ÜBER PSYCHOANALYSE von SIGMUND FREUD

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    BER PSYCHOANALYSEvon

    SIGMUND FREUD

    INHALTSVERZEICHNIS

    Titelseiteund Widmung.I. Vorlesung. 1

    ber die Entstehung und Entwicklung der Psychoanalyse. 2

    Die Hysterie. 4

    Der Fall Dr. Breuers. 5

    Die Talking cure. 7

    Die Entstehung der Symptome aus psychischen Traumen. 8

    Symptome als Erinnerungssymbole. 10

    Fixierung an die Traumen. 11

    Das Abreagieren der Affekte. 12

    Die hysterische Konversion. 13

    Die psychische Spaltung. 14

    Hypnoide Zustnde. 15

    II. Vorlesung. 16

    Charcots und Janets Forschungen. 17

    nderung der Technik. 18

    Verzicht auf die Hypnose. 19

    Verdrngung und Widerstand. 20

    Beispiel einer Verdrngung. 21

    Dynamische Auffassung der seelischen Spaltung. 22

    Symptombildung infolge miglckter Verdrngung. 24

    Ziel der Psychoanalyse. 26

    III. Vorlesung. 27

    Die Technik des Erratens aus freien Einfllen des Kranken. 28

    Die indirekte Darstellung. 30

    Die psychoanalytische Grundregel. 31

    Das Assoziationsexperiment.

    32

    Die Traumdeutung. 33

    Manifester Trauminhalt und latente Traumgedanken. 34

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    Die Wunscherfllung im Traume. 36

    Die Traumarbeit. 37

    Die Fehl-, Symptom- und Zufallshandlungen. 38

    Einwendungen gegen die Psychoanalyse. 40

    IV. Vorlesung.

    42

    Die Sexualitt in der tiologie. 43

    Die infantile Sexualitt. 44

    Ein amerikanischer Beobachter ber die Liebe im Kindesalter. 45

    Psychoanalysen an Kindern. 46

    Die Phase des Autoerotismus. 47

    Die Objektwahl. 48

    Endgestaltung des normalen Sexuallebens. 49

    Zusammenhang von Neurose und Perversion. 50

    Der Kernkomplex der Neurosen. 52

    Die Ablsung des Kindes von den Eltern. 53

    V. Vorlesung. 54

    Regression und Phantasie. 55

    Neurose und Kunst. 56

    Die bertragung. 57

    Die Angst vor der Befreiung des Verdrngten. 59

    Ausgnge der psychoanalytischen Arbeit. 60

    Das schdliche berma der Sexualverdrngung. 62

    Anmerkungen zur Transkription.

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    BER

    PSYCHOANALYSE

    FNF VORLESUNGEN

    GEHALTEN ZUR 20JHRIGEN GRNDUNGSFEIER

    DER

    CLARKUNIVERSITYIN WORCESTERMASS.

    SEPTEMBER 1909.

    VON

    PROF. DR. SIGM. FREUD LL. D.

    LEIPZIG UND WIEN

    F R A N Z D E U T I C K E

    1910.

    Verlags-Nr. 1701.

    K. und K. Hofbuchdruckerei Karl Prochaska in Teschen.

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    Herrn

    G. Stanley Hall,Ph. D., LL. D.Prsidenten der Clark University,

    Professor der Psychologie und Pdagogik

    in Dankbarkeit

    zugeeignet.

    [p. 1]

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    I.

    Meine Damen und Herren! Es ist mir ein neuartiges und verwirrendes Gefhl, alsVortragender vor Wibegierigen der Neuen Welt zu stehen. Ich nehme an, da ich diese Ehrenur der Verknpfung meines Namens mit dem Thema der Psychoanalyse verdanke, undbeabsichtige daher, Ihnen von Psychoanalyse zu sprechen. Ich will es versuchen, Ihnen ingedrngtester Krze einen berblick ber die Geschichte der Entstehung und weiterenFortbildung dieser neuen Untersuchungs- und Heilmethode zu geben.

    Wenn es ein Verdienst ist, die Psychoanalyse ins Leben gerufen zu haben, so ist es nicht meinVerdienst. Ich bin an den ersten Anfngen derselben nicht beteiligt gewesen. Ich war Studentund mit der Ablegung meiner letzten Prfungen beschftigt, als ein anderer Wiener Arzt,Dr. Josef B r e u e r ,[1] dieses Verfahren zuerst an einem hysterisch erkrankten Mdchenanwendete (1880-1882). Mit dieser Kranken- und Behandlungsgeschichte wollen wir uns nunzunchst beschftigen. Sie finden dieselbe ausfhrlich dargestellt in den spter von B r e u e rund mir verffentlichten Studien ber Hysterie.[2]

    [1]Dr. Josef B r e u e r , geb. 1842, korrespondierendes Mitglied der k. Akademie der Wissenschaften,bekannt durch Arbeiten ber die Atmung und zur Physiologie des Gleichgewichtssinnes.

    [2]Studien ber Hysterie. 1895. Fr. Deuticke, Wien, 2. Aufl., 1909. Stcke meines Anteils an diesemBuch sind von Dr. A. A. B r i l l in New York ins Englische bertragen worden (Selected papers onHysteria and other Psychoneuroses by S. Freud, Nr. 4 der Nervous and Mental Disease MonographSeries, New York).[p. 2]

    Vorher nur noch eine Bemerkung. Ich habe nicht ohne Befriedigung erfahren, da dieMehrzahl meiner Zuhrer nicht dem rztlichen Stande angehrt. Besorgen Sie nun nicht, daes besonderer rztlicher Vorbildung bedarf, um meinen Mitteilungen zu folgen. Wir werden

    allerdings ein Stck weit mit den rzten gehen, aber bald werden wir uns absondern undDr. B r e u e r auf einen ganz eigenartigen Weg begleiten.

    Dr. B r e u e r s Patientin, ein 21jhriges, geistig hochbegabtes Mdchen, entwickelte imVerlaufe ihrer ber zwei Jahre ausgedehnten Krankheit eine Reihe von krperlichen undseelischen Strungen, die es wohl verdienten, ernst genommen zu werden. Sie hatte einesteife Lhmung der beiden rechtsseitigen Extremitten mit Unempfindlichkeit derselben,zeitweise dieselbe Affektion an den Gliedern der linken Krperseite, Strungen derAugenbewegungen und mannigfache Beeintrchtigungen des Sehvermgens, Schwierigkeitender Kopfhaltung, eine intensive Tussis nervosa, Ekel vor Nahrungsaufnahme und einmaldurch mehrere Wochen eine Unfhigkeit zu trinken trotz qulenden Durstes, eine

    Herabsetzung des Sprachvermgens, die bis zum Verlust der Fhigkeit fortschritt, ihreMuttersprache zu sprechen oder zu verstehen, endlich Zustnde von Abwesenheit,Verworrenheit, Delirien, Alteration ihrer ganzen Persnlichkeit, denen wir unsereAufmerksamkeit spter werden zuwenden mssen.

    Wenn Sie von einem solchen Krankheitsbilde hren, so werden Sie, auch ohne rzte zu sein,der Annahme zuneigen, da es sich um ein schweres Leiden, wahrscheinlich des Gehirns,handle, welches wenig Aussicht auf Herstellung biete und zur baldigen Auflsung derKranken fhren drfte. Lassen Sie[p. 3] sich indes von den rzten belehren, da fr eineReihe von Fllen mit so schweren Erscheinungen eine andere und weitaus gnstigereAuffassung berechtigter ist. Wenn ein solches Krankheitsbild bei einem jugendlichen

    weiblichen Individuum auftritt, dessen lebenswichtige innere Organe (Herz, Niere) sich derobjektiven Untersuchung normal erweisen, das aber heftige g e m t l i c h e Erschtterungenerfahren hat, und wenn die einzelnen Symptome in gewissen feineren Charakteren von der

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    Erwartung abweichen, dann nehmen die rzte einen solchen Fall nicht zu schwer. Siebehaupten, da dann nicht ein organisches Leiden des Gehirns vorliegt, sondern jenerrtselhafte, seit den Zeiten der griechischen Medizin H y s t e r i e benannte Zustand, der eineganze Anzahl von Bildern ernster Erkrankung vorzutuschen vermge. Sie halten dann dasLeben fr nicht bedroht und eine selbst vollkommene Herstellung der Gesundheit fr

    wahrscheinlich. Die Unterscheidung einer solchen Hysterie von einem schweren organischenLeiden ist nicht immer sehr leicht. Wir brauchen aber nicht zu wissen, wie eineDifferentialdiagnose dieser Art gemacht wird; uns mag die Versicherung gengen, da geradeder Fall von B r e u e r s Patientin ein solcher ist, bei dem kein kundiger Arzt die Diagnoseder Hysterie verfehlen wird. Wir knnen auch an dieser Stelle aus dem Krankheitsberichtnachtragen, da ihre Erkrankung auftrat, whrend sie ihren zrtlich geliebten Vater in seinerschweren, zum Tode fhrenden Krankheit pflegte, und da sie infolge ihrer eigenenErkrankung von der Pflege zurcktreten mute.

    Soweit hat es uns Vorteil gebracht, mit den rzten zu gehen, und nun werden wir uns baldvon ihnen trennen. Sie drfen nmlich nicht erwarten, da die Aussicht eines Kranken auf

    rztliche Hilfeleistung dadurch wesentlich gesteigert wird,[p. 4]da die Diagnose der Hysteriean die Stelle des Urteils auf ernste organische Hirnaffektion tritt. Gegen die schwerenErkrankungen des Gehirns ist die rztliche Kunst in den meisten Fllen ohnmchtig, aberauch gegen die hysterische Affektion wei der Arzt nichts zu tun. Er mu es der gtigenNatur berlassen, wann und wie sie seine hoffnungsvolle Prognose verwirklichen will.[3]

    [3]Ich wei, da diese Behauptung heute nicht mehr zutrifft, aber im Vortrage versetze ich mich undmeine Hrer zurck in die Zeit vor 1880. Wenn es seither anders geworden ist, so haben gerade dieBemhungen, deren Geschichte ich skizziere, daran einen groen Anteil.

    Mit der Erkennung der Hysterie wird also fr den Kranken wenig gendert; desto mehr ndertsich fr den Arzt. Wir knnen beobachten, da er sich gegen den hysterischen ganz anders

    einstellt als gegen den organisch Kranken. Er will dem ersteren nicht dieselbe Teilnahmeentgegenbringen wie dem letzteren, da sein Leiden weit weniger ernsthaft ist und doch denAnspruch zu erheben scheint, fr ebenso ernsthaft zu gelten. Aber es wirkt noch anderes mit.Der Arzt, der durch sein Studium so vieles kennen gelernt hat, was dem Laien verschlossenist, hat sich von den Krankheitsursachen und Krankheitsvernderungen, z. B. im Gehirn einesan Apoplexie oder Neubildung Leidenden Vorstellungen bilden knnen, die bis zu einemgewissen Grade zutreffend sein mssen, da sie ihm das Verstndnis der Einzelheiten desKrankheitsbildes gestatten. Vor den Details der hysterischen Phnomene lt ihn aber all seinWissen, seine anatomisch-physiologische und pathologische Vorbildung im Stiche. Er kanndie Hysterie nicht verstehen, er steht ihr selbst wie ein Laie gegenber. Und das ist nunniemandem recht, der sonst auf sein Wissen so groe Stcke hlt. Die Hysterischen[p. 5]

    gehen also seiner Sympathie verlustig; er betrachtet sie wie Personen, welche die Gesetzeseiner Wissenschaft bertreten, wie die Rechtglubigen die Ketzer ansehen; er traut ihnenalles mgliche Bse zu, beschuldigt sie der bertreibung und der absichtlichen Tuschung,Simulation; und er bestraft sie durch die Entziehung seines Interesses.

    Diesen Vorwurf hat nun Dr. B r e u e r bei seiner Patientin nicht verdient; er schenkte ihrSympathie und Interesse, obwohl er ihr anfangs nicht zu helfen verstand. Wahrscheinlicherleichterte sie es ihm auch durch die vorzglichen Geistes- und Charaktereigenschaften, frdie er in der von ihm abgefaten Krankengeschichte Zeugnis ablegt. Seine liebevolleBeobachtung fand auch bald den Weg, der die erste Hilfeleistung ermglichte.

    Es war bemerkt worden, da die Kranke in ihren Zustnden von Absenz, psychischerAlteration mit Verworrenheit, einige Worte vor sich hin zu murmeln pflegte, welche denEindruck machten, als stammten sie aus einem Zusammenhange, der ihr Denken beschftige.

