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Effi Briest, eine Deutsche Emma Bovary

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1 .. EINLEITUNG

EnEn particulier en province lesles chaines du manage son lourdes.

SimoneSimone de Beauvoir, 'Le'Le deuxième sexe'.

Einn unerfahrene s junge s Madchen heirate t einen Mann, der bereit s eine gefestigt ee Stellun g in der Gesellschaf t einnimmt . Trot z unterschiedliche r Interesse nn versuche n die beiden Eheleute , ihr Zusammenlebe n in einer für diee Frau tangweilige n Kleinstad t erfolgreic h zu gestalten . Die Frau erfahr t jedoc hh zu weni g verstandnisvoll e Zartlichkei t seiten s ihre s Mannes , und auch diee Gebur t eines Madchen s kann dieses Gefüh l nich t verdrangen . Ein andere r Mann,, der das unbefriedigt e Verlange n der Frau spurt , versuch t dies e Situatio nn selbstsüchti g auszunutzen , was schlieBlic h zum Untergan g der jun -genn Frau führt .

Diesess Thema ist in zwei bekannte n Romanen des 19. Jahrhundert s dargestell tt worden . lm französische n Sprachbereic h von Gustav e Flauber t mi tt Madame Bovary (1856), im deutschen , etwa vierzi g Jahr e spater , von Theodo rr Fontan e mi t Effi Briest (1895). Die zahlreiche n Analyse n und Inter -pretatione nn zu jedem diese r Romane fülle n ganze Regale in literaturwissen -schaftliche nn Bibliotheken .

Seitt 1921 haben mehrer e Literaturwissenschaftle r versucht , Überein -künft ee und Unterschied e zwische n den beiden Romanen herauszuarbeiten : Hannaa Geffcke n (1921), Mariann e Bonwi t (1948), J.P.M. Stern (1954), Loui s Tellerr (1957) und Lilia n R. Furs t (1961). Danach schie n sich die verglei -chend ee Forschun g zeitweili g erschöpf t zu haben , so daö Richar d Brinkman n 19677 sagen konnte : "Von der Verwandtschaf t zwische n Effi Briest und Ma-damedame Bovary war frühe r die Rede" . (Hervorhebun g HMV) [5.80] Die Kom -paratiste nn haben ihr e Arbei t jedoc h Ende der siebzige r Jahr e wiede r aufge -nommen :: Thoma s Degerin g (1978), Hors t Alber t Glaser (1980), Yvonn e B. Rollin ss (1981), Maigorsat a Pólrol a (1988), Gathman n und Schwarzman n (1993)) und Christian e Seiler (1994).

Inn dreierle i Hinsich t unterscheide t sich mein e Annaherun g von der an-dererr Komparatisten . Ersten s konzentrier t sich mein e Untersuchun g auf die Beschreibun gg des Verhalten s der weibliche n Hauptfigure n beide r Roman e in ihre mm unterschiedliche n Entwicklungsgang , und für dies e Beschreibun g be-dien ee ich mich einer text - und strukturanalytische n Betrachtungsweise . Sie mach tt deutlich , daB sich beid e Romane in Schreibart . Realismu s und Struk -

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tu rr gründlic h unterscheiden . Zweiten s habe ich mich mit reliaiöse n und iuri -stische nn Aspekte n beschaftigt , auf welch e ander e vergleichend e Untersu -chunge nn bislan g kaum Oder gar nich t eingegange n sind . SchlieBlic h habe ich mirr die Frage vorgelegt , ob Effi Briest ausschlieBlic h als ein Ehebruchroma n zuu betrachte n sei , wie allgemei n angenommen , aber von mir in Frage gestell t wird . .

Einee genauer e Abgrenzun g meine s Zugriff s gegenübe r dem andere r Vergleich ee wir d sich im Laufe meine r Auseinandersetzunge n ergeben . Auch wennn ich zu andere n SchluBfolgerunge n gekomme n bin , ist mir die Kenntnis -nahm ee der frühere n Arbeite n und Ansichte n von groBe m Nutzen gewesen . Imm Hinblic k auf die Zielsetzun g meine r Untersuchun g und im Rahmen der gewahlte nn Annaherun g werd e ich solch e Darstellunge n denn auch dankba r erwahnen .. Nur ein einzige s Mal hat ein Wissenschaftie r Tolstoi s Roman Anna KareninaKarenina in sein e Arbei t einbezogen . Der Versuc h erschein t insowei t ver -standlich ,, als auch die Gatti n des Herrn Kareni n in einer Gesellschaf t lebte , diee noch lediglic h von Manner n geführ t wurd e und in der dem Eigenlebe n der Frauu und deren Selbstbehauptun g Grenzen gezoge n waren . Andererseit s sollt ee man sich vergegenwartigen , daB die Problemati k von Frau Kareni n ein wesentlic hh andere s Thema entwickel t als die von Emma Bovar y und Effi Briest ,, wie bereit s im erste n Absat z diese r Einleitun g angedeute t wurde . Annaa Karenin a lebt e nich t in einer langweilige n Kleinstadt , sonder n in Sankt Petersburg ,, wo sie zur vornehme n Gesellschaf t gehorte . Die Gatti n des Herrn Kareni nn tra f jedoc h in der Vronsky-Figu r ihr e groB e Liebe . Vronsk y versucht e auchh nicht , ihr e Lebenslag e selbstsüchti g auszunutzen , sonder n war bereit , seinn weitere s Leben nur noch mi t der Frau des Herrn Kareni n zu teilen . Ein Vergleic hh zwische n Emma Bovar y und Effi Bries t einerseit s und Anna Karenin aa andererseit s wir d in diese r Studi e deswege n unterbleiben .

