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Praxis der medizinischen Trainingstherapie I

Lendenwirbelsäule, Sakroiliakalgelenk und untere Extremität

Frank Diemer Volker Sutor

2., überarbeitete Auflage

417 Abbildungen 115 Tabellen

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

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Zeichnungen: Helmut Holtermann, DannenbergUmschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe

Umschlagfoto: Studio Nordbahnhof, Stuttgart

Satz: medionet AG, Berlin

Gesetzt in Adobe InDesign CS

Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten

ISBN 978-3-13-139982-3 1 2 3 4 5 6

Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und kli-nische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbeson-dere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbe - langt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Ap - plikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrau-en, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissens-stand bei Fertigstellung des Werkes entspricht.

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Geleitwort

Praxis der medizinischen Trainingstherapie

Fortschritt in der Wissenschaft findet ständig statt und ist als Herausforderung zu verstehen für alle, die mit Patienten umgehen. Basiswissenschaften wie Anatomie und Physiologie sind die Grundlagen für die klinische Praxis. Diese wiederum profitiert von vielen Studien, die in den letzten Jahren zum Bewegungssystem gemacht wurden und zu neuen, sich ständig weiter entwickelnden Untersuchungs-methoden und Therapieformen geführt haben. Physiotherapeuten beschäftigen sich tagtäglich mit der Therapie und können nur dann wirkungsvoll arbeiten, wenn sie ihre Therapiemaßnahmen sinn-voll einsetzen können. Erforderlich sind Begrün-dungen und Beweise für unsere Anwendungen. Immer noch fehlen Standardisierung von Unter-suchungsmethoden und Testverfahren und deren Dokumentation.

Es steigt jedoch die Erkenntnis, dass die Evidence based Medicine Grundlage allen therapeutischen Handelns werden muss.

Mit unseren Therapiemaßnahmen beeinflussen wir die verschiedenen Systeme unseres Organis-mus: neuroreflektorisch, biochemisch, mechanisch oder energetisch und nicht zuletzt auch psycholo-gisch. Schließlich ist auch der Patient motiviert, bes-ser zu werden und glaubt auch daran, dass es bes-ser werden kann. All dies gilt es in der Therapie zu berücksichtigen.

Dieses Buch ist sehr zu begrüßen, da es eine Syn-these dessen aufzeigt, was in der Forschung letzter Wissensstand sowohl in der Biomechanik, Bindege-webslehre und funktionellen Anatomie ist und kli-nische Erfahrung mit einbringt.

Die beiden Autoren geben zunächst eine Über-sicht über den derzeitigen Stand der Erkenntnisse

in der Bindegewebsphysiologie und deren Übertra-gung auf die Rehabilitation.

Es folgt ein Exkurs in die Trainingslehre und es wird aufgezeigt, wie Trainingseinheiten effektiv zusammengestellt werden.

Danach wird jeder einzelne Körperabschnitt, beginnend mit der Wirbelsäule, ausführlich beschrieben in Bezug auf Anatomie, Biomechanik und klinische Untersuchung. Es wurden außeror-dentlich viele wissenschaftliche Daten zusammen-getragen, wie belastbar Ligamente, Knorpel, Kapseln und Sehnen unter bestimmten Bedingungen sind.Die Literaturhinweise sind wirklich beeindruckend und zeigen nicht nur das Können der Autoren son-dern auch die intensive Vorbereitung. Hervorzuhe-ben ist auch die Qualität der Abbildungen.

Was helfen die fundiertesten theoretischen Aus-führungen, wenn diese nicht in der Praxis enden?

Deshalb ist das letzte Kapitel eine ausführliche und sehr übersichtliche bildliche Darstellung des Trainingsprogrammes, zuerst der Automobilisati-onen und dann der stabilisierenden Übungen, die der Patient eigenständig machen soll. Das ist auch das wirklich Besondere an diesem Buch: Die Übungen sind recherchiert, wissenschaftlich fundiert und damit effektiv und in ihrer Wirkungsweise reprodu-zierbar. Vor allem aber ist es ein Programm, das man in jeder therapeutischen Praxis machen kann, denn der Aufwand an Geräten hält sich in Grenzen und man muss nicht ein Reha-Zentrum haben, um medi-zinische Trainingstherapie zu betreiben.

Ich beglückwünsche die beiden Autoren zu die-sem sehr gelungenen Werk und denke, dass es in die Fachbibliothek eines jeden Therapeuten Eingang finden wird, der verantwortlich arbeitet und wis-senschaftliche Erkenntnisse umsetzen will.

Hilde-Sabine Reichel, Fellbach-Schmiden

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Anschriften

Frank DiemerThalstr. 2087466 Oy-MIttelberg

Volker Sutorreha-rondell – Praxis für PhysiotherapieHeilbronner Str. 3674336 Brackenheim

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Vorwort zur 1. Auflage

Vor ca. 4 Jahren ist in uns der Wunsch entstanden dieses Lehrbuch zu schreiben. Obwohl es schon eine beachtliche Anzahl von Veröffentlichungen zu die-sem Thema gab, bestand unserer Meinung nach kein Werk, das alle Teilgebiete der Medizinischen Trainingstherapie ausreichend berücksichtigte. Wir machten uns daher auf, anatomische, physi-ologische, biomechanische sowie klinische Studi-en zusammenzutragen, um den aktuellen Stand der Grundlagenforschung für die ausgewählten Themengebiete darzustellen. Die Komplexität und der Umfang mancher Methoden oder Indikationen bedingt, dass dies weder vollständig noch umfas-send sein kann. Wir bitten daher schon jetzt um Verständnis, dass manche Themen einen geringeren Stellenwert einnehmen.

Das Buch ist in drei Abschnitte gegliedert. In den Kapiteln 1 (Bindegewebsphysiologie) und

2 (Trainingslehre) wird die Basis für alle folgenden Kapitel gelegt. Wir empfehlen dem interessierten Leser daher dringend, sich zunächst mit diesen Kapi-teln zu befassen. Das Vorgehen im Praxisteil stellt in den meisten Fällen eine logische Schlussfolgerung der Grundlagen dar. Wir haben versucht für häufig vorkommende Pathologien eine zeit- und kriteri-enorientierte Vorgehensweise darzustellen, bei der sich der Therapeut von teilweise irrationalen Vorga-ben der Nachbehandlung befreien und bewusst die Therapie steuern kann. So sollen die von uns vorge-geben Zeiten der Wundheilung nur als grobe Orien-tierung gelten, die an die subjektiven klinischen Zei-chen und die motorischen Leistungen des Patienten angepasst werden muss. Wird dieser zusätzliche Aufwand vom Therapeuten getrieben, wird er eine strukturiertere Therapie anbieten können.