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    Der Arzt, der sich diese Worte berichten lie, versetzte sie nun in eine Art von Hypnose undsagte ihr jedesmal diese Worte wieder vor, um sie zu veranlassen, da sie an dieselbenanknpfe. Die Kranke ging darauf ein und reproduzierte so vor dem Arzt die psychischenSchpfungen, die sie whrend der Absenzen beherrscht und sich in jenen vereinzeltgeuerten Worten verraten hatten. Es waren tieftraurige, oft poetisch schne Phantasien,

    Tagtrume wrden wir sagen, die gewhnlich die Situation eines Mdchens am Krankenbettseines Vaters zum Ausgangspunkt nahmen. Hatte sie eine Anzahl solcher Phantasien erzhlt,so war sie wie befreit und ins normale seelische Leben zurckgefhrt. Das Wohlbefinden, dasdurch mehrere Stunden anhielt, wich dann[p. 6]am nchsten Tage einer neuerlichen Absenz,welche auf dieselbe Weise durch Aussprechen der neu gebildeten Phantasien aufgehobenwurde. Man konnte sich dem Eindrucke nicht entziehen, da die psychische Vernderung, diesich in den Absenzen uerte, eine Folge des Reizes sei, der von diesen hchst affektvollenPhantasiebildungen ausging. Die Patientin selbst, die um diese Zeit ihres Krankseinsmerkwrdigerweise nur Englisch sprach und verstand, gab dieser neuartigen Behandlung denNamen talking cure oder bezeichnete sie scherzhaft als chimney sweeping.

    Es ergab sich bald wie zufllig, da man durch solches Reinfegen der Seele noch mehrerreichen knne als vorbergehende Beseitigung der immer wiederkehrenden seelischenTrbungen. Es lieen sich auch Leidenssymptome zum Verschwinden bringen, wenn in derHypnose unter Affektuerung erinnert wurde, bei welchem Anla und kraft welchesZusammenhanges diese Symptome zuerst aufgetreten waren. Es war im Sommer eine Zeitintensiver Hitze gewesen und Patientin hatte sehr arg durch Durst gelitten; denn, ohne einenGrund angeben zu knnen, war ihr pltzlich unmglich geworden, zu trinken. Sie nahm dasersehnte Glas Wasser in die Hand, aber sowie es die Lippen berhrte, stie sie es weg wie einHydrophobischer. Dabei war sie offenbar fr diese paar Sekunden in einer Absenz. Sie lebtenur von Obst, Melonen u. dgl., um den qualvollen Durst zu mildem. Als das etwa sechsWochen gedauert hatte, rsonierte sie einmal in der Hypnose ber ihre englische

    Gesellschafterin, die sie nicht liebte, und erzhlte dann mit allen Zeichen des Abscheus, wiesie auf deren Zimmer gekommen sei, und da deren kleiner Hund, das ekelhafte Tier, auseinem Glas getrunken habe. Sie habe nichts gesagt, denn sie wollte hflich sein. Nachdem sieihrem[p. 7] steckengebliebenen rger noch energisch Ausdruck gegeben, verlangte sie zutrinken, trank ohne Hemmung eine groe Menge Wasser und erwachte aus der Hypnose mitdem Glas an den Lippen. Die Strung war damit fr immer verschwunden.[4]

    [4]Studien ber Hysterie, 2. Aufl., p. 26.

    Gestatten Sie, da ich Sie bei dieser Erfahrung einen Moment aufhalte! Niemand hatte nochein hysterisches Symptom durch solche Mittel beseitigt und war dabei so tief in dasVerstndnis seiner Verursachung eingedrungen. Es mute eine folgenschwere Entdeckungwerden, wenn sich die Erwartung besttigen lie, da noch andere, da vielleicht dieMehrzahl der Symptome bei der Kranken auf solche Weise entstanden und auf solche Weiseaufzuheben war. B r e u e r scheute die Mhe nicht, sich davon zu berzeugen, und forschtenun planmig der Pathogenese der anderen und ernsteren Leidenssymptome nach. Es warwirklich so; fast alle Symptome waren so entstanden als Reste, als Niederschlge, wenn Siewollen, von affektvollen Erlebnissen, die wir darum spter psychische Traumen genannthaben, und ihre Besonderheit klrte sich durch die Beziehung zu der sie verursachendentraumatischen Szene auf. Sie waren, wie das Kunstwort lautet, durch die Szenen, derenGedchtnisreste sie darstellten, d e t e r m i n i e r t , brauchten nicht mehr als willkrliche oderrtselhafte Leistungen der Neurose beschrieben zu werden. Nur einer Abweichung von der

    Erwartung sei gedacht. Es war nicht immer ein einziges Erlebnis, welches das Symptomzurcklie, sondern meist waren zahlreiche, oft sehr viele hnliche, wiederholte Traumen zudieser Wirkung zusammengetreten. Diese ganze Kette von pathogenen Erinnerungen mute

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    dann in chronologischer Reihenfolge reproduziert werden, und zwar[p. 8] umgekehrt, dieletzte zuerst und die erste zuletzt, und es war ganz unmglich, zum ersten und oftwirksamsten Trauma mit berspringung der spter erfolgten vorzudringen.

    Sie werden nun gewi noch andere Beispiele von Verursachung hysterischer Symptome alsdas der Wasserscheu durch den Ekel vor dem aus dem Glas trinkenden Hund von mir hrenwollen. Ich mu mich aber, wenn ich mein Programm einhalten will, auf sehr wenige Probenbeschrnken. So erzhlt B r e u e r , da ihre Sehstrungen sich auf Anlsse zurckfhrten inder Art, da Patientin mit Trnen im Auge, am Krankenbett sitzend, pltzlich vom Vatergefragt wurde, wieviel Uhr es sei, undeutlich sah, sich anstrengte, die Uhr nahe ans Augebrachte und nun das Zifferblatt sehr gro erschien (Makropsie und Strabismus conv.); oderAnstrengungen machte, die Trnen zu unterdrcken, damit sie der Kranke nicht sehe.[5]Allepathogenen Eindrcke stammten brigens aus der Zeit, da sie sich an der Pflege deserkrankten Vaters beteiligte. Einmal wachte sie nachts in groer Angst um denhochfiebernden Kranken und in Spannung, weil von Wien ein Chirurg zur Operation erwartetwurde. Die Mutter hatte sich fr einige Zeit entfernt, und Anna sa am Krankenbette, den

    rechten Arm ber die Stuhllehne gelegt. Sie geriet in einen Zustand von Wachtrumen undsah, wie von der Wand her eine schwarze Schlange sich dem Kranken nherte, um ihn zubeien. (Es ist sehr wahrscheinlich, da auf der Wiese hinter dem Hause wirklich einigeSchlangen vorkamen, ber die das Mdchen schon frher erschrocken war, und die nun dasMaterial der Halluzination abgaben.) Sie wollte das Tier abwehren, war aber wie gelhmt; derrechte Arm, ber die Stuhllehne hngend, war eingeschlafen, ansthetisch und paretisch[p. 9]geworden, und als sie ihn betrachtete, verwandelten sich die Finger in kleine Schlangen mitTotenkpfen (Ngel). Wahrscheinlich machte sie Versuche, die Schlange mit der gelhmtenrechten Hand zu verjagen, und dadurch trat die Ansthesie und Lhmung derselben inAssoziation mit der Schlangenhalluzination. Als diese verschwunden war, wollte sie in ihrerAngst beten, aber jede Sprache versagte, sie konnte in keiner sprechen, bis sie endlich einen

    e n g l i s c h e n Kindervers fand und nun auch in dieser Sprache fortdenken und betenkonnte.[6] Mit der Erinnerung dieser Szene in der Hypnose war auch die seit Beginn derKrankheit bestehende steife Lhmung des rechten Armes beseitigt und die Behandlungbeendigt.

    [5]Studien ber Hysterie, 2. Aufl., p. 31.

    [6]l. c. p. 30.

    Als ich eine Anzahl von Jahren spter die B r e u e r sche Untersuchungs- undBehandlungsmethode an meinen eigenen Kranken zu ben begann, machte ich Erfahrungen,die sich mit den seinigen vollkommen deckten. Bei einer etwa 40jhrigen Dame bestand ein

    Tic, ein eigentmlich schnalzendes Gerusch, das sie bei jeder Aufregung und auch ohneersichtlichen Anla hervorbrachte. Es hatte seinen Ursprung in zwei Erlebnissen, denengemeinsam war, da sie sich vornahm, jetzt ja keinen Lrm zu machen, und bei denen wiedurch eine Art von Gegenwillen gerade dieses Gerusch die Stille durchbrach; das eine Mal,als sie ihr krankes Kind endlich mhselig eingeschlfert hatte und sich sagte, sie msse jetztganz still sein, um es nicht zu wecken, und das andere Mal, als whrend einer Wagenfahrt mitihren beiden Kindern im Gewitter die Pferde scheu wurden, und sie sorgfltig jeden Lrmvermeiden wollte, um die Tiere nicht noch mehr zu schrecken. [7]Ich gebe dieses[p. 10]Beispielanstatt vieler anderer, die in den Studien ber Hysterie niedergelegt sind.[8]

    [7]l. c. 2. Aufl., p. 43 u. 46.

    [8]Eine Auswahl aus diesem Buche, vermehrt durch einige sptere Abhandlungen ber Hysterie, liegtgegenwrtig in einer englischen, von Dr. A. A. B r i l l in New York besorgten bersetzung vor.

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    Meine Damen und Herren, wenn Sie mir die Verallgemeinerung gestatten, die ja bei soabgekrzter Darstellung unvermeidlich ist, so knnen wir unsere bisherige Erkenntnis in dieFormel fassen: U n s e r e h y s t e r i s c h K r a n k e n l e i d e n a n R e m i n i s z e n z e n .Ihre Symptome sind Reste und Erinnerungssymbole fr gewisse (traumatische) Erlebnisse.Ein Vergleich mit anderen Erinnerungssymbolen auf anderen Gebieten wird uns vielleicht

    tiefer in das Verstndnis dieser Symbolik fhren. Auch die Denkmler und Monumente, mitdenen wir unsere groen Stdte zieren, sind solche Erinnerungssymbole. Wenn Sie einenSpaziergang durch L o n d o n machen, so finden Sie vor einem der grten Bahnhfe derStadt eine reichverzierte gotische Sule, das C h a r i n g C r o s s . Einer der altenPlantagenetknige im XIII. Jahrhundert, der den Leichnam seiner geliebten Knigin Eleanornach Westminster berfhren lie, errichtete gotische Kreuze an jeder der Stationen, wo derSarg niedergestellt wurde, und C h a r i n g C r o s s ist das letzte der Denkmler, welche dieErinnerung an diesen Trauerzug erhalten sollten.[9] An einer anderen Stelle der Stadt, nichtweit von London Bridge, erblicken Sie eine modernere hochragende Sule, die kurzwegT h e M o n u m e n t genannt wird. Sie soll zur Erinnerung an das groe Feuer mahnen,welches[p. 11] im Jahre 1666 dort in der Nhe ausbrach und einen groen Teil der Stadt

    zerstrte. Diese Monumente sind also Erinnerungssymbole wie die hysterischen Symptome,soweit scheint die Vergleichung berechtigt. Aber was wrden Sie zu einem Londoner sagen,der heute noch vor dem Denkmal des Leichenzuges der Knigin Eleanor in Wehmut stehenbliebe, anstatt mit der von den modernen Arbeitsverhltnissen geforderten Eile seinenGeschften nachzugehen oder sich der eigenen jugendfrischen Knigin seines Herzens zuerfreuen? Oder zu einem anderen, der vor dem Monument die Einscherung seinergeliebten Vaterstadt beweinte, die doch seither lngst soviel glnzender wiedererstanden ist?So wie diese beiden unpraktischen Londoner benehmen sich aber die Hysterischen undNeurotiker alle; nicht nur, da sie die lngst vergangenen schmerzlichen Erlebnisse erinnern,sie hngen noch affektvoll an ihnen, sie kommen von der Vergangenheit nicht los undvernachlssigen fr sie die Wirklichkeit und die Gegenwart. Diese Fixierung desSeelenlebens an die pathogenen Traumen ist einer der wichtigsten und praktischbedeutsamsten Charaktere der Neurose.

    [9]Vielmehr die sptere Nachbildung eines solchen Denkmals. Der Name C h a r i n g selbst soll, wiemir Dr. E. J o n e s mitteilte, aus den Worten C h r e r e i n e hervorgegangen sein.

