) gibt es

solche mit mittlerer

Anfälligkeit oder hoher

Resistenz (rechte Reihe

unten).

Facetten der Genomforschung

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das GABI-PHENOME-Team zusammen mit den neu-en Promotoren in Weizenpflanzen einschleusen undprüfen, ob sie auch dort ihre Abwehrwirkung ge-gen Weizen-Mehltau entfalten. Zum anderen hel-fen die potenten Promotoren herauszufinden, wel-che Gene überhaupt an der pflanzlichen Abwehr-maschinerie gegen Pathogene beteiligt sind. „Wennes gelingt, die Mechanismen der dauerhaften Resis-tenz und die dahinter liegenden Gene zu finden,dann ist es prinzipiell auch möglich, mehrere da-von geschickt zu kombinieren und damit eine neueGeneration transgener Pflanzen zu entwickeln“,hofft Patrick Schweizer.

„In GABI-PHENOME betrachten wir das Gerste-Mehltau-System aus mehreren Perspektiven“, er-klärt Schweizers Kollege am IPK Gatersleben, Dr. Jo-chen Kumlehn: „Zum einen koppeln wir ein inte-ressantes Kandidaten-Gen mit einem der beidenPromotoren. So sehen wir, welche Effekte und Ne-beneffekte entweder die dauerhafte oder die vomPilz induzierte Aktivität dieses Gens für die Pflanzen

hat. Eine andere Option besteht darin, das Kandi-daten-Gen abzuschalten und die Folgen davon zuuntersuchen.“ Das gelingt durch die RNA-Interfe-renz-Technik mittels doppelsträngiger RNA, kurzdsRNAi: Dabei werden Gene gezielt an ihrer Expres-sion gehindert und so gleichsam stumm gemacht –daher spricht man auch von �gene silencing'.

Bislang nutzen die Biologen die dsRNAi-Tech-nik, um Gene auszuschalten und so ihre Funktionaufzuklären. Wie aber wäre es, wenn man diesesWerkzeug den Pflanzen zur Verfügung stellen könn-te, sodass sie damit Gene der Schadpilze abschaltenkönnen? Diesen kühnen Gedanken verfolgen dieGABI-PHENOME-Forscher zusammen mit fünf Part-nern aus drei Ländern in einem Anfang 2010 an-gelaufenden europäischen Verbundprojekt namensdsRNA-guard. Die Anregung zu dem viel verspre-chenden Ansatz gab ein Zufallsbefund aus dem La-bor von Patrick Schweizer: „Wir haben Hinweise da-rauf, dass in der Pflanze gebildete RNAi-Molekülevon eingedrungenen Pilzen aufgenommen werden.Das hat uns auf die Idee gebracht, dieses Prinzipals Waffe gegen die Schadpilze zu nutzen: Wir wol-len die Wirtspflanzen dazu bringen, selbst hochspe-zifische RNAi-Moleküle herzustellen, die essentiel-le Gene des Pilzes außer Kraft setzen.“

Die Suche richtet sich auf solche Gene, die fürden Grundstoffwechsel oder die Infektiosität vonPilzen notwendig sind – jedoch bei Pflanzen, Menschund Tier keine Entsprechung haben. „Mit einemkombinierten RNAi-Konstrukt könnten wir mögli-cherweise verschiedene Erreger auf einmal treffenohne Nebenwirkungen für die Getreidepflanzenoder die Konsumenten zu riskieren“, betont JochenKumlehn: „Damit hätten wir in den Pflanzen einenperfekten Abwehrmechanismus installiert – undmüssten gegen die entsprechenden Pilze keine Fun-gizide mehr aufs Feld spritzen. Das nenne ich ver-trägliche Landwirtschaft.“

Blattgewebe einer Mehltau-

resistenten Gerstensorte nach

Beschuss mit DNA-beschich-

teten Goldpartikeln (oben).

Zwei der Epider mis zellen

(grün) wurden erfolgreich

transformiert und haben ihre

Resistenz durch die Ex pression

des Anfällig keitsgens Mlo

teilweise eingebüßt. Infol ge -

dessen konnte der Schadpilz

bereits in einer der Zellen

Hyphen ausbilden (dunkel-

blaue Struktur Mitte).

Die Mikroskopbilder werden

von Labor-Robotern voll auto -

ma tisch ausgewertet, um

den Anteil transfor mierter

Zellen sowie deren Infek -

tions häu figkeit zu erfassen.

(Bild unten)

Facetten der Genomforschung

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Nahrhaft und gesund: Lebens- und Futtermittel aus Raps

Rapsöl gilt wegen seines hohen Gehaltes anmehrfach ungesättigten Fettsäuren als beson-ders wertvoll für die menschliche Ernährung. Beider Ölgewinnung aus Rapssaat fallen Pressrück-stände an, die ebenfalls als Nährstoffquelle inFrage kommen. Das Problem: Der Extraktions-schrot ist zwar reich an hochwertigem Eiweiß,enthält aber auch Bitterstoffe und unverdauli-che Fasern, die seinen Wert als Nahrungsmittelmindern. In einem deutsch-kanadischen Ver-bundprojekt wollen Genomforscher nun die Zu-sammensetzung der Inhaltsstoffe im Rapsschrotoptimieren, um seine Eignung als Futter- undLebensmittel zu erhöhen.

Leuchtend gelbe Rapsfelder gehören hierzu lan -de längst zum gewohnten Landschaftsbild, undRapsöl hat heute einen festen Platz in der deut-schen Küche. Was nur wenige Verbraucher wissen:Früher wurden die ölhaltigen Samen der Kreuzblüt-ler hauptsächlich zu Schmiermittel, Brenn- undLeuchtöl verarbeitet. Erst Ende der 1960er Jahre be-gann man sie auch als Quelle für Speiseöl zu nutzen.Denn bis dahin enthielten alle verfügbaren Rapsli-nien bestimmte Fettsäuren und Senföle, die unan-

genehm schmecken oder gar Herzschäden hervor-rufen. Dann aber suchten kanadische Biologen ineinem umfangreichen Screening nach natürlichenMutanten – und fanden einige, die deutlich geringe-re Mengen der unverträglichen Substanzen enthiel-ten. Durch aufwändige Rückkreuzungen mit ertrag-reichen Zuchtstämmen entstanden daraus schließ-lich jene Rapssorten, die auch in Deutschland zurGewinnung von hochwertigem Speiseöl angebautwerden.

