Waldemar Bonsels Die Biene Maja und ihre Abenteuer · Hinaus in die Welt A n dem Tag, als die...

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Waldemar Bonsels Die Biene Maja und ihre Abenteuer

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Waldemar BonselsDie Biene Maja und ihre Abenteuer

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WALDEMAR BONSELS

Bearbeitet von Frauke NahrgangIllustriert von Verena Körting

und ihre Abenteuer

Die

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cbj ist der Kinder- und Jugendbuchverlagin der Verlagsgruppe Random House

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

Auflage 2012© 2012 cbj, München

Alle Rechte an dieser Ausgabe vorbehaltenBearbeitung: Frauke Nahrgang

Umschlagbild und Innenillustrationen: Verena KörtingUmschlaggestaltung: Anette Beckmann, Berlin

Titeltypographie: Susanne UlhornSaS · Herstellung: hag/ChB

Satz: KompetenzCenter, MönchengladbachDruck: G. Canale & C.

ISBN 978-3-570-15440-3Printed in Europe

www.cbj-verlag.de

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifizierte

Papier Furioso New liefert Sappi Europe S.A.

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Hinaus in die Welt

An dem Tag, als die kleine Biene Maja zur Welt kam, herrsch-te im Bienenstock gerade große Aufregung. Ein Schwarm junger Bienen hatte einen Aufstand angezettelt und eine neue Königin ausgerufen. Da die meisten Untertanen aber ihrer alten Königin treu ergeben waren, hatten die Aufrührer kaum Unterstützung gefunden. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Stock zu verlassen und irgendwo draußen in der Welt einen eigenen Staat zu gründen. Nun drängten sie alle lär-mend zum Ausgang und das Brummen im Stock schwoll be-drohlich an.

Mitten in diesem Trubel schlüpfte Maja aus ihrer Zelle. Kas-sandra, eine ältere Bienendame, die sich immer um den Nach-wuchs kümmerte, half ihr dabei. Sie putzte ihr die Augen blank und versuchte Ordnung in ihre zarten Flügel zu bringen.

»Hier ist es mir viel zu heiß!«, waren Majas erste Worte.Das fängt ja gut an, dachte Kassandra. Das Kind ist noch

gar nicht richtig auf der Welt und schon beschwert es sich.Eine Weile betrachtete Maja staunend, wie Biene um Biene

an ihr vorübereilte. Doch bald verlor sie das Interesse an dem

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Spektakel. Sie zwängte sich zu den Wabenschränken durch und sog gierig den Honigduft ein. »Wie gut es hier riecht«, schwärmte sie.

»Hände weg!«, rief Kassandra, die ihr nachgeeilt war. »Hier wird nicht genascht!« Sie warf Maja einen besorgten Blick zu und sagte: »Ich habe in diesem Frühling schon viele hundert junge Bienen erzogen. Aber keine von ihnen war so naseweis wie du.«

»Naseweis, was ist das?«, fragte Maja.Kassandra seufzte. Höchste Zeit, dass ich mit der Erziehung

beginne, dachte sie und legte auch gleich los: »Weißt du, was das Wichtigste im Leben einer jungen Biene ist?«

Gespannt riss Maja die Augen auf.»Das Wichtigste ist, dass du selber nicht so wichtig bist. Bei

allem, was du tust, musst du an unsere Gemeinschaft denken. Deshalb wirst du schon bei deinem ersten Ausflug lernen, welche Blumen den besten Honig haben.«

»Lernen?«, maulte Maja. »Ist ja langweilig!«Kassandra seufzte erneut. »Ich fürchte, mit dir wird es ein

schlechtes Ende nehmen.«»Nur, wenn ich den ganzen Tag Honig sammeln muss«,

erwiderte Maja und schaute ihre Erzieherin treuherzig aus großen Augen an.

