Wissen und Gesellschaft I Einführung in die analytische...
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Wissen und Gesellschaft I
Einführung in die analytische Wissenschaftstheorie Prof. Dr. Jörg Rössel
Ablaufplan
1. Einleitung: Was ist Wissenschaft(stheorie) überhaupt? 2. Was sind wissenschaftliche Theorien? 2.1. Einige Definitionen und Präzisierungen 2.2. Formalisierung: Logik und Mathematik 2.3. Werturteile und wissenschaftliche Theorien 3. Welche Rolle spielen wissenschaftliche Theorien in Erklärungen? 3.1. Deduktiv-nomologische Erklärungen 3.2. Induktiv-statistische Erklärungen 3.3. Alternative Erklärungsmodelle (Intentionale Erklärungen, Funktionalismus, Mechanismen) 3.4. Der Informationsgehalt von Theorien 3.5. Erklärungen in der Soziologie: Individualistisch oder kollektivistisch? 3.6. Erklärung oder Interpretation? 4. Lassen sich allgemeine Theorien empirisch prüfen oder bestätigen? 4.1. Ausgangspunkt: (Logischer) Empirismus 4.2. Das Basissatzproblem und die Theoriebeladenheit von Beobachtungen 4.3. Das Induktionsproblem
4.4. Sind empirische Evidenzen blosse Konstruktionen? 4.5. Harte Fakten? Experimentalismus und Naturalismus 4.6. Moderne Bestätigungstheorie: Bayesianismus 4.7. Die Beurteilung sozialwissenschaftlicher Theorien 5. Wie entwickeln sich wissenschaftliche Theorien? 5.1. Nochmal: (Logischer) Empirismus 5.2. Kritischer Rationalismus 5.3. Paradigmen und wissenschaftliche Revolutionen 5.4. Neuere Ansätzen zur Wissenschaftsentwicklung
Welche Rolle spielen wissenschaftliche Theorien in Erklärungen?
0. Ein wenig über Kausalität
1. Deduktiv-nomologische Erklärungen
2. Induktiv-statistische Erklärungen
3. Alternative Erklärungsmodelle (Mechanismen, Intentionale Erklärungen, Funktionalismus)
4. Der Informationsgehalt von Theorien
5. Erklärungen in der Soziologie: Individualistisch oder kollektivistisch?
6. Erklärung oder Interpretation?
0. Ein wenig über Kausalität
David Hume (1711 – 1776)
Erster Gedanke: Ein Ereignis e1, das die Ursache ist, bringt ein anderes Ereignis e2, das die Wirkung ist, notwendig hervor.
Aber: Eine solche notwendige Verbindung können wir empirisch nicht beobachten. Empirisch können wir nur die Regelmässigkeit des gemeinsamen Auftretens von e1 und e2 feststellen.
Regularitätstheorie der Kausalität (Regularitäten als Grundlage von Naturgesetzen)
Bedingungen:
1) e1 liegt zeitlich unmittelbar vor e2.
2) e1 liegt räumlich unmittelbar neben e2.
3) Ereignisse des Typs e2 folgen regelmässig auf Ereignisse vom Typ e1 (Korrelation).
Sozialwissenschaften:
4) Drittursachenkontrolle: e3 ist die Ursache von e1 und e2.
5) Überdetermination: e3 und e1 wären jeweils allein hinreichend für e2.
Häufig führt nicht eine Ursache zur Wirkung, sondern eine Konstellation von Ursachen (Bedingungen)
Notwendige Bedingung: Wenn e2 vorhanden ist, kann e1 nicht abwesend sein. e1 ist eine notwendige Bedingung.
Sauerstoffhaltige Luft (e1)ist eine notwendige, aber nicht hinreichende, Bedingung für menschliches Leben (e2).
Hinreichende Bedingung: Wenn e1 vorhanden ist, kann e2 nicht abwesend sein. e1 ist eine hinreichende Bedingung.
Die glühende Zigarettenkippe und das trockene Stroh in der Scheune waren gemeinsam (e1) eine hinreichende Bedingung für den Brand der Scheune (e2).
INUS-Bedingung der Kausalität (John L. Mackie)
(Insufficient, but necessary part of an unnecessary but sufficient condition)
Eine Ursache ist ein nicht hinreichender, aber notwendiger Teil einer nicht notwendigen, aber
hinreichenden Bedingung für das Eintreten des Ereignisses.
Trockenes Heu Nicht notwendige, aber Brand der
Sauerstoff, usw... hinreichende Bedingung Scheune
Notwendiger, aber nicht hinreichender Teil der Bedingung
Glühende Zigarettenkippe
Kontrafaktisches Konditional: Wenn e1 nicht eingetreten wäre, dann wäre auch e2 nicht eingetreten.
