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edition suhrkamp 2642 Weltordnung in einer zerklüfteten Welt Hat Frieden Zukunft? Bearbeitet von Dieter Senghaas 1. Auflage 2012. Taschenbuch. 279 S. Paperback ISBN 978 3 518 12642 4 Format (B x L): 10,8 x 17,7 cm Gewicht: 169 g Weitere Fachgebiete > Medien, Kommunikation, Politik > Internationale Beziehungen > Konflikt- und Friedensforschung, Rüstungskontrolle schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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edition suhrkamp 2642

Weltordnung in einer zerklüfteten Welt

Hat Frieden Zukunft?

Bearbeitet vonDieter Senghaas

1. Auflage 2012. Taschenbuch. 279 S. PaperbackISBN 978 3 518 12642 4

Format (B x L): 10,8 x 17,7 cmGewicht: 169 g

Weitere Fachgebiete > Medien, Kommunikation, Politik > Internationale Beziehungen> Konflikt- und Friedensforschung, Rüstungskontrolle

schnell und portofrei erhältlich bei

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Leseprobe

Senghaas, Dieter

Weltordnung in einer zerklüfteten Welt

Hat Frieden Zukunft?

© Suhrkamp Verlag

edition suhrkamp 2642

978-3-518-12642-4

Suhrkamp Verlag

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Die Struktur der Welt ist seit langem durch extreme Hierarchisierungund Abschichtung gekennzeichnet. In vielen Dimensionen sind Zerklüf-tungen zu beobachten. So besteht zum Beispiel im Weltwirtschaftssys-tem eine dramatische Kluft zwischen der sogenannten OECD-Welt unddem »Rest der Welt«. Während erstere dicht und relativ symmetrischunter sich vernetzt ist, ist die übrige Welt nach wie vor überwiegendasymmetrisch auf dieses Gravitationszentrum ausgerichtet. Diesem wei-terhin weltpolitisch tonangebenden, in sich hoch koordinierten Gravita-tionszentrum (ca. 16 Prozent der Weltbevölkerung) steht bisher kein ver-gleichbar koordiniertes kollektives oder auch nur regionales Machtzen-trum gegenüber. Die Zerklüftungen innerhalb der Nicht-OECD-Weltsind nicht weniger markant: Etwa zehn Prozent der Weltbevölkerungleben unter den Bedingungen von »Staaten«, die zusammengebrochensind oder deren Zerfall ernsthaft droht. 37 Prozent leben allein in zweiMakrostaaten: China und Indien, weitere 37 Prozent in ca. 140 Gesell-schaften, die sich durch eine sogenannte begrenzte Staatlichkeit auszeich-nen. Programmatiken über Weltordnung und Weltregieren müssen sichheute mit elementaren Sachverhalten dieser Art auseinandersetzen,ansonsten blieben sie weltflächig-abstrakt, folglich analytisch fragwürdigund letztlich praktisch irrelevant. Weltordnungsprogrammatiken bedür-fen, sofern sie wirklich auf die gesamte real existierende Welt bezogensind, einer problemadäquaten Kontextuierung.

Dieter Senghaas, geb. 1940, ist Senior Fellow am Institut für Interkultu-relle und Internationale Studien (InIIS) der Universität Bremen. Er lehrtedort bis 2005 Friedens-, Konflikt- und Entwicklungsforschung. LetzteVeröffentlichungen im Suhrkamp Verlag: Zivilisierung wider Willen. DerKonflikt der Kulturen mit sich selbst (1998, es 2081); Klänge des Friedens.Ein Hörbericht (2001, es 2214); Zum irdischen Frieden (2004, es 2384).Herausgeber u.a. von Den Frieden denken (1995, es 1952); Frieden machen(1997, es 2000). Mitherausgeber von Vom hörbaren Frieden (2005,es 2401).

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Dieter Senghaas

Weltordnung in einerzerklüfteten WeltHat Frieden Zukunft?