Kassandra wusste selber nicht wie ihr geschah, aber in die-sem Augenblick erfasste sie eine besondere Liebe zu der klei-nen Maja. Sie, die sich in ihrem langen Leben nie irgendeinen

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Eigensinn erlaubt hatte, wünschte sich plötzlich, dass dieses vorwitzige kleine Ding glücklich werden möge.

Und so kam es, dass sie Maja mehr erzählte als anderen Bienen an ihrem ersten Lebenstag. Sie gab ihr vielerlei besonde-re Ratschläge und warnte sie vor den Gefahren der Welt außer-halb des Bienenstocks. Zum Schluss erklärte sie ihr: »Morgen wirst du zum ersten Mal ausfliegen. Sei höflich zu jedermann, den du unterwegs triffst. Aber hüte dich vor den Hornissen! Sie sind grausam und böse.« Mit diesen Worten umarmte die alte Lehrerin ihren Zögling, und auch das war etwas, das sie vorher noch nie mit einer anderen jungen Biene getan hatte.

Maja aber konnte nur an eines denken: Morgen werde ich endlich die Welt kennenlernen! Vor lauter Vorfreude konnte sie lange nicht einschlafen.

Und dann war es so weit. Mit dem ersten Sonnenstrahl, der durch das Flugloch blinzelte, sprang Maja von ihrem Lager auf. Eine der Honigsammlerinnen wollte gerade zur Arbeit aufbrechen.

»Nimm mich mit!«, rief Maja und folgte ihr hastig.Am Tor vertrat ihr einer der Wächter den Weg. »Du willst

doch nicht ohne das Losungswort fliegen«, sagte er. Er beug-te sich hinunter und flüsterte es der kleinen Biene ins Ohr. »Vergiss es nicht«, mahnte er. »Sonst können wir dich nicht mehr hereinlassen.«

Dann, endlich, konnte Maja hinaus auf das Flugbrett treten. Überwältigt von dem strahlenden Licht schloss sie die Augen.

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Bis die Honigsammlerin sie anstupste. »Schau dich um!«, forderte sie. »Nur so kannst du deine Heimat kennenlernen. Siehst du, unser Stock steht im Schlosspark. Die Kuppel da vorn gehört zum Schlossturm. Den kannst du schon von Weitem sehen.«

»Was ist ein Schloss?«, erkundigte sich Maja.»Das ist der Stock der Menschen«, erklärte die Honig-

sammlerin.»Menschen?«, fragte Maja. »Was ist das?«Aber die Honigsammlerin schüttelte nur den Kopf und

mahnte: »Genug geplaudert. Die Arbeit wartet.«»Du meinst, ich soll einfach losfliegen?«, fragte Maja.»Nur zu!«, ermunterte sie ihre Begleiterin.Da hob Maja mutig ihren Kopf und bewegte ihre schönen

neuen Flügel vorsichtig auf und ab. Und schon im nächsten Augenblick versank das Flugbrett und die Landschaft glitt unter ihr dahin. Majas Augen glänzten und ihr Herz jubelte. »So muss Fliegen sein!«, rief sie. »Ja, wirklich, ich fliege!«

»Und zwar viel zu schnell«, keuchte die Honigsammlerin, die kaum hinterherkam. »Flieg langsamer und halte die Augen

auf.« Doch die kleine Maja flog nur noch schneller.»Maja!«, rief die Honigsammlerin verzweifelt. »Maja,

präge dir den Rückweg ein!«

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Rückweg?, dachte Maja und schoss wie ein Pfeil durch die Luft. Wozu brauche ich den Rückweg? Die Welt hier draußen ist tausendmal schöner als die dunkle Bienenstadt. Niemals werde ich dorthin zurückkehren, um Honig zu sammeln oder Wachs zu kneten. Ich möchte Abenteuer erleben!

Lange flog sie so dahin. Erst als ihre Flügel müde wurden, machte sie Rast in einem Garten. Sie ließ sich auf einer Tulpe nieder und trank einen Schluck Honigsaft. Dabei fielen ihr die Menschen wieder ein. Warum bauten sie sich einen Stock, der um so vieles höher hinausragt als der der Bienen?

