Ueber die Nobili'schen Farbenringe und verwandte electrochemische Erscheinungen

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Nobili’sche Rinye. 331 VIII. Ueber dik? Nob&?Vschen, Parbemr4nye zcnd verwandte electrochembche Bi*sched~mngen; vm A. Elsas. (Aus den Sitzungsber. der Gesellschaft z. Befdrd. d. ges. Katurwissen- sehaften zu Marburg vom 18. Juni 1886 mitgetheilt vom Hrn. Verf.) Eine Reihe von Experimentaluntersuchungen, die den Gegenstand einer spateren Veroffentlichung bilden werden, haben mich zu Erscheinungen gefiihrt, welche mit den No- bili’schen Ringen und den GUS: bhard’schen Farbencurven theoretisch verwandt sind. Im Verlaufe dieser Untersuchungen drgngte sich mir die Ueberzeugung auf, dass die von W. Voigt gegebene Theorie der Gukbhard’schen Figuren in einem Punkte der Berich- tigung bediirfe, oder dass wenigstens eine Auffassung des Problems moglich sein miisse , welche den Aeusserungen des Hrn. GuBbhard iiber die Natur seiner Curven ge- recht wird. Hr. GuB bhrtrd sagte, dass dieselben die Potentiallinien darstellen , welche der Ausbreitung eines durch mehrere drahtformige , senkrecht auf eine leitende Platte aufgevetzte Electroden fliessenden electrischen Stromes in dieser Platte entsprechen. ,,Stellt man einer horizontalen, sehr diinnen, genau durch die W ande einer electrolytischen Zelle begrenz- ten Metallplatte eine beliebige Anzahl verticaler cylindrischer Electroden gegeniiber , so stellen die entstehenden Farben- curven mit sehr grosser Annaherung das theoretische System der aquipotentiellen Linien dar, welches sich ergeben wurde, wenn man dieselben Electroden direct auf eine durch die gleichen Grenzen begrenzte leitende Ebene aufsetzte.‘L Die Berechtigung dieser Auffassung ist es , welche im Jahre 1882 fast gleichzeitig von den Herren E. Mach’) und W. V oi g t z, bestritten wurde. Es sollen die Farbencurven des Hrn. Gu i: b h a r d nicht Aequipotentiallinien , sondern _____ 1) E. Mach, Wied. Ann. 15. p. 858. 1852. 2) W. Voigt, Wied. Ann. 17. p. 257. 1852.

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Nobili’sche Rinye. 331

VIII. Ueber dik? Nob&?Vschen, Parbemr4nye zcnd verwandte electrochembche Bi*sched~mngen;

v m A. E l s a s . (Aus den Sitzungsber. der Gesellschaft z. Befdrd. d. ges. Katurwissen-

sehaften zu Marburg vom 18. Juni 1886 mitgetheilt vom Hrn. Verf.)

Eine Reihe von Experimentaluntersuchungen, die den Gegenstand einer spateren Veroffentlichung bilden werden, haben mich zu Erscheinungen gefiihrt, welche mit den N o - bili’schen Ringen und den GUS: bhard’schen Farbencurven theoretisch verwandt sind.

Im Verlaufe dieser Untersuchungen drgngte sich mir die Ueberzeugung auf, dass die von W. V o i g t gegebene Theorie der Gukbhard’schen Figuren in einem Punkte der Berich- tigung bediirfe, oder dass wenigstens eine Auffassung des Problems moglich sein miisse , welche den Aeusserungen des Hrn. GuBbhard iiber die Natur seiner Curven ge- recht wird.