Mit der wachsenden Nachfrage nach Rapsöl fal-len immer größere Mengen an Extraktionsschrotan. Schon heute dient die eiweißreiche Pflanzen-masse als Tierfutter, vor allem für Rinder. „Wieder-käuern bekommt der Rapsschrot gut. Verglichen mitSojaschrot ist sein Energiegehalt aber niedrig, denner enthält zu viele unverdauliche Fasern, insbeson-dere Lignin“, erklärt Dr. Rod Snowdon vom Inter-disziplinären Forschungs zentrum für biologischeGrundlagen der Umweltsicherung (IFZ) der Univer-sität Gießen. Für andere Nutztiere ist der Pressku-chen nur bedingt als Futter geeignet: Sie könnendie darin enthaltenen Fasern noch schlechter auf-schließen als Kühe. Dazu kommt die negative Wir-

Ausgedehnte Rapsfelder

prägen das Landschaftsbild

in vielen Regionen Deutsch -

lands. Aus den Pflanzen -

samen soll neben Speiseöl

künftig auch der nahrhafte

Rapsschrot vermehrt genutzt

werden.

Facetten der Genomforschung

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kung von Sinapin: Schweinen verleidet die zu denPhenolsäuren zählende Substanz den Geschmack,und bei Hühnern führt ihr Verzehr zum fischigenGeruch der Eier.

„Wir wollen die Qualität des Extraktions schro -tes verbessern, damit es auch in der Schweine- undHühnerfütterung in größeren Mengen eingesetztwerden kann“, betont IFZ-Wissenschaftler Profes-sor Wolfgang Friedt, der das binationale Forschungs-konsortium GABI-YelLowSin koordiniert. Der Nameist Programm: Yellow spielt darauf an, dass Rapssaatmit niedrigem Fasergehalt oft gelb gefärbt ist;LowSin bezieht sich auf den Sina pin gehalt der Sa-men. Ziel des Verbund projekts ist es, Rapslinien mitdeutlich niedrigerem Gehalt an Lignin und Sinapinbereitzustellen.

Den Ölgehalt und andere wichtige Qualitäts -merk male der Rapssaat können Züchter längst inRoutinetests bestimmen, die anhand von Referenz-daten exakte Messwerte liefern. Was den Lignin-gehalt betrifft, mussten sie sich bisher auf die Sa-menfarbe verlassen: Gelbsamige Linien besitzen er-fahrungsgemäß dünnere Schalen mit entsprechendgeringem Faseranteil. Die IFZ-Wissenschaftler ha-ben nun ein Verfahren entwickelt, das mittels Nah-Infrarot-Spektroskopie (NIRS) schnell und zuverläs-sig den Fasergehalt der Samen ermittelt. RodSnowdon: „Damit können wir im Hochdurchsatz aufniedrige Faserwerte selektieren – und erstmals auchdie genetischen Grundlagen untersuchen. Dazu tes-ten wir eine große Kollektion aus mehreren tau-send Linien, die sich in ihrem Ligningehalt unter-scheiden. Dann versuchen wir, die beobachtete Va-riation in Bezug zu den entsprechenden Genotypenzu setzen. Durch Assoziationsstudien haben wir ei-ne Genregion gefunden, die offenbar für den Li-gningehalt der Schale ausschlaggebend ist“. DieTests lieferten eine überraschende Erkenntnis: Auchbraune Samen können wenig Fasern enthalten.

Die genaue Lage des betreffenden Gens ist imkomplexen Rapsgenom nicht ganz einfach festzustel-len. „Wir haben eine Genomregion gefunden, der

auf der genetischen Karte einen relativ großen Be-reich einnimmt und daher sehr schwierig mit Mar-kern eingrenzbar ist“, so Snowdon. Ein Blick auf dasweitgehend sequenzierte Genom des nah verwand-ten Rübsen brachte den Durchbruch: Via Sequenz-vergleich stießen die Gießener Wissenschaftler aufmehrere beteiligte Gene, darunter ein Schlüsselgender Phenylpropanoid- und Ligninbiosynthese – al-so jener Stoffwechselwege, die an der Entstehungvon Sinapin und Lignin beteiligt sind. „Damit sind wirgenau den Merkmalen auf der Spur, die wir verbes-sern wollen“, freut sich Snowdon: „Im nächstenSchritt wollen wir die zugrunde liegenden Gene klo-nieren und mit Hilfe des NIRS-Screenings nach wei-teren interessanten Genvarianten suchen“.

Im Falle von Lignin verfolgten die GABI-For schereinen Ansatz, der sich vereinfacht als Vor wärts-Genetik� bezeichnen lässt: Man betrachtet möglichstviele Varianten eines Merkmals und sucht mit Hilfe von Assoziationsstudien nach denjenigen Genvarianten, die das erwünschte Er scheinungsbildbedingen. Hinsichtlich Sinapin wähl ten die Wissen-schaftler den umgekehrten Weg, eine Art �Rück-wärts-Genetik�: „Wir verändern alle möglichen Kandidatengene und sehen nach, ob sich der Sinapingehalt verändert“, erläutert Snowdon. Dennin puncto Sinapingehalt zeigen Rapssamen – an-ders als beim Faseranteil – sehr wenig natürlicheVariation.

Dem lässt sich künstlich nachhelfen. Mit geeig-neten Chemikalien erzeugen die GABI-Forscher wahl-los Punktmutationen im gesamten Genom von Raps-keimen – in der Hoffnung, dabei zufällig auch jeneGene zu verändern, die den Sinapingehalt beein-flussen. Entstehen dabei lebensfähige Pflänzchenmit deutlich reduzierten Sinapinmengen, dann be-ginnt die eigentliche Arbeit: Mit Hilfe der TILLING-Technologie werden die zuständigen Gene identifi-ziert. Die Methode ermöglicht es, im Hochdurch-satz-Screening Mutanten eines bestimmten Genszu erkennen – allerdings nur, wenn die betroffenenDNA-Stücke bekannt sind und spezifische Sondenzu ihrer Identifikation bereitstehen.

Aus der Vielzahl unterschied-

licher Rapssorten und -varie-

täten suchen GABI-Forscher

nach Pflanzen, deren Samen

den geringsten Gehalt an

unbekömmlichen Inhalts -

stoffen aufweisen.

Facetten der Genomforschung

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Diese Voraussetzungen schufen Dr. Carsten Mil-kowski und Dr. Juliane Mittasch am Leibniz-In-stitut für Pflanzen-Biochemie in Halle zusammenmit Dr. Gopalan Selvaraj vom staatlichen Plant Bio-technology Institute in Saskatoon, Kanada. Die Ge-nomforscher untersuchten verschiedene dunkel-und hellsamige Rapslinien, welche die beteiligtenZüchtungsunternehmen sowie ein weiterer Partneraus Saskatoon, Dr. Gerhard Rakow von Agricultureand Agri-Food Canada, bereitstellten. In einem gen-technischen Ansatz – dabei werden DNA-Bereichemittels RNAi komplett stillgeschaltet, um derenFunktion zu ergründen – konnten sie eine Reihe vonGenen identifizieren, die den Sinapingehalt beein-flussen. „Weil es sich dabei um transgene Pflanzenhandelt, wollen wir sie nicht für die Züchtung inDeutschland einsetzen“, erklärt Rod Snowdon, „dochsie geben uns die notwendigen Hinweise, auf wel-che Gene wir uns konzentrieren müssen“. Mit die-sem Wissen gelang es einer Arbeitsgruppe um Pro-fessor Christian Jung von der Universität Kiel, mittelsTILLING rund zwei Dutzend Genvarianten mit unter-schiedlichen Mutationen zu identifizieren.