Das muss ich unbedingt herausfinden, beschloss Maja.Die Sonne, die den ganzen Tag warm und golden gestrahlt

hatte, versank langsam hinter den Fliederbüschen, und die Dämmerung legte sich über das Land.

Maja wurde es schwer ums Herz. Doch dann lach-te sie über sich selber. »Ich werde mich nicht fürchten«, sagte sie entschlossen. »Die Sonne kommt gewiss wieder.« Zuversichtlich kuschelte sie sich in den Kelch der Tulpe und schlief ein.

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Besuch im Rosenhaus

Als die kleine Maja erwachte, war es schon hell. Von der Kühle der Nacht waren ihre Glieder steif geworden, und so krabbelte sie schwerfällig ins Freie. Doch kaum hatte die Morgensonne ihre Flügel berührt, kehrten ihre Lebensgeister zurück. Unternehmungslustig hob sie ab und sauste davon.

Wenn Kassandra mich so sehen könnte, dachte sie über-mütig. Im gleichen Moment wurde der kleinen Biene klar, dass sie ihre alte Erzieherin nie mehr wiedersehen würde, und beinahe wären ihr die Tränen gekommen. Aber dann schalt sie sich: »Willst du etwa nach Hause zurückkehren und tag-aus, tagein Honig sammeln?«

»Nie und nimmer!«, gab sie sich entschlossen zur Antwort und flog umso schneller.

Aus der Ferne lockte eine rote Blume mit einem betörenden Duft. Erst jetzt bemerkte Maja, wie hungrig sie war, und steuerte eilig darauf zu. Am Eingang des Blütenkelches saß ein brauner Käfer, der ihr ernst, aber nicht unfreundlich ent-gegenblickte.

»Eine wunderbare Blume«, sagte Maja zur Begrüßung.

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Der Käfer nickte geschmeichelt. »Eine Behausung, die zu mir passt«, erklärte er. »Deshalb bin ich auch vor einiger Zeit hier eingezogen.«

»Wie heißt die Blume?«, wollte Maja wissen.Belustigt schaute sie der Käfer an. »Sie sind wohl von ges-

tern?«, fragte er und unterdrückte ein Kichern.»Nein, von vorgestern«, gab Maja Auskunft. Sie konnte

beim besten Willen nicht verstehen, was daran komisch war.

»Na, nichts für ungut«, lenkte der Käfer gutmütig ein. »Ein so junges Ding kann eben noch nicht alles wissen. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Ich bin Peppi, der Rosenkäfer, und meine Blume ist eine Rose. Darf ich Sie bitten, näher zu treten?«

Maja zögerte. Vielleicht wollte der Käfer sich nur weiter über sie lustig machen. Doch der fragte freundlich: »Darf ich Sie zu einer Portion Rosenhonig einladen?«

Da konnte Maja nicht länger widerstehen. »Den würde ich gern probieren«, sagte sie.

Der Käfer drückte ein helles Blättchen beiseite und Maja betrat zusammen mit dem Hausherren die schmalen Gemä-cher mit ihren hellroten duftenden Wänden und ihrem ge-dämpften Licht.

»Sie haben es wirklich ganz reizend hier«, sagte Maja ehr-lich entzückt.

Peppi machte das Lob sichtlich Freude. »Ich pflege meine

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Wohnung ja auch«, sagte er. »Und ich lasse nicht jeden he-rein. Nur bei so einer netten Person, wie Sie eine sind, mache ich mal eine Ausnahme. Doch nun gestatten Sie, dass ich den Honig hole.« Mit einer galanten Verbeugung verschwand er hinter einer der Wände.

Maja schaute sich glücklich um. Wie anders es hier doch aussah als in der düsteren Bienenstadt mit ihren stickigen und überfüllten Etagen!