Hr. GuB bhrtrd sagte, dass dieselben die Potentiallinien darstellen , welche der Ausbreitung eines durch mehrere drahtformige , senkrecht auf eine leitende Platte aufgevetzte Electroden fliessenden electrischen Stromes in dieser Platte entsprechen. ,,Stellt man einer horizontalen, sehr diinnen, genau durch die W ande einer electrolytischen Zelle begrenz- ten Metallplatte eine beliebige Anzahl verticaler cylindrischer Electroden gegeniiber , so stellen die entstehenden Farben- curven mit sehr grosser Annaherung das theoretische System der aquipotentiellen Linien dar, welches sich ergeben wurde, wenn man dieselben Electroden direct auf eine durch die gleichen Grenzen begrenzte leitende Ebene aufsetzte.‘L

Die Berechtigung dieser Auffassung ist es , welche im Jahre 1882 fast gleichzeitig von den Herren E. Mach’) und W. V oi g t z, bestritten wurde. Es sollen die Farbencurven des Hrn. G u i: b h a r d nicht Aequipotentiallinien , sondern _____

1 ) E. Mach , Wied. Ann. 15. p. 858. 1852. 2) W. Voigt , Wied. Ann. 17. p. 257. 1852.

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Linien gleiclier Intensitat des in die Platte eintretenden Stromes sein, und nicht der Ausbreitung eines Stromes in einer Ebene, sondern einer Stromung, welche sich in einem korperlichen Leiter verbreitet, entsprechen, wie bei N o h i l i’s Versuchen. Das letztere ist nsturlich unbestreitbar.

Hr. Voig t hat auf Grund dieser Anschauung, unter Voraussetzung punktformiger Electroden iiber der Metall- platte , die mathematische Theorie einer solchen Stromver- theilung gegeben und auch durch Versuche zu zeigen gesuclit I),

dass die chemischen Figuren mehr dieser Theorie als der GuBbhard’schen Anscliauung entsprechen. Wahrend Hr. V o i g t besonders den tlieoretischen Irrthum GuBb ha rd ’ s betont, bemuht sich Hr. M a c h , zu zeigen, dass die Farben- curven trotz desselben mit grosser Annaheriing die Niveau- linien fur die Stromung in einer ebenen Platte darstellen.

Die Rechnungen, welche Hr. Voig t durchgefiihrt hat, sind ebenso zweifellos richtig, wie seine theoretische Grund- anschauung. Indessen bestreitet Hr. Gui: bha r d 2), dass die Grenzbedingungen , welche derselbe neben die sogenannte L a p l a c e’sche Ditferentialgleichung stellt, der Versuchsan- ordnung entsprechen. Es konne also die Theorie seines Gegners nicht auf die Experimente bezogen werden.

I m Folgenden werde ich versuchen, dass mathematische Problem, zu welchem Q u 6 b h a r d’s Versuche fuhren, correct zu formuliren.

Wir haben uns vorzustellen, dass auf eine ebene, durch nichtleitende Wande begrenzte leitende Platte eine electro- lytische Flussigkeit geschichtet ist, und dass in den Electro- lyten Drahte als Electroden tauchen und zwar so, dass die Enden derselben nicht blos die Oberflache der Flussigkeit beriihren. Die Platte konnen wir uns nach Belieben mit einem Batteriepol verbunden denken oder nicht. Wir wollen aber das Experiment in der einfachsten Weise angestellt denken und lassen deshalb die Platte ohne directe Vcrbin- dung mit der Batterie; auch nehmen wir vorlaufig nur zwei

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1) W. Voigt , Wictd. Ann. 19. p. 183. 1883. 2) A. Guhbhard , Wied. Ann. 18. p. 366. 1882.

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EIectrodendrHhte an, eine Anode und eine Kathode. Suchen wir nun die Potentialfunction, welche dieser Anordnung der Leiter entspricht, so haben wir nach Vo ig t eine Function V derart zu bestimmen, dass sie der Differentialgleichung:

geniigt, fur solche Werthe der Coordinaten, welche Punkten der Fliissigkeit entsprechen, eindeutig und stetig ist, nur an den Zuleitungsstellen unendlich wird und folgende Bedingungs- gleichungen erfullt:

wenn die xy-Ebene mit der Oberflache der Platte zusammen- fallt, und 6 die Hohe der Fliissigkeit bedeutet, z = 6 also die Gleichung der freien Oberflache derselben ist; ferner an den Wanden des Troges, in der Richtung der Normalen n:

(3) a v a,; = 0.

Ueberdies nimmt Hr. V o i g t an, dass die Oberflache der Metallplatte eine Flache constanten Potentials sei, und setzt den Werth der Potentialfunction in derselben gleich Null. Qegen diese dritte Bedingung: (4) V = O fur z = 0

verwahrt sich Hr. GuBbhard . Wir werden sehen, mit wel- chem Recht.

