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Thüringer Memos. Thüringer Memos Herausgegeben vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie. Gewachsen, aber gefährdet: Eine wirtschaftliche Zwischenbilanz der Deutschen Einheit für Mitteldeutschland und Thüringen, anno 2013. Prof. Dr. Dr. h.c. Karl-Heinz Paqué Ausgabe 02

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Thüringer Memos.

Thüringer Memos Herausgegeben vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie.

Gewachsen, aber gefährdet: Eine wirtschaftliche Zwischenbilanz der Deutschen Einheit für Mitteldeutschland und Thüringen, anno 2013.

Prof. Dr. Dr. h.c. Karl-Heinz Paqué

Ausgabe 02

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Inhalt

Einleitung ............................................................................................................................................... 3

1 Wirtschaftliche Entwicklungen .................................................................................................... 5

2 Strukturelle Ursachen ................................................................................................................. 17

3 Politische Ziele............................................................................................................................. 28

4 Neue Herausforderungen ........................................................................................................... 37

5 Politische Optionen ..................................................................................................................... 40

Fazit ....................................................................................................................................................... 45

Verwendete Literatur ........................................................................................................................... 46

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Schaubildverzeichnis

Schaubild 1: Entwicklung der Bauwirtschaft (1991-2012) ..................................................................... 5 Schaubild 2: Entwicklung der Industrie (1991-2012) ............................................................................. 6 Schaubild 3: Jährliches Wachstum der Industrie (1992-2012) .............................................................. 7 Schaubild 4: Arbeitsproduktivität im Osten (1991-2012) ....................................................................... 8 Schaubild 5: Entwicklung der Landwirtschaft (1991-2012) .................................................................... 8 Schaubild 6: Arbeitskosten im Osten (1991-2012) ................................................................................ 9 Schaubild 7: Arbeitsmarkt in Ost und West (1991-2012 bzw. 1991-2011) .......................................... 10 Schaubild 8: Produktionsniveau in der Gesamtwirtschaft (1991-2012) ............................................... 11 Schaubild 9: Produktionsniveau in der Gesamtwirtschaft A (2004-2012) ........................................... 12 Schaubild 10: Produktionsniveau in der Gesamtwirtschaft B (2004-2012) ......................................... 13 Schaubild 11: Produktionsniveau im verarbeitenden Gewerbe (2004-2012) ...................................... 13 Schaubild 12: Arbeitsproduktivität in der Gesamtwirtschaft (2012) ..................................................... 14 Schaubild 13: Arbeitsproduktivität in der Gesamtwirtschaft (1991-2012) ............................................ 15 Schaubild 14: Arbeitsproduktivität im verarbeitenden Gewerbe (1991-2012) ..................................... 16 Schaubild 15: Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes (1991-2012) ............................... 19 Schaubild 16: Erwerbstätige des verarbeitenden Gewerbes (1991-2012) .......................................... 19 Schaubild 17: F&E-Ausgaben der privaten Wirtschaft (2011) ............................................................. 21 Schaubild 18: F&E-Personal der privaten Wirtschaft (2011) ............................................................... 22 Schaubild 19: Patentanmeldungen (1991-2012) ................................................................................. 23 Schaubild 20: Personal nach Betriebsgrößenklassen im verarbeitenden Gewerbe (2012) ................ 24 Schaubild 21: Personal in Großunternehmen der Länder (2012) ........................................................ 25 Schaubild 22: Exportquoten in Ost und West (1991-2012) ................................................................. 26 Schaubild 23: Exportquoten der Länder (2012) ................................................................................... 26 Schaubild 24: Binnenwanderung zwischen Ost und West (1991-2011) .............................................. 29 Schaubild 25: Leistungsbilanzdefizit Ostdeutschlands (1991-2009) ................................................... 30 Schaubild 26: Steuerdeckungsquoten (1995-2013) ............................................................................ 31 Schaubild 27: Arbeitsproduktivität im verarbeitenden Gewerbe (2010) .............................................. 33 Schaubild 28: Monatliche Bruttolöhne im verarbeitenden Gewerbe (2007) ........................................ 34 Schaubild 29: F&E-Ausgaben im internationalen Vergleich (2011) ..................................................... 34 Schaubild 30: Anteil der Industrie an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung (2010)................... 35

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Einleitung1

Der vorliegende Beitrag zieht eine volkswirtschaftliche Zwischenbilanz der Deutschen Einheit. Dies

geschieht 24 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, 23 Jahre nach der politischen Wiedervereini-

gung des Landes und 19 Jahre nachdem die Treuhandanstalt, also die staatliche Holding des postso-

zialistischen Kapitalbestands der ehemaligen DDR, ihre Arbeit zur Privatisierung und Sanierung der

ostdeutschen Wirtschaft für beendet erklärte. Es geht dabei im Kern um drei Fragen: Wo steht der

Osten heute – im Vergleich zum Westen und zu den benachbarten Ländern Mitteleuropas, die das

gleiche Schicksal der Transformation teilten und inzwischen Mitglieder der Europäischen Union sind?

Wo liegen – im Unterschied zur Vergangenheit der beiden letzten Jahrzehnte – die Herausforderun-

gen der Zukunft? Wie sind diese, wenn überhaupt, politisch und wirtschaftlich zu bewältigen.

Dem Verfasser ist das Thema seit langer Zeit vertraut. Seine ersten Veröffentlichungen dazu legte er

in den 1990er Jahren vor. In einer mehrjährigen politischen Tätigkeit in Mitteldeutschland, insbesonde-

re als Finanzminister des Landes Sachsen-Anhalt 2002 bis 2006, hatte er umfassend Gelegenheit,

den „Aufbau Ost“ auch praktisch zu begleiten und in bescheidenem Rahmen mitzugestalten. Wieder

akademisch tätig, veröffentlichte er 20 Jahre nach dem Mauerfall – im Herbst 2009 – in Buchform eine

Bestandsaufnahme des Aufbaus Ost. Der Titel: Die Bilanz - Eine wirtschaftliche Analyse der Deut-

schen Einheit (Carl Hanser Verlag München 2009).

Der vorliegende Beitrag ist eine Art aktualisierte Untersuchung einiger wichtiger Aspekte, die dieses

Buch in den Blick nimmt. Insofern gibt es, was die analytischen Linien und zentralen Botschaften be-

trifft, natürlich eine Kontinuität zu dieser viel umfassenderen Publikation. Allerdings gibt es auch we-

sentliche Unterschiede und Akzentverschiebungen. Diese betreffen vor allem zwei Punkte: zum einen

die Entwicklungen der letzten fünf Jahre (grob gesprochen, seit der Weltfinanzkrise 2008), die doch

wichtige neue Erkenntnisse gebracht haben, gerade auch mit Blick auf die verschiedenen Dimensio-

nen der Ost/West-Konvergenz bzw. deren Ausbleiben; zum anderen die besondere Rolle des mittel-

deutschen Raumes, zu dem im Wesentlichen die drei Länder Thüringen, Sachsen und Sachsen-

Anhalt gehören und der sich immer mehr als eine stabile wirtschaftliche Einheit herausschält, mit ähn-

lichen Strukturdaten sowie gut vergleichbaren Chancen und Risiken der Entwicklung.

Thüringen findet sich dabei in vielerlei Hinsicht „mittendrin“. Wirtschaftsgeographisch liegt es nicht nur

in der Mitte Deutschlands, sondern auch im Zentrum Mitteldeutschlands – zwischen den sächsisch

geprägten Ballungsräumen Leipzig/Halle, Dresden und Chemnitz im Osten und den nördlichen Regio-

nen Sachsen-Anhalts, die eher in der landwirtschaftlichen Tradition Preußens stehen. Wirtschafts-

strukturell nimmt es eine ähnliche Mittelposition ein – mit Industrie- und Dienstleistungsbranchen, die

selbst nach den (quantitativ bescheidenen) Maßstäben des Ostens betont mittelständisch ausfallen

und die ihre Schwerpunkte zumeist in mittelgroßen Städten haben. Insofern ist Thüringen in der öffent-

lichen Wahrnehmung durchaus zu Recht eine Art prototypisches Land für den Osten geworden: nicht

behaftet mit den ausgeprägten Strukturproblemen Sachsen-Anhalts mit seinen Alt-Industrien, nicht

geplagt von der Belastung urbaner Sozialkonflikte wie der Großraum Berlin, nicht geprägt durch eine

1 Mein Dank gilt Kathrin Meyer-Pinger für die Vorbereitung des statistischen Materials. Ich danke auch Herrn Dr. William Brun-ton von der Zentralen Datenstelle der Länderfinanzminister für freundliche Unterstützung.

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großflächige Ausdünnung eines weiten agrarischen Flächenlandes wie Mecklenburg-Vorpommern,

aber auch nicht so stark begünstigt wie Sachsen von den technologischen Chancen, die größere Bal-

lungsräume auch der mittelständischen Wirtschaft bieten.

Kurzum: Kaum ein Land fügt sich so nahtlos in eine Art wirtschaftliche Durchschnittsbetrachtung des

Ostens ein wie eben Thüringen. Eine Zwischenbilanz muss deshalb zwingend den Osten als Ganzes

in den Blick nehmen und kann sich nicht in wirtschaftspolitischen Einzelfragen des Landes selbst ver-

lieren. Ähnlich wie Hessen im Westen ist Thüringen im Osten zu sehr eine zentral gelegene „Quer-

schnittsregion“, deren Lage nur aus der Gesamtsicht interpretierbar ist. Genau diese Strategie wird in

diesem Beitrag verfolgt.

Der Beitrag gliedert sich in fünf Teile. Nach dieser kurzen Einleitung folgt als Teil 1 eine zusammen-

fassende Würdigung der volkswirtschaftlichen Entwicklung Ostdeutschlands von 1990 bis zum aktuel-

len Rand. Es geht dabei um die genannten drei „mitteldeutschen“ Flächenländer Thüringen, Sachsen

und Sachsen-Anhalt und um die zwei „nordostdeutschen“ Flächenländer Brandenburg und Mecklen-

burg-Vorpommern sowie – sehr wichtig zum Gesamtverständnis der Probleme der Deutschen Einheit

– um die Hauptstadt Berlin, bis 1989 geteilt, seither mit großem Abstand die bevölkerungsreichste

Stadt Ostdeutschlands. Teil 2 sucht nach Gründen für die spezifisch ostdeutsche Entwicklung und

versucht diese, soweit möglich, mit statistischem Material zu untermauern. Die volkswirtschaftlichen

Fakten aus Teil 1 und 2 erlauben es zu prüfen, inwieweit die beiden großen politischen Ziele der deut-

schen Einheit – Stopp der Ost/West-Massenwanderung und Selbstfinanzierung des Ostens – inzwi-

schen nachhaltig erreicht oder zumindest näher gerückt sind. Dies geschieht in Teil 3. Darauf aufbau-

end werden die zentralen verbleibenden und neuen Herausforderungen der Deutschen Einheit in Teil

4 identifiziert und formuliert. In Teil 5 werden daraus politische Schlussfolgerungen gezogen. Dies

geschieht allen voran für Mitteldeutschland mit besonderem Blick auf Thüringen, aber auch für die

Bundespolitik mit Schwerpunkt auf die Reform des Finanzföderalismus und die Förderpolitik sowie

schließlich für das, was man eine „neue Berlinpolitik“ nennen könnte – mit Blick auf die Rolle des

Wachstums der größten Stadt des Ostens. Es bleiben dabei auch Fragen offen, und es werden neue

ketzerische Fragen gestellt. Dies gilt vor allem mit Blick auf die Lenkbarkeit regionaler Wachstumspro-

zesse und die begrenzten Möglichkeiten, historische Flurschäden und Pfadabhängigkeiten zu beseiti-

gen bzw. zu korrigieren.

Eine Warnung vorweg: Ein Beitrag von etwa 28 Textseiten kann nicht mehr liefern als einen gedankli-

chen Holzschnitt – als Anregung und Startpunkt für weitergehende Analysen. Genau dies versucht

dieser Beitrag zu leisten, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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1 Wirtschaftliche Entwicklungen

Mit etwas Mut zur Vereinfachung lässt sich die Strukturgeschichte der ostdeutschen Wirtschaft seit der

Wiedervereinigung in drei Phasen unterteilen: eine erste, recht kurze Phase (1990 bis 1993/4), in der

die ostdeutsche Industrie – gemeint ist damit vor allem: das verarbeitende Gewerbe – zusammen-

brach und gleichzeitig die Bauwirtschaft massiv expandierte und damit den physischen „Aufbau Ost“

einleitete; eine zweite, etwa 15jährige Phase (1994 bis 2008/9), in der sich eine kontinuierliche Re-

Industrialisierung des Ostens vollzog und die Bauwirtschaft auf ein einigermaßen normales Niveau der

Produktion „zurückschrumpfte“; und schließlich eine dritte Phase, die mit der Weltfinanzkrise 2008/9

einsetzte und, wie wir sehen werden, die Re-Industrialisierung des Ostens zu einem vorübergehenden

Halt brachte.