Vonn den genannte n Komparatiste n hat Hanna Geffcke n in ihre r kriti -schenn Pionierarbei t 'Eff i Bries t und Madame Bovary ' (1921) die auf der Hand liegend ee Vorfrag e berührt , ob Fontan e den Roman Madame Bovary gekann t habe,, als er Effi Briest schrieb . Sie weis t auf das gemeinsame , von den Ehe-manner nn geduldet e Reiten mi t dem Liebhabe r hin , auf die Gesprach e mi t ihre nn Hunden , wenn die beide n gelangweilte n Frauen sich einsa m fühlen , die zurr Gewohnhei t gewordene n Zartlichkeite n der Ehemanner , die in bestimm -tenn Zeitspanne n stattfinden , usw . Übrigen s betrachte t sie es als auffallend , daBB Fontan e weder in seine n Briefe n noch in seine n Essays und Kritike n MadameMadame Bovary erwahnt , ein Umstand , der 1954 noch einma l von J.P.M. Sternn unterstriche n wird . [5.366]

Nunn laBt Fontan e in dem vor Effi Briest im Jahr e 1891 veröffentlichte n Romann Quitt Emigrante n in Amerik a Musikabend e mi t Leseabende n abwech -seln .. Die Lektür e von Madame Bovary und "alle s Französisch e überhaupt " wir dd aber niedergestimmt , denn "nu r Englische s und Deutsche s sollt e Gel-

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tun gg ha ben" . [Quitt, 25. Kapitel]

Fontan ee nenn t Madame Bovary jedoc h bereit s vor der Veröffentlichun g vonn Quitt. lm Oktobe r 1870 wurd e er bei einer Reise durc h Nordfrankreic h alss vermeintliche r Spion verhafte t und spate r auf der Atlantikinse l Oléro n gefange nn gehalten . Weil Fontan e auf diese r Inse l gut e Lektür e fehlte , stellt e ihmm der gutwillig e französisch e Kommandan t ein Albu m mi t Aussprüche n geistreiche rr Autore n zur Verfügun g - Aussprüche n wie dem folgenden : "L'a -mou rr est comm e l'opéra . On s' y ennuie , mais on y retourne , Gustav e Flau-bert" .. In seine m 1871 erschienene n Buch Kriegsgefangen wir d von Fontan e -entwede rr als Zita t oder als eigene r Kommenta r - hinzugefügt : "(Verfasse r vonn Madame Bovary und Salammbö)". [S.115]

Dass Vorangegangen e beweist , daB Fontan e beim Zustandekomme n von EffiEffi Briest wenigsten s den Tite l des französische n Romans gekann t haben muB.. AuBerde m war Madame Bovary, das 1892 ins Deutsch e übersetz t wur -de,, scho n 25 Jahre vor der Veröffentlichun g von Effi Briest in Deutschlan d bekannt .. 1870 schrie b der Journalis t Emil Homberger , dem offenba r die vermeintlich ee Unsittlichkei t von Madame Bovary zu schaffe n machte :

Obb in Deutschlan d woh l je ein Roman wir d geschriebe n werde n wie 'Frauu Bovary' ? ... Schwerlich . 'Got t sei Dank! ' wir d manche r hinzuset -zen.. [Plumpe 1985, 5.198}

AuBerde mm hat Fontane , bevo r er Effi Briest schrieb , Eduard Engels Ge-schichteschichte der französischen Literatur rezensiert , in welche r Geschicht e Flau-bertt und seine n Romanfigure n ein wichtige r Platz eingeraum t wird . [Greter, 5.67}5.67} Ziehen wir weite r in Erwagung , daB Fontane , der eigentlic h Henri Theodor ee Fontan e hieB und aus einer Hugenotten-Famili e stammte , die fran -zösisch ee Sprach e ziemlic h gut beherrscht e [Schorneck, 5.172, Craig, 5.225} undd daB sein e Konfirmatio n als Kind in der französisc h reformierte n Kirch e stattgefunde nn natte , dann dürfe n wir davo n ausgehen , daB er wahrscheinlic h auchh den Text von Madame Bovary gekann t hat , als er Effi Briest schrieb .