Die Annahme, dass ein electrischer Strom, welcher aus einer metallischen Electrode in eine electrolytische Fliissig- keit tritt und aus dieser wieder in einen metallischen Leiter geht, iiberall in der Richtung der Normalen der Oberflache in den guten Leiter einstromt, ist mit der Voigt’schen Vor- aussetzung gleichbedeutend. Man darf in vielen Fallen diese Annahme machen, um das Problem zu vereinfachen, nament- lich dann, wenn dtts Leitungsvermogen des Metalles sehr gross ist im Vergleich zu der LeitungsfAhigkeit des Elec- trolyten.

R i e m a n n macht stillschweigend von dieser vereinfachen- den Hypothese Gebrauch in seiner Theorie der N o bili’schen

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Farbenringe. I) Andere Forscher, welche das R i e m a n n'sche Problem erweiterten, behielten die Grenzbedingung (4) bei. Hr. H. Weber2) gibt aber in seinen grundlegenden Arbeiten iiber die Anwendung B e s s el'scher Functionen auf electrische Striime Rechenschaft dariiber, inwiefern dieselbe zulasaig ist. Wenn das Leitungsvermogen des Electrolyten sehr klein ist im Vergleiche zu dem der Electroden, sind ,,die Schwan- kungen der Spttnnung im Inneren der Electroden verschwin- dend klein gegeniiber denen in den nngrenzenden Theilen des schlechten Leiters, und man kann daher mit grosser An- naherung die Spannung an der Oberflache der Electroden constant setZen." An einer anderen Stelle 9, betrachtet Hr. W e b e r die StrGmung in einem aus unendlich benachbarten Stromungslinien gebildeten Kanal, der aus dem einen Leiter in den anderen hinuberfiihrt. Dabei gelangt er zu folgen- dem Resultat: ,,Wenn nicht infolge der Gestalt des guten Leiters eine ausserordentliche Zusammenziehung der Stro- mungskanale nothwendig wird, so darf die Spannung in dem vorwiegend guten Leiter als constant angesehen werden. Ein Fall, in dem dies nicht immer gestattet sein wird, tritt z. €3. ein, wenn ein dunner Draht sich in einer ausgedehnten Flus- sigkeitsruasse befindet.''

Auf Grund dieser Retrachtung kann man ohne weiteres sagen, dass die Berechtigung, bei der Theorie der G u k b - hard'schen Figuren in der Oberflache der Metallplatte V= 0 zu setzen, mindestens zweifelhaft ist. Nicht einmal bei R i e- mann ' s Problem darf man diese Bedingungsgleichung ohne weiteres beibehalten, wenn man nicht entsprechende Ver- suchsanordnungen zu schaffen im Stande ist. Deshalb hat Hr. W i Id 4, einen neuen, einwandfreien Weg eingeschlagen, die Theorie der Kobili 'schen Ringe zu behandeln, indem er die Stromverbreitung in zwei aufeinander geschichteten Platten von verschiedenem Leitungsvermogen untersuchte und

~

1 ) Riemann, Pogg. Ann. 96. p. 130. 1855. 21 H. W e b e r , Borchardt's Journ. f. Math. 76. p. 75. 1872. 3) H. W e b e r , Borchardt's Journ. f. Math. 76. p. 1. 1873. 4) H. W i l d , Neue Denkschr. d. allg. Schweizer. Ges. f. ges. Naturm.

15. 1867.

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annahm, dass der Strom durch Punkte der freien Oberflachen, welche in einer zu diesen Oberflachen senkrechten Geraden liegen, in die Platten ein-, resp. austrete.