In den Kapiteln 3-7 werden ausgewählte Patho-logien im Bereich der Fuß-, Knie-, Hüft- und Sak-roiliakalgelenke sowie den Segmenten der LWS behandelt. Die Auswahl ist subjektiv und aus prak-tischen Erfahrungen entstanden. Selbstverständlich wäre die Liste möglicher Krankheitsbilder belie-big fortzusetzen. Alle Themen sind mit Literatur-hinweisen versehen, so dass ein Nacharbeiten und eine kritische Auseinandersetzung mit den Inhal-ten möglich ist. Gerade im Hinblick auf unsere Posi-tion innerhalb der medizinischen Fachgruppen und die zunehmende Akademisierung der Physiothera-pie, ist eine kritische Beleuchtung der Hintergrün-de notwendig.

Der dritte Teil des Buches (Kapitel 8) beinhaltet Übungsbeispiele.

Ziel dieses Buches ist es, die ursprüngliche Arbeit innerhalb der Medizinischen Trainingstherapie in den Vordergrund zu stellen. Entgegen manch ande-rer Meinung, besteht diese nicht aus einer Anein-anderreihung vieler Übungen, sondern aus Unter-suchungstechniken, die es dem Therapeut ermög-lichen, Defizite des Patienten zu erkennen. Die hieraus gewonnenen Informationen werden, ein ausreichendes Grundlagenwissen vorausgesetzt, in einen individuellen Behandlungsplan umgesetzt und letztendlich durch die aktive Arbeit des Pati-enten realisiert. Die Entwicklung des Gesundheits-systems und finanzielle Vorgaben mancher Einrich-tungen erschweren in vielen Fällen diese Arbeits-weise. Der Physio- oder Sporttherapeut wird häufig zum Geräteeinsteller degradiert und muss nicht sel-ten 15 und mehr Patienten gleichzeitig beaufsich-tigen. Die ursprüngliche Behandlungsidee bleibt dabei meist auf der Strecke. Für die Therapeuten, die eine individuell auf den einzelnen Patienten ausge-richtete Therapie anbieten wollen, haben wir dieses Buch geschrieben.

Es wäre jedoch ohne die Unterstützung vieler Helfer nicht entstanden. Zuerst möchten wir uns bei Frau Rosi-Haarer-Becker bedanken, die uns ihr Ver-trauen schenkte und die Realisierung dieses Werks erst ermöglichte. Herrn Johannes Ermel, Frau Doro-thea Becker und Frau Schoof gebührt der Dank für zum Teil schonungslose und ernüchternde aber immer konstruktive Kritik. Erst dadurch konn-te der Text in eine logische Abfolge und verständli-ches Deutsch gebracht werden. Für die ausgezeich-nete Bebilderung bedanken wir uns bei unseren „Modellen“ Frau Bräuninger und Herrn Hausser, sowie der Grafikabteilung des Thiemeverlags und den Fotografen Herrn Stollenberg und Herrn Vogl. Für die Sammlung und Koordination der Teilkapi-tel bedanken wir uns bei Frau Grünewald, die auch späte Korrekturen widerstandslos umsetzte. Wei-terhin wollen wir unseren Kollegen und Mitarbei-tern in unseren Praxen danken, die viel Arbeit von unseren Schultern genommen haben und somit erst die praktische Realisation dieses Buches ermöglicht haben.

Für die Unterstützung unserer fachlichen Ent-wicklung danken wir der Lehrgruppe Manuelle The-rapie der VPT-Akademie Fellbach. Hier möchten wir vor allem Hilde-Sabine Reichel erwähnen, die sich als Leiterin der MT-Lehrgruppe und der Weiterbil-dungsakademie immer wieder für uns eingesetzt hat und uns sehr viel Vertrauen hinsichtlich unseres Unterrichtes entgegengebracht hat. Auch der IAOM-

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Europe, insbesondere Herrn Omer Matthijs, wollen wir danken, von dem wir sehr viel lernen konnten, der uns sehr mit seinem Denken und Handeln inspi-riert und geprägt hat.

Des weiteren gilt unser Dank dem Leiter des Berufskollegs Waldenburg, Herrn Hartmut Binkow-ski, der uns schon sehr früh viel Verantwortung und Vertrauen schenkte und uns in unserer Sicht- und Lehrweise der Medizinischen Trainingstherapie immer unterstützte.

Der größten Dank schulden wir unseren Fami-lien, die in den vergangenen 3 Jahren so manches Wochenende alleine waren. Selbst bei körperlicher Anwesenheit war unser Geist fast immer mit die-

sem Projekt beschäftigt. Und wir strapazierten die Geduld und das Verständnis unserer Frauen und Kinder in dieser Zeit sehr. Deshalb vielen Dank Bet-tina und Pauline, vielen Dank Bettina, Sören und Mathea für Eure Ausdauer und Eure Unterstützung in den letzten Jahren.

Unser abschließender Dank gehört unseren Eltern, die unsere Ausbildung ermöglicht haben und uns auf unserem beruflichen Weg immer unter-stützt und gefördert haben.

im Juli 2006 Frank Diemer Volker Sutor

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Die Autoren

Frank Diemer wurde 1971 in Stuttgart geboren. In Gerlingen bei Stuttgart verbrachte er seine Jugend- und Schulzeit. Seit Abschluss der Physiotherapie-ausbildung lebt er mit seiner Frau und seiner Toch-ter in Oy-Mittelberg im Allgäu.

Ausbildung:1994-1998: Ausbildung zum Sport- und Gymnas- •tiklehrer am Berufskolleg in Waldenburg1995-1998: Ausbildung zum Physiotherapeut am •Berufskolleg Waldenburg

Weiterbildung seit 1998:Kurse in Manueller Therapie (DGMM, McKenzie, •Mulligan)Kurse in Osteopathischer Medizin (Deutsches •Fortbildungsinstitut für Osteopathie DFO)Sporttherapie (International Academy of Sports- •cience IAS)

Beruflicher Werdegang:seit 1998: freier Mitarbeiter in verschiedenen •Physiotherapiepraxen im Allgäuseit 1999: Honorarlehrkraft für das Fach Medizi- •nische Trainingstherapie innerhalb der Physiothe-rapieausbildung am Berufskolleg in Waldenburgseit 2000: Leiter verschiedener Weiterbildungs- •kurse im Bereich Medizinische Trainingstherapie bzw. Krankengymnastik mit Gerät am Berufskol-leg Waldenburg und an der VPT-Akademie in Fell-bach.

Volker Sutor wurde 1971 in Bingen geboren. In Kons-tanz am Bodensee verbrachte er seine Jugend- und Schulzeit. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und den 2 Kindern in Cleebronn.