Übrigen ss steh t fest , daB beide Schriftstelle r für ihr e Romandichtun g aus eigene nn Quelle n geschöpf t haben . Bei Flauber t war das die Geschicht e eines Landarzte ss in der Nahe von Rouen (Eugèn e Delamare) , bzw. die eines Bild -hauers ,, der zu Flaubert s Bekanntenkrei s gehort e (James Pradier) . Fontan e gehtt nach eigene r Aussag e stofflic h auf eine in Deutschlan d aufsehenerre -gend ee Ehebruchaffar e der achtzige r Jahre des 19. Jahrhundert s zurück . Die-see führt e damal s zu einem Duell , in dem der Offizie r von Ardenn e den Galan seine rr Frau, den Amtsrichte r Hartwich , tötete . [Schafarschik, S.83 ff.} Fon-tanee lieB sich also von einer ganz andere n Geschicht e inspiriere n ais Flau-bert . .

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lmm 9. Kapite l des zweite n Teils von Madame Bovary wir d Emmas erste r Ehebruc hh beschrieben :

'Oh!! Rodolphe! ' ...fi t lentemen t la jeun e femm e en se penchan t sur son épaule . . Lee drap de sa robe s'accrochai t au velour s de l'habit . Elle renvers a son couu blanc , qui se gonflai t d'un soupir ; et, défaillante , tou t en pleurs , avecc un long frémissemen t et se cachan t la figure , elle s'abandonna . [S.472] [S.472]

Einee vergleichbar e Szene fehl t in Effi Briest. Die Verführungsszene , mi t derr Flauber t brilliert , finde t im preuBisch-protestantische n Roman nich t statt . [Glaser,[Glaser, S.374] Es gib t woh l mehrer e Indizre n in Effi Briest, die in die Rich -tun gg eines Ehebruch s weisen . Denken wir nur an Effi s Abschiedsbrief , bevo r siee Kessi n verlaBt , in Kombinatio n mi t der spate r von Innstette n in Berli n entdeckte nn Crampas-Korrespondenz . Und - was besonder s einem mi t der ProzeBpraxi ss vertrauten , juristisc h gebildete n Leser auffalle n könnt e - an den damal ss auf Ehebruc h gegründete n EhescheidungsprozeB , in dem Effi die ge-genn sie erhoben e Anklag e ihre s Mannes nich t zubestreite n versuch t hat .

"Di ee Füll e der Verweisunge n in Effi Briest laBt jede wiederholt e Lektür e diesess Romans zu einer neuen , ander s orientierte n Sinngebun g von Effi s Lebenn werden" , schreib t Hans Ester . [Ester 1975, S.99] Nach wiederholte r Lektür ee kam in mir allmahlic h die Frage auf : Hat Effi sich tatsachlic h woh l so wiee Emma zu einer ehebrecherische n Frau entwickelt ? Es ist die allgemein e Auffassung .. Auch Fontan e selbs t ist , mi t der Arden ne-Aff a re vor Augen , der Meinun gg gewesen , einen Ehebruchroma n geschriebe n zu haben . Das war sein ee Absicht . Ob dies e Absich t auch verwirklich t wurde ? Die Intentione n einess Autor s sollte n von den Aspekte n seines Werkes , wie sie beim Lesen in Erscheinun gg treten , unterschiede n werden . [Greter, S.48] Es handel t sich nich tt darum , was Fontan e hat schreibe n wollen , sonder n um das, was er ge-schriebe nn hat und wie es gelese n werde n kann .

Überr einen Punk t könne n sich alle Leser eini g sein : Madame Bovary undd Effi Briest sind weder Biographie n noch historisch e Romane . Emma und Effii sind fiktiv e Figuren . Fiktiv e Romanfigure n werde n im Text nich t einfac h beschrieben ,, sie werde n dor t überhaup t erst gestaltet . AuBerhal b des Textes kenne nn Emma und Effi keinerle i Existenz . Der Tite l von Budjuhn s Buch über dass Leben der Elisabet h von Ardenne : 'Fontan e nannt e sje Effi Briest ' (Her-vorhebun gg HMV) ist denn auch nich t richtig . Ahnliche s gil t für Reuter , wenn err "di e Elisabeth-v. - Arde n ne-(alia s Eff i-Briest)-Aff a re" erwahnt . (Hervorhe -bungg HMV) [S.42] Wer nun die fiktive n Romanfigure n Emma und Effi mitein -anderr vergleiche n will , ist auf den Text - und nur auf den Text - beide r Ro-manee angewiesen . Beide Roman e kenne n allerding s nich t nur eine unter -schiedlich ee Schreibart , sonder n auch eine unterschiedlich e Struktur . Die

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erste nn fün f Kapite l von Madame Bovary beziehe n sich auf die Umwel t des künftige nn Ehemannes , die erste n fün f von Effi Briest auf die der künftige n Ehefrau .. Für einen sinnvolle n Vergleic h von Emma und Effi schein t mir scho n deswege nn eine text - und strukturanalytisch e Annaherun g an die beide n Frauengestalte nn angebracht .

