Wir vom Neptunplatz
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© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 18
BALZRUF DES LANDADELS
Mark stierte über seine Espressotasse hinweg in Carmens beeindruckende
Grünaugen, die ihn an eine fleischfressende Pflanze erinnerten und jedes
einzelne ihrer Worte unterstrichen. Er war fasziniert von diesem 5-Sterne-
deluxe-Gesicht. Die Wort-Fluten, die Carmen dabei ausstieß,
überforderten seinen Arbeitsspeicher allerdings zu dieser Uhrzeit. Sein
Hirn leitete nur etwa jedes fünfte Wort an Marks Bewusstsein weiter – den
Rest löschte es gleich wieder.
Dabei hatte Carmen eine Stimme, die jedem Hörfunkredakteur eine
Gänsehaut aufs Trommelfell getrieben hätte. Und sie hatte Feuer.
Außerdem sah sie aus wie die kleine Schwester von Collien Fernandes,
und dieses Paket weckte Marks unmittelbaren Beutetrieb.
Er grinste. Doch irgendein verirrtes „Aber“ schwirrte Mark durchs
Bewusstsein, taumelte mal hier und mal da gegen seine
Aufmerksamkeitsfilter, fiel hin, stand wieder auf, klopfte gegen seinen
Verstand und hielt ein riesiges Warnschild mit einem Venuszeichen hoch.
Plötzlich formulierte sich ein irritierender Parallelgedanke in seinem
Bewusstsein …
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 19
‚Hallo?! Bist du eigentlich total zernagelt? Du flirtest hier mit der
Mitbewohnerin einer Frau, die du gestern gegen deinen Willen flachgelegt
hast! Oder zumindest ohne dein Zutun. Die kann jede Sekunde
reinkommen und Stress machen!! Flieh, kleiner Hobbit, flieh!!!‘
Aus irgendeinem Grund sprach Carmen gerade von der SpoHo. Mark
nutzte die Chance, nahm das Stichwort auf und leitete zum direkten
Ausstieg über.
„Du studierst auch an der Sporthochschule?! Dann lass uns mal in der
Auszeit treffen.“
Mark war seit Monaten weder im Spoho-Café noch an der
Sporthochschule selbst gewesen. Aber Carmen schien ein Spitzengrund,
das zu ändern.
„Du bist an der Spoho?“ Sie stieß ein ansteckendes Aschenbecherlachen
aus, „ich fass es nicht. Echt?“
Mark verband sein Nicken mit einem möglichst sportlichen Blick. Carmen
geierte.
„Dann versteh ich auch die Bodenturn-WM von heute Nacht.“
Mark verschluckte sich an einem Milchschaumatom – Carmen hatte heute
nacht mitgehört? Verdammt. Natürlich! Doch sie wirkte null abgeschreckt.
Vielleicht sogar interessiert?
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 20
„Das unsterbliche SpoHo-Barmann-Klischee …“, Carmen schenkte Mark
einen weiteren Stoß ihres Aschenbecherlachens. „Ich dachte, du bist
Teilhaber im Glamrock. Zumindest hat Eva sowas gesagt.“
„Na ja“, er ließ diese beiden Unverbindlichkeits-Joker kurz im Raum
stehen und verzichtete auf weitere Klarstellung. Wenn Katze, seine Chefin
im Glamrock, den Satz samt „Na ja“ gehört hätte, sie hätte seine Augäpfel
gekocht und an die Ratten verfüttert.
Carmen grinste ihn jetzt an wie Ka den kleinen Mogli.
„Dann komm ich doch lieber in deinen Laden. Ist doch eh viel netter. Wir
wollen ja nicht übers Studium quatschen. Hoffe ich.“
Mark genoss Carmens Balz. Doch plötzlich poppte das „Aber“ wieder auf.
Und zwar in Gestalt von Eva, die verschlafen die Tür zur WG-Küche
aufschob, zum Kühlschrank taumelte, eine Plastikflasche Sprudel rauszog,
ansetzte und mit gewaltigen Kehlkopf-Situps vernichtete. Sie saugte und
saugte, verbiss sich fast im Flaschenrand. Dann riss sie die leere Flasche
von den Lippen, warf sie in die Spüle und schickte einen kohlensauren
Rülps Richtung Zimmerdecke.
„Hmmm“, schwärmte Carmen ironisch, „der Balzruf des Landadels.“
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 21
„Kauf halt Wasser ohne Blubber“, blaffte Eva. Dann sah sie Mark.
Carmen?? Mark!! Ihr Gesichtsausdruck rochierte von Liebe zu Hass zu
Liebe.
„Ach, du bist ja noch da“, in einem mädchenhaften Reflex schob sie ihre
Hand vor den Mund. „Sorry.“
Mark verdrängte die fauligen Höhlen-Bilder aus seinem Alptraum und
versuchte ein unschuldiges „Wir … haben übers Studium gequatscht.“ Er
tauchte zum Abschied kurz in den Nektar von Carmens Augenkelchen,
versuchte dann einen Blick knapp an Eva vorbei auf die Küchenuhr.