Die Schaubilder 1 bis 3 machen diese drei Entwicklungsphasen deutlich. Schaubild 1 zeigt das zeit-

liche Profil des Aufbaus Ost am Aufstieg und Niedergang der Bauwirtschaft im Osten (hier ohne Ber-

lin)2 im Vergleich zum Westen, jeweils als Anteil der Bauwirtschaft an der gesamtwirtschaftlichen

Wertschöpfung der Region. Nachdem die ostdeutsche Bauwirtschaft in den frühen und mittleren

1990er Jahren eine massive Expansion erlebt hatte – ihr Anteil an der regionalen Bruttowertschöpfung

betrug zeitweise fast 17 Prozent (im Vergleich zu sechs Prozent im Westen), kam es anschließend zu

einer drastischen Konsolidierung, die im Ergebnis schon Mitte der 2000er Jahre abgeschlossen war.

Seither liegt der Anteil der Bauwirtschaft an der Bruttowertschöpfung im Osten zwar immer noch über

dem im Westen, aber der Abstand ist nicht groß und über die Zeit konstant. Eine deutliche Verände-

rung am aktuellen Rand lässt sich kaum mehr ausmachen.

2 Hier und im Folgenden wird stets Berlin ausgeklammert, da sonst gerade für die Frühzeit der Entwicklung (und damit insge-samt für die Dynamik der langfristigen Veränderung) ein verzerrtes Bild entstünde. Der Grund: Das frühere Westberlin durchlief in den 1990er Jahren keine industrielle Krise, die vergleichbar wäre mit dem Ausmaß der Krise in den neuen Ländern (und Ostberlin). Genau deshalb käme rein quantitativ der Industrie (und der gesamten Wirtschaft) Westberlins in den 1990er Jahren ein übermäßig großes Gewicht zu. Geht es in der weiteren Analyse dieses Beitrags um den aktuellen Stand der ostdeutschen Wirtschaft, wird dagegen stets Berlin dem Osten zugeschlagen, da die Stadt aus regionalökonomischer Sicht inzwischen längst zum „modernen“ Ostdeutschland gehört.

Schaubild 1: Entwicklung der Bauwirtschaft (1991-2012)*

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Schaubild 2 zeigt die Entwicklung der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes in den

neuen Ländern als Anteil an der gesamtdeutschen Bruttowertschöpfung von 1991 bis 2012. Die Bot-

schaft ist eindeutig: Der Tiefpunkt wurde mit 3,5 Prozent 1992 erreicht, nachdem es schon 1990 und

1991 zu einem überaus dramatischen Einbruch gekommen war, der allerdings in der Graphik wegen

fehlender vergleichbarer Statistiken für das Jahr 1990 nicht abgebildet ist. Ab 1992 gibt es dann einen

recht kontinuierlichen Anstieg bis 9,4 Prozent in den Jahren 2008 und 2009. Am aktuellen Rand, also

in der Erholungsphase nach der Weltfinanzkrise, zeichnet sich allerdings ein leichtes Sinken ab, das

uns noch beschäftigen wird. Prima facie jedenfalls sieht es aus, als sei in jüngster Zeit ein erster Pla-

fond erreicht und eine weitere Steigerung über 10 Prozent nicht in Sicht.

Qualitativ ähnlich, wenn auch erkennbar verzögert, sieht es beim ostdeutschen Anteil der Erwerbstäti-

gen im verarbeitenden Gewerbe aus (auch Schaubild 2): Der Tiefpunkt des Einbruchs wurde 1993

erreicht, und zwar mit 10,8 Prozent; dem folgte zunächst eine Phase der Stagnation bis zur Jahrtau-

sendwende, in der lediglich die Wertschöpfung, noch nicht aber die Beschäftigung anstieg; danach

folgte ein moderater, aber kontinuierlicher Anstieg, der allerdings ab 2011 bei 12,4 Prozent zum Still-

stand kam.

Schaubild 2: Entwicklung der Industrie (1991-2012)*

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Ein Blick auf die jährlichen Veränderungsraten der industriellen Bruttowertschöpfung (Schaubild 3)

bestätigt den Eindruck eines erreichten Plafonds der Re-Industrialisierung in allerjüngster Zeit: von

1993 bis 2007 nahm die industrielle Produktion im Osten stets stärker zu als im Westen, und zwar im

Wesentlichen unabhängig von der Konjunkturlage, die sich in den verschiedenen Zacken der Kurven

widerspiegelt. Der überaus scharfe Konjunktureinbruch 2009 brachte in dieser Hinsicht eine (temporä-

re?) Wende: Während die Größenordnung des Einbruchs in West und Ost ähnlich war, fiel die an-

schließende Erholung im Westen dynamischer aus als im Osten. Dafür gibt es nachvollziehbare kon-

junkturelle Gründe, wie Brautzsch et al. (2013) in ihrem aktuellen Konjunkturbericht zu Ostdeutschland

ausführen: Die noch immer stärkere Weltmarktorientierung der westdeutschen im Vergleich zur ost-

deutschen Industrie könnte dafür sorgen, dass der Westen weniger unter der schwierigen Wirtschafts-

lage in den südlichen Ländern des Euroraumes leidet und entsprechend stärker von der relativ stabi-

len Lage in den schnell wachsenden Märkten der großen Schwellenländer wie China, Indien, Indone-

sien und Brasilien profitiert.

Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die jüngste Entwicklung auch den Prozess der Konvergenz der

industriellen Arbeitsproduktivität zwischen West und Ost nicht unberührt gelassen hat. Schaubild 4

belegt dies. Von den frühen 1990er Jahren bis 2008 nahm die industrielle Wertschöpfung pro Erwerb-

stätigen im Verhältnis Ost zu West deutlich zu, von gerade mal 19 Prozent (1991) über 68,5 Prozent

(2000) bis auf 77,7 Prozent (2007) und 77,3 Prozent (2008). Seither allerdings entwickelte sie sich

signifikant zurück – offenbar als Konsequenz einer dynamischeren Erholung der Industrie im Westen,

die sich stärker in der Wertschöpfung als in der Beschäftigung niederschlug. Es handelt sich dabei um

ein industriespezifisches Phänomen, denn gesamtwirtschaftlich ist nichts Dergleichen zu beobachten:

Schaubild 3: Jährliches Wachstum der Industrie (1992-2012)*

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Schaubild 4: Arbeitsproduktivität im Osten (1991-2012)*

Schaubild 5: Entwicklung der Landwirtschaft (1991-2012)*

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Wie Schaubild 4 zeigt, stagniert die Wertschöpfung pro Erwerbstätigen gesamtwirtschaftlich unver-

ändert bei rund 75 Prozent des Westniveaus. Auch in der Land- und Forstwirtschaft, dem anderen

weltmarktorientierten Sektor der ostdeutschen Wirtschaft, zeigt sich kaum eine Veränderung (Schau-bild 5). Dort ist seit Mitte der 1990er Jahre längst die Ost/West-Konvergenz erreicht, nach neuer Da-

tenlage3 sogar ein Vorsprung der Arbeitsproduktivität im Osten um ca. 20 Prozent, der zwar im Zeitab-

lauf den üblichen Ernteschwankungen unterworfen ist, aber keinen erkennbaren Trend mehr aufweist,

auch nicht im Nachgang zur Weltfinanzkrise.

Inwieweit sich die neuste Entwicklung in der Industrie auf die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen

Industriestandorte auswirkt, muss vorläufig offen bleiben. Tatsache ist, dass das industrielle Lohnge-

fälle Ost zu West auch nach der Weltfinanzkrise weitgehend unverändert geblieben ist (Schaubild 6).

So liegt der Bruttolohn je Arbeitnehmer weiterhin bei etwa 67 Prozent des westdeutschen Niveaus

(und dies immerhin schon seit 14 Jahren!). Durch den jüngsten Abfall der Arbeitsproduktivität Ost zu 3 Eine jüngste Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen sorgte für eine Korrektur der Wertschöpfung pro Erwerb-stätigen in der Landwirtschaft im Verhältnis Ost zu West um etwa 20 Prozent zugunsten des Ostens. Dies dürfte im Wesentli-chen auf persistente Unterschiede in der Betriebsgrößenstruktur zurückzuführen sein, die insbesondere zwischen der relativ kleinteiligen süddeutschen und der großflächigen nordostdeutschen Landwirtschaft zu Buche schlagen.

Schaubild 6: Arbeitskosten im Osten (1991-2012)*

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West bedeutet dies, dass die Lohnstückkosten Ost zu West leicht gestiegen sind. Sie liegen allerdings

immer noch deutlich unter 100 Prozent und indizieren damit weiterhin, dass Ostdeutschland im Ver-

gleich zum Westen (und allemal im innereuropäischen Vergleich) ein Industriestandort bleibt, der von

der Lohnkostenseite her sehr attraktiv ist. Auch am Arbeitsmarkt sind keinerlei negative Folgen der

jüngsten Produktivitätsdelle auszumachen. Die im innereuropäischen Vergleich sehr gute Bilanz der

deutschen Wirtschaft seit der Weltfinanzkrise hat sich nicht nur im Westen, sondern auch im Osten in

einer Fortsetzung der positiven Trends am Arbeitsmarkt niedergeschlagen (Schaubild 7). So sank die

Arbeitslosenquote seit 2005 im Westen von rund 11 auf 7 Prozent, im Osten von 21 auf gut 12 Pro-

zent.4 Eine ähnlich günstige Entwicklung gab es bei den Erwerbsquoten, die in Ost und West deutlich

(und weitgehend parallel) anstiegen (siehe wieder Schaubild 7).

In jüngster Zeit wird dieses generell günstige Bild der industriellen Wettbewerbsfähigkeit lediglich

eingetrübt durch eine zunehmende Schere der Energiekosten zwischen West und Ost, und zwar zu

Lasten des Ostens. So zeigen aktuelle Untersuchungen, dass aus einer Reihe struktureller Gründe die

ostdeutschen Flächenländer 15 bis 20 Prozent höhere Stromnetzgebühren aufweisen als die meisten

4 Die Arbeitslosenquote ist aus Gründen der intertemporalen Vergleichbarkeit hier definiert als Anteil der Arbeitslosen an der Zahl der (abhängigen) Erwerbspersonen. Die seit einigen Jahren international übliche Definition als Anteil der Arbeitslosen an der gesamten Zahl der Erwerbspersonen sorgt aktuell für Arbeitslosenquoten, die in West und Ost mehr als ein Prozentpunkt niedriger ausfallen als die hier ausgewiesenen.

Schaubild 7: Arbeitsmarkt in Ost und West (1991-2012 bzw. 1991-2011)

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westdeutschen – und dies bei insgesamt deutschlandweit hohen Energiekosten infolge der beschlos-

senen Energiewende.5 Ob sich dies langfristig als schwerwiegender Standortnachteil herausstellt,

bleibt abzuwarten. jedenfalls ist es auf absehbare Zeit das einzige Segment auf der direkt messbaren

betriebswirtschaftlichen Kostenseite, bei dem der Osten systematische Nachteile hinnehmen muss.

Soweit ein erster Blick auf die ostdeutsche Wirtschaft bzw. deren Industrie als Ganzes. Eine weitere

regionale Auffächerung der Statistik zeigt, dass die Parallelen zwischen den ostdeutschen Ländern

die Unterschiede bei weitem überwiegen. Dies hat der Verfasser schon 2009 auf der Grundlage der

damals vorhandenen Statistiken nachgewiesen.6 Es bestätigt sich im Wesentlichen, wenn auch nicht

in jedem Detail, auch unter Maßgabe der neuesten Entwicklungen bis zum aktuellen Rand 2012. Es

folgen einige zentrale volkswirtschaftliche Eckdaten auf Aggregationsebene der Länder.

Schaubild 8 zeigt die gesamtwirtschaftliche Bruttowertschöpfung der ostdeutschen Länder zu kon-

stanten Preisen im Zeitraum 1991 bis 2012, normiert auf das jeweilige Startniveau (1991=100). Dabei

werden zunächst Berlin und Brandenburg zusammengefasst, da es sich bei realitätsnaher Betrach-

tung um einen Wirtschaftsraum – und nicht zwei gedanklich trennbare Wirtschaftsräume – handelt.

