Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte...

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Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1848 Amsteins Skizzenbüchlein Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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Untervazer Burgenverein Untervaz

Texte zur Dorfgeschichte

von Untervaz

1848

Amsteins Skizzenbüchlein

Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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1848 Amsteins Skizzenbüchlein Paul Zinsli in: Rätia - Bündnerische Zeitschrift für Kultur.

V. Jahrgang, Heft Nr. 3 vom Februar 1942. Seite 112-124.

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S. 112:

Johann Georg Amsteins Skizzenbüchlein

von Paul Zinsli, Biel

Das einfache Quartbändchen das zwischen den lederbraun überzogenen

Pappdeckeln 116 starke Blätter fasst, ist jüngst im Antiquariatshandel

aufgetaucht.1 Zwar sind seine Seiten leicht vergilbt, sonst aber ist das

Büchlein so wohl erhalten, dass man ihm die 90 Jahre kaum ansieht, die es

irgendwo wohlverwahrt im Verborgenen verbrachte, seit sein jugendlicher

Besitzer den Bleistift endgültig aus der grünen Lederöse gezogen und seine

lebensfrischen Einträge abgebrochen hat. Bis auf 45 Seiten hat Johann Georg

Amstein (1819-1892),2 der damals als frischpatentierter Arzt in Bünden

wirkte, sein Skizzenbuch mit allerlei Wissenswertem, mit Liebes- und

Wanderversen und Zeichnungen anzufüllen begonnen. Die Titelseite trägt

rechts oben den Namenszug J. G. Am Stein Dr. med., die Jahreszahl 1848 und

darunter die offenbar später von dem Besitzer beigefügte Überschrift "Frei

und allerlei". Was nun diesen Blättern mit Feder und Pinsel so frei und

anspruchslos in der Zeitspanne von kaum mehr als zwei erlebnisreichen

Jahren anvertraut wurde, wirft ein neues Licht auf den liebenswürdigen

Menschen, und es weht auch etwas von der Zeit um die Mitte des vorigen

Jahrhunderts aus diesen Schöpfungen beschaulicher Stunden.

Mit drei durch zarte Bleistift- oder Federzüge im reinen Umriss erhaschten

Berglandschaften (1, 2, 4)3 beginnt das Büchlein. Nur etwa ein rührend bis ins

einzelne Tännchen ausgestricheltes Waldstück oder ein Hüttchen deutet in

diesem Liniengefüge noch gerade hin auf die erschaute Wirklichkeit. Den Ort

genauer zu bestimmen, von dem aus der wandernde Naturfreund solche

Bergeindrücke flüchtig in sein Taschenbuch notierte, muss dem Ortskundigen

überlassen

S. 113: werden, die den Skizzen sorgfältig beigefügten Geländenamen "Blasseggen,

Älpli Flue, Rofflers Älpli" (1), "Egg, Madriser" (2) und "Mittaghorn, Alp

Gotschna, Klosters" (4) können ihm den Weg weisen. Vielleicht auf dem

Rückweg von einem Patienten ist das durch spitzen Hartstift liebevoll

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"porträtierte" Haus mit angebautem Stall entstanden, deren Schindeldächer

noch nach Altväterweise mit Steinen und Latten beschwert sind (3).

Bezeichnend für J. G. Amsteins vielseitiges Interesse, das nicht nur seinem

Beruf, sondern Natur und Bewohnern der Heimat gleichermassen galt, ist

schon der erste schriftliche Eintrag im Skizzenbüchlein:

"Vor wenigen Tagen (Ende Juli 1848) sollen in Malans von Valzeina aus

weisse Heidelbeeren zu Markt getragen worden sein. Näher zu untersuchen!

Vergüete ist hier im Prätigau nicht etwa eins mit verguten. Man braucht hier

den erstern Ausdruck bei Verletzungen, Wunden, Unwohlsein, Krankheit, die

durch eine neuhinzugekommene Verkältung, unzwekmässige Nahrungsmittel

oder Medicamente usw. aufs Neue Verschlimmerung zeigen, und man sagt

alsdann, die Person hat sich vergüetet, die Wunde (der Schaden) ist vergüetet

worden usw. - Das Ver- spielt hier die Rolle des e-privativum, indem es von

etwas gutendem (im Besserwerden vorwärts schreitendem) einen Theil

wegnimmt, eine retrograde Bewegung anzeigt.

