Von Burgen, Buhnen und Bohlen wie die Bibel und das ...Burgen... · 1 Siegfried F. Weber /...
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Siegfried F. Weber / Großheide
Die Friesen und das Meer
„In großartiger Bewegung ergießt sich dort zweimal im Zeitraum eines Tages und einer
Nacht das Meer über eine unendliche Fläche und offenbart einen ewigen
Streit der Natur in einer Gegend, von der es zweifelhaft ist, ob sie zum
Lande oder zum Meer gehört.
Dort bewohnt ein beklagenswertes Volk hohe Erdhügel1, die mit den
Händen nach dem Maß der höchsten Flut errichtet sind.
Von ihren Hütten aus machen sie nach dem Zurückweichen des Meeres
Jagd auf die zurückgebliebenen Fische.
Aus Schilfgras und Binsen flechten sie Stricke, um Netze für die Fischerei
daraus zu machen.
Und indem sie den mit Händen ergriffenen Schlamm2 mehr im Winde als
in der Sonne trocknen, erwärmen sie ihre Speise und die vom Nordwind erstarrten
Glieder durch Erde.3“
So beschreibt der römische Schriftsteller Plinius der Ältere (23 – 79 n. Chr.)4 als
Kriegsberichterstatter das Leben der Friesen.
Die Friesen und die Römer – Ochsen oder Auerochsen entscheiden über
Krieg oder Frieden
„Im selben Jahr brachen die Friesen, ein rechtsrheinischer Volksstamm, den Frieden5,
mehr wegen der Habsucht unserer Leute als aus Unbotmäßigkeit. Der Tribut, den ihnen
Drusus6 auferlegt hatte, war mäßig angesichts ihrer ärmlichen Verhältnisse; sie sollten für
den Kriegsbedarf Ochsenhäute liefern, ohne dass irgendjemand genau darauf achtete,
welche Stärke und welche Größe sie hatten, bis Olennius, ein Primipilar, der zur
Verwaltung des Friesenlandes eingesetzt war, die Felle von Auerochsen als Größenmaß
für die Annahme der Häute festlegte.
Diese Forderung, die auch für andere Völker hart gewesen wäre, konnte von den
Germanen nur unter noch größeren Schwierigkeiten hingenommen werden, da sie zwar
an riesigen Tieren reiche Wälder haben, ihr Hausvieh aber nur mäßig groß ist.
1 Die Erdhügel sind die künstlich angelegten Warfen.
2 Mit dem Schlamm meint Plinius den Torf.
3 Kurowski: Die Friesen, 2009, 16f.
4 Abb. Plinius d. Ä.: Angela, 11.05.2005 in wikimedia.org (Download vom 23.05.2013).
5 Den Frieden brachen die Friesen mit den Römern im Jahr 28 n. Chr.
6 Drusus, römischer Feldherr (38 v. Chr. – 9. v. Chr.).
Von Burgen, Buhnen und Bohlen – wie die Bibel und das Christentum nach Ostfriesland kamen.
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Zunächst nun mussten sie die Rinder selbst, dann die Äcker hergeben, schließlich ihre
Frauen und Kinder der Sklaverei ausliefern.
Das schuf Erbitterung und Beschwerden, und als diesen nicht abgeholfen wurde, suchten
sie ihr Heil im Kriege.
Man überfiel die zur Tributerhebung eingesetzten Soldaten und schlug sie ans Kreuz.“
Daraufhin marschierten die Römer ins Friesenland ein, doch wurden sie von den Friesen
hart geschlagen. 900 kampferprobte Römer fanden in einem Hain den Tod. 400 römische
Söldner wurden eingekesselt. Sie brachten sich gegenseitig um, um nicht in die Hände
der Friesen zu fallen.
Seitdem war der Name der Friesen unter allen Germanen berühmt.
Und der römische Kaiser Tiberius (14 – 37 n. Chr.) verheimlichte die
römischen Verluste unter den Friesen.
So berichtet es der Schriftsteller Tacitus (58 – 120 n. Chr.)7 in seinen Annalen,
Buch IV, Kapitel 72-73.
Deus mare, Friso litora8 fecit - Gott machte das Meer, der Friese die Deiche
De nich will diken, mot wiken - Wer nicht den Deichbau unterstützt, muss weichen.
Deiche lassen sich vor 1000 n. Chr. noch nicht nachweisen. Der Bau von Deichen – ebenso
wie der vom Wort „dikan“ oder „dykan“ für Graben abgeleitete Begriff „Teich“ – hat seinen
Ursprung an der Nordseeküste des 10. Jahrhunderts. Die Bedeichung der friesischen Küste ist
eine großartige Leistung der Küstenbewohner des Mittelalters. Fast 200 Jahre sollte es dauern,
bis das gewaltige Bauwerk, von seinen bescheidenen Anfängen des 10. Jahrhunderts bis zum
„Goldenen Reif“ des 13. Jahrhunderts, vollendet war. Nur mit „Spaten, Tragbahre und Gabel“
ausgerüstet, nahmen die Menschen den Kampf gegen die Elemente auf und schafften es, eine
„Seeburg“ zu errichten, die ihnen Sicherheit gab – wenn auch eine durch schreckliche
Sturmfluten immer wieder gefährdete.
Umgekehrt stand das Binnenwasser der Flüsse und Bäche vor dem Deich – auf der Landseite.
Eine geniale Einrichtung schaffte hier Abhilfe: die Siele mit ihren Toren im Deich, die bei
Ebbe das Binnenwasser abfließen ließen und sich bei Flut schlossen, so dass das Meerwasser
da blieb, wo es hingehörte9.
Von Burgen, Buhnen und Bohlen – wie die Bibel und das Christentum nach Ostfriesland
kamen. Die Burgen dienen dem Schutz, die Buhnen schützen die Küste und dienen der
Landgewinnung und die Bohlen führen sicher durchs Moor zum nächsten Dorf. Das sind
typische Kennzeichen ostfriesischen Lebens.
7 Abb. Buchseite Tacitus: Annalen, Patmos Verlag, Düsseldorf / Zürich, 2005 (Foto von S.F.Weber).
8 Litoralis: lat. „Strand, Ufer, Küste“
9 Quelle: Landesmuseum Emden (www.landesmuseum-emden.de) vom 23.05.2013.
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Die Friesenmission beginnt
Drei Missionare kamen aus Angelsachsen zu den Friesen (zunächst Westfriesen, später auch
Ostfriesen): Wilfrith, Willibroad und Wynfrith (Bonifatius)10
.
Zwar gab es bereits seit 550 n. Chr. Bemühungen vom fränkischen Boden aus die Friesen zu
christianisieren, doch hielten sie aus politischen Gründen, nicht in das fränkische Reich
eingegliedert zu werden, an ihrer Religion fest.
Wilfrith (634 – 710 n. Chr.)
Die Angelsachsen aus England hatten nicht so große Sprachprobleme mit den Friesen wie
die Franken. Wilfrith war Bischof von York. Der Friesenkönig Aldgisl erlaubte Wilfrith unter
den Friesen ab 678 zu wirken. Ausgangspunkt der Mission war Utrecht (Westfriesland). Doch
es dauerte nicht lange, da zog Wilfrith weiter nach Rom (679) und kehrte nicht wieder zurück.
Wilibroad (657 – 739 n. Chr.)
Willibroad hatte seine Ausbildung im Kloster Ripon bei York. Von Utrecht (Holland) aus
wollte er seine Mission starten. Als Missionar geriet er unter die Zwistigkeiten der Franken
mit den Friesen. 695 wurde Willibrord zum Erzbischof der Friesen geweiht (Bischofssitz
wurde Utrecht).
Willibroad zog sich übrigens den Zorn der Friesen in besonderer Weise zu, als er auf
Fosetesland (Fositesland / Heiligland / Helgoland11
) in der Fositesquelle, die der Gottheit
Fosites geweiht war, drei Heiden taufte und das dort weidende heilige Vieh schlachtete. Er
wurde ergriffen und vor Radbods Gericht geführt. Nur das furchtlose Auftreten Wilibroads
und vielleicht auch das Schwert des major domus (des mächtigeren Herren, nämlich der
Franken) bewahrte ihn vor der Märtyrerkrone.12
Damit entging er dem Tod.
König Radbod (679-719) konnte nach dem Tode des Frankenkönigs Pippin ab 714 die
Franken zurückdrängen und zerstörte die Anfänge der Kirche auf friesischem Boden.
Radbod beherrschte das Reich der Friesen, das vom Ijsselmeer und der Ems bis zur Weser
reichte (Westfriesland, Groningen und Ostfriesland). Er besiegte sogar den berühmten
Frankenkönig Karl Martell (Nachfolger Pippins) 716 bei Köln. Dies war die einzige
Niederlage Karl Martells. Karl Martell musste Köln sogar von dem Friesenkönig freikaufen.