Ausbildung:1992-1994: Ausbildung zum Sport- und Gymnas- •tiklehrer am Berufskolleg in Waldenburg1993-1995: Ausbildung zum Physiotherapeut am •Berufskolleg Waldenburg

Weiterbildung seit 1996:Kurse in Manueller Therapie (IAOM, McKenzie, •Mulligan, etc.)Kurse in osteopathischer Medizin (Still Akade- •mie)Kurse in neurophysiologischen Verfahren (Bobath, •PNF)Sporttherapie (International Academy of Sports- •cience IAS)

Beruflicher Werdegang:1995-1996: Sportklinik Bad Cannstatt •1996-1999: Bürgerhospital Stuttgart, freier Mitar- •beiter in einer Physiotherapiepraxis in Stuttgartseit 1999: Selbständigkeit in eigener Praxis in Bra- •ckenheim bei Heilbronnseit 1998: Honorarlehrkraft an der Glucker-Schu- •le in Stuttgartseit 1999: Honorarlehrkraft für das Fach Medizi- •nische Trainingstherapie, Trainingslehre und PT-Neurologie innerhalb der Physiotherapieausbil-dung am der VPT-Schule in Fellbachseit 2000: Leiter verschiedener Weiterbildungs- •kurse im Bereich Medizinische Trainingsthera-pie am Berufskolleg Waldenburg und an der VPT-Akademie in Fellbachseit 2001: Mitglied der Lehrgruppe manuelle The- •rapie der VPT-Akademie in Fellbachseit 2005: Bachelorstudiengang für Physiothera- •pie an der DIU (Dresden International Universi-tiy)

Die beiden Autoren geben seit 2004 kostenfreie Rehanewsletter heraus, welche aktuelle und rele-vante Studien in einem überschaubaren Rahmen zusammenfassen.

Anforderung der Newsletter unter http://[email protected] oder Internet: www.rehanewsletter.deFrank Diemer, Daniela Bräuniger, die für die Fotos mitwirkte,

und Volker Sutor (v.l.n.r.).

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Inhaltsverzeichnis

1 Bindegewebe und Wundheilung . . . . . . . . . . . 1

1.1 Bindegewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Wundheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

2 Grundlagen der Trainingslehre . . . . . . . . . . 69

2.1 Motorische Hauptbeanspruchungs- form Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

2.2 Motorische Hauptbeanspruchungs- form Ausdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

2.3 Motorische Hauptbeanspruchungs- form Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

3 Lendenwirbelsäule . . . .114

3.1 Allgemeine Untersuchung . . . . . . . . . . . . 1143.2 Bandscheibe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1173.3 Facettengelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1453.4 Instabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

4 Sakroiliakalgelenk . . . . .187

4.1 Allgemeine Untersuchung . . . . . . . . . . . . 1874.2 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1904.3 Biomechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1944.4 Hypermobilität (Instabilität) . . . . . . . . . 2024.5 Hypomobilität (Blockierung) . . . . . . . . . 207

5 Hüftgelenk . . . . . . . . . . .214

5.1 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2145.2 Biomechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2195.3 Allgemeine Untersuchung . . . . . . . . . . . . 2255.4 Labrumverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2285.5 Coxarthrose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2335.6 Hüftendoprothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

6 Kniegelenk . . . . . . . . . . . .266

6.1 Allgemeine Untersuchung . . . . . . . . . . . . 2666.2 Vorderes Kreuzband . . . . . . . . . . . . . . . . . 2676.3 Hinteres Kreuzband . . . . . . . . . . . . . . . . . 2856.4 Meniskus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2976.5 Patellofemoralgelenk . . . . . . . . . . . . . . . . 3116.6 Gelenkflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

7 Sprunggelenk . . . . . . . . . 365

7.1 Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3657.2 Biomechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3717.3 Allgemeine Untersuchung . . . . . . . . . . . . 3767.4 Inversionstrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3797.5 Begleitverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3967.6 Achillessehne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

8 Praktische Übungen . . .438

8.1 Automobilisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4388.2 Lokale Stabilität und Kinästhesie

(Stufenmodell Koordination A) . . . . . . . . 4588.3 Stufenmodell Koordination Stufe B . . . . 4638.4 Stufenmodell Koordination Stufe C . . . . 4658.5 Übungen mit und ohne Gerät . . . . . . . . . 468

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494

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1.1 Bindegewebe

1.1.1 Bindegewebsphysiologie

Hauptindikationsgebiete in der Medizinischen Trainingstherapie sind orthopädische und chirur-gische Schadensbilder. Im weitesten Sinne geht es dabei um die Behandlung von traumatisierten oder geschwächten Bindegewebsstrukturen. Deshalb ist es wichtig, die physiologischen Gesetze, denen die-se Strukturen unterliegen, zu verstehen.

In diesem Kapitel werden nur „passive“ Binde-gewebe wie zum Beispiel Knorpel oder Ligamente behandelt, wohl wissend, dass gerade die Plastizi-tät dieser Strukturen diesen Begriff als unpassend erscheinen lässt. Die Muskulatur findet ihre Aner-kennung im Kapitel „Trainingslehre“ (Kap. 2).

Bestandteile der Bindegewebe

Das Bindegewebe hat zwei Hauptbestandteile:Zellen •Matrix •

Zellen

Der Ursprung unserer Bindegewebszellen liegt im Mesoderm. Ausgehend davon entscheiden insbeson-dere das chemische Milieu und später die mecha-nische Belastung, zu welchen Zielzellen sich diese Vorläuferzellen entwickeln. Dort, wo eine gute Sau-erstoffversorgung gegeben ist und hohe Scherkräf-te wirken, entwickeln sich Fibroblasten. In sauer-stoffarmen Geweben, die zusätzlich Kompressions-kräften ausgesetzt sind, differenzieren sich dagegen Chondroblasten (Tägil und Aspenberg 1999).

Es besteht also für jede Zelle und damit für jedes Gewe-be ein spezifisches chemisches und mechanisches Milieu, das für den Erhalt und die Funktion essenziell ist. Verän-dert sich dieses Milieu, führt dies primär zu einer schlech-teren Funktion und sekundär zu einer Anpassung der Zel-le.

Früh im vergangenen Jahrhundert wurden Zellen lediglich als flüssigkeitsgefüllte „Säckchen“ angese-hen. Erst als die Plastizität und die damit verbun-denen Abläufe genauer untersucht wurden, konn-te man die komplexe Zellstruktur identifizieren. Die Zelle besitzt neben ihren Organellen ein Skelett,

1 Bindegewebe und Wundheilung

das sich von der Membran bis in den Kern fortsetzt. Mikrotubuli, Mikrofilamente und intermediäre Fila-mente sind Bestandteile des Gerüsts, das sowohl Elastizität als auch Kompressionsstabilität vermit-telt.

