TRITIME - Swiss Olympic Gigathlon 2012

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Fotos: Remy Steinegger/Swiss Olympic Gigathlon (steineggerpix.com) ZIELLINIE | GIGATHLON Athleten- bericht Zwischen Staub und Regen, Hitze und Hagel, Hölle und Himmel! Swiss Olympic Gigathlon 2012 Schwimmen, Inline, Rennrad, Moun- tainbike und Laufen, ob als Single oder im Team – zu zweit oder als Team of Five –, spätestens seit dem 7-Tage- Gigathlon vor genau zehn Jahren quer durch die Schweiz genießt der Swiss Olympic Gigathlon in der Alpenrepublik Kultstatus. Die glücklichen Athleten, die einen der begehrten Startplätze ergattern konnten, nahmen am 30. Juni und 1. Juli unter dem Motto „Closer to You“ rund um Olten die Distanz von insgesamt 460 Kilometern mit 7.500 Höhenmetern in Angriff. Das Spezielle am Gigathlon ist seine Vielfalt: Nicht nur erfordert jede der fünf Ausdauer- disziplinen ein unterschiedliches Kön- nen, auch die Einzel- und Teamstarter machen diese Veranstaltung einzigartig. Da die Teams aus mindestens einer (Couples) beziehungsweise zwei Frauen (Team of Five) bestehen müssen, ist der Anteil an weiblichen Teilnehmern verhältnismäßig hoch, was nicht nur das Auge der männlichen Zuschauer und Mitstreiter erfreut, sondern auch die Wettkampfatmosphäre insgesamt prägt. Das Motto „Closer to You“ sollte in diesem Jahr wie die berühmte Faust auf das Auge passen, schließlich stellten die sehr anspruchsvollen Strecken ins- besondere die mäßig vorbereiteten Athleten vor eine Herausforderung der besonderen Art.Aber auch das Wetter hatte von unerträglicher Hitze bis Hagelschauer alles zu bieten. 130 TRITIME 6 – 2012

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Zwischen Staub und Regen, hitze und Hagel, Hölle und Himmel! Ein Athletenbericht

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ZIELLINIE | GIGATHLONAthleten-bericht

Zwischen Staub und Regen, Hitze und Hagel, Hölle und Himmel!

Swiss Olympic Gigathlon 2012

Schwimmen, Inline, Rennrad, Moun-tainbike und Laufen, ob als Single oderim Team – zu zweit oder als Team ofFive –, spätestens seit dem 7-Tage-Gigathlon vor genau zehn Jahren querdurch die Schweiz genießt der SwissOlympic Gigathlon in der AlpenrepublikKultstatus. Die glücklichen Athleten,die einen der begehrten Startplätzeergattern konnten, nahmen am 30. Juniund 1. Juli unter dem Motto „Closerto You“ rund um Olten die Distanz von

insgesamt 460 Kilometern mit 7.500Höhenmetern in Angriff. Das Spezielleam Gigathlon ist seine Vielfalt: Nichtnur erfordert jede der fünf Ausdauer-disziplinen ein unterschiedliches Kön-nen, auch die Einzel- und Teamstartermachen diese Veranstaltung einzigartig.Da die Teams aus mindestens einer(Couples) beziehungsweise zwei Frauen(Team of Five) bestehen müssen, istder Anteil an weiblichen Teilnehmernverhältnismäßig hoch, was nicht nur

das Auge der männlichen Zuschauerund Mitstreiter erfreut, sondern auchdie Wettkampfatmosphäre insgesamtprägt. Das Motto „Closer to You“ solltein diesem Jahr wie die berühmte Faustauf das Auge passen, schließlich stelltendie sehr anspruchsvollen Strecken ins-besondere die mäßig vorbereitetenAthleten vor eine Herausforderung derbesonderen Art. Aber auch das Wetterhatte von unerträglicher Hitze bisHagelschauer alles zu bieten.

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Bereits kurz nach Sonnenaufgang des „UrbanSaturday“ warteten die Athleten – es sollteeiner der heißesten Tage des Jahres werden –bei noch angenehmen Temperaturen auf denStartschuss für die erste Teildisziplin: 52 Kilo-meter Inline. Unmittelbar nach dem Start zogsich das Teilnehmerfeld bereits auseinander.Die Topathleten gaben Vollgas und sofort ent-stand ein Abstand zum Rest des Feldes. Aberwie fühlt sich jemand und was geht in einemvor, wenn man an der Startlinie des SwissOlympic Gigathlon steht? TRITIME-Trainings-experte Bennie Lindberg, der dieses Event2004 in der Kategorie Single für sich entschei-den konnte, war auch in diesem Jahr als Ein-zelstarter dabei und berichtet über seine Erfah-rungen, ein Wechselbad der Gefühle zwischenpersönlichem Anspruch und der Realität.

