Wein Welten Italien - Steffen Maus und Markus Bassler

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Hervoragendes einzigartig aktuelles Werk mit Expertentips von Volks-Sommellier Dr. Steffen Maus und Food-Fotograf Markus Bassler. Auszüge aus dem Buch in Kapiteln je Region.

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congeliano-valdobiaddene prosecco und glera

Dolce Vita mit leichtem Druck

wenn prosecco ein mensch wäre, er würde zu jeder party eingeladen. er hätte massenhaft freunde auf facebook, aber wahrscheinlich keine peinlichen fotos. nur manche leute hielten ihn für oberflächlich. der venezianische schäumer versprüht nämlich notorisch gute laune und ist dabei so leicht, dass ein glas mehr noch keinem geschadet hat. kritiker halten seine blumig-fruchtige art für langweilig. sie sollten mal einen prosecco aus conegliano-valdobbiadene probieren.

Am Eingang steht ein Butler im Frack. Die Herren tragen teure Anzüge, die Damen breitkrempige Hüte und lange Kleider, deren Säume manchmal gewollt nachlässig über den Marmorboden schleifen. Kirstalllüster und steinerne Büsten sorgen in den Sälen des Schlosses für das mondäne Umfeld. Hinter den meterhohen Fenstern und einem mit dem Lineal vermessenen Figurenpark breiten sich die Hügel des Weinbaugebietes nördlich von Venedig aus, während die bernsteingoldene Sonne auf die Rebgärten scheint. Ge-nau so, wie sich Lieschchen Müller und die Hersteller von Schokokugeln eine Party in der italienischen High Society vorstellen, sieht es im Castello di San Salvatore in Susegana aus. Zumindest, wenn das Consorzio per la Tutela del vino di Conegliano-Valdobbiadene Prosecco sein Weinfest auf dem Weltkulturerbe feiert.

An den Tagen des Vino in Villa treten die Büsten und Fresken sogar etwas zurück hinter den Tischchen mit Perlwein, die überall aufgestellt sind. Im Angebot der rund 80 Winzer ist Prosecco von trocken bis süß. Überall perlt der prickelnde Wein in den Kelchgläsern, duftet meist etwas nach Äpfeln und Birnen, manchmal auch nach Man-deln und Blütenblättern.

Kritiker klagen gern, er sei neutral oder sogar langweilig. Ersteres stimmt mitunter, Letzteres nie. Gerade mit seiner Leichtigkeit hebt Prosecco überall unkompliziert die Stim-mung. Milde Kohlensäure statt nervenden Geblubbers,

fruchtige Frische statt aggressiver Säure und eine charmante Süße statt eines Abgangs, der Zunge und Gaumen zusam-menzieht, nur damit der Wein sich trocken nennen darf.

Prosecco ist nicht nur sehr zugänglich, mit seiner leich-ten Art macht er sich bei jeder Gelegenheit beliebt. Ein Gläschen zum späten Frühstück? Mit seinem moderaten Alkoholgehalt haut er keinen aus den Schuhen. Als Aperitif legt er niemanden fest, und irgendwann zwischendurch ist er auch nicht verkehrt. Italiener schätzen ihn sogar zum Dessert. Vor allem, wenn er aus Conegliano-Valdobbiadene kommt. Oberhalb der weiten venezianischen Ebene lehnen sich die Weingärten des Kerngebietes der Anbauzone eng an das Dolomitenmassiv im Norden und machen schon einen etwas alpinen Eindruck. Steil und karg sind die Abhänge, auf denen die Reben wachsen. Der durchlässi-ge Lehmkalkboden bildet einen idealen Untergrund für Weinstöcke; Fallwinde aus dem Norden sorgen für kühle Nächte, die den Trauben gut tun.

Unerwartet schön − die Landschaft

Zwischen den Weingärten verstreut liegen zauberhafte Dör-fer im venezianischen Stil, auf den sanften Hügeln thronen dreistöckige Landhäuser, vor denen Libanon-Zedern wach-sen. Die getünchten Bruchsteinfassaden leuchten ocker und ziegelrot, und die Kirchen haben spitze Türme. Beides sind Andenken an Österreich, zu dessen Monarchie das Veneto bis Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte. Die Mischung aus bieder-braver k.u.k. Architektur und venezianischen Schnörkeln gibt dem Landstrich einen eigenen Charme. Im Westen und im Osten begrenzen die namensgebenden Städte Valdobbiadene und Conegliano das Kernland des Prosecco. In Conegliano gibt es neben einer der ältesten und größten Weinbauschulen Italiens auch eine jährliche Dame Partie mit lebenden Spielsteinen. Parallel dazu wird in den Bars Enodama gespielt, wobei die Spielsteine durch Rot- und Weißweingläser ersetzt werden. Doch auch wer die Veranstaltung verpasst, muss keinen Mangel fürchten. In den Bars fließt der Prosecco jeden Tag in Strömen.