Im Prätigau, auch hier in Jenaz, existiert immer noch unter der Menge der

Glaube, dass es Leute gebe, die sie zum Glük nicht unter den Ärzten sucht,

sondern unter Schindern und Quaksalbern findet, welche durch Zauberformeln

und Geheimmittel vermöchten, das Vergüeten zu nehmen, zu entkräften, so

dass das Übel wieder einer fortschreitenden Besserung noch nicht theilhaftig,

sondern erst befähigt wird. Eine Frau von der Buoche, die wie es scheint,

ziemlich oft, aber keineswegs immer heilsam in die Heilkunst einzugreifen

scheint, soll obiges Kunststük aus dem Fundamente verstehen. Herbst 1848."

Wissenschaftliche Besinnung verbindet sich in der für Amstein bezeichnenden

Weise mit der Freude an bildkünstlerischer Wiedergabe auf einer

Bleistiftskizze des folgenden Blattes: D ist wieder so zart und vereinzelnd -

eine waldige Bergschlucht dargestellt, aber der Felsblock im Vordergrund

trägt, den Betrachter zugleich belehrend, die wie gestochen klare Aufschrift

"Hintergrund vom Furna-Tobel, J. G. Amstein Dr. 1848", und im Himmel

über der

S. 114: Horizontlinie deutet ein Kreuzschema auch noch die geographische Lage

durch die vier Windrichtungen genauer an.

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Aus dem beschaulichen Träumen in der stillen Bergeinsamkeit ruft nun aber

der Ernst der Zeit unsern musischen Landarzt in die harte Wirklichkeit des

Weltgeschehens. Der Sturm des Sonderbundkrieges war freilich bereits

verebbt und die neue Eidgenossenschaft im gesicherten Werden. Aber an den

Grenzen im Süden und im Norden begann es wieder einmal zu gären. Ende

März war in der Lombardei die Revolution gegen Österreich losgebrochen,

und ein Grossteil des Schweizervolkes jubelte den neuen Freiheitskämpfern

begeistert zu. Freilich, die Begierde, selbst in die Auseinandersetzung

einzugreifen, flaute rasch ab, als am 25. Juli Karl Albrecht von Sardinien, der

an die Spitze des Aufstandes getreten war, bei Custozza besiegt war und am 6.

August der alte Radetzky wieder in Mailand einzog. Nun galt es vor allem die

Grenzen gegen die andringenden Flüchtlinge zu schützen, von denen ja auch

einige Tausend dann entwaffnet - und am andern Ende des Bündnerlandes

wieder samt den Waffen nach Italien abgeschoben wurden! Den nach unsern

modernen Begriffen recht "gemütlichen" Ablauf dieser Grenzbesetzung hat F.

Pieth anschaulich geschildert.4 Das ist doch wirklich noch "gute alte Zeit",

wenn angesichts der drängenden Durchmarschgefahr "einige Mann" in den

Grenztälern aufgeboten werden und wenn der als Regierungskommissär nach

Poschiavo entsandte "Herr Truppenkommandant" den Auftrag erhält, er solle

"ein gewaltsames Eindringen zwar soweit als möglich abwehren, dann aber

der Übermacht, wenn eine solche eindringt, weichen und sich darauf

beschränken, soweit es in seinen Kräften steht, darauf hinzu wirken, dass der

Durchmarsch in Ordnung und auf möglichst unschädliche Weise erfolge".