Man denke sich beide Grundflachen einer Metallplatte von iiberall gleicher Dicke mit einer electrolytischen Schicht belegt, und zwar sei die eine Schicht genau so hoch, wie die andere. Ferner stelle man sich vor, dass in die Flassigkeit beiderseits eine Electrode eintaucht, und zwar so, dass die pnnktformige Anode in derselben zu den Oberflachen der Fliissigkeiten senkrechten Geraden liegt, wie die Kathode, und sich in demselben Abstande von den Grenzflachen befindet, wie diese. Lasst man dann die zy-Ebene des Coordinatensystems mit dem mittleren Querschnitt der Metallplatte zussmmen- fallen, so sind die Theile der Stromleitung, welche in Betracht kommen, symmetrisch zu derselben angeordnet, und es muss die Potentialfunction in dieser Ebene gleich Null sein. Die Oberflachen der Metallplatte aber sind keine Niveauflachen; vielmehr ist fur z = + a die Auflosung der Differentialglei- chung so zu wahlen, dass sich die in der Richtung der Stro- mung in die Platte eintretende Electricitatsmenge gleich der aus dem Electrolyten austretenden Quantitat ergibt. Hieraus folgt weiter, dass die Bedingungsgleichung fur die Grenzflache lauten muss:

(5)

wobei R das Leitungsvermagen bedeutet, und die Indices sich auf die verschiedenen Leitertheile beziehen.

Wenn keine electromotorische Kraft durch die Beriihrung zwischen dem Metalle und dem Electrolyten und keine Po- larisation eintritt, wird das Problem der N o bili'schen Ringe den gewahlten Versuchsanordnungen entsprechend dargestellt durch die folgenden Gleichungen:

@*I V = O fur z = 0 !

(3")

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(:j*)

Aendert man aber die Versuchsbedingungen, so sind such die mathematischen Bedingungsgleichungen zu andern. Wird beispielsweise die Platte nur einseitig tnit einer elec- trolytischen Schicht bedeckt und die eine Electrode direct mit ihr verbunden, so muss fur die freie Oberflache der Platte d V / a z = 0 sein, und die mittlere Querschnittsflache der Platte bleibt nicbt eine Niveauflache. Die Bedingungen fur die Wande der Platte und der Flussigkeit und diejenigen fur die Oberflache des Electrolyten und die Beruhrungsfliiche behalten dabei ihre Gultigkeit, und nach wie vor ist anzu- nehmen , dass die an den Zuleitungsstellen einstrijmende Electricitatsmenge eine gegebene Grosse sei.

Sobald aber die Einstromungsstelle nicht ein ausdeh- nungsloser Punkt ist , sondern eine Electrode von endlichen Dimensionen angewendet wird, beispielsweise ein cylindrischer dunner Draht, der tief in die Fliissigkeit eintaucht und zu der Oberflache der Plrrtte senkrecht steht, ist die Menge der in den Electrolyten eintretenden ElectricitSit zwar ihrem Integralwerth nach als bekannt anzunehmen, aber es tr i t t nicht durch jeden Querschnitt der Electrode gleich vie1 Elec- tricitat aus. Fu r die Mantelflache des Drahtes, den wir der Einfachheit halber aus demselben Material bestehen lassen, wie die Platte, haben wir eine neue Bedingungsgleichung aufzustellen. 1st der Querschnitt des Drahtes ein kleiner Kreis vom Radius p, so lautet diese Bedingung fiir den Cy- lindermantel l) :

ap = 0 fur die Umgrenzung des Electrolyten. a n

Man sieht nun leicht, wie das Problem der Gu6bhard‘ - schen Figuren zu formuliren ist. F u r jede drahtformige

1) Die untere Grenzfllche dee Cylinders wollen wir mit einer iso- lirenden Substanz bedeckt denken, sodase keine ElectricitAt direct aue dem Dralite in die Platte fliessen kann, wenn derselbc auch die Platte beruhrte.

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Electrode ist eine der 01. (6) entsprechende Bedingung auf- zustellen, und die Bedingung fur die freie Oberflache der Platte (welche wir nicht direct mit der Batterie verbunden sein lassen) ist: (7)

av -- = 0. az Das Problem ist nunmehr correct formulirt: aber es ist

nicht mehr leicht aufzulosen. Um uns von der Natur der Losung eine Vorstellung zu bilden, wollen wir einen anderen Weg einschlagen, a19 den bisher verfolgten.