„So, ihr beiden, ich muss jetzt aber wirklich.“
Damit sprang er auf, griff nach seinem Mantel, zwinkerte Carmen zu,
ignorierte Evas „Kussi!“ und verschwand. Raus aus diesem Duell. Zurück
in sein eigenes Leben.
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 22
BUNDESWEHR-PR
Ihre Ängste und Sorgen wegen der SMS des Majors hatte Rudi in den
letzten zwei Stunden im Bree-Van-De-Kamp-Modus weggeputzt,
weggesaugt und poliert. Bad, Küche und Flur waren jetzt blitzblank, sogar
die Fenster hatte sie geputzt. Okay, die Fenster der Jungs hatte sie
ausgespart, aber dafür hatte sie sich das Wohnzimmer vorgenommen – in
dem neuerdings das Sofa fehlte, seit irgendeine Tussi es mit einem THC-
beschleunigten Trampolinsprung in Dutzende Kleinteile zerlegt hatte.
Geschafft saß Rudi in der erstaunlich gemütlichen Küche auf einem
erstaunlich stabilen Stuhl und beobachtete den dampfenden Wasserkocher.
Sie hatte gute Arbeit geleistet, die Wohnung konnte sich sehen lassen.
Selbst der Major wäre zufrieden. Der Kocher begann zu brodeln, und wie
durch Zauberhand floss durch ein unsichtbares Loch in der Nähe des
Griffs ein Rinnsal kochend heißes Wasser. Rudi stand auf, hob den Kocher
vorsichtig an und goss einen Schwall Wasser über den Beutel Schwarztee
in ihrer Worf-Tasse. Die hatte Hannes ihr vor Jahren aus New York
mitgebracht.
Hannes.
Oh Gott.
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 23
Hoffentlich war er unverletzt.
Ohne lange nachzudenken, griff Rudi zum Handy.
„Rudi-Schatz!“
„Hi, Mama.“
„Dass du dich mal meldest!“
Rudi atmete erleichtert auf. Ihre Mutter klang völlig normal, im
Hintergrund summte der Staubsauger, es konnte also nichts Schlimmes mit
Hannes passiert sein.
„Stör ich?“
„Ich saug grad. Was gibt es denn?“
„Ich ruf an wegen Hannes.“ Rudi tunkte einen Löffel in das Glas
Thymianhonig, das neben ihrer Tasse auf dem Tisch stand. Am anderen
Ende verstummte der Staubsauger.
„Weißt du schon, wann er ankommt? Dass er bei dir übernachten kann, hat
deinen Vater einige Mühe gekostet. Gut, dass er seine Kontakte ins
Ministerium ...“
„Hä?“ Rudi pfefferte den Löffel mit Honig unsanft in ihre Tasse.„Hannes
kommt? Zu mir? Ich dachte, ihm ist was passiert!“
„Nein, Schatz“, flötete ihre Mutter besänftigend, „Hannes geht es gut!“
„Und woher soll ich das wissen? Kannst du mich mal aufklären?“
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 24
„Ach Kind ... die Bundeswehr dreht einen Image-Film. Mit Soldaten, die
im Auslandseinsatz sind. Und dein Bruder spielt mit! Ist das nicht toll?“
Abgesehen davon, dass die Bundeswehr und Werbung für die Bundeswehr
ganz und gar nicht toll waren, störte Rudi etwas anderes.
„Und wieso Hannes?“
„Sie wollen zeigen, dass die Truppe auch Ausländer nimmt, wenn sie die
Deutschen Werte verinnerlicht haben. Und weil dein Bruder nun mal nicht
typisch Deutsch aussieht ...“
„Typisch Deutsch?“ Wütend rührte Rudi ihren Löffel durch den Tee. „Wie
muss man denn so aussehen als typisch Deutscher? Blond und blauäugig,
mit SS-Runen am Hals?“
„Gertrud Hansen“, schimpfte ihre Mutter, „du redest Unsinn.“
„Tu ich nicht, Mama! Überleg doch mal: Dass ein Schwarzer ganz normal
Deutsch sein kann, geht in die Köpfe der Leute nicht rein. Und Hannes
sorgt auch noch dafür, dass das so bleibt, wenn er den Quoten-Exoten
spielt.“
„Kind,“ jetzt klang auch ihre Mutter verärgert, „ich frag mich, was du in
letzter Zeit hast. Du bist so aggressiv.“
© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 25
„Bin ich nicht! Ich hab nur keinen Bock mehr, den Mund zu halten, wenn
mir was nicht passt.“ Rudi stoppte den Löffel und beobachtete den Wirbel,
der sich um den Stiel herumdrehte.
„Schatz“, probierte ihre Mutter es in einem versöhnlichen Tonfall, „freu
dich doch, dass du Hannes endlich wieder siehst! Ihr wart doch immer ein
Herz und eine Seele.“
Rudi zog den Löffel aus der Tasse und hob sie auf Augenhöhe. Worf sah
ihr mit seinem unbestechlichen Blick direkt ins Herz. Irgendwie hatte ihre
Mutter ja recht. Hannes kam. Gesund. Vielleicht war das wirklich das
einzige, was zählte.