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„Weil nur das Herzstück des Prosecco Weine hervor-bringt, deren Identität man schmecken kann“, sagt Elvira Bortolomiol aus Valdobbiadene. Ihr Großvater Giuliano führte Ende der vierziger Jahre die Tankvergärung in der Region ein und legte damit den Grundstein für den modernen Prosecco. Der Banda Rossa von Bortolomiol ist seit Jahrzehnten das Aushängeschild der Kellerei. Denn die Trauben aus Conegliano-Valdobbiadene sind reifer und komplexer als die der vielen Proseccos aus der weiten Ebene von Venezien bis ins Friaul. Der Wein duftet typisch nach Äpfeln und Birnen, aber auch etwas nach frischem Brot und Orchideenblüten. Eine feine Süße macht ihn char-mant am Gaumen. Im blitzblanken Keller von Bortolomiol bestimmt die High-Tech-Ausrüstung mit Stahltanks und pneumatischen Pressen das Bild. „Zwei Millionen Flaschen füllen wir hier pro Jahr ab“, erzählt Bortolomiol stolz. Trotz-dem entstehen sehr individuelle Proseccos.

Ein bisschen weniger sind es bei Le Colture im nahen Santo Stefano. Schon seit dem 16. Jahrhundert sei seine Familie im Weinbau, so Winzer Alberto Ruggieri. „Wir kennen den Boden, die Trauben und alle Risiken im Weinkeller aus dem Effeff“, sagt er und setzt dazu eine wichtige Miene auf. Mit Boden ist vor allem Cartizze

gemeint, ein steiler Hang aus Mergel, Sandstein und Lehm, der sich wie ein Amphitheater krümmt. In dem Kessel fängt sich die Sonne und sorgt dafür, dass die spät reifenden Trauben genügend Licht und Wärme be-kommen. Die Einzellage Cartizze ist das Sahnestück des riesigen Prosecco-Gebietes. Auf knapp fünf Prozent der Fläche ernten die glücklichen Winzer weniger als ein Prozent der Erntemenge. Es sind die besten Trauben, die die Region hervorbringt.

Im Weinkeller verarbeitet Ruggieri das Material wie die meisten Spitzenwinzer zu Vino spumante, also Sekt, der mehr Kohlensäure als der Frizzante enthält. „Das gibt den Proseccos mehr aromatische Intensität.“ Besonders seinem Cartizze, den er stolz nach seiner Herkunft benannt hat. Aus dem Glas mit der strohgelben Flüssigkeit duftet es stär-ker nach reifen Birnen und weißen Pfirsichen als bei ande-ren Proseccos. Mit seinen Aromen von Orangenblüten und leicht welken Rosenblüten erinnert er fast an Parfum. Im Mund fühlt er sich cremig-weich an, die Aromen bleiben länger am Gaumen. Trotzdem wirkt er prickelnd frisch mit der notorisch unaufdringlichen Säure. Noch dazu hat der Cartizze, wie fast alle Proseccos, egal ob sie für kleines Geld im Supermarktregal stehen oder zu den Spitzenweinen des

Kleine Weinberghäuschen schmiegen sich an steile Hänge: Conegliano-Valdobbiadene.

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Anbaugebietes zählen, im Abgang eine feine Süße, die am Ende jeden versöhnlich stimmt.

Mit diesem Stil hat sich der Prosecco weltweit Freunde gemacht. Einige seiner treuesten Gefährten wohnen in Deutschland. Hier passte der leichte Italo-Tropfen Mitte der neunziger Jahre wie angegossen zur Münchner Schicki-micki-Szene und avancierte bald zum Trend im gesamten deutschsprachigen Raum. In den letzten Jahren boomt nun auch der amerikanische Markt, und der Prosecco ist dort auf allen gesellschaftlichen Ebenen angekommen. Auch US-Präsident Barack Obama begoss seine Amtseinführung 2009 mit Prosecco, wie Fachmedien staunend berichte-ten. Werder Bremen hat ihn zu seinem offiziellen Getränk erklärt, das man am besten gleich im hauseigenen Inter-netstore erwirbt. Der Vize-Rekordmeister animiert seine Anhänger, mit Fan­Prosecco Nr. 12 „ihren Verein auf eine neue Weise zu genießen“. Selbst im Deutschen Bundestag floss bei Empfängen reichlich Prosecco. Erst nach Inter-vention einer Ex-Weinkönigin wird nun auch inländischer Schaumwein ausgeschenkt.