Denken wir uns eine electrolytische Flussigkeit in einem Gefasse: dessen Boden aus einem Nichtleiter besteht, und fiihren cylindrische Electroden in den Electrolyten ein, sodass dieselben den Boden beruhren und auf demselben senkrecht stehen. Von den Wanden des Gefasses nehmen wir an, dass sie ebenfalls Nichtleiter seien und auf dem Boden senkrecht stehen. Die in dem Electrolyten entstehende electrische Stromung muss bei dieser Versuchsanordnung dem Boden parallel verlaufen, da keine Ursache vorhanden ist, welche eine Striimung in der Richtung der z-Axe veranlassen konnte. Wir durfen also annehmen, dass in dern ganzen Electrolyten d Vjaz = 0 ist, und darnit reducirt sich unser Problem auf die Aufgabe, die Stromverbreitung in einer unendlich dunnen leitenden Platte, in welcher der Strom durch Punkte ein- und austritt, zu bestimmen. Diese Aufgabe hat bekanntlich 0. K i r c h h o f f behandelt’)

Fragen wir nun, wie sich die Stromung im Electrolyten andert, wenn der nicht leitende Boden des Gefdses durch einen leitenden ersetzt wird. E s muss eine Stromcomponente in der Richtung der z-Axe auftreten, da nicht angenommen werden darf, dass in jedem Querschnitt der Fliissigkeit, pa- rallel dem Boden, die gleichen Verhiiltnisse bestehen. Man mird jetzt die Potentialfunction als aus zwei Summanden bestehend auffassen konnen, indem man eine Function P so bestimmt, dass sie einer Stromung parallel dem Boden ent- spricht, und eine andere Function V , welche nur an den

1) G. Kirchhoff, Pogg. Ann. 67. p. 344. 1846; Ge6. Abhandl. p. 1. 1883.

Ann. d. I’hys. u. Chem. N. F. XXIX. 22

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freien Oberflachen des Bodens und der Flussigkeit der Be- dingung d V / a z = 0 geniigt, und dem Stromtheil entspricht, welcher durch die Bodenplatte gewissermassen abgeleitet wird. Dieser Stromtheil wird im Verhaltniss zu der Stromung parallel der Bodenplatte klein sein, wenn die Hohe der Flus- sigkeitsschicht nicht zu klein ist im Vergleich zum Abstande der Electroden voneinander. Ware die Bodenplatte unend- lich dunn im Vergleich zur Dicke der Flussigkeitsschicht, und ihr Leitungsvermogen nicht sehr vie1 grosser als das- jenige der Fliissigkeit, so wurde nur ein verschwindender Theil des Stromes durch die Platte gehen.

Sobald die Fliissigkeitsschicht genugend dick ist , wird man annehmen durfen, dass in der freien Oberflache die Stromung genau so vor sich geht, als ware die Bodenplatte ein Nichtleiter. J e naher man dem Boden kommt, desto mehr wird der Verlauf der Niveaucurven und Stromlinien geandert werden; aber selbst am Boden wird die Verbreitung des Stromes noch ein sehr nahe richtiges Bild von der Strom- vertheilung in einer ebenen Platte darbieten.

In jedem Punkte der Grenzflache findet eine Verzweigung des Stromes in die Bodenplatte hinein statt, und die Inten- sitat des in das Metal1 eindringenden Stromtheiles wird an jeder Stelle durch den Werth der Potentialfunction in dem dariiber liegenden Punkte des Electrolyten bestimmt werden. Tritt nun bei dem Uebergange des Stromes aus den Elec- trolyten in die Platte eine Zersetzung der Fliissigkeit ein, so ist die Menge des an einer bestimmten Stelle ausgeschie- denen Ions der Stromstarke, also auch dem Werthe der Potentialfunction in dem betreffenden Punkte der Grenzflilche proportional. Die Curven gleicher Dicke der ausgeschiedenen Substanz reprasentiren demnach annahernd Potentiallinien einer ebenen Stromung, wie es G u Bbhard behauptet hat.

Vom theoretischen Standpunkte aus betrachtet, ist der Fall, dass die Metallplatte mit einem Batteriepol verbunden ist, sehr verschieden von dem eben besprochenen. Die ganze Strommenge, welche durch die drahtformigen Electroden in die Fliissigkeit eintritt, muss durch die Beriihrungsflache fliessen, wahrend wir in dem besprochenen F d l e fanden, dass

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nur ein kleiner Theil des Stromes in die Platte geht. In- dessen lassen sich doch beide Versuchsanordnungen unter einem Gesichtspunkte betrachten.