Das Bild zeigt für vier der fünf Regionen einen zunächst steilen und dann abgeflachten Produktions-

anstieg, wobei Thüringen und Sachsen insgesamt erkennbar schneller wuchsen als Mecklenburg-

Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Lediglich Berlin/Brandenburg fällt deutlich ab. In allen fünf Regio-

nen zeigt sich in dem gesamtwirtschaftlich extrem schwierigen Jahr 2009 ein Knick nach unten, der im 5 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. August 2013, S. 9 („Ostdeutschland Verlierer der Energiewende“). 6 Paqué (2009), insbesondere Abschnitt 4.3

Schaubild 8: Produktionsniveau in der Gesamtwirtschaft (1991-2012)*

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mitteldeutschen Raum am stärksten ausfällt, aber gerade dort anschließend auch am dynamischsten

überwunden wird. Insgesamt spricht das Bild für eine Entwicklung, bei der Thüringen und Sachsen die

dynamischsten Regionen sind.

Diese naheliegende Schlussfolgerung gilt in der öffentlichen Meinung als eine Art „stilisiertes Faktum“,

das nicht weiter hinterfragt wird. Dem „Süden“ Ostdeutschlands wird allgemein mehr Dynamik zuge-

sprochen als dem „Norden“ (einschließlich Berlin). Diese Schlussfolgerung muss allerdings mit Vor-

sicht interpretiert werden, bezieht sie sich doch auf die Nettobilanz des gesamten Zeitraums seit den

frühen 1990er Jahren. Sie ist quantitativ in starkem Maße von der frühen Entwicklung der 1990er Jah-

re geprägt. Anders formuliert: Thüringen und Sachsen hatten in der Transformation den besten Start,

aber die frühe Dynamik übersetzte sich nicht, was das Wachstum betrifft, in eine dauerhafte Füh-

rungsrolle. Schaubild 9 verdeutlicht dies, indem es die Entwicklung auf den Zeitraum 2004 bis 2012

beschränkt (2004=100).

Das Ergebnis: Nicht Sachsen und Thüringen führen die Regionen an, sondern Berlin/Brandenburg

und Mecklenburg-Vorpommern. Schaubild 10, das zusätzlich zwischen Berlin und Brandenburg diffe-

renziert, deutet dabei auf eine positive (!) Sonderrolle Berlins in jüngerer Zeit. Offenbar ist es das

Wachstum Berlins, das seit 2004 herausragt, während die übrigen ostdeutschen Länder in der Ent-

wicklung dahinter und dabei recht nahe beieinander liegen.

Schaubild 9: Produktionsniveau in der Gesamtwirtschaft A (2004-2012)*

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Dies gilt selbst dann, wenn man nicht die Gesamtwirtschaft, sondern das verarbeitende Gewerbe be-

trachtet (Schaubild 11): Auch im industriellen Wachstum prescht Berlin neuerdings vor, wenn auch

der Abstand ein wenig kleiner ausfällt als bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung.

Schaubild 10: Produktionsniveau in der Gesamtwirtschaft B (2004-2012)*

Schaubild 11: Produktionsniveau im verarbeitenden Gewerbe (2004-2012)*

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Sieht man von der Besonderheit Berlins ab, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, dominie-

ren also weiterhin die strukturellen Gemeinsamkeiten der ostdeutschen Länder, und nicht ihre Unter-

schiede. Auch ein Blick auf die Arbeitsproduktivität, gemessen als Bruttowertschöpfung pro Erwerbstä-

tigen im Jahr 2012, macht dies deutlich (Schaubild 12). Die Arbeitsproduktivität in den fünf ostdeut-

schen Flächenländern liegt zwischen 75 und 85 Prozent des gesamtdeutschen Durchschnittsniveaus,

wobei die Unterschiede wohl im Wesentlichen durch die Spezifika der regionalen Industriestruktur

bedingt sind.

So liegen Brandenburg und Sachsen-Anhalt vorne – beide als Standorte kapitalintensiver Chemie-

und Grundstoffindustrien, hinten liegen Thüringen und Sachsen mit Schwerpunkten in Feinmechanik

und Fahrzeugbau. Gleichwohl liegt der „Club“ der ostdeutschen Länder unverändert am unteren Rand

der Skala aller 16 Länder, und zwar auch noch deutlich hinter den am stärksten agrarisch orientierten

westlichen Flächenländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Es gibt also ein

unverändert systematisches „West/Ost-Produktivitätsproblem“, das alle ostdeutschen Regionen

durchzieht.

Wie stark die Gemeinsamkeit ist, zeigt sich auch in der zeitlichen Entwicklung der Arbeitsproduktivität

relativ zum Westen (Schaubild 13): Gemeinsames scharfes Aufholen in den 1990er Jahren und mo-

derater Anstieg danach, mit annähernder Stagnation des Rückstands zum Westen in jüngster Zeit. In

Schaubild 12: Arbeitsproduktivität in der Gesamtwirtschaft (2012)*

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allen Ländern findet sich mithin die Stilistik der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Arbeitsproduk-

tivität, wie sie sich in Schaubild 4 darstellte.

Es ist überaus bemerkenswert, dass sich auch das jüngste leichte Ost/West-Zurückfallen der Arbeits-

produktivität im verarbeitenden Gewerbe nach der Weltfinanzkrise überall im Osten zeigt (Schaubild 14): Während die westdeutschen Länder nach 2010 ihre Niveaus halten oder noch leicht erhöhen,

sinken alle fünf ostdeutschen Länder zumindest zeitweise leicht ab. Kurzum: Alle Indizien sprechen

dafür, dass auch in der allerjüngsten Entwicklung gemeinsame Strukturmerkmale die Ergebnisse be-

stimmen – und nicht länderspezifische Entwicklungen, seien sie nun positiv oder negativ.

Schaubild 13: Arbeitsproduktivität in der Gesamtwirtschaft (1991-2012)*

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Schaubild 14: Arbeitsproduktivität im verarbeitenden Gewerbe (1991-2012)*

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2 Strukturelle Ursachen

Über zwei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung ist heute völlig unstrittig, dass der phy-

sische Aufbau Ost im Wesentlichen abgeschlossen ist. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die

Diagnose der strukturellen Gründe, warum die ostdeutsche Wirtschaft – und vor allem die ostdeutsche

Industrie – noch immer einen (persistenten) Rückstand in der Arbeitsproduktivität gegenüber dem

Westen aufweist. Es bedeutet nämlich, dass Rückstände in der Infrastruktur, in der Modernität des

Kapitalstocks, in der Qualität der Verwaltung und in anderen physischen Engpässen der Entwicklung

nicht mehr nachweisbar sind. Sie kommen deshalb zur Erklärung des beobachteten Rückstands auch

nicht in Frage.7

Die Suche nach objektivierbaren Gründen muss sich deshalb auf jene „normalen“ Bereiche konzent-

rieren, die in der Regionalökonomik zur Erklärung von Produktivitätsunterschieden geographischer

Einheiten eine wichtige Rolle spielen. Die zentrale Frage ist also: Gibt es stabile strukturelle Charakte-

ristika der ostdeutschen Wirtschaft, die sich im Zuge des industriellen Zusammenbruchs und der da-

rauf folgenden Re-Industrialisierung herausgebildet haben und den heutigen persistenten Rückstand

erklären können – und zwar im Wesentlichen für das gesamte Territorium der früheren DDR?

Es ist naheliegend, das Augenmerk dabei auf die Struktur der Industrie zu lenken. Sie hat „strategi-

sche“ Bedeutung, weil andere Sektoren der Wirtschaft nicht annähernd eine solch differenzierte welt-

marktorientierte Produktpalette vorweisen können. Ganz offensichtlich ist dies für die Land- und

Forstwirtschaft. Sie beliefert den Weltmarkt im Wesentlichen mit standardisierten Produkten, die nach

Einführung modernster Technologie und eines erneuerten Kapitalbestands bei vergleichbaren Böden

mit ähnlicher Produktivität wie im Westen erstellt werden. Tatsächlich weist die ostdeutsche Land- und

Forstwirtschaft seit ihrer zügigen Restrukturierung in der ersten Hälfte der 1990er Jahre keinen Pro-

duktivitätsrückstand zum Westen auf, sondern sogar einen Vorsprung (siehe Schaubild 5) – bedingt

wohl vor allem durch effiziente Betriebsgrößen mit hoher Nutzfläche pro Erwerbstätigen, also einer

hohen „Bodenintensität“ der Produktion. Bei fast identischer Produktqualität bewertet der Weltmarkt

die ost- und westdeutschen Produkte im Wesentlichen gleich. Einen Grund für einen Vorsprung des

Westens, was die Wertschöpfung pro Erwerbstätigen betrifft, gibt es nicht.

Im großen, aber sehr heterogenen Dienstleistungssektor ist die Lage komplizierter. Es ist dabei sinn-

voll, zwischen weltmarktorientierten und lokalen Dienstleistungen zu unterscheiden. Erstere ähneln

der Industrie, weil sie – grundsätzlich global – differenzierte Leistungen anbieten, die sich nicht an der

regionalen Nachfrage orientieren. Ihre Preise werden im Weltmarkt bestimmt und nicht im Binnen-

markt. Es geht also, genau wie in der Industrie, um „handelbare Güter“. Anders ist die Lage bei loka-

len Dienstleistungen, deren Wert maßgeblich davon beeinflusst wird, wie hoch die Einkommen in der

Region sind. Diese wiederum speisen sich aus der Arbeitsproduktivität, die sich aus der Wertschöp-

fung in den weltmarktorientierten Sektoren der Wirtschaft ergibt. Der Wert dieser Dienstleistungen ist

also, ökonomisch gesprochen, „endogen“, es geht um „nicht-handelbare“ Dienstleistungen: Ihr Preis

ist dort hoch, wo die Nachfrage für sie groß ist, und zwar gerade infolge der hohen Produktivität in

7 Dazu ausführlich Paqué (2009), Kapitel 3.

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anderen Teilen der Wirtschaft. Klassische Beispiele dafür sind Friseur- und Handwerksleistungen

sowie die Bewertung lokaler Immobilien und die damit verbundenen Bau-, Makler- und Finanzdiens-

te.8

Die beiden Varianten von Dienstleistungen – handelbare und nicht-handelbare – sind als Elemente

des volkswirtschaftlichen Wachstums unterschiedlich zu betrachten: Handelbare Dienstleistungen –

einmal etabliert – sind wie die Industrie in der Regel eigenständige Standbeine einer regionalen Wirt-

schaftsstruktur. Beispiele liegen auf der Hand: der Fernhandel des Hafens Hamburg, die Finanzdienst-

leistungen der Bankenmetropole Frankfurt am Main, die Versicherungsleistungen des Zentrums der

Assekuranz Köln, die Publikationsleistungen der Verlagsstadt München oder der Pressestadt Ham-

burg. Nicht-handelbare Dienstleistungen sind es dagegen nicht, denn ihre Wertschöpfung steht und

fällt mit der Wertproduktivität in jenen Sektoren, die das weltmarktverankerte Rückgrat der regionalen

Wirtschaft darstellen. Eine Schwäche nicht-handelbarer Dienstleistungen ist deshalb in der Regel nicht

Ursache, sondern Folge eines anderweitigen Mangels an Wertschöpfung.