    Ich gebe Ihnen gern den Einwand zu, den Sie jetzt wahrscheinlich bilden, indem Sie an dieKrankengeschichte der B r e u e r schen Patientin denken. Alle ihre Traumen entstammten jader Zeit, da sie den kranken Vater pflegte, und ihre Symptome knnen nur alsErinnerungszeichen fr seine Krankheit und seinen Tod aufgefat werden. Sie entsprechenalso einer Trauer, und eine Fixierung an das Andenken des Verstorbenen ist so kurze Zeit

    nach dem Ableben desselben gewi nichts Pathologisches, entspricht vielmehr einemnormalen Gefhlsvorgang. Ich gestehe Ihnen dieses zu; die Fixierung an die Traumen ist beider Patientin B r e u e r s nichts Aufflliges. Aber in anderen Fllen, wie in dem von mirbehandelten Tic,[p. 12] dessen Veranlassungen um mehr als fnfzehn und zehn Jahrezurcklagen, ist der Charakter des abnormen Haftens am Vergangenen sehr deutlich, und diePatientin B r e u e r s htte ihn wahrscheinlich gleichfalls entwickelt, wenn sie nicht so kurzeZeit nach dem Erleben der Traumen und der Entstehung der Symptome zurk a t h a r t i s c h e n Behandlung gekommen wre.

    Wir haben bisher nur die Beziehung der hysterischen Symptome zur Lebensgeschichte derKranken errtert; aus zwei weiteren Momenten der B r e u e r schen Beobachtung knnen wir

    aber auch einen Hinweis darauf gewinnen, wie wir den Vorgang der Erkrankung und derWiederherstellung aufzufassen haben. Frs erste ist hervorzuheben, da die KrankeB r e u e r s fast in allen pathogenen Situationen eine starke Erregung zu unterdrcken hatte,

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    anstatt ihr durch die entsprechenden Affektzeichen, Worte und Handlungen, Ablauf zuermglichen. In dem kleinen Erlebnis mit dem Hund ihrer Gesellschafterin unterdrckte sieaus Rcksicht auf diese jede uerung ihres sehr intensiven Ekels; whrend sie am Bette desVaters wachte, trug sie bestndig Sorge, den Kranken nichts von ihrer Angst und ihrerschmerzlichen Verstimmung merken zu lassen. Als sie spter diese selben Szenen vor ihrem

    Arzt reproduzierte, trat der damals gehemmte Affekt mit besonderer Heftigkeit, als ob er sichsolange aufgespart htte, auf. Ja, das Symptom, welches von dieser Szene erbrigt war,gewann seine hchste Intensitt, whrend man sich seiner Verursachung nherte, um nach dervlligen Erledigung derselben zu verschwinden. Anderseits konnte man die Erfahrungmachen, da das Erinnern der Szene beim Arzte wirkungslos blieb, wenn es aus irgend einemGrunde einmal ohne Affektentwicklung ablief. Die Schicksale dieser Affekte, die man sichals verschiebbare Gren vorstellen konnte, waren also das Magebende[p. 13] fr dieErkrankung wie fr die Wiederherstellung. Man sah sich zur Annahme gedrngt, da dieErkrankung darum zu stande kam, weil den in den pathogenen Situationen entwickeltenAffekten ein normaler Ausweg versperrt war, und da das Wesen der Erkrankung darinbestand, da nun diese eingeklemmten Affekte einer abnormen Verwendung unterlagen.

    Zum Teil blieben sie als dauernde Belastungen des Seelenlebens und Quellen bestndigerErregung fr dasselbe bestehen; zum Teil erfuhren sie eine Umsetzung in ungewhnlichekrperliche I n n e r v a t i o n e n und H e m m u n g e n , die sich als die krperlichenSymptome des Falles darstellten. Wir haben fr diesen letzteren Vorgang den Namen derh y s t e r i s c h e n K o n v e r s i o n geprgt. Ein gewisser Anteil unserer seelischenErregung wird ohnedies normalerweise auf die Wege der krperlichen Innervation geleitetund ergibt das, was wir als Ausdruck der Gemtsbewegungen kennen. Die hysterischeKonversion bertreibt nun diesen Anteil des Ablaufs eines mit Affekt besetzten seelischenVorganges; sie entspricht einem weit intensiveren, auf neue Bahnen geleiteten Ausdruck derGemtsbewegung. Wenn ein Strombett in zwei Kanlen fliet, so wird eine berfllung deseinen stattfinden, sobald die Strmung in dem anderen auf ein Hindernis stt.

    Sie sehen, wir sind im Begriffe, zu einer rein psychologischen Theorie der Hysterie zugelangen, in welcher wir den Affektvorgngen den ersten Rang anweisen. Eine zweiteBeobachtung B r e u e r s ntigt uns nun, in der Charakteristik des krankhaften Geschehensden Bewutseinszustnden eine groe Bedeutung einzurumen. Die Kranke B r e u e r szeigte mannigfaltige seelische Verfassungen, Zustnde von Abwesenheit, Verworrenheit undCharaktervernderung neben ihrem Normalzustand. Im Normalzustand wute sie nun nichtsvon jenen[p. 14]pathogenen Szenen und von deren Zusammenhang mit ihren Symptomen; siehatte diese Szenen vergessen oder jedenfalls den pathogenen Zusammenhang zerrissen. Wennman sie in die Hypnose versetzte, gelang es nach Aufwendung betrchtlicher Arbeit, ihr dieseSzenen ins Gedchtnis zurckzurufen, und durch diese Arbeit des Wiedererinnerns wurden

    die Symptome aufgehoben. Man wre in groer Verlegenheit, wie man diese Tatsache deutensollte, wenn nicht die Erfahrungen und Experimente des Hypnotismus den Weg dazugewiesen htten. Durch das Studium der hypnotischen Phnomene hat man sich an dieanfangs befremdliche Auffassung gewhnt, da in einem und demselben Individuum mehrereseelische Gruppierungen mglich sind, die ziemlich unabhngig von einander bleibenknnen, von einander nichts wissen, und die das Bewutsein alternierend an sich reien.Flle solcher Art, die man als Double conscience bezeichnet, kommen gelegentlich auchspontan zur Beobachtung. Wenn bei solcher Spaltung der Persnlichkeit das Bewutseinkonstant an den einen der beiden Zustnde gebunden bleibt, so heit man diesen denb e w u t e n Seelenzustand, den von ihm abgetrennten den u n b e w u t e n . In denbekannten Phnomenen der sogenannten posthypnotischen Suggestion, wobei ein in derHypnose gegebener Auftrag sich spter im Normalzustand gebieterisch durchsetzt, hat manein vorzgliches Vorbild fr die Beeinflussungen, die der bewute Zustand durch den fr ihnunbewuten erfahren kann, und nach diesem Muster gelingt es allerdings, sich die

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    Erfahrungen bei der Hysterie zurechtzulegen. B r e u e r entschlo sich zur Annahme, da diehysterischen Symptome in solchen besonderen seelischen Zustnden, die er h y p n o i d enannte, entstanden seien. Erregungen, die in solche hypnoide Zustnde hineingeraten, werdenleicht pathogen, weil diese Zustnde nicht die Bedingungen[p. 15]fr einen normalen Ablaufder Erregungsvorgnge bieten. Es entsteht also aus dem Erregungsvorgang ein

    ungewhnliches Produkt, eben das Symptom, und dieses ragt wie ein Fremdkrper in denNormalzustand hinein, dem dafr die Kenntnis der hypnoiden pathogenen Situation abgeht.Wo ein Symptom besteht, da findet sich auch eine Amnesie, eine Erinnerungslcke, und dieAusfllung dieser Lcke schliet die Aufhebung der Entstehungsbedingungen des Symptomsin sich ein.

    Ich frchte, da Ihnen dieses Stck meiner Darstellung nicht sehr durchsichtig erschienen ist.Aber haben Sie Nachsicht, es handelt sich um neue und schwierige Anschauungen, dievielleicht nicht viel klarer gemacht werden knnen; ein Beweis dafr, da wir mit unsererErkenntnis noch nicht sehr weit vorgedrungen sind. Die B r e u e r sche Aufstellung derh y p n o i d e n Zustnde hat sich brigens als hemmend und berflssig erwiesen und ist von

    der heutigen Psychoanalyse fallen gelassen worden. Sie werden spter wenigstensandeutungsweise hren, welche Einflsse und Vorgnge hinter der von B r e u e raufgestellten Schranke der hypnoiden Zustnde zu entdecken waren. Sie werden auch mitRecht den Eindruck empfangen haben, da die B r e u e r sche Forschung Ihnen nur eine sehrunvollstndige Theorie und unbefriedigende Aufklrung der beobachteten Erscheinungengeben konnte, aber vollkommene Theorien fallen nicht vom Himmel, und Sie werden mitnoch grerem Recht mitrauisch sein, wenn Ihnen jemand eine lckenlose und abgerundeteTheorie bereits zu Anfang seiner Beobachtungen anbietet. Eine solche wird gewi nur dasKind seiner Spekulation sein knnen und nicht die Frucht voraussetzungsloser Erforschungdes Tatschlichen.[p. 16]

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    II.

    Meine Damen und Herren! Etwa gleichzeitig, whrend B r e u e r mit seiner Patientin dieTalking cure bte, hatte Meister C h a r c o t in Paris jene Untersuchungen ber dieHysterischen der Salptrire begonnen, von denen ein neues Verstndnis der Krankheitausgehen sollte. Diese Resultate konnten damals in Wien noch nicht bekannt sein. Als aberetwa ein Dezennium spter B r e u e r und ich die vorlufige Mitteilung ber den psychischenMechanismus hysterischer Phnomene verffentlichten, welche an die kathartischeBehandlung bei B r e u e r s erster Patientin anknpfte, da befanden wir uns ganz im Banneder C h a r c o t schen Forschungen. Wir stellten die pathogenen Erlebnisse unserer Krankenals psychische Traumen jenen krperlichen Traumen gleich, deren Einflu auf hysterischeLhmungen C h a r c o t festgestellt hatte, und B r e u e r s Aufstellung der hypnoidenZustnde ist selbst nichts anderes als ein Reflex der Tatsache, da C h a r c o t jenetraumatischen Lhmungen in der Hypnose knstlich reproduziert hatte.

    Der groe franzsische Beobachter, dessen Schler ich 1885/86 wurde, war selbst

    psychologischen Auffassungen nicht geneigt; erst sein Schler P. J a n e t versuchte eintieferes Eindringen in die besonderen psychischen Vorgnge bei der Hysterie, und wir folgtenseinem Beispiele, als wir die seelische Spaltung und den Zerfall der Persnlichkeit in dasZentrum[p. 17]unserer Auffassung rckten. Sie finden bei J a n e t eine Theorie der Hysterie,welche den in Frankreich herrschenden Lehren ber die Rolle der Erblichkeit und derDegeneration Rechnung trgt. Die Hysterie ist nach ihm eine Form der degenerativenVernderung des Nervensystems, welche sich durch eine angeborene Schwche derpsychischen Synthese kundgibt. Die hysterisch Kranken seien von Anfang an unfhig, dieMannigfaltigkeit der seelischen Vorgnge zu einer Einheit zusammenzuhalten, und daherkomme die Neigung zur seelischen Dissoziation. Wenn Sie mir ein banales aber deutlichesGleichnis gestatten, J a n e t s Hysterische erinnert an eine schwache Frau, die ausgegangenist, um Einkufe zu machen, und nun mit einer Menge von Schachteln und Paketen beladenzurckkommt. Sie kann den ganzen Haufen mit ihren zwei Armen und zehn Fingern nichtbewltigen, und so entfllt ihr zuerst ein Stck. Bckt sie sich, um dieses aufzuheben, somacht sich dafr ein anderes los u. s. w. Es stimmt nicht gut zu dieser angenommenenseelischen Schwche der Hysterischen, da man bei ihnen auer den Erscheinungenverminderter Leistung auch Beispiele von teilweiser Steigerung der Leistungsfhigkeit, wiezur Entschdigung, beobachten kann. Zur Zeit, als B r e u e r s Patientin ihre Mutterspracheund alle anderen Sprachen bis auf Englisch vergessen hatte, erreichte ihre Beherrschung desEnglischen eine solche Hhe, da sie im stande war, wenn man ihr ein deutsches Buchvorlegte, eine tadellose und flieende bersetzung desselben vom Blatt herunterzulesen.

    Als ich es spter unternahm, die von B r e u e r begonnenen Untersuchungen auf eigene Faustfortzusetzen, gelangte ich bald zu einer anderen Ansicht ber die Entstehung der hysterischenDissoziation (oder Bewutseinsspaltung). Eine solche, fr alles weitere entscheidende,Divergenz mute sich notwendigerweise[p. 18] ergeben, da ich nicht wie J a n e t vonLaboratoriumsversuchen, sondern von therapeutischen Bemhungen ausging.

