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böll THEMA Das Magazin der Heinrich-Böll-Stiftung Ausgabe 2, 2008 Mit wem geht die neue Zeit?

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Das Magazin der

Heinrich-Böll-StiftungAusgabe 2, 2008

Mit wem geht die neue Zeit?

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Notiz
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Stimmen4 Was heißt heute links?

Kleine Umfrage in der grünen Heimat. Von Michaela Wunderle

Geschichte eines Begriffs6 Links Mitte Rechts

Kleine Geschichte der politischen Geographie Europas. Von Joscha Schmierer

9 Was den linken Diskurs mit der Ozonschicht verbindet. 45 Jahre lang die Frage: «What’s left?» Eine Relektüre. Von Ulrike Baureithel

Lebenswelten12 Der Container mit der Aufschrift «links»:

Gebetsraum für unsortierte Glaubensbekenntnisse. Von Christian Schneider

14 Freiheit, Gleichheit, Schönheit Frauenemanzipation gehört in keine Schublade. Von Waltraud Schwab

16 «Inszenieren heißt kritisieren» Der Dramaturg und Wegbereiter des neuen Regietheaters Bernd Stegemann im Gespräch mit Henrike Thomsen

Zahlen verstehen19 Links ist da, wo die Regierung rechts ist.

Zwischen einem gesellschaftlichen Linkstrend und einer Politik der Mitte besteht kein Widerspruch. Von Dieter Rulff

Positionen: Was können wir wissen? Was können wir tun? Was können wir hoffen?22 Mut zum Wandel

Plädoyer für eine Agenda 2020 Von Ralf Fücks

26 Yes, they could! Warum eine intakte Sozialdemokratie in Deutschland heute nicht bloß gebraucht wird, sondern sogar erfolgreich wäre. Von Tobias Dürr

28 «Wir sollten nicht zimperlich sein.» Soziale Umverteilung in den privaten Konsum oder Investitionen in öffentliche Güter? Von Sibyll Klotz

30 Links Mitte Rechts ist gestern. Die grünen Themen sind im Zentrum angekommen. Von Kai Klose

31 Dem Wandel eine Richtung geben. Grün als Orientierungsfarbe einer Politik, die Gerechtigkeitsanspruch mit Veränder ungswillen verbindet. Von Peter Siller

Heinrich-Böll-Stiftung

35 Hinweise, Projekte, Publikationen

Impressum

HerausgeberHeinrich-Böll-StiftungSchumannstraße 8 10117 BerlinFon 030 – 2 85 34 – 0Fax 030 – 2 85 34 – 109E-Mail: [email protected]/thema

RedaktionsleitungElisabeth Kiderlen

RedaktionsassistenzSusanne Dittrich

MitarbeitRalf Fücks Annette Maennel (V.i.S.d.P.) Peter Siller

ArtconceptBüro Hamburg Jürgen Kaffer, Sandra Klostermeyer

Gestaltungblotto design, Lydia Sperber

Druckagit-Druck, Berlin

PapierInhalt: Envirotop, matt hochweiß, Recyclingpapier aus 100 % Altpapier Umschlag: Enzocoat

Bezugsbedingungenzu bestellen bei oben genannter Adresse

HinweisIn Partnerschaft mit der Firma Grammer Solar wurde auf dem Dach des Neubaus der Heinrich-Böll-Stiftung eine Photovoltaikanlage installiert. Bitte beachten Sie die Anzeige auf Seite 34.

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What’s left?

1990 ergab eine Meinungsumfrage, dass dreißig Prozent der Deutschen glaubten, der Sozialismus sei «eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde». Das war schon damals, noch mitten in den Freiheitsrevolutionen in Mittel-Osteuropa, eine erstaunlich hohe Zahl. Heute sind es 45 Prozent. Zu ihnen gehört offenbar auch Franziska Augstein, die diese Umfrage in einem Text für das Magazin der Süddeutschen Zeitung zitiert, in dem sie die Realgeschichte des Sozialismus von 1917 bis 1989 als bloße Abirrung abtut, die man ad acta legen kann, um seinen guten, wahren Kern wieder freizule-gen: das Streben nach sozialer Gerechtigkeit. Die Autorin gehört mitnichten zur intellektuellen Bo-heme des «radical chic» vom Schlage eines Slavoj Zizek, der sich schon mal an der Rehabilitation Lenins versucht, bevor er den Apostel Paulus als Prototyp eines aufrührerischen Messianismus entdeckt.

Die bürgerlichen Freunde des Sozialismus sind vielmehr beredte Zeugen dafür, dass der Zeitgeist in Deutschland die Windrichtung gewechselt hat. Neoliberalismus ist out, und mit ihm alles, was in diese Schublade gepackt wird: von der Privatisierung öffentlicher Unternehmen bis zu den Steuer- und Sozialreformen der rot-grünen Koalition, die für die wachsende Schere zwischen Arm und Reich verantwortlich gemacht werden. Dass es darum ging, die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, die galoppierenden Lohnzusatzkosten einzudämmen, die Rentenversicherung demographiefest zu ma-chen und die Last einer aus dem Ruder gelaufenen Staatsverschuldung für die nächsten Generatio-nen zu erleichtern: aus den Augen, aus dem Sinn. Dass zugleich der Eintritt von zwei Milliarden Menschen in den Weltmarkt, die bereit sind, hart für die Verbesserung ihrer Lage zu arbeiten und großen Bildungshunger an den Tag legen, den Kosten- und Innovationsdruck am «Standort Deutsch-land» verschärft hat, erscheint nur noch als Ausrede für Billiglöhne auf der einen, schamlose Berei-cherung auf der anderen Seite.

Selbstverständlich reden weder die Edel-Sozialisten des Feuilletons noch der Trommler Oskar La-fontaine einer sozialistischen Revolution das Wort. Ihr Utopia liegt nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit, im Wohlfahrtsstaat der achtziger Jahre – in der Ära von Helmut Schmidt und Hel-mut Kohl. Es geht um staatsverbürgte soziale Sicherheit und um größtmögliche Stabilität der Le-bensverhältnisse. Das ist nachvollziehbar. Der Fehler ist nur, zu glauben, es könne Sicherheit ohne Veränderung geben, Wohlstand ohne Risiko, Umverteilung ohne Wettbewerbsfähigkeit, Solidarität ohne Selbstverantwortung.

Eine Linke, die sich auf die Umverteilung durch den Staat zurückzieht, hat keine Zukunft. Die Debatte um den «Dritten Weg» und «New Labour», die in den 90ern mit dem Anspruch einer Selbst-erneuerung geführt wurde, bevor sie im Regierungspragmatismus Blairs und Schröders versandete, hat immerhin drei grundlegende Ideen aufgenommen: Die moderne Linke braucht ein emphati-sches Verhältnis zur Freiheit; sie braucht eine ökonomische Politik, die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft sichert; und sie muss eine kosmopolitische, weltoffene Haltung einnehmen, statt sich hinter Protektionismus und nationaler Engstirnigkeit zu verschanzen. Nimmt man noch als zentrales Element die ökologische Frage hinzu, dann könnte das die Blaupause für die Grünen sein.

Wir wollen mit diesem Heft erkunden, was «links» heute noch oder wieder bedeutet, was anachro-nistisch scheint und was aktuell. So wenig es die eine Linke gibt, so vielfältig fallen die Antworten darauf aus. Eine anregende Lektüre wünscht

Ralf Fücks Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Der besondere Tipp

— Studie: ERENE. Eine Europäische Gemeinschaft für Erneuerbare Energien. Michaele Schreyer und Lutz Mez analysieren die Möglichkeiten, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen im europäischen Verbund zu erhöhen, und skizzieren den Weg in ein Europa — ohne fossile und nukleare Stromversorgung. Zu bestellen unter [email protected], Download unter www.boell.de

Ist da wer? Kongress zur Zukunft der Demokratie am 2. und 3. Oktober 2008, Hochschule für Künste, Bremen. Mit Work-shops — zu Demokratie in Wirtschaft, Ökologie, Medien und Kommunen Info: www.boell.de, [email protected]

Tourwebsite www.sonnewindundwir.de – die Seite zur Klimatour 2008 der Heinrich-Böll-Stiftung. Mit Tourdaten, Musik, Infos und Tipps für individuelles Handeln in Sachen Klimaschutz

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4 Stimmen

Was heißt heute links?Kleine Umfrage in der grünen HeimatGesammelt und aufgeschrieben von Michaela Wunderle

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Links? Das ist eine sich ständig erneuernde Demokratie, eine zur Selbstkritik fähige Gesellschaft, die den Einzelnen ermuntert, seine sozialen und geistigen Fähigkeiten zu entfalten. Es ist eine Weltanschauung, die stets nach neuen Erkenntnissen sucht, die nichts so verabscheut wie das Erstarren in einmal gültigen Formen.Renate Wiggershaus, Schriftstellerin

Lichtungmanche meinenlechts und rinkskann man nicht velwechsernwerch ein illtum.ernst jandlFrank Wolff, Cellist

«Vorwärts, und nicht vergessen, worin eure Stärke besteht. Beim Hungern und beim Essen, vorwärts, und nicht vergessen: die Solidarität!»Ede Fischer, Unternehmerin

Links muss überholt werden. Denn Lafontai-ne, Chavez oder Alice Schwarzer sind nicht links. Genau sowenig wie es die Jakobiner waren, auf deren Sitzordnung in der fran-zösischen Nationalversammlung der Be-griff zurückgehen soll. Wenn die Illu sion der Gleichheit auf Kosten der Freiheit tri-umphiert, droht die Guillotine oder der Mindestlohn. Links ist heute mehr eine Haltung als ein politisches Projekt. Links ist mehr Frechheit, Kultur und Kommuni-kation. Links ist weniger Angst, Staat und Superstars. Und ein «Sozialismus» à la

«Linkspartei» verdient, so eine Frankfurter Sonntagszeitung, «zéro points»Peter Zollinger, Redakteur

Links bedeutet für mich: Einsatz für eine humane, solidarische, gerechte und re-pressionsfreie Zivilgesellschaft und das Beharren auf Utopien.Ernst Szebedits, Filmproduzent

Mit Blick auf Italien kann ich nur sagen: Links, das bedeutet Lähmung, Orientie-rungslosigkeit, Depression, Zerfall, auch viel Opportunismus. Als Hoffnung bedeu-tet es für mich Gerechtigkeit, Solidarität, Partizipation und Pluralismus.Sandra D’Oliv, Konsulatsangestellte

Links bedeutet für mich: eine Lebenshal-tung, Utopie, Orientierung. Die Vorstellung einer Gesellschaft, geprägt von Gleichbe-rechtigung, Verteilungsgerechtigkeit, Res-pekt, Solidarität und Kritik- und Veränderungsbereitschaft.Ute Szebedits, Therapeutin

Links denkt und handelt, wer davon aus-geht, dass der Mensch dem Menschen im-mer auch Zweck und niemals nur Mittel sein darf, d.h. wer die Würde jedes einzel-nen Menschen auch im politischen Kon-flikt achtet und diese nie um angeblich hö-herer, gemeinsamer Ziele wegen preisgibt. Links denkt und handelt darüber hinaus, wer für eine gerechte Gesellschaft eintritt, d.h eine Gesellschaft, in der allen Bürgern und Bürgerinnen die gleichen Grundrech-

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e und Grundfreiheiten im Sinne einer estlichen Verfassung effektiv zustehen

owie (und das unterscheidet die «Linken» on den Liberalen) die materielle Verfasst-eit der Gesellschaft so gestaltet ist, dass iese Grundrechte und -freiheiten für alle uch den gleichen Wert haben.icha Brumlik, Erziehungswissenschaftler

uch wenn «Die Linke» samt wachsendem nhang in die Gegenrichtung marschiert: inks sein heißt, für die Freiheit zu sein – ie zu akzeptieren, dass ein Mehr an leichheit und Gerechtigkeit gegen einen erlust an Freiheit aufgerechnet wird.arald Lüders, Journalist

as ist heute links? Gegen Grenzen und na-ionale Abschottung – «kosmopolitische roduktion und Konsumtion durch den eltmarkt» (Komm. Manifest); gegen Anti-

emitismus, Rassismus, Antifeminismus – die Internationale erkämpft das Men-chenrecht»! Für universale transnationale nstitutionen. «Durch rasche Verbesserung ller Produktionsinstrumente, durch die nendlich erleichterte Kommunikation as Hereinziehen aller, auch der barba-ischsten Nationen in die Zivilisation» Marx/Engels), daher Ablehnung aller Fa-chisten, nationalistischer «Sozialisten», erroristischer Heilsbewegungen, theo-ratischer Ideologien und Regime, korrup-er Militärherrscher. Unterstützung der ivilgesellschaft gegen etatistische Ent-ündigung.

lbert Christian Sellner, Autor, Herausgeber

Vita & PublikationenMichaela Wunderle ist Autorin und Übersetzerin. Jüngste Veröffentlichung: Übersetzung von und Nachwort zu «Der blaue Cinquecento. Italiens bleierne Jahre» von Mario Calabresi. Ver-lag SchirmerGraf , München 2008.

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Die wachsende soziale Ungerechtigkeit zu be-kämpfen, die die Gesellschaft zu spalten droht, das muss das Hauptthema der heu-tigen Linken sein – womit auf gar keinen Fall die Partei gemeint ist, sondern alle, die gegen soziale Ungerechtigkeit angehen.Inga Buhmann, Autorin

Links sein bedeutet für mich, nicht in Ver-gessenheit geraten zu lassen, dass es zu-

mindest einmal den Gedanken gab, der Mensch könne Subjekt seiner Geschichte sein. Links sein bedeutet nicht, eine uni-verselle Wahrheit zu postulieren. Vielmehr ist in allen möglichen Teilbereichen zu prüfen, welche Subjektivität sich dort ma-nifestiert. Links sein bedeutet auf jeden Fall, weder in zynischen Hedonismus zu verfallen noch gesellschaftliche Unter-schiede als naturgegeben zu feiern. Die

Frage besteht, ob die drängenden globalen Probleme überhaupt unter den traditio-nellen Kategorien von Rechts / Mitte / Links betrachtet und angegangen werden können. Die Gegenfrage lautet, ob über-haupt eine andere als eine «linke» Perspek-tive denkbar ist.Paul Ruhnau, Lehrer

War der Prager Frühling 1968, diese große, die gesamte tschecho-slowakische Gesellschaft aufrührende Bewegung gegen den Stalinis-mus, den eigenen wie den der Sowjetunion, links? War er rechts? Je nach Standpunkt fallen die Antworten verschieden aus. Die außer-parlamentarische Opposition Westdeutschlands (APO) war gespal-ten. Für die einen konnte ein Aufstand im Namen der Freiheit, konn-te der Widerstand dieses kleinen Staates gegen die geballte Militärmaschinerie der Warschauer Paktstaaten, nur links sein. Und war nicht «Sozialismus mit menschlichem Gesicht» die Parole dieser sanften Revolte? Für die anderen deuteten die reformerischen Ansätze dieser Liberalisierungs- und Demokratisierungs bewegung in Richtung Sozialdemokratie und bewiesen damit den konterrevo-lutionären Charakter dieses Aufstands.

An der Parteinahme für oder gegen den Prager Frühling zeigte sich, wie wenig aussagekräftig der Begriff «links» ist: das Linke – ein zum Hauptwort erklärtes Eigenschaftswort, das spätestens seit der Niederschlagung des Prager Frühlings selbst des verdeutlichen-den Adjektivs bedarf. Also setzte sich die freiheitliche Linke ab von der dogmatischen und orthodoxen Linken. Ohne jedes Attribut, sen-za niente, ganz nackt, ist «links» eine Luftnummer, es ist unklar, verbindet sich das Wort mit einer Macht und dann mit welcher, mit einer Idee und dann von wem?

Die tschechische Reformbewegung platzierte in ihren Parolen das Linke, also den Sozialismus, zwischen Freiheit und Souveräni-tät und stellte «links» somit in einen Kontext: «In ganz Prag hän gen Aufrufe einzelner Organisationen oder Betriebe. Alle sind inspiriert vom Motto der vergangenen Wochen: ‹Freiheit, Sozialismus, Sou-veränität.›» So der Bericht der Nachrichtensendung der Tschecho-slowakischen Station vom 22. August 1968, 08.15.Die russische Invasion in Prag jährt sich am 21. August 2008 zum vierzigsten Mal. Der Münchner Verlag Schirmer/Mosel hat aus die-sem Anlass einen eindrücklichen Band des Magnum-Fotografen Jo-sef Koudelka herausgebracht: «Invasion Prag 1968». Auf unserem Bild gehen Hoffnung und Widerstand noch Hand in Hand, die Stra-ße ist zum Schlachtfeld geworden und die Menschen sind an den Rand gedrängt. Elisabeth Kiderlen

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6 Begriffsgeschichte

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inks Kleine Geschichte der politischen Geographie Europas.Von Joscha Schmierer

«Im englischen Parlament geht es um die Art und Geschwindigkeit der Evolution,

keinesfalls aber um Revolution.»

Mitte

Wenn eine Partei sich «Die Linke» nennen kann, ohne homerisches Gelächter hervorzurufen, sind wir definitiv in der Postmoderne ange-kommen. Weder kommunistisch noch revolutionär definiert sich «Die Linke» allein durch den Abstand zu anderen. Links als politi-sche Ortsbezeichnung drückt ein Verhältnis aus, aber keinen In-halt und kein Programm. Die Linke ist das Gegenteil der Rechten. Aber was ist die Rechte? Beide bilden nicht die Mitte. Man müsste also nach der Mitte fragen, von der sie sich unterscheiden.

Doch eine Mitte gab’s ja nicht bei der Entstehung der parla-mentarischen Geopolitik im britischen Parlament. Auf der einen Seite saßen die eher Liberalen, auf der anderen Seite die eher Kon-servativen. Auf beiden Seiten saßen Aristokraten. Die Vertreter beider Parteien standen oben und über der Gesellschaft, als ihre Repräsentanten aber auch mitten drin. Der Unterschied zwischen ihnen: die politischen Vorlieben. Da können politische Leiden-schaften aufkommen, aber keine existentiellen Gegensätze.

Im englischen Parlament geht es um die Art und Geschwindig-keit der Evolution, keinesfalls aber, und das auch dann nicht, als

«Labour» und «New Labour» auf der Linken den Platz der «Whigs» einnahmen, um Revolution. Es waren gerade die grundlegenden Gemeinsamkeiten auf beiden Seiten des Parlaments, die die strik-te räumliche Polarisierung ermöglichten, ohne das Parlament zu sprengen. So waren stets Regierungswechsel möglich, ohne je das Regime zu wechseln. Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Seiten folgen noch heute einem gemeinsamen Ritual. Links und rechts entstand als politische Ortsbestimmung in einer Konstellation, in der die Mitte leer bleiben konnte, weil beide Sei-ten gemeinsam das Ganze ausmachten. Der politische Grund-konsens war die gemeinsame Basis der parteilichen Auseinander-setzung, nicht deren Ziel. Das Ziel der Auseinandersetzung war Regierungserhalt oder Regierungsbildung. Das parlamentarische Wechselspiel von Regierung und Opposition zwischen sich entge-gengesetzt verortenden Parteien funktioniert nur, wenn sie ziem-lich enge Nachbarn sind und einige Grundstücke gemeinsam ver-walten. In den USA, in denen es große Probleme der Segregation gab, eine landesweite Klassenkonfrontation sich jedoch nicht

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Links

Rechts

heraus bildete, funktionierte das Wechsel- und Zusammenspiel von zwei Parteien über Jahrhunderte hinweg, ohne dass es sich im Links-Rechts-Schema definieren und polarisieren ließ.