Für die ostdeutsche Wirtschaft heißt dies konkret: Die tiefere Ursache des ostdeutschen Rückstands

muss im Bereich handelbarer Güter gesucht werden, seien sie nun industrielle Produkte oder Dienst-

leistungen. Was letztere betrifft, ist die Schwäche ganz offensichtlich und auf absehbare Zeit irreversi-

bel. So gab es in den Jahrzehnten vor der deutschen Teilung im Osten Deutschlands zwei große ur-

bane Dienstleistungszentren: die Reichshauptstadt Berlin u. a. als Bankenmetropole und Leipzig als

internationale Messe- und Handelsstadt. Beide urbanen Großräume konnten als Dienstleistungszen-

tren nach der Wiedervereinigung nicht annähernd an die frühere Bedeutung anknüpfen, weil offenbar

die Zentripetalkräfte in den betroffenen Sektoren enorm stark sind und eine regionale Konzentration

auf einmal etablierte Zentren befördern. Dies liegt vor allem an typischen Ballungseffekten durch

hochspezialisierte Arbeitsmärkte, Zulieferleistungen sowie lokalen Informationsverdichtungen.9 Tat-

sächlich käme heute kaum ein Beobachter der deutschen Einheit auf den Gedanken, zum Beispiel

eine Rückverlagerung der Bankenzentralen von Frankfurt am Main nach Berlin zu fordern, nachdem

im Rhein/Main-Ballungsgebiet längst eine gut funktionierende Arbeitsteilung im Finanzbereich ent-

standen ist. Sieht man von der Modernisierung der Leipziger Messe ab, so beschränken sich denn

auch die Bemühungen in Richtung handelbarer Dienstleistungen auf jene Bereiche, die ihrer Natur

nach nur eine begrenzte Reichweite haben (z. B. regionale Messezentren) oder zur Industrie komple-

mentär sind, also letztlich die industrielle Regeneration unterstützen und abrunden.10

Es ist deshalb tatsächlich sinnvoll, das Kernproblem der ostdeutschen Wirtschaft im verbleibenden

industriellen Rückstand zu orten. In zwei zentralen Merkmalen unterscheidet sich die ostdeutsche von

der westdeutschen Industrie (hier und im Folgenden verstanden als das verarbeitende Gewerbe).

8 Dies ist die zentrale Aussage der sog. Balassa-Samuelson-Theorie (Balassa 1964, Samuelson 1964). Sie besagt, dass sich in einer Welt mit sektoraler Konkurrenz um Arbeitskräfte der Fortschritt der (physischen) Arbeitsproduktivität im Sektor der handel-baren Güter auf den Sektor der nicht-handelbaren Güter überträgt, und zwar in Form einer Preiserhöhung der betreffenden Güter, die eine entsprechende Lohnerhöhung ermöglicht. Somit steigt die Wertproduktivität der Arbeit in beiden Sektoren: im handelbaren Sektor via Produktivitätssteigerung, im nicht-handelbaren Sektor via Preissteigerung. Dies ist u. a. der Grund, dass lokale Dienstleistungen typischerweise in hochentwickelten Regionen relativ teuer, in weniger entwickelten Regionen aber relativ billig sind. 9 Theoretische Überlegungen zur Wirkung regionaler externer Effekte liefern die theoretische Basis für diese Beobachtung (u. a. Krugman (1991)). 10 Dazu im Einzelnen Paqué (2009), Kapitel 4.

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Erstens ist sie noch immer „zu klein“, trotz im Wesentlichen gelungener Re-Industrialisierung des Os-

tens. Schaubild 15 zeigt für den Zeitraum 1991 bis 2012 den Anteil des verarbeitenden Gewerbes an

der gesamten Bruttowertschöpfung jeweils in Ost und West, Schaubild 16 die entsprechenden Anteile

der Erwerbstätigen.

Schaubild 15: Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes (1991-2012)*

Schaubild 16: Erwerbstätige des verarbeitenden Gewerbes (1991-2012)*

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Das Bild ist eindeutig: Fortschritt ja, aber völlige Konvergenz nein. Im Bild gesprochen: Der Produktivi-

tätsmotor „verarbeitendes Gewerbe“ ist im Osten noch immer kleiner als im Westen. Bedenkt man,

dass Mitteldeutschland und Berlin vor 1945 zu den industriellen Zentren des Deutschen Reiches ge-

hörten, zeigt sich hier sehr deutlich ein noch immer nachwirkender Flurschaden der sozialistischen

Zeit und der anschließenden Aufräumarbeiten.11

Das zweite Merkmal ist der persistente Rückstand der Industrie in der Arbeitsproduktivität, wie er aus

Schaubild 4 abzulesen ist. Er liegt in der Größenordnung von 20 bis 30 Prozent, je nach Zeitpunkt,

Region und Methodik der Messung12. Die zentrale „strategische“ Frage ist deshalb: Wo genau liegen

die Gründe für diesen persistenten Rückstand? Die plausibelste schlagworthafte Antwort lautet: Die

ostdeutsche Industrie hat noch immer zu einem beträchtlichen Teil den Charakter einer verlängerten

Werkbank, auch mehr als zwei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung. Was im Zuge der

Re-Industrialisierung aufgebaut wurde, sind moderne und effiziente Produktionsstätten; was an wett-

bewerbsfähigen Gütern produziert wird, hat aber noch nicht den Innovationsgehalt und die globale

Marktdurchdringung, die etablierte Unternehmen im Westen aufweisen.

Es ist sehr schwierig, diese Antwort wissenschaftlich präzise zu untermauern. Der Grund liegt in deren

qualitativer Natur, die sich jeder einfachen Quantifizierung entzieht: Produktpaletten, die in hohem

Maße differenziert sind, lassen sich nicht einfach in Bereiche zerlegen, die einen hohen vs. niedrigen

Innovationsgehalt oder eine hohe vs. niedrige Attraktivität für den Weltmarkt belegen. Stattdessen

lassen sich bestenfalls einige Charakteristika der ostdeutschen im Vergleich zur westdeutschen Wirt-

schaft aufzeigen, die auf die geschilderte strukturelle Schwäche hindeuten. Wir wählen im Folgenden

drei Charakteristika aus: (i) den Grad der industriellen Forschung und Entwicklung, (ii) die Be-

triebsgröße sowie (iii) die Exportorientierung.

Forschung & Entwicklung (F&E)

Es ist seit langem bekannt, dass die F&E-Aktivität ostdeutscher Unternehmen im Durchschnitt deutlich

geringer ist als die westdeutscher Unternehmen. So betrugen laut Statistischem Bundesamt die F&E-

Ausgaben der Privatwirtschaft 2011 im Westen 1,9 Prozent, im Osten (einschließlich Berlin) gerade

mal 1,0 Prozent der Bruttowertschöpfung (ohne Berlin: 0,9 Prozent). Im Westen wird also – gemessen

an der wirtschaftlichen Leistung – in etwa das Doppelte in die Suche nach innovativen Produkten und

Prozessen investiert als im Osten. Bemerkenswert ist dabei, dass sich an dieser Relation in den letz-

ten Jahren kaum etwas geändert hat, der Osten also keineswegs systematisch gegenüber dem Wes-

ten aufholt, allerdings auch nicht zurückfällt. Was den Anteil des F&E-Personals an den Erwerbstäti-

gen betrifft, ist das Bild ganz ähnlich: rund 0,8 Prozent im Westen und 0,4 Prozent im Osten. Noch

akzentuierter ist der Unterschied, schaut man auf das Niveau des volkswirtschaftlichen For- 11 Dazu ausführlich Paqué (2009), Kapitel 5. 12 Wir verzichten an dieser Stelle und im Folgenden ausdrücklich auf eine präzisere Quantifizierung des Rückstands und be-schränken uns auf die nachweisbare grobe Größenordnung. Wir tun dies aus drei Gründen: (i) Der Rückstand hängt von der Messung ab, ist z. B. pro Arbeitsstunde höher als pro Erwerbstätigen (dazu Schaubild 4), da die Arbeitszeit im verarbeitenden Gewerbe im Osten höher ist als im Westen. (ii) Er variiert, wie Schaubild 12 zeigt, je nach Industriestruktur zwischen den ost-deutschen Ländern. (iii) Er hat sich in jüngster Zeit (nach 2008) aus den im Text behandelten Gründen wieder relativ stark verändert (Schaubild 4).

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schungsoutputs, grob gemessen als Anzahl der Patente pro Millionen Einwohner. Hier lag der Westen

2012 bei 661, der Osten nur bei 198.

Stärker als bei der Arbeitsproduktivität zeigt sich bei der F&E-Aktivität eine Streuung zwischen den

ostdeutschen Ländern. Schaubild 17 belegt dies für die F&E-Ausgaben: Berlin, Sachsen und Thürin-

gen liegen deutlich über, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern deutlich unter

ein Prozent.

Schaubild 18 belegt Analoges für das F&E-Personal mit der gleichen Reihung der Länder. Die for-

schungsstarken ostdeutschen Länder können sich dabei quantitativ durchaus schon mit den for-

schungsschwächeren westdeutschen Flächenländern messen. So erreichen Thüringen und Sachsen

bei F&E-Ausgaben und F&E-Personal in etwa die Größenordnung Nordrhein-Westfalens. Sie lassen

dabei das Saarland und Schleswig-Holstein hinter sich, ebenso wie die Hanse-Stadtstaaten Bremen

und Hamburg, die allerdings eine gänzlich andere Wirtschaftsstruktur aufweisen, mit einer viel stärke-

ren Orientierung auf Handel und Dienstleistungen.

Schaubild 17: F&E-Ausgaben der privaten Wirtschaft (2011)* **

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Zu beachten ist im Übrigen, dass sowohl zwischen West und Ost als auch innerhalb beider Gruppen

der Zusammenhang zwischen F&E-Orientierung (Schaubilder 17 und 18) und der Arbeitsproduktivität

(siehe Schaubild 12) alles andere als strikt ausfällt. Dies gilt allemal für den Osten: Jene beiden Län-

der Brandenburg und Sachsen-Anhalt, die aufgrund ihrer Branchenstruktur mit einem Schwerpunkt bei

kapitalintensiven Industrien (z. B. die Chemie) eine überdurchschnittliche Arbeitsproduktivität aufwei-

sen, hinken bei F&E hinterher; umgekehrt gilt, dass die relativ produktivitätsschwachen Länder (Sach-

sen und Thüringen) bei F&E ostdeutsche Spitzenpositionen einnehmen. Dahinter steht durchaus eine

ökonomische Logik: In kapitalintensiven Industrien ist typischerweise nicht nur die Produktion, sondern

auch die F&E sehr aufwendig und an große, bereits vorhandene Versuchsanlagen gebunden. Genau

dies kann dazu führen, dass es dort für selbständige ostdeutsche Newcomer oder auch für ostdeut-

sche Produktionsstätten innerhalb eines Konzernverbundes sehr schwierig ist, überhaupt eigenstän-

dige Forschung im nennenswerten Umfang zu betreiben. In weniger kapitalintensiven Branchen ist die

Einstiegshürde niedriger.

Schaubild 18: F&E-Personal der privaten Wirtschaft (2011)* **

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Tatsächlich mag genau hier in der Zukunft ein struktureller Vorteil für Sachsen und Thüringen liegen.

Wenn F&E tatsächlich auf lange Sicht eine große Bedeutung für die künftige Innovationskraft der an-

sässigen Industrie zukommt, dann haben Sachsen und Thüringen zweifellos einen günstigeren Start-

punkt als Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie das ohnehin weniger stark industrialisierte Meck-

lenburg-Vorpommern. Einstweilen schlägt sich dies allerdings weder in höherer Arbeitsproduktivität

(Schaubild 12) noch in einer nachhaltig dynamischeren Wirtschaftsentwicklung (Schaubilder 10 und 11) nieder. Deutlich zu erkennen ist es aber im Forschungsoutput (Schaubild 19): Was Patente pro

Millionen Einwohner betrifft, liegen Sachsen und Thüringen seit einigen Jahren unter den ostdeut-

schen Flächenländern klar vorne – gewissermaßen auf halbem Weg zum Westen.

Betriebsgrößen

Seit langem zeichnet sich ab, dass die Re-Industrialisierung Ostdeutschlands in einer Größenstruktur

der Betriebe mündet, die sich von der westdeutschen deutlich unterscheidet. Zentrales Charakteristi-

kum ist dabei die Dominanz kleiner Einheiten (Schaubild 20). So waren im Jahr 2012 im Westen die

Hälfte aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe in Betrieben mit

mindestens 250 Beschäftigten tätig, im Osten waren es nur 29 Prozent. Bei den Betrieben über 500

Beschäftigten fiel der Unterschied noch krasser aus: 36 vs. 17 Prozent. Klar ist: Die Größe ist kein

Schaubild 19: Patentanmeldungen (1991-2012)*

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Indikator für die wirtschaftliche Leistungskraft eines Betriebes – und schon gar nicht in einer Wirtschaft

wie der deutschen, die für ihre lange und stolze Tradition mittelständischer Innovationsstärke gerühmt

wird. Gleichwohl ist es realistisch anzunehmen, dass es Betrieben in den unteren Größenklassen

doch deutlich schwerer fällt, die Fixkosten einer umfangreichen Forschungstätigkeit zu tragen und

gegebenenfalls auch hohe „versunkene Kosten“ in Kauf zu nehmen, um überhaupt in die Nähe markt-

reifer Innovationen zu kommen. Der „größere Mittelstand“ mit über 250 Beschäftigten ist in dieser

Hinsicht klar im Vorteil, von Großunternehmen ganz zu schweigen.