Obb dies e Romane beide als Ehebruchroman e qualifizier t werde n können ,, sei vorlaufi g auBer Betrach t gelassen , Eheroman e sind sie ohn e Zweifel .. In diese n Eheromane n wir d zuers t auf die Kindhei t beide r Frauen eingegangen .. Der Leser erfahrt , welch e Problemati k der plótzlich e Übergan g vonn Kindhei t zu eheliche r Situatio n für Emma Rouaul t und Effi Bries t mi t sich bringt ,, und wie beide Frauen sich bemühen , dies e Problemati k in einer für sie nich tt vertraute n Kleinstadtgesellschaf t zu meistern . Insofer n könne n die beidenn Eheroman e gleichzeiti g als Entwicklungsroman e betrachte t werden . Einn Vergleic h der weibliche n Hauptfigure n Emma und Effi sollt e meine s Erachten ss deswege n zuers t deren unterschiedliche n Entwicklungsgang e berücksichtigen . .

Emmaa Rouaul t lebt als Kind auf dem Bauernho f ihre r Eltern . Als Dreizehnjahrig ee geht sie in eine Klosterschul e in Rouen . Als ein paar Jahr e spate rr ihr e Mutte r stirbt , verlaB t sie das katholisch e Madcheninterna t und kehr tt auf den vaterliche n Bauernho f zurück . Dort lern t sie einig e Zeit spate r Charle ss Bovar y kennen , als er den Beinbruc h ihre s Vaters behandelt . Vor ihre rr Heirat hat sie also zwei verschieden e Weiten kennengelernt : das bauer -lich ee Leben auf dem Land und das von Religionsunterrich t gepragt e Leben in einemm Klosterinternat . Unterschiedlich e Atmospharen , die beide ihr e weiter e Entwicklun gg beeinflussen . Nach der Hochzei t lebt sie zuers t in Tostes , der Ortschaft ,, in der ihr Mann die Praxis eines Landarzte s ausübt . Weil Emma in Toste ss allmahlic h verkümmert , zeigt ihr Mann sich bereit , in eine ander e Kleinstad tt umzuziehen . Und dort , in Yonville-L'Abbaye , lern t sie ihre n erste n Liebhaber ,, Rodolph e Boulanger , kennen , der sie zu verführe n weiB .

Charle ss übt zwar die Praxis eines Landarzte s aus, ist aber kein Arzt . Ihmm fehl t die höher e Prüfung . [Tanner, S.249] Das Medizinstudiu m hat ihn nich tt weitergebrach t als bis zum 'officie r de santé' , einem niedrigere n Rang imm französische n Gesundheitswesen , der erst 1894 abgeschaff t wurde . Der Leserr muB diesen niedrigeren , ins Deutsch e unübersetzbare n Rang berück -sichtigen .. Erstens , weil Charle s deswege n nich t qualifizier t war, die im Ro-mann beschrieben e kompliziert e KlumpfuBoperation , zu welche r seine Frau ihn antrieb ,, selbstandi g auszuführen . Zweitens , wei l die Anred e 'Docteur' , deren derr Apotheke r Homais sich Charles gegenübe r bedient , eine ebenfall s un -übersetzbar ee Schmeichelhaftigkei t einschlieBt . Weiter e gesellschaftlich e Auf -stiegsmöglichkeite nn gib t es für Charles nicht . Und in der damalrge n Gesell -schaf tt daru m auch nich t für seine Frau. "Ell e ne peut vivr e que par procuration" ,, schreib t Didie r mi t Recht . [5,20] Charles erweis t sich als be-

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schrankte rr Geist und öder Ehemann , wenngleic h fleiBig , naiv und gutmütig .

Fürr Effi sieh t die sozial e Zukunf t scho n vor der Heira t ganz ander s aus. Dass markisch e Landfraulei n kenn t nur eine . nSmlic h die ihr vertraut e Umwel t dess Rittergut s ihre s Vaters . Dort wachs t sie in mitte n gutbürgerlicher , nicht -adlige rr Freundinne n auf, zwische n denen sie auf diese m Gut eine führend e Roll ee spiele n kann , ohne daB das natürlich e und frei e Leben ihre r Jugendzei t scho nn von den fü r die Ehefra u eines Landrat s geitende n gesellschaftliche n Konventione nn eingeeng t wird . [Möhrmann, S.50] Ander s als fü r Emma bilde t diee Heira t mi t von Innstette n für Effi noch keine n soziale n Aufstieg . Inn -stette nn und Effi gehöre n beid e zum preuBische n Landadel . Innstette n ist jedoc hh ein amtliche r Karrieremacher . Das Amt eines 'Landrat s in Kessin ' bilde tt fü r ihn lediglic h eine Zwischenstation . Effi brauch t nach der Hochzei t auchh nur kurz e Zeit in diese r Kleinstad t zu leben , bevo r Innstette n von Bismarc kk 'in s Ministerium ' nach Berli n berufe n wird . Diesen Aufstie g natt e Effi ss Mutte r ihre r Tochte r scho n vor der Heirat prophezeit : ".. . so stehs t du mi tt zwanzi g Jahre n da, wo ander e mit vierzi g stehen . Du wirs t dein e Mama wei tt überholen. " Effi lebt darau f sei t etwa siebe n Jahren als Frau des Ministerialrat ss von Innstette n in Berlin , als dieser unversehen s erfahrt , daB siee seinerzei t in Kessi n eine intim e Beziehun g zu dem dortige n Landwehr -bezirkskommandeu rr Major von Crampa s gehab t haben muB .

