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Hals-Nasen-Ohren-Klinik und Poliklinik der Technischen Universitt Mnchen Klinikum rechts der Isar (Direktor Univ.-Prof. Dr. W. Arnold)

Beteiligung des Sacculus beim Morbus Menire Eine VEMP-Studie

Dietrich Goedsche

Vollstndiger Abdruck der von der Fakultt fr Medizin der Technischen Universitt Mnchen zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Medizin genehmigten Dissertation.

Vorsitzender: Prfer der Dissertation:

Univ.-Prof. Dr. D. Neumeier 1. Univ.-Prof. Dr. K.-F. Hamann 2. Priv.-Doz. Dr. M. K. Steuer-Vogt

Die Dissertation wurde am 10.06.2005 bei der Technischen Universitt Mnchen eingereicht und durch die Fakultt fr Medizin am 14.09.2005 angenommen.

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Beteiligung des Sacculus beim Morbus Menire Eine VEMP-Studie

Inhaltsverzeichnis

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Einleitung ........................................................................................ 4 1.1 Funktionelle Anatomie des vestibulren Systems ........................... 4 1.2 Pathophysiologie des vestibulren Systems ................................... 9 1.3 Untersuchungsmethoden des vestibulren Systems..................... 10 1.3.1 1.3.2 1.3.2.1 1.3.2.2 1.3.3 Bogengangstests ............................................................. 11 Otholithentests................................................................. 12 Utriculustests............................................................... 12 Sacculustest (VEMP)................................................... 13 Zentral-vestibulre Tests ................................................. 16

1.4 Meniresche Krankheit.................................................................. 17 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 Pathophysiologie ............................................................. 18 Klinische Symptomatik..................................................... 21 Diagnostik ........................................................................ 23 Therapie........................................................................... 26

1.5 Fragestellung ................................................................................ 27

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Methodik........................................................................................ 28 2.1 Videookulographie und thermische Prfung.................................. 28 2.1.1 2.1.2 2.1.3 Apparative Voraussetzung............................................... 28 Untersuchungsablauf ....................................................... 29 Auswertung...................................................................... 30

2.2 Vestibulr Evozierte Myogene Potentiale (VEMP) ........................ 31 2.2.1 2.2.2 2.2.3 Apparative Voraussetzung............................................... 31 Untersuchungsablauf ....................................................... 32 Auswertung...................................................................... 34

2.3 Untersuchungskollektiv ................................................................. 35 2.3.1 2.3.2 Kontrollgruppe ................................................................. 35 Patientengut..................................................................... 35

2.4 Anmerkungen zur Statistik ............................................................ 36

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Ergebnisse .................................................................................... 37 3.1 Spontannystagmus und thermische Prfung................................. 37 3.1.1 3.1.2 Kontrollgruppe ................................................................. 37 Menire-Patienten ........................................................... 37

3.2 Vestibulr Evozierte Myogene Potentiale...................................... 43 3.2.1 3.2.2 Kontrollgruppe ................................................................. 43 Menire-Patienten ........................................................... 43

3.3 Vergleich zwischen thermischer Prfung und VEMP .................... 45 3.3.1 3.3.2 Kontrollgruppe ................................................................. 45 Menire-Patienten ........................................................... 45

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3.4 Vergleich zwischen der Schilderung der Schwindelbeschwerden und den VEMP-Befunden....................... 49

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Diskussion..................................................................................... 53 4.1 Beteiligung des Sacculus bei der Menireschen Erkrankung........ 53 4.2 Pathophysiologische berlegungen zur Erklrung der VEMPBefunde bei Menire-Patienten .................................................... 54 4.3 Schwindelqualitt und VEMP ........................................................ 57 4.4 Klinische Wertigkeit der VEMP in der neurootologischen Diagnostik ..................................................................................... 58

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Zusammenfassung........................................................................ 60

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Literaturverzeichnis ....................................................................... 63

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Abkrzungsverzeichnis ................................................................. 69

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Abbildungsverzeichnis................................................................... 70

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Tabellenverzeichnis....................................................................... 72

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Danksagung .................................................................................. 73

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1 Einleitung

1.1 Funktionelle Anatomie des vestibulren SystemsDas vestibulre System dient der bewuten Orientierung im Raum, der Blickmotorik und der Aufrechterhaltung des Krpergleichgewichts. Es besteht aus Mechanorezeptoren, dem Vestibularnerven sowie zentralen Schaltstrukturen vom Hirnstamm bis zum Kortex (Kornhuber, 1966).

Abb. 1

Lage der vestibulren Rezeptoren im Bogengangs- und Otolithenapparat (aus Hamann, 1994, S. 262)

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Der im Innenohr gelegene Rezeptorapparat ist paarig angelegt und besteht auf jeder Seite aus fnf Einzel-Rezeptororganen. Die drei Bogengangsrezeptoren, die annhernd im rechten Winkel zueinander in allen Richtungen des Raumes stehend angeordnet sind, dienen der Erkennung von angulren (Winkel-) Beschleunigungen. Die Otolithenorgane Utriculus und Sacculus erlauben die Erkennung geradliniger, also linearer Beschleunigungen im Raum. Bei aufrechter Kopfhaltung erfasst der Utriculus wegen der dann annhernd waagerechten Lage seiner Rezeptormembran Beschleunigungen in horizontaler Ebene. Der zum Utriculus etwa senkrecht stehende Sacculus spricht vor allem auf Vertikalbeschleunigungen des Kopfes an. Die knchernen Bogengnge und der Otolithenapparat enthalten flssigkeitsgefllte Hohlrume. In jedem einzelnen von ihnen liegt die von Endolymphe umgebene Cupula der Bogengnge und in den Otolithenorganen die mit Otolithen bedeckten Maculaorgane. Beide Organtypen enthalten ein Sinnesepithel, das sich aus Haarzellen aufbaut. Die Stereovilli und das Kinozilium dieser Haarzellen ragen in eine gallertige Masse, die als eigentlicher bertrger von Beschleunigungskrften in Cupula und Macula dient.

Abb. 2

Mikroskopischer Aufbau der Cupula (links) und des Otolithen apparates (rechts) (aus Klinke, 1996, S. 657)

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Nur in den Otolithenorganen jedoch wird die Dichte der gallertigen Membran gegenber der Endolymphe durch die oberflchlich in sie eingelagerten Otolithen erhht. Dies ermglicht dem Otolithenapparat auch bei ruhender Kopfposition, aber entsprechender Haltung im Schwerefeld der Erde, ein Ansprechen seiner Haarzellrezeptoren (Hamann, 1994). Bei einer Bewegung des Kopfes kommt es zu einer synchronen Bewegung der knchernen Anteile mit einer entsprechenden trgheitsbedingten Verschiebung der Endolymphe. Diese bewirkt eine Verlagerung der Cupula beziehungsweise der Macula, und damit auch eine Auslenkung der ihnen aufsitzenden Zilien. Die Abscherung dieser Sinneshrchen fhrt ber einen Transduktionsmechanismus der Sinneszelle letztlich zu einem vernderten Rezeptorpotential. Dabei knnen Bewegungen der Sinneshrchen in beide Richtungen kodiert werden, was entweder zu einer Zunahme oder andernfalls zu einer Abnahme der neuronalen Aktivitt fhrt. Eine bestehende Ruheaktivitt in den afferenten Nervenfasern wird durch den adquaten Reiz der Hrchenauslenkung also moduliert (Klinke, 1996).

Abb. 3

Schematische Darstellung des Verhaltens des Rezeptorenpotentials und der Modulation der Nervenimpulse bei adquater Reizung, nach Groen 1972 (aus Hamann, 1987, S. 13)

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Dieser grundstzliche Erregungsmechanismus an den vestibulren Haarzellen ist fr Macula- und Bogengangsorgane gleich. Dennoch kommt den mit Otolithen bedeckten Maculaorganen wegen ihres besonderen Aufbaus, wie schon angedeutet, noch eine zustzliche Aufgabe zu. Durch ihre erhhte Dichte verschiebt sich die schwere Otolithenmembran nicht nur bei variablen Linearbeschleunigungen, sondern bt auch schon unter dem stndigen Einflu der konstanten Erdbeschleunigung (Gravitation) Scherkrfte auf das jeweilige nicht vllig waagerecht stehende Sinnesepithel aus. Dementsprechend werden zu jedem Zeitpunkt je nach Schdelstellung bestimmte Sinneszellen des Verbandes erregt (Abb. 4). Die zentrale Verarbeitung der dadurch fortgeleiteten charakteristischen Aktivitten ermglicht die Berechnung und Wahrnehmung der Stellung des Kopfes im Raum.

Abb. 4

Geographische Anordnung des Maculaapparates im Innenohr beider Seiten mit schematischer Darstellung der Haarbschelrichtungen in Utriculus und Sacculus (aus Hamann, 1994, S. 265)

Die so im Otolithenapparat bzw. durch Auslenkung der Cupula aufgenommene Information wird zunchst ber den Vestibularnerven zu den im Hirnstamm gelegenen Vestibulariskernen weitergeleitet. Hier findet die erste wichtige Integration von Informationen statt. Dabei konvergieren in

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den Vestibulariskernen nicht nur die Informationen aus den verschiedenen labyrinthren Rezeptoren, sondern auch die Verarbeitung mit nichtvestibulren Informationen findet hier statt (Abb. 5). Darber hinaus kommt es bereits auf diesem frhen Niveau zu einem Informationsabgleich zwischen den Vestibulariskernen beider Seiten. Dies wird erreicht durch kommissurale Nervenfasern, die die verschiedenen Zelltypen der Vestibulariskerne ber ein kompliziertes System von Bahnungen und Hemmungen miteinander verbinden (Hamann, 1994).

Abb. 5

Schematische Darstellung der Hauptafferenzen und efferenzen der Vestibulariskerne (aus Hamann, 1987, S. 15)

Das Ergebnis dieser Informationsverarbeitung wird zu den drei Haupteffektororganen fortgeleitet - zum parieto-temporalen Kortex fr die bewute Orientierung im Raum, fr die reflektorische Steuerung der Blickmotorik zu den Augenmuskelkernen und fr die Aufrechterhaltung der Krperhaltung zu den Rckenmarksvorderhornzellen (Abb. 5). Voraussetzung fr das normale Funktionieren des vestibulren Systems ist ein sogenanntes Tonusgleichgewicht zwischen den Vestibulariskernen, das sich durch neurophysiologische Parameter wie Spontanaktivitt, Verstrkungsfaktor, Phasenverhalten und Zeitkonstante definieren lt (Hamann, 1994).

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1.2 Pathophysiologie des vestibulren SystemsWie in Abschnitt 1.1 bereits hervorgehoben, liegt dem normalen Funktionieren des vestibulren Systems ein sogenanntes Tonusgleichgewicht in Hhe der Vestibulariskerne zu Grunde. Dies wird unter normalen Umstnden durch einen annhernd symmetrischen Informationszuflu aus den Vestibularapparaten beider Seiten erreicht. Im Falle einer einseitigen peripher-vestibulren Lsion entsteht ein Seitenunterschied, der sich den Vestibulariskernen mitteilt. Dies fhrt zu einem zentralen Tonusungleichgewicht, das sich klinisch beim Menschen als Schwindel (Drehschwindel), Spontannystagmus und vestibulre Ataxie uert. Selbst bei Bestehenbleiben der peripher-vestibulren Seitendifferenz ist es den zentralen Strukturen mglich, ein neues Tonusgleichgewicht zu erreichen, das zu einer mehr oder weniger kompletten Erhohlung der oben genannten Symptome fhrt. Dabei machen es intranuklere und internuklere Verschaltungen mglich, da es fr bestimmte neurophysiologisch messbare Parameter zu einer Annherung beider Seiten kommt. Diese Vorgnge werden mit dem Begriff Vestibulre Kompensation umschrieben (Dieringer, 1995). An diesen Erholungsvorgngen im Rahmen der vestibulren Funktion nehmen auch nicht-vestibulre, aber mit dem vestibulren System kooperierende Systeme, wie das visuelle und das propriozeptive teil. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen sind spezielle Behandlungsverfahren im Sinne eines vestibulren Habituationstrainings zur Frderung der zentralvestibulren Kompensation entwickelt worden. Das Grundprinzip des vestibulren Habituationstrainings besteht darin, bei nicht kompensierten einseitigen Lsionen durch gezielte wiederholte Reizungen eine Kompensation anzustreben (Hamann, 1987). Fr die Meniresche Krankheit ergibt sich eine Besonderheit. Bedingt durch die besondere Pathogenese der Menireschen Erkrankung gehrt

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es zu den Charakteristika dieser Erkrankung, da der Erregungszustand des Rezeptors wechselt. Die sich daraus ergebenden funktionellen Konsequenzen werden in Abschnitt 1.4 ausfhrlich dargestellt.