Diese Raps-Mutanten sollen die Basis für neueYelLowSin-Sorten mit niedrigem Lignin- und Sina-pingehalt bilden. Doch weil sie wenig ertragreichund auch hinsichtlich ihres Ölgehalts und weitererwichtiger Eigenschaften unzulänglich sind, müssen

sie in bewährte Hochertragssorten eingekreuzt wer-den. Dieses ehrgeizige Ziel haben sich die Indus-triepartner des GABI-Projekts gesteckt – nament-lich die Unternehmen Nord deutsche Pflanzenzucht,Deutsche Saatveredelung und KWS Saat. Solcheoptimierten Rapslinien könnten künftig ein be-gehrtes Tierfutter in Form von leicht verdau-lichem und bekömmlichem Schrot liefern.

Doch damit sei sein Potenzial bei Weitemnoch nicht ausgeschöpft, betont WolfgangFriedt: „Eine wesentliche Intention un-serer Forschungen war es von An-fang an, Rapseiweiß für diemenschliche Ernährung zugäng-lich zu machen“. Vorstellbar wä-re dessen Verwendung in all je-nen Lebensmitteln, die Sojaschrotenthalten. Dass es durchaus einenMarkt für entsprechende Produkte mitRapsprotein geben könnte, lässt ein eben-falls vom BMBF gefördertes Projekt namensNapus 2000 hoffen: Damit zubereitete Wurst-waren wurden von Testpersonen als ge-schmacklich ansprechend beurteilt. In Ka-nada hat diese Entwicklung bereits be-gonnen, weiß Friedt: „Dort drängenbereits Firmen mit Rapsproteinisolatenund -konzentraten auf den Markt“.

Um neue Rapslinien mit

einer optimierten

Zusammensetzung von

Samen-Inhaltsstoffen zu

erhalten, werden zahlreiche

Kreuzungen hergestellt und

auf Versuchsfeldern ange-

pflanzt.

Facetten der Genomforschung

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Klein, aber oho! Mikroorganismen – nützliche Helfer und todbringende Feinde des Menschen

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Moderne genombasierte Forschungsansätze eröffnen heute völlig neue Möglichkeiten, die gene-tischen Grundlagen der nü�tzlichen wie auch der schädlichen Eigenschaften von Mikroorganismenaufzuklären und dieses Wissen anwendungsorientiert zu nutzen. Diese Entwicklung weiter vor-anzutreiben ist Gegenstand der Genomforschung an Mikroorganismen.

Mikroorganismen, Ureinwohner der Erde undseit An be ginn der Mensch heits ge schich te un se-re stän digen Begleiter. Winzig klein und doch sogewaltig, im Gu ten wie im Schlech ten: Dienst -leister, Unheilbringer und Hoff nungs trä ger füruns alle. Doch was ist ihr Er folgs ge heim nis? Wasmacht sie so schlagkräftig? Wie können wir unsvor ihnen schützen, wie ihre immensen Fähig -kei ten zu unserem Nutzen einsetzen? Im Rah -men der GenoMik-Förderinitiative versuchen Wis-senschaftler ihren Geheim nissen auf die Schli-che zu kommen.Auch mehr als 60 Jahre nach dem ersten Einsatzdes Penicillins zur Behandlung von Infektions krank -heiten sterben weltweit jedes Jahr Millio nen Men -schen an bakteriellen In fek tionen. Bak te rien bedro-hen nicht nur die mensch liche Ge sundheit, sondernverursachen auch als Erreger von Pflanzen- und Tier - krank hei ten jährlich weltweit einen enormen volks -wirt schaft lichen Scha den. Die Kleinstle be we senbegeg nen uns jedoch nicht nur als Unheil bringer,sondern auch als nützliche Helfer. Bereits vor Jahr -tau senden haben sich Menschen bestimmte Eigen-schaften der Mikro organis men zu Nutze ge macht,wie bei der Her stellung von alkoholischen Geträn-ken oder der Brot- und der Käseproduktion. Auf-grund ihrer vielfältigen Stoffwech sel leis tun gen sindBak te rien heute auf vielen Gebieten ein unverzicht-barer Teil in industriellen Pro duk tions pro zessen ge-worden. In der modernen Bio tech nologie leis ten siedamit einen wichtigen Bei trag für die energie- undressourcenschonende Pro duk tion wert voller Sub-stanzen.

Moderne genombasierte For-schungsansätze eröffnen heute völligneue Möglichkeiten, die genetischenGrund lagen der nützlichen wie auchder schädlichen Ei genschaften vonMikro or ganismen auf zuklären und die-ses Wissen anwendungsorientiert zunutzen. Diese Ent wicklung weiter vor -an zu treiben ist Gegenstand der Geno-Mik-Initiative (Genomforschung an Mi-kroorganismen), die im Jahre 2001durch das Bun des mi nisterium für Bil -dung und For schung (BMBF) ins Lebengerufen wurde. Auf den nächsten Sei-ten erfahren Sie mehr über einige bei-spielhaft aus ge wählte, zukunftswei-sende Projekte.

Facetten der Genomforschung

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Bakterien werden aufgrund ihrer vielfältigen Stoff -wechselleistungen seit langem für die Pro duktionspezifischer Biokatalysatoren, Fein che mi kalienund medizinischer Wirkstoffe genutzt. SteigendePreise für Roh stoffe und Energie verlangen indesnach immer effektiveren und zu gleich umwelt-und ressourcenschonenden Verfahren. Ein Geno -Mik-Pro jekt befasst sich mit der Analyse der ge-netischen Elemente und physiologischen Leistun-gen zweier industriell relevanter Bakterien-Arten,um neue Produktionsstämme mit verbessertenEigen schaften herzustellen.

Sie sind rund um die Uhr einsatzbereit und lie-fern zuverlässig die bestellte Ware: Mikro orga -nis men im Dienste der Industrie. Besonders be gehrtsind ihre vielseitig verwendbaren Enzy me, allen vo-ran Proteasen und Lipasen. Weil sie Ei weiße und

Fette spalten – also beispielsweise auch Tomatenfle-cken und Himbeereis von Klei dungs stücken entfer-nen können – eignen sie sich als Waschmittelzu-satz. Andere Enzyme ermöglichen hochspezifischebiochemische Reaktionen, bei denen stofflich iden-tische Moleküle entstehen, die sich allein in ihrerräumlichen Struktur unterscheiden. Solche �chira-len� Substanzen – sie verhalten sich zueinander wieBild und Spiegelbild oder wie rechte und linke Hand– sind unentbehrlich bei der Synthese vieler Biomo-leküle, die unter anderem als Vorstufen für Medi-kamente dienen.

