Ticstörungen und Tourette-Syndrom · • PANDAS = Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders...
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Ticstörungen
und Tourette-Syndrom
Ute Mendes
Berlin
Symptomatik
motorisch vokal
einfach
komplex
Blinzeln Räuspern
Berühren Sätze
Symptomatik
motorisch vokal
einfach
komplex
motorische Tics
• unwillkürliche plötzlich einschießende Bewegungen– kurz
– meist Gesicht / Kopf
• einfache motorische Tics– Blinzeln, Stirnrunzeln, Mundaufreißen
• komplexe motorische Tics– Springen, Berühren anderer Leute,
Selbstverletzungen
vokale Tics
• unwillkürliches Hervorbringen von Lauten oder Geräuschen
• einfache vokale Tics– Schnalzen, Schmatzen, Husten, Räuspern
• komplexe vokale Tics– ganze Sätze
– Echolalie /Palilalie
– Koprolalie
Tourette-Syndrom
• „chronisch“ (> 1Jahr)
• motorische (mindestens 2) und vokale Tics
• Ausprägung dennoch sehr unterschiedlich– einfaches TS
– komplexes TS
– TS plus
einfaches TS
• motorische und vokale Tics
• ohne weitere Verhaltensauffälligkeiten
• ohne Komorbidität
komplexes TS
• Echolalie Nachsprechen von Wörtern und Sätzen anderer
• Palilalie Wiederholen von eigenen Wörtern und Sätzen
• Echopraxie Nachahmen von Bewegungen anderer
• Palipraxie Wiederholen eigener Bewegungen
• Koprolalie Ausstoßen obszöner Begriffe
• Kopropraxie Ausführen obszöner Gesten
Tourette-Syndrom plus
• komplexes TS und
• komorbide Erkrankung – ADHS
– Zwangserkrankung
– Angsterkrankung
– emotionale Störung
Tics – wo kommen sie her?
• Tics sind neurologische Symptome– keine schlechten Angewohnheiten
• sie sind weitgehend unwillkürlich– man kann nicht einfach damit aufhören
Tics – wo kommen sie her?
• Tics zu unterdrücken ist sehr mühsam– und danach sind die Tics meist heftiger
• Tics zeigen große Schwankungen– Art, Häufigkeit, Schwere
Ätiologie
• genetisch– 20% Konkordanz bei zweieiigen Zwillingen
– 90 % Konkordanz bei eineiigen Zwillingen
– bisher kein(e) spezifische(s) Gen(e)
• ZNS-Schädigung– Einflüsse während der SS
– Toxine
Ätiologie
• zählt zu den extrapyramidalen Hyperkinesien
• in der ICD-10 wird es unter Verhaltens-und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend klassifiziert
• im DSM-5 gehört es zu den Störungen der Entwicklung des Nervensystems
Ätiologie
• PANDAS= Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric
Disorders Associated with StreptococcalInfection
– plötzlicher Beginn der Tics nach bakteriellen Infektionen
Ätiologie - neurobiologisch
• erhöhte Dopamin-Aktivität– dadurch verstärke sensomotorische
Phänomene und motorische Impulse
• verminderte Hemmung im Frontalhirn– dadurch Unterdrückung schwierig
• „mehr Gas, weniger Bremse“= Disinhibitionsstörung
Teufels“kreis“
Stress Tics
psychosozialeFaktoren
Komorbidität
Diagnostik
• Anamnese– allgemein
– störungsspezifisch– Beginn der Tics
– Art der Tics
– Schwankungen
– psychosoziale Folgen
– komorbide Erkrankungen!– bes. Zwänge, ADHS, emotionale Störungen
Diagnostik
• Beobachtung /Exploration– Art der Tics / Intensität– sensomotorisches Vorgefühl– Bewältigungsstrategien
• medizinische Abklärung– neurologische Untersuchung– ggf. EEG– ggf. cMRT
Differentialdiagnosen
• Tic und Tourette
• Stereotype Bewegungsstörung
• Myoklonien
• „Wutanfälle“
• Epilepsie
• Dystone Bewegungsstörungen
Verlauf von Tic-Erkrankungen
• Beginn meist zwischen 5.-10. Lebensjahr
• max. Ausprägung in der Pubertät
• Tics wechseln häufig– Intensität
– Art der Tics
• beim Tourette-Syndrom häufig chronische Verläufe
komorbide Erkrankungen
• ADHS (bis 60%)
• Zwangsstörung (bis 30%)
• spezifische Lernstörungen (bis 25%)
• Depressionen (bis 20%)
• Angststörungen (bis 20 %)
• soziale Ungeschicklichkeit (bis 20 %)
• Selbstverletzungen (bis 15 %)
Psychoedukation
• kindgerecht!