1.3 Untersuchungsmethoden des vestibulren SystemsEntsprechend den Funktionen, an denen das vestibulre System beteiligt ist (siehe Abschnitt 1.1), sttzen sich die Untersuchungsmethoden des vestibulren Systems auf die Schwindelanamnese, Untersuchungen der Okulomotorik sowie Untersuchungen der Spinalmotorik. Durch gezielte Fragen im Rahmen einer Anamnese lassen sich Schwindelbeschwerden nach ihrer Qualitt, nach ihrer Zeitdauer und nach den situativen Begleitumstnden klassifizieren. Obwohl der Wert einer sorgfltigen Anamnese nicht hoch genug veranschlagt werden kann, bleibt sie naturgem subjektiv. Die Untersuchungen der Okulomotorik stellen einen objektiven Zugang zu den Funktionen des vestibulren Systems dar. Sowohl die spontan vorhandenen Strungen der Blickmotorik wie ein Spontannystagmus als auch die Methoden der experimentellen Prfungen sind willkrlich vom Patienten nicht zu beeinflussen. Die klassischen vestibulo-spinalen Prfungen, wie der Romberg-

Stehversuch oder der Unterberger-Tretversuch, unterliegen subjektiven Einflssen durch den Patienten und liefern hufig enttuschende Aussagen, da bei der Haltungsreaktion auch nicht-vestibulre Kompensationsmechanismen vestibulre Schden berdecken knnen. Technisch aufwendigere Verfahren mittels EMG liefern aber, wie in Abschnitt 1.3.2 dargestellt, einen objektiven Zugang zu vestibulren Strungen.

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In den folgenden Teilkapiteln werden objektive Untersuchungsmethoden dargestellt, die darber hinaus eine Differentialdiagnostik des vestibulren Systems ermglichen.

1.3.1 Bogengangstests Die Untersuchung der Bogengangsfunktion erfolgt in der klinischen Routine ausschlielich ber die Registrierung der Augenbewegungen. Dabei werden sowohl spontan vorhandene oder provozierbare Nystagmen als auch die durch experimentelle Prfungen hervorgerufenen pathologisch vernderten Reaktionen der Blickmotorik als mglicher Indikator fr ein vestibulres Ungleichgewicht ausgewertet. Die einzige Methode, mit der der Bogengangsapparat - genauer gesagt der horizontale Bogengang - seitengetrennt untersucht werden kann, ist die thermische Prfung. Durch entsprechende Lage des Kopfes wird versucht, den horizontalen Bogengang mglichst isoliert thermisch zu erregen. Dies geschieht ber eine Splung des ueren Gehrgangs mit Wasser, die Applikation von Luft dagegen liefert wesentlich ungenauere Ergebnisse. Der so induzierte Temperaturgradient und der damit verknpfte Wrmestrom leiten letztlich eine Endolymphstrmung im Bogengang ein und damit eine Cupulaablenkung (Scherer u. Helling, 2001). Die bei diesem Vorgang ausgelsten Augenbewegungen kann man unter der Lupenbrille nach Frenzel, mit Hilfe der Elektronystagmographie oder auch mit der Videookulographie auswerten. Bei der Drehung des Kopfes um seinen Mittelpunkt werden beide Bogengangsorgane synchron erregt. Durch entsprechende Kopfposition versucht man auch hier, nur die horizontalen Bogengnge zu erregen. Die Reaktion der Augen spiegelt bei der rotatorischen Prfung das Ergebnis einer beidseitigen Stimulation nach ihrer zentralen Verarbeitung wieder. Beurteilt werden die perrotatorischen oder postrotatorischen Nystagmen jeweils bei einer Rechts- und Linksdrehung. Whrend im Normalfall symmetrische Reaktionen zu erwarten sind, deutet das berwiegen einer Nystagmus-

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richtung hingegen auf eine gestrte zentrale Koordination beider Bogengangsorgane hin (Westhofen, 2001). Bedingt durch die anatomische Lage der beiden vertikalen Bogengnge ist es auerordentlich schwierig, diese selektiv zu reizen. Nur durch die aufwendige Konstruktion eines kardanisch aufgehngten Drehstuhls ist es mglich, eine selektive Reizung durchzufhren.

1.3.2 Otholithentests Bis vor wenigen Jahren war es blich, das Ergebnis der thermischen Prfung auf die Funktion des gesamten Vestibularapparats zu bertragen, obwohl bei der thermischen Prfung tatschlich nur der horizontale Bogengang stimuliert wird. Die Entwicklung der letzten Jahre brachte es mit sich, da nunmehr auch spezifische Tests fr die Funktionsbestimmung des Otolithenapparates zur Verfgung stehen.

1.3.2.1 Utriculustests Der Utriculus dient der Erfassung linearer Kopfbewegungen. Er ist so im Kopf gelagert, da beim aufrecht sitzenden Menschen bevorzugt Bewegungen in der Horizontalebene erfasst werden. Der angreifende Vektor wird daher durch Translationsbewegungen in der Horizontalebene, aber auch durch Neigungen des Kopfes zur Seite verndert. Dies fhrt zu einem an der Augenposition ablesbaren Phnomen, der Gegenrollung der Augen (OCR = ocular counterrolling). Bei Seitwrtsneigung des Kopfes um die Rollachse treten kompensatorische Augenverollungen zur Gegenseite auf. Sie erreichen 10 bis 15 Winkelgrad wenn der Kopf zwischen 60 und 90 Grad gekippt wird (Diamond u. Markham, 1983). Seit Einfhrung videookulographischer Methoden auch fr Augenbewegungen um die Sehachse, also Torsionen, ist es prinzipiell mglich, dieses Phnomen in der klinischen Routine zu messen (Hamann, 1998). Noch sind die Gerte zur Erfassung der Torsionen aber nicht so ausgereift, als da diese Methode fr die Alltagsroutine empfohlen werden kann.

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Im Bereich der bewuten Orientierung setzt sich die Utriculusfunktion in die Empfindung der Vertikalitt um. Mebar wird dieses Phnomen durch die Bestimmung der visuellen subjektiven Vertikalen (VSV). Im Rahmen der klinischen Untersuchung erhlt der Patient die Instruktion, im dunklen Raum eine Leuchtlinie senkrecht zu stellen. Zahlreiche klinische Untersuchungen haben gezeigt, da es in der Akutphase vestibulrer Lsionen zu erheblichen Abweichungen (bis zu 20 Winkelgrad) der VSV kommen kann, die im Verlauf von wenigen Wochen durch Kompensationsvorgnge zu Normalwerten zurck finden (Bonkowsky u. Hamann, 1987). Da auch die zentralen Abschnitte der Otolithenbahnen an der VSV Bestimmung teilnehmen, belegen die Untersuchungen von Dieterich und Brandt. Sie beobachteten erhebliche VSV Abweichungen bei Lsionen in Hirnstamm, Thalamus und Kortex (Brandt u. Dieterich, 1994). Diese relativ einfache Methode der VSV - Bestimmung spiegelt nach heutiger Ansicht die Funktion des Utriculus (Bhmer u. Mast, 1999), aber auch der zentralen Otolithenbahnen (Brandt u. Dieterich, 1994) wider.

1.3.2.2 Sacculustest (VEMP) Der Sacculus ist mit seinen Sinneszellen im Kopf so gelagert, da er bevorzugt Kopfbewegungen in vertikaler Richtung aufnehmen kann. Spezifische Untersuchungen dieses Organs wren mit einem fahrstuhlhnlichen Gert mglich, sind aber fr die klinische Routine nicht einsetzbar. Vielmehr steht seit rund 10 Jahren eine Methode zur Verfgung, die als selektiver Sacculustest angesehen wird: die vestibulr evozierten myogenen Potentiale (VEMP). Durch Klickreize hohen Schalldrucks wird im Innenohr nicht nur die Cochlea erregt, sondern auch der Sacculus, wie tierexperimentelle Studien bewiesen haben. Dies fhrt reflektorisch zu einer Reaktion der Halsmuskulatur, die den vestibulo-collic Reflexen zuzuordnen ist (Colebatch et al., 1994). Am deutlichsten ist sie im EMG des Musculus sternocleido-

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mastoideus zu erkennen, weshalb dieser im allgemeinen als Ableiteort benutzt wird. Es handelt sich bei der EMG-Antwort um eine Potentialfolge, die aus zwei Wellenkomplexen besteht. Der frhe Komplex hat zwei Extrema mit typischen Latenzzeiten von 13 ms und 23 ms (p13, n23), die des spteren Komplexes liegen bei 34 ms und 44 ms (n34, p44).

Abb. 6

Beispiele von VEMP-Originalregistrierungen: oben bei einem Gesunden, unten bei einem Patienten mit gestrter Sacculusfunktion

Ableitungen der VEMP bei ertaubten Personen zeigen typischerweise ein Fehlen der spten Komponente (n34, p44), whrend der erste Wellen-

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komplex (p13, n23) weiterhin nachweisbar ist. Entsprechend ist bei Patienten nach selektiver vestibulrer Neurektomie mit erhaltener Cochleafunktion der entgegengesetzte Befund zu beobachten. Daraus lie sich schlieen, da der frhe Wellenkomplex dem Vestibularapparat zuzuordnen ist, der sptere der Cochlea (Colebatch et al., 1994). Weitere tierexperimentelle Untersuchungen, durchgefhrt an Meerschweinchen mit Tracermethoden, haben ergeben, da der Sacculus fr die Auslsung der VEMP verantwortlich ist (Murofushi und Curthoys, 1997). Zahlreiche klinische Studien haben ergnzend gezeigt, da mit dieser Methode eine selektive und seitengetrennte Beurteilung der Sacculusfunktion mglich ist (Ferber-Viart et al., 1999). Mit dieser Methode knnen nun bestimmte Fragen zur Topodiagnostik bei verschiedenen vestibulren Erkrankungen beantwortet werden. Die Mitbeteiligung des Sacculus beim Morbus Menire ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Bei der Neuritis vestibularis kann geprft werden, ob der inferiore Ast des Nerven ausgespart bleibt, wie dies oft der Fall ist, oder ob die Entzndung den gesamten Vestibularnerven betrifft (Fetter und Dichgans, 1996). Auch in der Frherkennung von Tumoren des Kleinhirnbrckenwinkels, insbesondere von Vestibularschwannomen, ist die Ableitung der VEMP von Bedeutung. Hier kann mit einer Vernderung der Potentiale gerechnet werden wenn durch den Tumor der untere der beiden Vestibularnervenste geschdigt oder mitgeschdigt ist (Hamann et al., 2002). Ganz allgemein kann die Ableitung der VEMP Aufschlu darber geben, ob unklare Schwindelbeschwerden, bei denen andere vestibulre Untersuchungsmethoden Normalbefunde ergeben haben, auf eine isolierte Sacculusunterfunktion zurckzufhren sind. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben die VEMP als zustzliche Untersuchungsmethode auch bei gutachterlichen Fragestellungen besonderen Stellenwert.