Suhrkamp

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edition suhrkamp 2642Erste Auflage 2012Originalausgabe

© Suhrkamp Verlag Berlin 2012Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,

vervielfältigt oder verbreitet werden.Satz: TypoForum GmbH, Seelbach

Druck: Druckhaus Nomos, SinzheimUmschlag gestaltet nach einem Konzept

von Willy Fleckhaus: Rolf StaudtPrinted in Germany

ISBN 978-3-518-12642-4

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

I Welt-Analyse

1. »Eine Welt« oder vier Welten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

II Rückblick für die Zukunft

2. War der Kalte Krieg ein Krieg?Realitäten, Phantasien, Paradoxien . . . . . . . . . . . . . . . 83

3. Abschreckung nach der Abschreckung . . . . . . . . . . . 113

III Ordnungspolitik auf Weltebene

4. Welche Weltordnungspolitik in einerzerklüfteten Welt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

5. Wege aus der Armut. Entwicklungsgeschichtlicheund aktuelle Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

6. Kulturelle Bruchlinien und die Zukunft derMenschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

7. Vereinbarung, Versöhnung, Toleranz:Wie das Neue Gestalt gewinnen kann . . . . . . . . . . . . 214

IV Ausblick

8. Hat Frieden Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Editorisches Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260Detailliertes Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

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Vorwort

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes (1989/92), der be-herrschenden weltpolitischen Konstellation nach 1945, hatdie politische und wissenschaftliche Debatte über Weltgesell-schaft, Weltordnung und Weltordnungspolitik verständli-cherweise einen unvergleichlichen Aufschwung genommen.Global governance ist in den wissenschaftlichen Publikatio-nen in aller Regel das leitende analytische bzw. programmati-sche Konzept. Es ist schillernd und meint Vielfältiges, meistjedoch politische Steuerungsmodalitäten auf globaler Ebene,die sich durch ein Zusammenwirken von staatlichen, wirt-schaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren auszeich-nen. Thematisiert wird dann ein Regieren in sogenanntenMehrebenensystemen, wie es jedoch bisher in einer relativdichten Struktur nur im Kontext der Europäischen Union zubeobachten ist. Bei dieser analytischen Ausrichtung ist daszugrundeliegende Bild eines kooperationsoffenen Staatesebenso prominent wie das Eigengewicht transnationaler Ak-tivitäten von Wirtschaftsakteuren (wie multinationalen Kon-zernen) und zivilgesellschaftlichen Netzwerken.1

Global governance-Studien waren aber meist nicht nur aufeine Ist-Analyse ausgerichtet, sondern in aller Regel auch nor-mativ motiviert. Dann wurde explizit oder implizit globalgovernance qua Weltordnungspolitik zum Leitbegriff: Erfah-rungswissenschaftliche Befunde auf einzelnen Politikfeldern(wie Menschenrechten, Rüstungskontrolle/Abrüstung, Ent-wicklungspolitik, Klima, Migration usf.) wurden bei einemsolchen analytischen Ansatz in politisch-programmatischeImperative einer jeweils problemangemessenen und überdiesüberfälligen Politik auf Weltebene fortgeschrieben.2 »Inter-

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nationale Politik als Überlebensstrategie« wurde zur Ziel-richtung wissenschaftlicher Argumentation. Demgegenüberwaren rein programmatische Entwürfe einer mit überzeu-genden Argumenten begründbaren Weltordnungspolitik dasSonderangebot philosophischer Reflexion, insbesondere alsErgebnis einer scheinbar unerschöpflichen Kant-Exegese.

Von erfahrungswissenschaftlich-positivistischen Bestands-aufnahmen abgesehen ging es in all diesen Varianten der glo-bal governance-Debatte letztlich um Fragen der politischenRahmenbedingungen einer zielführenden Weltordnungspo-litik auf unterschiedlichen Ebenen. Merkwürdigerweise kamdabei die Makrostruktur der real existierenden Welt meistwenig oder gar nicht in den Blick. Eine Debatte, die ihrenAusgang in den Kernländern der OECD-Welt, also in denUSA und in Westeuropa, nahm, extrapolierte vielfach unbe-wusst und implizit die eigene Erfahrungswelt einer im eige-nen Umkreis allenthalben leidlich konsolidierten Staatlich-keit, überdies einer leidlich homogenen Wertegemeinschaftund insbesondere von tendenziell symmetrischen Austausch-strukturen zwischen den OECD-Gesellschaften auf die üb-rige Welt. Diese Nicht-OECD-Welt, in der mehr als vierFünftel der Weltbevölkerung lebt, zeichnet sich jedoch durchganz unterschiedliche Ausprägungen von politischen Ord-nungsstrukturen (einschließlich Staatszerfall) aus; weiterhindurch Gesellschaften, die vielfach von tiefgründigen Kultur-kampf-Konflikten ordnungspolitischer Natur gekennzeich-net sind und die sich überdies in einem weltpolitischen undweltwirtschaftlichen Umfeld zu behaupten haben, das durchdramatische Machtasymmetrien und asymmetrische Aus-tauschstrukturen geprägt wird.