Das Gegenüber von links und rechts, das die dramatisierende, aber selten dramatische Geopolitik des britischen Parlaments be-schreibt, erhielt auf dem europäischen Kontinent mit dem Ge-gensatz von Republik und Monarchie, von Sozialismus und Kapi-talismus und immer wieder von Revolution und Reaktion eine ganz andere Spannung. Es wurde antagonistisch aufgeladen. In den Kriegen wurden die Gegensätze durch nationalistischen Kurzschluss überbrückt. Burgfrieden hieß das in Deutschland im I. Weltkrieg, Volksgemeinschaft hieß es im Dritten Reich.

Das gemeinsame Ganze, das die britischen Parlamentspartei-en auf ihren entgegengesetzten Seiten zusammenhielt, gab es auf dem Festland nicht und sollte es auch nicht geben. Die Mitte, die beim britischen parlamentarischen Gegenüber im gemeinsamen Ganzen kein Problem war, wurde auf dem Kontinent oft als Hin-dernis in den Entscheidungsschlachten zwischen Revolution und

«Die Mitte wurde auf dem europäischen Kontinent oft

zwischen Revolution und Konterrevolution, zwischen

Konterrevolution, zwischen Rechts und Links verstanden. Die Mitte, das waren die, die sich nicht entscheiden konnten. Nach der Logik des «Wer nicht für mich ist, ist wider mich» waren die in der Mitte die Schlimmsten, weil sie sich nicht als Feinde offen zu erkennen gaben. In dieser Logik wurden die Sozialdemokraten für die Kommunisten der Weimarer Republik zu «Sozialfaschisten», gegen die der erste Schlag zu führen war, um dann im Zusammen-stoß Klasse gegen Klasse, die Entscheidung zu suchen.

Links und rechts waren auf dem Kontinent keine Begriffe, die Relationen innerhalb eines politischen Kontinuums ausdrückten, sondern fundamentale Alternativen. In einem Zeitalter der Kriege und der Revolutionen schien es oft nur eine Frage zu geben: Wer gegen wen? Wer schaltet wen aus oder wird vom anderen umge-bracht. Diese Vorstellung war insofern nicht aus der Luft gegriffen, als Republik und parlamentarische Demokratie bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht gesichert waren. Ihren sicheren Boden fanden sie erst in der Verallgemeinerung der Lohnabhän-gigkeit und der Verbürgerlichung der Arbeiterklasse. An die Stelle sich ablösender Gegensätze traten differenzierte Lebenslagen in einer mehr oder weniger offenen Gesellschaft und politischer Plu-ralismus. In einer solchen Situation kann auch ein Revolutionär aus Prinzip wie Toni Negri nur noch die Multitude als politisches Subjekt ausmachen. War die Links-Rechts-Polarisierung zunächst durch den Gegensatz von Feudalherrschaft und Bourgeoisie, von Monarchie und Demokratie und dann durch den Gegensatz von Bourgeoisie und Proletariat, von Kapitalismus und Sozialismus unterfüttert, wird sie nun immer mehr zum Wolkenverschieben am leeren Ideenhimmel.

In der Europäischen Union herrschen heute auch auf dem Kontinent mehr oder weniger «britische», beziehungsweise «ame-rikanische» Verhältnisse. Die Parteien sind in dem Sinn Volkspar-teien, dass sie interessierte Individuen aus allen Schichten orga-nisieren und ansprechen wollen, und zur Verwirklichung ihrer Programmatik auf parlamentarische Mehrheitsbildung zielen. Die politischen Leidenschaften und die politische Rhetorik blei-ben aber weiterhin von alternativen Fundamentalismen geprägt. Einen tieferen Grund gibt es dafür nicht. «Die Linke» will alles, nur keine kommunistische Plattform sein. Ihre Führung weiß warum. Die FDP begründet ihre Steuervorschläge damit, dass sie allen nützten. Jede Partei betont, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. «Die Linke» beschwert sich, dass sie immer noch vom Ver-fassungsschutz beobachtet wird. Außer der Vergangenheit gibt es dafür auch keinen Grund. Populistischer Schwindel ist nicht verfassungswidrig.

Heute machen sich fast alle lustig über Francis Fukuyamas «Das Ende der Geschichte» (1992). Doch fällt niemandem im Wes-ten, aber auch anderswo in der Welt, eine bessere Form für den Umgang mit den Problemen der Moderne ein als eine durch Re-publiken regulierte kapitalistische Marktwirtschaft. Im Zentrum steht die Frage, wie ein gesellschaftlicher Zusammenhalt zu errei-

nur als Hindernis in den Entscheidungsschlachten

Rechts und Links verstanden.»

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8 Begriffsgeschichte

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chen ist, ohne den die Durchsetzung der wichtigsten, vor allem auch ökologischen Veränderungen unmöglich ist. Und wie diese Veränderungen stabilisiert werden können.

Links und rechts sind zu Schattierungen in dieser durchaus ge-meinsamen Bemühung geworden. Rechts nennt sich heute fast niemand mehr freiwillig. Als «eher links» bezeichnen sich dage-gen viele. Aus diesem Gefühl ihren Vorteil zu ziehen, ist die usur-patorische, aber auch realitätsblinde Bemühung einer Partei, die sich ohne Wenn und Aber «Die Linke» nennt. So hofft sie, maxi-male programmatische Verschwommenheit mit der Vortäuschung strikter Prinzipientreue vereinbaren zu können.

Die Dankbarkeit, die Scheidemann den Kommunisten auf dem SPD-Parteitag von 1919 zollte, will sich «Die Linke» auf keinen Fall verdienen. Scheidemann sagte damals: «Nicht zufällig nennen wir uns von alters her Sozialdemokraten. Wir haben uns niemals die Verwirklichung des Sozialismus anders vorstellen können als auf dem Wege der Demokratie.» Er fuhr dann fort: «Ich bin der äu-ßersten Linken dafür dankbar, dass sie auf diesen Namen verzich-tet, dass sie sich Kommunisten nennen.» Das Festhalten der Sozi-aldemokraten am Ziel des «demokratischen Sozialismus» ist dabei heute so hilflos traditionstreu, wie umgekehrt der Verzicht auf das kommunistische Vorzeichen zeigt, wie zeitgemäß opportunistisch sich die «Die Linke» in der deutschen Parteienlandschaft zu bewe-gen versteht. Mit ihrem Namen täuscht sie eine scharfe Scheideli-nie vor, die zu benennen sie gleichzeitig vermeidet.

Ein grundsätzlicher Formwandel in Politik und Gesellschaft ist heute weder absehbar noch überzeugend zu begründen. Außer den Neonazis, der verbliebenen «Systemopposition», scheint ihn auch niemand zu verkünden und anzustreben. Aber innerhalb dieser Formen, Republik und Marktwirtschaft, sind ziemlich gigan tische Veränderungen erforderlich. Wie heute fast alle wis-sen, betreffen sie neben der Bildungspolitik und dem Kampf ge-gen Verarmung und Ausschluss, eine ganze Reihe von Problemen, die sich unter dem Rubrum ökologische Frage zusammenfassen lassen.

Westerwelle wendet sich mit den Steuervorschlägen der FDP polemisch gegen die «roten und schwarzen Sozialdemokraten» in der Großen Koalition und zeigt in aller Grobschlächtigkeit eine gewisse Sensibilität dafür, dass das tatsächliche Engagement für die Lösung bestimmter Probleme heute nicht mehr in dieser oder jener Partei ihren Ort hat, wie ja auch das zivilgesellschaftliche Engagement Parteigrenzen überschreitet.

In modernen Gesellschaften gibt es heute große Spannungen durch die Kumulation von alten und neuen Problemen und zu-gleich gibt es die Chance, ihre Lösung nicht in der Spaltung der Gesellschaft suchen zu müssen, sondern in ihrem bewussten Zu-sammenschluss zu finden. Pluralismus ist die Chance, Polarisie-rung die Gefahr.|

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VitaJoscha Schmierer, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts.

Kleines Glossar aus der linken Begriffswelt.Zeichnungen: Gerhard Seyfried

Re|vo|lu|tion, die; große Sache, was schon daran zu erken-nen ist, dass der Begriff auch in der Astronomie Anwendung fin-det, etwa für die Bewegung der Sonne um die Erde; die Vorsilbe «re» des lat. Ursprungsworts (revolutio = zurückdrehen, umdre-hen) deutet an, dass es sich anfangs um eine restaurative Angele-genheit gehandelt hat; siehe: Glorious R. in England 1688/89, mit der die endgültige Niederlage des Absolutismus markiert wird nach zeitweisem Intermezzo des Königshauses in der Folge des Bürgerkriegs; R. ist als Begriff seitdem salonfähig für welt-weite Umsturzbewegungen (Französische R., Märzr. u.a.), die neue politische Verhältnisse mit sich bringen; marxistisch-leni-nistisch aufgefasst führt die R. zwangsläufig zu Höherem, was durch die Praxis allerdings widerlegt wurde (Oktoberrevolution, Zusammenbruch der Sowjetunion); China lehrt, dass die R. nicht immer von den benachteiligten Schichten ausgehen muss (Kul-turrevolution); Zweifel an der Tiefgründigkeit des Begriffs nährt die Inflation seiner Verwendung in zahllosen Disziplinen (Sozio-logie, Technik, Sexualität usw.); daher macht es die Geisteswis-senschaft seit einiger Zeit ein paar Nummern kleiner, indem sie ihre wechselnden Moden turn oder schlichter Paradigmenwech-sel nennt; zuletzt eher folkloristisch-poetische Verwendung bei jedem Machtwechsel in demokratisch weniger avancierten Län-dern (Nelkenr., Rosenr., Orangene R.). Matthias Dell

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Was den linken Diskurs mit der Ozonschicht verbindet.45 Jahre lang die Frage: «What’s left?»Eine Relektüre. Von Ulrike Baureithel

Im Sommer 1991 – die Linke zerfetzte sich gerade im Für und Wider um den zweiten Golfkrieg – fand sich in Kassel eine kleine illustre Runde aus Wissenschaft und Publi-zistik zusammen, um Wege aus dem de-saströsen Freund-Feind-Denken zu su-chen. Seitdem der Linken ihr Links-Sein problematisch geworden und ihre Identi-tät in die Konkursmasse des dahingeschie-denen Realsozialismus eingegangen war, mehrten sich Ansätze, über die Funktion des Rechts-links-Gegensatzes im politi-schen Raum nachzudenken. In einem amorphen Kontinuum, so die akademi-

«Was links ist, lässt sich nicht ein für

sche Denkübung, ordne sich «rechts» und «links» um ein «leeres Zentrum», und jede Seite stifte, gleichgültig wie und wohin sie sich bewegt, jeweils die Identität der ande-ren, ohne aus der Kollaboration mit dem «System» ausbrechen zu können.

Was als politisches Entlastungsversprechen daherkam und im Clinch zwischen «Pazifis-ten» und «Bellizisten» keine nennenswer-ten praktischen Spuren hinterlassen hat, überrascht, wiederentdeckt in einem Band, der sich fast zwanzig Jahre zuvor mit der Frage «Was ist heute links?» (1963) im Un-

alle Male festlegen» (André Gorz).

tertitel «an alle» wandte. Eingeladen hatte der Publizist Horst Krüger, und im Vorwort gab er seinen Diskutanten mit auf den Weg, «links» könne immer «nur in Bezug zu et-was anderem stehen: zu einer Mitte und zu rechts.» «Links» sei also nichts «Primä-res», sondern etwas «Reaktives». Implizit den Soziologen Karl Mannheim im Gepäck, nannte Krüger das relationale Modell zeit-bedingt noch «dialektisch», und er ver-band seine Frage mit der Aufforderung an die «heimatlose Intelligenz», sich neu zu verorten. Damit war der Auftakt gemacht für eine bis heute andauernde linke Selbst-

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«Nach über einem Jahrzehnt politischer Irrtümer und persönlicher

Selbstverleugnung theoriemüde, älter geworden und

neuen Verhältnissen ausgesetzt, öffnete sich die Linke nun lebens­

weltlicheren Problemen.»

reflexion und der damit verbundenen «Hoffnung», wie der Schriftsteller Hans-Werner Richter damals formulierte, «dass der Begriff ‹links› jene Klärung erfährt, die für unsere Zeit notwendig ist, eine Klärung nach vorn».«Was heißt heute links?» und «Ist die Linke heute noch links?», fährt Richter fort, um sofort festzustellen, wie «verschwommen» die Begriffe nach dem Godesberger Pro-gramm der SPD geworden seien. 1963 –mitten im Kalten Krieg und in Ludwig Er-hards Wirtschaftswunderland – war der Begriff «Klasse» so anstößig wie der Ge-danke an eine reale deutsche Wiederverei-nigung. Dagegen hatte die von Helmut Schelsky in Umlauf gebrachte «nivellierte Mittelstandsgesellschaft», in der alle sozia-len Gegensätze befriedet seien, Konjunk-tur. «Irrig», nannte der «konservative Lin-ke» Walter Dirks diese Vorstellung; der Klassencharakter der BRD sei nur «ver-schleiert», sekundierte der Philosoph Hans Heinz Holz.

Die «heimatlose Linke» stand sichtlich mit dem Rücken zur Wand, die verlorenen Uto-pien wehmütig im Blick: «Der Versuch ih-rer Wiedererweckung in einer so genann-ten neuen Linken», dekretierte Ralf Dah rendorf aber unmissverständlich, sei «ebenso krampfhaft wie hoffnungslos.» Eingeschwenkt auf Marktwirtschaft und NATO, hatte 1961 die SPD die Mitglied-schaft in der Partei und im SDS für «unver-einbar» erklärt. Doch von den jungen radi-kaleren Linken – einer Ulrike Meinhof etwa, 1963 immerhin schon Chefredakteu-rin von «konkret» – und von Frauen über-haupt ist in diesem Brainstorming nichts zu lesen. Dagegen Erinnerungen an die zwanziger Jahre, die Helmuth Plessner ein

Jahr zuvor so gründlich entmystifiziert hatte. «Die heimatlose Mitte wärmt ihren verhängnisvollen Traum von den goldenen Zwanziger Jahren auf … sie ist nur noch weinerlich», spottete Heinrich Böll.

Es sind die Engagierten und politisch Ge-beutelten – Walter Dirks und Hans-Werner Richter, Gerhard Zwerenz mit seiner DDR-Erfahrung und der NS-Verfolgte Wolfgang Abendroth –, die den «Anschluss an die Massen» (Dirks) forderten oder das «kultu-relle Partisanentum» (Zwerenz) propagier-ten. Eine regelrechte «Generallinie» entwarf Abendroth in seinem noch heute lesens-werten historischen Abriss, wenn er der bundesrepublikanischen Linken die Ver-antwortung für die DDR auferlegt und ihr eine linke «Gesamtkonzeption» abverlangt.

Bekanntlich hatten der SDS – und später sei- ne verschiedenen organisatorischen Aus-läufer – die «nationale Frage» auf jeweils eigene Weise lösen wollen. In den Bruder-kämpfen des «roten Jahrzehnts» zwischen 1967 und 1977 war dann aber keine Zeit für und kein Bedürfnis nach Selbstreflexion, zu dringend war, das wiederentdeckte re-volutionäre Subjekt von seiner histori-schen Mission zu überzeugen. Erst mit dem endgültigen Abgesang der «neuen Linken», den Flügel-Kämpfen zwischen «Realos» (parlamentarischer Durchmarsch) und «Fundis» (Fundamentalopposition) in der neu gegründeten grünen Sammlungs-partei und der konservativen Wende der Kohl-Republik erhob sich die Notwendig-keit «Die Linke neu (zu) denken» (Wagen-bach, 1984). Nach über einem Jahrzehnt politischer Irrtümer und persönlicher Selbstverleugnung theoriemüde, älter ge-worden und neuen Verhältnissen ausge-

setzt, öffnete sich die Linke nun lebens-weltlicheren Problemen. In acht politisch durchaus konträr positionierten «Locke-rungsübungen» nähern sich die Autoren – und, nun satisfaktionsfähig!, auch zwei Autorinnen – den neu auf die Agenda ge-rückten Themen: Technologiekritik, ökolo-gisches Wirtschaften, geschlechtsspezifi-sche Arbeitsteilung.

Jochen Reiches Kritik an den «natürlichen Kreisläufen» und am Terror einer zur «Poli-tik» erklärten einsinnigen «Natur» liest sich immer noch luzide und kündigt die «ökoli-bertäre» Wende der Grünen an. «Die Natur des Menschen ist die Kultur», erklärt er und fordert die grünen Abgeordneten auf: «Sie müssen den Baum ins Parlament brin-gen, nicht weil das aus den Kreisläufen der Natur abgeleitet werden sollte …, sondern weil es um die Zukunft der menschlichen Gesellschaft geht.» In Lothar Baiers Pole-mik gegen eine ehemals kulturfeindliche Linke, die sich nun in eine biedere Stadt-teil-Kulturseligkeit rette und sich kritiklos dem «Kulturbetrieb» verschreibe, begegnet einem der 2004 verstorbene Essayist in sei-ner scharfzüngigsten Lesart. Dass es 1984 immerhin auch feministische Fragestel-lungen in die linken Denkkartelle schaff-ten, war ein Fortschritt, doch, ach, es bleibt bei dem, was Frauen so umtreibt: Famili-enpolitik und Vereinbarkeitsproblem, auch wenn Barbara Sichtermann das feministi-sche Paradox von Gleichheit und Differenz

– Emanzipation vom Weiblich-Besonderen oder Emanzipation als Weiblich-Besonde-res – scharfsinnig umkreist.

Interessant ist, dass gerade sie und auch Gisela Erler, die später das umstrittene grüne «Müttermanifest» mit aus der Taufe hob, für die politischen «Umwertungen» der damaligen Linken stehen. Es ginge da-rum, schreibt Sichtermann, dass die «un-bezahlte Arbeit (der Mütter/UB) ihre Res-pektierlichkeit zurückgewinnt». Statt schwedischem Sozialstaat, der die Frauen dort «heimatlos» mache, weil er ihnen den weiblichen Ort verwehre, versuchen die

VitaUlrike Baureithel ist seit 1990 Redakteurin der Wochenzeitung Freitag, Lehrbeauftragte an der Berliner Humboldt-Universität und freie Autorin.

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Autorinnen, der neuen konservativen So-zialpolitik – Heiner Geißler plante damals gerade die erste Stufe des Erziehungsgel-des – auch positive Seiten abzugewinnen. Ähnlich argumentiert Thomas Schmid ge-gen die 35-Stunden-Woche-Kampagne der Gewerkschaften und verweist auf das le-bensweltliche Bedürfnis nach flexibleren Arbeitszeitmodellen. Wo sich diese von den «sozialdemokratischen Rockschößen» und der «heiligen Einfalt der Grünen» (Co-vertext des Wagenbach-Buchs) abgestoße-nen Linken nun selbst verorten, wird in-dessen so wenig klar wie in der gebundenen Ratlosigkeit bei Horst Krüger: Nur dass «freischwebend» nun weniger soziologisch als habituell gemeint sein dürfte.

Im wahrsten Sinne des Wortes «heimatlos» wurde die intellektuelle Linke erst mit dem Fall der Mauer und der sich ankündigenden Globalisierung. Die damit ausgelöste Läh-mung war so groß, dass die linke Selbstre-flexion dieses Mal sogar vom «feindlichen Lager» angestoßen werden musste und dieses sich auch selbst daran beteiligte. Die Koinzidenz des Zusammenbruchs von realem Sozialismus und Krise des Sozial-staats, so der italienische Politikwissen-schaftler Norbert Bobbio einleitend in der

1993er Bilanz «What's left», sei als «histori-sche Niederlage der Linken» zu begreifen. Dies muss die FAZ derart in Schrecken ver-setzt haben, dass sie diese «Prognosen zur Linken» selbst in Auftrag gab.