    Mich trieb vor allem das praktische Bedrfnis. Die kathartische Behandlung, wie sieB r e u e r gebt hatte, setzte voraus, da man den Kranken in tiefe Hypnose bringe, denn nurim hypnotischen Zustand fand er die Kenntnis jener pathogenen Zusammenhnge, die ihm inseinem Normalzustand abging. Nun war mir die Hypnose als ein launenhaftes und sozusagenmystisches Hilfsmittel bald unliebsam geworden; als ich aber die Erfahrung machte, da es

    mir trotz aller Bemhungen nicht gelingen wollte, mehr als einen Bruchteil meiner Krankenin den hypnotischen Zustand zu versetzen, beschlo ich, die Hypnose aufzugeben und diekathartische Behandlung von ihr unabhngig zu machen. Weil ich den psychischen Zustand

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    meiner meisten Patienten nicht nach meinem Belieben verndern konnte, richtete ich michdarauf ein, mit ihrem Normalzustand zu arbeiten. Das schien allerdings vorerst ein sinn- undaussichtsloses Unternehmen zu sein. Es war die Aufgabe gestellt, etwas vom Kranken zuerfahren, was man nicht wute und was er selbst nicht wute; wie konnte man hoffen, diesdoch in Erfahrung zu bringen? Da kam mir die Erinnerung an einen sehr merkwrdigen und

    lehrreichen Versuch zu Hilfe, den ich bei B e r n h e i m in N a n c y mitangesehen hatte.B e r n h e i m zeigte uns damals, da die Personen, welche er in hypnotischenSomnambulismus versetzt und in diesem Zustand allerlei hatte erleben lassen, die Erinnerungan das somnambul Erlebte doch nur zum Schein verloren hatten, und da es mglich war, beiihnen diese Erinnerungen auch im Normalzustand zu erwecken. Wenn er sie nach densomnambulen Erlebnissen befragte, so behaupteten sie anfangs zwar, nichts zu wissen, aberwenn er nicht nachgab, drngte, ihnen versicherte,[p. 19] sie wten es doch, so kamen dievergessenen Erinnerungen jedesmal wieder.

    So machte ich es also auch mit meinen Patienten. Wenn ich mit ihnen bis zu einem Punktegekommen war, an dem sie behaupteten, nichts weiter zu wissen, so versicherte ich ihnen, sie

    wten es doch, sie sollten es nur sagen, und ich getraute mich der Behauptung, da dieErinnerung die richtige sein wrde, die ihnen in dem Moment kme, wenn ich meine Handauf ihre Stirn legte. Auf diese Weise gelang es mir, ohne Anwendung der Hypnose, von denKranken alles zu erfahren, was zur Herstellung des Zusammenhangs zwischen denvergessenen pathogenen Szenen und den von ihnen erbrigten Symptomen erforderlich war.Aber es war ein mhseliges, ein auf die Dauer erschpfendes Verfahren, das sich fr eineendgltige Technik, nicht eignen konnte.

    Ich gab es jedoch nicht auf, ohne aus den dabei gemachten Wahrnehmungen dieentscheidenden Schlsse zu ziehen. Ich hatte es also besttigt gefunden, da die vergessenenErinnerungen nicht verloren waren. Sie waren im Besitze des Kranken und bereit, in

    Assoziation an das von ihm noch Gewute aufzutauchen, aber irgend eine Kraft hinderte siedaran, bewut zu werden und ntigte sie, unbewut zu bleiben. Die Existenz dieser Kraftkonnte man mit Sicherheit annehmen, denn man versprte eine ihr entsprechendeAnstrengung, wenn man sich bemhte, im Gegensatz zu ihr die unbewuten Erinnerungen insBewutsein des Kranken einzufhren. Man bekam die Kraft, welche den krankhaften Zustandaufrecht erhielt, als W i d e r s t a n d des Kranken zu spren.

    Auf diese Idee des Widerstandes habe ich nun meine Auffassung der psychischen Vorgngebei der Hysterie gegrndet. Es hatte sich als notwendig zur Herstellung erwiesen, diese[p. 20]Widerstnde aufzuheben; vom Mechanismus der Heilung aus konnte man sich jetzt ganzbestimmte Vorstellungen ber den Hergang bei der Erkrankung bilden. Dieselben Krfte, dieheute als Widerstand sich dem Bewutmachen des Vergessenen widersetzten, mutenseinerzeit dieses Vergessen bewirkt und die betreffenden pathogenen Erlebnisse aus demBewutsein gedrngt haben. Ich nannte diesen von mir supponierten VorgangV e r d r n g u n g und betrachtete ihn als erwiesen durch die unleugbare Existenz desW i d e r s t a n d e s .

    Man konnte sich aber auch die Frage vorlegen, welches diese Krfte und welche dieBedingungen der Verdrngung seien, in der wir nun den pathogenen Mechanismus derHysterie erkennen. Eine vergleichende Untersuchung der pathogenen Situationen, die mandurch die kathartische Behandlung kennen gelernt hatte, gestattete hierauf Antwort zu geben.Bei all diesen Erlebnissen hatte es sich darum gehandelt, da eine Wunschregung aufgetauchtwar, welche in scharfem Gegensatze zu den sonstigen Wnschen des Individuums stand, sichals unvertrglich mit den ethischen und sthetischen Ansprchen der Persnlichkeit erwies.Es hatte einen kurzen Konflikt gegeben, und das Ende dieses inneren Kampfes war, da dieVorstellung, welche als der Trger jenes unvereinbaren Wunsches vor dem Bewutsein

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    auftrat, der Verdrngung anheimfiel und mit den zu ihr gehrigen Erinnerungen aus demBewutsein gedrngt und vergessen wurde. Die Unvertrglichkeit der betreffendenVorstellung mit dem Ich des Kranken war also das Motiv der Verdrngung; die ethischen undanderen Anforderungen des Individuums waren die verdrngenden Krfte. Die Annahme derunvertrglichen Wunschregung oder die Fortdauer des Konflikts htten hohe Grade von

    Unlust hervorgerufen; diese Unlust wurde durch die Verdrngung erspart,[p. 21] die sich insolcher Art als eine der Schutzvorrichtungen der seelischen Persnlichkeit erwies.

    Ich will Ihnen anstatt vieler einen einzigen meiner Flle erzhlen, in welchem Bedingungenund Nutzen der Verdrngung deutlich genug zu erkennen sind. Freilich mu ich fr meinenZweck auch diese Krankengeschichte verkrzen und wichtige Voraussetzungen derselben beiSeite lassen. Ein junges Mdchen, welches kurz vorher den geliebten Vater verloren hatte, andessen Pflege sie beteiligt gewesen war eine Situation analog der bei der PatientinB r e u e r s , brachte, als ihre ltere Schwester sich verheiratete, dem neuen Schwager einebesondere Sympathie entgegen, die sich leicht als verwandtschaftliche Zrtlichkeit maskierenkonnte. Diese Schwester erkrankte bald und starb, whrend die Patientin mit ihrer Mutter

    abwesend war. Die Abwesenden wurden eiligst zurckgerufen, ohne in sichere Kenntnis desschmerzlichen Ereignisses gesetzt zu werden. Als das Mdchen an das Bett der totenSchwester trat, tauchte fr einen kurzen Moment eine Idee in ihr auf, die sich etwa in denWorten ausdrcken liee: J e t z t i s t e r f r e i u n d k a n n m i c h h e i r a t e n . Wirdrfen als sicher annehmen, da diese Idee, welche die ihr selbst nicht bewute intensiveLiebe zum Schwager ihrem Bewutsein verriet, durch den Aufruhr ihrer Gefhle im nchstenMoment der Verdrngung berliefert wurde. Das Mdchen erkrankte an schwerenhysterischen Symptomen, und als ich sie in Behandlung genommen hatte, stellte es sichheraus, da sie jene Szene am Bette der Schwester und die in ihr auftretende hlich-egoistische Regung grndlich vergessen hatte. Sie erinnerte sich daran in der Behandlung,reproduzierte den pathogenen Moment unter den Anzeichen heftigster Gemtsbewegung und

    wurde durch diese Behandlung gesund.[p. 22]

    Vielleicht darf ich Ihnen den Vorgang der Verdrngung und deren notwendige Beziehungzum Widerstand durch ein grobes Gleichnis veranschaulichen, das ich gerade aus unserergegenwrtigen Situation herausgreifen will. Nehmen Sie an, hier in diesem Saale und indiesem Auditorium, dessen musterhafte Ruhe und Aufmerksamkeit ich nicht genug zu preisenwei, befnde sich doch ein Individuum, welches sich strend benimmt und durch seinungezogenes Lachen, Schwtzen, Scharren mit den Fen meine Aufmerksamkeit von meinerAufgabe abzieht. Ich erklre, da ich so nicht weiter vortragen kann, und daraufhin erhebensich einige krftige Mnner unter Ihnen und setzen den Strenfried nach kurzem Kampfe vordie Tr. Er ist also jetzt verdrngt und ich kann meinen Vortrag fortsetzen. Damit aber die

    Strung sich nicht wiederhole, wenn der Herausgeworfene versucht, wieder in den Saaleinzudringen, rcken die Herren, welche meinen Willen zur Ausfhrung gebracht haben, ihreSthle an die Tre an und etablieren sich so als Widerstand nach vollzogener Verdrngung.Wenn Sie nun noch die beiden Lokalitten hier als das Bewute und das Unbewute aufsPsychische bertragen, so haben Sie eine ziemlich gute Nachbildung des Vorgangs derVerdrngung vor sich.

    Sie sehen nun, worin der Unterschied unserer Auffassung von der J a n e t schen gelegen ist.Wir leiten die psychische Spaltung nicht von einer angeborenen Unzulnglichkeit zurSynthese des seelischen Apparats ab, sondern erklren sie dynamisch durch den Konfliktwiderstreitender Seelenkrfte, erkennen in ihr das Ergebnis eines aktiven Strubens der

    beiden psychischen Gruppierungen gegeneinander. Aus unserer Auffassung erheben sich nunneue Fragestellungen in groer Anzahl. Die Situation des psychischen Konflikts ist ja eineberaus[p. 23]hufige, ein Bestreben des Ichs, sich peinlicher Erinnerung zu erwehren, wird

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    ganz regelmig beobachtet, ohne da es zum Ergebnis einer seelischen Spaltung fhrt. Mankann den Gedanken nicht abweisen, da es noch anderer Bedingungen bedarf, wenn derKonflikt die Dissoziation zur Folge haben soll. Ich gebe Ihnen auch gern zu, da wir mit derAnnahme der Verdrngung nicht am Ende, sondern erst am Anfang einer psychologischenTheorie stehen, aber wir knnen nicht anders als schrittweise vorrcken und mssen die

    Vollendung der Erkenntnis weiterer und tiefer eindringender Arbeit berlassen.Unterlassen Sie auch den Versuch, den Fall der Patientin B r e u e r s unter die Gesichtspunkteder Verdrngung zu bringen. Diese Krankengeschichte eignet sich hiezu nicht, weil sie mitHilfe der hypnotischen Beeinflussung gewonnen worden ist. Erst, wenn Sie die Hypnoseausschalten, knnen Sie die Widerstnde und Verdrngungen bemerken und sich von demwirklichen pathogenen Vorgang eine zutreffende Vorstellung bilden. Die Hypnose verdecktden Widerstand und macht ein gewisses seelisches Gebiet frei zugnglich, dafr huft sie denWiderstand an den Grenzen dieses Gebietes zu einem Walle auf, der alles Weitereunzugnglich macht.

    Das Wertvollste, was wir aus der B r e u e r schen Beobachtung gelernt haben, waren dieAufschlsse ber den Zusammenhang der Symptome mit den pathogenen Erlebnissen oderpsychischen Traumen, und nun drfen wir nicht versumen, diese Einsichten vomStandpunkte der Verdrngungslehre zu wrdigen. Man sieht zunchst wirklich nicht ein, wieman von der Verdrngung aus zur Symptombildung gelangen kann. Anstatt eine kompliziertetheoretische Ableitung zu geben, will ich an dieser Stelle auf unser frher gebrauchtes Bildfr die Verdrngung zurckgreifen. Denken Sie daran, mit der Entfernung[p. 24]des strendenGesellen und der Niederlassung der Wchter vor der Tre braucht die Angelegenheit nichtbeendigt zu sein. Es kann sehr wohl geschehen, da der Herausgeworfene, der jetzt erbittertund ganz rcksichtslos geworden ist, uns weiter zu schaffen gibt. Er ist zwar nicht mehr unteruns, wir sind seine Gegenwart, sein hhnisches Lachen, seine halblauten Bemerkungen los

    geworden, aber in gewisser Hinsicht ist die Verdrngung doch erfolglos gewesen, denn erfhrt nun drauen einen unertrglichen Spektakel auf, und sein Schreien und mit den Fustenan die Tre Pochen hemmt meinen Vortrag mehr als frher sein unartiges Benehmen. Unterdiesen Verhltnissen wrden wir es mit Freuden begren mssen, wenn etwa unser verehrterPrsident Dr. S t a n l e y H a l l die Rolle des Vermittlers und Friedensstifters bernehmenwollte. Er wrde mit dem ungebrdigen Gesellen drauen sprechen und dann sich an uns mitder Aufforderung wenden, ihn doch wieder einzulassen, er bernehme die Garantie, da sich

    jener jetzt besser betragen werde. Auf Dr. H a l l s Autoritt hin entschlieen wir uns dazu,die Verdrngung wieder aufzuheben und nun tritt wieder Ruhe und Frieden ein. Es ist dieswirklich keine unpassende Darstellung der Aufgabe, die dem Arzt bei der psychoanalytischenTherapie der Neurosen zufllt.