719 starb der Friesenkönig Radbod. Im selben Jahr konstituierten sich die Franken erneut
gegen die Friesen und schlugen diese im Kampfe.
Um Radbod bildeten sich viele Legenden: Willibroad muss den Friesenkönig soweit
beeindruckt haben, dass dieser bereit war, die Taufe anzunehmen. Als Radbod mit den Füßen
10
In diesem Manuskript gehe ich zunächst auf die Anfänge des Christentums in Ostfriesland ein, dann auf
die Reformation und den anschließenden Pietismus. In einer weiteren Ausarbeitung komme ich auf die
weiteren konfessionellen Entwicklungen wie zum Beispiel den Baptismus in Ostfriesland zu sprechen.
11
E. Meinecke: Helgoland, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 14, 21999, S. 291-293.
12 Franz Kurowski: Die Friesen, 2009, 32. „König Radbod befahl, dass das Los entscheiden sollte. Dreimal
nacheinander entschied das Los für Wilibroad“ (so Kurowski). Vgl. auch den Bericht von der Fositesquelle bei
Smid: Ostfr. Kirchengeschichte, S. 8.
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am Rande des Taufbeckens stand, stellte er noch eine letzte Frage: „Wo sind meine bisherigen
Verwandten?“
Darauf erwiderte Willibroad: „Die sind verloren, in der Hölle.“
Daraufhin lehnt Radbod die Taufe prompt ab, denn er wollte doch später bei seinen
Verwandten sein.
Das Grab von Radbod soll auf dem Fosetesland (Helgoland) liegen, oder auch auf der vor
Greetsiel gelegenen Insel Bant, die 1780 untergegangen war, dann auch in Dunum (Esens)
oder sogar in Berumerfehn (Großheide), wo es noch einen Gedenkstein gibt.
Die Missionare errichteten an den ehemals geheiligten Stätten der Friesen ihre Kirchen. Die
Friesen nannten sie „Tziercka“, was so viel wie Kirche bedeutete. Alte friesische Kultstätten
befanden sich an den frühen Kirchenstandorten in Alt Leer, Emden (Große Kirche),
Victorbur, Burhafe, Westerholt und anderen Orten.13
Wynfrith - Bonifatius (672–754) a) Auftrag
Eigentlich heißt unser Friesenmissionar Wynfrith. Er war ein angelsächsischer Mönch aus dem
Kloster Nhutscelle (England). Papst Gregor II gab ihm den Auftrag zur Mission unter den
Nordgermanen. Seitdem heißt er Bonifatius.
b) 1. Periode 719-722
Nach dem Tode des Friesenkönigs Radbod (719) und der Eroberung Frieslands durch die Franken
konnte Bonifatius mit der Mission beginnen.14
Zwischendurch aber besucht er Rom und erhält die
Bischofsweihe. Er leistet den Gehorsamseid:
„Ich, Bonifatius, von Gottes Gnaden Bischof, gelobe Euch, Dir, dem heiligen Petrus, dem
Apostelfürsten, und Deinem Stellvertreter, dem Papst Gregor, und seinen Nachfolgern bei dem Vater,
dem Sohn und dem Heiligen Geist...,dass ich alle Treue und die Reinheit des katholischen Glaubens
an den Tag legen und mit Gottes Hilfe in der Einheit dieses Glaubens verharren will...Aber auch wenn
ich erfahre, dass Priester gegen die alten Anordnungen der heiligen Väter verstoßen, mit ihnen keine
Gemeinschaft oder keine Verbindung haben...will.“15
c) 2. Periode 723-732 Hessen
Bonifatius verkündigte in der Muttersprache des jeweiligen Volkes. Das brachte ihm Gönner.
Der Papst verlangte ordentliche Verhältnisse in Hessen und Thüringen. Karl Martell gab dem
Bonifatius einen Schutzbrief mit.
723 fällte Bonifatius demonstrativ in Geismar (bei Fulda) die dem Stammesgott Donar geweihte Eiche
(Donarseiche).16
Somit wurde öffentlich der Sieg Christi proklamiert, weil die Götter sich nicht
verteidigten. Tausende von Germanen wurden Christen. Taufe im Vogelsberg.
Durch den Zuzug von vielen Mönchen und Nonnen wurde die Kirche in Hessen organisiert.
Dennoch war die Reorganisation der hessischen Kirche mit Schwierigkeiten verbunden, denn es gab
13
Kurowski: Die Friesen, 2009, 33. 14
Frankreich: dtv-Atlas, I, 122 15
Tn. Brandt, Kirche im Wandel..., I, 140. Vgl. auch Padberg, Bonifatius S. 69 16
Donarseiche, auch Joviseiche genannt (Jovis=Jupiter, germanisch Donar). Aus dem Holz baute B. ein Bethaus.
5
Kleriker, „die Amulette herstellten, indem sie Bibelsprüche als Schutz- und Heilmittel auf Kärtchen
schrieben, die man an einer Schnur um den Hals trug, wie andere Stückchen von Bernstein oder
Achat.“17
Auch die Heiligen- und Reliquienverehrung ersetzte willkommen die germanischen Götter. Die
heidnische Religion verlässt durch die Vordertür ihr Zuhause und kommt durch die Hintertür wieder
herein.18
d) 3. Periode: 732-747
Gregor III. (731-741) verlieh Bonifatius die erzbischöfliche Würde. Er wurde päpstlicher Vikar für
ganz Germanien. Eine solche Stellung hatte ein Papst einem Geistlichen noch nie gewährt.
Bonifatius widmete sich nun auch der Bayrischen und Thüringischen Kirche.
Auch festigte er die fränkische Kirche und hob das päpstliche Ansehen dort an. Ebenfalls widmete er
sich dem Kloster zu Fulda.
Bedroht wurde die fränkische Kirche immer wieder durch Sachseneinfälle.
Letzte Missionsreise: 80 Jahre alt
Im Frühjahr 754 n. Chr. zog Bonifatius auf seine letzte Missionsreise, und zwar nach Friesland. Er
erreichte sogar die Küste im Norden. Doch in der Nähe von Dokkum19
wurde er von beutegierigen
Heiden erschlagen.
Mit einem Buch (Codex Ragyndrudis aus Luxeuil in Burgund, 700 n. Chr.) versuchte er sich zu
verteidigen.20
Noch heute erkennt man den Schwerthieb im Codex.
716 n. Chr. hatte Bonifatius erstmals Friesland besucht. 38 Jahre später fand er bei den Friesen den
Tod. Ostfriesischen Boden hat Bonifatius wohl nie betreten.
Zu Fulda wurde er begraben: Auf dem Grabstein stehen die Initialen: HBq = Hic Bonifatius quievit
(Hier ruht Bonifatius) Nach dem Tod:
Erst später wurde Bonifatius zum Märtyrer und zum Apostel der Deutschen geweiht.
17
Bonifatius an Gregor II in: L.v. Padberg, Bonifatius, S. 76. (Unterstreichung: SFW) 18
Vgl. auch Smid: Ostfr. Kirchengeschichte, 8-9: Wilfrith schrieb in einem Brief an Papst Gregorius: Man soll
die Tempel der Heiden nicht zerstören, sondern sie zu Kirchen umfunktionieren, indem man die heiligen
Gebäude mit Weihwasser besprengt, christliche Altäre errichtet und dort Reliquien niederlegt. Die heidnischen
Feste sollte man einfach in kirchliche Feste zu Ehren eines heiligen Märtyrers umwandeln. 19
Putzger, Historischer Weltatlas, S. 37 20
Abb. in L. Padberg, a.a.O., S. 102.
6
Ost-Friesenmision
Ostfriesland erstreckte sich vom Rheiderland, Emsigerland (Krummhörn) über Wangerland,
Östringen (Jeverland) bis nach Ost-Rüstringen (Wilhelmshaven, Sande).21
Willehad in Ostfriesland Ostfriesischen Boden hat zuerst der Bremer Bischof Willehad 780 n. Chr. betreten.
Nachdem Karl d.Gr. die Sachsen geschlagen hatte (zunächst 780, endgültig besiegte Karl den
sächsischen Führer Widukind 782), holte er Willehad nach Bremen. Dort wurde er 787
Bischof. 789 weihte Willehad den Dom zu Bremen.
Unter dem Schutz des fränkischen Schwertes zerstörte Willehad die friesischen Heiligtümer
in den Gauen Rüstringen, Östringen, Wangerland, Harlingerland und Norderland.
Noch heute ist ein Krankenhaus in Wilhelmshaven nach ihm benannt: St.-Willehad-Hospital.