Wo Gattungsfragen nach Lösung schreien und Menschheitsprobleme unter den Nä-geln brennen, scheint der alte Streit zwi-schen «rechts» und «links» beigelegt, grundlegende Revisionen kündigen sich an. «Was links ist, lässt sich nicht ein für alle Male festlegen», konzedierte denn auch André Gorz. Nun steht das fortschrittsgläu-bige Verhältnis der Technik zur Disposition (Konrad Adam), und es werden Versäum-nisse anerkannt, etwa die linke Ignoranz gegenüber den osteuropäischen Dissiden-ten (Henning Ritter und André Gorz). Drohten 1984 «Entropie» und Wärmetod, zieht zehn Jahre später die soziale Verglet-scherung ein in den Diskurs, gegen die kommunitaristische Wärmehallen instal-liert werden sollen (Michael Walzer). Das «Gesamtkonzept», von dem Abendroth noch träumte, hat sich – zusammen mit der Ozonschicht – fast ohne Rückstände aufgelöst. Dies nun als Chance zu begreifen und ein «gewisses Maß an Entfremdung» zu ertragen, mahnte Elmar Altvater an.

Dass mit der Entladung der Rechts-links-Spannung sich auch neue nationale und religiöse Konflikte ankündigen könnten, schwante wohl manchem der Autoren. Am Ende der Aufklärung könnte möglicher-weise eine bedrohliche Leerstelle entste-hen, die neu mit Sinn gefüllt werden muss. «Die Demokratie brauche eben ihr Gegen-über, um sich zu definieren», schreibt Cora Stephan. Und Antje Vollmer schließt ihren Beitrag mit der Beobachtung: «Ich habe den Eindruck, das nachdrückliche konser-vative Fragen ‹Was bleibt denn von den Linken›, hat damit zu tun, dass sie (die Konservativen/UB) mit dieser kulturellen Leerstelle nicht gern allein gelassen wer-den möchten.» |

Pro|le|ta|riat, das; unterste Schublade in der gesellschaftlichen Kommode; niedriger geht’s dennoch immer, im alten Rom etwa dank der Unfreien (Sklaven); anders als diese verfügte das landlose P. über seine Nachkommen (lat. proles); nach K. Marx die Gruppe der Lohnarbeiter, zu Zeiten der Industrialisierung häufig mit Migrationshintergrund (Verstäd-terung); das P. schafft Mehrwert qua Arbeitskraft mit Produktionsmitteln, die nicht seine sind, wird dafür mies bezahlt; Distinktion auch hier am Start: das sog. Lumpenproletariat (Bettler, Kesselflicker, Sexarbeiterinnen), das nur recycelt, dient der Abgrenzung nach un-ten; prominentester Gegenspieler: die Bourgeoisie, die Produktionsmittel besitzt; wirksams-tes Instrument im Kampf gegen ebendiese: Klassenbewusstsein, das über die Vereinigung der Entfremdeten zur Diktatur des Proletariats führt; eingelöst zumindest auf dem Papier etwa in Gestalt E. Honeckers, der als Dachdecker aus Neunkirchen (Saar) Gen.sekretär des ZK der SED und Staatsratsvorsitz. der späten DDR wird, im Ganzen eher traurige Vorstellung; vermutlich nicht unschuldig daran, dass P. im Folgenden seiner emanzipatorischen Kraft beraubt zur soziologischen Konstante (Prolet, Proll) billigen Überlegenheitsdünkels sich all-tagskulturell (Bierkonsum, Fernsehverhalten, Arschgeweih) höher gestellt wähnender Schnösel verkommt; zuletzt vorsichtige politische Renaissance in der begrifflichen Ausgrün-dung Prekariat. Matthias Dell

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12 Lebenswelten

Der Container mit der Aufschrift «links»:Gebetsraum für unsortierte Glaubensbekenntnisse.Von Christian Schneider

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Nahezu zwei Drittel der Deutschen, so kann man aus Umfragen erfah-ren, würden Barack Obama wählen. Klar, dass unter den Qualitäten, die ihn papabile machen, sein jugendliches Charisma an erster Stelle steht. Überraschend indes, dass viele unserer heimischen Barack-Fans als Grund ihrer Sympathie seine «Orientierung an linken Positionen» nennen. Ist der künftige amerikanische Präsi-dent etwa links? Die Frage muss, wenn man sie aus der deutschen Perspektive stellt, in erster Linie aus den Projektionen und Ideali-sierungen derer beantwortet werden, die in ihm das role­model eines neuen linken Heros sehen.

«Links» ist, was immer sich dahinter inhaltlich verbirgt, zu-nächst ein polarisierender Topos. Wer sich als links erklärt, steckt einen Claim ab, dessen Grenzen scharfäugig bewacht werden. So gesehen ist der «Synkretist» Obama alles andere als ein Linker: Er denkt nicht nur zusammen, was er für zusammengehörig hält, er möchte erklärtermaßen Konfrontationen aufbrechen und Gegen-sätze unter einen Hut bringen.

Der Grund dieses überwältigenden synagogischen Wunsches liegt, so die Botschaft der beiden Bücher, die er geschrieben hat, in seiner Biografie. Wir alle kennen mittlerweile die Story vom schwarzen, ihm beinahe unbekannten kenianischen Vater und der weißen amerikanischen Mutter, der Geburt in Hawaii, dem Leben in Indonesien und Baracks spätem umwegigen Ankom-men in den Vereinigten Staaten – eine Patchwork-Lebensge-schichte, in der vom ersten Moment an das Private vom Politi-schen dramatisch umschlossen zu sein scheint.

«Das Private ist das Politische» lautete eine Spätparole von 68: eine Losung, die das Ende der politischen Orientierung an revolu-tionstrunkenen linken Zirkeln und Parteien einläutete und den Beginn eines New Age ankündigte. Zur selben Zeit, als die Radi-kalsten der von der versandenden Revolte Enttäuschten sich dem Konzept Stadtguerilla verschrieben, begann in der lebensweltli-chen Fraktion die Stadtflucht: Nicht mehr die – ausbildungsge-mäße – urbane, d. h. Uni-nahe Wohngemeinschaft war angesagt, sondern Landkommune. Neue libertäre, ja romantisch getönte Orientierungen bildeten sich, die nicht zuletzt die Niederlage im «eigentlichen» Feld des Politischen zu verarbeiten suchten. An-stelle der erwarteten Revolution hatte es halt nur eine Hochschul-reform gegeben.

Irgendwann in den 70ern standen viele «68er» mit einem Haufen halb verlorener, halbherzig verteidigter Illusionen inmitten uner-warteter Realitäten da. Mit einer abgeschlossenen Lehrerausbil-dung z.B., aber zugleich einem Berufsverbot oder wenigstens einem gewissen Ekel vor dem Schulalltag. Über wirkliches politi-sches Talent, gar den politischen Zwangscharakter, der ohne das Gefühl der Macht nicht leben kann, verfügten die wenigsten. Je dröger, drückender und kälter der Alltag wurde, desto mehr wärm-ten die alten Identifikationen mit den unterdrückten Minderhei-ten, den Entrechteten und Beleidigten, die einem «zur Aktions-zeit» halfen, sich als Teil der großen anti-imperialistischen Front zu fühlen.

In diesen Post-68er-Jahren koexistierten in vielen Köpfen die unwahrscheinlichsten Phantasien friedlich neben den ödesten Alltagsrealitäten. Der Container, in dem all diese Lebenssplitter, die Illusionen und Wünsche des vergangenen Aufbruchs unge-ordnet beieinander lagen, trug die Aufschrift LINKS. Diese Melan-ge war, eben weil so unspezifisch, in vielfältiger Weise anschluss-fähig. Unter der Parole vom Privaten als des (eigentlich) Politischen konnten sich Friedensbewegte ebenso sammeln wie Frauengruppen, die Schwulen- und Lesbenbewegung oder dieje-nigen, die sich einer besseren Kindererziehung verschrieben hat-ten. Der Container LINKS war eigentlich so etwas wie ein Gebets-raum für ein seltsam unsortiertes Glaubensbekenntnis: das Bekenntnis gegen eine «Mehrheit», die kaum mehr exakt politisch zu bestimmen war, aber wenigstens einen verlässlichen Grenz-wert zum eigenen Existenzentwurf markierte. Wer sich damals diesem Bekenntnis anschloss, schwamm, ohne sich darüber im Klaren zu sein, indes längst in einem neuen Mainstream.

Als sich gegen Ende der siebziger Jahre weltweit religiös moti-vierte Protestbewegungen zu Wort meldeten, war die Mehrzahl der Zeitdiagnostiker sprachlos. Religiöse Artikulationsformen von Dissidenz fielen aus ihrem Analyseraster, das «Religion» als puren Gegensatz zu jener Vorstellung «des Politischen» sah, die sich im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hatte. Spätestens in den sechziger Jahren schien die Religion vollends zu einer rei-nen Privatangelegenheit geworden zu sein. Doch genau da, wo das Private das Politische zu werden begann, fand beides, das in-explizierte Glaubensbekenntnis und das Politische, zu neuen For-

Vita & PublikationenChristian Schneider ist Soziologe und Forschungsanalytiker und lehrt psychoanalytische Sozialpsychologie an der Universität Kassel. Jüngste Veröffentlichung: Zusammen mit M. Frölich und K. Visarius, «Projektionen des Fundamentalismus. Reflexionen und Gegenbilder im Film», Marburg 2008.

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men – und einem unerwarteten Mischungsverhältnis. Nicht reli-giös in irgendeinem organisierten, gar kirchlichen Sinne, aber in Form eines bemerkenswerten Osmoseprozesses, mauserte sich der linke Glaube klassischer Prägung zu einer neuen Weltan-schauung sui generis. Seither jedenfalls ist es mit dem «wissen-schaftlichen» Sozialismus, auf den die alte Arbeiterbewegung so stolz war, endgültig vorbei.

In dem Jahrzehnt zwischen dem Fall des Schahs und dem der Berliner Mauer hat sich das Konzept «Links» wieder in Richtung auf eine heilsgeschichtliche Botschaft verändert, die nach dem Ende des «realen Sozialismus» desto heftiger zum Tragen kommt. Und heute erstaunlicherweise von Leuten wie Barack Obama ver-körpert wird. Er führt in der für unseren Geschmack manchmal leicht bizarren US-Kulisse öffentlich auf, was hierzulande noch keine klare Artikulation gefunden hat.

Obama ist dezidiert links, wenn man darunter die Vermählung von basalen sozialen Überzeugungen mit einer kollektiven Stim-mung versteht, die Aufbruch und Bewegung verheißt. Er hat eini-ge voluntaristische Glaubensderivate der Linken aus der Versen-kung geholt und auf erstaunliche Weise flott gemacht. Mag er programmatisch der Gegentypus zu Bush sein, so ist er ihm min-destens in einer Hinsicht ähnlich: der grundlegenden Orientie-rung im Glauben. Wo Bush als bekennender Evangelikaler den

«Obama präsentiert das, was sich alle ersehnen, die ve

mit einer weitgehend desillusionierten Gegenwart unt

verstockten «rechten» religiösen Fundamentalismus repräsen-tiert, macht uns Obama öffentlich zu Zeugen des äquilibristi-schen Akts, eine ebenso stark christlich fundierte Überzeugung unter Einbeziehung linker utopischer Elemente sozialpolitisch zu reformulieren.

Obama verkörpert – auch hier ein Musterbeispiel einer Patchwork-Identity – das Paradox eines liberalen Fundamentalisten: Er ver-bindet bei seinen Auftritten das Erweckungspathos eines Ghetto preachers gekonnt mit der liberalen Gestik, dem modischen Outfit und der sprachlichen Suavität eines Oberklassen-Ostküsten-Rechtsanwalts. Wenn wir nur fest genug daran glauben, ist alles – mein 2000-Dollar Anzug beweist es – möglich: Yes, we can! Dies ist in der Tat genuin «links», denn ein utopischer Entwurf, der mit der Idee der sozialen Gerechtigkeit und des Aufstiegs verknüpft ist, gehört zu den unverzichtbaren «Quellen und Bestandteilen» linker Weltanschauung. Obama präsentiert das, was sich alle er-sehnen, die versuchen, eine «idealistische» linke Jugend mit einer weitgehend desillusionierten Gegenwart unter einen Hut zu brin-gen. Seine Idealisierung hierzulande kündet von dem starken Wunsch nach Bewegung, nach Aufbruch – und dem unstillbaren Hunger nach einer Glaubwürdigkeit, hinter dem sich die Sehn-sucht nach einem (möglicherweise nicht nur) politischen Glau-ben verbirgt. |

Bour|geoi|sie, die; (frz. Bourgeoisie, zu bourgeois (bildungs-spr. abwertend) = Bürger, zu: bourg = Marktflecken, aus dem Germ., verw. mit Burg); never forget where you're coming from, lei-der zu häufig passiert; im revolutionären Frankreich am Ende des 18. Jh.s kurze Zeit Hoffnungsträger der bürgerlichen Umgestaltung, weil Bezeichnung für das Milieu zwischen Adel und Bauernschaft, das eine führende Rolle bei der gewaltsamen Beendigung des Abso-lutismus spielte; dann aber nicht minder gewaltsam die neu gewon-nene Macht verteidigte (Jakobinischer Terror); ob seiner Rolle zwi-schen oben und unten auf der gesellschaftl. Skala (Sandwichstellung) später auch als Juste Milieu bezeichnet (Julirevolution) und in der Folge diffamiert als halbgare Schicht von Besitzstandswahrern; da-ran hat sich bis heute nichts geändert; K. Marx diagnostizierte un-überwindbare Gegensätze zwischen der Klasse der Ausbeuter (B.) und der Klasse der Ausgebeuteten (siehe auch: Proletariat) und empfahl den Klassenkampf; kam mehrfach zum Ausbruch (Oktober-revolution, DDR), hat aber letztlich wenig an den Verhältnissen ge-ändert (Kapitalismus); das Versagen des Bürgertums (deutscher Begriff) kennt viele Beispiele (Drittes Reich); die B. ist trotzdem (oder gerade deshalb) gesellschaftlicher Leistungsträger geblieben (Mittelstand), der unverdrossen seine Abstiegsangst (H. Müller: «Für alle reicht’s nicht») mit Konservatismus behandelt; immerhin: Der Begriff ist selbst in der neobürgerlichen Gegenwart desavouiert; Ci-toyen kommt cooler. Matthias Dell

rsuchen, eine idealistische linke Jugend

er einen Hut zu bringen.»

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14 Lebenswelten

Freiheit, Frauenemanzipation gehört in keine Schub-lade. Von Waltraud Schwab Gleichheit,

Schönheit

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«Brüderlichkeit» braucht niemand mehr. Stattdessen kann «Schönheit» die dritte Säule der französischen Revolutionsbot-schaft ersetzen. So steht es auf einem Wer-beplakat des Kosmetikkonzerns Yves Ro-cher mit dem Slogan «Freiheit, Gleichheit, Schönheit – für alle», der auch am 75. Jah-restag der Bücherverbrennung im Mai 2008 großflächig an der Fassade der Juristi-schen Fakultät der Humboldt-Universität am Bebelplatz in Berlin hing.

Für Frauenbewegte steckt viel Stoff zum Grübeln in dieser Begebenheit. Und dass Siemens neuerdings Frauenklassen für die Ausbildung von Mechatronikern einrich-tet, also solchen Menschen, die sich mit der Verknüpfung mechanischer und elekt-ronischer Komponenten befassen, liefert Material zum Nachdenken dazu. Denn was in 200 Jahren Frauenbewegung – von der Französischen Revolution bis heute – ge-fordert und erreicht wurde, das spiegelt sich in beidem.Von politisch links indes ist weder beim Werbekonzern noch bei Siemens die Rede. Der Ausbildungsleiter von Siemens in Ber-lin hat eben festgestellt, dass die Forderung «Frauen in Männerberufe» zwar richtig ist, allein es funktioniert für die weiblichen Auszubildenden nicht. «Deshalb geht der Konzern neue Wege und richtet Frauen-ausbildungsgänge ein», sagt er.

Dass diese Wege nicht neu sind, wird nie manden stören. Vielmehr wurden Frau-en bildungsklassen in den letzten 200 Jah-

ren mal von der bürgerlich ausgerichteten, konservativen Frauenbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts gefordert. Dann wie-der von der sich als fortschrittlich und links verstehenden zweiten Welle der Frauenbe-wegung in den siebziger und achtziger Jah-ren des letzten Jahrhunderts.Die Französische Revolution war der politische Aufbruch in die Neuzeit. Die Menschenrech-te, die damals proklamiert wurden, ziehen sich als Idee durch staatliche Verfassungen von demokratischen Staaten. Die Begriffe «links» und «rechts» als politische Positio-nierungen gab es damals indes noch nicht. Sie wurden erst vierzig Jahre später, nach der Julirevolution 1830, in Frankreich etab-liert. Im neugegründeten Parlament saßen die konservativ orientierten Abgeordneten rechts und die im revolutionären Sinne als liberal geltenden Abgeordneten links. Ver-mutlich allerdings wären die französischen Revolutionäre Linke gewesen. Links schließt Terror nicht aus.

Eine wichtige Streiterin für die Rechte der Frau während der Französischen Revo-lution war die Schriftstellerin Olympe de Gouges. Sie proklamierte 1791 «die Rechte der Frau und Bürgerin». Sie wollte die Gleichheit, die für die Männer aller Stände gefordert war, auch für die Frauen. Un-denkbar für ihre Kampfgefährten. Sie wur-de als Gegenrevolutionärin 1793 verurteilt und starb unter der Guillotine.Erst mit der Industrialisierung, der Entste-hung des Proletariats und der Etablierung

von Arbeiter- und Arbeiterinnenorganisa-tionen wurde die Situation von Frauen in organisierten Zusammenhängen zum Thema. Wer immer eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsumstände der Arbei-terinnen forderte, sei es Bildung, sei es Mutterschutz, sei es Strafe bei Gewalt ge-gen Frauen, stellte die gesellschaftlich akzeptierte Ungleichheit der Frauen in Frage.

Dabei gab es immer mehrere Fronten, an denen die Situation der Frau zum The-ma gemacht wurde. An der Klassenfront wurde der Schutz der Arbeiterinnen, aber auch die Gleichbehandlung von Männern und Frauen gefordert. Sozialistinnen wie Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, die klas-senbezogen argumentierten, deckten An-fang des 20. Jahrhunderts im politischen Spektrum die linke Seite ab.

In der bürgerlichen Frauenbewegung hingegen, die es nahezu gleichzeitig gab, wurde das Selbstbestimmungsrecht stär-ker in den Vordergrund gerückt. Denn ge-sellschaftliche Konventionen hielten die bürgerlichen Frauen in ihrer Rolle als Ehe-frau und Mutter gefangen. Bildung galt für sie als unnötig. Erst ab Ende des 19. Jahr-hunderts wurde es Frauen allmählich er-laubt zu studieren. Für ihr Wahlrecht mussten sie weiter kämpfen.

Für alle aber, die sich in der Vergangen-heit für die Verbesserung der Situation der Frauen stark machten, gilt: Sie setzten Denk- und Handlungsanstöße in Gang, die

Vita & PublikationenWaltraud Schwab ist Berlin-Repor-terin der taz. 2005 erhielt sie den Theodor-Wolff-Preis. Jüngste Publikation: «Berlin ist eine Frau», Jaron-Verlag, Berlin 2005

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nicht nur das Leben der Frauen verbesser-ten, sondern Umdenkungsprozesse in der ganzen Gesellschaft einleiteten.Egal ob konservativ oder links, ob bürgerlich, sozialistisch oder aus der Negation der beste-henden Kräfteverhältnisse heraus entstan-den, die Frauenbewegung hat vor allem im letzten Jahrhundert enorme gesellschaftli-che Veränderungen mit sich gebracht. Se-xuelle Gewalt, strukturelle Ausgrenzung von Frauen qua Gesetz, die Dominanz des Mannes in der Familie und im Beruf wur-den zu öffentlichen Themen. Auch die Tra-dierung von Ausgrenzung von Frauen durch Frauen wurde diskutiert. Das Fami-lienrecht, das Scheidungsrecht, das Erb-recht, das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper – durch die ver-schiedenen Frauenbewegungen wurden Verbesserungen in all diesen Bereichen und noch viel mehr gefordert und erreicht – gegen die Beharrungskräfte eines Sys-tems, das Männern Vorteile brachte.