Hier waren die Wände mit hellroten Seidenvorhängen ver-kleidet, die ein gedämpftes warmes Licht hereinfallen ließen. Und überall duftete es verlockend.

Am allerbesten aber ist diese Stille, dachte Maja und seufz-te verzückt. Doch schon im nächsten Augenblick brach ein mächtiger Tumult aus. Der Käfer schimpfte laut und brumm-te erregt. Es schien Maja, als packe er jemanden, den er un-sanft vor sich herstieß. Dazwischen schrillte ein Stimmchen voller Angst und Verdruss: »Lassen Sie mich los, Sie Rüpel. Warten Sie nur, wenn ich mit all meinen Gefährten zurück-komme. Dann werden Sie es nicht mehr wagen, mir zu nahe zu treten. Ein Grobian sind Sie, merken Sie sich das, ein Grobian!«

Das Keifen verklang in der Ferne und der Rosenkäfer kam zurück. »Bitte«, sagte er und legte einige Klümpchen

Honig vor Maja hin. »Lassen Sie sich von diesem Zwischenfall bloß nicht den Appetit verderben.«Vor lauter Hunger vergaß die kleine Biene so-

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gar, sich zu bedanken. Rasch nahm sie eine Portion und kaute genüsslich. »Wer war denn das?«, fragte sie

mit vollem Mund.»Eine Ameise«, sagte der Käfer verächtlich. »Dieses Diebs-gesindel dringt ohne Gruß und Anstand in die Vorratskam-mern ehrlicher Leute ein und stiehlt und plündert alles, was man sich erspart hat.«

Maja, die sich den Mund gerade erneut hatte vollstopfen wollen, ließ den Honig beschämt sinken. Doch Peppi beru-higte sie: »Sie sind damit nicht gemeint, meine Liebe. Sie sind schließlich von ganz anderer Lebensart. Langen Sie nur kräf-tig zu!«

»Danke«, fiel es Maja endlich ein, und sie lobte artig: »Ihr Honig ist wirklich ganz köstlich.«

»Dann seien Sie auch weiterhin mein Gast«, bot der Käfer an. »Ich freue mich über ein bisschen Gesellschaft.«

»Ich würde gerne noch bleiben«, sagte Maja, die inzwi-schen ihren Hunger gestillt hatte. »Aber nun muss ich weiter-fliegen.«

»Fliegen und immer nur fliegen«, wunderte sich der Rosen-käfer. »Euch Bienen liegt das einfach im Blut. Ich dagegen bin froh, dass ich irgendwo zu Hause bin.« Mit diesen Worten begleitete er seinen Gast hinaus.

»Leben Sie wohl!«, rief Maja.»Auf Wiedersehen«, sagte Peppi. Er blieb noch lange auf

dem höchsten Rosenblatt sitzen und schaute hinaus in das

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Blau des Himmels, in dem die kleine Biene schon längst ver-schwunden war.

Auch Maja dachte noch eine Weile über ihren freundlichen Gastgeber nach. Nette Leute trifft man hier draußen, über-legte sie. Aber warum hatte Kassandra dann so viel von den Gefahren der Welt erzählt?

Doch darauf fiel der kleinen Biene nur eine passende Ant-wort ein: Kassandra war einfach eine Spielverderberin, die ihr nur Angst machen wollte, damit sie brav im Bienenstock bliebe.

Was hätte Maja wohl getan, wenn sie geahnt hätte, wie viele Gefahren in Wirklichkeit noch auf sie warteten? Wäre sie schleunigst nach Hause in ihren Stock zurückgekehrt?

Nein, vermutlich hätte sie den Kopf gereckt und wäre wei-tergeflogen, geradewegs ins nächste Abenteuer hinein.