Viele Manualtherapeuten bezeichnen diese Kom-bination aus elastischen und stabilen Elementen als Tensegrity. Diese geniale Bauweise ist nicht nur in unserem Bindegewebe zu finden, sondern wird auch beim Brücken- oder Gebäudebau umgesetzt, um mit geringem Materialaufwand Stabilität aber auch Elastizität zu erreichen. Die Zelle wird dadurch für Verformung sensibel und kann so adäquat auf mechanische Einflüsse in ihre Umgebung reagieren (Ingber 1993, 1998).

Das Zellskelett endet nicht an der Membran. Es setzt sich durch so genannte Transmembranprotei-ne (z. B. Integrine, siehe Abb. 1.3, S. 4) auf die extra-zelluläre Matrix fort (Chiquet et al. 1996, Otte 2001). Durch diese Verbindung hält die Zelle Kontakt mit den anderen Bindegewebskomponenten, kann sich gegebenenfalls fortbewegen, sich stabil verankern oder einfach nur wahrnehmen, wie der Spannungs-zustand in der Matrix ist.

Neben diversen anderen Zellfunktionen, die nicht erörtert werden sollen, hat die Matrixsynthese sicherlich die größte Relevanz für die Medizinische Trainingstherapie; die Bindegewebszelle produziert ihre Umgebung selbst, in Quantität und Qualität. Für den Therapeuten stellt sich nun die spannende Fra-ge: Welchen Reiz braucht die Zelle, um ihre Funkti-on auszuführen, Matrix zu produzieren und damit ein widerstandsfähiges Gewebe zu bilden?

Matrix

Die Matrix hat drei Hauptbestandteile:Fasern •Grundsubstanz •Wasser, Mineralstoffe usw. •

FasernFasern darf man sich wie Seile vorstellen, die aus aneinander geketteten Molekülen bestehen. Mehre-re Seile werden übereinander gelegt und wie eine Kordel verdreht. Die fertige Faser kann entweder stabil sein (kollagene Faser) oder elastisch (elasti-sche Faser). Die Verteilung von kollagenen und elas-

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1 2 1 Bindegewebe und Wundheilung

tischen Fasern in einem Gewebe wird durch die mechanische Beanspruchung bestimmt.

Die Funktion von „Seilen“ in einem Gewebe liegt auf der Hand. Sie sind für die Zugfestigkeit verant-wortlich. Dementsprechend sind zum Beispiel in Ligamenten mehr Fasern zu finden als im Nucleus pulposus der Bandscheibe.

GrundsubstanzGrundsubstanz besteht aus Molekülen, die sich zu einem großen Aggregat, Proteoglykan (PG), zusam-menfinden. Dabei werden so genannte Glykosami-noglykane (GAG) über Verbindungsproteine an eine zentrale Eiweißkette gebunden. Viele PG werden über Verbindungsproteine an eine Hyaluronsäure-kette gebunden, und es entsteht ein Proteoglykan-aggregat (Abb. 1.1a), im Knorpel z. B. Aggrekan. Die Bezeichnung der Proteoglykanaggregate ist in den verschiedenen Bindegewebstypen unterschiedlich.

Grundsubstanz ist für die Widerstandskraft gegen Kompressionskräfte verantwortlich. Dies liegt an der Anordnung der Glukosaminglykane sowie deren Ladung: die GAG sind innerhalb eines Proteoglyk-ans wie die Borsten einer Bürste angeordnet, wobei die „Borsten“ eine negative Ladung aufweisen. Bei Belastung werden die GAG aufeinander zu bewegt. Da sich gleichnamige Ladungen abstoßen, treten entgegengesetzte Kräfte („repulsive forces“) auf, die zu einer Abstoßung führen (Abb. 1.1b).

WasserWasser als dritter Bestandteil der Matrix bindet sich an die Fasern und insbesondere an die Grundsubs-tanz. Wasser ist aus mechanischer Sicht ebenfalls für den Widerstand gegen Kompressionskräfte ver-antwortlich, da es nicht komprimierbar ist.

Insgesamt entsteht ein homogenes Gewebe, indem die Zelle als „intelligente Struktur“ den Auf- und Abbau steuert und die Matrix die Stabilität gebende Komponente darstellt. Jedes Bindegewebe besteht aus diesen Anteilen, lediglich das Verhältnis der Bestandteile und die molekulare Struktur der Gewebe sind unterschiedlich. So enthalten Gewebe, die besonders gegen Druckkräfte stabil sein müs-sen, mehr Grundsubstanz, Gewebe die primär auf Zug belastet werden mehr Fasern.

Zusammenfassung

Bindegewebe ist anpassungsfähig. •Die Medizinische Trainingstherapie setzt Trainings- •reize, um diese Anpassungsvorgänge im Sinne einer Funktionsverbesserung zu unterstützen. Hierfür sind Kenntnisse der Bindegewebsphysiolo-gie unerlässlich.Bindegewebe besteht im Wesentlichen aus Zellen •und Matrix. Zellen steuern die Vorgänge im Gewe-be, während die Matrix für Stabilität sorgt.

Chondroitinsulfatkette

Keratansulfatkette

intermolekulareladungsabhängigeAbstoßungskräfte

Entlastung

Zunahme derLadungsdichte,Zunahme derAbstoßungskräfte

BelastungHyaluronsäurekette

Linkprotein/Verbindungs-protein

a b

Abb. 1.1a–b Grundsubstanz. a Aufbau eines Proteoglykans. b Intermolekulare Abstoßungskräfte unter Entlastung und bei Belas-tung.

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11.1 Bindegewebe 3

Die Zellen entwickeln sich entsprechend che- •mischer und mechanischer Einflüsse. Ihr Aufbau gewährleistet zugleich Elastizität und Stabilität, eine Eigenschaft, die auch als „Tensegrity“ bezeich-net wird. Integrine in der Zellmembran stellen Kon-takt zur Umgebung her und ermöglichen so einen Kontakt mit der Umgebung und Reaktionen auf Veränderungen im Gewebe.Eine wichtige Funktion ist die Matrixsynthese. Als •Matrix bezeichnet man extrazelluläre Anteile des Bindegewebes. Sie besteht vor allem aus Fasern, Grundsubstanz, Wasser und Mineralstoffen. Fasern sind für die Stabilität gegen Zugkräfte verantwort-lich. Grundsubstanz gewährleistet den Widerstand gegen Kompression, ebenso wie Wasser, das an die Fasern und die Grundsubstanz gebunden ist.

TurnoverJedes Gewebe unterliegt einem ständigen Auf- und Abbau, den man als Turnover bezeichnet. Durch unse-re alltäglichen Aktivitäten erhalten wir die Qualität und Quantität unserer Gewebe.