Tag 1: 30. Juni 2012

Ich wusste, dass ich nicht mehr um den Siegmitkämpfen konnte, jedoch wollte ich meinBestes geben und den Wettkampf genießen.Auch war ich mir darüber im Klaren, dass ichnicht genug trainiert hatte, ich seit meiner letz-ten Teilnahme wieder ein paar Jahre ältergeworden bin und meinen sportlichen Zenitschon längst überschritten habe. Aber es fällteinem trotzdem nicht leicht, der Realität insAuge zu schauen. Außerdem sind alte Gewohn-heiten nicht so schnell vergessen. Und weildie Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, stellteich mich ganz vorne auf, hoffte auf ein Wunderund ließ mich von der Gruppendynamik mit-

reißen. Ich begann das Abenteuer Gigathlon2012 mehr oder weniger mit Vollgas. Ziemlichschnell wurde mir jedoch klar, dass das Tempoviel zu schnell und aggressiv war. Na gut, dann„rolle“ ich eben in der zweiten Gruppe mit,dachte ich mir und begann nach einer weiterenViertelstunde an meiner Selbsteinschätzung zuzweifeln. Obwohl bestimmt noch 25–30 Stun-den Wettkampfzeit vor mir lagen, stand mirdas Laktat schon „in den Ohren“. Die Vernunftsiegte und ich redete mir ein, dass es sich auchin der dritten Gruppe gut mitrollen lässt.

Wie ein alter Krieger zog ich in dieSchlacht und holte meine alten Waffenaus der Garage, denn ich wollte im Vor-feld bewusst alles ganz locker machen.Nur leider verwechselte ich dann Locker-heit mit Schlampigkeit und so kam es,wie es kommen musste: Nach etwa derHälfte der Strecke verlor ich eine derhinteren Rollen auf meinen Inlineskates.Mit einem Schlag war das Abdrückennicht mehr möglich. Dementsprechendwurde ich im Feld nach hinten durch-gereicht. Spätestens beim ersten Wechselwar mir klar, dass ich mit einer vorderenPlatzierung nichts mehr zu tun hatte.Ab jetzt wollte ich tatsächlich den Wett-kampf nur noch genießen. Und diessollte mir beim Schwimmen in der Aareauch gelingen. Da die Strömung nichtso stark war, zogen sich die neun Kilo-meter zwar ewig hin, aber die Begleit-boote, die Kurven, die Inseln und dieanderen Schwimmer sorgten fürAbwechslung. Der letzte Kilometer wardas absolute Highlight: Wir schwammenmitten durch Solothurn unter mehrerenBrücken hindurch und konnten links und rechtsAutos und Zuschauer beobachten.

Nach dem Schwimmen wartete schon dasMountainbike. Auch wenn die Strecke auf demPapier einfach aussah, hatte sie es in sich. Mitt-

lerweile waren die Temperaturen beinahe tro-pisch. Bei vielen Steigungen wurde bereitsgeschoben und nur die stärksten Teamfahrerschafften es, ohne abzusteigen. Zum erstenMal hatte ich Zeit, mir Gedanken über diehier vollbrachten Leistungen zu machen: Dis-tanzen, Höhenmeter, anspruchsvolle Strecken-führung, Hitze, Anforderungen an Material undAthlet. Jeder musste damit klarkommen, sichimmer wieder von Neuem zu konzentrieren,zu motivieren. Von früheren Rennen kannte

ich das Gefühl, dass man zwar müde ist, derGeist es aber nicht zulässt, einen Gang zurück-zuschalten, geschweige denn abzuschalten. Hierund heute übermannte mich zum ersten Maldas Gefühl, dass es fast unmenschlich war, wasein menschlicher Körper zu leisten vermag.

DISTANZEN & HÖHENMETER

Inline: 52 km, 80 HMSchwimmen: 9 km (flussabwärts)MTB: 54 km, 1.550 HMRad: 105 km, 1.720 HMLaufen: 24 km, 750 HMTotal: 244 km, 4.100 HM

Als ich endlich auf das Rennrad wechselte,hoffte ich auf etwas Entspannung. Die Spitzeum Sami Hürzeler war schon weit über eineStunde entfernt, aber ein lockeres Rollen wardennoch für mich nicht möglich. Die erstenSteigungen warteten und die Muskeln konntensich nicht wirklich erholen. Also gab ich wei-terhin mein Bestes, aß und trank so viel wiemöglich und versuchte mir einzubilden, dassich das, was ich hier mache, aus ganzem Herzentue und jede einzelne Minute genieße. In derTheorie gut, wenn es nur nicht so anstrengendwäre. Nach unzähligen Anstiegen und einersehr steilen Schlussrampe wechselte ich nach1.720 Höhenmetern auf dem Rennrad in dieLaufschuhe.