Bis heute ist die Frauenbewegung in diesem Sinne eine Aufbruchsbewegung. Sie stellt Herrschaftsstrukturen in Frage. Als Aufbruchsbewegung gebührt ihr im Schema von Links und Rechts die linke Seite, die Herzseite.

Auch wenn derzeit nicht von einer star-ken Frauenbewegung gesprochen wird, gehen von ihr weiterhin Impulse aus. Ver-gewaltigung in der Ehe ist seit 1997 in Deutschland strafbar. Und erst 2002 etwa wurde die Prostitution als Beruf legalisiert.

Die Auswirkungen der Globalisierung und der aggressiven Sicherheitspolitik der letz-ten Dekade sind neue Herausforderungen, der sich die Frauenbewegung stellen müss-te. Allein, die Frauenbewegung ist derzeit nicht sichtbar. Die Genderdebatte, die die Geschlechterpolarität in Frage stellt und neben Mann und Frau als Drittes auf die geschlechtliche Uneindeutigkeit verweist, ist stattdessen en vogue. Wer sich partei-isch für Frauen äußert, läuft Gefahr, als überholt zu gelten.An dieser Stelle spielen die jungen Frauen, die sich neuerdings Feministinnen nennen, ohne gesellschaftliche Veränderungen ein-zufordern, eine Rolle des Aufbruchs. Sie nehmen das Wort Feministin, mit dem man die letzten Jahre nicht punkten konn-te, wieder in den Mund. Damit geben sie immerhin den Blick auf die Geschlechter-problematik erneut frei.

Zurück zu «Freiheit, Gleichheit, Schön-heit – für alle.» Eine geballte Frauenhand mit rot lackiertem Daumennagel illustriert das Motto am Bebelplatz in Berlin. Das Plakat ist genial. Auf «Freiheit» und «Gleichheit», so die Werbebotschaft, möch-ten die Akteure des internationalen Kos-metikkonzerns nicht verzichten. Auf Brü-derlichkeit – ohnehin im Sinne von Fraternité eher als Synonym für den natio-nalen Zusammenhalt gedacht – schon.

Damit nicht genug. Das Plakat nimmt auch die Bedeutung des Platzes, der nach August Bebel benannt ist, auf. Den Sozia-

listen grüßen die Faust und das grelle Rot. Obwohl die Farbe zudem für Feuer stehen kann. Auf dem Bebelplatz verbrannten die Nazis Bücher, die ihnen nicht passten, weil sie der Moderne Gestalt gaben. Mehr als 300 Autoren standen auf dem Index. Nicht nur Werke von Gesellschaftskritikern wie Marx, Lenin, Liebknecht flogen ins Feuer. Auch Schriften der Sozialistinnen Rosa Lu-xemburg und Clara Zetkin, der bürgerli-chen Frauenrechtlerin Lida Gustava Hey-mann, der Sozialdemokratin Marie Juchacz, der Friedensaktivistin Bertha von Suttner verbrannten. Mit ihrer aller Bücher verbrannte die Freiheit.

Auch Bebels Werke landeten in den Flammen. Darunter der Satz: «Es gibt kei-ne Befreiung der Menschheit ohne die so-ziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter.» Schon dem alten Sozia-listenführer also war Brüderlichkeit ver-dächtig. Wenngleich ihm als Ersatz kaum das Recht auf Schönheit – und damit im Sinne des Werbeplakats natürlich das Recht auf Konsum – vorschwebte. In dem Kontext ist unübersehbar, dass es die juristische Fakultät ist, an der diese Forderung hängt.

Nun spricht nichts gegen Schönheit. Die neuen Feministinnen machen dies in ihren Büchern sehr deutlich. Wichtig aller-dings ist, dass Schönheit kein Diktat global operierender Kosmetikkonzerne sein darf. Sonst steht die Selbstbestimmung der Frau – wenn nicht gar Freiheit und Gleichheit – erneut auf dem Spiel. |

Brüderlichkeit perdu? Werbeplakat des Kosmetikkonzerns Yves Rocher an einer Fassade der Berliner Humboldt-Universität im Mai 2008

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16 Lebenswelten

Inszenieren heißtkritisieren.Bernd Stegemann ist ein Wegbereiter des neuen Regietheaters. Als Dramaturg begleitet er die Arbeit von Nicolas Stemann, Falk Richter und Tom Kühnel. Henrike Thomsen sprach mit ihm über die starke linke Tradition des deutschen Theaters

Böll.Thema: Herr Stegemann, welche Rolle spielt der Begriff «links» heute im Theater?

Bernd Stegemann: Ein Regisseur wie Volker Lösch, der Hauptmanns «Weber» mit Chö-ren aus Laien und Arbeitslosen inszeniert,würde sich höchstwahrscheinlich als links bezeichnen. Das ist eine Art, in der das Theater politische Haltung zeigt, fast schon als Propaganda in der Tradition von Pisca-tor. Dann gibt es Regisseure wie René Pol-lesch oder Nicolas Stemann, die den Be-griff des Linksseins problematisieren. Sie stellen die Frage: Wie komme ich über-haupt zu einer politischen Haltung in einer Welt, in der vieles geht, aber nichts gehen muss? Wie komme ich zu einem Auftrag und einer Notwendigkeit, etwas zu tun? Das Gestrüpp der Kontingenz, das Ste-mann abbildet, hat in den besten Momen-ten eine emanzipatorische Wirkung und das wiederum ist originär linkes Gedankengut.

«Rechts ist politisch einfach verbran

Wie ist es mit dem Gegenbegriff «rechts»?Ein Theaterkünstler würde sich im Zwei-felsfall immer lieber links nennen lassen, weil das mit Fortschritt, Kreativität, Frei-heit, Gleichberechtigung verbunden ist. Rechts dagegen wird mit Faschismus gleichgesetzt oder mit einer verstaubten Adenauer-Zeit. Das sind emotionale Reso-nanzen, mit denen keiner gern zu tun ha-ben möchte, schon gar nicht Künstler. Da-bei findet man bei bekennenden Linken oft sehr rückwärtsgewandte, veteranen-hafte Züge. Die «Linkspartei» hat ein Men-schenbild direkt aus dem 19. Jahrhundert und möchte sich gegen die Globalisierung abschotten. Damit kann man sich als The-atermacher nicht identifizieren.

Also könnte es sein, dass eine neue Regie- Generation begeistert Kai Diekmann und Mat-thias Matussek liest?Nein, ich glaube, rechts ist politisch ein-fach verbrannt in Deutschland. Es ist auch

nt in Deutschland. Es ist auch nicht

nicht das Gleiche wie konservativ. Für ei-nen guten Konservativen gilt, dass er zu-gleich ein großer Stilist ist. Matussek kann gar nicht schreiben, insofern ist sein Buch über das Konservative ein Paradox in sich. Der Dichter Martin Mosebach hingegen ist ein großer Stilist und ein bekennender Konservativer, er würde sich aber nicht als rechts bezeichnen.

Wie einflussreich sind heutige linke Denker wie Giorgio Agamben? Der einflussreiche Au-tor und Regisseur René Pollesch beruft sich gerne auf ihn.Pollesch stellt mit Agamben die Frage, was der Mensch sei. Ist er die Menge seiner Zu-schreibungen, das Sozialpartikelchen in den Sozialsystemen oder ist er das, was er über sich selbst erzählt? Damit arbeitet er gegen Fundamentalismus, Biologismus und alte Rollen- und Geschlechterbilder. Man darf sich Agambens Rezeption im Theater aber nicht wie ein Theorie-Semi-

das Gleiche wie konservativ.»

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Inszenieren heißt kritisieren.

nar vorstellen. Theaterleute sind große Ek-lektiker. Sie klauen sich, was zu ihnen passt, und das ist auch ihr gutes Recht. Manch-mal wird nur ein Satz, ein inspirierender Gedanke genommen.

Das Theater der sechziger Jahre war in der Bundesrepublik programmatisch links und stark von der Brecht-Schule beeinflusst, be-sonders in der frühen Schaubühne und bei Claus Peymann. Was bedeutet dieses Erbe für Regisseure heute, auch im ästhetischen Sinne?Der Startpunkt damals war bewunderns-wert. Es hat sich eine neue Ästhetik entwi-ckelt, die wir heute unter dem Stichwort «Regietheater» verstehen. Das heißt, das nicht einfach ein pathetisch deklamieren-der Schauspieler den Klassiker spielt, son-dern dass man sich ein Regiekonzept über-legt, warum der Klassiker in der Gegenwart überhaupt Relevanz hat. Allerdings gibt es auch hier genügend Paradoxien: Der größ-te konservative Regisseur der Nachkriegs-zeit, Rudolf Noelte, war ein erklärtes Vor-bild für Peter Stein. Heute trifft auf Leute wie Peymann die Haltung der «Linkspar-tei» zu: Man ist stark verhaftet in der Ver-gangenheit. Das ist so ein Veteranen-Links, ein Veteranen-Wohlfühlfaktor, das hat mit der Gegenwart wenig zu tun.

Eine linke Theater-Ästhetik besteht dennoch weiterhin darin, dass man die Zeichen auf der Bühne – den Text, das Spiel des Schauspielers – deutlich als Zeichen hervorhebt und unter-wandert, so wie es die Brechtsche Theater-theorie vorsah.Brecht hat gesagt: Inszenieren heißt kriti-sieren. Und zwar alles, sowohl das Darge-stellte als auch die Mittel der Darstellung. Das ist das explizit Linke daran. Es wird aber von den Nachfolgern abgelehnt. Der Regisseur Tom Kühnel hat am Theater am Turm in Frankfurt mal ein Experiment mit Brechts Lehrstück «Der Jasager und der Neinsager» gemacht. Da geht es um die Frage, ob es richtig ist, Einverständ-nis mit einer brutalen Ideologie zu zei-gen, oder ob man sie in Frage stellen soll.

Dieses Lehrstück war von Brecht für Lai-enspieler gemeint. Wir haben es paralleli-siert mit Rollenspielen aus Seminaren für Füh rungskräfte, in denen es auch immer darum geht, ob es richtig ist, sich dem Be-stehenden zu verschreiben oder seinen ei-genen, vielleicht dann erfolglosen Weg zu gehen. Bezeichnenderweise konnten sich besonders die Angestellten über die Rol-lenspiele gut mit dem Brechtschen Lehr-stück und dem darin verhandelten Zwang zur brutalen Entscheidung identifizieren. Aber die Brecht-Erben haben die Inszenie-rung verboten und wir mussten sie unter einem anderen Titel weiterspielen. Man sieht daran, glaube ich, ein Grundproblem linker Ideologien: Sie bringen einen Geist hervor, der von der nachfolgenden Gene-

ration dogmatisiert und damit total negiert wird. Bei den Erben von Heiner Müller ist es inzwischen das gleiche Problem wie bei den Brecht-Erben.

Ein weiteres wichtiges Mittel linker Ästhetik ist die Satire, wie sie an Frank Castorfs Volks-bühne gepflegt wird.Das kommt aus der Tradition des Volksthe-aters, des Karnevals und der Burleske. Es geht um ein grundsätzliches Infragestellen von allen Hierarchien. Indem der Bettler sich zum König macht und der König zum Bettler, ist alles auf den Kopf gestellt. Es ist ein hochgradig befreiendes Moment und sei es auch nur für zwei Stunden, dass man einmal lachen darf über das, wovor man sonst Angst haben muss. In dieser Traditi-

Vita & PublikationenBernd Stegemann ist Professor für Theatergeschichte und Dramaturgie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. 1999 – 2002 war er Chefdramaturg am TAT in Frankfurt / Main, 2004 – 2007 Dramaturg am Deutschen Theater, Berlin. Er ist Mitherausgeber der «Blätter des Deutschen Theaters». Jüngste Publi-kationen: «Die Gemeinschaft als Drama. Eine Systemtheoretische Dramaturgie» (2001), «Stanislawski-Reader» (2007) und «Dramaturgie der Gegenwart» (im Erscheinen).

«Theater ist seinem Wesen nach Aufklärung» (Bernd Stegemann)

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18 Lebenswelten

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on bewegt sich die Volksbühne seit Erwin Piscators Revuen und Benno Bessons The-aterspektakeln bis hin zu Castorf.

Früher haben linke Künstler nicht nur kriti-sche Fragen gestellt, sondern die ideologi-schen Antworten gleich mitinszeniert. Sie nahmen die Rolle von Ingenieuren der Gesell-schaft an.Ja, sogar von «Ingenieuren der Seele», wie Lenin die jungen Autoren in der Sowjet-union nannte. Das war eine hybride Hal-tung, die in der Nachfolge zum Gulag und zu schrecklichen Exzessen des Totalitären führte. Diese Anmaßung ist ein gefährli-ches Denken der Vergangenheit, auch wenn es jetzt vielleicht in Südamerika wie-der aufflammt. Dafür ist die Kraft, Dinge in Frage zu stellen und vielleicht auch einzu-reißen, ehe man weiß, was darauf folgen wird, eine Kraft, die bewahrt werden muss. Seltsamerweise ist sie realpolitisch in tra-ditionell linken Parteien heute weniger vorhanden als in konservativen Kreisen und Parteien, die eher rechts der Mitte ein-geordnet werden. Es gibt starke beharren-de, wertkonservative Elemente in einer Partei wie der «Linkspartei» und zukunfts-orientierte, offene Elemente auf der ande-ren Seite des Spektrums.

Erwächst dem Theater aus diesen Paradoxien eine neue Rolle?Das Theater ist von seinem Wesen her Auf-klärung. Es ist im bürgerlichen Sinne Spie-gel der Gesellschaft und im volkstheatrali-schen Sinne ein Spaß über die traurigen Zustände. Jemand, der an der Perfektionie-rung und dem wohlgefälligen Fortgang der Gesellschaft arbeitet, wird nicht primär zum Theater gehen. Aber das Theater kann aus sich heraus nicht eine gesellschaftliche Welle wie 1968 produzieren. Es kann sie als Resonanzraum nur vergrößern und mo-mentan ist die Zeitströmung so diffus, wie es die herrschende Praxis auf der Bühne widerspiegelt. |

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Vita & PublikationenHenrike Thomsen ist freie Journalistin für Die Zeit, Neue Zürcher Zeitung, Berliner Zeitung, Spiegel Online, Deutschlandradio, RBB Kulturradio u.a.; Trägerin des Wächterpreises der Ta-gespresse. 2004 – 2007 Pressesprecherin des Deutschen Theaters Berlin; Herausgeberin der Buchreihe «Blätter des Deutschen Theaters» mit Roland Koberg und Bernd Stegemann. April 2008 erschien in der Reihe der Doppelband «Deutsches Theater 2001 – 2008».

He|ge|mo|nie, die; äußerst kipplige Angelegenheit, leider gern als festgezurrte Machtposition missverstanden; vom buckligen Sarden Antonio Gramsci (1891-1937) entwickeltes Konzept, um Herrschaftskonstellationen zu deuten, die nicht nur auf der staatlichen Ausübung von Zwang, sondern auch auf der Zustimmung der Beherrschten beruhen; so wird Konsensbildung zur wichtigsten politischen Technologie; für Gramsci sind sämtliche Mittler der Zivilgesellschaft und kulturelle Praxen in politische Kämpfe um Definitionsmacht verstrickt, d.h. arbeiten an der diskursiven Durchsetzung von Wer-ten und Überzeugungen mit; von diesem Bruch mit der mechanistischen Denkart des Mar-xismus profitieren heute Spin Doktoren, Think Tanks und Meinungsforschungsinstitute; der Kunst hingegen erwies die H.theorie einen Bärendienst: So kann der Vorwurf, «zu po-litisch» zu sein, schnell eine Zweitkarriere als Wahlhelfer oder Akademie-Präsident ein-leiten; neogramscianische Politiker von rechts und links (Haider, Chavez) wissen besser denn je, dass man im Kampf um H. die «Leute abholen muss» und begründen damit popu-listische Politikentwürfe; nur in Deutschland reklamierten Helmut Kohl («Geistig-morali-sche Wende») und Olaf Scholz («Lufthoheit über die Kinderbetten») erfolglos einen Nim-bus als gewiefte Stellungskrieger. Was die beiden Volksparteien nämlich nicht verhindern konnten: Heute gelten allenfalls Nichtraucher und Nichtwähler als hegemonial – noch. Jan Engelmann

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19Zahlen verstehen

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Links ist da,wo die Regierung rechts ist.Zwischen einem gesellschaft-lichen Linkstrend und einer Politik der Mitte besteht kein Widerspruch.Von Dieter Rulff

«Wenn ich ein Wort gebrauche», sagte Goggelmoggel in recht hochmütigem Ton, «dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nichtmehr und nicht weniger.» «Es frage sich nur», sagte Alice, «ob manWorte einfach etwas anderes heißen lassen kann.» «Es fragt sichnur», sagte Goggelmoggel, «wer der Stärkere ist, weiter nichts.» Lewis Carroll, Alice im Wunderland

Oskar Lafontaine ist augenscheinlich der derzeit Stärkere, denn erkann die Worte heißen lassen, was er für richtig hält. In dem ihmeigenen hochmütigen Ton dekretiert er seiner Partei und demganzen Land, was links und wer Feind ist, und lässt keinen Zweifeldaran aufkommen, dass der Rest des politischen Personals vonneoliberalen Ideen benebelt ist und intellektuell von den Wirtschaftsverbänden an der kurzen Leine geführt wird. Einzig «dasVolk» sieht er im Aufstand gegen diesen neoliberalen Irrweg unddas solchermaßen ob seines Durchblicks geadelte dankt es dem

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Goggelmoggel im Wunderland der Berliner Republik mit einem wachsenden Zuspruch. Von einem Linkstrend der Bevölkerung ist allenthalben die Rede, umfragegesättigt fühlt sich der Vorsitzende der Partei «Die Linke» auf der Höhe der neuen Zeit.

Die zog einst mit der SPD, doch nun rennen die Sozialdemo-kraten ihr hinterher und fragen sich mit Alice erstaunt, wieso das Linke nicht mehr sozialdemokratisch heißt, und was dann noch das Sozialdemokratische ist, wenn die Linke die Partei «Die Linke» ist. Und wer noch Zweifel an Lafontaines Definitionsmacht hatte, wurde spätestens mit dem Hamburger Parteitag der SPD eines anderen belehrt. Denn seitdem ist die SPD bemüht, wieder eine linke Politik im Sinne ihres früheren Vorsitzenden zu machen. Wo-mit erwiesen wäre, dass Goggelmoggel recht hatte. Bleibt noch die Frage zu klären, was die Stärke Oskar Lafontaines ausmacht, und wo sie ihre Grenze findet.

Die Rede vom Linkstrend ist zu einer self­fulfilling prophecy ge-worden, seit sie mit der Bundestagswahl 2005 eine erste vermeint-liche Bestätigung fand. Seitdem liefert der anhaltende Richtungs-streit in der SPD fast täglich neue Belege für ein Erstarken dieses Trends, der wiederum seinerseits den Streit befeuert. Auch die Grünen kehren seit Neuem wieder ihr linkes Wesen hervor. Und mit der Diskussion über eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundes-ebene zeichnet sich bereits ein erster Höhepunkt des Trends am Horizont ab. Professionelle Beobachter werden nicht müde, die politische Landschaft nach Indizien für diese Entwicklung umzugraben.

Vor einigen Wochen veröffentlichte Die Zeit eine Umfrage des Emnid-Instituts, die eine satte Mehrheit bei Anhängern aller Par-teien für linke Positionen ergab. Ob Mindestlohn, Rücknahme der Rente mit 67 oder mehr Staatsintervention, das Votum war ein-deutig. Dem Land wurde eine tiefe Gerechtigkeitslücke attestiert und der Regierung vorgehalten, zu wenig für deren Schließung zu tun.

