Trampen - Das Erste Mal

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Trampen - Das erste Mal Jeder bessere Hippie hat es schon mal getan. Jeder alternative Öko, jeder Dorfjunge nach einem Saufgelage, jeder Backpacker in Australien. Daumen raus, ab geht die Post. So zeichnet man sich das Bild vom Tramper, vom wartenden, berucksackten, etwas schmuddeligen jungen Mann. Ich habe in meinem Leben noch keinen Anhalter mitgenommen, keinen einzigen. Vielleicht hatte ich Angst, dass sie mir die Sitze dreckig machen. Oder mit mir reden wollen - bei den Burschen weiss man ja nie. Aber diesen Sommer habe ich mir etwas vorgenommen: Ich will durch Deutschland trampen, einmal rundrum. Ein Roadtrip ohne Auto, sozusagen. Vorbereitung Natürlich bin ich noch nie getrampt. EIn absoluter Neuling auf dem Gebiet des kostenlosen und prestigelosen Reisens. Mein erstes Ziel war daher vergangenen Samstag ein nahes und recht einfach zu erreichendes: von München nach Ulm. Mein Kumpel AL erwartete mich dort. Ich hatte ihn vorbereitet: "Warte nicht auf mich mit dem Essen... kann später werden." Im Netz hab ich nach einer guten Möglichkeit Ausschau gehalten, aus München "einen Lift zu bekommen" wie man als cooler Tramper sagt. Samstag vormittag um 10 startete ich per Bus und Ubahn nach Blutenburg, am Münchener Westend. Neben einem Schnellrestaurant (Kentucky Fried Chicken) sprießt dort die A8 Richtung Suttgart aus einer großen Kreuzung. Da stand ich. Samstag morgen, mit großem Rucksack (70 Liter, Ausrüstung für ein Jahr) und kleinem Pappschild ("ULM"). Dumm nur, dass ich vergessen hatte, vorher bei Petrus um Erlaubnis zu fragen. Ein nasser Start In Blutenburg erwartete mich ein grimmig grinsendes Wetter. Hagel und eiskalter Schneeregen peitschten auf die Straße. Das Orkantief hatte seine Fühler bis zum Kentucky Fried Chicken ausgestreckt. Nach 5 Minuten war ich durchnässt. Nach 10 Minuten kurz vor dem Gehirnfrost. Ich hatte natürlich keine Mütze mitgenommen, "Das Wetter wird schon halten". Nach 20 Minuten konnte ich nicht mehr. Ich rettete mich zum KFC und wärmte mich im Eingang erst einmal auf. Danach ging es wieder raus an die Straße. Auto um Auto zischte an mir vorbei.

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Wird man da entführt? Wenn ja, wohin und gibt es da einen McDonalds? Trampen ist scheinbar nicht so schlimm... lustig allemal!

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Trampen - Das erste Mal

Jeder bessere Hippie hat es schon mal getan. Jeder alternative Öko, jeder Dorfjunge nach einem

Saufgelage, jeder Backpacker in Australien. Daumen raus, ab geht die Post. So zeichnet man sich

das Bild vom Tramper, vom wartenden, berucksackten, etwas schmuddeligen jungen Mann.

Ich habe in meinem Leben noch keinen Anhalter mitgenommen, keinen einzigen. Vielleicht hatte

ich Angst, dass sie mir die Sitze dreckig machen. Oder mit mir reden wollen - bei den Burschen

weiss man ja nie. Aber diesen Sommer habe ich mir etwas vorgenommen: Ich will durch

Deutschland trampen, einmal rundrum. Ein Roadtrip ohne Auto, sozusagen.

Vorbereitung

Natürlich bin ich noch nie getrampt. EIn absoluter Neuling auf dem Gebiet des kostenlosen und

prestigelosen Reisens. Mein erstes Ziel war daher vergangenen Samstag ein nahes und recht

einfach zu erreichendes: von München nach Ulm. Mein Kumpel AL erwartete mich dort. Ich hatte

ihn vorbereitet: "Warte nicht auf mich mit dem Essen... kann später werden."

Im Netz hab ich nach einer guten Möglichkeit Ausschau gehalten, aus München "einen Lift zu

bekommen" wie man als cooler Tramper sagt. Samstag vormittag um 10 startete ich per Bus und

Ubahn nach Blutenburg, am Münchener Westend. Neben einem Schnellrestaurant (Kentucky Fried

Chicken) sprießt dort die A8 Richtung Suttgart aus einer großen Kreuzung.