Etwas mehr auszugeben lohnt sich

Mengenmäßig trinken die Deutschen viel mehr Prosecco als deutschen Sekt, und die großen Kellereien in Nordita-lien bedienen sie gern. Hergestellt wird Prosecco nämlich nur zum kleineren Teil in Conegliano-Valdobbiadene. Fast das Dreifache, 160 Millionen Flaschen, kommt aus den weiten Ebenen des Veneto und in Zukunft sogar aus dem Friaul, so will es eine neue Gesetzgebung. Solche Proseccos haben kaum noch eine Bindung zu dem begrenz-ten Anbaugebiet, aus dem sie stammen, und sind genau die Sorte Wein, die Kritiker oft genervt beiseitestellen. Vermarkten können nur große Discountketten Mengen in solchen Größenordnungen. In den Verhandlungen mit Aldi, Lidl & Co. wird aber Tacheles geredet, was den Preis angeht. Im andauernden Preiskampf der Branche rutschte der Prosecco so immer wieder mal in preisliche Niederungen, die existenzgefährdend für die Winzer sind. Ein bis zwei Euro für die Flasche markieren den traurigen Tiefpunkt der Preisspirale. Das ist weniger, als italienische Erzeuger im Land für ihre Ware verlangen. Irgendwer zahlt also drauf bei solchen Aktionen. Manchmal ist es der Ver-braucher, dem statt Prosecco aus den ohnehin anspruchslo-seren Herkünften eine Fälschung aus Billigweinen anderer Regionen untergeschoben wird.

Aber letztlich perlt auch das an dem italienischen Lebenskünstler ab. Prosecco bedeutet Party, und dabei ist keine Rede von Sparen. Der Aperol-Sprudel-Mix Spritz Für die Prosecco-Erzeugung ist der Druckmesser unerlässlich.

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wurde in kurzer Zeit zum Trend-Aperitif. Im Bellini, einem Aperitif, der in den dreißiger Jahren in Venedigs legendärer Harry’s New York Bar entstand, spiegelt sich noch mehr das mondäne Element des Sprudlers. Ähnlich sieht das wohl die US-amerikanische Milliardenerbin Paris Hilton, die den venezianischen Perlwein für sich als Einnahme-quelle entdeckt hat. In goldene Blechdosen abgefüllt, geht der Tropfen unter dem Namen Rich über den Tresen und schlägt vor allem in der Gastronomie enorm ein. Szenegän-ger sonnen sich vermutlich im Glamour des Party-Girls, das als Werbeträgerin seinen eigenen Beitrag leistete. Die Markenbesitzerin kurbelte den Verkauf unter anderem an, indem sie nackt und golden angemalt durch einen Wer-bespot in der Wüste krabbelte. Offensichtlich nimmt die Hotelerbin, die ihren Prosecco „als besonderes Vergnügen und Belohnung am Ende eines Tages“ begreift, ihr Produkt selbst ernst. Mit diversen Trunkenheitsfahrten hat die laut Guinness-Buch „am meisten überexponierte Persönlichkeit“ zumindest ein Faible für alkoholische Getränke bewiesen.

Die Herstellung von Prosecco ist gar nicht mal so schwie-rig. Bei der Vergärung zu Alkohol entsteht naturgemäß

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Marken bestimmen die Welt − zwei Prosecco-Marken sind auch dabei: Welche sind es?

Wann man Prosecco trinkt? Eigentlich immer. Schon bei einem launigen Frühstück macht er eine gute Figur, zum Picknick, zum tramezzino zwischendurch, zu Sushi, als Aperitif zu kleinen Häppchen, im kultigen Spritz und erst recht im Bellini mit Pfirsichmark. Seine Leichtigkeit ist das große Plus des Prosecco. Ein einfaches Fischgericht mit milden Aromen kann man ihm auch anvertrauen. Bei gehaltvollen Speisen muss er allerdings passen. Erst zum Nachtisch kommt wieder seine Stunde: Feines Gebäck, Mürbteig, Obstkuchen und Blätterteig mit Crème ver-edelt hochwertiger Prosecco, gern auch mit Restsüße. Solche Weine findet man jedoch nie beim Discounter und auch selten im Restaurant. Ein guter Fachhändler verkauft ihn für 6 bis 12 €. Ein Frizzante ist immer preiswerter als ein Spumante, weil darauf pauschal ein Euro Sektsteuer anfällt. Prosecco trinkt man immer jung.