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1.3.3 Zentral-vestibulre Tests Neben der Abklrung der peripher-vestibulren Funktion ist es wichtig, auch die zentralen Bahnen zu untersuchen, um an ihnen gelegene Lsionen aufzudecken. Der wichtigste Test, um die zentral-vestibulre Funktion zu prfen, ist der rotatorische Test. Bei seiner Durchfhrung wird der Patient um die Krperlngsachse gedreht. Dabei werden beide Vestibularapparate synchron erregt, und das Ergebnis der zentralen Integration wird an den Augenbewegungen als rotatorisch ausgelster Nystagmus sichtbar. Bei Gesunden treten bei Rechts- und Linksdrehung, gleiche Reizparameter vorausgesetzt, symmetrische Reaktionen auf. Bei akuten, also noch nicht kompensierten peripher-vestibulren Schden, aber auch bei Lsionen im Vestibulariskerngebiet, werden die Reaktionen im Seitenvergleich asymmetrisch. Mit Fortschreiten der zentral-vestibulren Kompensationsvorgnge stellen sich aber im allgemeinen wieder symmetrische Antworten ein. Die rotatorische Prfung erlaubt also eine Abschtzung der zentralen Kompensationsleistung bei vestibulren Schdigungen (Westhofen, 2001). Andere zentral-vestibulre Tests prfen okulomotorische Leistungen, an denen das vestibulre System beteiligt ist. Die Pendelblickfolge (eye-tracking-test) prft, ob langsame Folgebewegungen glatt durchgefhrt werden knnen oder ob sie sakkadiert sind. Whrend der Normale, aber auch der Patient mit einer periphervestibulren Lsion Blickzielgeschwindigkeiten bis zu 20 Grad/Sekunde glatt folgen kann, ist dies Patienten mit zentral-vestibulren Lsionen nicht mglich. Die Augenbewegungen erscheinen sakkadiert (Hamann, 2001). Das System der schnellen Blickfolgebewegungen, also das Sakkadensystem, wird durch Auslsung des optokinetischen Nystagmus (OKN) geprft. Durch das Vorbeifhren von sich bewegenden Streifenmustern vor den Augen wird ein optokinetischer Nystagmus reflektorisch ausgelst. Der Seitenvergleich der okulomotorischen Reaktionen und die Analyse

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des Folgerhythmus gestatten Hinweise auf zentral-vestibulre Strungen (Hamann, 2001).

1.4 Meniresche KrankheitDie Meniresche Krankheit stellt sich als eine Strung der Innenohrfunktion dar, bestehend aus Schwindelattacken, fluktuierender Schwerhrigkeit, Tinnitus und einem oft angegebenen Druckgefhl im betreffenden Ohr. Die Beschreibung der in Kombination auftretenden Symptome der Menireschen Krankheit und die Erkenntnis, da diese eine gemeinsame Ursache im Innenohr haben, geht auf den Namensgeber der Erkrankung Prosper Menire zurck (Menire, 1861). Als pathologisch-morphologisches Korrelat der Erkrankung ist der endolymphatische Hydrops anerkannt, mit dem sich auch die Ausbildung der Menire-Symptome gut erklren lt. Unsicher bleibt hingegen die genaue Ursache fr diesen Krankheitszustand (siehe auch folgendes Kapitel). Es ist umstritten, ob die Meniresche Krankheit eine nosologische Entitt darstellt, oder ob es sich um ein Syndrom mit dem gemeinsamen Auftreten der typischen Symptome handelt. Deren genaue anamnestische Erfassung dient im Zuge der Diagnosesicherung vor allem auch der Abgrenzung zu anderen vestibulren Erkrankungen mit hnlichem Erscheinungsbild und zur Vermeidung von Bezeichnungen wie menireiforme Beschwerden . Hilfreich sind in diesem Zusammenhang die von der AAO-HNS (American Academy of Otolaryngology, Head and Neck Surgery) herausgegebenen Richtlinien zur diagnostischen Sicherung der Menireschen Erkrankung nach einer Wahrscheinlichkeitsskalierung, die der Schwierigkeit Rechnung tragen, die Krankheit auch bei verzgerter oder unvollstndiger Ausbildung der klassischen Symptomtrias einer Einstufung zuzufhren (siehe Abschnitt 1.4.3).

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1.4.1 Pathophysiologie In den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts regte sich ein zunehmendes wissenschaftliches Interesse an der der Menireschen Erkrankung zu Grunde liegenden Pathologie. Beweisende Untersuchungen, die einen endolymphatischen Hydrops als pathologisch-anatomisches Korrelat der Menireschen Erkrankung schlielich besttigen konnten, wurden 1938 gleichzeitig in England und Japan erbracht (Hallpike und Cairns; Yamakawa, 1938).

Abb. 7

Beispiel eines endolymphatischen Hydrops vom Menschen im Bereich des Vestibularapparates (aus Schuknecht, 1993)

In der Folgezeit wurde der endolymphatische Hydrops in tierexperimentellen Studien als pathophysiologisches Modell weiter etabliert und dient zur Erklrung des Anfallsgeschehens und der damit verbundenen charakteristischen Symptome. Grundlegend ist dabei die Erkenntnis, da sich ein Hydrops grundstzlich auf alle Kompartimente des Endolymphraumes gleichermaen erstrecken kann, also auch die Otolithenorgane Sacculus und Utriculus mit einbeziehen kann (Schuknecht und Igarashi, 1986).

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Voraussetzung fr das Entstehen des endolymphatischen Hydrops bei der Menireschen Krankheit und Ausgangspunkt von tiologischen berlegungen ist die Annahme, da es zu einem Ungleichgewicht zwischen Endolymphproduktion und ihrer Resorption im betroffenen Labyrinth kommt. Aus diesem Grund steht vor allem der Saccus endolymphaticus zustndig fr die Rckresorption der Endolymphe im Mittelpunkt der meisten Untersuchungen. Sehr wahrscheinlich kommt es durch pathologische Vernderungen dieser Struktur zu einer mangelnden Rckresorption und damit zu einer Volumenzunahme der kaliumreichen Endolymphe. Tatschlich sind im Ductus und Saccus endolymphaticus entzndlich bedingte Fibrosierungen und knchernen Umbauprozesse gefunden worden (Schuknecht, 1993). Unter zahlreichen wissenschaftlichen Anstzen, die Ursache fr diese strukturellen Vernderungen im Bereich des Saccus endolymphaticus zu finden, hat die Hypothese eines immunologisch-entzndlichen Geschehens zur Zeit die grte Aktualitt. Dies basiert auf Untersuchungen, bei denen die Cochlea und der Saccus endolymphaticus mit hoher Wahrscheinlichkeit als Orte der Immunabwehr im menschlichen Innenohr identifiziert wurden (Arnold et al., 1984). Im Zuge einer lokalen immunologischen Antwort auf einen Antigenreiz knnen durch wiederholte Entzndungsprozesse im Bereich des Saccus endolymphaticus auch strukturellen Schden herbeigefhrt werden. Durch einen auf diese Weise entzndlich-fibrotisch vernderten Saccus endolymphaticus ist die ausreichende Rckresorption der Endolymphe nicht mehr gewhrleistet. Bei gleichbleibender Endolymphsekretion durch die Stria vascularis entwickelt sich zwangslufig ein endolymphatischer Hydrops.

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EXOGENES AGENS (z.B. VIRUS) via Mittelohrfenster oder Blut COCHLERE IMMUNREAKTION via Endolymphstrom ENTZNDUNG DES SACCUS ENDOLYMPHATICUS (S.E.) Chronifizierung FIBROSIERUNG UND OSSIFIKATION IM S.E.

STRUNG DER ENDOLYMPHRCKRESORPTION K+ - Ungleichgewicht ENDOLYMPH-HYDROPS

Abb. 8

Aktuelle Hypothese der tiologie des endolymphatischen Hydrops

Die Ausbildung des endolympatischen Hydrops ist nicht nur mit einer Volumenzunahme, sondern durch die stetige Sekretion auch mit einer osmotisch wirksamen Anreicherung von Kaliumionen verbunden. Dies fhrt, begnstigt durch die semipermeablen Eigenschaften der Reissnerschen Membran, zu einem zustzlichen Wassereinstrom und zu einer massiven Aufblhung des Endolymphraumes. Wenn die ihn begrenzenden Membranen im Bereich der Reissner Membran druckbedingt schlielich platzen, kommt es zu einer Durchmischung der kaliumreichen Endolymphe mit der natriumreichen Perilymphe. Dabei bewirkt der Einstrom des hochkonzentrierten Kaliums an den Sinneszellen eine ausgeprgte Depolarisation, die einer abnormen Stimulation der Rezeptoren entspricht.

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Das klinische Korrelat hiervon ist ein Menire-Anfall, verbunden mit einem Hrverlust und starkem (Dreh-) Schwindel. Die akuten Symptome des Anfalls verschwinden wieder, sobald sich bei ausgeglichenen Druckverhltnissen und nach einem Wiederverschlu der gerissenen Membranen neue Ionengradienten in Endolymphe bzw. Perilymphe aufbauen knnen. Mit diesen Vorgngen wird allerdings auch die Voraussetzung fr die erneute Entwicklung eines Hydrops geschaffen, der sich nach einem nicht vorhersagbaren Zeitintervall in gleicher Weise entladen kann. Ereignen sich diese Anflle im Verlauf der Menireschen Erkrankung in hufiger Folge, treten aufgrund der Beanspruchung und des Verschleies der reissenden Membranen dauerhafte Schden ein. Diese betreffen vor allem auch cochlere und vestibulre Sinneszellen und fhren schlielich zu entsprechenden Funktionsausfllen.

1.4.2 Klinische Symptomatik Die Meniresche Krankheit ist nicht selten. Sie kann bei etwa einem Zehntel der Patienten mit Drehschwindel diagnostiziert werden. Grundstzlich knnen alle Altersgruppen betroffen sein, das typische Alter des Auftretens liegt allerdings zwischen der 3. und 4. Dekade (Paparella, 1994). Das volle klinische Erscheinungsbild der Menireschen Krankheit ist gekennzeichnet durch eine typische Symptomtrias, bestehend aus Schwindelattacken, einem fluktuierenden Hrverlust und Tinnitus. Viele Patienten geben auerdem ein Druckgefhl im betreffenden Ohr an, das meist kurz vor Beginn eines Anfalls am strksten versprt wird. Die Krankheit beginnt hufig nicht mit allen erwhnten Symptomen gleichzeitig, sondern oft monosymptomatisch. Auch nach Ausbildung der charakteristischen Symptomtrias ist es bei der Menireschen Erkrankung nicht mglich, den weiteren Verlauf vorherzusagen, da Frequenz, Strke und Lnge der Schwindelanflle variabel sind (Paparella, 1994). Perioden mit hufigen Anfllen und solche mit wenigen oder gar keinen Anfllen wechseln sich ab. Die symptomfreien Intervalle

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knnen sich ber Monate oder sogar Jahre erstrecken. Bei Abwesenheit von Schwindelbeschwerden stehen dann meist die Schwerhrigkeit und der Tinnitus im Vordergrund. Es sind vor allem die nicht vorhersagbaren und pltzlich einsetzenden Schwindelattacken, die die betroffenen Patienten verunsichern. Am hufigsten wird bei der Menireschen Erkrankung ber Drehschwindel geklagt, der typischerweise Minuten bis Stunden andauert. Nur die Lnge des ersten Anfalls kann in Ausnahmefllen abweichend davon auch mehr als 24 Stunden betragen. Schwindelgefhle anderer Art wie beispielsweise lineare Scheinbewegungen oder sogenannte drop attacks sind selten. Dieses letztgenannte Phnomen, ein pltzliches Hinfallen verbunden mit einem starken vertikalen Bewegungsempfinden, wird als Tumarkin-Krise oder auch Otolithen-Krise bezeichnet. Sie stellt eine spezielle Form der Menireschen Krankheit dar, bei der die Auswirkungen des endolymphatischen Hydrops vor allem den Otolithenapparat betreffen (Tumarkin, 1936). Der fluktuierende Hrverlust ist ein weiteres klassisches Symptom der Erkrankung. Er kann im Frhstadium auch als einziges initiales Symptom auftreten und wird in diesem Fall, wenn Schwindel fehlt, als Hrsturz angesehen. Im Rahmen des vollen Krankheitsbildes ist der Hrverlust whrend der Anflle meist am ausgeprgtesten und erholt sich nach Abklingen des Anfallsgeschehens wieder. Whrend anfangs vorwiegend der tiefe Frequenzbereich betroffen ist, findet mit dem Fortschreiten der Erkrankung eine Ausweitung auch auf die hheren Hrfrequenzen statt. Nach lngerem Krankheitsverlauf vermindert sich auerdem die Regenerationsfhigkeit der cochleren Sinneszellen und fhrt zu einer zunehmenden bleibenden Schwerhrigkeit. Zur klassischen Symptomtrias gehrt noch der Tinnitus, der bis zu 90 % der Menire-Patienten befllt (Paparella, 1994). Er ist im Gegensatz zum Schwindel und zum Hrverlust nicht zwangslufig an das Anfallsgeschehen gebunden, und kann sich als Zeichen cochlerer Schdigung auch als strendes Dauersymptom einstellen.