Die Zeit, in der dieser Prozess vonstatten geht, wird als biologische Halbwertszeit bezeichnet. Halb-wertszeit deswegen, weil in dieser Zeiteinheit 50 % des entsprechenden Gewebes auf- und wieder abge-baut wird. Die Nettobilanz ist null und an unser All-tagsniveau angepasst. Die Dauer des Turnovers ist abhängig von der:

Matrixkomponente: Grundsubstanzmoleküle •werden schneller synthetisiert als kollagene Fasern.Molekülgröße: je größer das zu produzierende •Molekül, desto länger dauert der Turnover; ein GAG ist daher schneller ersetzt als ein PG-Aggre-gat.Gelenklokalisation: werden gleiche Bindegewebs- •typen in verschiedenen Gelenken untersucht, so können diese eine unterschiedliche Turnover-Rate aufweisen. Knorpelzellen im Sprunggelenk sind biologisch aktiver und synthetisieren schnel-ler Grundsubstanz als Knorpelzellen im Kniege-lenk (Kuettner und Cole 2005).Allgemeine Stoffwechselaktivität und Durchblu- •tungssituation: je besser das Gewebe versorgt ist, desto schneller ist auch der Turnover. Kolla-gene Fasern in biologisch „inaktiven“ Geweben, wie dem Knorpel oder der Bandscheibe, werden so langsam ersetzt, dass die normale Lebenser-wartung für den physiologischen Austausch nicht ausreicht. Demgegenüber stehen andere Gewebe

wie die Haut oder die Synovialflüssigkeit, die sich in relativ kurzer Zeit erneuern (siehe Tab. 1.1).

Tabelle 1.1 Turnover-Rate der Matrixkomponenten und ausgewählter Bindegewebe (Brils et al. 1999, van Win-gerden 1998)

Gewebe Turnover-Rate

Grundsubstanz 2–9 Tage

Fasern 300–500 Tage

Haut 5–10 Tage

Synovia 14–21 Tage

Kapsel/Ligamente 300–500 Tage

Knorpel 300 Jahre

Bandscheibe 60 Jahre

Knochen 10 Jahre

Einflussfaktoren auf den Turnover

Die Ruheaktivität unserer Zellen stellt keinen sta-tischen Ablauf dar. Diverse Faktoren haben Einfluss auf die Geschwindigkeit des Umsatzes. Der Turno-ver verändert sich unter anderem durch mecha-nische, thermische oder chemische Reize.

Thermische ReizeJe höher die Gewebetemperatur, desto intensiver ist der Turnover. Bei normalen Wundheilungsprozes-sen kann die lokale Temperaturerhöhung 2 °C und mehr betragen (Weber 1990). Bleibt die Erwärmung innerhalb bestimmter Grenzen, ist dieser Mechanis-mus als positive Adaption zu sehen. Bei extremen Erwärmungen über 40 °C allerdings überwiegen die abbauenden Prozesse und Fibroblasten gehen zu Grunde. Unreflektierte Eingriffe in den Tempera-turhaushalt (z. B. die grundsätzliche Kälteapplikati-on auf Gelenken in der postoperativen Phase) sind vor diesem Hintergrund nicht nur falsch, sondern auch fahrlässige Eingriffe in physiologische Vorgän-ge (siehe Kap. 1.2.1)

Chemische ReizeDie meisten Informationsprozesse in unserem Kör-per werden über biochemische Substanzen vermit-telt. Hormone, Eikosanoide oder Neurotransmitter, wie sie z. B. im Rahmen der Wundheilung freigesetzt bzw. produziert werden, verändern dabei anforde-rungsspezifisch Zellfunktionen. Mechanische Reize und die Freisetzung von Überträgerstoffen bedin-

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1 4 1 Bindegewebe und Wundheilung

gen sich dabei gegenseitig bei der Anpassung der Umschlagrate.

Mechanische ReizeMechanische Reize stellen für den Therapeuten sicherlich die interessanteste Möglichkeit dar, bio-positive Adaptionen auszulösen. Die genauen Mechanismen, die zu einer Veränderung der bio-logischen Aktivität führen, sind nach wie vor nicht vollständig bekannt. Einige Möglichkeiten sollen im weiteren Verlauf diskutiert werden.

Piezoelektrischer Effekt: Wie oben beschrieben, spielen im Bindegewebe elektrische Vorgänge eine Rolle. Mechanische Verformung führt zu zielgerich-teten Ladungsverschiebungen innerhalb des belas-teten Gewebes (Basset und Pawluk 1972, Abb. 1.2). In der Physik wird dieses Phänomen piezoelekt-rischer Effekt genannt. Offensichtlich reagieren Zel-

len auf diese Ladungsdifferenzen und passen ihre Syntheseaktivität entsprechend der Größe der Ver-änderung an.

Strömungspotenziale: Ein weiteres elektrisches Phänomen, das durch mechanische Reize ausgelöst wird, sind die so genannten Strömungspotenziale. Gleiten geladene Flüssigkeiten an festen Oberflä-chen vorbei (zum Beispiel Flüssigkeitsverschiebung aus dem Knorpel oder der Bandscheibe) entsteht ein Stromfluss entsprechend der Strömungsrichtung. Diese Ladungen könnten auch hier positive Signale für die Zelle darstellen, die daraufhin ihre Aktivität entsprechend anpasst (Basset und Pawluk 1972, Zer-nicke und Loitz 1994).

Transduktion: Die mechanische Belastung wirkt auch direkt auf die Zelle ein. Entweder wird das Skelett innerhalb der Zelle deformiert oder die mechanischen Reize werden über Integrine auf-genommen (Abb. 1.3). Integrine sind Bestandteile der Zellmembran, die das Zellskelett mit der extra-zellulären Matrix verbinden. Bewegen sich kolla-gene Fasern, wird die Deformation durch diese Füh-ler sofort registriert und intrazellulär in Informati-onen für die Zelle übersetzt. Dieser Mechanismus wird als Transduktion bezeichnet und findet über-wiegend auf chemischem Wege statt. Somit wer-den mechanische Reize in chemische Signale umge-wandelt und mit der Freisetzung von Transmittern beantwortet.

Die meisten dieser Botenstoffe sind in und um die Zelle gespeichert und werden dem Reiz entspre-

Abb. 1.3 Verbindung zwischen dem Zellskelett und der extrazellulären Matrix durch Integrine (nach Oschman 2000).Integrine

Zellskelett(Mikrotubuli, Mikro-filamente, intermediäreFilamente)

Kernmatrix(Chromatin, Histone,chromatoassoziierteProteine)

extrazelluläre Matrix(Kollagen, Laminin,Fibronektin, Proteo-glykan)

Belastung mechanischeVerformung

piezoelektrischerEffekt

Abb. 1.2 Piezoelektrischer Effekt: mechanische Verformung führt zu zielgerichteten Ladungsverschiebungen (nach Osch-man 2000).