Oder wenn der mit dem eidgenössischen Kommando betraute Oberstbrigadier

Gerwer aus Bern - übrigens ein bewährter Truppenführer sich bei seiner

Ankunft in Chur zuerst bei der Regierung über die nach dem

Vorarlbergischen, dem Engadin, dem Münstertal, Puschlav, Bergell und nach

den benachbarten österreichischen Gebieten führenden Pässen erkundigen

muss und dabei verspricht, sich, "wenn die Witterung es gestatte", da und

dorthin zur Inspektion zu begeben, - aber schliesslich dann noch über die

Grenze hinausgeht, dabei allenthalben von österreichischen

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S. 115:

Münstertal

S. 116: Bürgern und Militärs zuvorkommend aufgenommen wird und sogar die

Festung Finstermünz ruhig besichtigen darf!

Wie ernst jedoch trotz allem diese Zeitereignisse von den damaligen

Eidgenossen aufgenommen wurden, beweist schon die Aufschrift über dem

nächsten Eintrag in Amsteins Skizzenbuch "Der Feldzug in August 1848."

Dass J. G. Amstein, der bündnerische "Bataillonsarzt", offenbar erst im

August mit dem zweiten Schub einrückte - am 6. Juni war durch die

Tagsatzung alles vorzeitig auf Pikett entlassen worden -‚ mag darin begründet

liegen, dass die Anwesenheit des Arztes bei dem bevorstehenden

Flüchtlingsübertritt besonders wünschbar erschien.

Was nun unser Skizzenbüchlein über diesen "Feldzug im August 1848" verrät,

das passt ganz in jene gemütlicheren Kriegszustände. Auf dem Marsch an die

Grenze im Münstertal vertraut Amstein dem auch hier mitgeführten Bändchen

die ersten Verse an:

Abschied d. 4. VIII 48.

Leb' wohl Häuschen und Gärtchen und Du, liebe Schwester, vor allem;

Steh' ich auch fürder im Feld, kehrt doch zu Dir oft mein Sinn.

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Reise

Wohlgemuth wandr' ich Davos zu und erklimm dann den Flüelen,

Immer hinab drauf zum Inn, Allen mein freundlicher Gruss!

Herrlich so preiss ich Tarasp mit der Burg und den Dörfern in Umkreis

Preiss auch den salzigen Quell: Heil seiner heilenden Kraft

Heiter und kräftig nun gehts hinein in das Scarl Thal.

Im Dienst an der Grenze fand der Sanitätsoffizier auch wieder willkommene

Musse zum Malen und Dichten. Da zeichnet er den Ausblick aus dem

Münstertal ins Österreichische und weiss nun sein Bildchen noch mit

durchsichtigen, duftigen Aquarelltönen zu beleben (6). Auch hier fehlt nicht

die genaue Bestimmung der Gegend durch die Ortsnamen Münster und

Taufers am Bildrand. Das folgende Blatt (7) trägt aber eine sorgfältig

gezeichnete Kartenskizze des dortigen Grenzbereichs, in der alle militärisch

wichtigen Punkte festgelegt sind. Schlagen wir die Seite um, dann erblicken

wir in einem neuen farbigen Bildchen den Ort, an dem Amstein offenbar die

besonders kritischen Tage jener Zeit verbrachte. Wieder in feinen Lasurtönen

über zarten Bleistiftlinien hat der Zeichner im Felde hier einen kleinen

Alpboden festgehalten (8). Durch den nebligen Dunst sieht man im

Hintergrund das angeschwemmte Geschiebe und eine halbzerfallene Hütte,

neben der ein Mann Holzblöcke spaltet, während zwei

S. 117:

"Presüra Alp, Wachtposten 1848"

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S. 118: andere ein Kessi herbeischaffen. Ganz im Vordergrund zwischen den

Felsblöcken in der Nähe der wärmenden Feuer sitzen zwei Offiziere im

Gespräch einander gegenüber, ein grün gekleideter

Scharfschützenkommandant mit Säbel und Horn und ein Feldarzt in blauer

Uniform. Dass dieser Sanitäter, der besinnlich in ein Notizbüchlein schreibt, J.