Machtasymmetrien, asymmetrische Austauschstrukturenmit abgeschichteten Zentrum-Peripherie-Profilen, unter-

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schiedliche Ausprägungen von Staatlichkeit und den ihnenzugrunde liegenden Gesellschaften, Kulturkonflikte: dies sindentscheidende Merkmale einer realiter zerklüfteten Welt. Soll-te es nicht das Anliegen von global governance qua Weltord-nungspolitik sein, diesen Zerklüftungen und den sich darausergebenden Konflikt- und Gewaltpotentialen gezielt entge-genzuwirken? Hierzu wäre allerdings ein realistisches, somitein nicht nur auf einen leidlich gefälligen Ausschnitt der Weltfixiertes Bild ebendieser Welt erforderlich – eine Aufgabe, diesich einer zeitgemäßen global governance-Forschung heutemit wachsender Dringlichkeit erst eigentlich stellt.3

Vielleicht sind die jüngsten Turbulenzen auf dem Welt-finanzmarkt mit sämtlichen Folgeerscheinungen für eine sol-che Reorientierung der global governance-Debatte hilfreich.Dieses Politikfeld samt dem ihm zugeordneten Wirtschafts-bereich entwickelte sich in den vergangenen 20 Jahren nichtunter ordnungspolitischen Prämissen, die global govern-ance-Verfechter für wünschenswert und funktional notwen-dig halten, sondern genau umgekehrt unter der Bedingung ei-nes politisch bewusst inszenierten Abbaus von Regulierungenbzw. der Nichtregulierung von neuen, sogenannten innovati-ven Finanzprodukten bei weitgehender Haftungsbeschrän-kung in einem regulierungsfreien Raum. Deren dramati-sches, jedoch nur kurzfristiges Wachstum ließ im Hinblickauf mittel- und langfristige Konsequenzen die Hauptakteurein der Finanzwelt, aber auch in der Politik schlichtweg blindwerden. Denn dieser Finanzmarkt, mit Schwerpunkt in derOECD-Welt aber erheblichen Konsequenzen für alle Welt,entwickelte geradewegs beispielhaft eine von der Realwirt-schaft abgehobene Selbstreferentialität oder Eigendynamik,wie es sie weder auf nationaler noch auf internationaler Ebe-ne in anderen Politik- bzw. Wirtschaftsfeldern jemals gab.4

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Neben trickreichen Manipulationen der von den Finanzak-teuren selbst leidlich akzeptierten, aber letztlich nicht sank-tionierbaren Modalitäten einer dürftigen Selbstregulierungdes Finanzmarktes trug ein blinder Glaube an die segensrei-che Wirkung nichtregulierter Märkte maßgeblich zu dieserkatastrophalen Entwicklung des Weltfinanzmarktes bei.

Bemerkenswerterweise hatte dieses Politikfeld bzw. Seg-ment der Weltwirtschaft auch in global governance-Analysenerstaunlich wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen, obgleichmanche Analytiker, meist Außenseiter der Szene, frühzei-tig auf die dysfunktionalen Entwicklungen, insbesondere aufdie in der Handhabung »innovativer Finanzprodukte« ange-legte Blasenentwicklung, aufmerksam gemacht haben. Nach-träglich geben sich alle klüger, gerade auch jene »Experten«,die noch vor wenigen Jahren ganz andere, nämlich unein-geschränkt marktgläubige Lagebeurteilungen propagiertenals nach dem eingetretenen Debakel der Finanzmärkte. ZuRecht müssen sich inzwischen die einstigen wissenschaftli-chen und journalistischen Verfechter einer Deregulierung umihrer selbst willen als »Blindgänger« etikettieren lassen.5

Vielleicht vermag jedoch gerade die Zuspitzung einer kata-strophalen Entwicklung in einem unterregulierten bzw. be-wusst nicht regulierten Segment der Weltwirtschaft (aber oftauch der Finanzmärkte innerhalb einzelner Ökonomien) ei-nen Sinn für die Erfordernisse von Regulation wiederzubele-ben. »Bringing the state back in«: das war vor vielen Jahreneine rein innerakademische Forderung, die darauf zielte, inder Analyse internationaler und nationaler Politik Staat undStaatlichkeit nicht heuristisch bzw. analytisch zu marginali-sieren.6 Angesichts des Debakels auf weithin von staatlichenRahmenbedingungen entkoppelten Finanzmärkten gewinntdieser Slogan eine ganz neue Bedeutung. Wobei durchaus zu

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betonen ist, dass wie in anderen global governance-Politik-feldern nicht jedwede Regulierung als solche schon sinnvollist, sondern Regulierungen sich jeweils im Lichte konkreterProblemlagen in einzelnen Politikbereichen im Hinblick aufspezifische Problemlösungen als zielführend erweisen müs-sen.