Läppische 24 Kilometer mit 750 Höhenmeternhören sich einfach an, waren es aber an diesem30. Juni nicht. Die Temperaturen waren nochmörderisch hoch und meine beiden kleinenErnährungsfehler – zu viel gegessen und zuwenig getrunken – ließen mich heute an meinepersönliche Leistungsgrenze kommen. Obwohljede kleine Steigung für mich nur im Schritt-tempo möglich war, atmete ich wie bei einemschnellen Zehner. Schnell merkte ich, dass ichin erster Linie zusätzlich Wasser und Salz benö-tigte. Bereits kurze Zeit später zeigten auchdie Gels ihre Wirkung und ich konnte die ver-bleibenden Kilometer laufen, wenn auch nurlangsam. Wie die letzten Läufer (mit Stirnlampe)im Dunkeln die Bergabpassage über die Sing-letrails in Richtung Ziel schaffen konnten, bleibtmir ein Rätsel.

Tag 2: 1. Juli 2012

Unmittelbar nach meinem Finish begann ichmit den Vorbereitungen für den nächsten Tag,dem „Celebrating Sunday“. Trinken, essen,duschen, Material vorbereiten und natürlichviel, viel schlafen waren meine Prioritäten. Spä-testens jetzt sollte jedem deutlich werden, wel-che Wahnsinnsarbeit die persönlichen Sup-porter für uns Athleten machen. Bepackt wiedie Mulis fahren sie mit dem Zug zu den ver-schiedenen Wechselzonen, bringen Material,Kleidung und Verpflegung und transportierendas verbrauchte, verschwitzte Material zurückzum „Basecamp“, um es für den nächsten Tag

wieder in Schuss zu bringen. Die meisten Teil-nehmer übernachteten im Zeltlager, einige inWohnmobilen, Ferienwohnungen oder Hotels.Ich hatte das Glück, bei Bekannten unterge-bracht zu sein.

Auf jeden Fall ist es nicht so einfach, nach 11–17 Stunden Renndauer runterzukommen undeine gute Nachtruhe zu finden. Dementspre-chend müde schauten alle Teilnehmer amnächsten Morgen auch aus. Die Führendenbegannen auf dem Rennrad mit einem Jagdstartbereits eine Stunde früher in den zweiten undletzten Wettkampftag. Sieben Männer und zweiFrauen mit Sami Hürzeler und Andrea Huseran der Spitze kamen in den Genuss diesesPrivilegs. Der Rest schaute fragend in RichtungHimmel beziehungsweise auf die Sportuhr amHandgelenk: Was wird wohl eher ertönen?Die ersten Donner des nahenden Gewittersoder der Startschuss? Letzterer gewann undzunächst war das Rennradfahren auch ganzschön. Schnell fanden sich gute Gruppen zusam-men, jedoch übernahm niemand die Initiative,richtig Druck zu machen. So rollten wir vonBerg zu Berg und von Regenschauer zu Regen-schauer. Wann immer die später gestartetenschnelleren Teamfahrer uns überholten, nutztenwir für ein paar Kilometer den hilfreichen underlaubten Windschatten. Das darauffolgendeSchwimmen quer durch den Sempacher Seehätte sehr schön sein können, wäre da nichtetwa 600 Meter vor meinem Ausstieg diesesgewaltige Gewitter gewesen. So etwas habeich beim Schwimmen in meiner langen Karrierenoch nie erlebt: Donner, Blitz und Hagel, beglei-tet von heftigen Regenschauern und starkenWindböen. Die Wasseroberfläche bestand nurnoch aus „Sprudel und Dampf“, eine Orien-tierung war kaum möglich. Zum Glück ist allesgutgegangen, es schlug kein Blitz in den Seeein und alle Athleten erreichten gesund die

Wechselzone. Aber auf nassen Straßen, dieteilweise noch mit einer Hagelschicht überzogenwaren, stellte das Inlinefahren hohe Anforde-rungen an die Fahrqualität der Athleten. Ichdagegen kämpfte mit der beginnenden Müdig-keit und versuchte mich abzulenken.