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Im allgemeinen zeigt die Meniresche Erkrankung einen jahrelangen, progressiven Verlauf mit in spten Stadien abnehmenden Schwindelbeschwerden und zunehmender Schwerhrigkeit bis Ertaubung. Der anfangs vorherrschende Drehschwindel wandelt sich in diesem Zustand der sogenannten ausgebrannten Menire-Krankheit in ein stndiges Gefhl von Gang- und Standunsicherheit.

1.4.3 Diagnostik Die Diagnose der Menireschen Erkrankung beruht letztlich auf anamnestischen Kriterien. Eine sichere Nachweismethode gibt es zu Lebzeiten eines Patienten nicht. Allerdings mssen andere Erkrankungen mit hnlicher Symptomatik ausgeschlossen werden. Es gilt heute als allgemein anerkannt, da das pathologisch-anatomische Korrelat des Morbus Menire der endolymphatische Hydrops ist. Dieser kann aber nur post mortem nachgewiesen werden, wie dies in Einzelfllen geschehen ist. Die Vereinigung der amerikanischen Hals-Nasen-Ohren-rzte (American Acadamy of Otolaryngology, Head and Neck Surgery) hat aus pragmatischen Grnden eine Einteilung der Menireschen Krankheit nach Sicherungsgraden vorgeschlagen, die sich an bekannte Krankheitsverlufe mit entsprechender Symptomausprgung hlt (siehe Abb. 9).

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Bewiesener Morbus Menire Sichere Meniresche Krankheit mit histopathologischer Besttigung Sicherer Morbus Menire (Trias) Zwei oder mehr Schwindelanflle von wenigstens 20 Minuten Dauer Wenigstens einmal audiometrisch dokumentierter Hrverlust Tinnitus oder Druckgefhl Wahrscheinlicher Morbus Menire Einmaliger Schwindelanfall Wenigstens einmal audiometrisch dokumentierter Hrverlust Tinnitus oder Druckgefhl Mglicher Morbus Menire Schwindelepisode ohne Hrverlust Bleibende Innenohrschwerhrigkeit oder fluktuierendes Gehr mit Gleichgewichtsstrungen, aber ohne definierte Anflle

Abb. 9

Einteilung der Menireschen Krankheit nach Wahrscheinlichkeitskriterien zur Diagnosesicherung (nach AAO-HNS, 1995)

Neben diesen anamnestischen Kriterien versucht man neurootologische Untersuchungsbefunde zu erheben, die zum Krankheitsbild der Menireschen Erkrankung gehren. So ist der Nachweis einer cochleren Schwerhrigkeit zu fordern, der entweder durch berschwellige Hrprfmethoden oder die Ableitung der otoakustischen Emissionen (OAE) belegt werden kann. Mit Hilfe der Hirnstammaudiometrie (BERA) gelingt es, eine retrocochlere Schwerhrigkeit auszuschlieen. Mit Glycerol, einer osmotisch wirksamen Substanz, wird versucht, einen mglicherweise vorhandenen Endolymphhydrops zu reduzieren. Dies mte sich in einer Erholung des Tonschwellengehrs widerspiegeln. Solche positiven Ergebnisse sind hufig berichtet worden. Dieses Verfahren setzt allerdings immer voraus, da zum Zeitpunkt der Untersuchung ein Endolymphhydrops vorhanden ist (Klockhoff und Lindblom, 1974). Gleiches gilt sinngem fr die Elektrocochleographie, bei der sich ein Endolymphhydrops durch Anwachsen des Summationspotentials (SP) gegenber dem Nervenaktionspotential (NAP) innerhalb des Elektrocochleographie-Potentialkomplexes zeigt. Auch fr diese Methode gilt, da nur

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der positive Nachweis als Zeichen eines endolymphatischen Hydrops zu werten ist (Eggermont und Odenthal, 1974). Da die Meniresche Erkrankung beide Teile des Innenohres betrifft, bezieht sich die weitere Diagnostik auf eine Funktionsanalyse des Vestibularapparates. Wegen der Pathophysiologie der Erkrankung kann sich der Vestibularapparat je nach Stadium der Erkrankung in verschiedenen Erregbarkeitszustnden befinden (Watanabe, 1994). Im beschwerdefreien Intervall, vor allem am Beginn der Erkrankung, kommt es zu einer vollstndigen Erholung der vorbergehend geschdigten Sinneszellen, so da Normalbefunde beobachtet werden: kein Spontannystagmus, eine seitengleiche thermische Erregbarkeit und symmetrische Reaktionen in den Drehprfungen. In der Anfallsphase selbst kommt es nach einer nur kurz anhaltenden Lhmung durch die Ionenverschiebungen zu einer Irritation der vestibulren Rezeptoren, die sich als Spontannystagmus in das kranke Ohr, als scheinbare Untererregbarkeit der gesunden Seite und als Richtungsberwiegen des Irritationsnystagmus im rotatorischen Test zeigt. Ist es krankheitsbedingt im Laufe der Zeit zu einer irreversiblen Schdigung der vestibulren Rezeptoren gekommen, dann finden sich alle Zeichen einer ipsilateralen Unterfunktion, nmlich ein Spontannystagmus zur gesunden Seite, eine thermische Untererregbarkeit der betroffenen Seite und ein Richtungsberwiegen im rotatorischen Test (Watanabe, 1994). Somit kann man bei der Menireschen Krankheit alle Befundkombinationen beobachten. Daher steht die Vestibularisprfung bei der Diagnostik der Erkrankung nicht im Vordergrund. Sie zeigt nur den aktuellen Zustand der vestibulren Funktion an. Die Diagnosestellung einer Menireschen Erkrankung sttzt sich hauptschlich auf anamnestische Kriterien. Neurootologische Befunde wie die Hrprfmethoden und die Vestibularisprfung untermauern zwar die gestellte Diagnose, dienen aber eher der aktuellen Funktionsbeschreibung des Innenohres.

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1.4.4 Therapie Im Vordergrund der Beschwerden steht bei der Menireschen Erkrankung die akut auftretende Schwindelsymptomatik. In dieser Phase versucht man, den Schwindel mit dmpfenden Antivertiginosa zu unterdrcken. Dazu werden Medikamente wie Dimenhydrinat, Diazepam oder auch Neuroleptika eingesetzt. Gleichzeitig versucht man, in der Akutphase die entzndliche Komponente durch Kortisongaben zu beeinflussen. Fr die Prophylaxe weiterer Schwindelanflle ist Betahistin geeignet. In mehreren Doppelblindstudien konnte gezeigt werden, da sowohl die Anfallhufigkeit als auch die Anfallintensitt reduziert werden (Claes und van de Heyning, 1997). Stellt sich heraus, da diese medikamentsen Manahmen zur Behandlung nicht ausreichen, kann eine chirurgische Therapie in Erwgung gezogen werden. Eine einfache Mglichkeit, um auf die Druckverhltnisse im Innenohr Einflu zu nehmen, stellt das Einlegen eines Paukenrhrchens dar. Dasselbe Prinzip, nmlich die Druckentlastung, ist auch Grundlage der Vestibulotomie, bei der eine kleine Perforation an der Stapesfuplatte angelegt wird. Schon seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wird immer wieder eine Druckentlastung am Saccus endolymphaticus selbst durch eine Saccotomie empfohlen (Portmann, 1927). Die vielfach berichteten guten Ergebnisse wurden aber zweifelhaft, als bekannt wurde, da die einfache Mastoidektomie ohne Erffnung des Saccus endolymphaticus dieselben Ergebnisse brachte (Thomsen und Bretlau, 1981). Andere chirurgische Manahmen sind a priori destruktiv. Deren Ziel ist es, das kranke Gleichgewichtsorgan vllig auszuschalten, um eine zentrale Kompensation zu ermglichen. Die meisten der chirurgischen Behandlungsmethoden bergen das Risiko einer Verletzung des cochleren Organs in sich. Daher sollte die Indikation zu einer chirurgischen Manahme sehr streng gestellt werden. Auer-

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dem ist zu bedenken, da bei 30% der Menire-Patienten die Krankheit beidseitig auftritt (Paparella, 1994).

1.5 FragestellungIn der vorliegenden Arbeit soll auf folgende Fragen Antwort gegeben werden: 1. Lt sich mit Hilfe der VEMP eine Sacculusbeteiligung beim M. Menire feststellen? 2. Lt sich ein Endolymphhydrops am Sacculus mit Hilfe der VEMP nachweisen? 3. Gibt es eine bereinstimmung zwischen den Befunden des Sacculustests (VEMP) und den Befunden des Bogengangstests? 4. Gibt es eine Beziehung zwischen der Charakteristik der Schwindelbeschwerden und den VEMP-Befunden?

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2 Methodik

2.1 Videookulographie und thermische Prfung2.1.1 Apparative Voraussetzung Zur optischen Registrierung der Augenbewegungen wurde ein computergesttztes Videookulographiegert aus der Systemreihe Senso Motorik Instruments der Firma Hrni und Zeisberg verwendet. Durch die benutzte Software 2D-VOG TM Version 3.2 war eine Aufzeichnung mit unmittelbar anschlieender Auswertung der Daten mglich. Die optische Erfassung der Augenbewegungen geschieht bei diesem System ber eine monoculare Infrarotkamera, die in einer tauchermaskenartigen, lichtausschlieenden Brille integriert ist (Abb. 10).

Abb. 10

Lichtausschlieende Brille mit aufgesetzter Infrarotkamera zur Registrierung von Augenbewegungen (Originalfotographie)

Die Anlage bietet neben der graphischen Darstellung der Augenbewegungen eine bertragung des Kamerabildes in Echtzeit in ein eingeblendetes

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Fenster des Monitors. Somit knnen zu jedem Zeitpunkt des Registriervorganges die exakte Kamerastellung ber dem Auge sowie die ffnung des Auges berprft werden. Nach Ende der Registrierung stehen die so aufgenommenen Augenbewegungen, graphisch dargestellt als Aufzeichnung der Augenposition ber der Zeit, sofort zur Auswertung zur Verfgung. Bestimmte Meparameter wie Nystagmusfrequenz und Geschwindigkeit der langsamen Phase werden zahlenmig automatisch mit angegeben. Die Reizung des Bogengangsapparates im Rahmen der thermischen Prfung erfolgte ber eine Splung des ueren Gehrgangs mit Wasser mit einer konstanten Temperatur von 44C. Das Splgert Variotherm der Firma Atmos erlaubt die Bereitstellung der gewhlten Temperatur und mittels einer Splpistole die kontinuierliche Applikation des warmen Wassers im gesamten ueren Gehrgang. Die exakte Splungszeit von jeweils 30 Sekunden wurde mit Hilfe einer Mezeituhr eingehalten. Fr die Aufzeichnung der hervorgerufenen okulomotorischen Reaktionen mittels 2D-VOG TM wurde das entsprechende Teilprogramm Kalorik gewhlt.

2.1.2 Untersuchungsablauf Vor Beginn der eigentlichen Untersuchung erfolgte eine otoskopische Prfung beider Trommelfelle und eine Aufklrung ber den Ablauf der Messung. Dann wurden zunchst Spontanbewegungen des Auges abgeleitet, um die Frage nach einem Spontannystagmus beantworten zu knnen. Fr die seitengetrennte Untersuchung des horizontalen Bogengangs mit der thermischen Prfung mute der Patient mit Hilfe des kippbaren Untersuchungsstuhls in eine optimale Liegeposition, mit 30 angehobenem Oberkrper, gebracht werden.