Weltordnungspolitik hat also nach den dramatischen Er-fahrungen einer durchlebten und durchlittenen weltweiten Fi-nanzmarktkrise die Chance, nicht nur in wissenschaftlichenDebatten, sondern auch in der politischen Praxis ernster ein-gestuft zu werden als bisher.

Dabei sollte man nicht davon ausgehen, dass die Orientie-rung an global governance nun in Analyse und Praxis einSelbstläufer wird.7 Denn andere Weltordnungsmodelle bie-ten sich als mächtige interessenbesetzte Alternativen an: sobeispielsweise ein inzwischen zwar rhetorisch abgefederter,jedoch weiterhin durchaus operativ wirksamer USA-Unila-teralismus; oder ein Mächtekonzert der G 7/8, nunmehr zu-nächst fassadenhaft erweitert auf einen G20-Club; eventuellaber auch ein G20-Club, in dem mit der Zeit einigen »emerg-ing powers« wie den sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien,Russland, Indien, China) und wenigen weiteren (wie Süd-afrika) auf operativer Ebene politisches Gewicht zuwächst.Vorstellbar sind jedoch auch regionale Blockbildungspro-zesse, die nicht in ein weltpolitisch relevantes Konzert regio-naler Vormächte, ein Mächtegleichgewicht neuer Prägung,münden würden, sondern in eine tendenziell multipolar-antagonistische Struktur. Zuspitzen würde sich eine solcheEntwicklung, wenn sich erneut eine bipolar-antagonistischeKonstellation (USA-China) mit sämtlichen Begleiterschei-nungen (ideologischer Systemantagonismus, Rüstungsdyna-mik, Embargopolitik usw.) herausbildete.

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Demgegenüber hätte global governance einen Multilatera-lismus von globaler Reichweite zur Voraussetzung, der vorallem den nicht in G 7/ 8 bzw. G20 versammelten Staaten eineeigene politische Bühne bieten würde – eine Plattform, dieasymmetrisch zugunsten der bisher weltpolitisch Marginali-sierten strukturiert sein müsste, gewissermaßen im Sinne von»affirmative action«. Dafür wäre aber eine neue Selbstorgani-sation der letztgenannten Gruppierung unabdingbar. Dennnur dann würde global governance als global ausgerichteteWeltordnungspolitik eine Chance erhalten. Auch die Wissen-schaft kann zu einer solchen wünschbaren Entwicklung bei-tragen, indem sie sich bemüht, dem OECD-bias der bisheri-gen global governance-Debatte entgegenzuwirken.8 DiesesBuch möchte hierzu einen Beitrag leisten.

Es werden darin einige wesentliche Zerklüftungen in derWelt diagnostiziert sowie weiterführende Entwicklungsper-spektiven umrissen. Ausgangspunkt ist jeweils eine erfah-rungswissenschaftlich ausgerichtete Analyse. Diese ist jedochnicht Selbstzweck, sondern Grundlage einer konstruktivenfriedenspolitischen Argumentation im jeweiligen Problem-bereich. Dabei sind der Entwicklungsproblematik und derAuseinandersetzung über politisierte Kulturkonflikte jeweilseigene Kapitel gewidmet. Andere weltpolitisch relevante Pro-blembereiche werden weniger ausführlich in den Kapitelnumrissen, in denen Weltordnungspolitik nicht bereichsspezi-fisch, sondern aus einer Gesamtperspektive analysiert wird.