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11.1 Bindegewebe 5

chend freigesetzt (Chen 2003, Martin und Buck-walter 2000). Manche werden auf Verlangen, z. B. bei einem spezifischen Trainingsreiz, von der Zelle selbst produziert. Eine weitere Möglichkeit stellt die Öffnung von Ionenkanälen dar. Bei mechanischer Belastung kommt es dadurch zu einer schnellen Verschiebung von geladenen Molekülen und zu einer Anpassung des Zellpotenzials (Chiquet et al. 1996, Otte 2001).

Beispiele für solche Botenstoffe sind Wachstums-faktoren wie IGF (Insulin-like-Growth-Faktor), TGF (Transforming-Growth-Factor) oder FGF (Fibro-blast-like-Growth-Factor) sowie Ionen wie zum Bei-spiel Calcium. Einmal freigesetzt stimulieren sie den genetischen Apparat und die Produktion von neuen Matrixmolekülen beginnt. Die Freisetzung erfolgt reizspezifisch, d. h. mechanische Belastungen unter-schiedlicher Art (Druck-Zug), Frequenz, Amplitude und Intensität führen zu unterschiedlichen Reakti-onen innerhalb der Zelle. Dadurch kann die Adap-

tion genau an die Erfordernisse (Größe und Art des Trainingsreizes) angepasst werden.

Zusammenfassung

Turnover bezeichnet den ständigen Auf- und Abbau •von Gewebe. Dieser Vorgang ist physiologisch und findet in •unterschiedlichen Geweben unterschiedlich schnell statt und wird von verschiedenen Faktoren beein-flusst (Abb. 1.4).

Matrixsynthese

Wird die Zelle durch die oben beschriebenen Mecha-nismen genötigt, ihre Aktivität zu verändern, begin-nt die Synthese dort, wo die genetische Informati-on gespeichert ist: im Zellkern. Die Informationen

Abb. 1.4 Einfluss verschiedener Reize auf das Bindegewebe.

Thermische Reize:– Mehrdurchblutung– physikalische Therapie

Chemische Reize:– Neurotransmitter– Wachstumsfaktoren– Wachstumshormone

Intrazelluläre Reaktion :– Aktivierung des genetischen Apparats– adaptive Proteinsynthese

Extrazelluläre Reaktion :– Differenzierung/Proliferation

von Vorläuferzellen

Feed-back-System:– positive oder negative Rückkopplung– Modulation der Prozesse

Ruheaktivität(Turnover)

Mechanische Reize:– piezoelektrischer Effekt– Strömungspotentiale– Deformierung

Zellskelett/Matrix

Transduktion in chemische Signale:– Öffnung von Ionenkanälen (Ca,…)– Freisetzung/Produktion von

Wachstumsfaktoren/Hormonen

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1 6 1 Bindegewebe und Wundheilung

werden zunächst kopiert (Transkription) und an die Ribosomen versendet. Dort wird die Kopie gelesen und in spezifische Aminosäuresequenzen übersetzt (Translation). Nach diesem „Bauplan“ wird im rauen endoplasmatischen Retikulum mit der Herstellung von Matrixmolekülen begonnen. Im Golgi-Appa-rat werden die Moleküle weiter vervollständigt und in kleine Pakete (Vesikel) verpackt. Diese Vesikel bewegen sich zur Zellmembran und werden nach außen transportiert. Im Extrazellulärraum werden die einzelnen Untereinheiten zusammengesetzt und es entstehen Fasern und Grundsubstanzmole-küle (Brils et al. 1999, Mankin et al. 2000, Abb. 1.5).

Die Synthese wird durch die Einflussfaktoren in Qualität und Quantität gesteuert. Wirken kei-ne Wachstumsreize mehr, wird die Synthese redu-ziert. Des Weiteren reduzieren produzierte Matrix-moleküle über ein negatives Feedback die Zellakti-vität (Shekter 1986).

Zusammenfassung

Die Matrixsynthese als wesentlicher Prozess biolo- •gischer Anpassungsvorgänge beginnt im Zellkern als Reaktion auf mechanische, thermische und che-mische Reize. Kommt es zur Immobilisation, kehren sich diese •Prozesse um und Gewebe wird abgebaut.

Immobilisation

Bei Bewegungsmangel oder Immobilisation kommt es zu entgegengesetzten Abläufen (Immobilisati-onsschäden, Abb. 1.6). Es fehlen die stimulierenden Reize und die Matrixsynthese reduziert sich bei einem beschleunigten Umsatz, d. h. bei einem erhöhten Turnover verschiebt sich das Verhältnis zu Gunsten des Gewebeabbaus. Das Gewebe verliert an Quantität (weniger Fasern und Grundsubstanzmo-leküle) und Qualität (Ausrichtung der Fasern, Ent-stehung von pathologischen Crosslinks zwischen den Fasern). Der Verlust von Grundsubstanzmole-külen geht dabei schneller vonstatten, ist dafür aber eher reversibel als der Verlust von Fasern.

Nach Traumen oder Operationen schließt sich oft eine Phase verminderter Belastbarkeit an, in der die Stabilität nicht nur im verletzten Gewebe, sondern in allen Antei-len des Arthrons herabgesetzt ist. Bei einer kurzzeitigen Immobilisation sind diese abbauenden Prozesse reversi-bel. Werden 3–6 Wochen überschritten, so ist mit dauer-haften Schäden in den betroffenen Strukturen zu rech-nen.

Problematisch ist die unterschiedliche Dauer der Anpassungserscheinungen in verschiedenen Gewe-ben. Während bei Muskelfasern schon nach 6–8 Wochen mit einer morphologischen Anpassung

Intrazellulärraum

raues endoplasmatisches Retikulum

Golgi-Apparat

Vesikel

Zellkern

Extrazellulärraum

Zellmembran

Matrixbausteine

Matrix-Makromolekül

Abb. 1.5 Ablauf der Matrixsynthese von der Transkription über die Translation, Verpackung der Moleküle in Vesikel, Transport zur Zellmembran und Fertigstellung im extrazellulären Raum (nach Mankin et al. 2000).

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11.1 Bindegewebe 7

auf einen Trainingsreiz zu rechnen ist, adaptieren weniger aktive Gewebe wie Knochen oder Knorpel deutlich langsamer. So berichtet Eckstein (2003), dass nach einer Meniskusnaht und anschließender Immobilisation der Muskelquerschnitt um 38 %, die Knorpeldicke um 14 % abnahm. Der Muskel-schwund war nach 18 Monaten völlig kompensiert, der Verlust der Knorpeldicke dagegen nicht! Bei der Behandlung nach Verletzungen müssen die Fol-gen einer Immobilisation immer mit berücksichtigt werden. Wegen seiner langsamen Turnover-Rate beeinflusst deshalb oft der Zustand des Gelenkknor-pels die Therapieplanung.