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Abenteuer am Waldsee

Über sich die warme Sonne und unter sich das weite bunte Land, das in tausend Farben leuchtete, so flog Maja dahin. Das Leben meinte es gut mit einer kleinen Biene. Sie traf viele freundliche Insekten, die ihr Wandergrüße zuriefen und einen guten Flug wünschten. So hätte sie noch ewig unterwegs sein mögen, bis plötzlich der blaue Himmel nicht mehr über, son-dern tief unter ihr schimmerte.

Oh nein!, dachte Maja erschrocken. Ich bin zu hoch geflo-gen und habe mich verirrt.

Doch im nächsten Moment entdeckte sie, dass sich am Rande dieses unterirdischen Himmels die Bäume spiegelten.

»Ein See!«, jubelte Maja und steuerte unverzüglich ab-wärts. Sie flog dicht über der Oberfläche hin und her und bewunderte ihr Spiegelbild im Wasser. Schön sind wir Bienen, dachte sie und konnte sich gar nicht sattsehen.

Am anderen Ufer lockten Seerosenblätter zu einer kleinen Rast. Doch kaum hatte Maja sich auf einem dieser grünen Teller niedergelassen, ertönte eine unfreundliche Stimme: »Was wollen Sie hier auf meinem Blatt?« Ein stahlblauer

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Brummer landete neben ihr und schaute sie herausfordernd an. Sein Tonfall gefiel Maja überhaupt nicht. Als Biene, so fand sie, konnte sie etwas mehr Respekt erwarten. Deshalb antwortete sie entschieden: »Man wird sich doch wohl noch einen Augenblick ausruhen dürfen.«

Das schien den Brummer tatsächlich zu beeindrucken. Er schwang sich auf einen Schilfhalm und sagte um vieles höf-licher: »Na gut, dann warte ich eben, bis Sie weiterfliegen können.«

»Aber es sind doch genug andere Blätter da«, meinte Maja verwundert.

»Alles vermietet«, erklärte der Brummer. »Heutzutage ist es nämlich gar nicht so einfach, eine geeignete Wohnung zu

finden. Und wäre mein Vorgänger nicht vor einigen Tagen vom Frosch gefressen worden, so wäre ich auch

weiterhin heimatlos. Aber entschuldigen Sie, dass ich mich noch gar nicht vorge-

stellt habe. Mein Name ist Hans Christoph.«

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Maja war zu erschrocken, um ihren Namen zu nennen. »Frösche?«, stammelte sie. »Gibt es hier denn viele davon?«

»Unzählige«, bestätigte der Brummer. »Und man ist nir-gends vor ihnen sicher.«

Hastig rutschte Maja in die Mitte des Blattes. Doch der Brummer spottete nur: »Geben Sie sich keine Mühe. Wenn die Sonne scheint, ist das Blatt durchsichtig. Der Frosch sieht ganz genau, wie Sie auf meinem Blatt sitzen.«

Schaudernd stellte Maja sich vor, wie ein großer Frosch mit hervorquellenden hungrigen Augen sie gerade gierig beob-achtete und zum Sprung ansetzte. Sie wollte nur noch weg von diesem schauerlichen Ort, doch ehe sie auch nur eine Flügelspitze bewegt hatte, pfiff etwas wie ein Pfeil durch die Luft. Maja vernahm einen zornigen Jagdruf, und schon im nächsten Augenblick geschah etwas ganz Entsetzliches.

So entsetzlich war es, dass Maja zuerst gar nicht verstand, was da vor sich ging. Doch als sie den armen Brummer verzweifelt schreien hörte, erkannte sie, dass eine schillernde Libelle ihn in ihren messerscharfen Fängen hielt.