In zwei Kapiteln dieses Buches wird bewusst auf dievergangene Ost-West-Konfliktkonstellation zurückgeblickt.Dies geschieht nicht aus historischem Interesse, sondern alsRückblick für die Zukunft. Sollte nämlich verhindert wer-den, dass sich in Zukunft erneut eine Konfliktkonstellationvergleichbaren Zuschnitts oder auch nur in abgefederten For-

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men einer antagonistischen Konstellation zwischen Regio-nalmächten herausbildet, dann ist ein solcher Rückblicknicht abwegig, denn die Ost-West-Konfliktkonstellation war,weltgeschichtlich betrachtet, von beispielloser Zuspitzungsowohl hinsichtlich des ideologischen Systemantagonismusals auch der unvergleichlich monströsen Zerstörungspoten-tiale. Deren immer noch erhebliche Größenordnung drohtallmählich aus dem Gedächtnis zu entschwinden – eine pro-blematische Entwicklung, denn aus dieser vergangenen zuge-spitzten weltpolitischen Konstellation ist bleibend viel zulernen.

Bekanntlich gleiten anfängliche Konflikte leicht in eine Es-kalationsspirale über. Dann inszenieren sich die Teufelskreise,und mögliche Ansätze zu »Engelskreisen«, d.h. zu konstruk-tiver Konfliktbearbeitung, werden, wo vorhanden, zunichtegemacht. Diese Erfahrung in Rechnung stellend, hat auchdieses Buch zur Leitperspektive: Si vis pacem, para pacem.Doch die bange Frage bleibt: Hat Frieden Zukunft?

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I Welt-Analyse

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1. »Eine Welt« oder vier Welten?

Weltpolitik, Weltgesellschaft, Weltwirtschaft, Weltökologieaber auch Weltordnungspolitik (global governance) und Welt-ethos – diese und andere Welt-Begriffe haben, obgleich inaller Regel seit langem in wissenschaftlicher und politischerSemantik gebräuchlich, nach dem weltpolitischen Umbruch1989/92 und im Zusammenhang mit der Globalisierungsdis-kussion eine markante Akzentuierung erfahren. Diese Beob-achtung gilt natürlich besonders im Hinblick auf den Begriffder »Globalisierung«, der seit den 1990er Jahren weltweit indas Zentrum des politischen und auch des wissenschaftlichenDiskurses gerückt ist.

Aus der Geschichte öffentlich wirksam gewordener Be-griffe weiß man, dass ein solcher Vorgang immer reale Verän-derungen widerspiegelt. So gibt es empirisch triftige Beob-achtungen, die darauf aufmerksam machen, dass die heutemit einer gewissen Emphase benutzten Welt-Begriffe undinsbesondere der Globalisierungsdiskurs vier Sachverhaltereflektieren: die Intensivierung globaler Interdependenzen,die Ausweitung globaler Netzwerke, die Beschleunigung glo-baler Prozesse und die zunehmenden Folgewirkungen dersich globalisierenden Strukturen und Prozesse auf sämtlicheLebensbereiche.1 Diese Sachverhalte sind an und für sichnicht neu; davon zeugen schon lange vor 1989/92 eingesetz-te Diskussionen über einen ausdimensionierten Interdepen-denzbegriff, einschließlich einer Reflexion über die Interde-pendenz von Interdependenzen im internationalen System,weiterhin die Diskussion über die Struktur »internationalerGesellschaft«, insbesondere aber die Beiträge über »Akku-mulation auf Weltebene« sowie die Konzeptualisierung von

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sozialwissenschaftlicher Forschung als Weltsystem-Analy-se – all dies analytische Bemühungen seit den 1950er Jahren.2

Wenngleich dieser Vorlauf in der gegenwärtigen Diskussioninzwischen weitgehend ignoriert wird, stellt sich heute die-selbe Grundfrage wie vor 1989/92, vor dem Ende der welt-politisch dominanten Ost-West-Konfliktformation bzw. derBipolarität: Welche Vorstellungen von Welt liegen eigentlichden Welt-Begriffen zugrunde? Und vor allem: Welche Weltbzw. Globalität unterstellt der Diskurs über Globalisierung?

Diese Fragen sind umso berechtigter, als in dem Welt-Dis-kurs selten die real existierende Welt in ihrer durch Teilstruk-turen und Abschichtungen gekennzeichneten Gesamtheit inkonzeptueller, empirischer, aber auch in normativer Hinsichtwirklichkeitsgetreu zur Sprache kommt. Ein solches diffe-renziertes Verständnis ist jedoch erforderlich, um einen er-tragreichen Welt-Diskurs führen zu können. Dies setzt aller-dings eine Steigerung analytischer Komplexität, nicht eineReduktion derselben voraus: Solcher Diskurs über die »Welt«muss somit, wenn er in erfahrungswissenschaftlicher und inhandlungsleitender Perspektive relevant sein soll, die realexistierende Komplexität in sich aufheben und darf das Welt-Bild nicht übermäßig vereinfachen.