30

Abb. 11

Durchfhrung der thermischen Prfung bei 60 nach hinten gelagertem Kopf (Originalfotographie)

Nachdem Sitz der lichtausschlieenden Brille bzw. Kameraposition nochmals kontrolliert worden waren, begann die thermische Prfung mit der kontinuierlichen Splung des rechten ueren Gehrgangs ber 30 Sekunden (Abb. 11). Wegen des verzgert ausgelsten Wrmestroms im Bereich des horizontalen Bogengangs wurde erst 10 Sekunden nach Ende der Splung mit der Registrierung des kalorisch ausgelsten Nystagmus begonnen. Fr eine mglichst strungsfreie Aufnahme durch die Infrarotkamera wurde der Patient angehalten, whrend der Registrierphase von einer Minute seine Augen weit offen zu halten. Die analog durchgefhrte 30-Sekunden-Splung der linken Seite erfolgte erst nach einer Pause von mindestens sieben Minuten.

2.1.3 Auswertung Die Analyse der zu Beginn abgeleiteten spontanen Augenbewegungen zielte auf das Erkennen eines pathologischen Spontannystagmus ab. Das Vorhandensein eines solchen setzt den Nachweis von mindestens drei

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typischen Nystagmen innerhalb eines Beobachtungszeitraumes von dreiig Sekunden voraus. Bei der thermischen Prfung bestand die Auswertung in einem Seitenvergleich der jeweiligen okulomotorischen Reaktionen nach Warmsplung. Als Meparameter wurde dabei hauptschlich die Geschwindigkeit der langsamen Phase des kalorisch ausgelsten Nystagmus bercksichtigt. Die Nystagmusfrequenz, ausgedrckt als die Gesamtzahl der Nystagmusschlge innerhalb einer Minute, diente als Zweitkriterium. Als pathologisch wurde eine Seitendifferenz dann angesehen, wenn ein Unterschied von 20% und mehr vorlag.

2.2 Vestibulr Evozierte Myogene Potentiale (VEMP)2.2.1 Apparative Voraussetzung Fr die Durchfhrung der Messungen wurde auf der Reizseite, hnlich wie bei der Hirnstammaudiometrie, ein Klickgenerator und ein Kopfhrer benutzt. Die Reizstrke (Schalldruckpegel) und die Reizfolgefrequenz waren variabel einstellbar. Zum Ableiten der vestibulr ausgelsten Muskelpotentiale vom jeweiligen Musculus sternocleidomastoideus bentigte man drei Klebeelektroden (Ag/AgCl), wie sie ebenfalls bei der BERA gebruchlich sind. Die Integration und graphische Darstellung der so abgeleiteten Muskelpotentiale erfolgte mit der fr neurophysiologische Messungen vorgesehenen Software Neuroscreen der Firma Toennis & Jger. Mit dem entsprechenden Teilprogramm von Neuroscreen wurde bei den meisten Patienten im Anschlu an die eigentliche Messung auch das SpontanEMG des Musculus sternocleidomastoideus mitregistriert. Die weitere Dokumentation erfolgte ber einen Ausdruck.

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Abb. 12

Schematische Darstellung der Messanordnung fr die Ableitung der VEMP (nicht dargestellt ist die auf der Stirn fixierte Erdelektrode)

2.2.2 Untersuchungsablauf Zunchst wurden die Patienten ber den Ablauf der Untersuchung aufgeklrt und erhielten Instruktionen zur Kopfhaltung, wie sie fr die Ableitung der VEMP notwendig ist. Vor dem Anbringen der Ableitelektroden wurden die vorgesehenen Hautstellen zur Verringerung des Hautwiderstandes zunchst entfettet und mit einem abrasiven Hautgel konditioniert. Die Elektroden konnten dann wie folgt platziert werden: Eine Elektrode (als Erde) zentral auf der Stirn des Patienten; und auf jeder Seite zwei weitere ber dem Musculus sternocleidomastoideus, eine jeweils unter dem Mastoid, die andere im unteren Drittel des Ableitmuskels (Abb. 12 und Abb. 13). Um optimale Ableitbedingungen sicherzustellen, erfolgte vor der eigentlichen Potentialmessung eine Impedanzmessung der Elektroden. Auerdem wurde der Patient nach Aufsetzen der Kopfhrer gebeten, seinen Kopf um 90 zur Seite zu drehen und diesen mit gleichbleibendem Druck gegen die Hand des Untersuchers zu halten (Abb. 13). Dies gewhrleiste-

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te einen konstant erhhten Muskeltonus im ipsilateralen Ableitmuskel whrend der Messung.

Abb. 13

Darstellung der Mesituation bei der Ableitung der VEMP (Originalfotographie)

Gemessen wurde zuerst auf der linken, dann auf der rechten Seite. Pro Seite erhielt der Patient jeweils 2 x 256 Klickreize von 0,1 ms Dauer mit einer Intensitt von 120 dB (SPL) sowie einer Reizfolgefrequenz von 3 Hz. Um die Reproduzierbarkeit der Potentiale zeigen zu knnen, wurde auf jeder Seite doppelt gemessen. Nach automatischer Mittelung der jeweils 256 Einzelsignale lie sich beurteilen, ob eine typische Reizantwort vorlag. Bei fehlendem Potential wurden die Schalldrcke der Klickreize in Ausnahmefllen auf 125 dB, und sehr selten auf 130 dB erhht. Die Durchfhrung einer beidseitigen VEMP-Messung, mit jeweils anschlieender Registrierung des SpontanEMG zur Dokumentation des Muskeltonus, dauerte zwischen 30 und 40 Minuten.

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2.2.3 Auswertung Die wesentlichen Kriterien bei der Auswertung der VEMP waren zum einen der Nachweis eines typischen reproduzierbaren Potentialkomplexes und zum anderen der Amplitudenvergleich mit der Gegenseite. Im Sinne der Reproduzierbarkeit erwartete man, da sich eine Potentialfolge auch bei der zweiten Messung auf einer Seite in gleicher Weise ableiten lie. Fr die Beurteilung der Potentialform war das Vorhandensein der typischen Abfolge von zwei Wellenkomplexen, insgesamt bestehend aus vier Einzelwellen, mit den dazugehrigen zu erwartenden Latenzzeiten ausschlaggebend. Bei einer typischen Reizantwort lagen die beiden Extrema des ersten, vestibulr ausgelsten Wellenkomplexes bei 13 ms und 23 ms (p13, n23), und die des cochler ausgelsten Komplexes bei 34 ms und 44 ms (n34, p44). Bercksichtigt wurde ausschlielich die Amplitude des Wellenkomplexes p13 und n23, der der Sacculusreizung zuzuordnen ist. Das Fehlen oder die verminderte Ausbildung dieses Potentials konnten als Ausfall oder als eingeschrnkte Funktion des Sacculus gewertet werden. Eine Einschrnkung der Funktion wurde bei mehr als 50% Differenz der Amplituden im Seitenvergleich angenommen (siehe Abb. 14). Ein Amplitudenvergleich hatte allerdings nur bei solchen Patienten einen klaren Aussagewert, bei denen auch das Spontan-EMG beider Seiten als annhernd gleich zu werten war. Patienten mit einem deutlich unterschiedlichen Muskeltonus whrend der Messungen wurden daher im hier vorliegenden Patientenkollektiv nicht bercksichtigt.

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V rechts

V links

10 10

10

ms

10

ms

Abb. 14

VEMP-Registrierung mit einem pathologischen Seitenunterschied; die Amplitude rechts ist mehr als 50% kleiner als die Amplitude links

2.3 Untersuchungskollektiv2.3.1 Kontrollgruppe In das Untersuchungskollektiv wurden 20 gesunde Probanden aufgenommen. Bei den acht Frauen und zwlf Mnnern im Alter von 19 bis 33 Jahren waren bis zum Zeitpunkt der Untersuchung keinerlei Schwindelbeschwerden als Ausdruck einer gestrten Funktion des Vestibularapparates aufgetreten. Auch andere Beschwerden wie Schwerhrigkeit oder Tinnitus, die auf eine Innenohrstrung hindeuten, wurden nicht angegeben. Das mittlere Lebensalter der Versuchspersonen lag bei 25 Jahren.

2.3.2 Patientengut Das Patientenkollektiv umfasste 60 Patienten, bei denen nach den Kriterien der AAO-HNS (American Academy of Otolaryngology, Head and Neck

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Surgery) ein sicherer Menire vorlag. Dies bedeutete, da es, wie in Abschnitt 1.4.3 dargestellt, bereits zu zwei oder mehr charakteristischen Schwindelattacken und zu einem audiometrisch nachgewiesenen Hrverlust gekommen war, und die Patienten auerdem ber Tinnitus oder ber ein Druckgefhl im betroffenen Ohr klagten. Patienten, die diese Kriterien zwar erfllten, sich aber im fortgeschrittenen Stadium ihrer Erkrankung bereits einer destruierenden therapeutischen Manahme unterzogen hatten, wurden nicht in das Kollektiv aufgenommen. Von den 60 erfassten Patienten waren 34 weiblichen und 26 mnnlichen Geschlechts. Das Lebensalter der Personen lag zwischen 18 und 82 Jahren, und im Durchschnitt bei 51 Jahren.

2.4 Anmerkungen zur StatistikDie untersuchte Patientengruppe bestand aus Personen aller Altersklassen, die mit unterschiedlich ausgeprgten Merkmalen der Menireschen Erkrankung in Behandlung waren. Bei der diagnostischen Bewertung der Krankheitsmerkmale waren in erster Linie kategorielle Merkmale messtechnisch auszuwerten und zu interpretieren; die numerischen Merkmale beschrnkten sich auf die Anzahl der Flle pro kategorielles Merkmal. Die erhobenen Daten wurden den Fragestellungen entsprechend nur den Methoden der deskriptiven Statistik unterworfen.

37

3 Ergebnisse

3.1 Spontannystagmus und thermische Prfung3.1.1 Kontrollgruppe Bei keinem der Probanden des Kontrollkollektivs (n=20) war ein Spontannystagmus in der VOG-Untersuchung feststellbar. Alle gesunden Probanden zeigten bei der thermischen Prfung eine seitengleiche Erregbarkeit der horizontalen Bogengnge, also keinen Seitenunterschied von mehr als 20% in der Nystagmusreaktion (Abb. 16).

3.1.2 Menire-Patienten In der Gruppe der Menire-Patienten (n=60) fand sich bei 27 Personen ein pathologischer Spontannystagmus, von denen der Nystagmus in 13 Fllen zur erkrankten Seite schlug, bei 14 Patienten zur gesunden Seite (siehe Abb. 15 und Tab. 2).

s

Abb. 15

Beispiel eines pathologischen Spontannystagmus nach links bei einer Patientin mit M. Menire der rechten Seite

38

Die thermische Prfung ergab in acht Fllen eine seitengleiche Erregbarkeit (Abb. 16), in 52 Fllen nicht (siehe Tab. 1 und 2). Bei 45 Patienten, die an einer einseitigen Menireschen Erkrankung litten, fand sich in 29 Fllen eine eingeschrnkte Reaktion auf der befallenen Seite (Abb. 17). In den anderen Fllen (n=16) wies die erkrankte Seite die strkere Reaktion auf thermische Reizung im Sinne einer Irritation auf. Bei den sieben Patienten mit beidseitiger Menirescher Erkrankung fanden sich in allen Fllen Seitendifferenzen (Tab. 1 und 2), die keine direkten Rckschlsse auf die strker erkrankte Seite zulassen.