Wir denken uns beide Seiten einer dunnen Metallplatte mit einer electrolytischen Schicht von beiderseits gleicher Hohe bedeckt und nehmen an, dass in beide Electrolyten verticale cylindrische Drahte eingefuhrt werden, die bis auf die Metallplatte reichen, aber von derselben isolirt sind.

Die Axen der Electroden auf der einen Seite sollen mit denjenigen der entsprechenden Electroden xuf der anderen Seite in einer Geraden liegen, sodass, wenn der mittlere Querschnitt der Metallplatte eine Spiegelebene ware, die einen Electroden in das Spiegelbild der anderen fallen. Nun konnen wir ferner noch eine Festsetzung machen uber das Vorzeichen der Electroden: entweder sol1 jede Electrode mit demselben Batteriepole verbunden gedacht werden , wie ihr Spiegelbild, oder mit dem entgegengesetzten Pole.

Betrnchten wir zunachst den ersteren Fall, und zwar zunachst unter der Vornussetzung , dass alle Electroden gleiche Vorzeichen haben. Dann findet keine Stromung in dem Plattensysteme statt; die Potentialfunction ist in einiger Entfernung von der Metallplatte nahezu identisch rnit der- jenigen, welche man erhalten wiirde, wenn auf eine leitende FlLche punktformige Electrodenenden aufgesetzt waren.

Wenn aber nicht alle Electroden auf derselben Seite der Metallplatte gleiche Vorzeichen haben, tritt eine StrG- mung der Electricitilt ein, und zwar so, dass durch den mittleren Querschnitt der Metallplatte kein Strom Aiesst. Denn gehen wir von dieser Ebene zu einer unendlich be- nachbarten uber, so finden wir auf beiden Seiten dieselben Werthe der Potentialfunction; es ist also d V / a z = 0 fur z = 0, wenn wir die xy- Ebene des Coordinatensystems rnit der Mittelebene zusammenfallen lassen. I n einiger Entfer- nung von der Metallplatte hat die Potentialfunction ungefahr denselben Verlauf, als fande die Stromung in einer unendlich dlinnen Platte statt,, in welche die Electricitat durch Punkte ein- und austritt. Denken wir uns die untere Halfte der Xetallplatte und die untere Fliissigkeitsschicht mit den darin

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befindlichen Electroden fortgenommen, so wird an der Stro- mung in dem ubrigbleibenden Leitersysteme nichts geandert, da die Oberflachenbedingungen und die Bedingung fur die Ebene z= 0 nach wie vor erfullt sind. Dann aber stellt das Leitersystem die G u 6 b h a r d'sche Versuchsanordnung in dem schon erorterten Falle dar.

Nunmehr wollen wir die Anordnung der Leiter betrach- ten, bei welcher jede obere Electrode mit dem positiven Batteriepole verbunden wird, wahrend ihr Spiegelbild als negative Electrode dient. I n der Ebene z = 0 hat die Po- tentialfunction dann offenbar uberall den Werth Null. Be- zeichnet u eine unendlich kleine Entfernung, so besitzt die Potentialfunction in der Ebene z = + a den entgegengesetzt gleichen Werth wie in der Ebene z = - u; die Stromung geht senkrecht zur Ebene z = 0 vor sich gerade 80, als ge- horte die Platte von der Dicke 2 u einem Cylinder an, in welchem durch jeden Quersclinitt der Strom in derjenigen Vertheilung fliesst, die der Stromverbreitung in einem ebenen Leiter entspricht, wenn wir dessen Begrenzung und die Ver- theilung der Einstromungsstellen einem Querschnitt unseres Electrolyten entsprechend annehmen.