Gegen Regularitätstheorie: Entitäten weisen Kräfte bzw. Dispositionen auf, die für kausale Zusammenhänge verantwortlich sind (physikalische Kräfte, Fähigkeit zum zielgerichteten Handeln). siehe mechanismische und intentionale Erklärungen
Erklärungen versuchen eine Antwort auf Warum-Fragen zu geben: In der Regel versuchen wir eine kausale Ursache anzugeben.
1. Deduktiv-nomologische Erklärungen
Viele Namen: Dekuktiv-nomologische Erklärung, Hempel-Oppenheim (HO)-Schema, Covering Law Model, Subsumtionsmodell. Ausgangspunkt aller Diskussionen über Erklärungen
Erklärung wird hier als logische Folgerung konzipiert (deduktiv), deren Kernstück ein allgemeines Gesetz ist.
(1) Alle A sind B. Satz (1) und (2) bilden das Explanans.
(2) x ist ein A.
(3) Also: x ist ein B. Satz (3) bildet das Explanandum.
Wenn eine Person eine Frau ist, dann geht sie in Actionfilme.
Ursula ist eine Frau. (Ursache) Explanans
Also: Ursula geht in Actionfilme. (Wirkung) Explanandum
Adäquatheitsbedingungen:
1) Explanandum muss im Explanans tatsächlich logisch enthalten sein.
2) Explanans muss mindestens ein allgemeines Gesetz enthalten.
3) Explanans muss empirischen Gehalt besitzen (empirisch prüfbar sein)
4) Aussage im Explanandum muss wahr sein. Vor Erklärung Explanandum prüfen!
Probleme:
a) Asymmetrie von Ursache und Wirkung:
Aus der Länge eines Schattens und dem Sonnenstand lässt sich die Höhe eines Flaggenmastes
nach dem Modell der deduktiv-nomologischen Erklärung herleiten. Ist das eine Erklärung?
b) Irrelevante Gesetze:
(1) Wenn eine Person die Pille nimmt, dann wird sie nicht schwanger.
(2) Peter nimmt die Pille. (Ursache)
(3) Also: Peter ist nicht schwanger! (Wirkung)
2. Induktiv-statistische/probalistische Erklärungen
In den Sozialwissenschaften, aber auch in anderen speziellen Wissenschaften gibt es keine strikten Gesetze. probalistische Erklärungen/Gesetze
Wesley Salmon: Erklärende Ursachen müssen statistisch relevant sein.
P (A ¦ B, C) ≠ P (A ¦ C) B hat kausale Relevanz für A.
Beispiel: P (Schwangerschaft ¦ Pille, Mann) = P (Schwangerschaft ¦ Mann)
P (Schwangerschaft ¦ Pille, Frau) ≠ P (Schwangerschaft ¦ Frau)
Ist nicht an hohe Wahrscheinlichkeiten gebunden: Syphilis progressive Paralysis (5 – 10 %)
Aber ist ein statistischer Zusammenhang schon eine Erklärung?
P (Besuch von Actionfilmen ¦ Frau) > P (Besuch von Actionfilmen ¦ Mann)
Statistische Analysen müssen durch Modelle intentionalen Handelns und sozialer Mechanismen ergänzt werden (komparative Analyse, Process-Tracing).
3. Alternative Erklärungsmodelle
3.1. Intentionale Erklärungen
Menschliches Handeln wird als zielgerichtet (Telos) betrachtet.
Menschen haben bestimmte Ziele, Wünsche und Motive (Desires).
Sie haben Wissen respektive Überzeugungen (Beliefs) hinsichtlich der Handlungen, die zu den gewünschten Zielen führen.
Menschen können nicht alles tun, was sie wollen, es gibt Einschränkungen des Handelns (Opportunities)
DBO Modell des Handelns (Systematisierung der Alltagspsychologie, folk psychology)
Das intentionale Handeln von Akteuren erzeugt als nicht intendiertes Resultat soziale Strukturen und Muster.
3.2. Kausale/Soziale Mechanismen
Statistische Regelmässigkeiten sind zumeist keine Erklärungen, sondern sind selbst einer Erklärung bedürftig, die unser Verständnis für die ablaufenden Prozesse erhöht.
Kausale/soziale Mechanismen, die Ursache und Wirkung miteinander verknüpfen.