Anzahl der Patienten (n = 60) 8 29 16 7

Menire-Befund einseitig einseitig einseitig beidseitig

Ergebnis der thermischen Prfung keine pathologische Seitendifferenz Unter- bzw. Unerregbarkeit der betroffenen Seite Irritation der betroffenen Seite Untererregbarkeit oder Irritation der strker erkrankten Seite

Tab. 1

Aufschlsselung der Menire-Patienten nach dem Ergebnis der thermischen Reizung

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s

s

s

Abb. 16

Beispiel fr eine seitengleiche thermische Erregbarkeit bei thermischer Reizung mit 44C Wasser bei einem Probanden. Seitengleiche thermische Erregbarkeit wurde auch bei acht Patienten beobachtet. Oben: Original-VOG-Registrierung der Augenposition ber der Zeit (: Winkelgrad, s: Sekunde); Unten: mit EDV berechnete Geschwindigkeit der langsamen Nystagmusphase (GLP)

40

s

s

s

Abb. 17

Beispiel fr eine pathologische Seitendifferenz bei thermischer Reizung mit 44C Wasser (Untererregbarkeit links) bei einem Patienten mit M. Menire der linken Seite. Oben: Original-VOG-Registrierung der Augenposition ber der Zeit (: Winkelgrad, s: Sekunde), Unten: mit EDV berechnete Geschwindigkeit der langsamen Nystagmusphase (GLP)

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Legende fr Tabelle 2 Nr m w M. Menire re li bds. VOG SpN n. li n. re Untererreg. Unerreg. VIN k. path. UF n. komp. teilw. komp. komp. Hinw. a. ger. hochgr. Patientennummer mnnlich weiblich Morbus Menire rechts links beidseitig Videookulographie Spontannystagmus nach links nach rechts Untererregbarkeit Unerregbarkeit vibrationsinduzierter Nystagmus keine pathologische Unterfunktion nicht kompensiert teilweise kompensiert kompensiert Hinweis auf gering hochgradig

42

Nr Patient 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 P. I. M. M. J. J. H. M. T. C. R. E. M. S. L. M. K. I. K. J. K. I. K. A. K. H. H. E. G. E. F. M.-M. B. T. B. L. B. M. A. M. M. K.D. S. W. P. O. M. E. K. H. J. A. H. K. H. C. C. E. B. C. A. W. A. W. L. F. H. J. L. R. S. I. K. B. F. K. B. E. L. M. W. J. S. S. A. V. E. L. S. J. L. K. L. U. R. R. B. H. F. C. E. R. G. V. W. M. W. A. W. K. P. P. K. R. F. L. K. P. E. D.

m/w w w w w w m w m w m w m w w m w w w w w m m m w w w w w m w m m m w w w m m w w m w m m m m w m m m m w w w m w m w m w

Geburtsjahr 1952 1940 1936 1921 1963 1938 1967 1973 1947 1957 1941 1934 1952 1934 1940 1936 1932 1940 1928 1921 1952 1947 1958 1966 1938 1920 1944 1983 1950 1968 1937 1972 1949 1978 1946 1943 1961 1964 1935 1950 1930 1975 1959 1955 1944 1944 1945 1973 1950 1965 1957 1959 1936 1955 1945 1959 1971 1962 1961 1934

Alter Diagnose 48 61 66 80 38 63 35 29 55 44 60 68 48 67 62 65 69 62 72 80 49 54 43 36 63 82 57 18 51 33 65 29 52 23 54 58 39 37 65 51 71 26 43 46 58 58 57 28 52 37 45 43 66 47 57 43 31 40 41 69 M. Menire re M. Menire li M. Menire re M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire bds. M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire bds. M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire bds. M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire bds. M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire bds. M. Menire li M. Menire bds. M. Menire re M. Menire re M. Menire bds.

VOG-Befund n.komp. UF re n.komp. UF li hochgr. UF re n.komp. UF li n.komp. UF re n.komp. UF re n.komp. Irritation re ger. Irritation li n.komp. Irritation re komp. UF re n.komp. Irritation re n.komp. UF re n.komp. Irritation re komp. UF re n.komp. UF re n.komp. UF re n.komp. Ausfall re hochgr. UF re komp. UF re teilw.komp. UF re noch Norm n.komp. Irritation li noch Norm n.komp. Irritation li n.komp. UF li n.komp. UF li n.komp. UF li hochgr. Irritation li teilw.komp. UF re n.komp. UF li teilw.komp. UF li Hinw.a. Irritation li n.komp. Irritation li n.komp. UF li UF re / Irritation li n.komp. UF li n.komp. UF re n.komp. UF re n.komp. UF re teilw.komp. UF re noch Norm Norm noch Norm Norm Irritation li n.komp. Irritation li teilw.komp. UF re komp. UF re n.komp. Irritation re n.komp. UF li teilw.komp. UF li n.komp. Irritation re n.komp. Ausfall li Irritation li Irritation re / UF li Irritation li UF li / Irritation re Hinw.a. UF re hochgr. UF re hochgr. UF li

SpN Kalorik n.li n.li n.li n.li n.li Untererreg. re Untererreg. li Untererreg. re Untererreg. li Untererreg. re Untererreg. re Irritation re ger. Irritation li Irritation re Untererreg. re Irritation re Untererreg. re Irritation re Untererreg. re Untererreg. re Untererreg. re Unerreg. re VIN n.li Untererreg. re Untererreg. re k.path.Seitendifferenz Irritation li k.path.Seitendifferenz Irritation li Untererreg. li Untererreg. li Untererreg. li Unerreg. re Untererreg. re Untererreg. li Untererreg. li seitengleich erregbar Irritation li Untererreg. li Untererreg. re Untererreg. li Untererreg. re Untererreg. re Untererreg. re Untererreg. re k.path.Seitendifferenz seitengleich erregbar k.path.Seitendifferenz k.path.Seitendifferenz VIN n.li Irritation li Untererreg. re ger. Untererreg. re Irritation re Untererreg. li ger. Untererreg. li Irritation re Unerreg. li Irritation li Untererreg. li Untererreg. re Untererreg. li seitengleich erregbar Untererreg. re Untererreg. li

n.re n.re n.li n.li n.li n.li n.li

n.li

n.re n.li

n.li

n.li n.re

n.li

n.re n.re n.li

n.re n.re

n.li n.li n.re

Tab. 2

Aufstellung der Ergebnisse des Spontannystagmus-Tests (SpN) und der thermischen Prfung (Kalorik)

43

3.2 Vestibulr Evozierte Myogene Potentiale3.2.1 Kontrollgruppe Bei allen Probanden der Kontrollgruppe (n=20) lieen sich typische vestibulr evozierte myogene Potentiale (VEMP) auslsen. In keinem Fall war die Seitendifferenz grer als 50%.

3.2.2 Menire-Patienten 22 der 60 Menire-Patienten wiesen seitengleiche Amplituden der VEMP auf, mgliche Seitendifferenzen berstiegen 50% nicht (Abb. 18 und 19). Der grte Teil der Patienten-Gruppe zeigte auf der betroffenen Seite reduzierte Potentiale im Vergleich zur Gegenseite. Davon war bei 14 Fllen die Amplitude verkleinert und in 20 Fllen ein VEMP berhaupt nicht nachweisbar (Abb. 18 und 20). Auffallend sind vier Patienten, bei denen auf der Seite der Erkrankung deutlich grere Potentiale ableitbar waren als auf der gesunden Seite (Abb. 18 und 21).

VEMP der Menire-Patienten (n=60)erniedrigte Potentiale 14

seitengleiche Potentiale 22

vergrerte Potentiale 4

ausgefallene Potentiale 20

Abb. 18

Aufteilung der VEMP-Befunde nach ihrem Amplitudenverhalten

44

V rechts

V links

10 10

10

ms

10

ms

Abb. 19

Originalregistrierung seitengleich ableitbarer VEMP bei einer Patientin mit M. Menire der rechten Seite

V rechts

V links

10 10

10

ms

10

ms

Abb. 20

Originalregistrierung der VEMP bei einem Patienten mit M. Menire der rechten Seite; rechts keine Potentiale ableitbar, links normale Potentiale ableitbar

45

V rechts

V links

10 10

10

ms

10

ms

Abb. 21

Originalregistrierung der VEMP bei einem Patienten mit M. Menire der linken Seite; links vergrerte Potentiale ableitbar, rechts normale Potentiale ableitbar

3.3 Vergleich zwischen thermischer Prfung und VEMP3.3.1 Kontrollgruppe In der Kontrollgruppe lie sich kein Unterschied zwischen den Ergebnissen der thermischen Prfung und der VEMP-Messung feststellen, da alle Probanden eine seitengleiche thermische Erregbarkeit zeigten und seitengleiche VEMP aufwiesen.

3.3.2 Menire-Patienten Im Kollektiv der Patienten bestand in 24 Fllen eine bereinstimmung zwischen der thermischen Erregbarkeit und der Auslsbarkeit der VEMP (Abb. 22). Das heit, da die erkrankte Seite mehrheitlich sowohl erniedrigte Bogengangsfunktion als auch Sacculusfunktion aufwies. In zwei dieser Flle bestand eine normale thermische Erregbarkeit wie auch nor-

46

male Sacculusfunktion beidseits. In einem Fall gab es gleichfalls eine bereinstimmung der Ergebnisse beider Methoden, dabei zeigte sowohl die thermische Prfung wie auch die Ableitung der Sacculuspotentiale eine Irritation der erkrankten Seite an (Tab. 3). In den 36 Fllen der Nichtbereinstimmung der Befunde ergaben sich verschiedene Varianten. In sechs Fllen bestand nmlich eine seitengleiche thermische Erregbarkeit, whrend die VEMP pathologisch verndert waren. Der weitaus grere Teil (n=20) wies normale Sacculuspotentiale auf, dagegen aber einen pathologischen Befund bei der thermischen Reizung. In den zehn verbleibenden Fllen lieferten die Splung und die VEMP widersprchlich erscheinende Ergebnisse. In einigen Fllen deutete die thermische Prfung auf eine Irritation des horizontalen Bogengangs hin, whrend die Sacculusfunktion eingeschrnkt war. Aber auch die entgegengesetzte Befundkonstellation kam vor (Abb. 22, Tab. 3).

Thermische Prfung (TP) und VEMP25 Anzahl 20 der Flle 15 10 5 0 6 24 20

10

TP gls . zu VEMP

TP o.B. VEMP path.

TP path. VEMP o.B.

TP path. ungls. zu VEMP path.

Abb. 22

Sulendiagramm zur Darstellung der Beziehungen zwischen den Ergebnissen der thermischen Prfung und der VEMP-Ableitungen

47

Legende fr Tabellen 3 und 4 sowie Abb. 22 (vorherige Seite) Nr m w M. Menire re li bds. TP ger. hochgr. UF n. komp. teilw. komp. komp. VEMP Patientennummer mnnlich weiblich Morbus Menire rechts links beidseitig Thermische Prfung gering hochgradig Unterfunktion nicht kompensiert teilweise kompensiert kompensiert Vestibulr evozierte myogene Potentiale Sacculuspotential ableitbar Sacculuspotential nicht ableitbar ( ) Sacculuspotential mit mindestens 50 % geringerer Amplitude ableitbar Sacculuspotential ipsilateral vergrert ableitbar o.B. path. gls. ungls. vorw. Tumarkin ohne pathologischen Befund pathologisch Ergebnis gleichsinnig Ergebnis ungleichsinnig vorwiegend Tumarkin-Krise

48TP path. ungls. zu VEMP path.

TP o.B. VEMP path.