„Ein Schwerpunkt unserer Arbeiten ist die Iso -lierung und Charakterisierung spezifischer Lipasen,mit denen sich z.B. chirale Alkohole oder Amineherstellen lassen“, sagt Prof. Karl-Erich Jaeger, derdas Institut für Molekulare Enzymtechnologie derUniversität Düsseldorf im Forschungszentrum Jü-lich leitet und zugleich das Verbundprojekt ‚MiPro‘koordiniert. Die Abkürzung steht für �Mi kro -organismen als Produktionsstämme� und verweistauf das Ziel des Forschungsvorhabens: die Kon-struktion neuer in dus triell nutzbarer Mikro ben -stämme. Als Aus gangs material dienen zwei Bak -te rienarten, die be reits seit langem in der weißenBiotechnologie genutzt werden. Wirtschaftlich re levante Pro duk tionsstämme dieser Spezies wer-den von den beiden Indus trie partnern des MiPro-Konsortiums zur Verfügung gestellt: Bacillus pu -milus von der Henkel AG & Co. KGaA und Burk -holderia glumae von der BASF AG.

Ursprünglich stammen diese Mikroorganis menaus der Natur. Sie wurden über viele Jahre hinwegimmer wieder getestet, verändert und für die Pro-duktion bestimmter Biomoleküle optimiert. „BeiBurkholderia begann das vor mehr als 10 Jahren;damals hat man möglichst viele Wild typ stämmedarauf untersucht, welcher eine er wünschte Reak-tion am besten macht“, erklärt Karl-Erich Jaeger undbeschreibt die weitere Ent wicklung: „Bei BASF woll-te man natürlich herausfinden, welches Enzym

Mikroorganismen für die industrielle Produktion von Biomolekülen

3D-Struktur der Lipase LipA

aus Pseudomonas aerugi -

nosa. Sie ähnelt in Struktur

und Funktion der Lipase

aus Burkholderia glumae.

Facetten der Genomforschung

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eigentlich hinter dieser Reaktion steckt – und soentdeckte man nach jahrelanger Arbeit eine beson-dere Lipase. Im nächsten Schritt hat man mit ver-schiedenen Methoden Mutationen in dem Ur-sprungsbakterium erzeugt und dann solche Mutan-tenstämme gesucht, die deutlich mehr Lipaseproduzierten als der Wildtyp.“

Auf diese Weise erhielten die BASF-Forscherschließlich einen Produktionsstamm, der tau-sendmal mehr dieser Lipase herstellen kann als derAusgangsstamm. Nun sollen die molekularen Ursa-chen dieser Veränderung untersucht werden, er-klärt Mikrobiologe Jaeger: „Wir wollen wissen: Waspassiert denn in einer Zelle, die solch‘ große Men-gen dieses einen Proteins produzieren und dannnoch nach außen abgeben muss? Welche Mu -tationen ermöglichen diese Leistungs stei ge rung?Welche zellulären Mechanismen laufen da ab? Wel-che Gene und Reaktionen sind – abgesehen vondem Lipase-Gen – betroffen, damit der Organismusals Ganzes funktioniert?“ Um diese Fragen zu be-antworten, vergleichen die Genomforscher den leis-tungsstarken Indus triestamm mit dem unveränder-ten Wildstamm. „In einem vorherigen GenoMik-Pro-jekt haben wir in Zusammenarbeit mit demGöttinger Labor für Genomanalyse schon das kom-plette Genom des Wildtyp-Stammes sequenziert.Darauf können wir nun zurückgreifen“, sagt Jaegerund erläutert das weitere Vorgehen: „Nun wollenwir anhand von Expressionsanalysen sehen, wel-che Gene des Produktionsstamms vermehrt odervermindert ab gelesen werden. Ein Proteom-Ver-gleich zeigt uns dann, ob es mehr oder weniger ei-nes be stimmten Proteins gibt. Und mit Hilfe vonMetabolom-Untersuchungen können wir sehen, wel-che Me ta bolite vermehrt ge- oder verbraucht wer-den. Mit Hilfe all dieser Daten, die unsere Kollegenvon der Universität Greifswald liefern, wollen wirschließlich gemeinsam versuchen, den Produktions -stamm weiter zu optimieren“.

An der Umsetzung dieses ehrgeizigen Vor habensbeteiligen sich insgesamt fünf For schungsinstitute anden Universitäten Düsseldorf, Greifs wald und Müns-ter sowie das Institut für Phar mazeutische ForschungSaarland des Braun schweiger Helmholtz Zentrumsfür Infektions for schung, dazu die beiden Biotech-nologie-KMUs evocatal GmbH in Düsseldorf und Ge-ne Bridges GmbH in Heidelberg. Die ersten Analy-sen des Transkriptoms und Proteoms von Burkhol-deria glumae sind bereits erfolgt und werden derzeitausgewertet, außerdem wurde das komplette Ge-nom des Produktionsstamms von Bacillus pumilusse quenziert. „Das ist zunächst Grundlagen for -schung“, betont Jaeger, „doch unsere Erfahrung ist:

Was immer wir dabei an überraschenden Dingenfinden, kann auch für eine künftige An wen dung in-teressant sein. Man könnte sich zum Beispiel vorstel-len, dass wir im Zusammen hang mit unserer speziel-len Lipase irgendein bislang un bekanntes Proteinfinden, das dieser Lipase hilft, sich schneller zu fal-ten oder besser sekretiert zu werden. Sollte sichdann herausstellen, dass dieses hypothetische Pro-tein auch für die Faltung und Sekretion anderer in-dustriell bedeutsamer Enzyme verwendbar ist, dannhätten unsere Forschungsergebnisse plötzlich einenenormen kommerziellen Mehrwert“.

Neben Lipasen und anderen Enzymen produ-zieren Bakterien eine Vielzahl weiterer Natur stof-fe, die von besonderem Interesse für die WeißeBiotechnologie sind. Dazu gehören die Lipo pepti-de, eine Klasse von kleinen, vielseitigen Biomo-lekülen: Einige von ihnen töten Bakterien oder pa-thogene Pilze ab und eignen sich somit für denEinsatz als Antibiotika. Andere wirken wie wasch-aktive Substanzen; solche �Bio-Detergentien� sindbiologisch abbaubar und gelten daher als gesund-heitsfreundliche und umweltverträgliche Alterna-tive für synthetische Substanzen mit ähnlicherFunktion. Sie bieten sich als Zusatz in Waschmit-teln oder Kosmetika an, aber auch für den großflä-chigen Einsatz in natürlichen Ökosystemen: Dortkönnten sie beispielsweise helfen, durch Erdöl ver-schmutzte Böden oder Meeres regionen schnell undrückstandsfrei zu reinigen.