Was die Größenstruktur betrifft, zeigt sich übrigens keine allzu starke Differenzierung innerhalb des

Ostens – ein weiteres Indiz für die allgemeine Dominanz von Strukturähnlichkeiten. Schaubild 21

zeigt den Anteil der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe mit 250 Mitarbeitern und mehr in allen

16 Bundesländern: Die ostdeutschen Flächenländer liegen dabei eng beieinander, und zwar zwischen

26 Prozent für Mecklenburg-Vorpommern und 32 Prozent für Brandenburg. Die westdeutschen Flä-

chenländer finden sich im Spektrum von 38 Prozent (Schleswig-Holstein) und 68 Prozent (Saarland).

Die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg fallen naturgemäß aus der jeweiligen Struktur heraus,

bedingt durch Sonderfaktoren wie etwa die Handelsorientierung bei den Handelsstädten.

Schaubild 20: Personal nach Betriebsgrößenklassen im verarbeitenden Gewerbe (2012)*

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Exportorientierung

Die Integration der ostdeutschen Industrie in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung hat in den letzten

zwei Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. So hat sich, wie Schaubild 22 zeigt, die gesamtwirt-

schaftliche Exportquote des Ostens von den frühen 1990er Jahren bis heute drastisch erhöht, von

gerade mal sechs Prozent (1993) auf zuletzt 24 Prozent (2012). Sie näherte sich dabei der des Wes-

tens an, erreichte sie aber bis heute nicht, da auch die westdeutsche Exportquote im Trend zunahm,

von rund 20 Prozent Mitte der 1990er Jahre auf 36 Prozent heute. Völlig verschwunden ist der

West/Ost-Abstand also nicht. Das Bild ist dabei regional differenziert (Schaubild 23): Der mitteldeut-

sche Raum mit den drei Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen liegt deutlich vor dem

Nordosten mit Berlin/Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Bemerkenswert ist, dass Mittel-

deutschland in seiner Exportorientierung schon die nordwestdeutschen Flächenländer erreicht hat und

eigentlich nur noch gegenüber dem exportstarken Süden zurückhinkt. Rein quantitativ ist der struktu-

relle Rückstand also bei weitem nicht so gravierend wie bei der Forschungsintensität und der Be-

triebsgröße.

Schaubild 21: Personal in Großunternehmen der Länder (2012)*

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Schaubild 22: Exportquoten in Ost und West (1991-2012)*

Schaubild 23: Exportquoten der Länder (2012)*

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Allerdings mag es durchaus noch qualitative Rückstände geben, die sich hinter den Zahlen verbergen.

Zwei davon sind von besonderer Bedeutung13: Zum einen konzentriert sich im Osten der Aus-

landsumsatz (wie auch der industrielle Umsatz insgesamt) stärker auf Vorleistungsgüter und weniger

auf Investitionsgüter als im Westen. Die bisherige Erfahrung lehrt aber, dass die globalen Märkte für

Investitionsgüter im Trend stärker expandieren als die für Vorleistungen. Sollte sich dieser Trend fort-

setzen, würde er zu einem dauerhaften strukturellen Nachteil für den Osten. Zum anderen konzentrie-

ren sich die ostdeutschen Exporte stärker als die westdeutschen auf den Euroraum. Darin sehen

Brautzsch et al. (2013) zu Recht einen der zentralen Gründe, warum sich die westdeutsche Industrie

nach der Weltfinanzkrise 2008/9 dynamischer entwickelte als die ostdeutsche, denn die großen Ex-

portmärkte in Übersee – von den USA über China, Indien, Indonesien und Brasilien – erholten sich

erheblich schneller als die Exportmärkte im Euroraum. Sollte also die Krise im Euroraum fortdauern,

träfe dies den Osten härter als den Westen. Ähnliches gilt, sollte sich, was wahrscheinlich ist, die

weltwirtschaftliche Dynamik in der Zukunft weiterhin auf die schnell wachsenden großen Entwicklungs-

und Schwellenländer konzentrieren.

Fazit: Das strukturelle Bild der ostdeutschen Wirtschaft ist weiterhin von signifikanten Nachteilen ge-

prägt, die den Rückstand der Arbeitsproduktivität im Vergleich zum Westen erklären. Dies gilt – mit

Differenzierungen – für den gesamten Osten. Es sind seit den frühen 1990er Jahren große Fortschritte

gemacht worden, aber von Angleichung an die Verhältnisse des Westens kann nicht die Rede sein.

Dabei ist zu bedenken: strukturelle Bilder dieser Art sind langfristiger Natur. Sie sind über die Zeit

außerordentlich stabil. Es geht also um grundlegende Herausforderungen, die uns noch über lange

Zeit in der Zukunft beschäftigen werden.

13 Siehe Brautzsch et al. (2013), Tabellen 9, 10 und 11, denen die folgenden statistischen Angaben entnommen sind.

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3 Politische Ziele

Nachhaltige Wirtschaftskraft – wie auch immer gemessen – ist für jede Gesellschaft eine notwendige

Bedingung dafür, dass ihre Bürger auf Dauer ein Leben in Wohlstand und mit Lebensqualität führen

können. Darüber hinaus ist sie ein Mittel, um andere wichtige politische Ziele zu erreichen. Seit der

Wiedervereinigung sind dies für den Osten Deutschlands vor allem zwei grundlegende Ziele gewesen:

(1) das Verhindern einer übermäßigen Abwanderung von Ost nach West und (2) die Minderung der

finanziellen Abhängigkeit des Ostens vom Westen. In beiderlei Hinsicht wurden in den letzten beiden

Jahrzehnten beachtliche Fortschritte erzielt, die ohne Weiteres das Prädikat „historisch“ verdienen.

Die Nachhaltigkeit der Fortschritte hängt allerdings davon ab, ob die verbleibenden Herausforderun-

gen erkannt, angenommen und zumindest auf lange Sicht bewältigt werden können.

Besonders augenfällig ist der Erfolg bei der Entwicklung der innerdeutschen Wanderung (Schaubild 24): Seit 2002 ging der jährliche Ost/West-Wanderungsstrom – gemessen an der Nettobilanz – im

Trend zurück und erreichte ab 2011 eine Dimension unter 10.000, was weitgehend als unschädlich

angesehen werden kann. Dies ist umso bemerkenswerter, als sich das erste Abebben der Wande-

rungsbewegung in den 1990er Jahren nur zum Teil als nachhaltig erwies: Der physische Aufbau Ost

sorgte damals zunächst für einen Bauboom, der trotz steigender Arbeitslosigkeit viele Menschen von

der Abwanderung abhielt; als dieser aber in der zweiten Hälfte der 1990er spürbar nachließ, kam es

ab etwa 1998 zu einer neuerlichen Abwanderungswelle, die allerdings nie wieder die Größenordnung

der frühen Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung erreichte. Da die Entwicklung seit 2002 vor

allem mit der Wirkung der Re-Industrialisierung des Ostens zusammenhängt – und nicht mit einem

vorübergehenden Boom in der Bauwirtschaft (o. ä.), ist sie von weit größerer Nachhaltigkeit.

Sehr beachtlich ist dabei auch die regionale Differenzierung der Wanderungsbewegungen innerhalb

des Ostens: Die vier Flächenländer Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thü-

ringen verlieren in jüngster Zeit noch immer Einwohner, während der Sogeffekt des Großraums Berlin

dafür sorgt, dass Berlin/Brandenburg zusammen deutliche Wanderungsgewinne aufweisen. Dies war

keineswegs immer so: In den frühen 1990er Jahren und nach Auslaufen des Baubooms verloren alle

Regionen stark – am meisten die drei mitteldeutschen Länder, aber auch Berlin/Brandenburg. Offen-

bar sorgt die neue Wachstumsdynamik Berlins, die wir aus Schaubild 10 kennen, für den Osten als

Ganzes für eine Stabilisierung – ein wichtiger Trend, auf den wir noch zurückkommen werden.

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Auch beim zweiten großen Ziel, der Erhöhung des Grads der Selbstfinanzierung des Ostens, gab es

beachtliche Fortschritte. Kalkuliert man aus der Statistik der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen

einen „Leistungsbilanzsaldo“ des Ostens, definiert analog zu außenwirtschaftlichen Bilanzen als Diffe-

renz zwischen Verbrauch und Wertschöpfung im Inland (Schaubild 25), so zeigt sich von Mitte der

1990er Jahre bis 2008 eine kontinuierliche Abnahme im Trend, und zwar sowohl absolut als auch als

Anteil des Bruttoinlandsprodukts.

Schaubild 24: Binnenwanderung zwischen Ost und West (1991-2011)*

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Das auch heute noch vorhandene Defizit erklärt sich im Wesentlichen aus den Transfers innerhalb der

Renten- und Sozialsysteme sowie durch Ströme von Pendlern, die im Westen arbeiten und dort zur

Wertschöpfung beitragen, aber im Osten wohnen und dort ihr Einkommen verbrauchen.14 Es handelt

sich also um eine Art „natürliches“ Defizit, das wahrscheinlich langfristig abschmilzt, soweit die Ar-

beitslosigkeit weiter sinkt und die heute lebende Rentnergeneration sich schrittweise verkleinert. Be-

merkenswert – und durchaus beunruhigend – ist allerdings am aktuellen Rand der leichte, aber signifi-

kante Anstieg des Defizits der „Leistungsbilanz“. Es liegt nahe zu vermuten, dass dieser nicht auf ei-

nen wieder ansteigenden Verbrauch, sondern auf den konjunkturellen Einbruch zurückzuführen ist, da

im Jahr 2009 das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland real um 5,1 Prozent abnahm. Es bleibt abzu-

warten, wie sich die danach einsetzende Erholung bis zum aktuellen Rand in den Jahren ab 2010

auswirkt; für diese liegen noch keine vollständigen Daten vor. Insgesamt lässt sich aber feststellen,

dass die kontinuierliche Erholung der ostdeutschen Wirtschaft – zusammen mit Konsumzurückhal-

tung, Investitionsrückgang sowie Konsolidierung der Staatsfinanzen im Osten – die anfänglich riesige

Lücke zwischen Verbrauch und Produktion weitgehend geschlossen hat.

14 Dazu im Detail Paqué (2009), Abschnitt 5.1.

Schaubild 25: Leistungsbilanzdefizit Ostdeutschlands (1991-2009)

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Dies heißt allerdings nicht, dass nicht doch in einzelnen Sektoren der Wirtschaft ein großer Aus-

gleichsbedarf fortbesteht. Dies gilt insbesondere für den Staat. Dies lässt sich an der Entwicklung der

sog. Steuerdeckungsquoten für Ost und West sowie die 16 Bundesländer ermessen (Schaubild 26):

Schaubild 26: Steuerdeckungsquoten (1995-2013)

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Die Steuerdeckungsquote gibt an, wie hoch der Anteil der Ausgaben15 der betreffenden geographi-

schen Einheit ist, der durch eigene Steuereinnahmen abgedeckt ist.16 Schaubild 26 macht zweierlei

deutlich: Die Steuerdeckungsquote des Ostens ist zwar im Zeitraum 1995-2012 relativ zum Westen

gestiegen, liegt aber auch heute noch deutlich niedriger als im Westen – im Jahr 2013 bei 55,5 Pro-

zent gegenüber 74,1 Prozent. Es geht also noch immer um eine gewaltige Lücke von fast 20 Prozent-

punkten in der Staatsfinanzierung. Dies gilt übrigens – der Größenordnung nach – für alle ostdeut-

schen Länder, unabhängig davon, wie gut oder schlecht die aktuelle Finanzlage ist, wenn man sie an

der Höhe des laufenden Staatsdefizits misst. So liegt Sachsen 2013 bei 58,8 Prozent und Thüringen

nur wenig darunter bei 57,5 Prozent, obwohl Sachsen seit langem einen annähernd ausgeglichenen

Landeshaushalt und einen sehr niedrigen Schuldenstand aufweist. Der Grund ist einfach: Die Steuer-

deckungsquote wird im Wesentlichen durch die Wirtschaftskraft und damit die Steuereinnahmen be-

stimmt – und nicht durch die jeweiligen Salden des Staatshaushalts. Dies ist auch für die westdeut-

schen Flächenländer erkennbar, unter denen die industriellen Kernregionen Deutschlands (Baden-

Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen) tendenziell hohe Steuerdeckungsquoten

aufweisen, trotz sehr unterschiedlicher Ausgangslagen ihrer Landeshaushalte.