Liudger aus Münster Ab 780 n. Chr. kümmerte sich Liudger aus Münster, der jedoch in Friesland geboren worden
war, um verschiedene Kirchen in Friesland sowie um Gebiete östlich der Ems: Emsigerland
(südliches Krummhörn), Emsgau (Manslagt, Pewsum, Hinte, Loppersum), ferner Federitgau
(od. Federgo mit Pilsum, Jennelt, Uttum). Auch die Gebiete des späteren Moormerlandes,
21
Abb. Friesenmission: M. Smid: Ostfries. Kirchengeschichte, 1974, S. 16
7
Overledingens und Uplengens gehörten zu seinem Patronat. Während seiner Missionstätigkeit
gründete Liudger auch die Kirche von Leer (um 790).
800 gründete Liudger sein Kloster in Werden bei Essen an der Ruhr (dort liegt er auch heute
in der Abteikirche begraben).
804 wurde Liudger Bischof des neu gegründeten Bistums Münster.
Das Norderland hat Liudger zum Schutzheiligen gewählt. Nach ihm wurde die Ludgerikirche
in Norden benannt.
Liudger in Leer:
Die Fischer an der Leda sollten ihm etwas zu essen geben. Sie aber entgegneten, dass sie seit
langer Zeit nichts mehr in der Leda gefangen hätten. Luidger befahl, die Netze durchs Wasser
zu ziehen. Und tatsächlich hatten sie einen großen Fisch gefangen, den sie Stör nannten.22
Lex Frisionum Karl d. Gr. erließ 802 n. Chr. das für ganz Friesland geltende Gesetz Lex Frisionum
(Friesengesetz, anzuwenden zwischen Lauwers23
und Weser). Es handelt sich hauptsächlich
um ein Strafgesetz. Neben heidnischen Regeln (Losen mittels zweier Stäbchen, Erlaubnis der
Tötung von Neugeborenen unter gewissen Umständen, Bestrafung der Tempelschänder)
kommen nun auch christliche Werte zur Geltung. Es deklarierte die Sonntagsheiligung unter
Strafandrohung. Die Leichenverbrennung wurde unter Todesstrafe gestellt (§ 7).
Friesische Freiheit Die Friesische Freiheit ist eine Rechtsordnung, die angeblich von Karl dem Großen den
Friesen verliehen worden ist. Sie basiert auf genossenschaftlichen Grundsätzen. Über
Jahrhunderte, während im übrigen Europa Feudalherren regierten, bestimmten beinahe
demokratische Strukturen das Leben der Friesen. Ein wichtiger Bestandteil der
Gesetzessammlung ist, dass die Friesen direkt dem Kaiser untertan sind. Die moderne
Geschichtsforschung schreibt die "Friesische Freiheit" heute Karl dem Dicken zu, der den
Friesen für den Kampf gegen die einfallenden Wikinger diese Sonderstellung einräumen ließ
(verliehen im Jahre 885). Die 17 Küren und 24
Landrechte bildeten nach dem 11. Jahrhundert den
Ausgangspunkt für eine Fülle von Rechtserzeugnissen.
Sie galten in ganz Friesland. Das Recht selbst zu
„küren“, selbst zu beschließen, ist eins der untrüglichen
Merkmale von Freiheit.
1. Küre: Das ist die erste Küre und König Karls
Privileg und Recht aller Friesen, dass ein jeder im
Besitz seines Gutes bleibe, solange er es nicht verwirkt
hat24
.
7. Küre: Das ist die siebente Küre, dass alle Friesen auf freiem Stuhle sitzen dürfen; das
verlieh ihnen König Karl, damit sie Christen würden und dem südlichen König untergeben
und gehorsam würden.
22
M. Smid, Ostfr. KG, S. 18 23
Der Fluss Lauwers trennt die Regionen Friesland und Groningen in den Niederlanden. 24
Die Küren bei Ihlow. Abb. S. F. Weber. Mai 2013
8
10. Küre: Das ist die zehnte Küre, dass Friesen auf keiner Heerfahrt weiter zu ziehen
brauchen als ostwärts bis zur Weser und westwärts bis zum Vlie (der Vliestrom fließt in das
Ijsselmeer), deshalb, weil sie ihr Land vor dem Meere und vor dem heidnischen Heere
schützen sollten.
Upstalsboom Der Upstalsboom ist ein Grabhügel und Versammlungsplatz des Mittelalters in Rahe in der
Nähe von Aurich.
Auf der höchsten Stelle des Sandrückens sind bei archäologischen Untersuchungen 1990
Metallgeräte und Tongefäße gefunden worden, die nur aus frühmittelalterlichen Gräbern
stammen können. Ein rheinisches Importgefäß sowie ein aufwendig geschmiedetes und
reichhaltig verziertes Schwert sind Kostbarkeiten, die auf mindestens zwei, um 800 datierte
Gräber hinweisen.
Mit Upstalsboom wurde im Mittelalter ein Pfahl oder Mal aus Holz (Boom) in einem für eine
Versammlung von Menschen eingefriedigtem Stück Landes (upstal) bezeichnet. Nach der
Überlieferung des 16. Jahrhunderts befand sich in Rahe bei Aurich ein Upstalsboom. Hier
versammelten sich die Häuptlinge und die Ratsherren des Bundes der „Sieben Seelande“
jeweils am Dienstag nach Pfingsten, um die friesische Freiheit zu gewährleisten. Zum Bund
der „Sieben Seelande“ gehörten die Länder zwischen Lauwers (Zuidersee, NL) und Weser25
.
25
Upstalsboom in Rahe bei Aurich: Foto: S.F.Weber vom 22.05.2013.
Upstalsboom (der Ratshügel
der Friesen) in Rahe bei Aurich
zur Erinnerung an die Eala
Freya Fresena („Auf ihr freien
Friesen“).
9
Archäologische Spuren - Dunum In dem „Radbodsberg“ und in der Umgebung der
Gemarkung Brill bei Dunum (Esens) wurden mehrere
archäologische Untersuchungen durchgeführt. Ein großes
Gräberfeld mit 400 Bestattungen enthält der sogenannte
„Radbodsberg“26
, weil angeblich der Häuptling der
Friesen Radbod hier bestattet worden sei.
Um 800 n. Chr. ändert sich allerdings der
Bestattungsbrauch. Die alte heidnische Grabrichtung mit
dem Blick der Toten in nördliche Richtung (Nordsee)
zum Totenreich der „Hel“27
wurde in jener Zeit durch die
christlich bestimmte West-Ost-Richtung28
der Gräber
abgelöst.29
Dies geschah aufgrund der Friesenmission. In einem der
Gräber fand man einen Petrusschlüssel (Amulett).
Ansger (Anskar)30
831 n. Chr. gründet Ansger das Erzbistum Hamburg (Ansgarikirche). Später wurde Hamburg
(Hammaburg) im Jahre 845 durch die Wikinger zerstört. Sie wüteten dort 36 Stunden,
plünderten und zündeten die Häuser an. Auch die Bischofskirche und das Kloster mit der
Klosterbibliothek fielen den Flammen zum Opfer.
Rückschlag unter den Normannen. Die Normannen (Dänemark, Norwegen), die „Hunnen der Nordsee“, wie sie auch genannt
wurden, plünderten über 100 Jahre lang (810-910 n. Chr.) kategorisch die friesische Küste.
Das hielt sogar noch bis ins 11. Jahrhundert hinein an. Sie wurden zu „Menetekeln“
(Todesschwadronen) der Vernichtung. Das war ein herber Rückschlag für die Wirtschaft
und auch für die Kirche. Manche Küstenregionen verödeten ganz und gar.
Von einem Sieg allerdings wissen die Ostfriesen in dieser Zeit zu berichten. Die Norder
erhoben sich 884 gegen die Normannen und drängten sie in der berühmten „Schlacht von
Norden“ zurück. Der Bremer Bischof Rimbert (Reinberd) kommt ihnen sogleich mit einigen
sächsischen Söldnern zu Hilfe.31
26
Fotos: Radbodsberg bei Dunum von S.F.Weber, 23.05.2013. 27
Aus „Hel“ wurde später „Hölle“. „Hel“ steht einfach für das Totenreich. In der nordischen Mythologie tritt
„Hel“ auch personifiziert auf, beachte „Hel“ als Name der germ. Todesgöttin. (Duden-Etymologie, Bd. 7, S.
270). 28
Die Auferstehung erfolgt, wenn Christus wiederkommt. Von Westeuropa ausgesehen, kommt er im Osten
wieder: In Israel. Deshalb sind die Gräber nach Osten hin ausgerichtet. 29
M. Smid, Ostfries. KG, S. 21 30
Heussi § 45 b. Vgl. auch Kurowski: Die Friesen, S. 54. 31
M. Smid, Ostfries. KG., S. 24. Kurowski: Die Friesen, S. 58f.
10
Klöster in Ostfriesland
Abteien und Klöster Als das älteste Ordenshaus in Ostfriesland gilt das
Kloster Reepsholt.32
Es soll um 953 von
Säkularkanonikern (Chorherren, die keinem Orden
angehörten) gegründet worden sein und war dem Patron
St. Mauritius geweiht. Das Kloster wird urkundlich in
einem Dekret Kaiser Ottos II. aus dem Jahre 983
erwähnt.