Zweii Roman e also über unterschiedlich e Frauen , die in verschiedene n soziale nn Umgebunge n auch sehr verschieden e Manner geheirate t haben . Nachde mm die Manner einma l über die intime n auBereheliche n Beziehunge n ihre rr Gattinne n erfahre n haben , reagiere n sie ebenfall s sehr verschieden : Charle ss trink t mi t Rodolph e ein Glas Bier , Innstette n forder t Crampa s zu einemm Pistolenduell . Auch ihr e Lage ist nich t dieselbe . lm Gegensat z zu Innstette nn erfahr t Charle s erst nach dem Tod seine r Frau über ihr e Affar e mi tt einem andere n Mann. Ihr selbs t gegenübe r kann Charle s nicht s mehr unternehmen ,, und er frag t sich , weshal b diese r Liebhabe r Erfol g natte , er selbs tt hingege n deutlic h nicht . Eine derartig e Reaktio n komm t öfte r vor . Ich verweis ee auf den 1951 erschienene n englische n Roman von Graham Greene 777ee end of the affair, in dem in einer selbe n Situatio n eine ahnlich e Reaktio n dess überlebende n Ehemanne s dargestell t wird .

Charle ss Bovar y und Geert von Innstette n ist übrigen s gemeinsam , daB ihne nn eine doppelt e Moral fehlt . Keine 'Frauengeschichten ' wahren d ihre r Ehe.. Natürlich , in den erste n Jahre n der Ehe - und von diese r Period e handel nn beid e Roman e - wir d das Bedürfni s zum Fremdgehe n fü r die Manner auchh nich t sehr groB gewese n sein . Charles ' gestorben e erst e Frau war zwanzi gg Jahr e alte r gewese n und natt e haBlic h ausgesehen . Er natt e sich in Emmaa verlieb t und wahren d seine r Ehe mit ihr ander t sich diese s Gefüh l nicht .. Und was Innstette n anbelangt , der als junge r Kadet t von Effi s Mutte r einenn Korb bekomme n natte , er hat jetz t mit Erfol g urn die Hand ihre r erst

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siebzehnjahrige nn Tochte r angehalten . AuBerde m werde n beid e Manner star k vonn ihre r berufliche n Arbei t in Anspruc h genomme n und überlasse n ihr e junge nn Frauen zu sehr ihre m eigene n Schicksal . Die paar Jahr e in Toste s hal t Emmaa das noch aus. Erst in Yonville-L'Abbay e führ t die kleinstadtisch e Langeweil ee sie allmahlic h zum erste n Ehebruch , bevo r sie Schrit t fü r Schrit t moralisc hh und finanziel l herunterkommt .

Fürr Effi dagege n bildet e ihr e kurz e Beziehun g zu Major Crampas - die scho nn gut ein Jahr nach ihre r EheschlieBun g stattfan d - einen aus eigene r Kraf tt überwundene n Zwischenfall . "Es ware besser gewesen , ich natt e dies Stüc kk Erde nie gesehen" , schreib t sie in ihre m Abschiedsbrie f an Crampas , bevorr sie nach Berli n umsiedelt , dami t Kessi n für imme r verlaB t und den zu-dringliche nn Landwehrbezirkskommandeu r nie mehr wiedersieht . [S.333] Inn -stette nn hat jetz t Berli n erreich t und eine sinnvolle , glücklich e Ehezeit hatt e sichh anbahne n können .

Beii einem Vergleic h der beiden weibliche n Hauptgestalte n in ihre r Ent-wicklun gg muB berücksichtig t werden , daB sich eine Vorstellun g von diese r Entwicklun gg und ein Urtei l darübe r ers t allmahlich , namlic h im Vollzu g des Lesens ,, herausbilden . Im Gegensat z zur Objektwahrnehmun g ist es beim Le-senn nich t möglich , den Gegenstand , einen ganzen Romantext , in einem ein -zigenn Augenblic k aufzunehmen . [Iser, S.177] Ein Bildwer k - als Statue , Ge-mald ee oder Zeichnun g - hat der Betrachte r sofor t als Ganzes vor sich , die Lektür ee eines Romans erforder t Zeit . Erst nach Kenntnisnahm e der letzte n Zeilenn vollende t sich der Gesamteindruc k stofflich , stiiistisc h und strukturell . Werr den einma l gelesene n Roman zum zweite n Mal liest , wir d sich darübe r klar .. Er kenn t jetz t den Text und ist imstande , Anspielunge n und Verknüp -funge nn nich t nur rückwirkend , sonder n auch vorgreifen d zu deuten . Das kannn zu einer erneuten , veranderte n Bewertun g von Handlun g und Figure n führen . .