Natürlich bietet der Gigathlon mit seiner wun-derschönen Streckenführung immer wiederherrliche Ausblicke in die atemberaubendeLandschaft, aber leider bin ich (noch) nicht socool, um einfach kurz anzuhalten, um das Berg-panorama zu genießen. Ich persönlich wurdeerneut durch meine Mitstreiter und die vielenZuschauer motivier t, mich durchzubeißen.Immer wieder bildeten sich unterwegs in jederDisziplin kleine Gruppen, die kürzere oderauch längere Zeit das „Leiden“ teilten. Das isteinzigartig und einfach schön. Besonders zu

ZIELLINIE | GIGATHLON

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DISTANZEN & HÖHENMETER

Rad: 93 km, 1.600 HMSchwimmen: 3,2 kmInline: 40 km, 30 HMLaufen: 28 km, 370 HMMTB: 52 km, 1.400 HMTotal: 216 km, 3.400 HM

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.comBennie Lindberg

holte und mich dazu aufforderte, gemeinsamin Richtung Ziel zu fahren, waren noch einpaar Körner übrig. Wir preschten die letztenzehn Kilometer zügig in Richtung Ziel undlachten uns darüber kaputt, wie schrecklichschmutzig, müde und dreckig wir aussahen.

Gegen 20 Uhr erreichten wir die Ziellinie,vier Stunden vor Zielschluss. Mein allergrößterRespekt gilt natürlich all denjenigen, die esgeschafft haben, diesen wirklich einmalig heraus-fordernden Wettkampf zu finishen, den unglaub-lichen Siegern Andrea Huser und Samuel Hür-zeler, aber ganz speziell den Teilnehmern, diein völliger Dunkelheit diese letzte Matsch-Bike-Strecke noch beendet haben. Danke,Swiss Olympic Gigathlon, für ein unvergesslichesErlebnis.

An dieser Stelle möchte ich den früherenGigathlon-Chef Corsin Caluori zitieren: „Wichtigist nicht das Ergebnis oder wie weit du gekom-men bist. Wichtig ist, was du von der Streckemitnimmst an Erfahrungen und Erkenntnissenüber dich selbst!“

This is so true, my friend, Gigathlon changesyour view of life!

Bennie Lindberg

erwähnen sind jedoch die Zuschauer, die aufdie Berge klettern, in Regen und Kälte auf dieAthleten warten und nie müde werden, unsanzufeuern. Da fällt es einem schlicht sehr, sehrschwer, nicht sein Bestes zu geben. Die folgen-den 28 Laufkilometer begannen gleich mit1.200 sehr steilen Naturstufen, nach obennatürlich. Die Zuschauer pushten uns Athletendie 250 Höhenmeter förmlich hinauf. Obenangekommen fand ich einen guten Rhythmus,zwar nicht schnell, aber es ging vorwärts, undso langsam glaubte ich daran, dass diese Torturbald ein Ende haben würde. Ich muss wohlniemanden erklären, dass sich meine Beine

nach dem Lauf nicht mehr so gut angefühlthaben. Und dann folgte zum Abschluss derHammer: 52 Kilometer und 1.400 Höhenmeterauf dem Mountainbike. Vom Papier her eigent-lich eine einfache Angelegenheit. Aber derRegen hatte tagsüber die wunderschönen Sing-letrails und Wiesenpassagen in teilweise kaumbefahrbare, bis zu einen halben Meter tiefeSchlammgräben verwandelt. Dementsprechendwurde auch sehr, sehr viel geschoben. An demhöchsten Punkt der Strecke, mittlerweile wares früh am Abend und es regnete immer noch,verteilten viele Zuschauer Plastiktüten oderZeitungen an die frierenden Teilnehmer, diesich die zusätzliche Schicht einfach unter dasTrikot „stopften“. Mein rettender Engel hießGabi, eine Teilnehmerin aus einem Gigathlon-camp. Ihre blaue Ikeatasche wirkte unter meinerviel zu dünnen Sportbekleidung bei der fol-genden Abfahrt wie ein Heizkissen. Und sieheda, als mich die Sportlegende Urs Gerig über-

BUCHTIPP

„Gigathlon changes your view“

erschienen im UTZ Verlag, von Bennie Lindberg, Sarah Koch

SWISS OLYMPIC GIGATHLON 2013

30.10.2012 Streckenbekanntgabe 06.11.2012 Öffnung des Anmeldeportals07.-13.07.2013 Swiss Olympic Gigathlon

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