Die Frieslande besitzen im Mittelalter eine reiche
Klosterlandschaft33
. Zwischen Weser und Ijsselmeer
lassen sich rund 120 Ordensniederlassungen nachweisen. Allein im Bereich des heutigen
Ostfrieslands hat es 30 verschiedene Abteien gegeben. Verschiedene Orden waren
vertreten: Benediktiner, Zisterzienser, Dominikaner, Prämonstratenser, Johanniter und andere.
Sie spielen bei der Kultivierung des Landes, im politischen Gefüge sowie bei der
Christianisierung eine entscheidende Rolle.
Die Zisterzienserabtei schola dei in Ihlow Im Jahr 1228 gründet eine Handvoll Mönche im Ihlower
Wald die Zisterzienserabtei Schola Dei.34
Sie gehört bis
zu ihrer Auflösung im Zuge der Reformation (1529) zu
den bedeutendsten Klöstern im niederländisch-
nordwestdeutschen Raum.35
Die Ihlower Äbte spielen eine wichtige Rolle in Politik,
Kultur sowie Religion. Sie fungieren als
Friedensrichter und üben die Sielacht aus. Zur Zeit der
sogenannten Friesischen Freiheit ist das Ihlow-Kloster
Archiv und Kanzlei des Upstalsboom-Bundes - einer
Landfriedensvereinigung zwischen Weser und
Ijsselmeer.
Die gewaltige Kirche der Zisterzienserabtei Schola Dei ist der größte Sakralbau seiner
Zeit zwischen Bremen und Groningen.
32
Smid: Ostfr. Kirchengeschichte, 1974, 87-114. 33
Abb. Klöster in Ostfriesland: Matthias Süßen, 04.01.2010 in: wikimedia.org. 34
http://www.kloster-ihlow.de/kloster-zisterzienser/freiheit/ vom 16.08.2012. 35
Abb. Kloster Ihlow: S. F. Weber, Mai 2013.
11
Schon im Jahre 1290 n. Chr. wurde ein Kloster in Großheide gegründet, zunächst ein
Prämonstratenser-Orden, später übergegangen zu den Augustinern (wohl ein Nonnenkloster,
aufgelöst 1562).
Zur Zeit der Kreuzzüge wurden in Ostfriesland auch die Ritterorden aktiv. Dies wird auf die
rege Teilnahme der Friesen an den Kriegszügen zurückgeführt. Vor allem am Fünften
Kreuzzug waren viele Friesen beteiligt und brachte sie in Verbindung zu den Ritterorden.
Nach der Rückkehr in ihre Heimatgebiete schenkten die Friesen diesen dann große
Ländereien, auf denen die Orden dann ihre Klöster gründeten. Hier taten sich die Johanniter
am meisten hervor, die allein in Ostfriesland acht Niederlassungen unterhielten, in denen aber
kein Ritterbruder untergebracht war. Die Konvente waren vielmehr kleine Doppelklöster, die
sich größtenteils zu Frauenkonventen mit einem kleinen Stab von Klostergeistlichen und
Laienbrüdern entwickelten.
Auflösung der Klöster im Zuge der Reformation
Nach der Reformation wurden alle Klöster in Ostfriesland schrittweise aufgelöst. Besonders
rigoros gingen die Grafen von Ostfriesland dabei gegen den Johanniterorden vor, der komplett
enteignet wurde. Hier nutzten die Grafen offenbar eine ältere Landesherrliche Schutzgewalt
über den Orden, was aber später zu mehreren Prozessen vor dem Reichskammergericht
führte, die am Ende mit Vergleichen und Entschädigungszahlungen endeten. Graf Enno II.
eignete sich einen Großteil der Besitztümer der Konvente an, indem er anordnete, dass alle
Monstranzen und Kelche, alles Gold und Silber aus den Klöstern und Kirchen in Ostfriesland
abzuliefern seien. Einige Klöster, so etwa die in Ihlow und Norden, lösten sich von selbst auf,
nachdem sich ihre Bewohner der Reformation zuwandten und ihre alte Wirkungsstätte
verließen. Andere Ordensbrüder und -schwestern, erhielten eine Pension und die Klostergüter
fielen an die Staatsdomäne. Dennoch wurden nicht alle Klöster von den Grafen aufgelöst.
Einige überdauerten bis ins 16. Jahrhundert und ihre Äbte nahmen weiterhin an
landesherrlich-ständischen Beratungen teil. Diese Klöster litten allerdings daran, dass ihnen
der Nachwuchs ausging und sie so nach und nach alle dem Grafenhaus zufielen. Die letzte
ostfriesische Nonne starb erst nach 1616.
12
Die Reformation in Ostfriesland Schon Graf Edzard I., der Beherrscher des Landes (1491 – 1528) las in der Muße des
Alters gern Luthers Schriften.36
Der Rat und Vertrauter des Grafen, Ulrich von Dornum,
bekam die Herrlichkeit Oldersum (bei Emden). Dieser setzte sich alsbald an die Spitze
der Reformationsbewegung. Die ersten reformatorischen Prediger tauchen bereits ab ca.
1524 in Ostfriesland auf.
Georgius Aportanus37
(Jürgen vam Dare) aus Wildeshausen (Erzieher der drei Söhne
Edzards) predigt mit vollem Eifer in Emden reformatorisch (1524). Als er einmal von
der Gegenseite aus Emden ausgestoßen wird und im Freien reformatorisch predigt, da
holt ihn Edzard I. kurzerhand wieder zurück. Zur gleichen Zeit beginnen auch in den
anderen ostfriesischen Städten die reformatorischen Erneuerungen.
In Aurich predigt ein gewisser Hinrich Brun reformatorisch, in Oldersum Hinrich
Arnoldi, in Leer Lübbert Cansen (1525) und in Norden Johann Stevens und der
Niederländer Hinne Rode.
Die Erfindung der Buchdruckerei trug dazu bei, dass Luthers Schriften in großer Auflage
verbreitet werden konnten, so dass sie kurz nach dem Ausbruch der Reformation in
Wittenberg auch das abgelegene Land an der friesischen Küste erreichten.
1526 lädt Ulrich von Dornum zum Oldersumer Religionsgespräch ein. Die Katholiken
wollten in Latein disputieren. Hauptredner auf evangelischer Seite war Aportanus. Er
referierte und disputierte in deutscher Sprache, damit auch das Volk die Theologie der
Rechtfertigung versteht.
Schon bald wurden viele reformatorische Prediger durch die Schriften Karlstadts und
Zwinglis beeinflusst. Das Abendmahl wurde symbolisch gedeutet (gegen Luther).
Aportanus veröffentlichte 1526 eine Abendmahlsschrift.38
Darin heißt es: „das brot
bedütet minen lychnam...Das tranck bedütet39
min blut“, das heißt „das Brot bedeutet
meinen Leichnam, der Trank bedeutet mein Blut.“ Damit wird bewusst an die reformierte
Abendmahlstheologie angeknüpft. Im Gegensatz zur symbolischen Bedeutung hatte
Luther lebenslang an der realen Interpretation festgehalten, „dies ist mein Leib und dies
ist mein Blut.“
1527 ruft der Dominikanermönch Hinrich Reese aus dem Dominikanerkloster Norden
zu einer Disputation auf. Mit Mönchskutte steigt er auf die Kanzel und zieht sie während
des Vortrages aus, um somit den Bruch mit dem „Altglauben“ anzuzeigen. Die
herkömmliche Messe tituliert er als Gotteslästerung und die geistlichen Orden als Sekten.
Reese legte in 22 Thesen den evangelischen Glauben dar. Gerhard Schell (genannt
Synellius), Abt des Nonnenklosters Marienthal bei Norden, verteidigte zunächst noch die
36
Menno Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte, 1974, S. 116 – 140. 37
BBKL, Band I (Hamm, 1990), Spalte 201, Autor: Friedrich Wilhelm Bautz: „Aportanus“.
http://www.bautz.de/ 38
Die Abendmahlsschrift von Aportanus: „Hovet articelen des hylligen Sacramentes brodes vunde vlesches Jesu
Christi“ (1526). 39
Hervorhebung durch SFWeber
13
katholische Lehre, ließ sich aber bald von der Hl. Schrift überzeugen. Er zog seine
Mönchskutte aus, legte sie auf die Kanzel nieder und wurde evangelischer Prediger.40
Teile des Dominikanerklosters wurden 2004 bei Bauarbeiten auf dem Gelände des
Ulrichsgymnasiums in Norden ausgegraben.
1528 kommt es zum Bekenntnis ostfriesischer Prädikanten. In der Abendmahlslehre
richten sie sich nach den Reformierten.
1528 wird der 23-jährige Enno II. Graf von Ostfriesland. Seine erste reformatorische Tat
besteht darin, einige Klöster aufzulösen. Das Dominikanerkloster in Norden wird Ennos
Regierungssitz.