Definition Hedström/Swedberg: Ein sozialer Mechanismus ist eine präzise, abstrakte und handlungsbasierte Erklärung, die zeigt, wie das Vorkommen eines auslösenden Ereignisses regelmässig den Typ Ergebnis generiert, der erklärt werden soll.
Definition Little: C ist eine Ursache von E ist definiert als: Es gibt eine Sequenz von Ereignissen Ci, die von C zu E führen und jeder Übergang von einem Ereignis Ci zu einem Ereignis Ci+1 ist durch ein oder mehrere Gesetze Li strukturiert.
The mechanisms that link cause and effect are typically grounded in the meaningful, intentional behavior of individuals (Little).
P (Besuch von Actionfilmen ¦ Frau) > P (Besuch von Actionfilmen ¦ Mann)
Erklärung durch zielgerichtetes Handeln (Desires, Beliefs, Opportunities):
Stärkere Präferenz für Actionfilme bei Frauen. (Desire)
Gleiche Kenntnis der Möglichkeiten für den Besuch von Actionfilmen. (Beliefs)
Gleiche Verfügung über Ressourcen und Restriktionen. (Opportunities)
Wo kommen die stärkeren Präferenzen her? Lernprozesse, Sozialisation
P (Demokratie ¦ Wohlstand) > P (Demokratie ¦ Armut)
Mechanismus:
1. Menschen entwickeln unter Bedingungen von Wohlstand stärker partizipationsorientierte Werte.
2. Wohlstand ist mit der Ausdehnung des Bildungssystems verbunden, diese erhöht die kognitiven Fähigkeiten der Menschen.
3. Wohlstand erhöht die Ressourcenausstattung von Personen.
4. Personen mit grösseren kognitiven Fähigkeit, mehr Ressourcen und partizipationsorientierten Werten werden sich für die Durchsetzung dieser Werte im politischen Institutionensystem einsetzen (sozialer Protest, Veränderung der Eliten)
5. Sozialer Protest und die Veränderung der Eliten führt zu einer Demokratisierung des politischen Regimes.
3.3. Funktionale Erklärungen
In den Sozialwissenschaften (und der Biologie) weit verbreitet.
Beispiele:
Der Staat existiert, weil er die Interessen der herrschenden Klasse schützt.
Arbeitsteilung existiert, um soziale Effizienz herzustellen.
Pinguine haben eine dicke Speckschicht, um sie gegen die Kälte zu schützen.
Organisationen existieren, um die Transaktionskosten für wirtschaftliche Austauschprozesse zu senken.
Grundstruktur einer funktionalen Erklärung
(1) A verursacht B
(2) A existiert, weil es B verursacht
A B
?
Eine funktionale Erklärung ist nur dann plausibel, wenn ein Mechanismus für (2) angegeben
werden kann.
Wie kann erklärt werden, dass A aufgrund seiner Verursachung von B existiert?
(1) Intentionale Erklärung
Akteure kennen die vorteilhaften Wirkungen von A und stellen es deshalb absichtlich (intentional)
her? (Daniel Little)
Langes Stillen in Jäger und Sammler Gesellschaften, da dies die Fruchtbarkeit reduziert.
(2) Erklärung über Selektionsmechanismen
Absichten und Konsequenzen einer Handlung decken sich nicht notwendig (nicht intendierte
Handlungsfolgen).
Das Überleben von A kann als Resultat von Selektionsmechanismen erklärt werden.
Bestimmte Organisationsstrukturen und Entscheidungsmechanismen führen dazu, dass bestimmte
Unternehmen erfolgreich (profitabel) sind. Daher werden diese Strukturen und Mechanismen in
der Unternehmenspopulation überwiegen und können funktional erklärt werden.
4. Der Informationsgehalt von Theorie
Der Informationsgehalt einer Theorie oder eines Gesetzes gibt an, wie viel die Theorie oder das
Gesetz über die erfahrbare Realität aussagen.
Massstab für den Informationsgehalt ist, ob und in welchem Masse eine Theorie/ein Gesetz
Ereignisse in der Realität ausschliesst. Kann die Theorie/das Gesetz falsifiziert werden?
Logisch wahre Aussage: Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter oder das
Wetter bleibt wie es ist.
Diese Aussage hat keinen Informationsgehalt.
Informationsgehalt von Wenn-Dann Sätzen (Gesetzen)
Wenn-Dann Sätze haben einen höheren Informationsgehalt, wenn der Informationsgehalt der
Wenn-Komponente gering ist. grösserer Anwendungsbereich
Wenn-Dann Sätze haben einen geringeren Informationsgehalt, wenn der Informationsgehalt der
Dann-Komponente gering ist. Spezifischere Vorhersage
Wenn eine Person im Alter zwischen 15 und 40 ist, dann geht sie oft ins Kino.