Fazit: Es bleibt trotz aller Fortschritte ein großes strukturelles Problem der Staatsfinanzierung in Ost-

deutschland; und dieses ist nicht Reflex eines systematischen finanzpolitischen Fehlverhaltens, son-

dern unmittelbare Konsequenz der noch immer vorhandenen Wirtschafts-, Produktivitäts- und Ein-

kommenslücke zwischen Ost und West. Oder anders formuliert: Die Wirtschaft als Ganzes lebt in

Ostdeutschland nicht wirklich strukturell über ihre Verhältnisse, wie das inzwischen nur noch moderate

Defizit in der „Leistungsbilanz“ zeigt. Der Staat tut es aber, und zwar nicht, weil er übermäßig viel aus-

gibt, sondern weil die Steuerbasis noch immer unzureichend ausfällt – als Reflex der Ost/West-Lücke

in der Wirtschaftskraft. Es versteht sich von selbst, dass hier im Ergebnis eine der zentralen politi-

schen Herausforderungen für die Zukunft liegt. Wir werden darauf zurückkommen.

Aus alledem wird klar, dass die Stärkung der Wirtschaftskraft durch Wachstum für den Osten Deutsch-

lands ein zentrales Problem bleiben wird, trotz aller Fortschritte, die in den letzten beiden Jahrzehnten

erzielt wurden. Bei realistischer Betrachtung kann dies nicht überraschen, zumal auch andere postso-

zialistische Länder auf ihrem Weg zu Wirtschaftskraft und Wohlstand noch lange nicht dort sind, wo

die Bevölkerung sie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hin wünschte. Um die Dimension des

Problems zu verstehen, ist es nützlich, ein vergleichendes Schlaglicht auf den Stand der Dinge in den

benachbarten EU-Ländern des Ostens zu werfen – über zwei Jahrzehnte nach dem Beginn der post-

15 Genau genommen handelt es sich um die bereinigten Ausgaben definiert als die Summe der Ausgaben der laufenden Rech-nung und der Kapitalrechnung. Dabei resultieren die Ausgaben der laufenden Rechnung aus der Summation der Personalaus-gaben, dem laufenden Sachaufwand, den Zinsausgaben sowie den laufenden Zuweisungen und Zuschüssen abzüglich der Zahlungen von gleicher Ebene. Die Kapitalausgaben ergeben sich hingegen aus der Summe der Sachinvestitionen, der Ver-mögensübertragungen, der Darlehen, dem Erwerb von Beteiligungen und Tilgungsausgaben abzüglich der Zahlungen von gleicher Ebene. 16 Man beachte: Die Steuerdeckungsquote berücksichtigt alle Steuereinnahmen, die einem Land nach der herrschenden Geset-zeslage zustehen. Sie lässt Einnahmen aus dem Finanzausgleich (horizontal und vertikal) sowie aus sonstigen Zuweisungen des Bundes unberücksichtigt. Sie ist insofern ein grundsätzlich geeignetes Maß zur Ermittlung der „Eigenfinanzierungskraft“ eines Landes. Gesetzliche Änderungen der Steuerverteilung (und andere Reformen) können allerdings die Höhe der Steuerde-ckungsquote beeinflussen, so geschehen in Schaubild 26 in den Jahren 2001 (nach unten), 2007 (nach oben) und 2019 (nach unten). Der intertemporale Vergleich ist insofern eingeschränkt.

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sozialistischen Transformation. Die Schaubilder 27 bis 30 tun genau dies für die fünf Länder Polen,

Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Slowenien, jeweils im Vergleich zu Deutschland.

Schaubild 27 zeigt die Arbeitsproduktivität im verarbeitenden Gewerbe im Jahr 2010 – gemessen als

Bruttowertschöpfung pro Erwerbstätigen als Prozentsatz des deutschen Niveaus. Es zeigt sich, dass

Polen 31, Ungarn 36, Tschechien 38, die Slowakei 41 und Slowenien 51 Prozent des deutschen

Durchschnittsniveaus erreicht haben, im Vergleich zu Ostdeutschland mit 75 und Westdeutschland mit

103 Prozent. Der Weg zu „deutschen Verhältnissen“ ist also noch sehr weit, und zwar nicht nur ge-

genüber dem Westen des Landes, sondern auch gegenüber dem Osten. Ähnlich sieht es bei den

Bruttolöhnen aus (Schaubild 28): Ein Industriearbeiter in Westdeutschland verdient im Monat noch

immer mehr als viermal so viel wie in den genannten Ländern, in Ostdeutschland etwa dreimal so viel.

Von Konvergenz kann noch nicht die Rede sein. Lediglich in Slowenien kommen Arbeitsproduktivität

und Löhne ein Stück näher an das deutsche Niveau heran, aber selbst dort verbleibt eine große Lücke

nicht nur zu West-, sondern auch zu Ostdeutschland. Dabei ist zu bedenken, dass – wirtschaftshisto-

risch gesehen – Slowenien niemals Teil der sowjetisch dominierten Planwirtschaft des Ostblocks war,

sondern ein Teil von Titos Jugoslawien, mit ineffizienter Arbeitsverwaltung, aber doch mit einer gewis-

sen Offenheit zur marktwirtschaftlichen Welt der westlichen Nachbarn, vor allem zu Österreich.

Schaubild 27: Arbeitsproduktivität im verarbeitenden Gewerbe (2010)*

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Auch die Gründe für den Rückstand bei den postsozialistischen Nachbarn Mitteleuropas sind ähnlich

wie in Ostdeutschland gegenüber dem Westen. Vor allem fehlt es an einer starken F&E-Orientierung

wie Schaubild 29 zeigt:

Schaubild 28: Monatliche Bruttolöhne im verarbeitenden Gewerbe (2007)

Schaubild 29: F&E-Ausgaben im internationalen Vergleich (2011)*

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Die F&E-Ausgaben liegen im internationalen Vergleich für Polen, die Slowakei, Tschechien und Un-

garn weit, bei Slowenien allerdings nur minimal unter deutschem Niveau. Auch die Industrie im post-

sozialistischen Mitteleuropa ist somit, schlagworthaft gesprochen, noch immer eine verlängerte Werk-

bank des Westens, trotz beachtlicher ausländischer Direktinvestitionen und eigenständiger Moderni-

sierungen, die in den betreffenden Ländern stattgefunden haben (und zwar ohne extern unterstütztem

„Aufbau Ost“). Der „evolutionäre“ Weg in Mitteleuropa hat also – auf entsprechend niedrigerem Niveau

– nach zwei Dekaden der Transformation strukturell zu ganz ähnlichen Ergebnissen geführt wie der

„revolutionäre“ Weg in Ostdeutschland, der dort nötig war, um Massenabwanderungen zu verhin-

dern.17 Verblieben ist in den mitteleuropäischen Ländern zwar eine erheblich größere Industrie, die als

Anteil der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung einen größeren Anteil von 25 bis 29 Prozent aus-

macht als in West- und Ostdeutschland, wo es 23 bzw. 18 Prozent sind (siehe Schaubild 30). Dafür

allerdings bleibt ein umso größeres Problem der „Produktivitätslücke“ zum Westen als permanente

Herausforderung für die Zukunft.

Aus alledem folgt eindeutig: Wenn in Ostdeutschland heute die großen wirtschaftlichen und gesell-

schaftlichen Ziele der Deutschen Einheit noch immer nicht erreicht sind, dann ist dies keineswegs

einem missratenen deutschen Sonderweg der Politik zuzuschreiben, wie dies gelegentlich auch heute

noch von namhaften Ökonomen behauptet wird.18 Vielmehr ist das Bild, das sich heute abzeichnet,

das Ergebnis dessen, was man den langfristigen „Flurschaden“ der sozialistischen Planwirtschaft

nennen könnte.19 Er besteht im Kern in einem verbleibenden Leistungsrückstand der Industrie, vor

17 Dazu Paqué (2009), Kapitel 1. 18 Zu nennen ist vor allem Hans-Werner Sinn, zuletzt dezidiert Sinn & Sinn (2009). 19 Paqué (2009), Abschnitt 5.2.

Schaubild 30: Anteil der Industrie an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung (2010)*

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allem des verarbeitenden Gewerbes. Daraus ergibt sich, wie gezeigt wurde, der gesamtwirtschaftliche

Leistungsrückstand, der bis in das zu niedrige Aufkommen der Steuern durchschlägt.

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4 Neue Herausforderungen

Wie kann es weitergehen? Um dies zu prüfen, bedarf es nicht nur der Bestandsaufnahme, wie wir sie

in den Teilen 1 bis 3 dieses Beitrags geliefert haben. Es bedarf auch einer Abschätzung der künftigen

wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, mit denen die Politik vernünftigerweise rechnen muss. Denn es

ist sehr unwahrscheinlich, dass sich die Chancen und Risiken der vergangenen zwei Jahrzehnte in die

Zukunft extrapolieren lassen. Im Gegenteil ist mit neuen Trends zu rechnen, die sich auf die Möglich-

keiten der Politik zur „Vollendung der Deutschen Einheit“ im wirtschaftlichen Bereich maßgeblich aus-

wirken.

Derartige Trends zu identifizieren ist natürlich spekulativ – weit spekulativer jedenfalls, als im Daten-

bestand der Vergangenheit nach Gründen für die bereits abgelaufene Entwicklung zu suchen. Inso-

fern ist alles, was nun folgt, mit Vorsicht zu interpretieren – als ein Versuch des Verfassers, wichtige

Trends im Groben vorauszusagen und die nötigen Rückschlüsse für die weitere Politik der Deutschen

Einheit zu ziehen. Drei „Megatrends“ stechen dabei hervor: (i) die zunehmende Knappheit an Arbeits-

kräften; (ii) die verstärkte Tendenz zur Ballung wirtschaftlicher Aktivität, und (iii) die noch weiter stei-

gende Bedeutung der Forschung. Die drei Trends werden im Folgenden erläutert, und zwar stets mit

Blick auf die Herausforderungen, die sie für Ostdeutschland mit sich bringen.20

Zunehmende Knappheit der Arbeitskraft

Mittel- und langfristig ist ganz Deutschland auf dem Weg zur Vollbeschäftigung. Die Gründe liegen auf

beiden Seiten des Arbeitsmarkts.21 Auf der Seite des Arbeitsangebots ist etwa ab dem Jahr 2020 mit

dem Ausscheiden der Generation der Babyboomer aus dem Erwerbsleben eine drastische Verkleine-

rung des Potentials an Erwerbspersonen zu erwarten. Die Generation der Babyboomer – geboren in

den eineinhalb Jahrzehnten 1955-1970 – ist die bis dato nicht nur zahlenmäßig stärkste, sondern

auch am besten ausgebildete Generation der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Sie wird ab etwa 2020

ersetzt durch eine nachwachsende Generation, die etwa zwischen 1985 und 2000 geboren wurde –

gleichfalls im Durchschnitt gut ausgebildet, aber viel kleiner. Auf der Seite der Arbeitsnachfrage wird

die unverändert starke Wettbewerbsposition der deutschen Industrie für einen Nachfragesog sorgen,

der wahrscheinlich auf lange Sicht anhält – vorausgesetzt natürlich, dass die Eurokrise nicht zu einem

fundamentalen Zusammenbruch der Arbeitsteilung in Europa führt, womit der Verfasser nicht rechnet.

Der Weg in die Vollbeschäftigung wird weitreichende Konsequenzen haben, allen voran für die Ent-

wicklung der Löhne. Es steht zu erwarten, dass in den nächsten Jahren die Reallöhne in Deutschland

deutlich ansteigen werden, weit stärker als im letzten Jahrzehnt und davor. Ferner ist zu erwarten,

dass der Lohndruck nach oben von den industriellen Kernregionen Deutschlands ausgeht, also im

Wesentlichen von Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, wo bereits in wenigen Jahren die Knapp-

heit an Facharbeitern extreme Ausmaße erreichen wird. Erste Anzeichen dafür sind heute schon er-

kennbar. Dies bedeutet, dass – über die latent spürbare Drohung der Abwanderung – auch in Ost-

20 Eine Darstellung der Trends ohne speziellen Bezug zu Ostdeutschland findet sich bei Paqué (2010), Kapitel 5, sowie Paqué (2012), Kapitel 1 und 2. Paqué (2012), Kapitel 3, analysiert die Trends mit Blick auf Europa. 21 Dazu ausführlich Paqué (2012), Kapitel 1 und 2.