G. Amstein selbst sein muss, das zeigt schon ein Vergleich mit Bild 16, wo

sich der Zeichner noch einmal mit denselben Zügen porträtiert hat. Die

Felsplatte in der Bildecke rechts klärt uns noch vollends auf durch die

Inschrift: "Presüra Alp, Wachtpost 1818." Die Alp Presüra spielte in jenen

Grenzbesetzungstagen eine wichtige Rolle, und sie wurde militärisch belegt,

weil man einen gewaltsamen Durchbruch der Österreicher durch diesen

äussersten Grenzpunkt zur Besetzung der benachbarten lombardischen

Kaserne befürchten musste.5 Später wurde das Detachement noch verstärkt,

und wenn auch schliesslich der Kampf jenseits der Grenze am Stelvio verlief,

so hat doch eine Gruppe der Prasürabesatzung aus bloss fünf Bündnern einmal

24 Kaiserjäger auf Schweizerboden gefangen genommen auf diesem also

nicht ganz ruhmlosen Feldzug entstand in unserm Büchlein auch die örtlich

noch nicht bestimmte Bleistiftskizze (9), die ein Dörfchen mit Engadiner

Bauformen vor einem rüfedurchfurchten Berghang zeigt. Ein paar Distichen

verraten sodann, dass Amstein zu dieser Zeit sich wirklich im Engadin und

auch im Puschlav aufgehalten hat, dass er aber trotz der landschaftlichen

Schönheit im Inntal "grossartige Langweil" empfindet, - und in Brusio

schmeckt ihm das "Pfeifchen des dampfenden Krautes" wohl, aber "fern nach

dem Süd träumt's dem Sohn des Gebirgs". Zum Fernweh gesellt sich noch

drängender das Heimweh: Alles ist ihm hier fremd, nur in der Casa Trippi

beim gastlichen Wirt fühlt er sich heimelig geborgen. Vielleicht dass die auf

der nächsten Buchseite (10) hingezeichneten Umrisse dies gepriesene Haus

darstellen wollten.

Rasch war der Feldzug beendet, und schon Ende August hatte man den

Waffenrock wieder eingepfeffert. In Amsteins Taschenbüchlein beginnt gleich

ein neues Ereignis den Pegasus des eben Heimgekehrten anzufeuern und den

Stift zu beschwingen, freilich nun ein idyllischeres und ein ganz persönliches

Anliegen! Mit dem Gedichtchen "Verloren L !" kündet es sich nun in den

weichern Klängen des Endreims! wehmütig und noch geheimnisvoll.

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S. 119: Deutlicher redet schon der seltsame "Wachtraum vom Neujahr 1849", wo

Amstein in der Silvesternacht auf elf eng beschriebenen Seiten seines

Bändchens Rückschau über Vergangenes und Ausschau auf Zukünftiges hält.

Doch geschieht auch das noch verschleiert in dichterischen Bildern, deren

willkürliche und farbige Phantasie oft an Jean Paul erinnert. Es muss eben

doch "etwas los sein", wenn die Verwandten und Bekannten dem über

"duftende Alpentriften" und aus dunkler "Waldnacht" hergewanderten jungen

Arzt überall ein Schätzchen ausfindig machen wollen. Auch sonst ist nicht

alles freie Phantasie an dieser Traumschilderung: "Ein andermal, wir waren

eben auf der Rückkehr aus einem Feldzug begriffen, der für uns alle sehr

gefährlich hätte ausfallen können, wenn, - und tanzten nun aus Dankbarkeit

mit des Vaterlands Schönen nach muntern Weisen, da klopfte ein

Kriegsgenosse mir auf die Schultern und flüsterte mir zu: Jezt, junger Krieger,

wenn wir auch leer aus dem Felde zurück gekehrt, heute gilt's für. Dich eine

Eroberung. Sieh dort jenes liebenswürdige Blauröckchen, nicht umsonst trägt

sie deine Farbe, das mache dir heute zur Kriegsbeute…." Aber diese

Erinnerung an die rauhe Vergangenheit geht mit dein Blauröckchen vorüber,

und ein Freund weist den Träumer schliesslich auf den rechten Weg, über den

eben ein paar "bewusste Damen" gegangen sind. Dann aber fährt er im Traum

wieder einsam auf einem sturmbewegten See, bis er plötzlich sich in der

Alltagswirklichkeit auf dem Heimweg von der Praxis befindet. "Wie man

doch selbst mit gehen so merkwürdig träumen kann und das gerade am

Neujahr, so dachte ich, und über die sternbesäten Schneefelder der Heimat

zuschlendernd, fesselte mich bald eine Stimme, die aus dem matterleuchteten

Stübchen einer Wohnung drang. Lauschend vernahm ich noch folgende

Verse: Drum da wo man sich herzlich liebt,

Es in der Lieb kein Wechsel gibt.