Wenn eine Person genau 17 Jahre alt ist, dann geht sie oft ins Kino.
Wenn eine Person genau 17 Jahre alt ist, dann geht sie oft ins Kino oder sie geht oft in Clubs.
Wenn eine Person genau 17 Jahre alt ist, dann geht sie oft ins Kino.
Allgemeinere Aussagen haben einen grösseren Informationsgehalt als speziellere Aussagen:
Wenn Menschen die Wahl zwischen zwei (oder mehr) Alternativen haben, dann entscheiden sie
sich für die Alternative mit dem höheren erwarteten Nutzen.
Wenn Menschen die Wahl zwischen zwei Ehepartnern haben, dann entscheiden sie sich für die
attraktivere Person.
Deterministische Aussagen haben einen grösseren Informationsgehalt als nichtdeterministische.
Wenn eine Person genau 17 Jahre alt ist, dann geht sie oft in Clubs.
Wenn eine Person genau 17 Jahre alt ist, dann hat sie eine höhere Wahrscheinlichkeit zum Besuch von Clubs als Personen anderer Altersgruppen.
Ziel wissenschaftlicher Theorien und Erklärungen: möglichst grosser Informationsgehalt.
5. Erklärungen in der Soziologie: Individualistisch oder kollektivistisch?
a. Was ist das Problem?
Die Soziologie beschäftigt sich typischerweise nicht mit individuellen Merkmalen oder
Handlungen von Personen, sondern mit kollektiven (aggregierten, Makro-) Phänomenen.
Keine typischen soziologischen Gegenstände sind: Frau Schmid spielt Lotto, Herr Meier geht
wählen usw.
Soziologische Gegenstände:
Soziale Strukturen: Einkommensverteilung, Heiratsmuster (Wer heiratet wen?), Hierarchien in
Organisationen, Positionsmuster in einer Gruppe, Residenzielle Segregation, Klassenstruktur,
soziale Netzwerke
Soziale Prozesse: Ansteigen der Scheidungsraten, Entstehung einer sozialen Bewegung,
Fluchtpanik, Diffusion von Innovationen
Institutionen und Normen: Rechtsfahrgebot, Formen des Grüssens, Scheidungsrecht, Sozialstaat,
Regeln der Arbeitsteilung im Haushalt
Zentrale Frage: Sind die soziologischen Gegenstände tatsächlich Gegenstände im eigentlich Sinne
oder sind sie zurückführbar auf Aussagen über Individuen?
b) Holismus, Kollektivismus versus Individualismus
Holismus, Kollektivismus: Phänomene wie Normen, Institutionen und soziale Strukturen sind
nicht zurückführbar auf Aussagen über Individuen und können daher als emergente Phänomene
betrachtet werden. (Durkheim: Soziale Tatsachen – unabhängig vom Einzelnen, üben Zwang aus)
Problem: Es gibt keine/wenige akzeptierte soziale Gesetzmässigkeiten.
Individualismus: Alle sozialen Phänomene können auf Aussagen über Individuen zurückgeführt
werden. (Theorien rationalen Handelns, Symbolischer Interaktionismus, Phänomenologie)
Es gibt stärkere und empirisch bestätigte Theorien/Gesetzmässigkeiten, die individuelles Handeln
erklären.
Was bedeutet aber „Emergenz“ und „Zurückführbarkeit“?
c) Ein Ausflug in die Philosophie des Geistes…
Die Philosophie des Geistes hat es mit einem ähnlichen Problem zu tun: Gehirn (ZNS; Materie,
Neuronen) und Geist (mentale Phänomene, Bewusstsein). Können alle Aussagen über mentale
Eigenschaften auf Aussagen über das Gehirn zurückgeführt werden?
Definitionen:
Schwache Emergenz: Kombinationen von Elementen/Einheiten (Makroebene) weisen
Eigenschaften auf, die die Elemente (Mikroebene) selbst nicht aufweisen.
H2O, Relational basierte Merkmale, äusserer Zwang bei Normen, Gruppengrösse von Gruppen
Starke Emergenz: Die Eigenschaften der Makroebene lassen sich nicht vollständig durch
Eigenschaften der Mikroebene (der Elemente) erklären (Irreduzibilität). Dies gilt selbst bei
vollständiger Mikrodeterminiertheit.
Das Gefühl, einen Schmerz zu empfinden, lässt sich nicht auf neuronale Zustände zurückführen.