• neurologische Erkrankung
• Disinhibitionsstörung: „mehr Gas als Bremse“
• Kontrolle ist schwer
• Schwankungen sind normal
• Info zum Verlauf
• Info zu Behandlungsmöglichkeiten
Was hilft - allgemein
Ignorieren
Rückzug
Stress-reduktion
Informieren
Abschirmen
Geduld „Kaschieren“
„Austicken“ Bewegung
Stärken +Normalität
fördern
Medikamente
• Indikation– bei schweren Verläufen
– bei ausgeprägter psychosozialer Beeinträchtigung
– bei ausgeprägter Komorbidität
– heilen nicht, sondern lindern nur
– langfristige Gabe erforderlich
– kurzfristige Dosisänderungen nicht sinnvoll
Substanzklassen
• Neuroleptika– D2-Rezeptor-Blockade
– typische (zugelassen, aber viel NW)
– atypische (nicht zugelassen, weniger NW)
• NA-Wiederaufnahmehemmer– bei komorbidem ADHS
• SSRI– bei komorbider Zwangsstörung
Substanzen- Neuroleptika
1. Wahl Tiaprid
2. Wahl Risperidon
Aripiprazol
3. Wahl Haloperidol
Pimozid
andere Sulpirid
Olanzapin
Quetiapin
Substanzen- weitere
SSRI Fluvoxamin
NA-
Wiederaufnahmehemmer
Atomoxetin
alpha-2-Rezeptor-Agonist Clonidin
andere Nikotin
Cannabiol
Benzodiazepine
Medikamente -Nebenwirkungen
• Neuroleptika– Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, motorische
Störungen, Prolactinanstieg, Gewichtszunahme• Atomoxetin
– Müdigkeit, Übelkeit, Appetitminderung,– Herzrhythmusstörungen, Leberfunktionsstörungen
• SSRI– Übelkeit, Unruhe, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen,
Gewichtszunahme• Clonidin
– Blutdrucksenkung – Schwindel, Müdigkeit, Kopfschmerzen
Psychotherapie I
• Psychoedukation!
• Behandlung von komorbiden Störungen– ADHS, Zwänge, emotionale Störungen
• Entspannungsverfahren
• Beratung der Eltern und Lehrer
Psychotherapie II
• Stressmanagement
• Ressourcenaktivierung
• Selbstwahrnehmungstraining
• Reaktionsumkehr (habit reversal)
• Verstärkersysteme
Selbstwahrnehmungstraining
• Beschreibung der Tic-Reaktion– motorische Teilreaktionen jedes Tics
– auf emotionale Reaktionen des Pat. achten!
• Selbstbeobachtung– Häufigkeit der einzelnen Tics zählen
• Reaktionserkennung– Ziel: erkennen, wenn ein Tic auftritt
Selbstwahrnehmungstraining
• Erkennen früher Zeichen– Tic-Impulse
– Körperanspannung
– innere Unruhe
• Wahrnehmung situativer Einflüsse– Situationen mit intensiver Symptomatik
identifizieren
– Emotionen mit Auswirkung auf Tics identifizieren
Entspannungsverfahren
• progressive Muskelrelaxation (Jacobsen)• bestimmte Atemtechniken• Ruhebilder• autogenes Training
• erst Üben, dann• situativer Einsatz bei der
Wahrnehmung von Tic-Impulsen
Training inkompatibler Reaktionen
• Grundidee– für jeden einzelnen Tic Gegenbewegungen
erarbeiten
• Azrin / Peterson (1988)– Ziel: vollständige Unterdrückung
• Modifikation Piacenti / Chang (2005)– Ziel: verringerte Tic-Intesität
Training inkompatibler Reaktionen
• wird für jeden Tic individuell erarbeitet
• eigene Erfahrungen des Pat. berücksichtigen
• erfordert viel Ausprobieren in der Therapie
• führt oft zu einem Nachlassen des Drang-Gefühls
Kontingenzmanagement
• Verstärkerpläne– nicht für Tic-Frequenz, sondern
– für regelmäßiges Üben
• Besonders wichtig:
soziale Verstärkung durch Eltern und
durch Therapeuten