1529 kommt Melchior Hofmann nach Ostfriesland. Durch ihn wird das Täufertum
hier heimisch. Aufgrund seiner spiritualistischen und eschatologischen (vgl. den Fall zu
Münster) Ansichten wird er von Enno II. vertrieben.
Ebenfalls kam Karlstadt41
1529 für ein knappes Jahr zu den
Ostfriesen. Unterkunft fand er bei Ulrich von Dornum in Oldersum.42
Hier proklamierte er eindringlich seine Abendmahlsauffassungen. Denn
er deutete gegen Luther das Abendmahl rein symbolisch.
Nun kam es zu immer heftigeren Auseinandersetzungen zwischen
Lutheranern und Zwinglianern / Karlstädtern. Ein Schlussstrich musste
endlich gezogen werden.
1529 kam es dann zur Durchführung der Bremer Kirchenordnung. Graf Enno II. holte
zwei lutherische Theologen nach Ostfriesland (Johann Timman und Johann Pelt). Sie
inspizierten die Gottesdienste, kehrten nach Bremen zurück und verfassten für
Ostfriesland eine Kirchenordnung. Ein Superintendent sollte eingesetzt werden, der Lehre
und Verkündigung überwachte.
1530 zitierte Graf Enno II. alle Prädikanten nach Emden und legte die neue (lutherische)
Kirchenordung vor. Zuvor hatte er die Kirchenordnung von Luther bestätigen lassen.
Luther billigte die Kirchenordnung für Ostfriesland mit der Anordnung, dass keine
Sekten und Wiedertäufer geduldet werden sollten.
40
Kurowski: Die Friesen, S. 190 41
Sanblatt. 23.01.2010.wikimedia.org.gemeifrei.
Univeritätsbibliothek Basel. Aus: M. Steinmetz u.a: Illustrierte Geschichte der frühbürgerlichen Revolution,
Berlin 1975. 42
Hermann Barge: „Andreas Bodenstein von Karlstadt“, II.Teil: Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen
Puritanismus, Friedrich Brandstetter Verlag, Leipzig, 1905, S. 394 – 415 (Kopie aus der Basler
Universitätsbibliothek).
14
Einige Anhänger Karlstadts wurden abgesetzt, z.B. Reese und Rode aus Norden.
Karlstadt ging nach Basel und wurde Professor daselbst.
Die Wiedertaufe wurde in Ostfriesland verboten. Den Wiedertäufern drohte
Todesstrafe und Vermögensentzug. Sie sollten das Land verlassen.
Dennoch traute sich Melchior Hofmann 1530 noch einmal nach Ostfriesland. Er
predigte öffentlich von der Wiedertaufe. In Emden wurden 300 Menschen getauft.
Fluchtartig musste er Emden verlassen und ging nach Straßburg, wo er gefangen
genommen wurde und bis zum Tode im Gefängnis blieb. Das Täufertum konnte trotz
Verbots in Ostfriesland Fuß fassen.
Menno Simons besuchte mehrmals Ostfriesland.43
Er wurde 1492 in Wietmarsum
geboren, wurde 1524 in Utrecht zum Priester geweiht, ließ sich
aber 1535 wiedertaufen und trat aus der katholischen Kirche aus.
1537 wurde er Bischof und Ältester der Täufer. Seine Nachfolger
werden Mennoniten genannt. Mit den Wiedertäufern in Münster
wollte er nichts zu tun haben, da sie mit Gewalt das
Tausendjährige Reich aufrichten wollten. Schon um 1540 entstand
in Emden die älteste Mennonitengemeinde in Deutschland.44
In
Ostfriesland beschäftigte sich der eben eingesetzte Superintendent
Johannes a Lasco mit Menno Simons. Es kam auch zu
persönlichen Gesprächen. A Lasco grenzte sich von Menno
Simons ab, lehnte aber eine grundsätzliche Vertreibung aller
Mennoniten aus Ostfriesland ab. Dennoch schritt Gräfin Anna gegen die Mennoniten ein,
und auch Menno Simons verließ das Land. Er starb am 31. Januar 1561 in Holstein.
Johann a Lasco (1499-1560)45
wurde als Superintendent in
Ostfriesland eingesetzt (1542). Er bemühte sich immer wieder um die
Einheit der Lutheraner und Reformierten, was ihm allerdings nicht
gelang.
1544 richtete a Lasco eine wöchentliche Versammlung aller Prediger in
Ostfriesland, Coetus (lat. Versammlung, Zusammentreffen) genannt, in
Emden ein, wofür er einen Befehl von der Gräfin Anna erwirkte. Man
untersuchte fleißig das Leben und die Lehre eines jeden Predigers.
Predigtanwärter wurden in einem Examen geprüft.
1546 verlässt a Lasco Emden und kehrt nicht wieder zurück.
43
Abb. Menno Simons. Quelle Stich von Christoffel van Sichem 1610. University Library Amsterdam.
wikimedia.org. 21.02.2006. 44
Quelle und weitere Infos: http://www.mennoniten.de/emden.html gemeinfrei vom 09.11.2012. 45
Abb. Joh. a Lasco. Quelle. Arianus.19.06.2011.gemeinfrei. wikimedia.org.
15
Gräfin Annas Polizeiverordnung von 1545 Gräfin Anna (1500-1575) war um das Wohl ihrer Untertanen besorgt. Sie gab 1545 für
Ostfriesland eine Polizeiverordnung heraus.46
Zunächst wurde die Schulplicht eingeführt, auch für arme Kinder.
Gotteslästerungen und Fluchen wurden untersagt und mit einer Geldstrafe belegt.
Die christliche Ehe ist zu schützen. Wenn ein Paar nach Ostfriesland kommt, dann hat
es die Verheiratung nachzuweisen, ansonsten ist die Vermählung nachzuholen.
Wer mit List und Betrug eine zweite Frau nimmt, ohne von der ersten durch einen
Richter geschieden zu sein, der soll mit dem Schwert gerichtet werden.
Ein wichtiger Passus der Polizeiverordnung lautete, dass niemand Heu verkaufen darf,
bevor er nicht zuvor die Armen bedacht hat.
Völlerei und Trunksucht werden untersagt. Kein Schankwirt darf während des
Gottesdienstes Bier ausschenken. Und die Schenke hat abends um 7.00 Uhr zu
schließen.
Die große Kirche in Emden als Moederkerk Die evangelisch-reformierte Große Kirche
47 in Emden (heute Johannes a
Lasco Bibliothek) zählt zu den bedeutendsten Stätten ostfriesischer
Geschichte. Sie ist die Moederkerk (Niederländisch: Mutterkirche) der
reformierten Gemeinden in Norddeutschland und den Niederlanden. Weil die
Niederländer (Generalstaaten) während des 80-jährigen Krieges von 1568-
1648 gegen die Spanier um ihre Unabhängigkeit kämpften, suchten sie
immer wieder Zuflucht in Emden. Sie hielten dort ihre erste Generalsynode
1571 ab.
Niederländische Emigranten in Ostfriesland Zwischen 1554 und 1557 kamen die ersten niederländischen Reformierten,
die in dem habsburgisch regierten Niederlanden verfolgt wurden, nach
Emden. Meist hatten die Flüchtlinge Hab und Gut verloren und mussten
versorgt werden. Damit nun nicht die einheimischen Armen benachteiligt
wurden, sammelte man für die notleidenden Fremdlinge Kollekten. Zur
Bewahrung und Verteilung dieser Gelder setzte man besondere Diakone ein.
So entstand im Jahre 1558 die Diakonie der „vremdelingen armen“ (der
fremden Armen). Über viele Jahrhunderte hin blieb diese Einrichtung
bestehen.
Über der Ost-Tür der Emdener reformierten Kirche (heute Johannes a Lasco
– Bibliothek) gibt es ein in Stein gemeißeltes Schiff (das Schepken Christi)48
, das mit
hochgehenden Wellen ringt, darunter stehen die Worte:
46
Kurowski: Die Friesen, S. 213-217. 47
Foto: Große Kirche Emden. Gouwennar.29.4.2007.wikimedia.org.: jalb.de: Die Große Kirche Emdens.
(http://www.jalb.de/7557-0-235-29.html). 48
Foto: Schepken Christi: Foto: Quelle: Matthias Süßen. 23.2.2010. wikimedia.org.
16
„Gods Kerk vervolgt, verdreven –
Heft God hyr Trost gegeven” –
Anno 1660 Diaconen der Vremden Nederduitschen Armen.
„Gottes Kirche verfolgt und vertrieben –
Hat Gott uns hier Trost gegeben.“
Das „Schepken Christi“ ist heute das Siegel der evangelisch-reformierten Kirche.
Es gab bald so viele Niederländer in Emden (de nederduitschen Vremden), so dass 1571
festgelegt wurde, dass von sechs Ältesten des Emder Kirchenrates drei
Niederländer sein sollten.