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Hans Christophs Geschrei zerriss Maja das Herz. Ohne nachzudenken rief sie so laut sie konnte: »Lassen Sie ihn sofort los! Sie haben kein Recht, ihm etwas anzutun.«

Mit ernsten Augen schaute die Libelle Maja an. Beim An-blick ihrer mächtigen Beißzangen begann die kleine Biene zu zittern und sie bereute ihren Mut. Doch die Libelle sagte ganz freundlich: »Kind, was ist denn mit Ihnen los?«

»Er heißt Hans Christoph!«, rief Maja, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Angenehm«, sagte die Libelle herablassend. »Und ich für meinen Teil, ich heiße Schnuck.«

»Lassen Sie ihn los«, forderte Maja erneut mit zitternder Stimme. »Er ist so ein netter Herr und hat Ihnen nichts getan.«

Nachdenklich schaute die Libelle den Brummer an. »Ja, er ist ein lieber kleiner Kerl«, sagte sie zärtlich und biss ihm den Kopf ab.

Maja wurde fast ohnmächtig vor Grauen. Unfähig sich zu rühren musste sie mit anhören, wie die Libelle den stahl-blauen Brummer schmatzend und knuspernd verzehrte.

»Nun stellen Sie sich doch nicht so an«, sagte Schnuck mit vollem Mund und kaute weiter. »Wir müssen auch von etwas leben. Schließlich findet nicht jeder seine Mahlzeit im Kelch der Blüten.«

Mit einem Ruck ließ die Libelle den Schilfhalm los und sauste mit blitzendem Flügelschlag über das Wasser dahin. Es sah ganz herrlich aus, wie sie sich im See spiegelte. Über die-

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sem Anblick konnte Maja die Grausamkeit der Libelle bei-nahe vergessen. Begeistert rief sie: »Wie wunder schön!«

»Ja, nicht wahr?«, sagte die Libelle geschmeichelt und lan-dete wieder im Schilf. »Auch die Menschen sind immer ganz begeistert, wenn sie mich erblicken.«

»Die Menschen?«, fragte Maja aufgeregt. »Kennen Sie sich denn aus mit den Menschen?«

»Gut genug, um zu wissen, dass man sich vor ihnen hüten muss«, erwiderte die Libelle. »Gerade, wenn man so schön ist wie ich. Ständig wollen die Menschen unsereins fangen und aufspießen.«

»Aufspießen?«, rief Maja entsetzt. »Haben die Menschen denn einen Stachel?«

»Nun, nicht direkt«, gab die Libelle Auskunft. »Aber sie verfügen über mancherlei Werkzeug, tödlich und spitz. Mein Bruder hat so sein Ende gefunden.«

»Wie schrecklich!«, schluchzte Maja auf. Und leise fügte sie hinzu: »Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn jemand leiden muss.«

Plötzlich wurde auch die Libelle sehr traurig. »Das Leid meines Bruders war schnell vorbei«, seufzte sie. »Aber wenn man jemanden so verletzt, dass er es nie mehr vergisst …« Eine Träne rann ihr langsam über die Wange.

Voller Mitleid schaute Maja sie an. »Und?«, fragte sie besorgt. »Haben Sie das etwa getan?«

»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte die Libelle ge-

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dankenverloren. »Eine zu lange Geschichte, denn ich muss nun fliegen. Leben Sie wohl und vergessen Sie Schnuck nicht!« Sie bewegte ihre gläsernen Flügel und verschwand blinkend wie ein Edelstein über dem Wasser.

Gebannt von so viel Schönheit schaute Maja ihr nach. Nein, es war nicht erstaunlich, dass die Libelle auch den Menschen außerordentlich gut gefiel. Aber warum wollten sie sie vor lauter Begeisterung aufspießen?

Menschen müssen sehr gefährlich sein, dachte Maja. Besser ich nehme mich vor ihnen in Acht.

Aber tief in ihrem Inneren nagte die Neugier, und Maja spürte, dass sie keine Ruhe finden würde, ehe sie mehr über diese seltsamen Wesen erfahren hätte.

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Kurt

Als Maja am nächsten Morgen im Kelch einer Glockenblume erwachte, war die Luft von einem feinen Rauschen erfüllt. Vorsichtig spähte die kleine Biene hinaus. Da sah sie, dass es regnete. Obwohl sie vorher noch nie Regen erlebt hatte, ahnte sie sofort, was das bedeutete. Sie konnte nicht hinausfliegen, weil die Tropfen viel zu schwer für ihre zarten Flügel waren.