Immobilisation

fehlende Einflussfaktoren

keine bioelektrischen Ereignisse odermechanische Verformung der Zelle

Umschlagsrate steigt

verminderter Aufbau (Quantität) mit schlechterer Qualität

Funktion geht verloren

Traumagefahr steigt

Abb. 1.6 Schematischer Ablauf des Immobilisationsschadens.

Zusammenfassung

Da unterschiedliche Gewebe unterschiedlich •schnell auf fehlende Bewegung und Belastung rea-gieren, sind die Auswirkungen einer Immobilisation in Knorpel, Knochen, Sehnen, Bändern, Nerven und Muskeln verschieden. Bei der Therapie müssen diese Unterschiede •berücksichtigt werden und erfordern eine Anpas-sung der Behandlung an das schwächste Glied im Arthron.

Mechanische Eigenschaften

Belastungs-Deformations-Kurve

Bindegewebe haben viskoelastische Eigenschaften. Werden sie mechanisch belastet (Kompression oder Zug), kann die Reaktion des Gewebes an Hand der Belastungs-Deformations-Kurve abgelesen werden. (Abb. 1.7).

Im Anfangsbereich der Kurve nimmt die Elongation des Gewebes zunächst stark zu. Dieser Teil der Kur-ve wird als Anzugs- oder „Fußbereich“ (engl.: toe -region) bezeichnet. Dort wird lediglich die im Ruhe-zustand vorliegende wellenartige Struktur der kol-lagenen und elastischen Fasern gestrafft. Es kommt also zu keiner Dehnung der einzelnen Fasern, son-dern zu einem Gleiten innerhalb der Matrix bis zur geraden Ausrichtung. Man spricht deshalb auch von Matrixbelastung. Die hierfür benötigte Kraft ist rela-tiv gering, da keine chemischen Verbindungen über-wunden werden müssen (Bogduk 1997).

An diesen Kurventeil schließt sich ein linearer Bereich an. Das Endgefühl, das in vielen manualthe-rapeutischen Konzepten getestet wird, liegt inner-halb dieses Kurvenbereichs. Die Fasern werden nun bis zur maximalen Belastbarkeit der Verbindungen zwischen den Fibrillen gedehnt. Wird die mecha-nische Grenze überschritten, so kommt es zu Mikro-traumen und letztendlich zum endgültigen Versa-gen der Struktur, zu einer Ruptur.

Hysterese

Wird die Belastung wieder auf null reduziert, so kehrt die Struktur mehr oder weniger in den Aus-gangszustand zurück. Dies hängt insbesondere vom Ausmaß der Deformierung ab. Bei Belastun-gen innerhalb der Toe-Region nimmt das Gewebe in der Regel die ursprüngliche Länge ein. Bei Belas-tungen innerhalb der linearen Region verbleibt zunächst ein Dehnungsrückstand (Bogduk 1997), d. h. die Struktur ist weiterhin gedehnt. Nimmt die-se Dehnung ohne äußere Kräfte wieder auf null ab, spricht man von viskoelastischer Verformung. Bleibt eine Dehnung auf Dauer bestehen, spricht man von plastischer Verformung (Brinckmann 2000). Wie aus

3020100

Fuß-bereich

linearerBereich

% Verlängerung (ε)

Bela

stun

g (σ

)

SchädigungεσBelastungs-Deformationskurve = —

ε

σ

Abb. 1.7 Belastungs-Deformations-Kurve von viskoelastischen Geweben am Beispiel von Sehnengewebe (nach Sharma 2005).

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1 8 1 Bindegewebe und Wundheilung

Abb. 1.8 hervorgeht, entspricht der rückläufige Kur-venteil nicht dem deformierenden. Der von beiden Kurven eingeschlossene Bereich wird als Hystere-seschleife bezeichnet und entspricht dem Energie-verlust, der insbesondere durch Reibung im inne-ren des Gewebes entsteht und als Wärme abgege-ben wird (Wright und Li 2000).

Übertragen auf den Bewegungsapparat ist ein geringer Energieverlust (eine kleine Hysterese-schleife) positiv zu bewerten. Es ist ein Merkmal viskoelastischer Gewebe, Energie zu speichern und während zyklischer Belastung wieder freizuset-zen. Die Bewegung wird dadurch ökonomischer, der Energieverbrauch wird reduziert. Im Sport können so Leistungen gesteigert werden. In der Rehabilitati-on von Herz-Kreislauf-Erkrankungen können wert-volle Energieträger gespart werden.

Creep

Die oben beschriebene Verlängerung des Gewebes bezieht sich auf eine relativ kurz einwirkende Kraft. Wirkt eine gleich bleibende, nicht traumatisieren-de Kraft länger auf ein Gewebe ein, kommt es zu einer Deformierung. Diese nimmt zunächst stark zu, lässt dann aber nach und erreicht schließlich einen Grenzwert. Dieser Vorgang wird als „creep“ (engl.: kriechen) bezeichnet.

Wüsste man genau, wie lange dieser Prozess für jedes einzelne Gewebe dauert, könnten Kapsel- oder Muskeldehnungen genauer ausgeführt wer-den. Da diverse Einflussfaktoren, wie zum Beispiel der Kollagengehalt, intermolekulare und intramo-

lekulare Crosslinks oder einfach nur die gebundene Flüssigkeitsmenge, den Creep verändern, kann man die Parameter für manuelle Techniken nicht exakt angeben.

Spannungsrelaxation

Wird ein Gewebe konstant gedehnt, so nimmt die anfänglich benötigte hohe Spannung mit der Zeit ab. Nach einer gewissen Zeit nähert sie sich einem Grenzwert, ohne dass es zu einer weiteren Reduk-tion der Spannung kommt: sie bleibt dann kons-tant. Dieser Vorgang wird als Spannungsrelaxation bezeichnet.