genusstipp

Mausempfehlungen für den besonderen Prosecco

Adami www.adamispumante.itBisol www.bisol.itBortolomiol www.bortolomiol.comCarpene Malvolti www.carpene-malvolti.comCase Bianche www.casebianche.itCol Vetoraz www.colvetoraz.itConte Collalto www.collaltowines.comLa Farra www.lafarra.itLa Tordera www.latordera.itLe Colture www.lecolture.itNino Franco www.ninofranco.itSilvano Follador www.silvanofollador.itSorelle Bronca www.sorellobronca.comPerlage www.perlagewines.comVilla Sandi www.villasandi.it

Kohlendioxid. Die ersten Proseccos sprudelten wahrschein-lich, weil es im Winter zu kalt für die Gärhefen der spät geernteten Trauben wurde und die Fermentation abbrach. So prickelte der Wein im nächsten Jahr ganz von selbst, und ein bisschen Zucker war auch noch übrig. Das war auch ganz gut so, die Weißweine allein sind nämlich eher bescheiden. Ihren Esprit entfalten sie erst im Spumante oder Frizzante. Heute vergären Kellermeister den Saft der ertragstarken Trauben zügig in dichten Drucktanks, so dass

das CO2 nicht entweichen kann und sich in der Flüssigkeit einlagert. Wer größere Mengen produziert – kleine Gebin-de lohnen sich nicht – macht aus preiswertem Grundma-terial recht zügig ein fertiges Produkt. Solche Aussichten lieben große Abfüllbetriebe, die in der Vergangenheit auch schon mal nicht ganz legale Einsparmöglichkeiten wie Weine fremder Rebsorten oder Anbaugebiete nutzten. Seit der Weinmarktreform der EU im Jahre 2009 gibt es jedoch neue Spielregeln. Heute ist das gesamte Produktionsgebiet des bisherigen Prosecco zur Geschützten Herkunft, DOC, aufgewertet. Das bedeutet, dass nur noch der Most von Trauben genau umrissener Provinzen zu Prosecco versektet werden darf. Das kleine Kernland zwischen Conegliano und Valdobbiadene wurde mit dem höchsten Prädikat Geschützte und garantierte Herkunft, DOCG, ausgestattet und muss dafür die Erntemenge noch weiter begrenzen.

Der Clou an der Gesetzesänderung ist aber, dass Prosec-co nicht mehr der Name einer Traubensorte, sondern des Produktionsgebietes ist. Die Ex-Prosecco-Traube heißt jetzt Glera, ein altes Synonym aus dem Nachbargebiet Friaul. Die Weinbaupolitiker verhinderten so, dass Prosecco aus anderen Regionen mit dem Rebsortennamen als billigster Tafelwein abgefüllt werden darf. Irgendwie ein italienischer Geniestreich. Die Gesetzesänderung, die auf Anhieb etwas beschwipst wirkt, bereitete einer ganzen Reihe von Profi-teuren jedoch gehörig Kopfschmerzen, darunter Abfüller, die fern von Venetien, manche sogar in Deutschland, bis dahin ganz legal Prosecco unter dem Prädikat Typische geografische Benennung abgefüllt hatten. Schluss mit ver-wirrenden Sortenverschnitten wie Verduzzo-Prosecco und Phantasienamen, die doch nur verschleiern wollten, dass sie gar keine richtigen Proseccos waren.

Das Aus kam auch für Dosen. Nur noch Glasflaschen in bestimmten Farben sind genehm, was die Firma Rich AG mit ihrem Paris-Hilton-Blechle kurzzeitig vor ein Pro blem stellte. Die Marke benannte man eilig in Rich Secco um, erhältlich in den Geschmacksrichtungen Venice (mit Kräu-tern), Fire (Whiskey, Cola, grüner Tee), Vampire (Wod-ka, Blutorange). Unter dem Label ist auch ein Perlwein aus Glera erhältlich. Die Rebsorte, die früher unter dem Namen Prosecco bekannt war, stammt wahrscheinlich aus einer kleinen Region in der Nähe von Triest. Deren Wein mochten schon die alten Römer, sie nannten ihn vinum Pucinum. Das Dorf Pucinum existiert noch heute. Es heißt Prosecco. Es gibt dort auch viele Winzer, aber Prosecco dürfen sie ihren Wein erst neuerdings nennen. zig

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