Wenn die Metallplatte sehr diinn ist, diirfen wir n2lhe- rungsweise annehmen, dass auch durch die Beriihrungsflache zwischen Metal1 und Fliissigkeit der Strom in der geschil- derten Weise geht. Palls ferner das Leitungsvermogen des Metalles unendlich gross ist im Vergleich zu demjenigen des Electrolyten, konnen wir die Potentialfunction in der Beriihrungsflache gleich einer Constanten setzen , wenn wir die untere Halfte des Leitersystems wegnehmen und die Platte direct mit dem negativen Batteriepol verbinden. Die Abiinderung der Versuchsanordnung hat d a m keinen Einfluss auf die Natur der Stromung durch die Beriihrungsflache. Eine andere Vereinfachung der Problemstellung ergibt sich, wenn man die beiden electrolytischen Schichtcn direct mit- einander in Beriihrung bringt , ohne eine Metallplatte zwi- when sie zu legen (ob 80 etwas moglich ist, oder nicht, kommt nicht in Frage). Dann fallt die Bedingungsgleichung(3*), p. 335, fort. Da nun die in diesem Palle eintretende Str8-

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mung durch die Ebene z = 0, fur welche V = 0 ist, in der Richtung der z geht, so wird dieselbe nicht merklich gean- dert werden, wenn man eine im Vergleich zu der Dicke der electrolytischen Schichten sehr diinne Metallplatte zwischen dieselben bringt. Bei einer vergleichsweise dicken Metall- platte, welche die Electrolyten erheblich voneinander entfernt, wurde die Einwirkung derselben auf einander merklich gean- dert werden.

Es bedarf kaum einer Erorterung dariiber, wie sich die Verhaltnisse gestalten, wenn die drahtfihmigen Electroden mit verschiedenen Polen verbunden werden, wlhrend gleich- zeitig die Platte mit der Batterie metallisch verbunden ist. Man wird die eintretende Stromung als die Resultante zweier StrGmungen auffassen kannen, von denen die eine der Platte parallel im Electrolyten circulirt, wahrend die andere nahezu senkrecht aus demselben in die Platte geht.

Ziehen wir nun das Resultat aus unseren bisherigen Be- trachtungen, 60 besagt dasselbe nichts anderes, a19 was Hr. Gu6 b h a r d a m seinen Versuchsergebnissen gefolgert hat: die Vertheilung der Electricitkt , welche durch die Beriih- rungsflache tritt, gibt ein sehr nahe richtiges Bild von der Stromverbreitung in einer unendlich dunnen leitenden Platte.

Alle Folgerungen , welche sich aus der vorgetragenen theoretischen Erwagung ziehen lassen, stehen in guter Ueber- einstimmung mit den Ergebnissen der Experimentalunter- suchungen. Hr. M a c h hat es unternommen, die Frage zu priifen, oh wirklich nur ein sehr kleiner Stromtheil durch die Metallplatte geht, wenn diese mit der Batterie nicht metallisch verbunden ist, und ob die Stromung in der FlUssigkeitsplatte wirklich nahezu dem Boden parallel geht. I) Die galvano- metrische Untersuchung bestatigte die Richtigkeit dieser Folgerungen. Es lasst sich aber eine Consequenz aus mei-

1) Nobi l i hat bereits ghnliche Versuche angestcllt, wie Hr. Mach. Vgl. die Abhandlung: ,,Ueber die wechselseitige Formstorung der elec- trocheinischen Figuren" in Schweigger u. Schweigger-Seidel's Jahrb. d. Chem. u. Phys. 23. p. 441. 1828 u. in Bibl. univers. 36. p. 3. 1827. Es scheint uberhaupt, a13 ob Nobi l i ' s Arbeiten in der Discussion iiber die GuBbharcl'schen Versuche zu wenig beachtet wurden.

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ner Theorie ziehen, welche nicht ohne Bedenken acceptirt werden kann.