Nr Patient

m/w

Geburtsjahr 1952 1940 1936 1921 1963 1938 1967 1973 1947 1957 1941 1934 1952 1934 1940 1936 1932 1940 1928 1921 1952 1947 1958 1966 1938 1920 1944 1983 1950 1968 1937 1972 1949 1978 1946 1943 1961 1964 1935 1950 1930 1975 1959 1955 1944 1944 1945 1973 1950 1965 1957 1959 1936 1955 1945 1959 1971 1962 1961 1934

Alter

Diagnose

Thermische Prfung n.komp. UF re n.komp. UF li hochgr. UF re n.komp. UF li n.komp. UF re n.komp. UF re n.komp. Irritation re ger. Irritation li n.komp. Irritation re komp. UF re n.komp. Irritation re n.komp. UF re n.komp. Irritation re komp. UF re n.komp. UF re n.komp. UF re n.komp. Ausfall re hochgr. UF re komp. UF re teilw.komp. UF re noch Norm n.komp. Irritation li noch Norm n.komp. Irritation li n.komp. UF li n.komp. UF li n.komp. UF li hochgr. Irritation li teilw.komp. UF re n.komp. UF li teilw.komp. UF li noch Norm n.komp. Irritation li n.komp. UF li UF re / Irritation li n.komp. UF li n.komp. UF re n.komp. UF re n.komp. UF re teilw.komp. UF re noch Norm Norm noch Norm Norm Irritation li n.komp. Irritation li teilw.komp. UF re komp. UF re n.komp. Irritation re n.komp. UF li teilw.komp. UF li n.komp. Irritation re n.komp. Ausfall li Irritation li Irritation re / UF li Irritation li UF li / Irritation re noch Norm hochgr. UF re hochgr. UF li

VEMP rechts (+) + + + (+) + + (+) + (+) (+) (+) (+) + + + + + + + + + + + + + + + (+) (+) + + + + + + + (+) + + + + (+) + + (+) + + +

VEMP links + + + + + + + + + + + + + + + + + + + ++ ++ + (+) + + ++ + + + + + + + (+) + + + + + + + + + ++ + + + + + +

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

P. I. M. M. J. J. H. M. T. C. R. E. M. S. L. M. K. I. K. J. K. I. K. A. K. H. H. E. G. E. F. M.-M. B. T. B. L. B. M. A. M. M. K.D. S. W. P. O. M. E. K. H. J. A. H. K. H. C. C. E. B. C. A. W. A. W. L. F. H. J. L. R. S. I. K. B. F. K. B. E. L. M. W. J. S. S. A. V. E. L. S. J. L. K. L. U. R. R. B. H. F. C. E. R. G. V. W. M. W. A. W. K. P. P. K. R. F. L. K. P. E. D.

w w w w w m w m w m w m w w m w w w w w m m m w w w w w m w m m m w w w m m w w m w m m m m w m m m m w w w m w m w m w

48 61 66 80 38 63 35 29 55 44 60 68 48 67 62 65 69 62 72 80 49 54 43 36 63 82 57 18 51 33 65 29 52 23 54 58 39 37 65 51 71 26 43 46 58 58 57 28 52 37 45 43 66 47 57 43 31 40 41 69

M. Menire re M. Menire li M. Menire re M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire bds. M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire bds. M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire bds. M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire bds. M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire bds. M. Menire li M. Menire bds. M. Menire re M. Menire re M. Menire bds.

X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X

Tab. 3

Aufstellung der Ergebnisse der thermischen Prfung und der VEMPAbleitung sowie der bereinstimmung der Ergebnisse beider Untersuchungsmethoden

TP path VEMP o.B.

TP gls. zu VEMP

49

3.4 Vergleich zwischen der Schilderung der Schwindelbeschwerden und den VEMP-BefundenAufgrund der vorliegenden Daten des Patientenkollektivs lie sich die Schwindelqualitt in Patienten mit reinem Drehschwindel, mit reinem Schwankschwindel bzw. Liftgefhl und in Mischformen, bei denen beide Schwindelarten vorlagen, einteilen (Tab. 4). In ber der Hlfte der Flle fanden sich seitengleiche VEMP bei den Patienten, die nur ber Drehschwindel klagten. Dagegen bestand bei allen Patienten mit reinem Schwankschwindel bzw. Liftgefhl bis auf zwei ein pathologischer Befund der VEMP. Bei drei Patienten dieser Gruppe, die hervorgehoben werden mssen, weil sie ausschlielich ein Liftgefhl angegeben hatten, zeigte die Ableitung der VEMP in jedem Fall eine gestrte bzw. ausgefallene Sacculusfunktion an. Die Patienten der dritten Gruppe, die sowohl ber Drehschwindel als auch Schwankschwindel berichteten, wiesen bis auf einen pathologische VEMP-Befunde auf (Abb. 23 und Tab. 4).

50

Schwindelsymptomatik und VEMP-Befund40 Anzahl der Flle 1ipsilateral vergrerte Reihe3

30

17

VEMP erniedrigte oder ausgefallene Reihe2 VEMP seitengleiche VEMP Reihe1

20 2 10 19 12 2 0Drehschwindel Schwankschwindel oder Liftgefhl

1 5 1Mischformen

Schwindelqualitt

Abb. 23

Sulendiagramm zur Korrelation der Art der Schwindelbeschwerden mit den Ergebnissen der VEMP-Ableitungen

51

Nr Patient 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 P. I. M. M. J. J. H. M. T. C. R. E. M. S. L. M. K. I. K. J. K. I. K. A. K. H. H. E. G. E. F. M.-M. B. T. B. L. B. M. A. M. M. K.D. S. W. P. O. M. E. K. H. J. A. H. K. H. C. C. E. B. C. A. W. A. W. L. F. H. J. L. R. S. I. K. B. F. K. B. E. L. M. W. J. S. S. A. V. E. L. S. J. L. K. L. U. R. R. B. H. F. C. E. R. G. V. W. M. W. A. W. K. P. P. K. R. F. L. K. P. E. D.

m/w Geburtsjahr Alter Diagnose w w w w w m w m w m w m w w m w w w w w m m m w w w w w m w m m m w w w m m w w m w m m m m w m m m m w w w m w m w m w 1952 1940 1936 1921 1963 1938 1967 1973 1947 1957 1941 1934 1952 1934 1940 1936 1932 1940 1928 1921 1952 1947 1958 1966 1938 1920 1944 1983 1950 1968 1937 1972 1949 1978 1946 1943 1961 1964 1935 1950 1930 1975 1959 1955 1944 1944 1945 1973 1950 1965 1957 1959 1936 1955 1945 1959 1971 1962 1961 1934 48 61 66 80 38 63 35 29 55 44 60 68 48 67 62 65 69 62 72 80 49 54 43 36 63 82 57 18 51 33 65 29 52 23 54 58 39 37 65 51 71 26 43 46 58 58 57 28 52 37 45 43 66 47 57 43 31 40 41 69 M. Menire re M. Menire li M. Menire re M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire bds. M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire bds. M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire bds. M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire re M. Menire bds. M. Menire li M. Menire re M. Menire re M. Menire li M. Menire bds. M. Menire li M. Menire bds. M. Menire re M. Menire re M. Menire bds.

Thermische Prfung n.komp. UF re n.komp. UF li hochgr. UF re n.komp. UF li n.komp. UF re n.komp. UF re n.komp. Irritation re ger. Irritation li n.komp. Irritation re komp. UF re n.komp. Irritation re n.komp. UF re n.komp. Irritation re komp. UF re n.komp. UF re n.komp. UF re n.komp. Ausfall re hochgr. UF re komp. UF re teilw.komp. UF re noch Norm n.komp. Irritation li noch Norm n.komp. Irritation li n.komp. UF li n.komp. UF li n.komp. UF li hochgr. Irritation li teilw.komp. UF re n.komp. UF li teilw.komp. UF li noch Norm n.komp. Irritation li n.komp. UF li UF re / Irritation li n.komp. UF li n.komp. UF re n.komp. UF re n.komp. UF re teilw.komp. UF re noch Norm Norm noch Norm Norm Irritation li n.komp. Irritation li teilw.komp. UF re komp. UF re n.komp. Irritation re n.komp. UF li teilw.komp. UF li n.komp. Irritation re n.komp. Ausfall li Irritation li Irritation re / UF li Irritation li UF li / Irritation re noch Norm hochgr. UF re hochgr. UF li

VEMP rechts (+) + + + (+) + + (+) + (+) (+) (+) (+) + + + + + + + + + + + + + + + (+) (+) + + + + + + + (+) + + + + (+) + + (+) + + +

VEMP links + + + + + + + + + + + + + + + + + + + ++ ++ + (+) + + ++ + + + + + + + (+) + + + + + + + + + ++ + + + + + +

Schwindelsymptomatik Drehschwindel Drehschwindel Schwankschwindel Schwankschwindel Drehschwindel Schwankschwindel Drehschwindel Drehschwindel Schwankschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Schwankschwindel Drehschwindel vorw. Schwankschwindel Drehschwindel Schwankschwindel Drehschwindel Drehschwindel Liftgefhl + Tumarkin Drehschwindel Liftgefhl Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Dreh- und Schwankschwindel Schwankschwindel Liftgefhl Dreh- und Schwankschwindel Dreh- und Schwankschwindel Schwankschwindel Drehschwindel vorw. Schwankschwindel Drehschwindel Dreh- und Schwankschwindel Drehschwindel Dreh- und Schwankschwindel Drehschwindel Drehschwindel Schwankschwindel Dreh- und Schwankschwindel Schwankschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Dreh- und Schwankschwindel Schwankschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel Drehschwindel

Tab. 4

Aufstellung der Ergebnisse der thermischen Prfung und der VEMP-Ableitung im Vergleich zur Schwindelqualitt

52

Abb. 24

Zuordnung der Untersuchungsbefunde zur Schwindelqualitt gem Tab. 4 (TP: thermische Prfung, o.B.: ohne pathologischen Befund)

Der Gesamtberblick in Abb. 24 zeigt zustzlich zu den VEMP-Befunden, wie sie jeder Patientengruppe mit charakteristischer Schwindelqualitt zugeordnet werden konnten, auch die jeweiligen Ergebnisse der thermischen Prfung.

53

4 Diskussion

4.1 Beteiligung des Sacculus bei der Menireschen ErkrankungDie Meniresche Krankheit ist gekennzeichnet durch das rezidivierende Auftreten eines endolymphatischen Hydrops. Man mu davon ausgehen, da der Endolymphhydrops nicht alle Teile des Innenohres in gleichem Ma betrifft. So findet man bei den audiologischen Untersuchungen sehr hufig Tieftonverluste bei vollstndig erhaltenem Hochtongehr. Aus dieser Beobachtung kann man schlieen, da der Hydrops an der Schneckenspitze lokalisiert ist, die Schneckenbasis dagegen nicht beteiligt ist. hnliche berlegungen mssen auch fr den Vestibularapparat gelten. Histopathologische Untersuchungen ber die Lokalisation und die Hufigkeit der Hydropsbildung belegen, da nicht immer alle vestibulren Strukturen in gleicher Weise befallen sind, in einer von Okuno und Sando vorgelegten Reihenfolge der Sacculus sogar am hufigsten (Okuno und Sando, 1987). Schon die Anamneseerhebung deutet auf eine unterschiedliche Beteiligung von Bogengangsorgan und Otolithenapparat an der Menireschen Erkrankung hin. Whrend manche Patienten ber Drehschwindelanflle klagen, stehen bei anderen Patienten Beschwerden wie Schwankschwindel oder ein Liftgefhl im Vordergrund. Da die VEMP eine seitengetrennte spezifische Beurteilung der Sacculusfunktion gestatten, ist es damit mglich zu prfen, inwieweit der Sacculus in das Krankheitsgeschehen der Menireschen Erkrankung miteinbezogen ist. In mehr als der Hlfte der hier untersuchten Patienten lie sich eine Sacculusbeteiligung nachweisen, bei 22 der 60 Patienten des Kollektivs nicht.

54

Diese Befunde zeigen, da der Sacculus nicht zwangslufig in den Krankheitsproze der Menireschen Krankheit eingebunden ist. Dieser Feststellung entsprechen auch die Schlufolgerungen aus der Anamnese. Denn die Mehrzahl derjenigen, bei denen reine Drehschwindelanflle bestanden, wies auch seitengleiche Sacculusantworten auf. Unsere Ergebnisse haben belegt, da der Sacculus nicht immer von der Menireschen Krankheit betroffen ist, subjektive Angaben wie Liftgefhl oder Schwankschwindel aber andeuten, da in diesen Fllen auch der Sacculus am Krankheitsgeschehen teilnimmt. Die Tumarkin-Krisen, anfallsweise auftretende Drop attacks , galten

schon immer als eine Sonderform der Menireschen Erkrankung. Die eigenen Daten weisen nun daraufhin, da der Sacculus viel hufiger als bisher angenommen, und nicht nur in den seltenen Fllen einer TumarkinKrise, in die Meniresche Krankheit mit einbezogen ist. Die jetzt festgestellte Hufung konnte frher aus methodischen Grnden nicht festgestellt werden, erklrt aber die nicht seltene Klage von Schwankschwindel auch bei der Menireschen Krankheit.