Durch die Verfolgung kamen niederländische Buchdrucker nach Emden, die
dort Bibeln und Neue Testamente in niederländischer Sprache drucken ließen.
1556 arbeitete man in Norden an einer Übersetzung des Neuen Testaments aus
dem Griechischen. Es wurde in Emden in mehreren Auflagen gedruckt49
.
Lutheraner und Reformierte in Leer, Norden und Emden
Im Voraus muss festgehalten werden, dass seit dem Augsburger Religionsfrieden50
von 1555
das Landesherrliche Kirchenregiment für die
konfessionelle Duldung zuständig war. „Cuius regio,
eisus religio“ (wessen Region, dessen Religion), so
lautete der Beschluss.
Der Landesherr hatte über die Konfession in seinem
Land zu bestimmen. War ein Landesherr katholisch, so
war auch seine Region katholisch. Die Evangelischen
waren dann zwar geduldet, aber er konnte ihnen
gottesdienstliche Zusammenkünfte verbieten.
Umgekehrt konnte das genau so geschehen. War ein
Landesherr evangelisch, konnte er die Katholiken
verdrängen.51
Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Konfessionen
hinzu, so dass der Landesherr über die Duldung der
Reformierten, der Altreformierten, der Mennoniten, der
Quäker, der Methodisten oder der Baptisten
entscheiden musste.
49
Abb. Neues Testament in Niederdeutsch (niederländisch): M.Smid: ostfr. KG, 1974, S. 197. 50
Vgl. Hauschild: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 2, 2001, S. 157 – 163 (§ 12, Art. 11). 51
Abb. Konfessionen in Ostfriesland: Ziegelbrenner, 06.10.2009.wikimedia.org.
17
In der Region eines Landesherrn war faktisch nur eine Kirchen-Gemeinde (Konfession)
geduldet52
. Da diese Kirchengemeinde (Konfession) unter dem Schutz des Landesherrn stand,
konnte sie selbst dieses „Kirchenregiment“ ausüben. Die herrschende Kirchengemeinde in
einer Stadt konnte (zusammen mit dem Bürgerrat) selber bestimmen, ob sie
Parallelgemeinden anderer Konfessionen duldete oder nicht.53
Zudem hatten auch die Landesstände ein Mitspracherecht (Abgeordnete der Städte, Bürger,
Beamte, Adel, Klerus arbeiteten auf den Landtagen in Kooperation mit dem Landesherrn.
Steuern, Handel und Gesetze wurden auf den Landtagen beschlossen). Die Stände mischten
auch in konfessionellen Angelegenheiten kräftig mit.54
Nach dem Dreißigjährigen Krieg regelte auch der Westfälische Friede55
1648 den
Konfessionsstand: Auch die Reformierten waren nun offiziell in den Religionsfrieden
miteingeschlossen. Wer die Konfession ändert, konnte vom Landesherrn geduldet oder
ausgewiesen werden. Wechselt ein Landesherr die Konfession, sollten seine Untertanen ihre
bisherige Konfession behalten dürfen. Minderheiten anderer Konfessionen sollten geduldet
werden. Sie durften sich jedoch nicht öffentlich versammeln, sondern nur zur Hausandacht.
Norden In der Stadt Norden in Ostfriesland waren die Reformierten in der Minderzahl. Sie konnten
zwar in Norden leben, mussten sich aber an die lutherischen Gottesdienste halten. Sie durften
keine eigenen Gottesdienste abhalten.
Der Häuptling Unico Manninga (1529-1588) lud die Reformierten auf seine Burg in
Lütetsburg ein. Dort durften sie Gottesdienste durchführen. Dem Lütetsburger Häuptling
konnte Graf Edzard II. (1532-1599) aus dem Hause Cirksena nichts anhaben.
Graf Johann II. (1538-1591), ein Mitregent aus dem Hause Cirksena, versuchte immer wieder
seine Machtspiele gegen Graf Edzard II. auszuüben. So genehmigte er den Reformierten 1579
eine Versammlung in einem Gasthaus in Norden. Zur Verkündigung holte er den
reformierten Prediger „Hinricus uth der Pfaltz“. Das erschien der herrschenden lutherischen
Mehrheit unerträglich. Drei Stadtdiener versammelten sich vor dem Gasthaus, setzten die
Möbel des reformierten Predigers auf die Straße und jagten ihn aus der Stadt.56
52
Ausnahme bildete Neustadtgödens: Hier nahm die Fam. Freydag das Hoheitsrecht in Kirchenangelegenheiten
war. Sie duldete reformierte, lutherische, katholische und mennonitische Gemeindegründungen (um 1695). Die
Mennoniten hatten ihr eigenes Gotteshaus (heute Friedhofskapelle). Die Juden hatten sogar ihre Synagoge. M.
Smid, Ostfr. KG, S. 347-352. Man bedenke, dass Neustadtgödens 1824 nur 751 Einwohner verzeichnete und
dennoch hatten so viele Konfessionen ihre Gotteshäuser. Der Glaube muss eine wesentliche Rolle im Leben der
Menschen gespielt haben. 53
M.Smid, Ostfr. KG, S. 270 54
vgl. Emden: Einfluss des Emder Magistrats auf die reformierte Kirche, M.Smid: Ostfr. KG, S. 271-282. 55
Hauschild: Lehrbuch der Kirchen- u. Dogmengeschichte, Bd. 2, 2001, S. 582-586 (§17, Art. 3). 56 M.Smid: Ostfr. KG, S. 215-218.
18
Einigungsbestrebungen durch Graf Edzard II initiiert, wozu er in den großen Saal des
Schlosses Berum 1579 einlud und wozu auch der reformierte Theologe Menso Alting aus
Emden erschien, blieben erfolglos.57
100 Jahre später hatte die lutherische Fürstin Christine Charlotte von Ostfriesland (1645-
1699) den Lutheranern 1673 im reformierten Leer erlaubt, eine Kirche zu bauen. Obwohl
sich die Reformierten in Leer vehement zur Wehr setzten,
kam es 1676 zu einem Vergleich: Wenn die Lutheraner ihre
Kirche in Leer bekommen, dann dürfen die Reformierten
auch eine Kirche in Norden haben.
Bisher versammelten sich die Reformierten im Schloss
Lütetsburg58
, wo Dodo II. zu Inn- und Knyphausen (1641-
1698) ihnen die Versammlungsfreiheit einräumte. Dodos
Gemahlin war Katholikin, so dass auch Messen in der
Schlosskapelle durchgeführt wurden (M.Smid, Ostfr.KG, S. 351).
Freiherr Dodo II. zu Inn- und Knyphausen erlaubte 1679
den Reformierten an seiner Herrlichkeitsgrenze zu Norden
hin in West-Ekelbuhr (heute Bargebur) eine Kirche bauen
zu dürfen. Wiederum greift das Landesherrliche
Kirchenregiment, da der Freiherr über seinen Bezirk die
letzten Entscheidungen trifft, wobei er in diesem Fall auch
die Fürstin Christine Charlotte von Ostfriesland auf seiner
Seite wusste.
Aber er rechnete nicht mit der Hartnäckigkeit der Norder Bürger. Als am 24. August 1680
das reformierte Bauwerk bereits Balkenhöhe erreicht hatte, überfielen 100 Norder Bürger den
Bauplatz und zerstörten alles Aufgebaute und dazu sogar noch das Baumaterial.
Inzwischen hatte der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (dessen Sohn
Friedrich III. später als Friedrich I. König von Preußen-Brandenburg wurde) Greetsiel
eingenommen. Da Reichsfreiherr Dodo II. Kammerpräsident des Großfürsten geworden war,
schickte dieser 1684 einen Sergenten, einen Korporal und 18 Soldaten nach West-Ekelbuhr
(Bargebur), so dass die reformierte Kirche endlich vollendet werden konnte. Im selben Jahr
fand die öffentliche Einweihung statt. Die reformierte Kirche59
enthält auch eine Prieche
(besonderer Platz auf der Empore) für das Fürstengeschlecht aus Lütetsburg (bis 1790 wurde
auch die fürstliche Familiengruft in der Kirche benutzt)60
.
57 M.Smid: Ostfr. KG, S. 218-221. 58
Zwar war den Reformierten in Norden schon unter Graf Enno III. 1612 freie Religionsausübung gestattet
worden, doch blieb dieses Zugeständnis wertlos, weil die lutherischen Norder Bürger und der Bürgerrat der
kleinen reformierten Schar keine Freiheiten gestatteten. Abb. Schloss Lütetsburg: Wolke.5.07.2004.
wikimedia.org. - Schloss Lütetsburg Quelle: http://www.feuerwehr-luetetsburg.de/bilder/schloss_heute.jpg 59
Abb. Refomierte Kirche in Bargebur: Foto Frisia Orintalis vom 30.05.2009.wikimedia.org. 60
M. Smid: Ostfr. Kirchengeschichte, S. 339-334. Ferner: Bargeburer Kirche:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bargeburer_Kirche vom 08.10.2012.