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deutschland die Arbeitskosten zwangsläufig nach oben gehen werden. Die Zeit, in der ostdeutsche

Arbeitgeber auf einen großen Pool von gut ausgebildeten Erwerbspersonen zurückgreifen konnten,

die wegen mangelnder Alternativen mit relativ bescheidenen Löhnen zufrieden waren, geht dem Ende

zu. Will der Osten industriell nicht zurückfallen, muss er deshalb mindestens die gleichen Steigerun-

gen der Arbeitsproduktivität erreichen, wie es die industriellen Kernregionen Deutschlands tun.

Verstärkte Tendenz zur Ballung

Die demographische Entwicklung – Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung – wird eine natürliche

Tendenz zur räumlichen Ballung wirtschaftlicher Aktivität mit sich bringen. Der Grund: Die Knappheit

an jungen Menschen („Nachwuchs“) setzt wirtschaftliche Ausweichreaktionen in Gang, und diese fal-

len in zentralen, wirtschaftlich starken Regionen kräftiger aus als in entlegenen, wirtschaftlich schwä-

cheren. Dies gilt zum Beispiel für die Zuwanderung als Substitut für fehlende einheimische Kräfte:

Qualifizierte Ausländer finden regelmäßig in urbanen Zentren mit hochproduktiver industrieller Arbeits-

teilung sowohl passendere Einsatzmöglichkeiten, als auch ein attraktiveres Umfeld für die Gründung

einer neuen Lebens- und Arbeitsperspektive.

Man beachte, dass die Tendenz zur Ballung grundsätzlich immer existiert. Sie gehört an sich zur ganz

natürlichen Begleiterscheinung des Wirtschaftswachstums, das fast nie in der Geschichte gleichförmig

verlaufen ist. Dabei setzt sie einen Prozess sowohl der Selbstverstärkung als auch der Bremsung in

Gang, ersteres durch positive Größeneffekte, die den Prozess des urbanen Wachstums begleiten,

letzteres durch steigende Preise von Boden, Mieten und lokalen Dienstleistungen, die das Leben in

den Zentren im Vergleich zur Peripherie teuer machen. Was im Prinzip ein natürlicher Teil des Wirt-

schaftslebens ist, wird allerdings durch die Demographie in Richtung der Zentralität akzentuiert. In

einer „traditionellen“ Welt, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, in der in der Peripherie viele, gut

ausgebildete Arbeitskräfte heranwachsen, bleibt auch für die Standortentscheidungen von Unterneh-

men die „Peripherie“ stets eine potentiell attraktive räumliche Alternative für Investitionsentscheidun-

gen. Genau dies war bisher für Ostdeutschland zumindest deshalb der Fall, weil auch unter gut quali-

fizierten jungen Erwerbspersonen ein hoher Grad an Unterbeschäftigung herrschte. Dies wird sich

ändern – als Folge der allgemeinen Knappheit an Arbeitskräften, die somit indirekt auch die Tendenz

zur Ballung stärkt.

Wachsende Bedeutung der Forschung

Die Globalisierung sorgt dafür, dass langfristig in hochentwickelten Industrienationen wie Deutschland

fasst nur noch wissensintensive Güter und Dienste hergestellt werden. Einfachere Tätigkeiten werden

ins Ausland verlagert – durch „offshoring“ und „outsourcing“. Zwar beobachten wir seit einigen Jahren,

dass die große Welle der räumlichen Zerlegung der Wertschöpfungskette, wie sie durch die Globali-

sierung in den 1980er und 1990er Jahren einsetzte, einer gewissen Gegenbewegung zur Rückverla-

gerung („reshoring“) Platz macht. Aber selbst wenn diese Entwicklung weitergeht, wird sie wahr-

scheinlich nur zu einer neuen unternehmerischen Definition der „wissensintensiven“ Produktion füh-

ren, die nicht nur die Innovation an sich, sondern auch die Komplementarität von Produktions- und

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Forschungskompetenz in den Blick nimmt.22 Den grundlegenden langfristigen Trend hin zu immer

wissensintensiverer Qualitätsproduktion wird dies nicht bremsen.

In hochentwickelten Industrienationen geschieht die innovative Produktentwicklung typischerweise in

enger Arbeitsteilung zwischen kommerzieller Produktforschung und Grundlagenforschung an Universi-

täten sowie angewandter Forschung in universitätsnahen Instituten. Seit einigen Jahren beobachten

wir nun in der öffentlich finanzierten Wissenschaft einen zunehmend harten Wettbewerb um Exzel-

lenz, der eine gewisse Tendenz hat, bereits gut etablierte Forschungseinrichtungen in zentralen, wirt-

schaftlich starken Regionen zu belohnen. Dies ist ganz natürlich, können doch diese Einrichtungen die

üblichen Kriterien der Exzellenz – u. a. ausgewiesene Erfahrung, Vorteile der Größe und der regiona-

len Vernetzung – weit besser darstellen als Newcomer. Dabei sind die Reifungszeiten für eine stabile

Reputation in der Wissenschaft überaus lang. Daraus folgt: Das wirtschaftlich-wissenschaftliche Um-

feld für Aufholwachstum in Regionen, die noch einen Innovationsrückstand haben, wird schwieriger

als in der Vergangenheit.

Soweit die drei großen Trends. Sie deuten für die ostdeutsche Wirtschaft eher in die Richtung eines

schwierigeren Umfelds, als wir es bisher kannten. Die Trends müssen in Rechnung gestellt werden

und verlangen politische Konsequenzen.23 Diese werden im folgenden Teil 5 in den wesentlichen

Eckpunkten zusammengefasst. Es geht dabei nicht um eine konsistente politische Gesamtstrategie

zur wirtschaftlichen „Vollendung der Deutschen Einheit“, wohl aber um Elemente, die aus Sicht des

Verfassers unabdingbar sind, soweit überhaupt der politische Wille besteht, vom heute Erreichten aus

eine dauerhafte Divergenz der wirtschaftlichen Leistungskraft zwischen West und Ost zu verhindern

und die Chance auf eine Konvergenz zu erhalten.

22 So derzeit die Diskussion vor allem in den USA. Dazu überzeugend Pisano, Shih (2012). 23 Dies gilt übrigens in der Grundtendenz (nicht in allen Details!) gleichermaßen innerhalb Europas – zwischen Ost und West sowie Süd und Nord – wie innerhalb Deutschlands zwischen Ost und West. Es handelt sich also nicht um eine Idiosynkrasie der Situation des wiedervereinigten Deutschlands, sondern um ein grundsätzliches Problem der Regionalökonomik in Europa. Dazu Paqué (2012), Kapitel 3.

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5 Politische Optionen

Im Folgenden werden einige strategische Leitlinien für die Politik postuliert. Sie ergeben sich als Kon-

sequenzen der drei Megatrends, die in Teil 4 dieses Beitrags vorgestellt wurden:

Zunehmende Knappheit der Arbeitskraft

Der Weg in die Vollbeschäftigung hat eine fundamentale wirtschaftliche Konsequenz. Er sorgt dafür,

dass der interregionale Standortwettbewerb um knappe mobile Ressourcen noch härter wird, als dies

bisher der Fall war. Politisch besteht die Gefahr, dass dies allzu leicht in Vergessenheit gerät, weil der

Trend zu relativ niedrigen Arbeitslosenquoten in strukturschwächeren Regionen ein Stück weit die

soziale Brisanz des wirtschaftlichen Rückstands mindert, auch wenn der Rückstand selbst nicht ab-

nimmt. Es geht um eine Art Gewichtsverlagerung der Problematik: weg von der Integration von Ar-

beitskräften in den Arbeitsmarkt und hin zur Mobilisierung von Arbeitskraft für die eigene Region.

Eine sinnvolle Strategie sollte im Wesentlichen aus drei Elementen bestehen:

• Aktive Standortpolitik: Die ostdeutschen Länder (und zwar alle!) sollten weiterhin eine aktive

Standortpolitik betreiben, um Ansiedlungen in die Region zu lenken und Betriebserweiterun-

gen zu begünstigen. Der Schwerpunkt sollte sich dabei auf jene Arbeitsplätze verlagern, die

eine möglichst hohe Wertschöpfung pro Erwerbstätigen garantieren. Dies gilt selbst auf die

(zunehmende) Gefahr hin, dass andere Arbeitsplätze durch die interindustrielle und –sektorale

Mobilität der Arbeitskräfte wegfallen. Tatsächlich gibt es im Osten eine breite Palette von we-

nig attraktiven Arbeitsplätzen mit niedriger Produktivität und Löhnen, die eigentlich nur als vo-

rübergehende Notwendigkeit in den schweren Zeiten hoher Arbeitslosigkeit als vertretbares

strukturelles Standbein dienten, bei stärkerer Ressourcenkonkurrenz aber auf Dauer keine

marktwirtschaftliche Existenzberechtigung haben. Klassisches Beispiel dafür sind die weit

verbreiteten Call Center. Sie werden – sind sie einmal am Arbeitsmarkt unter scharfem Wett-

bewerbsdruck – entweder ihre Arbeitsplätze durch „upgrading“ verändern oder ganz ver-

schwinden. In diesem Sinne ist eine weiterhin aktive Standortpolitik die beste Form der Sozi-

alpolitik, denn sie sorgt für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne.

• Nutzung der Übergangsphase: Der Weg zur Vollbeschäftigung in Deutschland wird einige

Jahre dauern; und selbst wenn er abgeschlossen ist, wird es gewisse Unterschiede im „Grad“

der Vollbeschäftigung geben, etwa zwischen den industriellen Hochburgen Süddeutschlands

und dem Osten.24 Es gibt deshalb in den kommenden Jahren zumindest ein Zeitfenster, das

für den Osten offen steht, um für Investoren als eine Region zu gelten, in der wenigstens noch

hinreichend Fachkräfte vorhanden oder aus anderen Unternehmen mobilisierbar sind, um

neue hochwertige industrielle Produktionsanlagen zu betreiben. Historische Erfahrungen der

Vollbeschäftigungszeit 1960-73 in Westdeutschland belegen, dass gerade in dieser Phase

viele strukturschwächere Regionen aufholen konnten, weil sie die einzigen waren, die noch

24 So war es auch in den 1960er und 1970er Jahren in Westdeutschland zur damaligen Zeit „extremer“ Voll- bzw. sogar Über-beschäftigung. Siehe dazu Giersch, Paqué, Schmieding (1994), Kapitel 4. A.

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über mobilisier- und bezahlbare Fachkräfte verfügten.25 Hilfreich ist dabei heutzutage wahr-

scheinlich auch der noch vorhandene Lohnabstand zwischen West und Ost, der zwar wegen

der Konkurrenz um Arbeitskräfte im Trend schrumpft, aber in einer längeren Übergangszeit

immer noch bedeutsam bleibt. Nicht hilfreich sind dagegen die hohen Energiekosten, die der

Osten wegen der Energiewende im Vergleich zum Westen (und ohnehin im Vergleich zum

Ausland) hinnehmen muss.

• Zuwanderung: Der Osten wird nicht umhin können, wo nötig, auf die Zuwanderung von

Fachkräften aus dem Ausland zurückzugreifen. Dies kann im Standortwettbewerb von ent-

scheidender Bedeutung sein, da es realistisch ist anzunehmen, dass die urbanen Zentren des

Westens ihren Arbeitskraftmangel durch selektive Zuwanderung erfolgreich bekämpfen wer-

den, ähnlich wie es die Schweiz schon lange tut. Dies gilt zumindest solange, wie es in den

peripheren Regionen Europas im Nachgang zur derzeitigen Krise noch hohe Arbeitslosigkeit

und Bereitschaft zur Abwanderung gibt. Insofern bedarf es auch in den urbanen Zentren des

Ostens – wollen sie am Arbeitsmarkt konkurrenzfähig bleiben bzw. werden – einer zuneh-

menden Bereitschaft, die Weichen für die Integration von Ausländern zu stellen. Zögerliche

Ansätze zur Schaffung einer „Willkommenskultur“, die es heute schon gibt, reichen da nicht

aus. Es geht darum, dass die ostdeutschen Städte, was die Internationalität der urbanen At-

mosphäre betrifft, gegenüber den westdeutschen Städten deutlich aufholen. In dieser Hinsicht

sind u. a. die Universitäten und Fachhochschulen sowie deren Umfeld von großer Bedeutung.

Daneben erlauben sie es, vor allem in den technischen Bereichen, ausländisches Fachperso-

nal bereits im Inland zu qualifizieren. Ähnliches könnte zunehmend für die duale Berufsausbil-

dung angestrebt werden.