So eil denn Wandrer durch die Nacht,

Dein Liebchen stets noch harrt und wacht.

Dort oben, wo ihr stilles Licht

So hell durch klare Fenster bricht,

Gedenkt schon lang sie dein fürwahr,

Gedenket deiner immerdar.

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Dass dies schon fertig sein muss, murmelte ich vor mich hin und summte das

vernommene Liedchen erst leise und dann immer lauter, und wie es denn mit

solchen Versen manchmal geht, sang ich zuletzt:

S. 120: Gedenk ich deiner immerdar,

Jezt mehr als noch im alten Jahr!

Wem gilt denn das? rief mir jetzt plötzlich meine Schwester schalkhaft aus

dem Fenster unseres Stübchens zu, wart ich will dir! - Ja! wart nur du auch!

antwortete ich, setzte mich hin und schrieb die ganze Geschichte."

Durch die nächsten Einträge klärt uns freilich unser Bächlein noch nicht

darüber auf, wem denn eigentlich Dichten und Sinnen des jungen Arztes

gelten. Das neue Jahr hat ihn zunächst in ein neues Wirkungsfeld nach Davos

geführt. Eine liebevoll ausgeführte Bleistiftzeichnung von Frauenkirch (11)6

und die ebenso getreue Darstellung eines alten Hauses auf Wolfgang (12)7

bezeugen, dass auch die Gegend am Landwasser ihn anzuregen vermochte.

Noch immer spielt ein gegenständliches Interesse in seine künstlerischen

Versuche hinein, so wenn er hier zu der Zeichnung gleich die "Aufschrift auf

dem Schild des Wirthshauses über der Hausthüre" beifügt:

"Gerechtigkeit bringt Freiheit, und Freiheit bringt Liebe.

Bring dir's Vetter."

Sogar bei einfachen Gelegenheiten wie "Bei Übersendung einiger Davoser

Fische als grüssende Boten an Eltern und Geschwister" greift Amstein zum

klingenden Vers:

Stumm zwar im Leben sowohl als im Tode erscheinen die Zeugen,

Reich jedoch stets an Gefühl, umfluthet ist ihnen so wohl,

Lassen sie fühlen die Grüsse, die herzlichen, die wir Euch senden,

Und was die Sprache nicht kann, sage ihr guter Geschmak! 4. XI. 49.

Auf den folgenden Seiten aber löst sich das Geheimnis um die geliebte Frau,

deren Dasein das Skizzenbüchlein längst verraten hat, in unverhüllten

Liebesversen und deutlich genug sprechenden Bildchen. Am 9. April 1850

wagt der Davoser Arzt endlich, das werbende Brieflein abzusenden, und

notiert seine "Erklärung" durch drei Strophen ins Skizzenbuch:

So wie die grüne Knospe springt

Und blau die Blüth' empor sich schwingt,

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Erklärt die Lieb' im Herzensdrang

Ich heut für ∆έδα froh und bang.

S. 121:

Sprecherhaus in Luzein

S. 122: Nur in griechischen Lettern wagt er erst noch den Namen seiner Erwählten zu

schreiben. Ob Deta ihn erhören wird? Die folgenden Verse lassen uns die

Spannung miterleben, mit welcher der Liebende in Davos auf die nächste Post

und beglückende Antwort wartet. Aber nicht jeden Tag kommt der Bote, und

die Geduld des Harrenden wird auf eine harte Probe gesetzt. Am "1. Posttag

nach obiger Erklärung", das ist erst nach sechs Tagen am 15. April 1850, klagt

er "nachts" seine Enttäuschung:

So dunkel wie der Tannen Grün

Ist meine Hoffnung wieder,

Und des blauen Himmels Glühn

Drükt mir die Augen nieder.