Es scheint die allgemeine Ansicht der Physiker zu sein, dass eine electrolytische Abscheidung nur an der Beruhrungs- fllche zwischen einem Metal1 und einem Electrolyten statt- findet, und nur dann, wenn das Netall nicht Llos den Electro- lyten begrenzt, sondern wenn der Strom von dem metallischen Leiter zu dcm Leiter zmeiter Klasse iibergeht oder umgekehrt. So sagt Hr. Mach: ,,Electrolytische Abscheidung kann nur stattfinden, wo der Stroin die G r c n z e eines Electrolyten passirt. Ware es nicht durcli die Versuchsanordnung schon fur sich klar, so wiirden die Abscheidungen auf der Kupfer- platte (bei den G u P b hard'schen Versuchen) es nachweisen, dass wir es mit einer Stromung im Raume zu thun liaben, welche theilweise aus der Fliissigkeit in die Kupferplatte ubergeht. Gleiche N e w t o n'sche Farbe erhalten wir , wo gleich dicke Schichten sich ausgeschieden, also gleich starke Stromcomponenten die Plattengrenze normal passirt haben.'i 1) Wenn diese Anschauung bereclitigt ist, so muss man schliessen, dass bei den Versuchen des Hrn. G u 6 b h a r d der Erfolg vie1 geringer sei, wenn die Platte nicht direct mit der Batterie verbunden wird, als im anderen Falle. Hingegen miissten auf den drahtfdrmigen Electroden starke Niederschlgge ent- stehen, der starken Stromung parallel der Bodenplatte ent- sprechend. Der Versuch zeigt, dass in der That die electro- lytische Abscheidung an den Drahten bedeutend ist, dass aber auch die electrochemischen Figuren auf der Platte sich leicht und schnell bilden. Wenn man die Erscheinungen aufmerksam verfolgt, kann man sich des Gedankens nicht erwehren, dass nicht die zur Bodenplatte normale Strom- componente allein, sondern auch der ihr parallele Stromtheil an der Niederschlagsbildung Antheil hat. Man wird versucht, zu fragen, ob nicht in jedem Punkte dcr Flussigkeitsschicht eine derartige Zersetzung eintreten kanne, dass die Ionen nicht in derselben Weise wandern, wie es ohne die metal- lische Bodenplatte der Fall sein wurde, ob sie nicht zum - _ _ -

1 ) E. Mach, 1. c.

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Electromotorisrhe Krayte in mugnetisirten Metallen. 343

Theil nach dem Boden gezogen werden. Solche Erwagungen gaben die Veranlassung zu den electrochemischen Versuchen, deren Schilderung ich demnachst geben werde.

Zum Schlusse m6chte ich, urn Missverstandnissen vor- zubeugen, hervorheben, dass ich keine anderen Satze der Gukbhard’schen Polemik gegen Hrn. V o i g t vertrete, als diejenigen, welche ich ausdrucklich genannt habe.

I X. Ueaer dccs Azrftreten electromotorischer Erdifte in Ketnllplcctten, zuelche urn eiwem Wiirmestrome clurchflossen werdem u n d sdcli im rnngnetdschen

Pel& befl.rzden; uom A. 2‘. E t t $ n q a l & n u s e n und stztd. W. N e r n s t . (ALE d. Anz. d. k. Acad. d. Wiss. in Wien, initgetheilt von den Herren Verf.)

Bei Gelegenheit der Beobachtung des Hall’schen Pha- nomens im Wismuth wurden wir durch gewisse Unregel- msssigkeiten veranlasst, folgenden Versuch anzustellen.

Eine rechteckige Wismuthplatte, etwa 5 cm lang, 4 cm breit, 2 mm dick, mit zwei an den Iangeren Seiten einan- der gegeniiber liegenden Electroden versehen, ist in das Feld eines Electromagnets gebracht , sodass die Kraftlinien die Ebene der Platte senkrecht schneiden ; dieselbe wird durch federnde Kupferbleche get,ragen, in welche sie an den kur- zeren Seiten eingeklemmt ist , jedoch geschiitzt vor directer metallischer Beruhrung rnit dem Kupfer durch zwischen- gelegte Glimmerblatter.

Bei Erhitzung des einen oder des anderen Kupferbleches durchfliesst ein WBrmestrom der Lange nnch die Platte. Man beobachtet dann an einem Galvanometer, dessen Mul- tiplicatorwindungen mit den Plattenelectroden (die nahe auf einer Isotherme liegen) verbunden ist,‘ einen dauernden gal- vanischen Strom, sobald das magnetische Feld des Electro- magnets hergestellt wird. Die Richtung dieses Stromes wech- selt mit der Ar t der Magnetisirung und mit der Richtung