Zu fragen ist also: Mit welcher Welt bzw. welchen Weltenbzw. Teilwelten haben wir es in der real existierenden Wirk-lichkeit und damit auch in der Welt-Analyse zu tun?

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1.1 Die Teilwelten der Welt

Die OECD-Welt (Welt I)

An der Spitze der Weltgesellschaft sind zwischen den fort-geschrittenen Industriegesellschaften (OECD-Welt) Entgren-zungsprozesse zu beobachten, die in allen Dimensionen (Po-litik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur) komplexe Inter-dependenzen entstehen lassen. Besonders markant zeigt sichdieser Vorgang, der als Denationalisierung bezeichnet wird,3

in der politisch forcierten, aber auch eigendynamisch voran-getriebenen ökonomischen Entwicklung des europäischenBinnenmarktes, der inzwischen durch eine freihändlerischmotivierte Mobilität der entscheidenden ökonomischen Fak-toren gekennzeichnet ist. Die hier entstandenen Interdepen-denzen zeichnen sich durch Symmetrie und substitutive Ar-beitsteilung aus, d.h., alle beteiligten Ökonomien produzie-ren tendenziell kapital-, wissens- und technologieintensiv;in den fortgeschrittenen, für die Dynamik der Ökonomiewesentlichen Sektoren sind sie vergleichbar wettbewerbsfä-hig; sie exportieren branchenübergreifend ein- und densel-ben Typ von Gütern mit hoher Wertschöpfung. Dies führtzu einem raumausgreifenden erheblichen und akzentuiertenWettbewerb und in der Folge, keineswegs paradoxerweise,sondern sachlogisch, zu grenzüberschreitenden integriertenMärkten. Da der Wettbewerb auf gleichem Kompetenzniveaustattfindet, kommt es zu dem, was man – aus einer weltweitvergleichenden Perspektive betrachtet – als »Globalisierungde luxe« bezeichnen könnte: einer symmetrisch gelagertenDurchdringung der Märkte mit vergleichbaren, eben substi-tuierbaren Gütern. Bei diesem Typ von Arbeitsteilung ge-winnen (allerdings mit Ausnahme der Natur) alle Beteiligten,

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einschließlich der Konsumenten. Das außenhandelstheore-tische Theorem kosmopolitischen Wohlfahrtsgewinns in derFolge internationaler Arbeitsteilung gemäß komparativerVorteile findet hier im regional begrenzten Rahmen und nurunter den angegebenen Bedingungen einigermaßen ein fun-damentum in re – dies insbesondere im Rahmen des EU-Bin-nenmarktes.

Der Sachverhalt – substitutive Arbeitsteilung auf symme-trischer Grundlage – ist von erheblicher Bedeutung, weil erdie betroffenen Gesellschaften integrationsgeneigt macht. Wieweit die Integration über den wirtschaftlichen in den politi-schen Bereich hinaus vorangetrieben wird, bestimmt aller-dings nicht allein die Ökonomie: Das Ausmaß an Europäisie-rung lässt eine Situation entstehen, in der nationale Interessensich immer mehr als unentrinnbar verflochtene Interessendarstellen. Das Management dieser Verflechtungsdynamikentwickelt sich in aller Regel schrittweise durch ein Zusam-menspiel von Politik, Recht, Wirtschaft und Zivilgesellschaft,was bei entsprechenden Verdichtungen der regionalen Inter-dependenzen zur Herausbildung eines postnationalen Mehr-ebenensystems politischer Willensbildung, Entscheidungs-findung und Implementation führt. Die pluralistisch-liberalepolitische Szene der einzelnen demokratischen Verfassungs-staaten erweitert sich dabei, wenn auch mit legitimatorischen,insbesondere wohlfahrtsstaatlichen Defiziten, auf die euro-päische Ebene: In entscheidenden Bereichen wird aus natio-naler eine europäische Innenpolitik.

Solche symmetrisch gelagerten, auf Gewinn ausgelegtenHandelsstaaten (»trading states«) sind in ihrer politischenKultur in der Tendenz universalistisch orientiert, was sie ausihrem Kontext heraus verständlicherweise zu einem unbe-kümmerten freihändlerischen Globalisierungsdiskurs verlei-

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