Auch in ihrer Selbstwahrnehmung sind die Deutschen nach links gerückt. Das Erstaunliche an diesem Trend ist allerdings, dass er bereits zur Jahrtausendwende einsetzte, zu einer Zeit also, als der verfemte Neoliberalismus an den Börsen noch fröhliche Urstände feierte, Gerhard Schröder die «neue Mitte» für sich re-klamierte und alle dahin drängelten. Von der Partei «Die Linke» war noch keine Rede und die PDS wurde seinerzeit auf dem Weg nach rechts, wenn man so will, Richtung «neue Mitte» gesehen.

Der Rückblick zeigt, dass zwischen den langwelligen Grund-schwingungen der normativen Orientierung und des Institutio-nenverständnisses, den damit verkoppelten, mittelfristigen Er-wartungen an die operative Politik und den kurzfristigen Erregungskurven medial befeuerter Personal- und Sachkonflikte ein komplexerer Zusammenhang besteht, als dass sie sich um-standslos über den Kamm eines Trends oder gar einer Parteiprä-ferenz scheren ließen. In ihren Leitvorstellungen war und ist die deutsche Gesellschaft eher links geprägt, gewählt hat sie meist

Vita ieter Rulff ist freier Publizist und lebt in Berlin. Nach vielen Jah-

en bei der taz war der Politologe zuletzt leitender Redakteur der Wochenzeitung Die Woche. Er ist verantwortlicher Redakteur von

orgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik.

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20 Zahlen verstehen

Fort|schritt, der; positive Zukunftserwartung geschichtli-cher Entwicklung; lange Geschichte, die lange Zeit gut ausging; als Denkfigur schon im Christentum bekannt (Teleologie) und von M. Luther mustergültig vertreten (bei Ankunft des Welt-endes: Apfelbaum pflanzen); mit dem 18. Jh. (Aufklärung, in-dustrielle Revolution) auf weltliche Bahnen gesetzt und im Idea-lismus über die Vervollkommnung des Menschen vorzeitig als Sieg der Vernunft gefeiert; in der Geschichtsphilosophie G.W.F. Hegels wird als Ziel des F. die Philosophie ausgegeben, bei der Revision durch K. Marx («auf den Kopf gestellt») die klassenlose Gesellschaft (Kommunismus); nah dran an deren Erwartung, aber dennoch gescheitert: die DDR («Faust III»); nicht nur des-halb hat der F.sglauben in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s kleine-re Brötchen gebacken, etwa als rein technische Erscheinung in den 60er-Jahren (Weltraumflug, Automobilisierung); rasch (Öl-krise) und wiederholt (Peak Oil) gedämpft, daher haftet dem Be-griff zur Zeit etwas Altmodisches an; erfreut sich im Freizeitver-einsfußball (Fortschritt Friedrichshain) größerer Beliebtheit als im zeitgenössischen Denken und der Politik (Reform); muss überdies mit Renaissance des religiösen Pragmatismus nach Leibniz («die beste aller möglichen Welten») und verbreitetem romantisch inspirierten Vulgokulturpessimismus konkurrieren (früher war alles besser). Matthias Dell

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konservativ. Sie war mehr gerechtigkeits- denn freiheitsorientiert und voller Vertrauen in die korporative und institutionelle Ge-währleistung von Sicherheit und Teilhabe.

Dieses Selbstverständnis wurde seit 1998 aufgebrochen. Die Wähler nahmen das als einen relativ scharfen Rechtsruck der SPD wahr, der damals allerdings im Einklang stand mit der politischen Selbstverortung. Das lässt den Schluss zu, dass seinerzeit die rot-grüne Reformpolitik zunächst den Vorstellungen weiter Teile der Bevölkerung entsprach.

Der SPD ist es in ihrer Regierungszeit allerdings nicht gelun-gen, ihre begrenzten exekutiven Möglichkeiten mit den eigenen normativen Orientierungen so in Einklang zu bringen und weiter zu entwickeln, dass daraus zeitgemäße sozialdemokratische Be-griffe von gesellschaftlichem Fortschritt und politischer Reform erwachsen wären. Im Gegensatz zur Labour Party der Ära Blair war die Schröder-SPD programmatisch sprachlos und in ihrer Praxis über weite Strecken erratisch.

Das rächt sich, seit mit der Partei «Die Linke» ein Akteur die po-litische Bühne betreten hat, der virtuos die alte sozialdemokrati-sche Klaviatur beherrscht. Eine Allensbach-Umfrage aus dem Sommer des letzten Jahres attestiert dieser Partei denn auch weit mehr Engagement beim Kampf für soziale Gerechtigkeit als der SPD.

Diese sozialdemokratische Kernkompetenz wird von den Wäh-lern noch genau so definiert, wie vor der Ära Schröder. Gemessen daran musste seine Politik sich notwendigerweise als defizitär er-weisen. Politikrelevante Normen beziehen ihre Kraft nicht aus sich heraus, sie gewinnen ihre Stärke aus dem institutionellen Setting, das ihre Realisierung ermöglicht. Zum Setting des Schrö-derschen Reformprojektes wurde von der SPD kein adäquater Ge-rechtigkeitsbegriff entwickelt, wesentliche Versprechen seiner am Standort orientierten Politik haben sich zudem im Nachhinein als trügerisch erwiesen. Die daraus resultierende Enttäuschung ver-stärkt sich angesichts eines Finanzkapitals und einer wirtschaftli-chen Elite, die sich staatlicher Kontrolle und gesellschaftlicher Verpflichtung entziehen.

Deshalb agiert die SPD nur noch situativ und erweist sich als hilflos, wo ihr die Partei «Die Linke» das eigene frühere keynesia-nische Erfolgsmodell als auch künftig machbar entgegen hält. Nicht wenige in der SPD sind von dieser Annahme gleichfalls überzeugt. Dass sie zu deren Beweis die bisherige Politik als falsch deklarieren müssen, macht den programmatischen Riss der Par-tei aus, der nur oberflächlich als Personaldebatte um zwei schwa-che Protagonisten und als Kampf um zwei unattraktive Koaliti-onsoptionen ausgetragen wird.

«Im Gegensatz zur Labour Party der Ära Blair war

die Schröder­SPD programmatisch sprachlos und

in ihrer Praxis über weite Strecken erratisch.»

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Angesichts der Vorherrschaft der bürgerlichen Parteien in den Ländern und angesichts des Überdrusses an der Großen Koaliti-on im Bund wird die Bereitschaft zu rot-rot-grünen Bündnissen in den kommenden Monaten eher noch wachsen. In der SPD wie bei den Grünen werden die Stimmen lauter, die die größeren ge-meinsamen Schnittmengen der drei Partner betonen. Doch in der Größe dieser Schnittmengen liegt das Problem eines Linksbünd-nisses. Denn es würden zwei Parteien koalieren, die identische Kernkompetenzen aber keine klaren Komplementärkompeten-zen aufweisen, die zudem historisch in einer Weise miteinander verwoben sind, die genug Stoff für ein Drama abwirft, aber keine Aussicht auf eine arbeitsfähige Regierung bietet. Eine solche Koa-lition wäre durchsetzt vom Begehren, sich wechselweise zu domi-nieren und zu minimieren. Schon die bisherigen Wahlen haben gezeigt, dass die Konkurrenz zwischen SPD und der Partei «Die Linke» auf ein Nullsummenspiel hinaus läuft, bei dem sich zu-meist die Gewinne der Letzteren aus den Verlusten der Ersteren speisen.

Es gehört zu den verbreiteten Fehlannahmen, dass sich der Linkstrend bei der Selbstwahrnehmung der Bürger, ihren norma-tiven Vorstellungen und politischen Erwartungen in entsprechen-de Parteipräferenzen niederschlägt. Schaut man sich die Umfra-gen an, so ist nicht nur die Selbstwahrnehmung der Wähler, sondern auch die Verortung der Parteien (außer der NPD) in ei-nem Geleitzug nach links gewandert. Wobei die Partei «Die Linke», diesem vorauseilend, mittlerweile an den äußeren linken Rand des Spektrums gerückt ist.

Schaut man sich die Wahlergebnisse an, so findet man auch in ihnen keinen Beleg für einen Trend zu den linken Parteien. Von 1998 bis 2005 sank dieses Lager von fast 26 Millionen Wahlberech-tigten auf 24,2, hingegen stieg das bürgerliche Lager zur gleichen Zeit von 20,4 Millionen auf 21,3 Millionen Wahlberechtigten. In den neun Landtagswahlen seit 2005 sackte der Anteil der Wahlbe-rechtigten, die für SPD, Grüne und die Partei «Die Linke» stimm-ten, nochmals um 35 Prozent. Dabei verlor auch «Die Linke» bei allen Wahlen mit Ausnahme der niedersächsischen. In der glei-chen Zeit waren die Verluste von CDU/CSU und FDP nur halb so groß. Beide Lager liegen derzeit fast gleichauf.

Nur 25 Prozent der Bürger rechnen sich linken Positionen zu. 53 Prozent hingegen verorten sich in der politischen Mitte. Der vermeintliche Linkstrend erweist sich bei näherer Betrachtung als Wiedereinbettung linker Normen und Einstellungen in den ge-sellschaftlichen Mainstream. Von daher täuscht sich womöglich die Partei, die meint, Wahlen zu gewinnen, indem sie sich links verortet. Wahlen gewinnt, wer diese Mitte überzeugt. Und wie 1998 der Sieg der rot-grünen Regierung mit einem Drift der gesell-schaftlichen Selbstwahrnehmung nach rechts verbunden war, so könnte der aktuelle Linksschwenk mit einer Vorherrschaft der bürgerlichen Parteien einhergehen. |

Spricht es für oder gegen eine Partei, wenn man von ihr behauptet, sie sei eine Partei der Mitte?

Spricht für sie

Unentschieden

Spricht gegen sie

9% 64%

27%

Welche Partei ist für Sie die Partei der Mitte?

Gesamtbevölkerung

Parteiangehörige

Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach, veröffentlicht am 20.2.2008

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CDU/CSU

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zum Wandel

ut Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst vom Linksdrall der Republik. Wo rin manifestiert sich dieses Phänomen? In der Dominanz der «sozialen Frage», den im-mer neuen Hiobsbotschaften über Armut in einem wohlhabenden Land, in den stei-genden Umfragewerten der «Linkspartei» oder in der Selbsteinschätzung einer Mehr-heit der Bevölkerung?

Fühlt man dieser Entwicklung auf den Zahn, stellen sich Zweifel an einer Links-verschiebung der politischen Achse ein. In Wahlergebnissen lässt sich ein solcher Trend jedenfalls nicht messen, wenn man die kumulierten Stimmen für die Parteien links von Union und FDP als Maßstab nimmt. Aus dem öffentlichen Übergewicht sozialer Themen lässt sich erst recht nicht ableiten, dass die Republik nach links rückt. Die «soziale Frage» lässt viele Ant-worten zu, sie mündet nicht per se in eine emanzipatorische Politik. Das gilt auch für das beliebte Manager-Prügeln und die Wut auf die «Gier der Reichen». Es gibt linken und rechten Antikapitalismus, und es gibt autoritäre und libertäre Linke. Man muss also genauer hinsehen, ob der Zeitgeist tatsächlich von links weht – und um wel-che Art von links es sich dabei handelt.

Wenn links eine zukunftsgerichtete Hal-tung meint, die von einem Optimismus der Veränderung getragen wird, ist davon in der aktuellen Befindlichkeit der Deut-schen recht wenig zu finden. Stattdessen herrscht ein Diskurs der Angst: Angst vor sozialem Abstieg, vor den Folgen der Glo-balisierung, vor steigenden Gesundheits-kosten und Energiepreisen oder, je nach

Im|pe|ri|a|lis|mus, der; im Gefühlshaushalt der Linken für die richtig bösen Sen-timente zuständig. Für die Neuen Linken von 1968 der eigentliche Rahmen ihres Welt-bilds. Man wurde Sozialist, Kommunist, jedenfalls Revolutionär über den Antiimp., der sich ideell auf die Seite der Unterdrückten dieser Erde stellte. Der Imp. war theoretisch nichts anderes als der räuberische, bewaffnete (u.a. mit Napalm, Atomwaffen), die Welt bedrohende Gesamtkapitalismus. Sein Hauptsitz: Wall Street, Weißes Haus, Pentagon.Seine bevorzugten Nebenwohnsitze (u.a.) Bonn und Tel-Aviv. In der Brust des Imp. hat-ten die Metropolenlinken nach dem Vermächtnis des Ché den Kampf aufzunehmen. Für einige nahm der Imp. später die Gestalt eines «Welt-Zionismus» an. Im Hass auf die USA-SA-SS kamen subtil revanchistische Motive ins Spiel, nicht nur in Deutschland.Dann ließ Maos China dem altbösen US-Imp. einen sowjetischen «Sozialimp.» zur Seite treten. Und was war China selbst, das Vietnam 1980 kurz mal eine blutige «Lektion» er-teilte? Schließlich schälte sich heraus, dass es den alle Weltübel vereinigenden Überfeind nicht gibt. Gerd Koenen

In|ter|na|tio|na|lis|mus, der; im Gefühlshaushalt der Linken für die großen Sentimente zuständig: «Was ihr auch unsern Brüdern getan, von Chile bis nach Viet-nam…» Das gab feuchte Augen, die im Schlussrefrain zu Metall in der Stimme umgegos-sen wurden: «Die letzte Schlacht gewinnen wir.» Für die Neuen Linken bildete der Int.das ideologische Zentrum ihres Weltbilds. Nach der sozialdemokr. Pazifizierung oder «revisionistischen» Degenerierung der alten prolet. Internationale (s. Proletariat) bedurf-te es einer «Dritten Welt» als neues, globales revolutionäres Subjekt: Vorhang auf für den finalen Aufstand der «Verdammten dieser Erde», in Cinemascope und Hi-Fi. Nie war die Welt eine solche Synästhesie von Bildern, Musik, Losungen, Texten wie 1968, als alle Ereignisse der Welt und der Geschichte «zu sprechen» schienen. Es war schön. Bis die Heroen des Zeitalters (u.a. Fidel, Kim, Ho, Mao oder Mugabe) blutig klarstellten, dass ihr flammender Inter-Nationalismus nur eine ideologische Steigerungsform des Letzte-ren war. Wahrer Int. hätte sich jetzt um Liquidierte, Lagerinsassen, Boatpeople und an-dere Opfer siegreicher «Befreiungsbewegungen» zu kümmern gehabt. Aber das hieß: be-klemmende statt großer Gefühle, was für Amnesty und Ärzte ohne Grenzen. Heute auch radikal reformulierter Int. der Djihadisten, die uns lehren, dass die idealisierte Internati-onale (oder Umma) der Unterdrückten und Gläubigen von jeher auch dem radikalen Aus-schluss der Unterdrücker, Ungläubigen, Verräter etc.pp. aus der Menschheit gedient hat. Gerd Koenen

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23Was können wir wissen?

Mut

zum WandelPlädoyer für eine Agenda 2020Von Ralf Fücks

Gemütslage, vor einem allgegenwärtigen Überwachungsstaat. Ein Klima diffuser Ängste befördert aber nicht die Bereit-schaft zu Reformen, sondern führt eher zur Verhärtung und Abschottung. Das zeigt sich bis in die vorherrschende Einstellung zu Migrationsfragen, die nach wie vor von Konkurrenzangst und Abwehr geprägt ist. Nicht Aufbruch zu neuen Ufern ist die De-vise des Tages, sondern Verteidigung der Besitzstände; nicht Mut zum Wandel, son-dern Abwehr von Veränderungen. Auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden unter dem Blickwinkel beurteilt, möglichst keine Risiken für andere zu übernehmen – ein eng definiertes «nationales Interesse» schlägt die Bereitschaft, internationale Verantwortung zu übernehmen.

Eine strukturkonservative Linke...

Im politischen Spektrum repräsentiert –und verstärkt – ausgerechnet jene Partei diese Haltung, die sich selbst «Die Linke» nennt. In Wahrheit ist sie von allen die strukturkonservativste. Ihre Botschaft heißt: Vorwärts in die Vergangenheit, in die vermeintlich heile Welt der achtziger Jahre, als der westdeutsche Sozialstaat noch nicht von den Unbilden der Globalisierung, des demographischen Wandels und der Überschuldung der öffentlichen Hand an-gefochten war. Sie will zurück in die Zeit, als die Aufgabe der Bundeswehr darin be-stand, im Windschatten der Amerikaner das Gleichgewicht des Schreckens zu si-chern; als der internationale Wettbewerb noch überschaubar war und China ein

schlafender Riese. Für die Linke sind die rot-grünen Reformen der letzten Jahre schlicht überflüssig. Von der Einführung des demographischen Faktors in die Ren-tenformel bis zur Reform der Grundsiche-rung, die unter dem abstrusen Titel «Hartz IV» so schlecht wie möglich verkauft wur-de: alles nur mutwillige Demontage des Sozialstaats. Das Mantra dieser Linken ist die Rückkehr zum Status quo ante. Sie ap-pelliert an die niedrigsten Instinkte der Massen: den Hass auf «die Reichen», das Ressentiment gegen «die da oben» und den Rückzug auf die nationale Wagenburg. Niemand verkörpert diesen linken Na-tiona lismus skrupelloser als Lafontaine, wenn er der Bundesregierung vorwirft, sie ziehe mit der Entsendung deutscher Trup-pen nach Afghanistan den Terror ins Land.

… und eine reformmüde Große Koalition

Die Abkehr von einer Politik, die sich den Herausforderungen der neuen Zeit stellt, ist aber kein Monopol der «Linkspartei». Die SPD ist davon ebenso erfasst wie die Union. Kaum hatten die rot-grünen Wei-chenstellungen erste positive Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt und bei den öffentli-chen Finanzen gezeitigt, wechselten die Regierungsparteien wieder in den Vertei-lungsmodus. Sie sind dabei, die Reform-renditen bei Renten, Arbeitsmarkt und Staatsfinanzen zu verspielen, die Rot-Grün so mühsam auf den Weg gebracht hat. Da-bei ist keiner der Gründe verschwunden, die einen Umbau des Sozialstaats und eine andere Arbeitsmarktpolitik erfordern.

Wer der Bevölkerung vermittelt «Alles kann so bleiben, wie es war», verkennt die Zeichen der Zeit. Die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft sind kein Ruhekis-sen. Tatsächlich sind sie teuer erkauft, nämlich mit einem anhaltenden Rationa-lisierungsdruck, mit dem die Unterneh-men die hohen Arbeitskosten kompensie-ren. In der Industrie sind Wachstum und Arbeitsplätze weitgehend abgekoppelt. Sie lebt von der überdurchschnittlichen Pro-duktivität und Innovationskraft der Betrie-be. Für die Zukunft ist dieser «Vorsprung durch Technik» aber keineswegs gesichert. Forschung und Entwicklung, hochqualifi-zierte Arbeitskräfte, innovative Produkte sind kein Monopol Westeuropas, der USA und Japans mehr. China bildet inzwischen mehr Ingenieure aus als jedes andere Land, Indien forciert massiv seine Software-In-dustrie, und auch die anderen Schwellen-länder wechseln längst von billiger Massen produktion auf hochwertige Pro-dukte und Dienstleistungen.

Wenn Deutschland und die EU ihren hohen Lebensstandard halten wollen, müs sen sie erheblich mehr in Bildung, Forschung und Innovation investieren als das gegenwärtig der Fall ist. Und sie müssen sich stärker für die Einwanderung talentierter, leistungsbereiter Menschen aus anderen Kulturen öffnen. Es ist ein Alarmsignal erster Güte, dass die deut-sche Wanderungsbilanz für qualifizierte Arbeitskräfte negativ ist: Es wandern mehr Wissenschaftler, Akademiker, gut ausgebil-dete Facharbeiter aus als ein. Das gilt mitt-lerweile auch für junge Deutsch-Türken

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24 Was können wir wissen?