19
Leer
Leer war reformiert. Den Lutheranern wurde im 16. und bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts
keine freie Religionsausübung gestattet. Die Lutheraner gingen in die Diaspora nach
Logabirum zum Gottesdienst. 1673 erbaten die Lutheraner von der lutherischen Fürstin
Christine Charlotte (1645-1699) als Landesherrin die Genehmigung zum Bau einer eigenen
Kirche in Leer. Dazu durften sie das Kloster Thedinga abbrechen und die Steine für den
Neubau verwenden. Nachdem die Reformierten kräftig intervenierten und auch die Gerichte
einschalteten, kam es 1676 zu einem Vergleich. Die Lutheraner erhalten in Leer eine Kirche
und die Reformierten in Norden.
1764 erteilt Friedrich d. Gr. der lutherischen Gemeinde in Leer die Genehmigung zum Bau
eines Turms und zur Anschaffung eines eigenen Geläuts.61
Menso Alting in Emden
Kein anderer hat die konfessionellen Gräben zwischen den Reformierten und den Lutheranern
in Ostfriesland so tief ausgehoben wie Menso Alting62
(1541-
1612).63
Zunächst studierte er katholische Theologie in Köln,
wechselte dann aber zum evangelischen Glauben und studierte noch
einige Semester evangelische Theologie in Heidelberg. Anschließend
wirkte er als Prediger in Helpen und Sleen in den Niederlanden. Im
Zuge der Gegenreformation musste Menso 1567 die Niederlande
verlassen. 1575 kam Alting nach Emden, wurde Leiter des
Presbyteriums und Präses des Coetus (Verbund ostfriesischer
Prediger). Als entschiedener Calvinist setzte er sich auch im Emder
Magistrat ein und förderte die Emdener Revolution.64
Auf dem Norder Landtag im August 1593 forderten die Vertreter
Emdens, dass der evangelische Glaube zu bewahren sei und dass man
sowohl die Synagogen der Juden als auch die Versammlungen der
Wieder-Täufer verbieten (turbieren) solle.
Graf Edzard II. musste sich durch den Prediger Alting die öffentliche
Demütigung gefallen lassen, in der Großen Kirche zu Emden seine verstorbene Tochter
Margarethe nur still beisetzen zu können. Die Kanzel wurde seinem lutherischen Hofprediger
nicht freigegeben. Alting versperrte sie demonstrativ und gab seiner Entschlossenheit durch
die gleichzeitige Anwesenheit bewaffneter Bürger unmissverständlichen Ausdruck.
1594 legte Alting die Emdener Kirchenordnung vor.
Emden In Emden wurde neben der reformierten Gemeinde keine andere Gemeinde gesetzlich
geduldet (1595). Hier hatte sogar der calvinistisch geprägte Stadtmagistrat großen Einfluss
auf die reformierte Gemeinde. Nach dem Tode von Menso Alting (1612) erhielt kein Emder
Bürger in der Kirche mehr ein Laienamt ohne Empfehlung oder Einverständnis des
Magistrats. Auch auf die Besetzung einer Pfarrstelle hatte der Magistrat seinen Einfluss.
Als Diaspora diente den Lutheranern das Dorf Petkum (bald nach der Reformation wurde
Petkum ev.-lutherisch, weil auch der Häuptling zum lutherischen Glauben übertrat).
61 M.Smid: Ostfr. KG, S. 333-339. 62
Abb. Menso Alting: wikimedia.org.gemeinfrei.08.10.2006. 63
Walter Schulz: „Menso Alting“ in: BLO I, Aurich 1993, S. 24-30. 64
M.Smid: Ostfr. KG, 1974, S. 249-252.
20
Die Ostfriesische Fürstin Christine Charlotte genehmigte 1666 den Lutheranern die
Durchführung von Gottesdiensten. Aber seit der Emder Revolution (1595) ließ sich die Stadt
nichts mehr von den ostfriesischen Landesherren sagen. Der Emder Bürgermeister und der
Stadtrat (Magistrat) ließen die niederländische Garnison, die zur Garantie der Landesverträge
in Emden stationiert war, gegen die Lutheraner aufmarschieren.
Schließlich war es der Emder Magistrat, der den Lutheranern den Gottesdienst gewährte,
nicht die Fürstin. Zur Einlenkung trug auch das Schreiben von William Penn an den Emder
Magistrat bei, der zur Gewissensfreiheit aufrief, nämlich in Bezug auf die Duldung der
Quäker in Emden.65
1684 wandten sich die Lutheraner in Emden an den Magistrat „pro libero Religionis
exercitio“ (in Bezug auf die freie Religionsausübung) und nicht wie in früheren Fällen an den
Landesherrn. 1685 genehmigt der Emder Rat den Lutheranern die Durchführung von
Gottesdiensten, aber unter Bedingungen, nämlich dass ein reformierter Prediger bei den
Gottesdiensten mitanwesend ist.
Zudem haben die Lutheraner jährlich vier Artikel zu unterschreiben:
1) Treue gegenüber dem Magistrat;
2) keine Polemik gegen die Reformierten;
3) die Unterwerfung unter die Kirchenzucht des reformierten Konsistoriums und
4) die Armenkollekten gehen an die reformierte Armenkasse.
Erst der Übergang des Fürstentums Ostfriesland an Preußen führte 1748/49 zur Gründung
einer gleichberechtigten lutherischen Gemeinde in Emden.
Aurich
In Aurich gab es nur sehr wenige Reformierte. Erst 1701 wurde reformierte Prediger zum
Abhalten von Gottesdiensten zugelassen (M. Smid: Ostfr. KG, S. 347).
65
vgl. M.Smid: Ostfr. KG, S. 329f.
21
Der Pietismus in Ostfriesland Frömmigkeit, Buße und Bekehrung, Innerlichkeit, Wiedergeburt, geistliches Leben,
Bibellesen, Hausandacht, alle diese Begriffe gehören zum Pietismus. Dazu fallen uns Namen
ein wie Caspar Schwenckfeld (1489-1561), Johann Arndt (vier Bücher vom wahren
Christentum), August Hermann Francke (Stiftungen in Halle), Ludwig Nikolaus Graf von
Zinzendorf (Herrnhuter Brüdergemeine), Philipp Jakob Spener (Pia Desideria = die frommen
Wünsche) und Johann Albrecht Bengel (NT, Gnomon). Dabei wünscht man vor allem
geistliche Reformen innerhalb der bestehenden Konfession. An eine Abspaltung wird im
Allgemeinen nicht gedacht.
Der reformierte Pietismus
In den Niederlanden gehören Johannes Coccejus (1603-1669, Föderaltheolge), Gisbert Voet
(1588-1676) und Jean de Labadie (1610-1674) zum reformierten Pietismus. Von hier aus
dringt der reformierte Pietismus nach Ostfriesland vor.
Zu nennen ist Wilhelm Schortinghuis, der von 1723 bis 1734 Pastor in Weener war. Durch
sein literarisches Schaffen sorgte er für Aufsehen. Nach seinem Hauptwerk „Het innige
Christendom“ besteht der ganze Gnadenstand in einem Nichtigkeitsgefühl, das zur Erkenntnis
der fünf „Nieten“ (Nichtigkeiten) gelangt: „1) ich will niet, 2) ik weet niet, 3) ik kann niet, 4)
ik heb niet, 5) ik deuge niet.“
Der theologische Rat aus Emden (der Coetus66
) unterstützte die Schriften von Schortinhuis
und fügte noch eine sechste Nichtigkeit hinzu: „ik bin niet.“
Auch der Coccejusschüler Johannes Alardin, der 41 Jahre lang Prediger in Emden war (1666-
1707) und 21 Jahre lang als Präsident dem Coetus vorstand, war pietistisch geprägt.
Zu nennen sind auch Ernst Wilhelm Buchfelder (1688-1711 Pastor in Emden, davon die
letzten vier Jahre als Coetuspräses), Johann Everhardi (Prediger in Emden von 1708-1731)
und Eduard Meiners (1723-1752 in Emden). Die pietistische Prägung erkennt man zum
Beispiel daran, dass Buchfelder eine Abendmahlsbeteilung eines Lutheraners davon abhängig
machen will, ob dieser wiedergeboren sei.
Über 100 Jahre lang prägte der reformierte Pietismus die reformierte Kirche in Ostfriesland67
.
Der lutherische Pietismus
Fürstin Christine Charlotte (1645-1699) von Ostfriesland entstammte dem württembergischen
Fürstenhaus. Von daher gesehen, lernte sie auch Philipp Jakob Spener (1635-1705) kennen.