4.2 Pathophysiologische berlegungen zur Erklrung der VEMP-Befunde bei Menire-PatientenAuffallend bei den Ableitungen der VEMP bei Menire-Patienten ist, da alle denkbaren Befundkonstellationen vorkommen: Seitengleiche Potentiale, Potentialverluste auf der kranken Seite und Potentialberhhungen auf der erkrankten Seite. Die Ableitung seitengleicher VEMP deutet darauf hin, da der Krankheitsproze der Menireschen Krankheit den Sacculus zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht erfat hat. Dieser Befund ist nicht ungewhnlich, da bekannt ist, da im beschwerdefreien Intervall, und vor allem auch im Frhstadium der Krankheit, eine vollstndige Erholung des Vestibularorgans wie auch des Hrorgans erfolgen kann. Eine andere Erklrung be-

55

steht darin, da der Krankheitsproze andere Teile des Innenohres befallen hat, und den Sacculus dabei (noch) ausspart. Bei mehr als der Hlfte der untersuchten Patienten konnte durch Ableitung entsprechend vernderter VEMP eine Sacculuslsion nachgewiesen werden. Quantitativ gleiche Daten sind 1999 von de Waele et al. vorgelegt worden (de Waele et al., 1999). Dies deutet darauf hin, da auch der Sacculus durch das Krankheitsgeschehen geschdigt ist. In den meisten Fllen handelte es sich um bereits lnger bestehende Krankheitsverlufe, bei denen durch die wiederholten Anflle Sinnesepithel irreversibel zerstrt worden ist. Schwieriger erscheint die Deutung der Flle, immerhin vier von 60, bei denen die VEMP auf der betroffenen Seite gegenber der gesunden Seite erhht waren. Dieser Befund lt sich aber durch bekannte Tatsachen ber die Pathophysiologie der Menireschen Krankheit erklren. Es gilt als allgemein akzeptiert, da ein Endolymphhydrops das pathologischanatomische Substrat der Menireschen Erkrankung darstellt (Hamann und Arnold, 1998). Nimmt man nun an, da die Hydropsbildung auch den Sacculus erreicht hat, so kann die Erweiterung der Endolymphrume dazu fhren, da der Sacculus rumlich nher an die Stapesfuplatte rckt (vgl. Abb. 25). Das bedeutet, da Schallenergie dann einen krzeren Weg bis zum Sacculus, dem Rezeptor des Muskelreflexes, zurckzulegen hat. Damit ist der Energieverlust geringer, der Sacculus wird also strker erregt, und lst dann eine krftigere Muskelantwort aus.

56

Abb. 25

Rumliche Beziehung von Sacculus zur Stapesfuplatte: der gepunktete Kreisbogen soll die Lage der Sacculusmembran bei einem Endolymphhydrops veranschaulichen die Schallbertragung von der Stapesfuplatte zur Sacculusmembran wird krzer und damit besser

Unsere Beobachtung, da auf der erkrankten Seite berhhte VEMP vorliegen knnen, wird von anderen Autoren besttigt (Young et al., 2002). Auch diese Autoren stellen gleiche berlegungen zur Deutung dieses Phnomens an. Weniger wahrscheinlich erscheint uns die Mglichkeit, da, bedingt durch die Meniresche Krankheit, ein hherer Erregungszustand am Rezeptor vorliegt, der strkere Reflexantworten auslst. Unter Bercksichtigung der bekannten pathophysiologischen Mechanismen der Menireschen Krankheit lassen sich alle denkbaren VEMPBefundkonstellationen erklren. Dabei kann das Vorliegen ipsilateral berhhter Potentiale sogar als Endolymphhydrops-Nachweis gewertet werden.

E. H .

St ap es

57

4.3 Schwindelqualitt und VEMPDer periphere Vestibularapparat gliedert sich in fnf Teilorgane mit jeweils speziellen Funktionen. So dient beispielsweise der horizontale Bogengang der Erfassung horizontaler Winkelbeschleunigungen. Dementsprechend ist der horizontale Bogengang mit dem Muskelpaar der ueren Augenmuskeln verbunden, das den Bulbus in der Horizontalen bewegt. Im Fall einer Lsion ist daher ein horizontal gerichteter Drehschwindel zu erwarten sowie ein horizontal schlagender Nystagmus. Stellt man fr den Sacculus, der hauptschlich fr die Erfassung vertikal gerichteter Linearbewegungen des Kopfes zustndig ist, hnliche berlegungen an, so sind wegen seiner Lage und seiner neuroanatomischen Verbindungen vertikal gerichtete Scheinbewegungen, also vor allem ein Liftschwindel, zu erwarten. Die eigenen Daten belegen die Richtigkeit dieser berlegungen. Gerade bei den Patienten, die ausschlielich ber Schwankschwindel oder ein Liftgefhl klagten, fand sich in fast allen Fllen auch eine Sacculuslsion. Auch bei den Mischformen, die sowohl ber Drehschwindel als auch ber Schwankschwindel klagten, lie sich in den meisten Fllen durch Ableitung der VEMP eine Sacculusbeteiligung nachweisen. Die schon immer als Sonderform des Morbus Menire betrachteten Tumarkin-Krisen finden durch unsere Befunde ebenfalls eine Erklrung. Die bisher angenommene und wegen der charakteristischen Symptomatik auch zu erwartende Ursache ist eine Hydrops-bedingte Funktionsstrung des Otolithenapparates. Diese lt sich nun durch Ableitung der VEMP im Einzelfall auch nachweisen (vgl. Abschnitt 4.1).

58

4.4 Klinische Wertigkeit der VEMP in der neurootologischen DiagnostikDie Methode der VEMP setzt sich mehr und mehr in der klinischen Diagnostik von Schwindelbeschwerden durch. Unbestritten ist, da mit Ableitung der VEMP eine seitengetrennte spezifische Beurteilung der Sacculusfunktion mglich ist. Daraus haben sich eine Reihe von Einsatzmglichkeiten dieser Methode in der neurootologischen Diagnostik ergeben. So knnen frher nicht erkennbare Sacculusschden als Erklrung fr Schwindelbeschwerden diagnostiziert werden, selbst wenn ansonsten normale vestibulre Befunde vorliegen. In der Frhdiagnostik von Vestibularisschwannomen gewinnt die Ableitung der VEMP dadurch an Bedeutung, da kleine vom inferioren Ast des Vestibularnerven ausgehende Tumore erkannt werden knnen, die mit der blichen Vestibularisdiagnostik bersehen worden wren (Hamann et al., 2002). Schlielich sollten bei jeder neurootologischen Begutachtung die VEMP abgeleitet werden, um mglichst przise das Ausma einer vestibulren Schdigung zu erfassen. Die eigenen Daten haben eine weitere Indikation fr den Einsatz der VEMP erffnet, nmlich die Beurteilung, inwieweit der Sacculus in das Krankheitsgeschehen der Menireschen Erkrankung einbezogen ist. In einigen Fllen gelingt es, sogar Befunde zu erheben, die als Hydropsquivalent betrachtet werden knnen. Einschrnkungen fr die Anwendung der VEMP ergeben sich durch Schalleitungsschwerhrigkeiten, die eine Erniedrigung des an den Sacculus gelangenden Schalldrucks nach sich ziehen, der damit nicht mehr fr eine Potentialgenerierung ausreicht. Darber hinaus haben wir bei Patienten im hheren Lebensalter den Eindruck gewonnen, da beidseitig die Auslsbarkeit der VEMP reduziert ist. Die Kosten fr den apparativen Aufwand sind nicht gering, auch ist der zeitliche Aufwand fr eine Messung bei 20 bis 30 Minuten zu veranschla-

59

gen. Dennoch werden diese Nachteile aufgewogen durch den Vorteil, da mit Ableitung der VEMP eine Information gewonnen werden kann, die mit keiner anderen Methode zu erreichen ist. Neurootologische Zentren sollten daher ber diese Methode verfgen und sie einsetzen.

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5 ZusammenfassungIn der vorliegenden Arbeit wurde bei 20 Probanden und bei 60 Patienten, die an der Menireschen Krankheit litten, der aktuelle Funktionszustand des Bogengangsorgans und des Sacculus getrennt voneinander bestimmt. Um einen objektiven und zugleich differenzierten Zugang zu Strungen der beiden Einzelorgane zu erhalten, wurden zwei verschiedene experimentelle Methoden der Vestibularisdiagnostik angewandt: zum einen die thermische Prfung, die nur die Funktion des horizontalen Bogengangs widerspiegelt, und zum anderen die neuere Methode der vestibulr evozierten myogenen Potentiale (VEMP), mit der eine selektive und seitengetrennte Beurteilung der Sacculusfunktion mglich ist. Voraussetzung fr die Aufnahme in das Patientenkollektiv war die Diagnose eines (nach den Kriterien der AAO-HNS) sicheren Morbus Menire . Fr ein besseres pathophysiologisches Verstndnis der Menireschen Krankheit und nicht zuletzt fr eine gezieltere Aufklrung der Patienten wurde bei allen 60 Patienten des Kollektivs mit Hilfe der VEMP untersucht, inwieweit der Sacculus am Krankheitsgeschehen teilnimmt. Die Hufigkeit und die Qualitt von vernderten Sacculuspotentialen wurden im Hinblick auf mgliche pathologische Vernderungen am Rezeptor ausgewertet. Um die unterschiedliche Beteiligung von Otolithenapparat und Bogengangsorgan am Krankheitsproze zu veranschaulichen, wurden die VEMP-Befunde mit den Befunden des Bogengangstests verglichen. Desweiteren stellte sich die Frage, ob schon die aus der Anamnese gewonnene Angabe zur Art des Schwindels einen Hinweis auf den Fokus des Krankheitsgeschehens innerhalb des Vestibularapparates geben kann. Sowohl bei den Probanden als auch bei den Patienten wurde nach Prfung auf einen mglicherweise vorhandenen Spontannystagmus die thermische Reizung der horizontalen Bogengnge selektiv mit 44C warmen

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Wasser durchgefhrt. Die entsprechenden okulomotorischen Reaktionen wurden mit Hilfe der Videooculographie aufgezeichnet. Die Sacculusfunktion lie sich durch Ableiten der VEMP, hervorgerufen durch Klickreize hohen Schalldrucks, seitengetrennt prfen. Alle gesunden Probanden zeigten in beiden Untersuchungen erwartungsgem normale Ergebnisse, das heit eine seitengleiche thermische Erregbarkeit und seitengleich ableitbare VEMP. In der Gruppe der Menire-Patienten ergab die thermische Prfung bis auf wenige Ausnahmen (n=8) auf der erkrankten Seite stets eine pathologische Reaktion, die entweder auf eine Unterfunktion oder in manchen Fllen auch auf eine Irritation des horizontalen Bogengangs hindeutete. Bei der Auswertung der VEMP kamen drei Antwortmuster vor: seitengleiche Potentiale (n=22), auf der betroffenen Seite reduzierte oder ausgefallene Potentiale (n=34) und ipsilateral vergrerte Potentiale (n=4). Die Ergebnisse weisen darauf hin, da der Sacculus nicht immer von der Menireschen Krankheit betroffen ist, es aber in den meisten Fllen neben einer gestrten Bogengangsfunktion auch zu einer Lsion des Sacculus mit einem Verlust von Sinneszellen kommt. Die in Einzelfllen nachweisbaren vergrerten VEMP lassen die Annahme zu, da ein im Sacculus lokalisierter Endolymphhydrops den Weg der Schallbertragung vom ovalen Fenster verkrzt, der Sacculus mehr Schalldruckenergie erhlt, und damit die von ihm ausgelste Reflexantwort grer ausfllt. Der Vergleich der Ergebnisse von thermischer Prfung und Sacculustest zeigt in mehr als der Hlfte der Flle (n=36) eine Nichtbereinstimmung der Befunde. Das bedeutet, da beide Teilorgane zum Zeitpunkt der Untersuchung in unterschiedlicher Weise in den Krankheitsproze involviert waren. Der Endolymphhydrops erstreckte sich dann nicht gleichmssig auf den gesamten Vestibularapparat. Beim Vergleich der geschilderten Schwindelqualitt mit den VEMPBefunden fiel auf, da gerade bei den Patienten, die ber Schwankschwindel oder ein Liftgefhl klagten, in fast allen Fllen auch eine Saccu-

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luslsion zu beobachten war. Umgekehrt wies die Mehrzahl derjenigen, bei denen reine Drehschwindelanflle bestanden, seitengleiche Sacculusantworten auf. Diese Beobachtungen unterstreichen die Bedeutung einer detaillierten Anamneseerhebung bei der Menireschen Erkrankung, da von der Art der Scheinbewegungen bereits auf eine unterschiedliche Beteiligung von Bogengangsorgan und Sacculus geschlossen werden kann.

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