Werr sich nach der (wiederholten ) Lektür e von Madame Bovary und Effi BriestBriest weite r in das Wesen der weibliche n Hauptfigure n beide r Romane vertiefe nn möchte , kann versuchen , die Entstehun g der Romane und ihre r Hauptfigure nn zu untersuchen . Er könnt e dann erfahren , welch e realen Perso -nenn den Autore n - in gewisse m Sinn e - Model l gestande n haben und welch e Anderunge nn vorgenomme n worde n sind , entwede r zur Vermeidun g des Ver-dachts ,, einen Schlüsselroma n geschriebe n zu haben - von Ardenn e war Offi -zier ,, der Liebhabe r Hartwic h Zivilist , in Effi Briest ist der Ehemann Zivilis t undd Crampas Offizie r -, oder lediglich , um die Originalita t des Werkes zu betonen .. Von Ardenn e und sein e Frau gehöre n derselbe n Generatio n an, Effi dagegenn heirate t den zwanzi g Jahre alteren , ehemalige n Verehre r ihre r Mutter . .

Einn Leser , der sich für die Entstehun g eines Romans interessiert , wir d

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Kenntni ss nehme n könne n von unterschiedlichen , einande r folgende n Szena-rien ,, mi t welene n sich der Auto r im Laufe der Zeit auseinandergesetz t hat , wiee er darübe r mi t befreundete n Sachverstandige n korrespon d ierte , usw . Wass Flauber t anbelangt , biete t uns Claudin e Gothot-Mersc h in ihre r Studi e 'Laa genes e de Madame Bovary ' (1971) eine ausführliche , reichlic h doku -mentiert ee Übersicht . Was Fontan e betrifft , kann ahnliche s gesag t werde n von Walte rr Schafarschik s Abhandlun g Theodo r Fontane s Effl Briest . Erlaute -runge nn und Dokumente ' (1972).

Vonn Vorstudie n Kenntni s zu nehmen , kann für jeden Kulturkonsumen -tenn interessan t sein . Wer möcht e sich nich t einma l die Werkstatt e eines schaftende nn Künstler s ansehen ? Flauber t und Fontan e haben etwa fün f Jahr e ann ihre n Romane n geschrieben . All e Mühe, die sie sich zur Herstellun g eines ihne nn abgerunde t erscheinende n Textes gegeben haben , verdien t Respekt . Einn Vergleic h mi t dem allmahliche n Zustandekomme n eines Gemalde s lieg t hierr auf der Hand . So war es für mic h aufschluBreich , als Picasso s berühmte s Gemald ee Guernica vor einige n Jahre n in mehrere n europaische n Haupt -stadte nn mi t allen vom Maler vorhe r angefertigte n Skizzen ausgestell t wurde . Derr Zuschaue r sieh t dann , was dem Gemald e letztlic h gebliebe n 1st und was weggelasse nn Oder verworfe n wurde . Wie der Maler die Haltun g des wiehern -denn Pferde s imme r wiede r anderte , ehe er schlieBlic h mit einem Ergebni s zu-friede nn war . Insofer n dieses Ergebni s den Abschlu B des Schaffensprozesse s bildet ,, ist es fü r den gewöhnliche n Betrachte r die maBgeblich e und end-gültig ee Version , die einzig e auch , die er normalerweis e zu Gesich t bekommt . Diee Schaffensgeschicht e zeigt zwar , wie es zum Ergebni s gekomme n ist , kannn die Interpretatio n des Ergebnisse s auch beeinflussen , erweiter t aber undd überschreite t die Situatio n der gewöhnliche n Rezeption . Diese Unter -scheidun gg ist mi r wichtig , wei l es im Folgende n daru m geht zu prüfen , wie diee beide n Romantexte , wenn sie einfac h für sich , in ihre r abgeschlossenen , ihre rr 'endgültigen ' Form zur Kenntni s genomme n werden , gelese n werde n können . .

Alss Beispiel : Nich t alles , was in den zu erzahlende n Geschichte n vor -fallt ,, wir d im Text erwahnt . Manches bleib t der Phantasi e des Lesers über -lassen ,, und diese r Spielrau m des Lesers gehor t zum Text . Wie Emma allmahlic hh im Wald von Rodolph e verführ t wird , steh t im Text und wir d auf diskrete ,, aber klar e Weise angedeutet : "ell e s'abandonna" . Ob hingege n Effi vonn Crampa s verführ t wurd e und mi t welche m Resultat , bleib t sehr vie l unbestimmter .. Was hier der SchluBfolgerun g des Lesers anheimgestell t wird , sollt ee nich t aus irgendwelche m Materia l der Schaffensgeschicht e erganz t werden ,, also etwa aus dem Fontan e bekannte n Ehebruc h der Elisabet h von Ardenne .. Der Leser brauch t die Ardenne-Affar e überhaup t nich t zu kenne n -jaa besse r noch : er kenn t sie nich t -, um den Text des Romans so zu ver -stenen ,, wie er ist .