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der zweiten und dritten Generation, die hier den hürdenreichen Weg durch das hö-here Bildungssystem zurückgelegt haben und jetzt in die Türkei auswandern, weil sie dort bessere berufliche Perspektiven für sich sehen.

Die Proportionen zwischen Sozial- und Bildungsausgaben stimmen nicht. Der Bund zahlt allein für die Bezuschussung der Renten jährlich rund achtzig Milliar-den Euro an Steuermitteln; dagegen neh-men sich die öffentlichen Ausgaben für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung geradezu kümmerlich aus. Der Ausbau der frühkindlichen Erziehung geht viel zu langsam voran, ebenso der Aufbau von Ganztagsschulen. Die Universitäten sind unterfinanziert. Aber die öffentliche De-batte wie die Ankündigungen der Parteien sind nach wie vor auf die Erhöhung von Sozialleistungen fixiert, statt die Prioritä-ten auf Bildung und Innovation zu setzen.Dabei hängen die Lebenschancen von Kin-dern aus sozial benachteiligten Familien vor allem davon ab, ob sie in einem gut ausgebauten Bildungssystem vom Kinder-garten bis zur Hochschule optimal geför-dert werden.

Auch die Alterung der Gesellschaft und der Rückgang des Erwerbstätigen-Potenti-als wirken in diese Richtung. Nach einer kurzen Hochkonjunktur ist der demogra-phische Wandel wieder weitgehend aus der öffentlichen Debatte verschwunden; als politisches Querschnittsthema kommt er nicht vor. Ein klassischer Fall von Ver-drängung. Nähme man die Herausfor de-rungen ernst, die damit auf die Gesell-schaft zukommen, würde der Reformdruck auf das Bildungs-, Gesundheits- und Ren-tensystem sowie auf die Einwanderungs-politik weiter steigen. Stattdessen werden sogar die bereits beschlossenen Umbau-maßnahmen im Rentensystem wieder ver-wässert, und die Gesundheitsreform ist in einem ebenso teuren wie ineffizienten Kompromiss zwischen den Regierungspar-teien gestrandet. Derweil steigen die Kran-kenkassenbeiträge munter weiter. Damit nicht genug, will die SPD den Unsinn der

subventionierten Frühverrentung wieder aufblühen lassen. Dabei ist es genau das falsche Signal, Unternehmen für die Aus-steuerung älterer Arbeitnehmer noch zu belohnen, statt die innerbetriebliche Per-sonalpolitik so zu verändern, dass die Leis-tungsfähigkeit und Kompetenz von Mitar-beitern möglichst lange erhalten bleibt. Angesichts des bereits heute bestehenden Fachkräftemangels in ganzen Branchen und Regionen und der wachsenden finan-ziellen Lasten des Rentensystems ist die Verkürzung der Lebensarbeitszeit ein teu-rer Irrweg. Daraus folgt nicht «schuften bis ins Grab», sondern Verknüpfung von al-tersgerechter Arbeit, familienfreundlichen Arbeitszeiten und lebenslangem Lernen, wie es vor allem in skandinavischen Län-dern bereits geschieht.

Kaum ein Sozialdemokrat (den legen-dären Franz Müntefering ausgenommen), der noch die rot-grüne Reformpolitik im Grundsatz verteidigt – bei aller Kritik an der konkreten Umsetzung und der Art und Weise, wie diese Reformen erarbeitet und kommuniziert wurden. Dabei war die «Agenda 2010» eines der mutigsten und wichtigsten Reformvorhaben, denen sich eine Bundesregierung seit den achtziger Jahren gestellt hat. Wo der Bundespräsi-dent recht hat, hat er recht: Wir brauchen keine Abkehr von dieser Politik, sondern einen neuen Reformanlauf, eine «Agenda 2020». Wer sollte die Rolle des Vorreiters für eine solche Politik in der deutschen Partei-enlandschaft übernehmen, wenn nicht die Grünen? SPD und Union wollen nicht; die FDP kann es nicht, weil sie das soziale Ver-trauen verspielt hat; die «Linkspartei» ver-teidigt den Status quo von gestern.

Aufbruch zu neuen Ufern

Den Grünen fällt die Rolle des Reform-motors auch deshalb zu, weil sie wie nie-mand sonst mit der ökologischen Frage verbunden sind. Noch mehr als die rau-hen Winde der Globalisierung und die de-mographischen Umwälzungen erfordern Klimawandel und Ressourcenkrise eine

Politik der Erneuerung. So bedrohlich die Szenarien eines außer Kontrolle geratenen Klimas auch sind, so fatal wäre es, vor al-lem Katastrophenangst zu verbreiten. Eine Inflation von Horrorszenarien lähmt eher, als dass sie zum Handeln ermutigt. Wir werden die Gefahren des Treibhauseffekts und eines darwinistischen Kampfs um knapper werdende Ressourcen nur ein-dämmen können, wenn der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise nicht als Notprogramm erscheint, sondern als Aufbruch zu neuen Ufern.

«Going green» bedeutet nicht das Ende des Wohlstands, sondern einen großen Sprung aus der Kohlenstoffzeit ins Solar-zeitalter. Im Abschied von Öl und Kohle liegen jede Menge Chancen – für neue Technologien, neue Märkte, neue Jobs und für ein besseres Leben. Vierzig Prozent we-niger Kohlendioxid-Emissionen bis 2020, neunzig Prozent weniger bis zur Mitte des Jahrhunderts, das ist nichts weniger als eine neue industrielle Revolution. Wir ste-hen vor einer Zeit großer Erfindungen und rascher Innovationen in allen Bereichen – eine großartige Gelegenheit für junge Menschen, die die Welt von morgen mitge-stalten wollen.

Wir dürfen weder die Herausforderung noch die Chancen kleinreden, die in einer solchen Transformation liegen. Es gilt, da-für eine Sprache des Aufbruchs zu finden, wie sie auf ihre Weise John F. Kennedy, Wil-ly Brandt, Petra Kelly, der späte Al Gore und jetzt Barack Obama gefunden haben. Politik, die den Bürgern nichts abverlangt, ist Politikversagen. Die Kunst besteht dar-in, den Mut zum Wandel zu mobilisieren. Er kann nur entstehen in einem Klima des demokratischen und sozialen Vertrauens. Reformpolitik, die sich nicht auf die aktive Mitarbeit der Gesellschaft stützen kann, ist zum Scheitern verurteilt. Diese Bereit-schaft zu mobilisieren, den notwendigen Wandel mit Mut und Augenmaß anzuge-hen, dafür sollten wir die Wahlen des kom-menden Jahres nutzen.|

VitaRalf Fücks ist seit 1996 Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung. 1991–1995 Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz in Bremen und Bürgermeister der damals regieren-den Ampelkoaliton. Er ist Mitglied der Grundsatzkommission von Bündnis 90/Die Grünen.

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Agenda ’68 (Sorbonne, Paris)

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26 Was können wir wissen?

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Yes, they Warum eine intakte Sozialdemokratie in Deutschland heute nicht bloß gebraucht wird, sondern sogar erfolgreich wäre.Von Tobias Dürr

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Warum kommt die SPD derzeit bloß so unat-traktiv daher? Liegt es nur an den offen-sichtlichen Defiziten ihrer politischen Füh-rung? Oder sind die ständigen Querelen in der sozialdemokratischen Chefetage um-gekehrt Ausdruck einer viel tiefer reichen-den, die sozialdemokratischen Fundamen­tals betreffenden Misere? Tatsächlich bedingen sich beide Faktoren gegenseitig. Auswege stehen der SPD trotzdem offen. Die Frage ist nur, ob sie noch rechtzeitig imstande sein wird, diese einzuschlagen.

Zunächst: Allzu wahrscheinlich ist es sowieso nicht, dass eine politische Partei, deren Ursprünge tief im 19. Jahrhundert liegen, auch noch 150 Jahre später erfolg-reich ist. Man muss sich schon ab und zu klarmachen, mit welchen historischen Er-eignissen und Prozessen sich die Partei seit ihren Anfängen herumzuschlagen hatte: Industrialisierung und erste Globa-lisierung; ein Weltkrieg, Inflation und De-pression; totalitäre Diktatur, ein weiterer Weltkrieg, verbunden mit beispiellosem Völker mord; deutsche Teilung und Kalter Krieg, dazu in Ostdeutschland die nächste totalitäre Diktatur; westdeutsches Wirt-schaftswunder und fortschreitende Euro-päisierung; innere Liberalisierung und Übergang zur wissensintensiven Dienst-leistungsgesellschaft; ökologische Frage

VitaTobias Dürr ist Chefredakteur der Zeitbegründer des Think Tanks «Das Prog

und neue soziale Bewegungen; Zusam-menbruch des diktatorischen Staatssozia-lismus und deutsche Einheit.

Vom «Ende der Geschichte» (Francis Fukuyama) war dann vor knapp zwei Jahr-zehnten viel die Rede. Zur kollektiven Ge-mütslage der deutschen Sozialdemokratie passten solche beruhigenden Zeitdiagno-sen ganz gut, doch es kam sehr anders. Längst erleben wir die dynamische «Rück-kehr der Geschichte» (Robert Kagan). Fast alle internationalen Rahmenbedingungen verändern sich in dramatischem Tempo. Was das frühe 21. Jahrhundert prägt, sind die – erfreulichen und weniger erfreuli-chen – Folgen der zweiten Globalisierung, der «Aufstieg der Anderen» (Fareed Zaka-ria) von China und Indien bis nach Russ-land, Ostmitteleuropa oder Südamerika, dazu eine globale «Rezession der Demo-kratie» (Larry Diamond), also die aggressi-ve Wiederkehr autoritärer Herrschaftssys-teme. Zudem zeichnen sich globale Klima-, Energie- und Ernährungskrisen ab. Als er-folgreiche Exportnation konnte Deutsch-land vielfach von den Veränderungen der jüngeren Zeit profitieren. Zugleich jedoch liegt auf der Hand, dass das altbundesre-publikanische Wirtschafts- und Sozialmo-dell dringend der ebenso entschlossenen wie kontinuierlichen Erneuerung bedarf,

schrift Berliner Republik (www.b-republik.de) und Mit-ressive Zentrum» (www.progressives-zentrum.de).

um angesichts der Umbrüche und Gefähr-dungen unserer Zeit nicht aus den Angeln gehoben zu werden.

In solcher Lage bedarf der Diskurs der So-zialdemokratie dringend einer auf die Zu-kunft gerichteten «Verzeitlichung», wie sie jüngst der Historiker Jürgen Kocka gefor-dert hat. Weniger die Verteilung bereits er-arbeiteter Leistungen oder Produkte in der Gegenwart gehört heute in den Vorder-grund sozialdemokratischer Politik als die aktive Herstellung von Lebenschancen, Zi-vilität und Wohlstand unter den Bedingun-gen des 21. Jahrhunderts. Auf der Ebene des programmatischen Bekenntnisses ist die SPD hiermit einverstanden; das Prin-zip des «vorsorgenden Sozialstaats» jeden-falls, der energisch in alle Menschen und ihre Fähigkeiten investiert, hat sie in ihrem neuen Hamburger Grundsatzprogramm verankert.

Aber Parteien sind immer auch Erinne-rungs- und Erfahrungsgemeinschaften. Gerade die angeblich so programmverses-sene SPD ist in Wirklichkeit ermattet und steckt tief in der psychodemographischen Falle: Die Mehrheit ihrer bereits vor Jahr-zehnten in die Partei geströmten Mitglie-der und Funktionäre will den offensiven Aufbruch nach vorne im Grunde nicht. Voller Tücke verklären deshalb Lafontaines

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!could Populisten die westdeutsche Republik der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhun-derts zum Sonnenstaat aller rechtgläubi-gen Sozialdemokraten. Dass der Vorsitzen-de der SPD, wenngleich selbst durchaus kein «Altlinker», die defensive, am Status quo ante orientierte Mentalität der sozial-demokratischen Traditionskohorten kon-genial repräsentiert (und sich politisch auf diese stützt), erweist sich als zusätzlicher Bremsklotz.

So könnte die SPD die beträchtlichen Chancen verspielen, die sie besitzt. Ihre in die Jahre gekommenen Kerntruppen und Funktionäre mögen dem progressiven Narrativ einer sozialdemokratischen Le-benschancenpolitik nicht viel abgewinnen, die wirtschaftliche Dynamik, hochwertige Bildungs- und Aufstiegschancen für alle sowie ökologische Nachhaltigkeit als zu-sammengehörig begreift. Paradox ist nur, dass sich der SPD in jüngerer Zeit neue Wähler geradezu aufdrängen, die ganz of-fensichtlich gerade nicht träumerische Nostalgie an die Wahlurne treibt.

Bei allen drei Landtagswahlen des vergan-genen Winters verzeichnete die SPD er-staunliche (und bemerkenswert unkom-mentiert gebliebene) Erfolge unter jungen Wählern zwischen 18 und 24 Jahren. In Hessen legten die Sozialdemokraten in

«Paradox ist, dass sich der SPD in jü

die ganz offensichtlich gerade nicht

dieser Gruppe um volle 15 Prozentpunkte zu, unter Frauen dieses Alters sogar um sa-genhafte zwanzig Punkte. In Hamburg be-lief sich der Zuwachs der SPD in dieser Al-tersgruppe auf neun Prozentpunkte, bei den niedersächsischen Frauen unter 25 Jahren immerhin auf sieben. In Hessen und in Hamburg setzt sich der Positivtrend auch in der nächst höheren Altersgruppe fort: plus 15 Prozentpunkte bei den 25- bis 34-jährigen Frauen in Hessen, plus sechs Punkte in Hamburg. Unter Schülern, Aus-zubildenden und Studenten verzeichnete die SPD in Hessen einen Zugewinn von zwölf Punkten, in Hamburg sogar von 17 Punkten. Damit entschied sich in der Han-sestadt jeder zweite Wähler in Ausbildung für die SPD.

Offensichtlich ist: In den jüngeren Grup-pen unserer Gesellschaft wächst die Nach-frage nach einer modernen und dynami-schen Interpretation sozialer Demokratie für das 21. Jahrhundert. Eine aktive Politik der Lebens-, Bildungs- und Aufstiegschan-cen für alle besäße beträchtliche Attraktivi-tät, die Idee des vorsorgenden Investierens in Menschen und ihre Fähigkeiten genießt wachsende Zustimmung. Was fehlt, ist das dazu passende Politikangebot. Bemüht hat sich die SPD in letzter Zeit zu wenig um die Jüngeren und Bewegungsfreudigen, die

ngerer Zeit neue Wähler geradezu au

träumerische Nostalgie an die Wahl

Aufstiegswilligen und Bil dungshungrigen, die Tatendurstigen und Zuversichtlichen. Im Zentrum sozialdemokratischer Auf-merksamkeit stehen allzu oft vor allem die älteren und männlichen Wähler mit ihren Besitzständen und Verlustängsten. Auch um sie müssen sich Sozialdemokra-ten kümmern – aber eben nicht nur um sie. Die SPD wäre erfolgreicher, wenn sie zugleich als dynamische Partei des Fort-schritts, der Emanzipation und der Erneu-erung agieren würde.

Jedenfalls zeigt das Wahlverhalten der Jüngeren: Der Zeitgeist in Deutschland weht progressiv. Ob allerdings von diesem Zeitgeist die real existierende SPD profitie-ren wird, hängt vom kreativen Agieren ihrer Parteieliten ab. Es ist die Aufgabe wacher Politiker, gesellschaftliche Veränder ungen zu beobachten, neue Bedürfnisse aufzu-spüren und zu politisieren. Mehrheiten werden von Parteien niemals einfach vor-gefunden, sondern immer bis zu einem ge-wissen Grade politisch geschaffen. Nichts anderes tat 1998 Gerhard Schröder, als er mit Erfolg die «Neue Mitte» ausrief, nichts anderes tut Barack Obama derzeit in den USA.

Mehrheits- oder auch nur überlebens-fähig wird die SPD erst wieder, wenn sie sich Zustimmung jenseits ihrer Stamm-wähler und Funktionäre erarbeitet. Je hef-tiger sie sich als defensive Traditionspartei aufführt, desto mehr legitimiert sie die La-fontaine-Populisten. Nötig sind Neugier und Zuversicht, Öffnung und Zuwendung, statt Abgrenzung, Reihenschließen und Nostalgie. Kurz, nötig ist Bewegung und nicht Beharrung. Sucht die SPD ihre Zu-kunft weiter mürrisch im vorigen Jahrhun-dert, statt mit Leidenschaft an einer neuen sozialdemokratischen Mehrheit für unsere Zeit zu bauen, wird ihr irgendwann nie-mand mehr folgen. «Yes, we can» – es ist lange her, seit man Barack Obamas zupa-ckendes Motto so oder ähnlich von deut-schen Sozialdemokraten gehört hat. Vor allem deshalb ergeht es dieser großen al-ten Partei heute so, wie es ihr ergeht. Sie könnte auch anders. |

fdrängen,

urne treibt.»

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28 Was können wir tun?

«Wir sollten nicht zimperlich sein.» Soziale Umverteilung in den privaten

Kon sum oder Investitionen in öffentliche Güter?Von Sibyll Klotz

«Hungern muss hier keiner, ein Land redet sich arm» war der Titel der Talkshow von Anne Will kurz nach der Veröffentlichung des neuen Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung. Dabei be-deutet Armut mehr als fehlendes Geld. Mit Armut geht oft ein ge-sellschaftlicher Ausschluss einher, Armut erschwert die Teilhabe an Bildung, Mobilität, Kultur, aber auch an einem gesunden Le-ben. Soziale Exklusion engt die Wahlmöglichkeiten ein, führt zu Perspektivlosigkeit, zu einem Verlust an Selbstvertrauen und Wür-de, begleitet von der Angst, all diese Nachteile an die eigenen Kin-der weiterzugeben.

Das dramatische Ausmaß an Armut und sozialem Ausschluss, das wir mittlerweile erreicht haben, ist nicht nur auf das Einbre-chen der Gehälter im unteren und mittleren Einkommensbereich und auf die zu geringen Arbeitslosengeld II-Regelsätze zurückzu-führen. Auch zehn Jahre Sparpolitik der öffentlichen Haushalte haben ihre Spuren hinterlassen und die Kluft zwischen Arm und Reich oder besser zwischen denen, die «dazu gehören», und de-nen, die «draußen vor» stehen, vergrößert.

Wir haben es, vor allem in den städtischen Ballungsräumen, nicht nur mit gespaltenen Einkommensverhältnissen zu tun, son-

«Eine wirksame Sozialpolitik darf sich nicht vor die Al

entweder die Regelsätze zu erhöhen oder in Gemeinsch

dern mit gespaltenen Lebenswelten. Wer arm ist, besucht nicht nur andere Kitas und Schulen, wohnt in anderen Stadtvierteln, ist in anderen Sportvereinen, geht zu anderen Ärzten, kauft andere Lebensmittel als die Wohlhabenden. Wer arm ist, hat auch deut-lich schlechtere Chancen, einen guten Schulabschluss zu machen und einen Beruf zu finden. Es sind die Ärmeren, die auf öffentlich finanzierte Gemeinschaftsgüter und Institutionen angewiesen sind. Eltern, die über finanzielle Mittel, Energie und Kontakte ver-fügen, schicken ihre Kinder immer öfter auf Privatschulen, die zurzeit überall wie Pilze aus dem Boden schießen. Von 826 Schu-len insgesamt sind in Berlin 104 Privatschulen, von insgesamt 328 380 Schülern und Schülerinnen sind 23 100 privat eingeschult – Tendenz steigend. Nichts gegen eine Trägervielfalt bei Kitas und Schulen, aber wenn der Grund für deren Boom vor allem die Un-zulänglichkeiten der staatlichen Schulen sind, dann läuft etwas deutlich schief.