    Um es jetzt direkter zu sagen: Wir kommen durch die Untersuchung der hysterisch Krankenund anderer Neurotiker zur berzeugung, da ihnen die Verdrngung der Idee, an welcherder unvertrgliche Wunsch hngt, m i l u n g e n ist. Sie haben sie zwar aus dem Bewutseinund aus der Erinnerung getrieben und sich anscheinend eine groe Summe Unlust erspart,a b e r i m U n b e w u t e n b e s t e h t d i e v e r d r n g t e W u n s c h r e g u n gw e i t e r , lauert auf eine Gelegenheit, aktiviert zu werden, und versteht es dann, eineentstellte und unkenntlich[p. 25] gemachte E r s a t z b i l d u n g fr das Verdrngte insBewutsein zu schicken, an welche sich bald dieselben Unlustempfindungen knpfen, dieman durch die Verdrngung erspart glaubte. Diese Ersatzbildung fr die verdrngte Idee das S y m p t o m ist gegen weitere Angriffe von Seiten des abwehrenden Ichs gefeit, und

    an Stelle des kurzen Konflikts tritt jetzt ein in der Zeit nicht endendes Leiden. An demSymptom ist neben den Anzeichen der Entstellung ein Rest von irgendwie vermittelterhnlichkeit mit der ursprnglich verdrngten Idee zu konstatieren; die Wege, auf denen sich

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    die Ersatzbildung vollzog, lassen sich whrend der psychoanalytischen Behandlung desKranken aufdecken, und zu seiner Heilung ist es notwendig, da das Symptom auf diesennmlichen Wegen wieder in die verdrngte Idee bergefhrt werde. Ist das Verdrngte wiederder bewuten Seelenttigkeit zugefhrt, was die berwindung betrchtlicher Widerstndevoraussetzt, so kann der so entstandene psychische K o n f l i k t , den der Kranke vermeiden

    wollte, unter der Leitung des Arztes einen besseren Ausgang finden, als ihn die Verdrngungbot. Es gibt mehrere solcher zweckmiger Erledigungen, welche Konflikt und Neurose zumglcklichen Ende fhren, im einzelnen Falle auch miteinander kombiniert erzielt werdenknnen. Entweder wird die Persnlichkeit des Kranken berzeugt, da sie den pathogenenWunsch mit Unrecht abgewiesen hat, und veranlat, ihn ganz oder teilweise zu akzeptieren,oder dieser Wunsch wird selbst auf ein hheres und darum einwandfreies Ziel geleitet (wasman seine S u b l i m i e r u n g heit), oder man erkennt seine Verwerfung als zu Rechtbestehend an, ersetzt aber den automatischen und darum unzureichenden Mechanismus derVerdrngung durch eine Verurteilung mit Hilfe der hchsten geistigen Leistungen desMenschen; man erreicht seine bewute Beherrschung.[p. 26]

    Verzeihen Sie mir, wenn es mir nicht gelungen ist, Ihnen diese Hauptgesichtspunkte der nunP s y c h o a n a l y s e genannten Behandlungsmethode klarer falich darzustellen. DieSchwierigkeiten liegen nicht nur in der Neuheit des Gegenstandes. Welcher Art dieunvertrglichen Wnsche sind, die sich trotz der Verdrngung aus dem Unbewutenvernehmbar zu machen verstehen, und welche subjektiven oder konstitutionellenBedingungen bei einer Person zutreffen mssen, damit sich ein solches Milingen derVerdrngung und eine Ersatz- oder Symptombildung vollziehe, darber werden noch einigesptere Bemerkungen Aufschlu geben.[p. 27]

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    III.

    Meine Damen und Herren! Es ist nicht immer leicht die Wahrheit zu sagen, besonders wennman kurz sein mu, und so bin ich heute gentigt, eine Unrichtigkeit zu korrigieren, die ich inmeinem letzten Vortrag vorgebracht habe. Ich sagte Ihnen, wenn ich unter Verzicht auf dieHypnose in meine Kranken drang, mir doch mitzuteilen, was ihnen zu dem eben behandeltenProblem einfiele; sie wten ja doch alles angeblich Vergessene, und der auftauchendeEinfall werde gewi das Gesuchte enthalten, so machte ich tatschlich die Erfahrung, da dernchste Einfall meines Kranken das richtige brachte und sich als die vergessene Fortsetzungder Erinnerung erwies. Nun, das ist nicht allgemein richtig; ich habe es nur der Abkrzunghalber so einfach dargestellt. In Wirklichkeit traf es nur die ersten Male zu, da sich dasrichtige Vergessene durch einfaches Drngen von meiner Seite einstellte. Setzte man dasVerfahren fort, so kamen jedesmal Einflle, die nicht die richtigen sein konnten, weil sie nichtpassend waren, und die die Kranken selbst als unrichtig verwarfen. Das Drngen brachte hierkeine weitere Hilfe, und man konnte wieder bedauern, die Hypnose aufgegeben zu haben.

    In diesem Stadium der Ratlosigkeit klammerte ich mich an ein Vorurteil, dessenwissenschaftliche Berechtigung Jahre spter durch meinen Freund C. G. J u n g in Zrich undseine Schler erwiesen wurde. Ich mu behaupten, es ist manchmal recht [p. 28] ntzlich,Vorurteile zu haben. Ich brachte eine hohe Meinung von der Strenge der Determinierungseelischer Vorgnge mit und konnte nicht daran glauben, da ein Einfall des Kranken, den erbei gespannter Aufmerksamkeit produzierte, ganz willkrlich und auer Beziehung zu dervon uns gesuchten vergessenen Vorstellung sei; da er mit dieser nicht identisch war, liesich aus der vorausgesetzten psychologischen Situation befriedigend erklren. In dembehandelten Kranken wirkten zwei Krfte gegen einander, einerseits sein bewutesBestreben, das in seinem Unbewuten vorhandene Vergessene ins Bewutsein zu ziehen,anderseits der uns bekannte Widerstand, der sich gegen solches Bewutwerden desVerdrngten oder seiner Abkmmlinge strubte. War dieser Widerstand gleich Null oder sehrgering, so wurde das Vergessene ohne Entstellung bewut; es lag also nahe, anzunehmen, dadie Entstellung des Gesuchten um so grer ausfallen werde, je grer der Widerstand gegendas Bewutwerden des Gesuchten sei. Der Einfall des Kranken, der anstatt des Gesuchtenkam, war also selbst entstanden wie ein Symptom; er war eine neue, knstliche und ephemereErsatzbildung fr das Verdrngte, und demselben um so unhnlicher, eine je grereEntstellung er unter dem Einflu des Widerstandes erfahren hatte. Er mute aber doch einegewisse hnlichkeit mit dem Gesuchten aufweisen, kraft seiner Natur als Symptom, und beinicht zu intensivem Widerstand mute es mglich sein, aus dem Einfall das verborgeneGesuchte zu erraten. Der Einfall mute sich zum verdrngten Element verhalten wie eine

    Anspielung, wie eine Darstellung desselben in i n d i r e k t e r Rede.Wir kennen auf dem Gebiete des normalen Seelenlebens Flle, in denen analoge Situationenwie die von uns angenommene auch hnliche Ergebnisse liefern. Ein solcher Fall ist der des [p.29] W i t z e s . Durch die Probleme der psychoanalytischen Technik bin ich denn auchgentigt worden, mich mit der Technik der Witzbildung zu beschftigen. Ich will Ihnen eineinziges solches Beispiel erlutern, brigens einen Witz in englischer Sprache.

    Die Anekdote erzhlt:[10] Zwei wenig skrupulsen Geschftsleuten war es gelungen, sichdurch eine Reihe recht gewagter Unternehmungen ein groes Vermgen zu erwerben, undnun ging ihr Bemhen dahin, sich der guten Gesellschaft aufzudrngen. Unter anderemerschien es ihnen als ein zweckmiges Mittel, sich von dem vornehmsten und teuersten

    Maler der Stadt, dessen Bilder als Ereignisse betrachtet wurden, malen zu lassen. Auf einergroen Soiree wurden die kostbaren Bilder zuerst gezeigt, und die beiden Hausherren fhrtenselbst den einflureichsten Kunstkenner und Kritiker zur Wand des Salons, auf welcher die

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    beiden Portraits nebeneinander aufgehngt waren, um ihm sein bewunderndes Urteil zuentlocken. Der sah die Bilder lange Zeit an, schttelte dann den Kopf, als ob er etwasvermissen wrde, und fragte blo, auf den freien Raum zwischen beiden Bildern deutend:And where is the Saviour? Ich sehe, Sie lachen alle ber diesen guten Witz, in dessenVerstndnis wir nun eindringen wollen. Wir verstehen, da der Kunstkenner sagen will: Ihr

    seid ein Paar Spitzbuben, wie die, zwischen denen man den Heiland ans Kreuz hngte. Aberer sagt es nicht, anstatt dessen uert er etwas, was zunchst sonderbar unpassend und nichtdazu gehrig scheint, was wir aber im nchsten Moment als eine A n s p i e l u n g auf die vonihm beabsichtigte Beschimpfung und als einen vollgltigen Ersatz fr dieselbe erkennen. Wirknnen nicht erwarten, da sich beim Witz alle die Verhltnisse widerfinden[p. 30]lassen, diewir bei der Entstehung des Einfalles bei unseren Patienten vermuten, aber auf die Identitt inder Motivierung von Witz und Einfall wollen wir Gewicht legen. Warum sagt unser Kritikerden beiden Spitzbuben nicht direkt, was er ihnen sagen mchte? Weil neben seinem Gelste,es ihnen unverhllt ins Gesicht zu sagen, sehr gute Gegenmotive in ihm wirksam sind. Es istnicht ungefhrlich, Leute zu beleidigen, bei denen man zu Gaste ist, und die ber diekrftigen Fuste einer zahlreichen Dienerschaft verfgen. Man kann leicht jenem Schicksal

    verfallen, das ich im vorigen Vortrag in eine Analogie mit der Verdrngung brachte. Ausdiesem Grunde bringt der Kritiker die beabsichtigte Beschimpfung nicht direkt, sondern inentstellter Form als eine Anspielung mit Auslassung zum Ausdruck, und dieselbeKonstellation verschuldet es nach unserer Meinung, da unser Patient, anstatt des gesuchtenVergessenen, einen mehr oder minder entstellten E r s a t z e i n f a l l produziert.

    [10]Der Witz und seine Beziehung zum Unbewuten. Fr. Deuticke, Wien 1905 (p. 59).

    Meine Damen und Herren! Es ist recht zweckmig, eine Gruppe von zusammengehrigen,mit Affekt besetzten Vorstellungselementen nach dem Vorgang der Z r i c h e r Schule(B l e u l e r , J u n g u. a.) als einen K o m p l e x zu bezeichnen. Wir sehen also, wenn wir

    bei einem Kranken, von dem letzten, was er noch erinnert, ausgehen, um einen verdrngtenKomplex zu suchen, so haben wir alle Aussicht, diesen zu erraten, wenn uns der Kranke einegengende Anzahl seiner freien Einflle zur Verfgung stellt. Wir lassen also den Krankenreden, was er will, und halten an der Voraussetzung fest, da ihm nichts anderes einfallenkann, als was in indirekter Weise von dem gesuchten Komplex abhngt. Erscheint Ihnendieser Weg, das Verdrngte aufzufinden, allzu umstndlich, so kann ich Ihnen wenigstens dieVersicherung geben, da er der einzig gangbare ist.[p. 31]

    Wenn wir diese Technik ausben, so werden wir noch durch die Tatsache gestrt, da derKranke hufig inne hlt, in Stockungen gert und behauptet, er wisse nichts zu sagen, es falleihm berhaupt nichts ein. Trfe dies zu und htte der Kranke recht, so wre unser Verfahrenwiederum als unzulnglich erwiesen. Allein eine feinere Beobachtung zeigt, da ein solchesVersagen der Einflle eigentlich nie eintritt. Dieser Anschein kommt nur dadurch zu stande,da der Kranke den wahrgenommenen Einfall unter dem Einflu der Widerstnde, die sich inverschiedene kritische Urteile ber den Wert des Einfalls kleiden, zurckhlt oder wiederbeseitigt. Man schtzt sich dagegen, indem man ihm dieses Verhalten vorhersagt und von ihmfordert, da er sich um diese Kritik nicht kmmere. Er soll unter vlligem Verzicht auf solchekritische Auswahl alles sagen, was ihm in den Sinn kommt, auch wenn er es fr unrichtig, frnicht dazu gehrig, fr unsinnig hlt, vor allem auch dann, wenn es ihm unangenehm ist, seinDenken mit dem Einfall zu beschftigen. Durch die Befolgung dieser Vorschrift sichern wiruns das Material, welches uns auf die Spur der verdrngten Komplexe fhrt.