Da stand ich. Samstag morgen, mit großem Rucksack (70 Liter, Ausrüstung für ein Jahr) und

kleinem Pappschild ("ULM"). Dumm nur, dass ich vergessen hatte, vorher bei Petrus um Erlaubnis

zu fragen.

Ein nasser Start

In Blutenburg erwartete mich ein grimmig grinsendes Wetter. Hagel und eiskalter Schneeregen

peitschten auf die Straße. Das Orkantief hatte seine Fühler bis zum Kentucky Fried Chicken

ausgestreckt. Nach 5 Minuten war ich durchnässt. Nach 10 Minuten kurz vor dem Gehirnfrost. Ich

hatte natürlich keine Mütze mitgenommen, "Das Wetter wird schon halten".

Nach 20 Minuten konnte ich nicht mehr. Ich rettete mich zum KFC und wärmte mich im Eingang

erst einmal auf. Danach ging es wieder raus an die Straße. Auto um Auto zischte an mir vorbei.

Gnadenlose Autofahrer

Auf der anderen Seite der Stoßstange wird einem manches bewusst. Zum Beispiel was man

eigentlich für ein granatenmäßiges Arschloch war, als man dachte: "Den nehm ich nicht mit, das

macht schon ein anderer."

Macht aber kein anderer. Kopschüttelnd fuhren sie vorbei. Große, kleine, zusammen, alleine. Kalt

und kälter wurde es, der Himmel wechselte von grau nach schwarz. Bis hierher hatte ich meinen

Biss noch nicht verloren - ich wollte diese lächerliche kleine Aufgabe schaffen, die ich mir gesetzt

hatte. Es musste doch möglich sein, 120 Kilometer zu trampen.

Kentucky Fried Tramper

Etwa um Ein Uhr packte mich der Hunger und der Mut verliess mich. Eigentlich wollte ich zum

Mittagessen in Ulm sein. Jetzt stand ich schon mindestens eine Stunde und wurde immer nasser und

kälter.

Ich entschied mich dafür, mittag zu essen und dagegen, mir den Tod zu holen. Erstmal rein in den

KFC, Rucksack abgesetzt und zum Handtuchspender. Einen großen Papierstapel später waren die

Haare und das Gesicht wieder halbwegs trocken und das Zittern hatte aufgehört.

Eigentlich mag ich kein frittiertes Huhn - aber was hat man für eine Wahl. Das Wetter war mehr als

mies und der Hunger mehr als man unterdrücken kann.

In diesem traurigen Moment war mein Plan dazu verkommen, eine Kleinigkeit zu essen und dann

zum Bahnhof zu fahren um resigniert und als gebrochener Mann eine Fahrkarte zu kaufen.

Das Wetter, das Wetter!

Ich saß wie ein Häufchen Elend im KFC, stopfte frittierte Fleischstücke in mich hinein und starrte

aus dem Fenster. Da geschah es, das münchener Wunder: Es klarte auf.

In windeseile zogen die schwarzen Wolken vorbei, die Sonne brannte die Straße trocken.

Der blaue Himmel mit kleinen Wölkchen lachte binnen 5 Minuten wieder über Blutenburg.

Ein Motivationsschub sondersgleichen - ich aß auf und rannte wieder raus an meinen Stammplatz.

Daumen raus und Stimmung hoch. Und siehe! Keine 10 Minuten später hielt ein silberner Van.

Der alte Mann und das Theater

Ein älterer Herr kurbelte das Fenster herunter. Eigentlich tat das der Fensterheber, aber man kann ja

schlecht schreiben "er fensterheberte das Fenster herunter". Ich fragte ungläubig nach, ob er denn

nach Ulm fahre, um sicherzustellen dass ich keiner Wunschvorstellung erläge. Das erste Mal in

meinem Leben hatte jemand für mich angehalten! "Ja, ich fahr nach Augschburrg. Kann er

mitfahra!" Also rein das Zeug und auf den Sitz des Copiloten.

Er stellte sich als netter, freundlicher und lebenserfahrener Mann heraus. Seinen Sohn hatte er nach

München gefahren, zum Theater. Der alte Mann repräsentierte eine wahre Künstlerfamilie: Die

Söhne Regisseure und Schauspieler, der Vater war Opernsänger gewesen. Während ich mich

aufwärmte, diskutierten wir über Kafkainszenierungen und das Leben in München.

Erster Halt: Augspurgium.

Leider konnte mein erster Gönner nicht bis Ulm fahren. Das wäre auch zu schön gewesen; er ließ

mich aber gerne an der Augsburger Raststätte aussteigen. Ich nahm meinen Rucksack, da steckte er

mir 10 Euro zu, mit den Worten "Da, kannst dir amal an Bier kaufen, der arme Student!" Und ließ

mich verdutzt und dankbar am Parkplatz stehen.