Eine wirksame Sozialpolitik darf sich nicht vor die Alternative stellen lassen, entweder die Regelsätze zu erhöhen oder in Ge-meinschaftsgüter zu investieren. Sie muss die öffentlichen Insti-tutionen stärken und reformieren, existenzsichernde Löhne und

ternative stellen lassen,

aftsgüter zu investieren.»

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Gehälter durchsetzen und die individuelle Existenzsicherung ver-bessern, und zwar in dieser Reihenfolge! Die Sozialpolitik muss allerdings auch der Erkenntnis Rechnung tragen, dass ein Groß-teil der sozialen Probleme von heute (z. B. die Verwahrlosung und Vernachlässigung von Kindern oder das höhere Erkrankungsrisi-ko von Migranten und Migrantinnen) nicht durch höhere finanzi-elle Transfers zu lösen ist!

Wir wissen, dass die Weichen für die Zukunft früh gestellt wer-den. Eine erfahrene Kinderärztin sagte mir, dass sie bereits heute wüsste, welchen Bildungsabschluss die fünfjährigen Kinder, de-ren sprachliche, motorische, soziale und emotionale Fähigkeiten sie vor der Einschulung untersucht, erreichen werden.

Was ist notwendig, um diesen Kindern bessere Chancen zu er-öffnen als die auf einen Hauptschulabschluss? Wichtig wäre ein ausdifferenziertes System der Frühförderung. Die Einrichtungen müssen in die Lage versetzt werden, gerade benachteiligte Kinder individuell zu unterstützen. Wichtig wäre ein Schulsystem, das nicht länger auf frühes Aussortieren, sondern auf Gemeinsamkeit und Integration setzt. Wichtig wäre, für jedes Kind die Möglichkeit zu schaffen, ein Instrument zu lernen, Sport zu treiben, an der Klassenfahrt teilzunehmen, in den Ferien schwimmen zu lernen, eine Zahnspange zu bekommen und täglich ein warmes kosten-loses Mittagessen zu haben. Um dies zu verwirklichen, müssen wir neue Finanzierungsquellen erschließen. Dabei sollten wir nicht zimperlich sein: von der Abschaffung des Ehegattensplit-tings bis zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer, vom Schlie-ßen vorhandener Steuerschlupflöcher bis zu einem neuen Inves-titionsbegriff im Haushaltsrecht sind Ansätze vorhanden.

Starke öffentliche Institutionen entstehen allerdings nicht al-lein durch die Aufstockung finanzieller Mittel. Ebenso notwendig ist deren geistige Erneuerung. Dabei geht es um mehr als neue Schulstrukturen. Es geht um Schulen, die eigenständig und ver-antwortlich handeln, wo die Lehrerinnen und Lehrer nicht an ei-nem starren Dienstrecht gemessen und von einer unflexiblen Schulbürokratie gesteuert werden. Sie sollten danach beurteilt werden, was sie für ihre Schülerinnen und Schüler leisten.

Modernisierter öffentlicher Institutionen und guter, für alle zu-gänglicher Gemeinschaftsgüter bedarf es nicht nur im Bildungs-wesen und bei der Betreuung und Erziehung von Kindern, son-dern auch bei der Pflege und Betreuung älterer Menschen, bei der gesundheitlichen Prävention, bei der Mobilität, beim Zugang zu Kunst, Kultur und sportlichen Aktivitäten. Eine Erneuerung des Sozialstaats muss individuelle Armut bekämpfen und Teilhabe für alle ermöglichen und deshalb den Ausbau und die Reform öffent-licher Güter und Dienste in den Mittelpunkt stellen. Die erforder-lichen Investitionen sind nicht nur ein Gebot der Humanität, son-dern auch der ökonomischen Vernunft, denn sie «rechnen» sich, in jeder Hinsicht! |

VitaSibyll Klotz ist seit 2006 Stadträtin für Gesundheit und Soziales in Berlin. Ab 1991 im Berliner Abgeordnetenhaus, zunächst als Vertreterin des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV), ab 1995 als Mitglied für Bündnis 90 / Die Grünen. Die Philosophin war Fraktionsvorsitzende, arbeitsmarkt- und frauenpolitische Spre-cherin und 2004/05 Vorsitzende der Enquetekommission «Eine Zukunft für Berlin».

So|li|da|ri|tät, die; altes Lied, weil Grundlage menschli-chen Zusammenlebens; schon bei Aristoteles ist der Mensch nicht gern allein und also ein geselliges Lebewesen (zoon politikon); als Forderung von Politik für die Neuzeit von der Französischen Revolution («Fraternité») entdeckt und von K. Marx und F. En-gels zur politischen Waffe der Arbeiterbewegung umgeschmiedet («Proletarier aller Länder, vereinigt euch!»), die in ihrer inter-national ausgerichteten Organisation (Internationale Arbeite-rassoziation, Zweite Internationale) eine globalisierende Pers-pektive einnahm, bevor diese Perspektive modisch wurde (Globalisierung); in ihrer Institutionalisierung immer wieder um-stritten («Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten») und atta-ckiert durch partikulare Interessen; Herausbildung symbolischer (S.sadressen, etwa an Teilnehmer revolutionärer Kämpfe) und praktischer Formen (Streik) im 20. Jh.; zunehmend schwereres Los in Zeiten des internationalen Finanzkapitalismus, was das Überleben der S. selbst im Reservat der Gewerkschaften er-schwert (Globalisierung); in der Ellenbogengesellschaft degra-diert zum Werbeslogan des Versicherungswesens («Gemeinsam sind wir stark»); als Idee eigentlich nur noch beim geselligen Bei-sammensein von SPD-Mitgliedern in Form alter Lieder hochge-halten («Wann wir schreiten»). Matthias Dell

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Links Mitte Rechts ist gestern.

Die grünen Themen sind im Zentrum angekommen Von Kai Klose

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«Was bedeutet heute links?» – mit dem Ver-such einer Antwort ließen sich ganze Bü-cher füllen. «Wie links waren und sind die Grünen?» – darüber lassen sich zumindest inspirierende Streitgespräche inner- und außerhalb der Partei führen.

Die Grünen waren zunächst ein Sam-melbecken engagierter Menschen, die ihre Vorstellungen von Demokratie, einer sozi-alen, geschlechtergerechten und friedli-chen Gesellschaft und einer radikalen Um-weltpolitik in keiner der bestehenden Parteien wiederfanden. Es waren Herzens-anliegen, die sie zusammenführten, nicht

– wie in klassisch-linken Parteien üblich – eine gemeinsame Vorstellung von einem komplexen Gesellschaftssystem.

Gleichzeitig waren die Grünen in ihrem Selbstverständnis nie eine Partei der Mitte. Ihre Forderungen und ihr Auftreten rück-ten sie zunächst eher an den Rand der Ge-sellschaft, ihr provozierender Habitus und ihre als extrem empfundenen Forderungen wurden als «links» interpretiert und medi-al transportiert (auch, weil wichtige Medi-en bürgerlich-konservativ verortet waren und ihr Feindbild pflegten). Dieses Image zog klassisch linke Mitglieder, Wähler und Wählerinnen an, während manch «bürger-licher» Umweltschützer die Partei verließ.

Die «Linkspartei» hingegen entstammt einer ganz anderen Tradition. Die legen-dären Flügeldebatten und Auseinander-setzungen innerhalb der Grünen legen Zeugnis davon ab, aus welch unterschied-lichen Perspektiven Herausforderungen angegangen wurden und es ist eine der Leistungen unserer Partei, dass sie diese schmerzhaften Konflikte ausgetragen und ausgehalten hat. Wer dagegen einen Par-teitag der «Linkspartei» miterlebt hat, kennt die völlig andere, kaderparteigleiche Kultur, die dort herrscht. Gleichzeit mutet es absurd an, dass 19 Prozent der Mitglie-der einer Partei, die die politische Gesäß-geographie bereits im Namen trägt, ihre Partei für eine «Partei der Mitte» halten.

Dieser Verortung entziehen sich die Grünen. Nach wie vor binden sie Men-schen mit sehr unterschiedlichen Grund-sätzen und Weltanschauungen, die sich aber alle als «grün» definieren. Sie eint das Bekenntnis zu den gleichen Werten und diese durchbrechen das überkommene Rechts-Links-Schema. Weniger die Partei als ihre Themen sind in der Mitte der Ge-sell schaft angekommen: Unsere Interpre-tation von Umwelt- und Klimaschutz, von der Gleichstellung der Geschlechter und der Chancengerechtigkeit im Bildungssek-

tor werden von Menschen unterstützt, die aus unterschiedlichen Bereichen der klas-sischen Rechts-Links-Achse kommen. In vielen Kommunen, und jüngst auch in Hamburg, können wir uns souverän zu Ko-alitionen jenseits der politischen Lagerzu-gehörigkeit bekennen, um unsere Themen voranzubringen. Wenn «Es kommt auf die Inhalte an» mehr als ein Lippenbekenntnis ist, dann sind wir mit allen demokrati-schen Parteien koalitionsfähig.

Gerade die Erfahrung des hessischen Landtagswahlkampfs, der seitens der SPD skrupellos auf grüne Kosten geführt wurde, zeigt, dass es uns nur anzuraten ist, die selbstgewählte Gefangenschaft im ver-meintlich «linken Lager» durch selbstbe-wusstes Agieren entlang unserer Inhalte aufzubrechen: Unsere Traditionslinie ist es, an morgen zu denken, den anderen (min-destens) einen Schritt voraus zu sein, durchaus auch, heute radikal erscheinen-de Forderungen aufzustellen, wenn wir von ihrer Richtigkeit überzeugt sind. Ver-harrten wir darin, uns immer wieder der Zugehörigkeit zu einem politischen Lager zu vergewissern, so machten wir uns über-flüssig. Die vierte Dimension der politi-schen Geometrie ist grün: Links, Mitte, Rechts ist gestern. Morgen ist grün. |

VitaKai Klose ist seit 2004 Politischer Geschäftsführer der hessischen Grünen und war deren Wahlkampfmanager im zurückliegenden Landtagswahlkampf. Weitere Informationen: www.kai-klose.de

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Dem Wandel eine Richtung gebenGrün als Orientierungsfarbe einer Politik, die Gerechtigkeits-anspruch mit Veränder ungswillen verbindet.Von Peter Siller

Mit den dramatischen Veränderungen des Parteiengefüges, insbesondere durch den Einzug der «Linkspartei» in westdeutsche Landesparlamente, hat sich auch die Lage der Grünen drastisch geändert. Da es in vielen Fällen für keines der bislang «klassischen» Bündnisse – Rot-Grün oder Schwarz-Gelb – mehr reicht, kommt den Grünen einen Schlüsselrolle bei der Herstellung von Drei-erbündnissen zu, ganz gleich ob Ampel, Rot-Rot-Grün oder Jamaica. Die Grünen geraten damit in die Rolle einer «Funkti-onspartei», des notwendigen Mehrheits-beschaffers. So verwundert es nicht, dass der geschäftsführende Ministerpräsident Koch – schon kurz nach einem agressiven Wahlkampf gegen die «Al-Wazir-Grünen» – durch die Lande zog und die Nähe zu den Grünen beschwor, während zugleich die hessische «Linkspartei» beteuerte, eine rot-grüne Minderheitsregierung ohne Be-dingungen zu wählen. Gleichzeitig koaliert in Hamburg eine CDU offenherzig mit den Grünen, die vor nicht allzu langer Zeit in der Schill-Partei den geeigneten Koaliti-onspartner sah. Neue Unübersichtlichkeit in der Politik und ein Ende ist nicht in Sicht. Die grüne Schlüsselposition ist dabei Se-gen und Fluch zugleich, denn zum einen ergeben sich neue Macht- und Gestal-

Vita & PulikationenPeter Siller ist Leiter der AbteilungPlanungsstabes im Auswärtigen Am polar. Ausgewählte Veröffentlder Programmpartei» (2002), «Arbe

tungsoptionen, zum anderen zieht sie ei-nigen Klärungsbedarf nach sich. Status quo vadis?

Nebeneinanderstellen und Anordnen im Fünf-Parteien-System

Es ist unvermeidbar, dass eine Partei, die sich in einem solch rasanten Transformati-onsprozess befindet, viele ihrer Anhänger verunsichert. Die große Frage ist deshalb nicht, wie sich Turbulenzen vermeiden lassen, sondern wie sich die Grünen auf mittlere Sicht in der neuen Situation be-heimaten und stabilisieren können. Der Weg der strategischen Öffnung und der neuen Bündnisse lässt sich dabei nur er-folgreich bestehen, wenn sich zugleich deutlich machen lässt, worin das eigene inhaltliche Zentrum besteht. Nur wenn die Grünen keinen Zweifel an ihrem «ideellen Rückgrat» lassen, wenn ihre Grundpositi-on transparent ist, kann die Entscheidung für die eine oder andere Bündnisoption als nachvollziehbarer, sinnvoller Kompromiss verstanden werden.

Das Auseinander-Driften von «sozial-konservativem Flügel» und «Modernisie-rer-Flügel» ist in allen Parteien sichtbar und kein grünes Spezifikum. Alle Parteien stehen vor der Aufgabe, die wachsenden

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Inland der Heinrich-Böll-Stiftung. Zuvor Mitglied des t. Er ist außerdem leitender Redakteur der Zeitschrift ichungen: «Politik als Inszenierung» (2000), «Zukunft it der Zukunft» (2006).

Spannungen und Widersprüche auszuba-lancieren und gleichzeitig aus dem Zent-rum eine kohärente und attraktive Positi-on zu entwickeln. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach dem inhaltlichen Zentrum für die Grünen auf spezifische Art und Wei-se. Für kleinere Parteien kommt es mehr noch als für Volksparteien, die eine größe-re Spannbreite an gesellschaftlichen Mili-eus repräsentieren – darauf an, klare und pointierte Impulse zu geben, als Antreiber, als «Schnellboote» vor den großen «Tan-kern». Allerdings stehen die Grünen nach wie vor vor der großen Aufgabe – jenseits des Mega konsensus in der ökologischen Frage, der die Grünen seit den Gründungs-jahren zusammenschweißt –, eine gemein-same wirtschafts- und sozialpolitische Grundposition einzunehmen.

Es besteht die Chance, das Label «grün» zur Signalfarbe einer Politik der ökologi-schen und sozialen Erneuerung zu ma-chen. Aufgrund des wachsenden gesell-schaftlichen Bewusstseins für die Dramatik des Klimawandels hat «grün» das Potenzial zu dieser Orientierung. Die spezifische grüne Aufgabe könnte darin liegen, den Zusammenhang von Sicherheit und Wan-del zu vermitteln: Soziale Sicherheit lässt sich nur organisieren, wenn die Gesell-

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schaft die Kraft zur Veränderung aufbringt – von der drängenden ökologischen Frage bis zum Bildungssystem. Diese Kraft lässt sich jedoch nur aufbringen, wenn die Poli-tik die Gründe für die Veränderungen plau-sibel macht und die Sicherheit organisiert, um diesen Weg der Veränderung beschrei-ten zu können.

«Der Ausgangspunkt auf der Suche nach dem ideellen Zentrum

politischer Praxis kann nur die Gerechtigkeit sein.»

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2. Eine Idee von Gerechtigkeit und Freiheit

Der Ausgangspunkt auf der Suche nach dem ideellen Zentrum politischer Praxis kann nur die Gerechtigkeit sein. Gerech-tigkeit verstanden als ein erster Orientie-rungspunkt, wie sich die Menschen als Freie in einem Gemeinwesen begegnen, welche Freiheiten sie reklamieren und wel-che Ansprüche sie erheben können. Ge-rechtigkeit ist dabei – auf Grund einer Viel-zahl von Deutungsmöglichkeiten – nur als interpretierter Begriff genießbar. Der grü-ne Ansatz der «Erweiterten Gerechtigkeit» steht für den Versuch einer solchen Interpretation.

Gerechtigkeit kann sich in einer eman-zipatorischen Lesart nur auf die Freiheit des Einzelnen und damit auf gleiche, reale Verwirklichungschancen für jeden bezie-hen. Gerechtigkeit ohne ein hohes Be-wusstsein für den Wert von Freiheit und Selbstbestimmung ist nichts wert – und das unterscheidet die Grünen sichtbar von anderen Parteien. Gerechtigkeit meint Parteinahme für die sozial Benachteilig-ten und steht damit gegen soziale Exklusi-on. Die Aushandlung von Gerechtigkeit als gleicher Freiheit obliegt einer starken Demokratie. Und: In der Ökologie liegt eine entscheidende Voraussetzung für Ge-rechtigkeit und Selbstbestimmung der Zukunft. Die ökologische Frage ist eine der großen sozialen Fragen des 21. Jahrhun-derts und es obliegt der Farbe «grün», dies zu signalisieren.

3.« Linksruck» und Restauration

Mit Blick auf den allseits diagnostizierten «Linksruck» bestehen erhebliche Zweifel,ob all die dahinterstehenden Sicherheits-bedürfnisse tatsächlich in einem emanzi-patorischen Sinn auf Gerechtigkeit zielen,oder nicht vielmehr zu einem Teil auf Re-

gression bis hin zu Xenophobie und Natio-nalchauvinismus. Zumindest fällt auf, dass die «Zeitgeist-Wende» der letzten Jahre eine Vielzahl an Elementen in sich trägt, die genauso dem Vokabular einer restaura-tiven und kulturpessimistischen Rechten entstammen könnten. Die Angst vor Ver-änderung, die der «Konservative» ja schon im Namen trägt, steht Pate für die Grund-psychologie der traditionellen Linken in Deutschland. Und so liest sich das Wahl-programm der «Linkspartei» wie die große Restauration der bundesrepublikanischen Verhältnisse in den achtziger Jahren vor dem Zerfall der Blöcke. Die Reden von Kurt Beck klingen auch nicht viel anders. Wo die emanzipative Linke früher die Verhält-nisse zum Tanzen bringen wollte, steht heute eine Linke, die aufpasst, dass sich keiner bewegt.

Die Linke hatte in Deutschland – wie Zeit-Redakteur Jörg Lau zu Recht feststellt – immer ein Janusgesicht: emanzipatorisch und antiautoritär auf der einen Seite, pro-tektionistisch und restaurativ auf der an-deren. Heute haben wir es nicht in erster Linie mit einer Emanzipationslinken zu tun. Der neue Linksruck hat auffällig we-nig mit Aufbruchsgeist und viel mit Verun-sicherung und Restaurationsbedürfnis zu tun. Viele bewahrende, linkskonservative Motive mischen sich darin: die Sehnsucht nach dem alten Sozialstaat, die Angst vor Veränderung, die Versuchung des Rück-zugs aus einer komplexen und als feind-lich empfundenen Welt.

4. Veränderung und Orientierung

Das Anwachsen dieses angstgetriebenen Sicherheitsbedürfnisses verwundert dabei nicht – weder mit Blick auf die ökonomi-sche, technologische und kulturelle Be-schleunigung der Verhältnisse im globalen Maßstab, noch mit Blick auf die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Reformerfah-rungen in der Bundesrepublik. Unabhän-gig davon, welche Elemente der Agenda 2010 richtig waren und welche nicht: Es ist der Schröder-Regierung in der zweiten Le-gislatur der rot-grünen Koalition kaum ge-lungen, die angestrebten Veränderungen als Gerechtigkeitsanliegen deutlich zu ma-chen. Stattdessen bezog man sich auf ei-nen hohl drehenden Pragmatismus und verband das mit einer McKinsey-Plastik-sprache. Nur so ist zu verstehen, dass der Begriff der «Reform» überhaupt zuneh-mend auf gesellschaftliche Ablehnung stieß und Misstrauen gegen jede Veränderung entstand.