    Dies Material von Einfllen, welche der Kranke geringschtzend von sich weist, wenn erunter dem Einflsse des Widerstandes anstatt unter dem des Arztes steht, stellt fr denPsychoanalytiker gleichsam das Erz dar, dem er mit Hilfe von einfachen Deutungsknstenseinen Gehalt an wertvollem Metall entzieht. Wollen Sie sich bei einem Kranken eine rasche

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    und vorlufige Kenntnis der verdrngten Komplexe schaffen, ohne noch auf derenAnordnung und Verknpfung einzugehen, so bedienen Sie sich dazu der Prfung mit demA s s o z i a t i o n s e x p e r i m e n t , w i e s i e J u n g [11] und seine Schler ausgebildet[p. 32]haben. Dies Verfahren leistet dem Psychoanalytiker so viel wie die qualitative Analyse demChemiker; es ist in der Therapie der neurotisch Kranken entbehrlich, unentbehrlich aber zur

    objektiven Demonstration der Komplexe und bei der Untersuchung der Psychosen, die vonder Zricher Schule so erfolgreich in Angriff genommen worden ist.

    [11]C. G. J u n g , Diagnostische Assoziationsstudien, I. Bd., 1906.

    Die Bearbeitung der Einflle, welche sich dem Patienten ergeben, wenn er sich derpsychoanalytischen Hauptregel unterwirft, ist nicht das einzige unserer technischen Mittel zurErschlieung des Unbewuten. Dem gleichen Zwecke dienen zwei andere Verfahren, dieDeutung seiner Trume und die Verwertung seiner Fehl- und Zufallshandlungen.

    Ich gestehe Ihnen, meine geehrten Zuhrer, da ich lange geschwankt habe, ob ich Ihnenanstatt dieser gedrngten bersicht ber das ganze Gebiet der Psychoanalyse nicht lieber eine

    ausfhrliche Darstellung der T r a u m d e u t u n g bieten soll. Ein rein subjektives undanscheinend sekundres Motiv hat mich davon zurckgehalten. Es erschien mir fast anstig,in diesem praktischen Zielen zugewendeten Lande als Traumdeuter aufzutreten, ehe Sienoch wissen konnten, auf welche Bedeutung diese veraltete und verspottete Kunst Ansprucherheben kann. Die Traumdeutung ist in Wirklichkeit die Via Regia zur Kenntnis desUnbewuten, die sicherste Grundlage der Psychoanalyse und jenes Gebiet, auf welchem jederArbeiter seine berzeugung zu gewinnen und seine Ausbildung anzustreben hat. Wenn ichgefragt werde, wie man Psychoanalytiker werden kann, so antworte ich, durch das Studiumseiner eigenen Trume. Mit richtigem Takt sind alle Gegner der Psychoanalyse bisher einerWrdigung der Traumdeutung[12] ausgewichen oder haben mit den seichtestenEinwendungen ber sie hinwegzukommen getrachtet.[p. 33] Wenn Sie im Gegenteile die

    Lsungen der Probleme des Traumlebens anzunehmen vermgen, werden Ihnen dieNeuheiten, welche die Psychoanalyse Ihrem Denken zumutet, keine Schwierigkeiten mehrbieten.

    [12]Die Traumdeutung, 2. Aufl., Fr. Deuticke, Wien 1909.

    Vergessen Sie nicht daran, da unsere nchtlichen Traumproduktionen einerseits die grteuere hnlichkeit und innere Verwandtschaft mit den Schpfungen der Geisteskrankheitenzeigen, anderseits aber mit der vollen Gesundheit des Wachlebens vertrglich sind. Es istkeine absurd klingende Behauptung, da, wer jenen normalen Sinnestuschungen,Wahnideen und Charakternderungen Verwunderung anstatt Verstndnis entgegenbringt,

    auch nicht die leiseste Aussicht hat, die abnormen Bildungen krankhafter Seelenzustndeanders als im laienhaften Sinne zu begreifen. Zu diesen Laien drfen Sie heute getrost fastalle Psychiater zhlen. Folgen Sie mir nun auf einem flchtigen Streifzug durch das Gebietder Traumprobleme.

    Wir pflegen, wenn wir erwacht sind, die Trume so verchtlich zu behandeln, wie der Patientdie Einflle, die der Psychoanalytiker von ihm fordert. Wir weisen sie aber auch von uns ab,indem wir sie in der Regel rasch und vollstndig vergessen. Unsere Geringschtzung grndetsich auf den fremdartigen Charakter selbst jener Trume, die nicht verworren und unsinnigsind, und auf die evidente Absurditt und Sinnlosigkeit anderer Trume; unsere Abweisungberuft sich auf die ungehemmt schamlosen und unmoralischen Strebungen, die in manchen

    Trumen offen zu Tage treten. Das Altertum hat diese Geringschtzung der Trumebekanntlich nicht geteilt. Die niederen Schichten unseres Volkes lassen sich in derWertschtzung der Trume auch heute nicht irre machen; sie erwarten von ihnen wie dieAlten die Enthllung der Zukunft.

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    Ich bekenne, da ich kein Bedrfnis nach mystischen Annahmen[p. 34] zur Ausfllung derLcken unserer gegenwrtigen Erkenntnis habe, und darum habe ich auch nie etwas findenknnen, was eine prophetische Natur der Trume besttigte. Es lt sich viel andersartiges,was auch wunderbar genug ist, ber die Trume sagen.

    Zunchst, nicht alle Trume sind dem Trumer wesensfremd, unverstndlich und verworren.Wenn Sie die Trume jngster Kinder, von 1 Jahren an, Ihrer Betrachtung unterziehenwollen, so finden sie dieselben ganz simpel und leicht aufzuklren. Das kleine Kind trumtimmer die Erfllung von Wnschen, die der Tag vorher in ihm erweckt und nicht befriedigthat. Sie bedrfen keiner Deutungskunst, um diese einfache Lsung zu finden, sondern nur derErkundigung nach den Erlebnissen des Kindes am Vortag (Traumtag). Es wre nun gewi diebefriedigendste Lsung des Traumrtsels, wenn auch die Trume der Erwachsenen nichtsanderes wren als die der Kinder, Erfllungen von Wunschregungen, die ihnen der Traumtaggebracht hat. So ist es auch in Wirklichkeit; die Schwierigkeiten, welche dieser Lsung imWege stehen, lassen sich durch eine eingehendere Analyse der Trume schrittweisebeseitigen.

    Da ist vor allem die erste und gewichtigste Einwendung, da die Trume Erwachsenergewhnlich einen unverstndlichen Inhalt haben, der am wenigsten etwas vonWunscherfllung erkennen lt. Die Antwort lautet hier: Diese Trume haben eineEntstellung erfahren; der psychische Vorgang, der ihnen zu Grunde liegt, htte ursprnglichganz anderen Ausdruck in Worten finden sollen. Sie mssen den m a n i f e s t e nT r a u m i n h a l t , wie Sie ihn am Morgen verschwommen erinnern und mhselig,anscheinend willkrlich, in Worte kleiden, unterscheiden von den l a t e n t e nT r a u m g e d a n k e n , die Sie im Unbewuten vorhanden anzunehmen haben. DieseTraumentstellung[p. 35] ist derselbe Vorgang, den Sie bei der Untersuchung der Bildunghysterischer Symptome kennen gelernt haben; sie weist auch darauf hin, da das gleiche

    Gegenspiel der seelischen Krfte bei der Traumbildung wie bei der Symptombildung beteiligtist. Der manifeste Trauminhalt ist der entstellte Ersatz fr die unbewuten Traumgedanken,und diese Entstellung ist das Werk von abwehrenden Krften des Ichs, Widerstnden, welcheden verdrngten Wnschen des Unbewuten den Zugang zum Bewutsein im Wachlebenberhaupt verwehren, in der Herabsetzung des Schlafzustandes aber wenigstens noch so starksind, da sie ihnen eine verhllende Vermummung aufntigen. Der Trumer erkennt dannden Sinn seiner Trume ebenso wenig wie der Hysterische die Beziehung und Bedeutungseiner Symptome.

    Da es latente Traumgedanken gibt und da zwischen ihnen und dem manifesten Trauminhaltwirklich die eben beschriebene Relation besteht, davon berzeugen Sie sich bei der Analyseder Trume, deren Technik mit der psychoanalytischen zusammenfllt. Sie sehen von demscheinbaren Zusammenhang der Elemente im manifesten Traum ganz ab und suchen sich dieEinflle zusammen, die sich bei freier Assoziation nach der psychoanalytischen Arbeitsregelzu jedem einzelnen Traumelement ergeben. Aus diesem Material erraten Sie die latentenTraumgedanken ganz so, wie Sie aus den Einfllen des Kranken zu seinen Symptomen undErinnerungen seine versteckten Komplexe erraten haben. An den so gefundenen latentenTraumgedanken ersehen Sie ohne weiteres, wie vollberechtigt die Rckfhrung der TrumeErwachsener auf die Kindertrume ist. Was sich jetzt als der eigentliche Sinn des Traumesdem manifesten Trauminhalt substituiert, das ist immer klar verstndlich, knpft an dieLebenseindrcke des Vortages an, erweist sich[p. 36] als eine Erfllung unbefriedigterWnsche. Den manifesten Traum, den Sie aus der Erinnerung beim Erwachen kennen,

    knnen Sie dann nur beschreiben als eine v e r k a p p t e Erfllung v e r d r n g t e rWnsche.

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    Sie knnen durch eine Art von synthetischer Arbeit jetzt auch Einsicht nehmen in den Proze,der die Entstellung der unbewuten Traumgedanken zum manifesten Trauminhaltherbeigefhrt hat. Wir heien diesen Proze die Traumarbeit. Derselbe verdient unservollstes theoretisches Interesse, weil wir an ihm wie sonst nirgends studieren knnen, welcheungeahnten psychischen Vorgnge im Unbewuten, oder genau ausgedrckt, z w i s c h e n

    zwei gesonderten psychischen Systemen wie dem Bewuten und dem Unbewuten, mglichsind. Unter diesen neu erkannten psychischen Vorgngen heben sich die derV e r d i c h t u n g und der V e r s c h i e b u n g auffllig heraus. Die Traumarbeit ist einSpezialfall der Einwirkungen verschiedener seelischer Gruppierungen aufeinander, also derErfolge der seelischen Spaltung, und sie scheint in allem Wesentlichen identisch mit jenerEntstellungsarbeit, welche die verdrngten Komplexe bei miglckender Verdrngung inSymptome verwandelt.

    Sie werden ferner bei der Analyse der Trume, am berzeugendsten Ihrer eigenen, mitVerwunderung die ungeahnt groe Rolle entdecken, welche Eindrcke und Erlebnisse frherJahre der Kindheit auf die Entwicklung des Menschen nehmen. Im Traumleben setzt das Kind

    im Menschen gleichsam seine Existenz mit Erhaltung all seiner Eigentmlichkeiten undWunschregungen, auch der im spteren Leben unbrauchbar gewordenen, fort. Mitunabweislicher Macht drngt sich Ihnen auf, durch welche Entwicklungen, Verdrngungen,Sublimierungen und Reaktionsbildungen aus dem ganz anders beanlagten[p. 37] Kind dersogenannt normale Mensch, der Trger und zum Teil das Opfer der mhsam errungenenKultur, hervorgeht.

    Auch darauf will ich sie aufmerksam machen, da wir bei der Analyse der Trume gefundenhaben, das Unbewute bediene sich, insbesondere fr die Darstellung sexueller Komplexe,einer gewissen Symbolik, die zum Teil individuell variabel, zum anderen Teil aber typischfestgelegt ist, und die sich mit der Symbolik zu decken scheint, die wir hinter unseren Mythen

    und Mrchen vermuten. Es wre nicht unmglich, da die letzteren Schpfungen der Vlkerihre Aufklrung vom Traume her empfangen knnten.