Zusammenfassung

Bindegewebe hat mechanische Eigenschaften. Die- •se hängen von der einwirkenden Kraft und der Dau-er der Krafteinwirkung ab.Ist die dehnende Kraft gering, wird das Gewebe •gestrafft und die Fasern richten sich entlang der Zugrichtung aus. Man spricht von der Matrixbelas-tung.Mit zunehmender Kraft erfolgt eine Dehnung bis •zur Zerreißgrenze.Aus der Dehnung kehrt das Gewebe zu seiner Aus- •gangslänge zurück. Dabei verbleibt je nach Eigen-schaft des Gewebes sowie Dauer und Intensität der Dehnung ein Dehnungsrückstand. Innerhalb eines Belastungs-Entlastungs-Zyklus geht •Energie verloren. Dieser Energieverlust wird als Hysterese bezeichnet. Je geringer er ist, umso bes-ser sind die elastischen Eigenschaften des Gewebes im Hinblick auf die Bewegungsökonomie.Bei gehaltener Dehnung kommt es zu einer Defor- •mierung des Gewebes, die man als „creep“ bezeich-net. Dadurch lässt sich die Beweglichkeit verbes-sern. Allerdings gibt es keine konkreten Hinweise, wie lange der Dehnzustand, bezogen auf die ver-schiedenen Gewebe, gehalten werden muss, um einen optimalen Effekt zu erzielen.Mit der Zeit lässt bei einer gehaltenen Dehnung die •Spannung im Gewebe nach. Man spricht von einer Spannungsrelaxation.

Ausgangs-länge

Bela

stun

g

Hystereseschleife

Dehnungs-rückstand

Endlänge

Dehnung Muskellänge

Span

nung

Entla

stun

g

Abb. 1.8 Hystereseschleife mit Dehnungsrückstand (Bogduk 1997).

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11.1 Bindegewebe 9

1.1.2 Bewegungsreize auf Bindegewebe

Bewegungsreize auf den Knorpel

Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft scheint es nicht möglich zu sein, erwachsenes Knorpelge-webe analog zu einer muskulären Hypertrophie dicker zu machen. Vergleichende Untersuchungen von Leistungssportlern und Menschen, die sich nor-mal bewegen, können daher keinen Unterschied bezüglich der maximalen Knorpeldicke feststel-len (Mühlbauer et al. 2000, Eckstein et al. 2002). Im Tierversuch führt selbst regelmäßiges Lauftraining mit Zusatzgewicht über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren im Vergleich zu normal aktiven Kon-trolltieren nicht zu einer Dickenzunahme (Newton et al. 1997). Selbst überproportional schwere Tiere wie Nashörner weisen überraschenderweise keine dickeren, sondern eher dünnere Knorpelschichten auf (Eckstein 2003).

Eine Anpassung könnte aber durch eine vergrö-ßerte druckaufnehmende Gelenkfläche entstehen. Eckstein et al. (2002) verglichen die Gelenkflächen-größe des Kniegelenks von sportlich aktiven Proban-den (> 10 Stunden pro Woche), die zusätzlich eine körperlich belastende Arbeit ausführen, mit sport-lich wenig aktiven Kontrollprobanden (< 1 Stunde pro Woche), die einer physisch wenig belastenden Arbeit nachgehen. Die aktiven Personen hatten eine um 7–8,8 % größere Gelenkfläche als die inaktiven Personen. Ob dies eine trainingsbedingte Adaption des ausgewachsenen Gelenks darstellt oder schon innerhalb des Skelettwachstums durch vermehr-te Bewegungsreize entstanden ist, bleibt bis heute allerdings unklar.

Die Qualität von Knorpel nur nach seiner Mor-phologie zu beurteilen, wäre aber unzureichend. So ist ein durch einen erhöhten Wassergehalt dickerer Knorpel nicht zwangsläufig auch belastbarer. Das Verhältnis der einzelnen Matrixkomponenten zuei-nander ist sicherlich wichtiger und für die Qualität entscheidend (Franz et al. 2001, Mankin et al. 2000).

In diesem Zusammenhang konnten in den letz-ten Jahren durch spezifische Kontrastmitteluntersu-chungen interessante Daten ermittelt werden. Dabei wird das Kontrastmittel Gadolinum venös appliziert und mit einer zeitlichen Verzögerung von ca. 2 Stun-den eine MRT-Aufnahme der Ziegelenke angefertigt. Die Matrixstruktur kann dadurch dargestellt wer-den (unterschiedliche Einfärbung der kollagenen Anteile und Grundsubstanzmoleküle). Roos und Dahlberg (2005) konnten diesbezüglich innerhalb eines viermonatigen Trainingsprogramms, beste-

hend aus Kraft- und Ausdauertraining, sowie koor-dinativen Trainingsmethoden, eine qualitative Ver-besserung der Knorpelmatrix darstellen.

Folgen einer Immobilisation

Die Gedanken über ein „Knorpeltraining“ beziehen sich aus den genannten Gründen nicht auf einen gesunden, sondern auf einen defizitären Knorpel nach Immobilisation oder einer Operation. Einen Immobilisationsschaden (s.o.) kann man konstant nachweisen. Er tritt bereits nach 3–4 Wochen auf (Diekstall, Schulze und Noack 1995). Insbesonde-re die Grundsubstanzmoleküle bilden sich schnel-ler zurück als die kollagenen Fasern. Selbst durch eine zeitlich begrenzte Entlastung reduziert sich die Knorpelmasse erstaunlich schnell. Hinter-wimmer et al. (2004) konnten nach einer sieben-wöchigen Teilbelastungsperiode bei operativ ver-sorgten Weber-B/C-Patienten eine Dickenabnah-me des Knorpels im Kniegelenk der betroffenen Sei-te von 2,9 %–6,6 % feststellen. Bestätigt werden diese Ergebnisse von Vanwanseele et al. (2004). In ihrer Untersuchung kam es in Folge einer Querschnitts-lähmung zu einem durchschnittlichen Verlust der Knorpeldicke im Kniegelenk innerhalb eines halb-en Jahres von 11 %. Der durch die erhöhte Aktivität im Rollstuhl mehr belastete Schultergelenksknorpel zeigte dagegen keine makroskopische Veränderung.

Während der Verlust von Proteoglykanen weitge-hend reversibel ist, regenerieren sich die kollagenen Fasern wahrscheinlich nicht (Otterness et al. 1998, Vanwanseele, Lucchinetti und Stüssi 2002). Nach Immobilisationsphasen kann die Knorpelmorpholo-gie auch nach 18 Monaten im Vergleich zur gesun-den Seite noch gestört sein, während das muskuläre Defizit zu diesem Zeitpunkt meistens schon beho-ben ist (Eckstein 2003).

Stoffwechsel und Adaption

Grundsätzlich erhält sich der Knorpel durch ein aus-geglichenes Verhältnis von anabolen und katabolen Prozessen. Beide werden primär mechanisch akti-viert und sekundär chemisch vermittelt.

Anabole VorgängeDie Grundsubstanzsynthese im Knorpel kann direkt oder indirekt getriggert werden (Lee et al. 1998, van den Hoogen et al. 1998). Eine direkte Aktivierung liegt vor, wenn das Zytoskelett durch externe Kom-pressionsreize deformiert wird. Die Aktinfilamente, Mikrotubuli und intermediären Filamente richten sich entlang der einwirkenden Kraft aus und pas-