Maja fror und sie vermisste den goldenen Sonnenschein. Die Bienen daheim brauchten sich jetzt wegen der Kälte nicht zu grämen. Sie hatten es gemütlich und warm in ihrem Stock. An einem Regentag wie diesem musste niemand arbeiten. So konnten sie beisammensitzen und die Ruhe genießen. Maja dagegen war ganz allein.

Was soll ich nur tun, wenn der Regen nicht aufhört?, dach-te sie besorgt. Muss ich jetzt verhungern und erfrieren? Angst und Heimweh mischten sich in ihrem Herzen.

Es musste noch sehr früh am Morgen sein, denn das Leben unten im Gras nahm gerade erst seinen Anfang. Unter dem Dach der blauen Glocke konnte Maja alles prächtig beob-achten und vergaß darüber mit der Zeit ihren Kummer.

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Gerade zog ein Trupp Ameisen durch den kühlen Gras-wald. Sie marschierten im Gleichschritt und sangen dazu ein frisches Wanderlied. Kaum war der Gesang unter den Huf-lattichblättern verklungen, da ließ sich eine raue, heisere Stimme vernehmen: »Platz da!« Die Blätter eines Löwen-zahns wurden auseinandergedrängt und ein großer schwarz-blauer Käfer krabbelte heraus. Offensichtlich hatte ihn das kecke Lied der Wanderer aus dem Schlaf gerissen und er war äußerst schlecht gelaunt. »Hier komme ich!«, tönte er erneut. »Also Platz da!«

Gut, dass ich ihm nicht im Wege stehe, dachte Maja und verkroch sich vorsichtshalber tiefer in ihre Blütenglocke. Der Käfer sah so aus, als könne er eine kleine Biene jederzeit platt walzen.

Er bewegte sich schwerfällig und schaukelnd durch das nasse Gras. Bei einem welken Blatt gerade unter Majas Blüte machte er halt und schob es zur Seite. Der Eingang zu einer Höhle tat sich auf. Der Käfer beugte sich vor und rief mit ganz veränderter, freundlicher Stimme hinein: »Wollen Sie mit mir auf die Jagd gehen?«

Maja wartete gespannt, wer wohl aus dem Loch heraus-kommen würde. Es war ein seltsames braunes Tier mit unge-wöhnlich dickem Kopf und langen dünnen Beinen.

Eine Grille.»Guten Morgen, meine Iffi«, sagte der Käfer und wurde

vor Höflichkeit ganz schlank. »Wie haben Sie geschlafen?«

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Waldemar Bonsels, Frauke Nahrgang

Die Biene Maja und ihre Abenteuer

ORIGINALAUSGABE

Gebundenes Buch, Halbleinen, 96 Seiten, 17,0 x 24,0 cmISBN: 978-3-570-15440-3

cbj

Erscheinungstermin: April 2012

100 Jahre Biene Maja: Die überarbeitete und neu illustrierte Jubiläumsausgabe »Das Leben ist schön!«, jubelte die kleine Biene und flog mitten hinein. Kaum ist Majageschlüpft, gibt’s für sie kein Halten mehr: Im Bienenstock ist es ihr viel zu langweilig, sie willhinaus und die große weite Welt kennen lernen! So macht Maja bei ihrem Ausflug zunächst nichtnur Bekanntschaft mit dem netten Rosenkäfer Peppi und einem flippigen Grashüpfer, sondernmuss auch prompt von Mistkäfer Kurt aus den Fängen der hinterhältigen Spinne Thekla befreitwerden. Doch dann erfährt Maja von dem bösen Plan der Hornissen, die ihren Bienenstocküberfallen wollen! Maja muss die anderen unbedingt warnen – und fliegt mitten hinein insAbenteuer!