Nur: Das ändert nichts daran, dass aus der beschriebenen Perspektive von Ge-rechtigkeit und Selbstbestimmung einzel-ne Reformzumutungen der Agenda 2010 richtig waren und zahlreiche andere Ver-änderungen im Sinn einer Strategie der Parteinahme für Prekäre, Ausgeschlossene und Abgehängte notwendig gewesen wä-ren. Das gilt auch heute: Eine Politik der Gerechtigkeit, der es auf eine Strategie der Teilhabe und sozialen Inklusion ankommt, kann weder in der Restauration noch in der Verteidigung des Status quo bestehen, sondern braucht den Mut zur Veränderung hin zu mehr Teilhabe und verbesserten re-alen Verwirklichungschancen, hin zu einer Lösung der ökologischen Frage, die sich als eine der großen sozialen Fragen dieses Jahrhunderts herausstellt.

Gerechtigkeit verstanden als Parteinah-me für die sozial Benachteiligten und Ge-fährdeten braucht eine dynamische und in diesem Sinne auch eine optimistische Grundhaltung, als sie an die Kraft der von ihr vorgeschlagenen Veränderungen zum Besseren glaubt.

Die Glossar-Autoren

Vita & PublikationenGert Koenen ist Historiker und Publizist. Zurzeit Fellow am Freiburg Institute of Advanced Studies (FRIAS) mit einem Projekt zur Geschichte des Kommunismus. Veröffentlichung: Im August 2008 erscheint bei Kiepenheuer & Witsch sein neues Buch «Traumpfade der Welt-revolution – Das Guevara-Projekt».
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Die Glossar-Autoren

Nimmt man beides zusammen: den Ge-rechtigkeitsanspruch und die daraus abge-leiteten Veränderungsnotwendigkeiten, so lässt sich folgende Grundsequenz festhal-ten: Soziale Sicherheit für alle braucht Ver-änderung. Und Veränderung braucht sozi-ale Sicherheit für alle, als Leitstern der Veränderung wie als Voraussetzung, den Wandel mittragen zu können. Leitsatz: «Wir geben dem ökologischen und sozia-len Wandel eine Richtung.» Etwas vereinfachend: Hat der Stillstand der Kohl-Jahre und jetzt wieder der Großen Koalition gezeigt, dass es ohne Wandel kei-ne Gerechtigkeit geben kann, so haben uns die rot-grünen Jahre gelehrt, dass Verände-rung die klare und verständliche Bezug-nahme auf Gerechtigkeit und Selbstbe-stimmung braucht. Das eine ist ohne das andere nicht sinnvoll zu haben. Und nur wem es gelingt, beides glaubhaft zu ver-binden, kann für sich ernsthaft beanspru-chen, etwas im Sinne von mehr Gerechtig-

keit zu bewirken. Insoweit ist der Begriff der «Modernisierungslinken» als Orientie-rungsbegriff interessant. In ihm verbindet sich auf plakative Weise der Gerechtig-keitsanspruch mit dem Bewusstsein für notwendige Veränderungen.

Im Rahmen einer solchen Strategie soll-te es auch darum gehen, eine andere Form des Politischen zu verkörpern. Die politi-schen Protagonisten sollten nicht unter-stellen, dass sie in jedem Fall die Lösung schon parat hätten. Vielmehr sollten sie den Bürgerinnen und Bürgern glaubhaft vermitteln, dass es sich um eine gemeinsa-me Suche nach und einen gemeinsamen Weg hin zu mehr Gerechtigkeit und Selbst-bestimmung handelt.

Auch sollte es einer Parteipolitik, die Gerechtigkeit mit Veränderung verbindet, darum gehen, ihre Selbstbezüglichkeit zu überwinden und ihren Fokus auf die Ver-stärkung eines «allgemeinen» gesellschaft-lichen Anliegens zu richten. Eine Pointe

des grünen Gerechtigkeitsanspruchs liegt darin, alle Betroffenen jenseits der be-kannten Klientelpolitik ins Spiel zu brin-gen. Eine der entscheidenden Aufgaben ist es dabei, die Interessen ans Tageslicht zu bringen und zu unterstützen, die keine Lobby haben. Grüne Politik zielt in diesem Sinn auf das «Allgemeine». Parteien sind nach diesem Anspruch nicht einfach wei-tere Interessengruppen, sondern haben die Aufgabe, Interessen mit Blick auf Ge-rechtigkeit und Fairness zu transformie-ren. Parteien sollten ihren Streit nicht als Streit zwischen unterschiedlichen Interes-sengruppen, denen sie sich verpflichtet fühlen, begreifen, sondern als Auseinan-dersetzung zwischen unterschiedlichen Kon zeptionen von Gerechtigkeit und Ge-meinwohl. Hier gibt es erhebliche Unter-schiede, und es wäre wichtig, diese her-auszuarbeiten. |

VitaMatthias Dell ist Kulturredakteur bei der Wochenzeitung Freitag.

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Vita & PublikationenJan Engelmann ist Kulturreferent der Heinrich-Böll-Stiftung. Berufliche Erfahrungen als Verlagslektor, Pressesprecher und Kommunikationsdienstleister im Bereich Corpo-rate Publishing. Langjährige journalistische Tätigkeit für Spex, TAZ und Literaturen Veröffentlichung: Herausgeber von «Die kleinen Unterschiede. Der Cultural-Studies-Reader» (1999), «Botschaften der Macht. Der Foucault-Reader zu Diskurs und Medien» (1999) sowie Mitherausgeber des «Kursbuch Arbeit» (2000).

Klas|sen|kampf, der; Klassiker und Kassenschlager, insbe-sondere für die Megaphon-Industrie und angeschlossene Sparten des Polit-Merchandisings; bei den Weißbärten des Weltwissens noch als historisch notwendiges Ärger-Management angesehen, das der ungleichen Verteilung von Produktionsmitteln mit einer ent-sprechenden Stressabfuhr begegnen sollte; 1968 gern als Parole benutzt, um die verdrängte Seite eines erstaunlich effizient ope-rierenden Wohlfahrtsstaats in Erinnerung zu rufen; dabei verstieg sich der kultivierte Herkunftshass von Bürgerkindern nicht selten zu der Annahme, der Arbeiterklasse unbedingt zeigen zu müssen, wo der Bartel den Most holt; nach dem Wegfall der Systemopposi-tion wurde der K. zeitweilig zum Ladenhüter – ein entsprechendes Klassenbewusstsein schien unter dem Primat modischer Distink-tionen und Style Wars verzichtbar – selbst Polo war nun für den Pöbel erschwinglich; zur Jahrtausendwende begründen gelangweil-te Soziologen neue revolutionäre Subjekte, darunter die «Kreative Klasse», die ihre Plug & Play-Welt gegen die Discounter-Tristesse der «Ausgeschlossenen» verteidigen muss; plötzlich wirkt das 21. wieder so kampfbereit wie das frühe 20. Jh., was aber die politische Klasse nicht von ihrem sozialhygienischen Pfad der permanenten «Nachbesserung» abbringen dürfte; insofern hatten jene Propheten recht, die dereinst dekredierten: «Klassen, die bellen, beißen nicht!» Jan Engelmann

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Sonne sorgt für warme LuftGeht es um solarthermische Anlagen, stehen wie selbstverständ-lich Solarkollektoren im Mittelpunkt, die ein Wasser- Zirkulationssystem mit regenerativer Wärme versorgen. Doch seit Jahren sind ebenso Solar-Luft-Systeme im Einsatz, die vor allem in großvolumigen Gebäuden erstaunlich hohe Einspa-rungen im Bereich Heizung/Lüftung vorweisen können. Von Siegfried Schröpf

Dabei ist die solare Lufterwärmung kein neuer Spleen im Reigen der Ideen zur effizienten Energieeinsparung: beispielsweise ist seit etwa 15 Jahren eine 180 m² große Solar-Luft-Kollektoranlage für den Turnhallenkomplex des Münchener Karlsgymnasiums in Betrieb, im Winter zum Heizen und Lüften, im Sommer zur Er-wärmung des Duschwassers. Das Resultat ist eine beachtliche Halbierung des durchschnittlichen Verbrauchs um 22.400 m³ Erd-

gas/Jahr. Weil es sich hier um ein vom Bund gefördertes mehrjäh-riges Forschungsprojekt handelt, wurden die Verbrauchs- und Leistungsdaten über diesen Zeitraum genau verfolgt.

Besonders gut geeignet für den Einsatz von Luftkollektoren sind Schwimmhallen: 70 % des Wärmebedarfes eines Hallenba-des werden für Erwärmung und Entfeuchtung der Hallenluft auf-gewendet. Vor allem wegen der ganzjährig geforderten Lufttem-peratur von 30°C können die Solargewinne auch im Sommer fast vollständig genutzt werden.

Als Beispiel sei hier das Stadtbad in Plauen angeführt. Die not-wendige Warmluft wird zum großen Teil über eine 110 m² große Solar-Luft-Kollektoranlage auf dem Dach der neuen Schwimm-halle erzeugt. Zusammen mit der nachgeschalteten Wärmerück-gewinnung wird der Lüftungswärmebedarf weitestgehend abge-deckt. Der Wärmeverbrauch sank hier um 100.000 kWh. Insgesamt wird das Gebäude jetzt zu 32 % mit ökologisch erzeugter Energie versorgt.

Prinzip der solaren Lufterwärmung

Die Vorteile von Solar-Luft-Systemen liegen in der schnellen An-laufzeit, der geringen Vorlauftemperatur – selbst bei bedecktem Himmel wird die für einen effektiven Heizbetrieb notwendige Temperatur bereits erreicht – sowie im Trägermedium selbst: Zwar ist Luft kein optimaler Wärmespeicher, aber sie erwärmt sich rela-tiv schnell und lässt sich einfach verteilen; dabei friert sie weder ein, noch kann sie überkochen. In Sommer- und Übergangszeiten kann das notwendige Brauchwasser über einen Luft-Wasser-Wär-metauscher erwärmt werden.

Solar-Lüftung auch fürs Eigenheim

Die Technologie der Solar-Luft-Systeme beschränkt sich aber nicht nur auf große Zweckbauten, sondern kann ebenso in Ein- und Zweifamilienhäusern Verwendung finden. Dabei spielt es keine Rolle, mit welchem System das Gebäude konventionell be-heizt wird. Vor allem im Zeitalter hermetisch dichter und hoch-gradig wärmegedämmter Gebäude gilt es die erforderlichen Luft-wechselraten sicher zu stellen. Ein solares Zuluftsystem kann

auch hier regenerativ erwärmbringen.

Siegfried Schröpf ist geschäfts-führender Gesellschafter der GRAMMER SOLAR GmbH in Amberg, www.grammer-solar.de

te frische Luft in die Wohnräume

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Zeitgeschichte in der Heinrich-Böll-Stiftung Die Behandlung zeitgeschichtlicher The-men in der Heinrich-Böll-Stiftung vermittelt historisches Wissen mit dem Anspruch, Ge-sellschaft, Politik und staatliche Verfasstheit als historisch bedingt zu begreifen. Wir fördern die Entwicklung individueller Freiheitsrechte, unterstützen Emanzipationsbewe-gun gen und regen Debatten rund um das Thema «Gerechtigkeit» an.Jüngstes Thema waren die Wendezeiten 1968 und 1989. In mehreren internationalen Veranstaltungen ging die Stiftung der Frage nach den Folgen der Proteste und den Demo-kratiepotenzialen in Ost und West heute nach. Aktuelle Publikation: «1968 revisited – 40 years of protest movements.» Hrsg. vom Brüsseler Büro der Heinrich-Böll-Stiftung (in engl. und frz. Sprache). Mit Beiträgen u.a. von Marcelo Ridenti, Teresa Bogucka, Alex-ander Julijewitsch Daniel, Wolfgang Templin, Bill Nasson, Nebojša Popov, Benoît Lechat und Interviews mit Daniel Cohn-Bendit und Klaus Meschkat. Band 7 der Reihe Demokra-tie der Heinrich-Böll-Stiftung, Brüssel 2008, 67 Seiten, Download unter: www.boell.de

Reihe: Religion und Politik Religion ist wieder ein öffentliches Thema und zu einer kul-turellen Frage unserer Zeit geworden. Beeinflusst die Religion die Politik? Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Demokratie und religiösen Gemeinschaften und Überzeugun-gen? Müssen gesellschaftlich verbindliche Normen religiös begründet werden? Und wie kön nen moderne Gesellschaften religiös plural gestaltet werden? Fragen wie diese haben eine Flut von Kommentaren und Debattenrunden ausgelöst. Die Reihe «Religion und Poli-tik» widmet sich dem Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Verfasstheit, religiösen Ins titutionen, Glaubensgemeinschaften und Glauben in pluralistischen modernen Ge sell-schaften.

Reihe: Neue Stichworte zur geistigen Situation der Zeit 30 Jahre nach dem Erscheinen der «Stichworte zur geistigen Situation der Zeit» (hrsg. von Jürgen Habermas im Suhr-kamp-Verlag) nimmt die Heinrich-Böll-Stiftung das Experiment wieder auf und fragt In-tellektuelle nach den zentralen gesellschafts- und kulturdiagnostischen Stichworten unse-rer Zeit. Was im Einzelnen assoziativ sein mag, könnte als Ganzes Licht werfen in das Dunkel der gesellschaftlichen Situation. Nach den bereits gelaufenen Veranstaltungen zu den Stichworten Anerkennung (Axel Honneth), Beschleunigung (Hartmut Rosa), Chancen (Ulrich Beck), Differenz (Erol Yildiz), Eigentum (Rainer Kuhlen), Familie (Uta Meier-Gräwe) und Freundschaft (Martin Hecht) stehen als nächstes die Begriffe Gerechtigkeit, Herrschaft, Identität, Jetzt und Sicherheit auf dem Programm.

Reihe: Zeitgeschichte im Gespräch Die Reihe läuft bereits seit einigen Jahren und greift in Kooperation mit Verlagen und anderen Institutionen aktuelle politische Kontroversen auf, die sich auf die Grundlagen von Gesellschaft und Politik beziehen. Jüngste Publika-tion: «Hannah Arendt: Verborgene Tradition – unzeitgemäße Aktualität?» Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung im Akademie Verlag, Berlin 2007, 372 Seiten, 49,– Euro

Mehr Infos zu den Veranstaltungen der Heinrich-Böll-Stiftung unter www.boell.de

Veranstaltungen

Sonne, Wind & Wir – Klimatour 2008 Die Heinrich-Böll-Stiftung und Motor Entertainment geben in den Sommermonaten dem Klimaschutz eine Bühne. Mit dabei Wir sind Helden, Mia, KLEE, Rainer von Vielen, Klima-Aktivisten, Wissenschaftler u.a.m. Termine, Musik, Spiele, Filme, Infos und mehr auf www.sonnewindundwir.de

Außenpolitische Jahrestagung:

Werte und Interessen in der Außenpolitik 11. – 12. September 2008 in der Beletage der Heinrich-Böll-StiftungInfo Marc Berthold, [email protected]

Tagung:

European Governance of MigrationThe Political Management of Mobility, Economy & Security 17.–19. September in der Beletage der Heinrich-Böll-StiftungInfo Mekonnen Mesghena, [email protected]

Kongress:

Zukunft der Demokratie2.–3. Oktober, Hochschule für Künste, BremenInfo [email protected]

Tagung:

Ökologische Marktwirtschaft in Europa und in den USA – Perspektiven strategischer Allianzen8.–9. Oktober in der Beletage der Heinrich-Böll-Stif-tung Info Sebastian Wienges, [email protected]

Reihe: Neue Stichworte zur geistigen

Situation der Zeit #8

GerechtigkeitMit Rainer Forst, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Frankfurt/Main16. Oktober 2008, Berlin, Heinrich-Böll-StiftungInfo Michael Stognienko, [email protected]

Website

www.boell.de/parteiendemokratie – Debatte zur neuen politischen Farbenlehre. Mit Beiträgen von Hartmut Bäumer, Franziska Brantner, Tobias Dürr, Ralf Fücks, Antje Hermenau, Gero Neugebauer, Dieter Rulff, Jens König, Peter Siller und Helmut Wiesenthal.

Publikationen

Zur Lage der Welt 2008Auf dem Weg zur nachhaltigen Marktwirtschaft?Hrsg. vom Worldwatch Institute in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und Germanwatch im Verlag Westfälisches Dampfboot Münster 2008, 336 Seiten, 19,90 Euro

Schriften zu Europa, Band 3

ERENE – Eine Europäische Gemeinschaft für Erneuerbare EnergienEine Machbarkeitsstudie von Michaele Schreyer und Lutz Mez Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin, Mai 2008, 96 Seiten

Kapitalismus 3.0 Ein Leitfaden zur Wiederaneignung der GemeinschaftsgüterVon Peter Barnes. Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung im VSA-Verlag Hamburg, September 2008, 208 Seiten, 18,80 Euro

Bisher sind u.— a. erschienen:

— Grüne Marktwirtschaft Die große Transformation

— China Volksrepublik China – Republik des Volkes?

— Die neue Welt(un)ordnung Außenpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges Biodiversität Bedrohung und Erhalt

weitere Infos und zu bestellen unter: www.boell.de/thema

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Re|vo|lu|tion, die; große Sache, was schon daran zu erkennen ist, dass der Begriff auch in der Astronomie Anwendung findet, etwa für die Bewegung der Sonne um die Erde; die Vorsilbe «re» des lat. Ursprungs-worts (revolutio = zurückdrehen, umdrehen) deutet an, dass es sich anfangs um eine restaurative Angele-genheit gehandelt hat; siehe: Glorious R. in England 1688/89; R. ist als Begriff seitdem salonfähig für weltweite Umsturzbewegungen (Französische R., Märzr. u.a.), die neue politische Verhältnisse mit sich bringen; marxistisch-leninistisch aufgefasst führt die R. zwangsläufig zu Höherem, was durch die Praxis aller dings widerlegt wurde (Oktoberrevolution, Zusammenbruch der Sowjetunion); China lehrt, dass die R. nicht immer von den benachteiligten Schichten ausgehen muss (Kulturrevolution); Zweifel an der Tief-gründigkeit des Begriffs nährt die Inflation seiner Verwendung in zahllosen Disziplinen (Soziologie, Tech-nik, Sexualität usw.); daher macht es die Geisteswissenschaft seit einiger Zeit ein paar Nummern kleiner, indem sie ihre wechselnden Moden turn oder schlichter Paradigmenwechsel nennt; zuletzt eher folklo-ristisch-poetische Verwendung bei jedem Machtwechsel in demokratisch weniger avancierten Ländern (Nelkenr., Rosenr., Orangene R.). Matthias Dell

Die Heinrich-Böll-Stiftung ist eine Agentur für grüne Ideen und Pro­jekte, eine reformpolitische Zukunftswerkstatt und ein internationa­les Netzwerk mit weit über hundert Partnerprojekten in rund sechzig Ländern. Demokratie und Menschenrechte durchsetzen, gegen die Zerstörung unseres globalen Ökosystems angehen, patriarchale Herr­schaftsstrukturen überwinden, in Krisenzonen präventiv den Frieden sichern, die Freiheit des Individuums gegen staatliche und wirtschaft­liche Übermacht verteidigen – das sind die Ziele, die Denken und Han deln der Heinrich­Böll­Stiftung bestimmen. Sie ist damit Teil der «grünen» politischen Grundströmung, die sich weit über die Bundes­

republik hinaus in Auseinandersetzung mit den traditionellen politi­schen Richtungen des Sozialismus, des Liberalismus und des Konser­vatismus herausgebildet hat.

Organisatorisch ist die Heinrich­Böll­Stiftung unabhängig und steht für geistige Offenheit. Mit 27 Auslandsbüros verfügt sie über eine weltweit vernetzte Struktur. Sie kooperiert mit 16 Landesstiftun­gen in allen Bundesländern und fördert begabte, gesellschaftspoli­tisch engagierte Studierende und Graduierte im In­ und Ausland. Heinrich Bölls Ermunterung zur zivilgesellschaftlichen Einmischung in die Politik folgt sie gern und möchte andere anstiften mitzutun. www.boell.de