Aber der "2. Posttag 18. IV. 1850" bringt die Erfüllung! Mit entzückender

Selbstbeobachtung hat der Glückliche das Erlebnis vor der Post und in der

Stille daheim seinem Taschenbüchlein anvertraut:

I.

Wieder nichts? Kein Brief für mich

Nein - Ja doch, der Lezte hier, der ist für Sie.

Und die Züge? - Ja, sie ist's!

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Heil der Botschaft! Doch der- Inhalt?

Wie Gedanken fliegen und der Puls sich hebt,

Und die Leute alle wenden ihren Blik

Nach dein Briefchen bald und bald nach mir.

Aus der Lauscher Mitte fort ich eil,

In der stillen Kammer erst

Springt dem Siegel, nur von mir belauscht.

II.

Wie wenn Wolken Wolken jagen

Und die Schwalbe doch verweilt,

Also jagen Blike Zeilen,

Doch mein Herz (Sinn) das überholt sie.

"Hier mein Ja dir !" Welch ein Zauber

Festgebannet hält das Jawort

Blik und Sinn in sich gefangen.

Die Geliebte seh im Geist ich,

Seh, wie ihre Lippen beben,

Hör' das Ja von ihrem Mund dann,

Fühl' die Seligkeit der Liebe,

Die der Traum geschäftig fortspielt,

Bis der gold'ne Morgen lauschend

Wieder mich am Brief sieht.

Obwohl die beiden bloss flüchtig begonnenen Zeichnungen von Felsblöcken

(13, 14) darauf schliessen, lassen, dass es jetzt den Glücklichen allein in der

freien Natur nicht mehr recht festgehalten hat?

S. 123: Auffällig ist denn doch, mit wieviel Geduld und Liebe er wieder das stattliche

Haus mit dem vorspringenden Giebelwerk und den Bäumen zur Seite ausmalt

(15). Das Gebäude lässt sich leicht bestimmen: Es ist das schmucke

Sprecherhaus in Luzein in der Ostansicht. Auf einem lose eingelegten Blatt

hat Amstein denselben Bau aber auch noch von der gegenüberliegenden

Hofseite in knappen Umrissen skizziert. Nicht nur die einzigartige Anmut

dieses Familiensitzes hat den kunstbeflissenen Davoser Arzt angezogen: In

diesem schönen Haus hatte er seine Braut gefunden!

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Es war wohl schon vor Jahren zwei

Da ging (durchs) im Volk die Sage,

Dass ich mit Glut um Deta frei.

Ich dacht kaum: Ob ichs wage...

stellt er nun unter der Überschrift "Vox populi, vox dei" fest und schreibt den

geheimnisvollen Mädchennamen jetzt schon in der allgemein lesbaren

Alltagsschrift.

Nicht mit dem vollen Namen zwar, aber in einem reizenden Porträt hat er die

Geliebte, die längst zwischen den Zeilen und in den zarten Linien und Farben

sich im Taschenbüchlein verschwiegen gekündet hat, nun in freudiger

Offenheit festgehalten. Da zeichnet er den schönen gewölbten Portalvorbau

des Sprecherhauses, und unter das schützende Dach setzt er sich selbst im

dunklen Frack gelassen auf die Mauerbrüstung, aus der geöffneten Tür ihm

entgegen aber tritt das Töchterchen des Hauses, - ein idyllisches Bildchen

glückseligen Geborgenseins (16)!8

Ein paar Monate danach, am 9. September 1850, hat J. G. Amstein Fräulein

Anna Margaretha von Sprecher-Bernegg heimgeführt.