30-Liter-Fermenter zur

Kultivierung von Bakterien-

Produktionsstämmen.

Facetten der Genomforschung

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Bedienpanel eines Gas-

Chromatographen zur

Analyse bakterieller

Biomoleküle.

„Wir wollen herausfinden, welche Moleküle un-sere zwei Modell-Organismen überhaupt herstel-len können und ob auch interessante Lipopeptidedabei sind. Aus der Ge nomanalyse haben wir Hin-weise, dass sie tatsächlich Lipopeptide machen kön-nen. Dann geht es darum, die Struktur dieser Lipo-peptide aufzuklären. Und schließlich versuchen wir,unsere Pro duktions stämme zur vermehrten Herstel-lung solcher Na tur stoffe anzuregen“, erklärt Prof.Rolf Müller, Ge schäftsführender Direktor des Helm -holtz-Ins ti tuts für Pharmazeu tische Forschung Saar-land.

Neben Burkholderia glumae und Bacillus pu -mil us sind auch diverse andere Mikro orga nis menin der Lage, Lipopeptide herzustellen. „Doch oft sind

diese Bakterien nicht oder nur schwerlich in dustriellnutzbar, weil sie zu langsam wachsen oder schwerzu kultivieren sind. Dazu gehören zum Bei spiel un-sere �Haustiere�, die Myxo bakterien oder auch dieActino myceten. Im Rahmen der GenoMik-Förderungha ben wir bereits mehrere Lipopeptide gefunden,die wie Tenside wirken, aber keine antibiotischenEigen schaf ten haben und sich also unbedenklich inWasch mitteln einsetzen lassen sollten “, so Müller.Sein kühner Plan: „Wir entwickeln Methoden, umdiese Biosynthese – sprich: den ganzen genetischenApparat, den so ein Myxobakterium oder Actino -my cet braucht, um ein interessantes Lipopeptid zumachen – quasi in unsere Produktionsstämme zuverpflanzen, damit sie diese Substanz herstellen“.Das ist einfacher gesagt als getan. Denn die ent-sprechenden Biosynthese-Cluster umfassen etwahundertmal mehr genetische Elemente als ein ein-zelnes Gen. Dennoch ist Rolf Müller zuversichtlich,dass dieser Coup gelingt: „Erste Ergebnisse weisendarauf hin, dass der Transfer auf unseren Burkhol-deria-Stamm geglückt ist und die Pro duk tion vonfremden Naturstoffen in der Tat gelingt“.

Myxobakterien der Art

Byssovorax cruenta – im Bild

ein Schwarm aus tausenden

Einzelzellen – produzieren

medizinisch und industriell

nutzbare Naturstoffe.

Facetten der Genomforschung

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Infektionskrankheiten: Wie Bakterien ihre Wirtszellen überlisten

Millionen Menschen sterben jedes Jahr an denFol gen von Tuberkulose, Typhus oder Lungen -entzündung. Diese schweren Infektionskrank-heiten werden von Bakterien ausgelöst, die inmenschliche Zellen eindringen und sich darinvermehren. Wie es den Erregern gelingt, sichin ihren Wirtszellen einzurichten und deren Ab-wehrmechanismen zu umgehen, untersucht einForschungskonsortium am Beispiel von fünf be-deutenden Krankheitserregern.„Das Spektrum der Erreger reicht von solchen, dienur vorübergehend in der Zelle sind und sie dannwieder verlassen bis zu solchen, die absolut auf sieangewiesen sind. In jedem Fall beschäftigt uns dieFrage: Wie kann sich ein pathogenes Bakterium mitseiner Wirtszelle arrangieren und darin überleben?Welche Interaktionen zwischen Pathogen und Wirt

sind für dieses Arrangement entscheidend?“, er-klärt Prof. Thomas Rudel, der am Biozentrum derUniversität Würzburg ein Forschungsvorhaben imRahmen der �Medizinischen Infektionsgenomik� ko-ordiniert.

Der Verbund hat im Herbst 2010 seine Arbeitauf genommen; insgesamt sechs Partner bringenihre unterschiedlichen Kompetenzen ein: Prof. Micha-el Hensel an der Universität Osnabrück un tersuchtSalmonellen, die Erreger von Typhus und anderenschweren Darmerkrankungen. Das Spezialgebietvon Prof. Hubert Hilbi, Universität München, sindLegionellen (Lungenent zün dun gen); mit Helico-bacter (Magenentzündungen und Magenkrebs) be-fassen sich Prof. Thomas Meyer am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie sowie Prof. Rai-

Indische Tuberkulose-Patien -

tin. Die von Mykobakterien

verursachte Infektions krank -

heit fordert weltweit rund

1,6 Millionen Menschleben

pro Jahr.

Foto: © Imagebroker

RM/F1online

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ner Haas an der Universität München. Am For-schungszentrum Borstel arbeitet Prof. Ulrich Schai-ble mit Mykobakterien (Tuberkulose). Thomas Rudelselbst ist Experte für Chlamydien, die vor allem in derwestlichen Welt zu Geschlechtskrankheiten führenund in weniger entwickelten Ländern die häufigs-te Ursache für Blindheit sind.

„In der Infektionsbiologie hat man sich langeauf die Erreger konzentriert. Es zeigt sich aber im-mer deutlicher, dass auch die Wirtszellen eine ganzentscheidende Rolle spielen“, betont Rudel. Einebesondere Bedeutung kommt dabei jenem membra-numhüllten Gebilde innerhalb der Wirtszelle zu, indem sich die Bakterien nach erfolgreicher Infekti-on einnisten. Diese �pathogen containing vacuole�,kurz PCV, wird von der Wirtszelle selbst produziert:Dabei umschließt die äußere Zellmembran den ein-dringenden Erreger, stülpt sich nach innen undschnürt sich allmählich ab, bis sie schließlich als ei-genständige kleine Kapsel im Zellsaft schwimmt.Durch diesen Vorgang – Biologen sprechen von En-dozytose – hält sich die Zelle normalerweise aller-lei Fremdkörper vom Leib; sie werden einfach weg-gepackt und anschließend verdaut.

Doch viele Bakterien haben während der Evolu-tion gelernt, diesen Abwehrmechanismus der Wirts-zelle zu ihren Gunsten zu verändern – indem sie diebeteiligten Signalsysteme manipulieren. Erste Hin-weise dafür fanden Infektionsbiologen bereits vor ei-nigen Jahren. Damals hatte man beobachtet, dass

von den PCVs Signale ausgehen, die offensichtlichvon den Bakterien stammten. „Das konnte man sichzunächst nicht erklären – bis sich herausstellte, dassdie Erreger eigene Proteine oder Lipide in die Va-kuolenmembran integrieren“, sagt Rudel: „Manmuss sich das vorstellen wie einen kleinen Luftbal-lon in der Zelle: In seiner Haut stecken lauter Protei-ne und ragen ins Zytoplasma der Wirtszelle. MancheProteine werden von den Bakterien auch direkt insZytoplasma abgesondert. Bei den Chlamydien sindes einige Dutzend verschiedene Proteine, bei den Le-gionellen sogar mehr als zweihundert. Diese Pro-teine können alle möglichen Signalmoleküle desWirts binden, zum Beispiel Kinasen, Phosphatasenoder Lipide. Und von diesen Interaktionen zwischenWirt und Pathogen gehen neue Signale aus, dieletztlich das gesamte intrazelluläre Überleben derBakterien regeln“.