Verstärkte Tendenz zur Ballung

Im Vergleich zu den großen industriellen Ballungsräumen Deutschlands – den Rhein/Ruhr- und

Rhein/Main-Gebieten, Baden-Württemberg und Südbayern – hat der Osten eine eher unterdurch-

schnittliche Verdichtung wirtschaftlicher Aktivität vorzuweisen. Ein allgemein verstärkter Trend zur

Ballung, wie er in Teil 4 beschrieben wurde, stellt also den Osten vor neue Probleme. Konkret muss

es gelingen, in der Zukunft noch stärker als bisher Wachstumspole zu initiieren, die dann eine weitere

regionale Ausstrahlungskraft aufweisen. Sonst droht ein noch stärkerer Sog in Richtung der westdeut-

schen industriellen Zentren, als er ohnehin schon in den beiden vergangenen Jahrzehnten zu be-

obachten war.

Ansätze zu gestärkten Wirtschaftspolen könnte es politisch in dreierlei Hinsicht geben:

• Mitteldeutschland: Es ist offenkundig, dass der mitteldeutsche Wirtschaftsraum – hier weit

gefasst als Dreieck Dresden-Erfurt-Magdeburg – eine hochintegrierte Arbeitsteilung entwickelt

hat. Sieht man vom Großraum Berlin ab, so gruppiert sich ein Großteil der gesamten ostdeut-

schen Wirtschaftskraft um die großen Autobahn-Verkehrsadern A2, A4, A9 und A14, die als

ein hervorragend ausgebautes Netz dafür sorgen, dass der mitteldeutsche Wirtschaftsraum, 25 Giersch, Paqué, Schmieding (1994), ebenda.

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was die ökonomischen Distanzen und durchschnittlichen Reise- und Transportzeiten betrifft,

sehr viel näher zusammengerückt ist, als viele (geographisch kleinere) westdeutsche Regio-

nen. Hinzu kommt die Öffnung dieser Verkehrsachsen nach Mittel- und Osteuropa, einer Re-

gion mit Potenzialen zur Wachstumsbeschleunigung und Verdichtung der Arbeitsteilung. Es

gilt, den mitteldeutschen Raum als Investitionsstandort stärker zu vermarkten, als dies bisher

der Fall war. Es geht dabei nicht um die Zusammenlegung von Verwaltungen oder gar eine

Länderfusion. Es geht ausschließlich darum, die etablierten Vorteile der bestens erschlosse-

nen Mittellage, der Netzwerke von Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie der

höchst differenzierten Industriestruktur als Einheit mit hinreichendem Gewicht offensiv zu ver-

treten und glaubwürdig zu untermauern.

• Wachstumspol Berlin: Die jüngste positive Wirtschaftsentwicklung Berlins26, der mit Abstand

größten Stadt des Ostens, gibt zur Hoffnung Anlass, dass Berlin langsam beginnt, in die Rolle

eines ostdeutschen Wachstumspols hineinzuwachsen. Nachdem in den 1990er Jahren im

Zuge des Umzugs von Bundesregierung und Parlament der Schwerpunkt auf der Zunahme

der öffentlichen Beschäftigung lag, beginnt nun die private Wirtschaft – Dienstleistungen und

Industrie – dynamisch zu expandieren. Dies könnte längerfristig von großer Bedeutung sein,

nimmt man zum Beispiel die Entwicklung Bayerns als Vergleichsmaßstab, denn es war in den

1950er bis 1980er Jahren vor allem der Aufstieg des Großraums München, der weit in die

bayerische „Provinz“ ausstrahlte. Tatsächlich hat der jüngste Wiederaufstieg Berlins Züge ei-

ner höchst modernen, zukunftsweisenden Entwicklung – mit Schwerpunkten in Bereichen der

Start-up-Kultur in der Hochtechnologie, die in Berlin dank der überaus starken Forschungs-

und Universitätslandschaft einen fruchtbaren Nährboden findet. In recht enger Arbeitsteilung

mit Mitteldeutschland könnte wieder – wie vor der deutschen Teilung – ein einziger zusam-

menhängender Ballungsraum entstehen. Dies aktiv zu befördern, sollte ein neuer Schwer-

punkt der Politik werden.

• Regionale Förderschwerpunkte: Generell gilt, dass die Wirtschaftsförderung den zentripeta-

len Kräften der Entwicklung Rechnung tragen muss. Das heißt konkret: Entlegenen und be-

sonders strukturschwachen Regionen wird am besten dadurch geholfen, dass die Politik da-

rauf abzielt, regionale Zentren zu stärken und auf entsprechende Ausstrahlungseffekte zu set-

zen. In einer sehr frühen Phase der Erschließung – beim Aufbau Ost in den 1990er und frü-

hen 2000er Jahren – mag es noch vertretbar gewesen sein, Fördermittel ohne strukturpoliti-

sche Anknüpfungspunkte in entlegene Räume zu lenken. Es verliert aber immer mehr seinen

wachstumsökonomischen Sinn, wenn sich herausstellt, dass die nötigen Ansätze für eine ei-

gene wirtschaftliche Schwerpunktsetzung wegen der demografischen Entwicklung immer we-

niger zu erkennen sind. Politisch liegt hier sicherlich eine der heikelsten Fragen einer künfti-

gen Förderpolitik in Ostdeutschland. Gleichwohl wird es unausweichlich sein, diese Frage zu

diskutieren – und zwar sowohl auf deutscher wie auf europäischer Ebene. Tatsächlich zeigt

die Erfahrung, dass gerade an der Peripherie Europas durch die Förderpolitik manche

26 Siehe Schaubilder 9, 10 und 24 zum Wachstum der Wertschöpfung bzw. zur Wanderungsbilanz.

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Scheinblüte der Binnenwirtschaft geschaffen wurde, ohne Chance der nachhaltigen Integrati-

on in die globale Arbeitsteilung.27

Wachsende Bedeutung der Forschung

Ostdeutschland hat nach allen gängigen Maßzahlen noch nicht die F&E-Intensität der Industriepro-

duktion erreicht, die im Westen üblich ist. Geht der Trend nun, wie in Teil 4 beschrieben wurde, in die

Richtung einer zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung von F&E, so droht in dieser Hinsicht eine

neue Quelle des verfestigten Rückstands. Eine hohe Priorität der Politik muss also darin liegen, genau

dies zu verhindern. Es ist zu vermuten, dass darin die wohl größte Herausforderung der Politik zur

„Vollendung der deutschen Einheit“ in den kommenden Jahren und Jahrzehnten liegt. Sie anzugehen

ist möglicherweise der Kern dessen, was man historisch als die zweite Phase des Aufbaus Ost be-

zeichnen könnte.

Eine offensive Strategie „Pro-Forschung Ost“ besteht im Wesentlichen aus drei Elementen:

• Forschungsorientierte Förderpolitik: Generell gilt, dass die Förderung von Industriean-

siedlungen und Erweiterungsinvestitionen eine starke Komponente, wenn nicht sogar einen

klaren Schwerpunkt in Richtung der Starthilfe zur Etablierung von privatwirtschaftlicher For-

schung enthalten sollte. Nicht mehr die geschaffenen Arbeitsplätze per se stehen im Vor-

dergrund, sondern die Wahrscheinlichkeit, dass diese Arbeitsplätze tatsächlich dazu beitra-

gen, die Werthaltigkeit der Produktion im Osten nachhaltig zu erhöhen. Eben dies ist am

ehesten zu erreichen, rückt man die Gründung von Forschungsabteilungen und/oder die

Schaffung von innovationsaffinen Produktionslinien in den Vordergrund – und nicht die Ka-

pitalintensität der Produktion oder die reine Anzahl der Arbeitsplätze. Gleichwohl darf man

nach aller Erfahrung auch von einer neu ausgerichteten, also forschungsorientierten För-

derpolitik keine Wunder erwarten. Sie kann keineswegs eine funktionierende und vor allem

öffentlich finanzierte Infrastruktur der Wissenschaft ersetzen; ist sie langfristig und gut plan-

bar angelegt, kann sie aber diese Infrastruktur sinnvoll ergänzen und zur Stärkung der Ver-

zahnung und Komplementarität zwischen privater und öffentlicher Forschungsfinanzierung

beitragen.

• Pflege der Hochschulen: Zentraler Baustein ist die Finanzierung der öffentlichen Infra-

struktur der Forschung und Lehre selbst. Sie ist zu allererst die Aufgabe der ostdeutschen

Länder – dank ihrer verfassungsgemäßen Zuständigkeit für Bildung und Wissenschaft. Die

Länder müssen dafür sorgen, dass der Bestand und die nachhaltige Aktivität der Universitä-

ten, Fachhochschulen und außeruniversitären öffentlichen Einrichtungen von Forschung

und Lehre gesichert sind. Dies erfordert deutliche Schwerpunktsetzungen in den Landes-

haushalten, gerade auch mit Blick auf das Abschmelzen der investiven Unterstützung des

Ostens im Rahmen des Solidarpakts II bis 2019. Es verlangt aber auch Strukturentschei-

dungen mit Blick darauf, welche akademischen Bereiche für die wirtschaftliche Zukunft von

essentieller Bedeutung sind und welche entbehrlich. Diese Entscheidungen müssen auch in 27 Dazu Paqué (2012), Abschnitt 3.5.

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den Blick nehmen, dass die zunächst vorübergehende Zuwanderung von jungen Menschen

zum Studium in Ostdeutschland eine Chance ist, dem Mangel an qualifizierten Fachkräften

zu begegnen und damit die Standortbedingungen für industrielle Ansiedlungen zu verbes-

sern, gerade im Vergleich zu den südwestdeutschen Industriezentren mit ihren vielen

hochwertigen akademischen Einrichtungen.

• Unterstützung durch den Bund: Blickt man auf die derzeitigen Steuerdeckungsquoten der

Länder sowie die Perspektive bis 2019 – Ende des Solidarpakts II und Nettoneuverschul-

dung von null –, so liegt offen zutage, dass es für die ostdeutschen Länder extrem schwierig

wird, eine auskömmliche Finanzierung ihres Hochschulbereichs aus eigener Finanzkraft zu

sichern. Dies gilt insbesondere für die teuren, aber auch standortpolitisch wichtigen ingeni-

eurwissenschaftlichen und medizinischen Fakultäten, deren Etablierung zu Beginn der

1990er Jahre zum Teil auf Wachstumsprognosen für den Osten beruhte, die sich auf Dauer

als unrealistisch erwiesen haben. Hier bedarf es einer langfristigen Unterstützung durch den

Bund, will man nicht die Zukunft des Ostens gefährden. Es gibt deshalb gute Gründe, die

Hochschulfinanzierung auf die Tagesordnung einer Finanzföderalismuskommission III zu

setzen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nach der Bundestagswahl 2013 kommen muss,

um eine grundlegende Reform des Finanzausgleichs zum Ende des Jahrzehnts rechtzeitig

in die Wege zu leiten. Auch hier gilt es – wie schon bei den Länderfinanzen selbst – Prioritä-

ten zu setzen, um ein Auseinanderdriften der regionalen Innovationspotentiale in Deutsch-

land zu verhindern.

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Fazit

Die neun politischen Optionen, die hier dargelegt wurden, sind natürlich keine abschließende Liste.

Gleichwohl zeigen sie allein schon eines ganz deutlich: Die Deutsche Einheit ist – jedenfalls in ihrer

wirtschaftlichen Dimension – noch lange nicht abgeschlossen. Dies gilt für das gesamte Ostdeutsch-

land einschließlich Berlin, aber auch für ein Land wie Thüringen, das alles in allem eine sehr respek-

table und noch immer überdurchschnittliche Wachstumsbilanz der Zeit seit der Wiedervereinigung

1990 aufweisen kann.

Klar ist: Thüringen sitzt unverändert in einem Boot mit den anderen ostdeutschen Ländern. Dies gilt im

Übrigen auch für Berlin und Sachsen, deren politisch Verantwortliche bei oberflächlicher Betrachtung

möglicherweise Anlass haben könnten, ihre Wachstumspotentiale grundlegend optimistischer einzu-

schätzen – Berlin wegen seiner Start-up-Kraft als Wissenschaftsstandort, Sachsen wegen seines

günstigen Schuldenstands. Für Thüringen jedenfalls gibt es keinen Anlass zur Selbstüberschätzung,

aber auch keineswegs zum Pessimismus. Es liegt eben fast in jeder Hinsicht „mittendrin“.

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Redaktionsschluss: September 2013