Im Netz tauschen Tramper Erfahrungen und gute Plätze aus. Eine der Erfahrungen war: Eine

Autobahnraststätte stellt einen guten Zwischenstop dar: Man kommt schneller vorwärts. Zuerst

leuchtete mir das auch ein. Hier kann man Leute ansprechen und es ist schwerer für sie, einfach

wegzuschauen und vorbei zu fahren.

Aber ich sollte schwer enttäuscht werden. Insgesamt drei Stunden stand ich in Augsburg,

keiner wollte oder konnte mich mitnehmen.

Volle Holländer

Geschätzte 99% des Rastplatzes war mit gelben Nummernschildern versehen. Ferienende für die

Holländer. Viele kamen vom Skifahren oder aus den Bergen, vollgepackt bis unter das Dach. Viele

Holländer waren sehr freundlich und entschuldigten sich, dass sie mich nicht mitnehmen konnten -

meist waren sie zu sechst unterwegs und die ihre Wagen waren wirklich überbelegt.

So versuchte ich es an der Tankstelle. Die Fahrer zuckten schon, wenn ich mit meinem

Rucksack auf sie zukam. "Nein, ich nehme niemanden mit", "Nein", "Falsche Richtung", "Kann

nicht" waren die Antworten auf meine Frage, ob sie mich bis Ulm mitnehmen würden.

Leere Münchener

Alle Autos mit Münchener Kennzeichen waren leer bis auf die gestylten Fahrer. Und die rollten

langsam an mir vorbei, aber dachten nicht im Traum daran, mich mitzunehmen. Einer fragte mich

(sinngemäß), ob ich denn kein Geld habe, weil ich hier so stehe. Ich versicherte ihm, ich sei extrem

reich und habe zudem sehr viel Geld. Er schaute etwas irritiert. Stimmte ja auch nicht.

Die Belgier kommen

Nachdem das Wetter wieder umgeschlagen hatte, hatte ein belgisches Ehepaar auf dem Parkplatz

Mitleid mit einem frierenden Tramper (für alle Schnarchnasen: Das war ich).

Sie winkten mich zu ihrem Auto und hießen mich einzusteigen. Der Mann fragte freundlich, ob es

mir etwas ausmache, wenn er seinen Burger noch aufesse, und ob ich schon etwas gegessen habe?

Ich versicherte ihm, dass ich über alle Maßen froh war, ein Dach über dem Kopf zu haben

und er in seinem Auto so lange essen könne, wie es ihm beliebe. Wirklich nette Leute, die Belgier.

Ich lauschte dem Ehepaar, wie sie sich über die Kommentare ihres Navigationssystems

lustigmachten. Es schlug immer wieder auf Belgisch anscheinend lustige Routen vor.

Wahrscheinlich hätte es mich auch nicht mitgenommen.

Die Belgier fuhren zügig und so war ich dann nachmittags an der ausgemachten Ausfahrt

angekommen. Ich musste den freundlichen Leuten klarmachen, dass mich mein Freund hier sicher

abholen werde, und sie mich nicht nach Ulm zu fahren brauchten. Ich bin sicher, sie hätten es ohne

Zögern getan.

Resumee (oder, wie man heute sagt: Conclusion)

Für das erste Mal trampen hatte ich mir denkbar das schlechteste Wetter herausgesucht. Das nächste

Mal erst wieder bei Temperaturen über 20°C. Die Autofahrer kennen keine Tramper mehr.

Höchstens aus Gruselgeschichten über Autoklauende und Kinderfressende Nazimutanten, die sich

mit dem Rucksack tarnen. Oder etwas in dieser Richtung.

Aber die Leute, die sich erbarmen und einen Mitnehmen, sind dann freundliche, nette

Menschen mit denen ich gerne ein paar hundert Kilometer zurücklege. Ausserdem sind Holländer

nette Autofahrer.

Ich kann diese Erfahrung wirklich nur jedem wärmstens Empfehlen. Wenn man nicht ein

kleines 17-jähriges Mädchen ist, das völlig unschuldig und unsicher ist, sehe ich keine direkte

Gefahr im Trampen. Es erweitert den Horizont und man gewinnt Abstand von der perfekt

durchgeplanten Welt.

Man weiss nicht, wann man ankommt, oder wo man ankommt. Aber man weiss, es lohnt sich. Ich

freue mich auf den Sommer.