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Auchh Lebenslau f und Lebensinhal t der Künstle r werde n uns als interessiert ee Kulturkonsumente n fasziniere n können . Der im Dezember 1819 geboren ee Fontan e war zwei Jahre alter als Flaubert . Effi Briest wurd e 1895, alsoo etwa vlerzi g Jahr e spate r als Madame Bovary, veröffentlicht . 1st das nich tt aufschluBreic h für die ironisierend e Lebensweishei t und Distanz , mi t derr Fontan e als Siebzigjahrige r schreibt ? Und für die satirisch-kritisch e Wiedergab ee einer bürgerliche n Gesellschaft , wie sie im Roman des junge n Flauber tt zu Tage tritt ? Unbedingt . Das heiBt , daB es für die Motivatio n des Schriftsteller ss aufschluBreic h ist . Diese Motivatio n hat ihn schlieBlic h zu einemm Text geführt , der aber als das, was er geworde n ist , fü r sich sprich t undd spreche n muB.

Diee Motivatio n kann auch anderweiti g vom persönliche n Leben des Schriftsteller ss beeinfluB t worde n sein . Jeder groB e Schriftstelle r wir d durc h seinn Talent gehindert , ein Leben nach bürgerliche n MaBstabe n zu führen . Mit Mühee ist es Fontan e gelungen : Er natt e einen Beru f - zuers t Apotheker , danachh Journalis t -, heiratete , gründet e eine Famili e und wagt e erst mi t 57 Jahren ,, sich zu einer f rei beru f liche n Schriftstellertatigkei t zu entschlieBen . [Liesenhoff,[Liesenhoff, S.75] Flauber t dagegen lebt e als Junggesell e bei seine r Mutte r undd war ohne Beruf . Beschrie b er deswege n in Madame Bovary den erfolgreiche nn Eheman n und berufstatige n Apotheke r Homais als lacherlich e Figur ?? Und was Fontan e anbelangt , der selbs t 'nur ' ein Apotheke r bürger -liche rr Herkunf t gewese n war, aber gern e adlig e Persone n beschrieb , sollt e er deswege nn eine Apothekerfigu r (Gieshübler ) als einzige n Mann in Kessi n dargestell tt haben , der für die einsam e Effi ein altruistische s Verstandni s zeigt ? ?

Dass alles sind interessant e Fragen erweiternde r Art , die jedoc h die Fragestellun gg meine r Untersuchun g überschreiten . Es geht um die Texte , wie siee vorliegen , wie sie sich dem Leser prasentiere n und welche n Zugan g sie ihmm eröffnen . Und dabei bilde t nich t nur das Erzahlt e den Zugang , sonder n wirk tt auch das Nichterzahlte , also das, was 'Leerstelle ' oder 'Unbestimmt -heitsstelle '' gebliebe n ist , als Herausforderung . So hat zum Beispie l Vater Rouaul tt mi t Emma gesprochen , bevo r sie einer Heirat mi t Charles Bovar y zu-stimmt .. Wie und was zwische n den beiden besproche n wurde , wir d dem Leserr nich t mitgeteilt . Der erfahr t nur das Ergebnis , wir d sich aber eine Vorstellun gg vom Inhal t des Gesprach s machen können . Ein andere s Beispiel : Effi ss Mutte r hat mi t Innstette n gesprochen , bevo r sie Effi dessen Heirats -antra gg übermittelt . Die gemeinsame n Jugenderfahrunge n beide r werde n bei diese rr Gelegenhei t zur Sprach e gekomme n sein , aber auch hier erfahr t der Leserr - und Effi? - wiederu m nur das Ergebnis , namlic h daB Innstette n um Effi ss Hand anhalt . Wenn der Leser nur das Ergebni s erfahrt , wozu das nich t beschrieben ee Geschehe n führt , muB er sich von diese m Geschehe n aufgrun d dess Ergebnisse s selbs t eine Vorstellun g machen (sofer n er daran im Fortgan g derr Lektür e interessier t bleibt) . Ahnliche s ist der Fall , wenn die chronolo -

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gisch ee Erzahlweise , die beid e Roman e kennzeichnet , zeitlich e Lücke n auf-weist ,, also ganz offensichtlic h kürzer e oder langer e Zeitspanne n und deren Geschehe nn überschlagt . In Madame Bovary wird nach Emmas Sterbe n zuers t ihr ee Beerdigun g beschriebe n und danac h die Reaktio n der Hinterbliebenen . Inn Effi Briest hingege n wir d Effi s Sterbe n erzahlt , auch die Reaktio n der Hinterbliebenen ,, aber eine Beschreibun g der Beerdigun g fehlt .