Gegensatz:
Intertheoretische Reduktion: Theorien/Aussagen der Makroebene können aus Theorien/Aussagen
der Mikroebene abgeleitet werden.
Voraussetzung: Eigenschaften der Makroebene werden durch Brückenaussagen mit Eigenschaften
der Mikroebene verknüpft. Jede Eigenschaft der Makroebene muss in eine koextensionale
Eigenschaft der Mikroebene übersetzt werden.
Zahnschmerzen Die Norm „Du sollt nicht ehebrechen“ gilt in einer Gesellschaft
Neuronen x, y, z feuern Person1-n kennen die Norm; glauben an
ihre Gültigkeit; erwarten, dass die anderen sanktionieren; und sind bereit gegebenenfalls selbst zu sanktionieren
Welche Argumente gibt es für starke Emergenz bzw. gegen die intertheoretische Reduktion?
Funktionalismus: Es kommt nicht auf die Mikroeinheiten an, sondern auf deren funktionale
Organisation (Wir interessieren uns nicht für die Tatsache, dass das Gehirn die Konsistenz von
kaltem Porridge hat, Alan Turing)
Multiple Realisierung: Die gleichen Makrozustände können durch unterschiedliche Zustände auf
der Mikroebene determiniert werden.
Zahnschmerzen Zahnschmerzen Zahnschmerzen
Neuronen x, y, z feuern Neuronen a, b, c feuern Neuronen m, n, f feuern
Emergenz und theoretische Reduzierbarkeit sind kein philosophisches, sondern ein empirisches
Problem!
d) Segregation in Zürich, Ghettos und das Mikro-Makro Problem
Segregation liegt dann vor, wenn Gruppen eine von der Gleichverteilung abweichende Verteilung
über Merkmalsausprägungen aufweisen, z. B. Frauen und Männer auf Berufe, Schweizer und
Ausländer über Wohnquartiere (residenzielle Segregation).
Wie kann residenzielle Segregation erklärt werden? Makro oder Mikro?
Je höher die ökonomische Ungleichheit in einer Stadt, desto höher die residenzielle Segregation.
Ökonomische Ungleichheit Residenzielle Segregation
Logik der Situation/Kontexthypothese/Brückenhypothese Logik der Aggregation
Ökonomische Ressourcen Personi Wohnstandort Personi Logik der Selektion/Entscheidungsregel
6. Erklärung oder Interpretation?
Eine zentrale Diskussionslinie in der Philosophie der Sozialwissenschaften richtet sich auf die
Frage, ob die Sozialwissenschaften im Sinne von „Science“ erklärende Wissenschaften sind oder
im Sinne der Geisteswissenschaften verstehende (interpretative) Wissenschaften darstellen.
Zentrale Argumente:
(1) In den Sozialwissenschaften gibt es keine harten Tatsachen: Menschliches Handeln (und die
daraus resultierenden Phänomene, z. B. Artefakte) besitzt immer eine Bedeutung es muss
verstanden, respektive interpretiert werden (gilt für alle Methoden, aber Differenzierungsgrad)
(2) In der Regel werden soziale Phänomene von den Akteuren selbst schon interpretiert
(Interpretationen [Konstrukte] erster und zweiter Ordnung) (Was ist von den Konstrukten erster
Ordnung zu halten?)
(3) In unterschiedlichen Kulturen existieren ausserordentlich variable Bedeutungen menschlichen
Handelns (gibt es kulturell invariante Handlungsbereiche, die durch materielle Interessen
strukturiert sind?)
(4) Können Interpretationen empirisch geprüft werden? Kohärenz, Allgemeine Gesetze
(5) Sind Interpretationen zwangsläufig? (Mensch als Kulturwesen versus Neurowissenschaften)
7. Erklärungen in den Sozialwissenschaften: Eine Checkliste
Wissenschaftliche Erklärungen geben Antworten auf Warum-Fragen. Sie nennen ursächliche
Bedingungen für das Auftreten eines Phänomens.
• Ursachen können durch a) Regularitäten und/oder b) durch Konstellationen von notwendigen
und hinreichenden Bedingungen (INUS) bestimmt werden
• Erklärungen benötigen allgemeine theoretische Aussagen (Gesetze)
• Erklärungen sollten eine systematische (formal-logische) Argumentationsstruktur aufweisen
• Kausale Zusammenhänge benötigen statistische Zusammenhänge als empirische Evidenz
• Erklärungen sollten den Prozess angeben, der von der Ursache zur Wirkung führt
• Erklärungen sollten in der Regel handlungsbasiert sein
• Die verwendeten Gesetzen sollten möglichst grossen Informationsgehalt aufweisen