Aus dem neuen Glück und den Sorgen des eigenen Hausstandes durfte freilich

das Taschenbüchlein keinen Gewinn mehr ziehen. Die poetischen Einträge

hören auf, nur der zeichnende Stift hält noch hie und da einen Eindruck fest,

eine kleine Berglandschaft (17), einen stürzenden Bergbach (18), in zarten

Bleistiftlinien das Dörfchen Luzein mit dem Kirchturm von Pany auf der

Anhöhe darüber (19), das Haus "Pajola" und das "Gross Haus" in Kubus (20).

Aber sogar die Lust zum Zeichnen und wohl auch die Musse dazu versiegt.

Vor den vielen leeren, weissen Blättern der dickern zweiten Hälfte des

Skizzenbüchleins findet sich noch ein letzter Versuch: In den gewohnten

zarten Linien erkennt man da eine kleine

S. 124: Gartenlaube, und unter der Wölbung der Pergola steht eine leere Bank. Wie

gern sähe man das hier Angefangene vollendet, und in dem idyllischen

Gehege möchte man nun auch noch die junge Arztfamilie geborgen wissen.

Mit diesem unerfüllten Wunsch müssen wir J. G. Amsteins halb gefülltes

Skizzenbüchlein aus der Hand legen. Freilich vermag weder Zeichnen noch

Dichten des jungen Arztes höhern Ansprüchen an künstlerische Gestaltung zu

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genügen. Aber aus seinen Aufzeichnungen weht uns eben doch in seltener

Unmittelbarkeit etwas vom Geist jener noch biedermeierlich-idyllischen Zeit

an, und es ersteht vor uns die lebendige Gestalt eines vielseitig gebildeten

Bündners von damals, eines Menschen, dem in seinen Möglichkeiten nach

Jakob Burckhardts Wort "universal sein" nicht vieles wissen, sondern vieles

lieben bedeutete.

Das Manuskript wurde im Oktober 1941 abgeschlossen.

Anmerkungen: 1 Herr Dr. E. Haffter in Bern, der die Amsteiniana der Kantonsbibliothek geordnet

hat, machte mich im Sommer 1941 auf das Manuskript aufmerksam. Es war im

eben erschienenen Katalog des Zürcher Antiquariats K. A. Ziegler, Liste 4, Alte und

neue Helvetica S. 43 mit knapper Inhaltsangabe ausgeschrieben. Der Ansicht Dr.

Haffters, es gehöre dies Bändchen zu den übrigen Amsteinschriften in die

Kantonsbibliothek, schloss ich mich an und empfahl es dieser Institution zur

Anschaffung. Es wurde darauf durch die Bündner Kantonsbibliothek erworben und

unter Signatur B7 eingereiht Ich bin dem Bibliothekar, Herrn Dr. Caduff dankbar,

dass er mir das Manuskript sogleich und als erstem zur Bearbeitung in der Form

eines bebilderten Aufsatzes überliess. 2 Vgl. auch "Rätia" IV S. 109 ff und S. 286.

3 Die Bilder in Amsteins Skizzenbuch sind mit leichten Bleistiftziffern von 1-21

numeriert, sonst tragen die Seiten keine Paginierung. 4 F. Pieth, Die Grenzbesetzung in Graubünden im Frühling und Sommer 1848. Chur,

Sprecher, Eggerling & Co. 1917/18. 5 Pieth a. a. O. S. 21, 26/27, 29.

6 Anmerkung der Redaktion: In seinem Aufsatz "Gedichte und Zeichnungen Dr. J. G.

Amsteins" hat Jules Ferdmann im letzten Dezemberheft der Davoser Revue (17.

Jahrg. Nr. 3) diese Zeichnungen (Seite 55 und 57) und zwei weitere publiziert. 7 Anmerkung der Redaktion: In seinem Aufsatz "Gedichte und Zeichnungen Dr. J. G.

Amsteins" hat Jules Ferdmann im letzten Dezemberheft der Davoser Revue (17.

Jahrg. Nr. 3) diese Zeichnungen (Seite 55 und 57) und zwei weitere publiziert. 8 Anmerkung der Redaktion Vgl. Ferdmann a. a. O. S. 58.

Internet-Bearbeitung: K. J. Version 08/2015

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