    Endlich mu ich Sie mahnen, da Sie sich nicht durch den Einwand irre machen lassen, dasVorkommen von Angsttrumen widerspreche unserer Auffassung des Traumes alsWunscherfllung. Abgesehen davon, da auch diese Angsttrume der Deutung bedrfen, eheman ber sie urteilen kann, mu man ganz allgemein sagen, da die Angst nicht so einfacham Trauminhalt hngt, wie mans sich ohne weitere Kenntnis und Rcksicht auf dieBedingungen der neurotischen Angst vorstellt. Die Angst ist eine der Ablehnungsreaktionendes Ichs gegen stark gewordene verdrngte Wnsche, und daher auch im Traume sehr guterklrlich, wenn die Traumbildung sich zu sehr in den Dienst der Erfllung dieserverdrngten Wnsche gestellt hat.

    Sie sehen, die Traumerforschung wre an sich durch die Aufschlsse gerechtfertigt, die sieber sonst schwer wibare Dinge liefert. Wir sind aber im Zusammenhange mit derpsychoanalytischen Behandlung der Neurotiker zu ihr gelangt. Nach dem bisher Gesagtenknnen Sie leicht verstehen, wie die Traumdeutung, wenn sie nicht durch die Widerstndedes Kranken allzu sehr erschwert wird, zur Kenntnis der versteckten und verdrngtenWnsche des Kranken und der von ihnen genhrten[p. 38]Komplexe fhrt, und ich kann zurdritten Gruppe von seelischen Phnomenen bergehen, deren Studium zum technischenMittel fr die Psychoanalyse geworden ist.

    Es sind dies die kleinen Fehlhandlungen normaler wie nervser Menschen, denen man sonst

    keine Bedeutung beizulegen pflegt, das Vergessen von Dingen, die sie wissen knnten undandere Male auch wirklich wissen (z. B. das zeitweilige Entfallen von Eigennamen), dasVersprechen in der Rede, das sich uns selbst so hufig ereignet, das analoge Verschreiben und

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    Verlesen, das Vergreifen bei Verrichtungen und das Verlieren oder Zerbrechen vonGegenstnden u. dgl., lauter Dinge, fr die man eine psychologische Determinierung sonstnicht sucht, und die man als zufllige Ergebnisse, als Erfolge der Zerstreutheit,Unaufmerksamkeit und hnlicher Bedingungen unbeanstandet passieren lt. Dazu kommennoch die Handlungen und Gesten, welche die Menschen ausfhren, ohne sie berhaupt zu

    bemerken, geschweige denn, da sie ihnen seelisches Gewicht beilegten, wie das Spielen,Tndeln mit Gegenstnden, das Summen von Melodien, das Hantieren am eigenen Krperund an dessen Bekleidung und hnliches.[13]Diese kleinen Dinge, die F e h l h a n d l u n g e nwie die S y m p t o m - und Zu f a l l s h a n d l u n g e n , sind nicht so bedeutungslos, wie mandurch eine Art von stillschweigendem bereinkommen anzunehmen bereit ist. Sie sinddurchaus sinnvoll, aus der Situation, in der sie vorfallen, meist leicht und sicher zu deuten,und es stellt sich heraus, da sie wiederum Impulsen und Absichten Ausdruck geben, diezurckgestellt, dem eigenen Bewutsein verborgen werden sollen, oder da sie geradezu dennmlichen verdrngten Wunschregungen und Komplexen entstammen, die wir[p. 39] bereitsals die Schpfer der Symptome und die Bildner der Trume kennen gelernt haben. Sieverdienen also die Wrdigung von Symptomen, und ihre Beachtung kann wie die der Trume

    zur Aufdeckung des Verborgenen im Seelenleben fhren. Mit ihrer Hilfe verrt der Mensch inder Regel die intimsten seiner Geheimnisse. Wenn sie besonders leicht und hufig zu standekommen, selbst beim Gesunden, dem die Verdrngung seiner unbewuten Regungen imganzen gut gelungen ist, so haben sie es ihrer Geringfgigkeit und Unscheinbarkeit zudanken. Aber sie drfen hohen theoretischen Wert beanspruchen, da sie uns die Existenz derVerdrngung und Ersatzbildung auch unter den Bedingungen der Gesundheit erweisen.

    [13]Zur Psychopathologie des Alltagslebens. 3. Aufl., 1910, S. K a r g e r , Berlin.

    Sie merken es bereits, da sich der Psychoanalytiker durch einen besonders strengen Glaubenan die Determinierung des Seelenlebens auszeichnet. Fr ihn gibt es in den psychischen

    uerungen nichts Kleines, nichts Willkrliches und Zuflliges, er erwartet berall dort eineausreichende Motivierung, wo man gewhnlich eine solche Forderung nicht erhebt; ja er istauf eine m e h r f a c h e M o t i v i e r u n g desselben seelischen Effekts vorbereitet, whrendunser angeblich eingeborenes Kausalbedrfnis sich mit einer einzigen psychischen Ursachefr befriedigt erklrt.

    Halten Sie nun zusammen, was wir an Mitteln zur Aufdeckung des Verborgenen,Vergessenen, Verdrngten im Seelenleben besitzen, das Studium der hervorgerufenenEinflle der Patienten bei freier Assoziation, ihrer Trume und ihrer Fehl- undSymptomhandlungen; fgen Sie noch hinzu die Verwertung anderer Phnomene, die sichwhrend der psychoanalytischen Behandlung ergeben, ber die ich spter unter demSchlagwort der bertragung einige Bemerkungen machen werde, so werden Sie mit mir zudem Schlusse kommen, da unsere Technik bereits[p. 40]wirksam genug ist, um ihre Aufgabelsen zu knnen, um das pathogene psychische Material dem Bewutsein zuzufhren und sodie durch die Bildung von Ersatzsymptomen hervorgerufenen Leiden zu beseitigen. Da wirwhrend der therapeutischen Bemhungen unsere Kenntnis vom Seelenleben der normalenund der kranken Menschen bereichern und vertiefen, kann gewi nur als ein besonderer Reizund Vorzug dieser Arbeit eingeschtzt werden.

    Ich wei nicht, ob Sie den Eindruck empfangen haben, da die Technik, durch deren Arsenalich Sie eben gefhrt habe, eine besonders schwierige ist. Ich meine, sie ist dem Gegenstande,den sie bewltigen soll, durchaus angemessen. Aber so viel ist sicher, da sie nichtselbstverstndlich ist, da sie erlernt werden mu wie die histologische oder die chirurgische.Es wird Sie vielleicht verwundern, zu hren, da wir in Europa eine Menge von Urteilen berdie Psychoanalyse von Personen gehrt haben, die von dieser Technik nichts wissen und sienicht anwenden, und dann von uns wie im Hohne verlangten, wir sollten ihnen die Richtigkeit

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    unserer Resultate beweisen. Es sind unter diesen Widersachern gewi auch Personen, denenwissenschaftliche Denkweise sonst nicht fremd ist, die z. B. ein Ergebnis mikroskopischerUntersuchung nicht darum verwerfen wrden, weil es am anatomischen Prparat nicht mitfreiem Auge zu besttigen ist, und nicht eher, als bis sie den Sachverhalt selbst mit Hilfe desMikroskops beurteilt haben. Aber in Sachen der Psychoanalyse liegen die Verhltnisse

    wirklich ungnstiger fr die Anerkennung. Die Psychoanalyse will das im SeelenlebenVerdrngte zur bewuten Anerkennung bringen, und jeder, der sie beurteilt, ist selbst einMensch, der solche Verdrngungen besitzt, vielleicht sie nur mhsam aufrecht erhlt. Siemu also bei ihm denselben Widerstand hervorrufen, den sie bei[p. 41]den Kranken weckt,und dieser Widerstand hat es leicht, sich in intellektuelle Ablehnung zu verkleiden undArgumente herbeizuziehen, hnlich wie die, welche wir bei unseren Kranken mit derpsychoanalytischen Grundregel abwehren. Wie bei unseren Kranken, so knnen wir auch beiunseren Gegnern hufig eine sehr auffllige affektive Beeinflussung des Urteilsvermgens imSinne einer Herabsetzung konstatieren. Der Dnkel des Bewutseins, der z. B. den Traum sogeringschtzig verwirft, gehrt zu den strksten Schutzeinrichtungen, die in uns ganzallgemein gegen das Durchdringen der unbewuten Komplexe vorgesehen sind, und darum

    ist es so schwierig, die Menschen zur berzeugung von der Realitt des Unbewuten zubringen und sie Neues kennen zu lehren, was ihrer bewuten Kenntnis widerspricht.[p. 42]

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    IV.

    Meine Damen und Herren! Sie werden nun zu wissen verlangen, was wir mit Hilfe derbeschriebenen technischen Mittel ber die pathogenen Komplexe und verdrngtenWunschregungen der Neurotiker in Erfahrung gebracht haben.

    Nun vor allem eines: Die psychoanalytische Forschung fhrt mit wirklich berraschenderRegelmigkeit die Leidenssymptome der Kranken auf Eindrcke aus ihrem Liebeslebenzurck, zeigt uns, da die pathogenen Wunschregungen von der Natur erotischerTriebkomponenten sind, und ntigt uns anzunehmen, da Strungen der Erotik die grteBedeutung unter den zur Erkrankung fhrenden Einflssen zugesprochen werden mu, unddies zwar bei beiden Geschlechtern.

    Ich wei, diese Behauptung wird mir nicht gerne geglaubt. Selbst solche Forscher, die meinenpsychologischen Arbeiten bereitwillig folgen, sind geneigt zu meinen, da ich dentiologischen Anteil der sexuellen Momente berschtze, und wenden sich an mich mit der

    Frage, warum denn nicht auch andere seelische Erregungen zu den beschriebenenPhnomenen der Verdrngung und Ersatzbildung Anla geben sollen. Nun ich kannantworten: Ich wei nicht, warum sie es nicht sollten, habe auch nichts dagegen, aber dieErfahrung zeigt, da sie solche Bedeutung nicht haben, da sie hchstens die Wirkung dersexuellen Momente untersttzen, nie aber die letzteren ersetzen knnen. Dieser[p. 43]Sachverhalt wurde von mir nicht etwa theoretisch postuliert; noch in den 1895 mitDr. J. B r e u e r publizierten Studien ber Hysterie stand ich nicht auf diesem Standpunkte;ich mute mich zu ihm bekehren, als meine Erfahrungen zahlreicher wurden und tiefer in denGegenstand eindrangen. Meine Herren! Es befinden sich hier unter Ihnen einige meinernchsten Freunde und Anhnger, die die Reise nach Worcester mit mir gemacht haben.Fragen Sie bei ihnen an und Sie werden hren, da sie alle der Behauptung von der

    magebenden Bedeutung der sexuellen tiologie zuerst vollen Unglauben entgegenbrachten,bis sie durch ihre eigenen analytischen Bemhungen gentigt wurden, sie zu der ihrigen zumachen.

    Die berzeugung von der Richtigkeit des in Rede stehenden Satzes wird durch dasBenehmen der Patienten nicht gerade erleichtert. Anstatt uns die Ausknfte ber ihrSexualleben bereitwillig entgegenzubringen, suchen sie dieses mit allen Mitteln zu verbergen.Die Menschen sind berhaupt nicht aufrichtig in sexuellen Dingen. Sie zeigen ihre Sexualittnicht frei, sondern tragen eine dicke Oberkleidung aus Lgengewebe zu ihrer Verhllung,als ob es schlechtes Wetter gbe in der Welt der Sexualitt. Und sie haben nicht unrecht,Sonne und Wind sind in unserer Kulturwelt der sexuellen Bettigung wirklich nicht gnstig;

    eigentlich kann niemand von uns seine Erotik frei den anderen enthllen. Wenn Ihre Patientenaber erst gemerkt haben, da sie sichs in Ihrer Behandlung behaglich machen drfen, dannlegen sie jene Lgenhlle ab, und dann erst sind Sie in der Lage, sich ein Urteil ber unsereStreitfrage zu bilden. Leider sind auch die rzte in ihrem persnlichen Verhltnis zu denFragen des Sexuallebens vor anderen Menschenkindern nicht bevorzugt, und viele von ihnenstehen unter dem Banne jener Vereinigung von Prderie und Lsternheit,[p. 44] welche dasVerhalten der meisten Kulturmenschen in Sachen der Sexualitt beherrscht.