Nun gilt es herauszufinden, um welche bakte-riellen Proteine es sich im Einzelnen handelt undwelche Wirtsstrukturen daran andocken. Dazu müs-sen die Erreger zunächst einmal in menschlichenZellen kultiviert werden – je nach Art in humanenZelllinien aus Tumor- oder Immunzellen. Obwohldie einzelnen Verbundpartner bewusst sehr unter-schiedliche Krankheitskeime untersuchen, gibt esviele Querverbindungen, erläutert Thomas Rudel:„Das fängt bei den Wirtszellen an. So kultivierenwir zum Beispiel in Zelllinien von Phagozyten so-wohl Mykobakterien, als auch Legionellen. Für Le-gionellen hat man bereits Methoden entwickelt,um die Vakuolen aufzureinigen – und kann diesejetzt für die anderen Erreger übernehmen. Auch inanderen Bereichen profitieren die Partner gegen-seitig von den jeweils unterschiedlichen Kompeten-zen“.

Wenn es gelungen ist, die Vakuolenmembransauber von allen anderen Zellbestandteilen zu iso-lieren, kann die eigentliche Suche nach dem �Inter-aktom� beginnen – also nach den molekularenStrukturen, mit denen Bakterien mit ihrem Wirt inKontakt treten und sein Verhalten beeinflussen.Bei der aufwändigen Charakterisierung der betei-ligten Proteine bekommen die Verbundpartner Un-terstützung von einer übergeordneten Proteomik-Plattform, die mit BMBF-Geldern im Zuge der Ge-noMik-Forschung von Prof. Michael Hecker an derUniversität Greifswald eingerichtet wurde. „Wirkönnen da einfach unsere Proben hinschicken undbekommen dann die Protein-Profile des Interak-toms zurück“, so Rudel.

Weil das menschliche Genom vollständig sequen-ziert ist, lässt sich in entsprechenden Datenbanken

Chlamydia-Bakterien 24

Stunden nach der Infektion

menschlicher Epithelzellen.

Die in Vakuolen eingeschlos-

senen Krankheits-Erreger

(rot) befinden sich in unmit-

telbarer Nähe zum Kern

(blau) ihrer Wirtszellen.

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für jedes interessante Wirts-Protein das zugehöri-ge Gen aufspüren – und damit schließlich dessenFunktion untersuchen. Dabei hilft eine zweite zen-trale Technik-Plattform, die erst kürzlich am Berli-ner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie ein-gerichtet wurde: Dort werden einzelne Gene mit-tels RNA-Interferenz gezielt stillgelegt. Mit dieserTechnik können die GenoMik-Forscher dann die Fra-ge beantworten, wie ein bestimmtes Wirtsproteindurch seinen Kontakt zu bakteriellen Faktoren indas Infektionsgeschehen eingreift. Fördert es dasWachstum des Erregers oder seine Vermehrung?Oder verhindert es wichtige Immunreaktionen sei-tens der Wirtszelle? Ein tieferes Verständnis dieserSignalfunktionen, so hoffen die Wissenschaftler,könnte den Weg weisen für neuartige Konzepte zurTherapie der oft tödlichen Infektionskrankheiten.

Neben Proteinen nutzen pathogene Mikroor-ganismen auch Lipide, um mit ihrer Wirtszelle zukommunizieren und deren Abwehrstrategien zu un-terlaufen. „Zellwandglykolipide spielen eine wich-tige Rolle dabei, dass Mykobakterien ihre intrazel-luläre Nische bilden und aufrecht erhalten können“,glaubt Ulrich Schaible. Mykobakterien befallen aus-gerechnet jene Zellen im menschlichen Körper, dieauf die Vernichtung von Eindringlingen spezialisiertsind: die Fresszellen (Phagozyten) des Immunsys-tems. Wie andere Zellen auch, nehmen diese Pha-gozyten alle möglichen Fremdpartikel auf und kap-seln sie in einer – hier als Phagosom bezeichneten– Vakuole ab. Normalerweise beginnt dieses Pha-gosom innerhalb von Minuten zu reifen und machteine folgenschwere Verwandlung durch: Eine Rei-he von Verdauungsenzymen sammeln sich in sei-nem Inneren; zudem sinkt dort der pH-Wert, sodasseben jene Enzyme aktiv werden können. Dazu kom-men reaktive Sauerstoffradikale und antibakteriellwirkende Peptide, die ebenfalls zur Zerstörung voneingeschlossenen Fremdkörpern beitragen.

„Wenn aber ein Mykobakterium gefressen wirdund in so einem Phagosom endet, dann behindertes diesen Reifungsprozess. Wir konnten nachwei-sen, dass dabei Oberflächen-Glykolipide aus derZellwand der Mykobakterien entscheidend mit -wirken“, erklärt Ulrich Schaible. Nun geht es darumherauszufinden, ob und wie diese Lipide mit Zell-bestandteilen im Inneren des Phagosoms inter -agieren können. Schaible: „Dazu haben wir ein Modellsystem aus kleinen Kunststoffkügelchen ent-wickelt, auf die wir die gereinigten Bak te rien- Gly -kolipide binden – und zwar so, dass der Zucker-An-teil, der normalerweise ins Phagosom hineinreicht,nach außen schaut. Unsere Hypothese ist: Sobalddas Bakterium an zelluläre Strukturen seines Wirtsbindet, werden Signale abgegeben, die die Phago-

somenreifung hemmen“.

Ob und wie sie dies tun, beobachten die Genom-forscher in Borstel mit dem Mikroskop direkt anlebenden Phagozyten aus Mäusen, die mit Modell-Kügelchen �gefüttert� wurden. Ein besonders heißerKandidat ist bereits gefunden: „Wir wissen, dass einbestimmtes Glykolipid, wenn man das auf unsereModellkügelchen klebt, ganz alleine schon die Rei-fung des Phagosoms verlangsamt“. Wie es dasschafft, sollen weitere Untersuchungen klären. Dennauch hier gilt: Erst wenn die Tricksder Tuberkulose-Erregerdurchschaut sind, lassen sichvielleicht Strategien zu ih-rer Bekämpfung finden.