Spiel tt es für einen Vergleic h von Emma und Effi eine Rolle , daB beide Frauenn kein e historischen , sonder n fiktive , von den Schriftsteller n gestaltete Figure nn sind ? Der eine Auto r wir d die psychologisch e Entwicklun g seine r Hauptfigu rr darlegen , der ander e die soziale n Verhaltnisse , die das Verhalte n derr Figu r mitbestimmen . Der Blickwinke l und die Einbettun g in die Wirklich -kei tt sind nich t imme r dieselben . AuBerde m beschreib t der eine Auto r Einzel -heiten ,, wahren d der ander e mehr die Essenz herausarbeitet . Es ist nich t möglich ,, die Wirklichkei t vollstandi g und objekti v zu schildern . Auch in einem realistische nn Roman wird ausgewahl t und wird das Ausgewahlt e in einer bestimmte nn Sich t vorgetragen . Flauber t beton t Einzelheite n (Beerdigung) , wahren dd Fontan e mehr mi t Ergebnrsse n im Anschlu B an Leerstelle n aufwar -tet .. Wer die beide n Frauenfigure n miteinande r vergleiche n will , stöB t auf dies ee Unterschied e und muB sie sich bewuB t machen . Flauber t gib t an, wie Emmaa sich ihre m Liebhabe r Rodolph e hingibt . Wie wei t sich Effi s intim e Beziehun gg zu Crampa s entwickelt , wir d von Fontan e verschwiegen . Flauber t beton tt mehrmals , wie Emma ihre n Mann hinter s Lich t führt . Fontan e be-schreib tt das nicht , aber natürlich , auch Effi muB Innstette n vorgeloge n haben ,, nachde m sie zusamme n mi t Crampas heimlic h spazierengegange n war .. Der Leser dar f bei einem sorgfaltige n Vergleic h beide r Frauen - wenig -sten ss bei zweite r Lesun g - die ganz unterschiedlich e Herausforderun g zur Vervollstandigun gg des Textes nich t auBer acht lassen .

Nunn bezieh t sich die Zielsetzun g diese r Studi e auf die Frage, ob Effi Bries tt als eine deutsch e Emma Bovar y - eine ehebrecherisc h geworden e Ehe-frauu also - angesehe n werde n kann . Dazu werde n wir uns mi t einer Analys e beide rr Romantext e befassen , insowei t das für die Zielsetzun g erforderlic h ist . Zuers tt in Kapite l 2 mi t einige n zum Verfahre n gehörende n Aspekten , wie Erzahlsituation ,, Fokalisierun g und Struktu r beide r Romane . In Kapite l 3 werde nn wir auf die verschiedene n Entwicklungsgang e beide r Frauen vor und wahren dd ihre r Ehe eingehe n und in Kapite l 4 auf die im Text erwahnte n religöse nn Bedürfniss e der katholische n Emma und der protestantische n Effi , diee bis jetz t von Komparatiste n beide r Romane noch nich t behandel t wurden . Dass gil t auch fü r die in Kapite l 5 genannten , in den beiden Romane n vorkom -mende nn juristische n MaBnahmen , die durc h Emmas bzw. Effi s Verhalte n veranlaB tt wurde n - die Zwangsversteigerun g in Madame Bovary, das Ehe-scheidungsverfahre nn in Effi Briest -, die zwar möglic h und insofer n 'reali -stisch '' sind , jedoc h nich t mi t der üblichen , auBerhal b der beide n Romane existierende nn Praxi s übereinstimmen . Literarische r Realismu s also gegenübe r

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auBerliterarische rr 'Alltagswirklichkeit' . SchlieBlic h werd e ich dann die Frage beantworten ,, die auch der Tite l diese r Studi e beinhaltet . Emma Bovar y war zurr ehebrecherische n Frau geworden . War Effi Bries t das auch , wie allgemei n unterstell tt wird ? [Vgl. Mittenzwei, S.144] Noch im Vorwor t zu der 1996 erschienene nn DTV-Ausgab e von Effi Briest wir d die weiblich e Hauptfigu r des Romanss nur als eine deutsch e Schweste r der ehebrecherische n Emma Bovar yy bezeichnet . Auch Warnin g qualifizier t in seine r 1999 veröffenlichte n Untersuchun gg 'Die Phantasi e der Realisten ' den Roman Effi Briest noch ledig -lichh als eine Ehebruchsgeschicht e des 19. Jahrhunderts . [S.185] Tatsachlic h hatt Effi einig e Monate nach der Gebur t ihre s Kinde s in Kessi n eine kurze , auBerehelich ee Beziehun g zum örtliche n Landwehrbezirkskommandeu r ge-habt .. Vor ihre m Mann hat sie dies e Beziehun g verheimlicht . Ob es aber auch einee ehebrecherisch e Beziehun g war? Wir werde n sehen .