    Lassen Sie uns nun in der Mitteilung unserer Ergebnisse fortfahren. In einer anderen Reihevon Fllen fhrt die psychoanalytische Erforschung die Symptome allerdings nicht aufsexuelle, sondern auf banale traumatische Erlebnisse zurck. Aber diese Unterscheidung wird

    durch einen anderen Umstand bedeutungslos. Die zur grndlichen Aufklrung undendgltigen Herstellung eines Krankheitsfalles erforderliche Analysenarbeit macht nmlich inkeinem Falle bei den Erlebnissen der Erkrankungszeit Halt, sondern sie geht in allen Fllen

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    bis in die Pubertt und in die frhe Kindheit des Erkrankten zurck, um erst dort auf die frdie sptere Erkrankung bestimmenden Eindrcke und Vorflle zu stoen. Erst die Erlebnisseder Kindheit geben die Erklrung fr die Empfindlichkeit gegen sptere Traumen, und nurdurch die Aufdeckung und Bewutmachung dieser fast regelmig vergessenenErinnerungsspuren erwerben wir die Macht zur Beseitigung der Symptome. Wir gelangen

    hier zu dem gleichen Ergebnis wie bei der Erforschung der Trume, da es dieunvergnglichen, verdrngten Wunschregungen der Kindheit sind, die ihre Macht zurSymptombildung geliehen haben, ohne welche die Reaktion auf sptere Traumen normalverlaufen wre. Diese mchtigen Wunschregungen der Kindheit drfen wir aber ganzallgemein als sexuelle bezeichnen.

    Jetzt bin ich aber erst recht Ihrer Verwunderung sicher. Gibt es denn eine infantile Sexualitt?werden Sie fragen. Ist das Kindesalter nicht vielmehr die Lebensperiode, die durch das Fehlendes Sexualtriebes ausgezeichnet ist? Nein, meine Herren, es ist gewi nicht so, da derSexualtrieb zur Puberttszeit in die Kinder fhrt, wie im Evangelium der Teufel[p. 45]in dieSue. Das Kind hat seine sexuellen Triebe und Bettigungen von Anfang an, es bringt sie mit

    auf die Welt, und aus ihnen geht durch eine bedeutungsvolle, an Etappen reiche Entwicklungdie sogenannte normale Sexualitt des Erwachsenen hervor. Es ist nicht einmal schwer, dieuerungen dieser kindlichen Sexualbettigung zu beobachten; es gehrt vielmehr einegewisse Kunst dazu, sie zu bersehen oder wegzudeuten.

    Durch die Gunst des Schicksals bin ich in die Lage versetzt, einen Zeugen fr meineBehauptungen aus Ihrer Mitte selbst anzurufen. Ich zeige Ihnen hier die Arbeit einesDr. S a n f o r d B e l l , die 1902 im American Journal of Psychology abgedruckt wordenist. Der Autor ist ein Fellow der Clark University, desselben Instituts, in dessen Rumen wir

    jetzt stehen. In dieser Arbeit, betitelt: A preliminary study of the emotion of love between thesexes, die drei Jahre vor meinen Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie erschienen ist, sagt

    der Autor ganz so, wie ich Ihnen eben sagte: The emotion of sex-love.... does not make itsappearance for the first time at the period of adolescence, as has been thought. Er hat, wie wirin Europa sagen wrden, im amerikanischen Stil gearbeitet; nicht weniger als 2500 positiveBeobachtungen im Laufe von 15 Jahren gesammelt, darunter 800 eigene. Von den Zeichen,durch die sich diese Verliebtheiten kundgeben, uert er: The unprejudiced mind in observingthese manifestations in hundreds of couples of children cannot escape referring them to sexorigin. The most exacting mind is satisfied when to these observations are added theconfessions of those who have as children, experienced the emotion to a marked degree ofintensity, and whose memories of childhood are relatively distinct. Am meisten aber werdendiejenigen von Ihnen, die an die infantile Sexualitt nicht glauben wollten, berrascht sein zuhren, da unter[p. 46]diesen frh verliebten Kindern nicht wenige sich im zarten Alter von

    drei, vier und fnf Jahren befinden.Ich wrde mich nicht wundern, wenn Sie diesen Beobachtungen eines engsten Landsmanneseher Glauben schenken wrden als den meinigen. Mir selbst ist es vor kurzem geglckt, ausder Analyse eines fnfjhrigen, an Angst leidenden Knaben, die dessen eigener Vaterkunstgerecht mit ihm vorgenommen,[14] ein ziemlich vollstndiges Bild der somatischenTriebuerungen und der seelischen Produktionen auf einer frhen Stufe des kindlichenLiebeslebens zu gewinnen. Und ich darf Sie daran erinnern, da mein FreundDr. C. G. J u n g Ihnen in diesem Saale vor wenigen Stunden die Beobachtung eines noch

    jngeren Mdchens vorlas, welches aus dem gleichen Anla wie mein Patient bei derGeburt eines Geschwisterchens fast die nmlichen sinnlichen Regungen, Wunsch- und

    Komplexbildungen, mit Sicherheit erraten lie. Ich verzweifle also nicht daran, da Sie sichmit der anfnglich befremdlichen Idee der infantilen Sexualitt befreunden werden, undmchte Ihnen noch das rhmliche Beispiel des Zricher Psychiaters E. B l e u l e r vorhalten,

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    der noch vor wenigen Jahren ffentlich uerte, er stehe meinen sexuellen Theorien ohneVerstndnis gegenber, und seither die infantile Sexualitt in ihrem vollen Umfang durcheigene Beobachtungen besttigt hat.[15]

    [14] Analyse der Phobie eines fnfjhrigen Knaben. Jahrbuch fr psychoanalyt. undpsychopathologische Forschungen. Bd. I, 1. Hlfte, 1909.

    [15] B l e u l e r , Sexuelle Abnormitten der Kinder. Jahrbuch der schweiz. Gesellschaft frSchulgesundheitspflege, IX, 1908.

    Wenn die meisten Menschen, rztliche Beobachter oder andere, vom Sexualleben des Kindesnichts wissen wollen, so ist dies nur zu leicht erklrlich. Sie haben ihre eigene infan[p. 47]tileSexualbettigung unter dem Drucke der Erziehung zur Kultur vergessen und wollen nun andas Verdrngte nicht erinnert werden. Sie wrden zu anderen berzeugungen gelangen, wennsie die Untersuchung mit einer Selbstanalyse, einer Revision und Deutung ihrerKindheitserinnerungen beginnen wrden.

    Lassen Sie die Zweifel fallen und gehen Sie mit mir an eine Wrdigung der infantilenSexualitt von den frhesten Jahren an.[16]Der Sexualtrieb des Kindes erweist sich als hochzusammengesetzt, er lt eine Zerlegung in viele Komponenten zu, die aus verschiedenenQuellen stammen. Er ist vor allem noch unabhngig von der Funktion der Fortpflanzung, inderen Dienst er sich spter stellen wird. Er dient der Gewinnung verschiedener Arten vonLustempfindung, die wir nach Analogien und Zusammenhngen als Sexuallustzusammenfassen. Die Hauptquelle der infantilen Sexuallust ist die geeignete Erregungbestimmter, besonders reizbarer Krperstellen, auer den Genitalien, der Mund-, After- undHarnrhrenffnung, aber auch der Haut und anderer Sinnesoberflchen. Da in dieser erstenPhase des kindlichen Sexuallebens die Befriedigung am eigenen Krper gefunden und voneinem fremden Objekt abgesehen wird, heien wir die Phase nach einem von H a v e l o c k

    E l l i s geprgten Wort die des A u t o e r o t i s m u s . Jene fr die Gewinnung von sexuellerLust bedeutsamen Stellen nennen wir e r o g e n e Z o n e n . Das Ludeln oder Wonnesaugender kleinsten Kinder ist ein gutes Beispiel einer solchen autoerotischen Befriedigung voneiner erogenen Zone aus; der erste wissenschaftliche Beobachter dieses Phnomens, einKinderarzt namens L i n d n e r in Budapest, hat es bereits richtig als Sexualbefriedigung[p. 48]gedeutet und dessen bergang in andere und hhere Formen der Sexualbettigungerschpfend beschrieben.[17] Eine andere Sexualbefriedigung dieser Lebenszeit ist diemasturbatorische Erregung der Genitalien, die eine so groe Bedeutung fr das sptere Lebenbehlt und von vielen Individuen berhaupt nie vllig berwunden wird. Neben diesen undanderen autoerotischen Bettigungen uern sich sehr frhzeitig beim Kinde jeneTriebkomponenten der Sexuallust oder, wie wir gern sagen, der Libido, die eine fremde

    Person als Objekt zur Voraussetzung nehmen. Diese Triebe treten in Gegensatzpaaren auf, alsaktive und passive; ich nenne Ihnen als die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe die Lust,Schmerzen zu bereiten (Sadismus), mit ihrem passiven Gegenspiel (Masochismus), und dieaktive und passive Schaulust, von welch ersterer spter die Wibegierde abzweigt, wie vonletzterer der Drang zur knstlerischen und schauspielerischen Schaustellung. AndereSexualbettigungen des Kindes fallen bereits unter den Gesichtspunkt der O b j e k t w a h l ,bei welcher eine fremde Person zur Hauptsache wird, die ihre Bedeutung ursprnglichRcksichten des Selbsterhaltungstriebes verdankt. Der Geschlechtsunterschied spielt aber indieser kindlichen Periode noch keine ausschlaggebende Rolle; Sie knnen so jedem Kinde,ohne ihm Unrecht zu tun, ein Stck homosexueller Begabung zusprechen.

    [16]Drei Vorlesungen zur Sexualtheorie, Wien, Fr. Deuticke, 1906, 2. Auflage, 1910.[17]Jahrbuch fr Kinderheilkunde, 1879.

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    Dies zerfahrene, reichhaltige, aber dissoziierte Sexualleben des Kindes, in welchem dereinzelne Trieb unabhngig von jedem anderen dem Lusterwerbe nachgeht, erfhrt nun eineZusammenfassung und Organisation nach zwei Hauptrichtungen, so da mit Abschlu derPuberttszeit der definitive Sexualcharakter des Individuums meist fertig ausgebildet ist.Einerseits unterordnen sich die einzelnen Triebe der Oberherrschaft der Genitalzone,[p. 49]

    wodurch das ganze Sexualleben in den Dienst der Fortpflanzung tritt, und ihre Befriedigungnur noch als Vorbereitung und Begnstigung des eigentlichen Sexualaktes von Bedeutungbleibt. Anderseits drngt die Objektwahl den Autoerotismus zurck, so da nun imLiebesleben alle Komponenten des Sexualtriebes an der geliebten Person befriedigt werdenwollen. Aber nicht alle ursprnglichen Triebkomponenten werden zu einem Anteil an dieserendgltigen Feststellung des Sexuallebens zugelassen. Noch vor der Puberttszeit sind unterdem Einflu der Erziehung uerst energische Verdrngungen gewisser Triebe durchgesetztund seelische Mchte wie Scham, Ekel, Moral hergestellt worden, welche dieseVerdrngungen wie Wchter unterhalten. Kommt dann im Puberttsalter die Hochflut dersexuellen Bedrftigkeit, so findet sie an den genannten seelischen Reaktions- oderWiderstandsbildungen Dmme, welche ihr den Ablauf in die sogenannten normalen Wege

    vorschreiben und es ihr unmglich machen, die der Verdrngung unterlegenen Triebe neu zubeleben. Es sind besonders die k o p r o p h i l e n , d. h. die mit den Exkrementenzusammenhngenden Lustregungen der Kindheit, welche von der Verdrngung amgrndlichsten betroffen werden, und ferner die Fixierung an die Personen der primitivenObjektwahl.

    Meine Herren! Ein Satz der allgemeinen Pathologie sagt aus, da jeder Entwicklungsvorgangdie Keime der pathologischen Disposition mit sich bringt, insofern er gehemmt, verzgertwerden oder unvollkommen ablaufen kann. Dasselbe gilt fr die so komplizierte Entwicklungder Sexualfunktion. Sie wird nicht bei allen Individuen glatt durchgemacht und hinterltdann entweder Abnormitten oder Dispositionen zu spterer Erkrankung auf dem Wege der

    Rckbildung (Regression). Es kann geschehen, da nicht alle Partialtriebe sich der [p. 50]Herrschaft der Genitalzone unterwerfen; ein solcher unabhngig gebliebener Trieb stellt danndas her, was wir eine P e r v e r s i o n nennen, und was das normale Sexualziel durch seineigenes ersetzen kann. Es kommt, wie bereits erwhnt, sehr hufig vor, da derAutoerotismus nicht vllig berwunden wird, wovon die mannigfaltigsten Strungen in derFolge Zeugnis ablegen. Die ursprngliche Gleichwertigkeit beider Geschlechter alsSexualobjekte kann sich erhalten, und daraus wird sich eine Neigung zur homosexuellenBettigung im reifen Leben ergeben, die sich unter Umstnden zur ausschlielichenHomosexualitt steigern kann. Diese Reihe von Strungen entspricht den direktenEntwicklungshemmungen der Sexualfunktion; sie umfat die P e r v e r s i o n e n und den garnicht seltenen allgemeinen I n f a n t i l i s m u s des Sexuallebens.

    Die Disposition zu den Neurosen ist auf andere Weise von einer Schdigung derSexualentwicklung abzuleiten. Die Neurosen verhalten sich zu den Perversionen wie dasNegativ zum Positiv; in ihnen sind dieselben Triebkomponenten