Die Beziehungen des ostfriesischen Fürstenhauses zu Spener und zum lutherischen
Pietismus68
blieben dauerhaft und wurden vom nachfolgenden Fürsten Christian Eberhard
66
Der Coetus (lat. Versammlung) wurde 1544 von Johannes a Lasco ins Leben gerufen. Ihm gehörten alle
evangelischen Prediger an, also lutherische und reformierte. Man wollte die Predigt in Ostfriesland
beaufsichtigen. Manche Priester waren evangelisch geworden oder es gab selbsternannte Prediger. Ab 1590
gehörten dem Coetus in Emden nur noch reformierte Prediger an. Der Coetus hat einen Präsidenten. 67
M.Smid: Ostfr. KG, 1974, S. 353-357. Ferner: Karl Friedrich Ulrichs: Art. Buchfelder: BLO, Bd. II, Aurich
1997, S. 49-51. Außerdem: Walter Hollweg: Die Geschichte des älteren Pietismus in den reformierten
Gemeinden Ostfrieslands von ihren Anfängen bis zur großen Erweckungsbewegung (1650-1750), Verlag Ostfr.
Landschaft, Aurich und Schuster in Leer, 1978. 68
August de B o e r: Der Pietismus in Ostfriesland am Ende des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
während der Regierungszeit der letzten drei ostfriesischen Fürsten Christian Eberhard, Georg Albrecht und Karl
Edzard, Aurich 1938.
22
aufrechterhalten. Selbst der ostfriesische Kanzler Enno Rudolf Brenneysen (1669-1734)69
sowie der Vizekanzler Avemann waren dem Pietismus zugeneigt. Brenneysen beteiligte sich
zuweilen an Gebetsstunden in Aurich (M.Smid: Ostfr. KG, S. 358).
1698 verfasste der Auricher Prediger Christian Funck, der schon länger die Pietisten und
Schwärmer bekämpfte, eine Schrift gegen „Neulinge, die den Schein der Gottseligkeit
tragen“. Damit eröffnete Funck einen jahrelangen Pietistenstreit in Ostfriesland.
Auch in der Auricher Schlosskirche tobte der gleiche Kampf zwischen dem Pietisten Meene
und dem Orthodoxen Heinson. Im Konsistorium hatte Heinson gegen die pietistisch gesinnten
Beamten Avemann, Brenneysen und Backmeister einen schweren Stand.
Johann Husius zog 1685 nach Esens. In seinem Hause fanden Versammlungen statt. Er
verteilte Schriften von Jakob Böhme, Thomas von Kempen (Nachfolge), von Caspar
Schwenkfeld und von Johann Arndt (Vier Bücher vom wahren Christentum, 1605-169
entstanden). Vor allem waren die Schriften von Johann Arndt bei ostfriesischen Pastoren sehr
beliebt. Der Kreis um Husius wuchs rasant. Leute aus Dornum und Accumersiel wandten sich
dem Pietismus zu. Heftigen Widerspruch bekam er durch die Esenser Pastoren, die ihn wegen
Quäkerei, Böhmisterei, Pietisterei, Enthusiasterei und Phantasterei beim Konsistorium in
Aurich anzeigten. Das Konsistorium drang auf Husius ein, nur genehmigte Bücher zu
verbreiten und die Zusammenkunft mit berüchtigten Personen zu vermeiden (M.Smid: Ostfr.
KG, S. 362f.).
Eine große Breitenwirkung erlangte auch der pietistische Pastor Barthold Meyer (1644-1714,
auch Bartholomäus Meier) in Hage. 1684 war er noch Generalsuperintendent in Wolfenbüttel
gewesen. Dort weigerte er sich, ein Edikt wider den Pietismus, das 1692 im Herzogtum
Braunschweig erlassen wurde, zu unterschreiben und legte sein Amt nieder. 1694 wurde er
von der Gemeinde Hage gewählt, anscheinend durch Vermittlung des ostfriesischen
Vizekanzlers Avemann. In Hage wirkte bereits der ebenfalls pietistisch gesinnte Pastor
Gerhard Lamberti. Hage wurde ein Zentrum des lutherischen Pietismus in Ostfriesland.
Barthold Meyer öffnete seine Wohnung in Hage und nahm gleichgesinnte Studenten und
Kandidaten der Theologie auf, um sie vor allem in den Pietismus einzuführen und sie auf ihr
Pfarramt vorzubereiten. In ihm fanden angehende Pastoren Aufnahme wie Abbé, Ulichius,
Schwartz, Strohmann, Mark, Schoof und Johann Wilhelm Coeler. Barthold Meyer hatte mit
seinem „Predigerseminar“ aber keine großen Erfolge.
Zehn Jahre schon wirkten die beiden pietistisch gesinnten Pastoren in Hage, aber die
Bevölkerung blieb orthodox und schloss sich nicht der neuen pietistischen Bewegung an.
Schließlich wuchs der Widerstand seitens der Bevölkerung in Hage. Es ging um die Wahl
eines Lehrers. Diesmal sollte es kein Pietist sein. Es sollte ein Lehrer sein, der „ein Mann
nach der Welt ist“, andernfalls wollten sie die Pastoren und den Lehrer verjagen und die
Kirchentür zunageln. Die Bevölkerung aus Hage bekam, was sie wünschte. Nachdem
Lamberti 1706 nach Nesse berufen wurde, kam nach Hage der orthodoxe Prediger Pancratius
Voigting. Von nun an gab es zwischen beiden Pastoren ständige Zwistigkeiten. Ein anderes
Mal wurde ihm unzüchtiges Verhalten vorgeworfen. Doch wurde er von diesen Vorwürfen
wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. Meyer starb im Alter von fast 70 Jahren. Er liegt
auf dem Friedhof in Hage begraben70
.
69
Martin Tielke: Art. Brenneysen: BLO IV, Aurich 2007, S. 58-65. 70
M.Smid: Ostfr. KG, 1974, S. 364-366. Ders. in: BLO III, Aurich 2001, S. 285-287 (Art.: Meyer / Meier).
23
JESUS Christus ist unsere Burg!
ER ist unser Schutz, unser Zufluchtsort, unsere Geborgenheit, unser
Zuhause.
JESUS Christus ist unsere Buhne!
ER bricht die großen Wellen des Lebens (vgl. Psalm
93,4), die uns hinfort in die Tiefe reißen wollen, in denen
wir zu ertrinken drohen.
JESUS Christus ist unser Bohlenweg!
Der Bohlenweg ist ein sicherer, befestigter Weg
durchs Moor. Wer auf ihm geht und bleibt, kommt
ans Ziel.
JESUS ist der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh.
14,6). Wer JESUS annimmt, an IHN glaubt, seine
ganzes Vertrauen auf IHN setzt, geht auf einem
sicheren Lebensweg mitten durch den Morast des
Lebens hindurch und erreicht sicher das Ziel: das
Leben, das ewige Leben, den Himmel.
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Literatur 1) M. Brecht: Martin Luther, Bd. 2, Ordnung und Abgrenzung der Reformation, Stuttgart, 1986.
2) August de B o e r: Der Pietismus in Ostfriesland am Ende des 17. und in der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts während der Regierungszeit der letzten drei ostfriesischen Fürsten Christian
Eberhard, Georg Albrecht und Karl Edzard, Aurich 1938.
3) Tim Dowley: Atlas. Bibel und Geschichte des Christentums, Brockhaus, Wuppertal, 1997.
4) Heinrich Garrelts: Die Reformation Ostfrieslands nach der Darstellung der Lutheraner vom Jahre
1593, Verlag von D. Friemann, Aurich, 1925.
5) Wolf-Dieter Hauschild: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Gütersloh, Bd. 1: Alte
Kirche und Mittelalter, 22000; Bd. 2: Reformation und Neuzeit,
22001.
6) Walter Hollweg: Die Geschichte des älteren Pietismus in den reformierten Gemeinden
Ostfrieslands von ihren Anfängen bis zur großen Erweckungsbewegung (1650-1750), Verlag
Ostfr. Landschaft, Aurich und Schuster in Leer, 1978.
7) Franz Kurowski: Die Friesen. Das Volk am Meer, Nikol-Verlag, Hamburg, 2009, 32.
8) Ostfriesische Landschaft: Biographisches Lexikon (BLO) online:
http://www.ostfriesischelandschaft.de
9) Lutz v. Padberg: Wynfreth-Bonifatius, Brockhaus, Wuppertal, 1989.
10) F. W. Putzger: Historischer Weltatlas, Berlin, 99
1978.
11) Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 14, hrsg. v. J. Hoops u.a., Berlin, 21999.
12) Menno Smid: Ostfriesische Kirchengeschichte, Reihe: Ostfriesland im Schutze des Deiches, Bd.
VI, 1974. (M.Smid: Ostfr. KG).
13) Menno Smid: Ostfriesland, in: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Bd. 25, S. 537-540 (hrsg.
V. H. R. Balz u. G. Müller, Berlin New York, 1995).
14) Tacitus: Annalen, übersetzt von Erich Heller, Patmos-Verlag, Düsseldorf, 2005.