Fluoreszenzfarbstoffe kenn-

zeichnen Legionellen (rot) in

einer Vakuole (mit grünem

Membranprotein und blauem

Lipid), die aus einer Amöben-

Zelle isoliert wurde.

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Ein Bodenbakterium düngt Pflanzen und wehrt Schädlinge ab

Ein Heer von Schadorganismen lebt im Bodenauf Kosten unserer Kulturpflanzen und vernich-tet weltweit rund ein Drittel der gesamten Ern-te. Chemische Pflanzenschutzmittel können sol-che bodenbürtigen Krankheitserreger nur be-dingt eindämmen und tragen zudem zurBelastung von Trinkwasser und Nahrungsmit-teln bei. Eine biologische Alternative bieten Bo -den bak te rien der Art Ba cillus amyloliquefaciens:Sie wehren Schäd linge ab und stimulieren zu-gleich das Pflanzenwachstum. GenoMik-Forscheruntersuchen die genetischen Grundlagen dieserpositiven Eigenschaften, um sie in der Landwirt-schaft zu nutzen.

Die massenhafte Verwendung von Agrochemi-kalien hat eine Reihe unerwünschter Nebenwir-kungen: Gegen Pflanzenschädlinge gerichtete Pes-tizide bergen ökologische und gesundheitliche Risi-ken. Und der übermäßige Einsatz von Kunstdüngerkann zur Kontamination des Grundwassers mit Ni-trat und zur Anreicherung der Atmosphäre mit kli-maschädlichem Lachgas führen. Es werden deshalb

dringend umweltfreundlichereStrategien für eine nachhal-

tige Landwirtschaft be-nötigt.

Die Suche nachAlternativenhat in Deutsch-land Tradition:Bereits 1897wurde dererste biologi-sche Düngerfür Weizen pa-tentiert und voneiner Fabrik bei

Elberfeld im Rhein-land produziert. Die-

se �Bioformulierung� be-stand aus Mikroorganismen

der Art Bacillus subtilis und führte

zu einer erheblichen Erhöhung des Getreideertra-ges. Welche molekularen Prinzipien diesem Phäno-men zugrunde liegen, ist bislang kaum erforscht.Besser untersucht ist ein Bakterium namens Pseu-domonas fluorescens, dessen Genomsequenz voreinigen Jahren vollständig aufgeklärt werden konn-te. Diese Mikroorganismen üben eine dreifach po-sitive Wirkung auf die Pflanzen aus: Sie sondern an-tibiotische Substanzen zur Abwehr von Schadorga-nismen ab, stärken die eigene Abwehrreaktion derPflanzen und fördern zudem noch deren Wachstum.Doch die Pseudomonaden haben einen entschei-denden Nachteil: In trockener Umgebung sterbensie binnen weniger Wochen ab und lassen sich da-her nicht zu stabilen, lagerfähigen Präparaten ver-arbeiten.

„Bakterien der Gattung Bacillus können Sporenbilden, die noch nach hunderten von Jahren lebens-fähig sind. Wir versuchen ihre Rhizosphärenkom-pentenz zu steigern, also die Fähigkeit zur Wurzel-besiedelung. Wenn das gelänge, dann hätten wireinen vollwertigen Ersatz für Pseudomonas, der inseiner Stabilität unschlagbar ist“, sagt Prof. RainerBorriss. Er ist Forschungsdirektor der ABiTEP GmbHBerlin und zugleich Koordinator des GenoMik-Pro-jekts Pathcontrol, das eine wirkungsvolle und zu-gleich praxistaugliche Bioformulierung zur Kontrol-le von Pflanzen-Pathogenen entwickeln will. DieWahl fiel auf Bacillus amyloliquefaciens, genauer: aufden Stamm FZB42. „Ähnliche Stämme wurden schonzu DDR-Zeiten von der Firma FZB als Enzymlieferan-ten für die Lebensmittelindustrie genutzt. Späterhat man dann entdeckt, dass sich mit ihnen auchWelkekrankheiten bei Nelken und anderen Schnitt-blumen behandeln lassen“, erinnert sich Rainer Bor-riss. Das war der Startschuss für die ersten Anwen-dungen des biologischen Pflanzenschutzes an Gemü-se und Getreide.

In den 1990er Jahren wurde schließlich ein be-sonders potenter Stamm namens FZB42 isoliert, dersich genetisch gut bearbeiten ließ. Borriss: „Wir ha-ben schon im Jahr 2001 im Rahmen der ersten Ge-noMik-Förderperiode begonnen, sein Genom zu se-quenzieren. Sieben Jahre später konnten wir in �Na-

Schema des Genoms von

Bacillus amyloliquefaciens

FZB42. Farbige Striche

repräsentieren Gene oder

Gencluster entsprechend

ihrer Funktion.

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ture Biotechnology� dessen vollständige Sequenzpublizieren – als erstes Beispiel für einen Vertretersporenbildender Bakterien mit pflanzenwachstums-fördernden Eigenschaften überhaupt“. In weiterenGenoMik-Projekten charakterisierten die Genomfor-scher einen Großteil der FZB42-Gene. Dabei zeigtesich, dass 8,5 Prozent von ihnen der Bekämpfunganderer Mikroorganismen dienen – das sind mehr alsdoppelt so viele wie bei gewöhnlichen Bacillus-Ar-ten. „Im Labor haben wir mittlerweile elf verschie-dene Sekundärmetabolite mit antimikrobieller Wir-kung identifiziert“, betont Borriss.

„Die Frage ist nun: Welche von diesen Metabo-liten werden tatsächlich vom Bakterium abgege-ben, wenn es an der Pflanzenwurzel wächst?“, sagtProf. Anton Hartmann vom Helmholtz Zentrum Mün-chen, der als einer von drei Partnern am laufendenGenoMik-Projekt �Pathcontrol� beteiligt ist. Den Ver-suchsansatz beschreibt Hartmann so: „Wir arbeitenunter sehr definierten Bedingungen, in einem re-duktionistischen System mit nur drei Beteiligten. Inein steriles Substrat aus Quarzsand und Nährlösunggeben wir ein kontaminationsfreies Salatpflänzchenhinein, außerdem das Bakterium plus – quasi alsHerausforderer – den pathogenen Pilz Rhizoctoniasolani. Ansonsten sind keine weiteren Mikroben imSystem. Nach einer Weile extrahieren wir das Gan-ze mit Lösungsmitteln und bestimmen im hochauf-lösenden Massenspektrometer die enthaltenen Me-tabolite“.

Anhand der Metaboliten-Spektren will Hartmannund sein Kollege Philippe Schmitt-Kopplin dieWechselwirkungen zwischen den drei Spezies unter-suchen. Interessant sind vor allem die Unterschiede

im Spektrum einundderselben Art, wenn sie allei-ne oder aber in Kombination mit einer oder beidenanderen Arten lebt: „Es steht zu vermuten, dass derBacillus in Reinkultur andere Aktivitäten zeigt alsan der Salatwurzel, und wieder andere, wenn derPilz dazu kommt. Wir schauen also zu, was passiert,wenn sich die Gegner direkt �riechen� und anfan-gen, gegeneinander Krieg zu führen“. Zuschauenist hier ganz wörtlich gemeint: Denn neben der Me-taboliten-Analyse werden auch optische Hilfsmitteleingesetzt, um die Beziehungen zwischen Bacillus-Bakterien und Rhizoctonia-Pilzen aufzuklären: „Un-ter dem Laser-Scanning-Mikroskop zeigt sich ein-deutig, dass FZB42 den Pilz unterdrückt. Er lässt ihnnicht erst an die Salatwurzeln heran, denn dort sindkeine Pilzhyphen sichtbar. Das ist ein deutlicher Hin-weis, dass er antibiotische Substanzen einsetzt“, soHartmann.

Im Projekt "PATHCONTROL"

werden die molekularen

Grundlagen für die hem -

mende Wirkung des Bio -

kontroll stammes FZB42

(dunkler Balken Bildmitte)

auf das Wachstum eines

phytopathogenen Pilzes

(links und rechts) von

Forschungs- und Indus trie -

einrichtungen gemeinsam

untersucht.

Mittels Fluoreszenzfärbungen

lässt sich die Kolonisierung

von Salatwurzeln im Laser -

scanning Mikroskop verfol-

gen. Das linke Bild zeigt die

Kolonisierung (blaue Wurzel -

haare), wenn sowohl das

Biokontrollbakterium FZB42

(grün) zugegeben wurde,

als auch der pathogene Pilz

(nicht sichtbar, da von FZB42

vollständig gehemmt). Im

rechten Bild waren keine

Biokontrollbakterien vorhan-

den, daher konnte sich der

Pilz (rosa markierte Hyphen)

ungehindert ausbreiten.

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Um welche Substanzen es sich handelt, soll zumeinen die – ergebnisoffene – Metaboliten-Analysezeigen. Ein zweiter Ansatz konzentriert sich auf je-ne elf antibiotisch wirksamen Sekundärmetaboli-ten, die das Team um Rainer Borriss bereits identi-fiziert hat – zusammen mit den zugrunde liegen-den Genomsequenzen. Dazu erzeugen dieWissenschaftler so genannte „Knock-out“-Mutan-ten der FZB42-Bakterien, bei denen jeweils einesdieser Gene inaktiv ist. Wie sich unter dem Mikro-skop beobachten lässt, sind mehrere dieser Mutan-ten tatsächlich nicht mehr in der Lage, Rhizoctonia-Pilze an der Besiedelung von Salatwurzeln zu hin-dern. Nun gilt es herauszufinden, ob darüber hinausnoch weitere Bakterien-Gene zur Abwehr des patho-genen Pilzes beitragen. „Mittlerweile haben wirmehr als 120 charakterisierte Mutanten, die al-le in einer bestimmten Genfunktion aus-geknockt wurden“, berichtet Rainer Bor-riss. Ob und wie diese unterschiedli-chen Mutanten dasPflanzenwachstum beeinflussen,hat sein Doktorand Anto Bhutarian einer schnellwüchsigen Modell-pflanze, der Entengrütze, getestet– und fand dabei sechs Gene, dieeine Art Düngeeffekt zeigten. Dieentsprechenden FZB42-Mutanten wol-len Anton Hartmann und sein MitarbeiterSoumitra Chowdhury nun in ihrem Modellsystemuntersuchen.

Parallel zu diesen Studien an lebenden Orga-nismen untersucht auch der dritte Partner des Ge-noMik-Verbundes, Prof. Alfred Pühler von der Univer-sität Bielefeld, das komplexe Beziehungsgeflechtzwischen Bacillus amyloliquefaciens und Rhizocto-nia solani. Der Genomforscher will herausfinden,wie jede der beiden Arten die Genaktivität ihresKontrahenten beeinflusst, sprich: wie sich das Ex-pressionsmuster der Bakterien verändert, wenn derPilz da ist – und umgekehrt. Dabei gibt es ein Pro-blem: Im Gegensatz zum Genom des pflanzen-freundlichen Bakteriums ist das des schädlichen Pil-zes noch nicht sequenziert. Diese gewaltige Aufga-be haben sich Pühler und sein Laborleiter Dr. AndreasSchlüter vorgenommen. Damit wollen sie die Basisfür eine differentielle Transkriptom-Analyse schaffen,die die Genaktivität der beiden Organismen in An-bzw. Abwesenheit ihres Antagonisten widerspie-gelt. Im nächsten Schritt soll schließlich das gesam-te System aus Pflanze, Bakterium und Pilz untermöglichst praxisnahen Bedingungen untersucht werden.

Die Erkenntnisse der Genomforscher sollen direktden Landwirten zugute kommen: „Wir wollen einegroße Sammlung von Stämmen mit Hilfe moleku-larer Marker untersuchen, um diejenigen heraus-zufiltern, die sich besonders gut für den Einsatz inder Landwirtschaft und insbesondere im Ökolandbaueignen“, erklärt Rainer Borriss und versichert: „Gen-technische Methoden nutzen wir nur für die Ana-lyse unserer Bakterienstämme, aber keinesfalls fürdie Stämme, die wir dann in unseren Bioformulie-rungen verwenden“.

Modellsystem zum Studium

wachstumsfördernder und

hemmender Wirkungen von

Mikroorganismen im Wurzel -

raum von Salatpflänzchen:

Auf sterilem Quarzsand mit

Nährlösung werden keimfreie

Salatpflänzchen angezogen

und über einen Agarblock

(Quadrat Mitte) mit einem

pathogenen Pilz konfrontiert.

Wahlweise kann zusätzlich

ein Biokontrollbakterium

zugegeben werden.

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NGFN Geschäftsstellec/o Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)Im Neuenheimer Feld 580, V025 · 69120 Heidelbergwww.ngfn.de/

FUGATOc/o Projektträger Jülich GmbH (PtJ)Geschäftsbereich Biologische Innovation und Ökonomie (BIO)Dr. Georg Ostermann · Forschungszentrum Jülich · 52425 Jülichwww.fugato-forschung.de/

PLANT 2030 Geschäftsstellec/o Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie (MPI-MP)Am Mühlenberg 1 · 14476 Potsdamwww.pflanzenforschung.de/

GenoMik-Transfer Geschäftsstellec/o Georg-August-Universität Göttingen · Institut für Mikrobiologie und GenetikGrisebachstr. 8 · 37077 Göttingenwww.genomik-transfer.de/

Medizinische Infektionsgenomikc/o Universität Würzburg · Institut für Hygiene und MikrobiologieJosef-Schneider-Straße 2 · E1 · 97080 Würzburgwww.medizinische-infektionsgenomik.de/de/

Kontaktadressen

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