TELE_Mein Ziel - das Tessin_CH_February 2013

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22 23 M it Tempo hundert fahren sie an einem Juwel vorbei: Die Basler, Berner, Aargauer, Solothurner, Luzerner, Zürcher und all die anderen. Auf der A2 fahren sie durch das Mendri- siotto Chiasso und ihrem Ferienziel entgegen: Dem ach so schönen Italien ennet der Grenze. Dabei würde es sich gerade hier loh- nen, den Blinker zu stellen und rechts rauszufahren. Hier, im südlichsten Zipfel des Tessins, in dieser anscheinend Das Mendrisiotto, kurz vor Chiasso, ist der unbekannteste Flecken Tessin. Versteckt hinter Autobahn und Industrie verzaubern grandiose Kultur, Weinkeller und Dinosaurier neugierige Ferienhungrige. Text: Sonja Hüsler Mein Ziel – das Tessin! Musikalische Reise durch das Tessin SO | 3. März | 20.15 | Hessen 3 Tessin, da will ich hin FR | 8. März | 14.50 | 3 Sat MEHR ÜBER DAS TESSIN AM TV touristischen Wüste rund um Chiasso und Mendrisio. Gut, Chiasso wird uns nie mit putzigen Altstadthäuschen bezaubern können. Trotzdem ist ein Besuch in diesem Ort lohnenswert, dessen Übersetzung aus dem Italienischen bezeichnenderweise Lärm und Krach bedeutet. Nicht wegen der Asylunterkunft, die immer wieder für Schlagzeilen sorgt, sondern zum Bei- spiel wegen Chiassos Fussgängerzone: Es ist wahrscheinlich weltweit die Einzi- ge, in der man sein Auto an einer Zapf- säule mit Benzin versorgen könnte – wenn man denn hinfahren dürfte. Die Tankstelle ist ein Überbleibsel aus der Zeit, als sich noch Blechlawinen durch das Städtchen wälzten und Autos den Weg zum Zollgebäude am Corso San Gottardo versperrten, nicht Blumen- tröge, Plakatwände und Strassenkafis. Auch das kulturelle Angebot in der knapp 8000-Seelen-Gemeinde kommt einer Sensation gleich: Chiasso ist der Place to be in der Sonnenstube und in Sachen Kultur um ein Vielfaches hoch- karätiger als etwa Locarno. Altbundesrat Moritz Leuenberger war auch begeistert vom Programm des Ci- nema Teatro sowie vom Max-Museo – und den Ex-Magistraten lockt nicht so schnell etwas hinter dem Ofen hervor. Obwohl die Stadt noch viele Geschich- ten hergeben würde, kehren wir ihr den Rücken und verlassen Chiasso über die Via Como. Dabei fahren wir am neuen Einkaufszentrum Polaris vorbei und ver- renken uns fast den Hals: Das Gebäude Das Valle di Muggio: eine der unbekanntes- ten Gegenden im Tessin und Mendrisiotto. natur / reise Chiasso besteht nicht nur aus Zoll und lauten Strassen: Hier steht auch futuristische Architektur. REISE- FIEBER? www.travel. tele.ch FOTOS: PRISMA (2)

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Author: Sonja Hüsler

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Mit Tempo hundert fahren sie an einem Juwel vorbei: Die Basler, Berner, Aargauer, Solothurner,

Luzerner, Zürcher und all die anderen. Auf der A2 fahren sie durch das Mendri-siotto – Chiasso und ihrem Ferienziel entgegen: Dem ach so schönen Italien ennet der Grenze.

Dabei würde es sich gerade hier loh-nen, den Blinker zu stellen und rechts rauszufahren. Hier, im südlichsten Zipfel des Tessins, in dieser anscheinend

Das Mendrisiotto, kurz vor Chiasso, ist der unbekannteste Flecken Tessin. Versteckt hinter Autobahn und Industrie verzaubern grandiose Kultur, Weinkeller und Dinosaurier neugierige Ferienhungrige. Text: Sonja Hüsler

Mein Ziel –das Tessin!

Musikalische Reise durch das TessinSO | 3. März | 20.15 | Hessen 3 Tessin, da will ich hinFR | 8. März | 14.50 | 3 Sat

MEHR ÜBER DAS TESSIN AM TVtouristischen Wüste rund um Chiasso und Mendrisio.

Gut, Chiasso wird uns nie mit putzigen Altstadthäuschen bezaubern können. Trotzdem ist ein Besuch in diesem Ort lohnenswert, dessen Übersetzung aus dem Italienischen bezeichnenderweise Lärm und Krach bedeutet. Nicht wegen der Asylunterkunft, die immer wieder für Schlagzeilen sorgt, sondern zum Bei-spiel wegen Chiassos Fussgängerzone: Es ist wahrscheinlich weltweit die Einzi-ge, in der man sein Auto an einer Zapf-säule mit Benzin versorgen könnte – wenn man denn hinfahren dürfte. Die Tankstelle ist ein Überbleibsel aus der Zeit, als sich noch Blechlawinen durch das Städtchen wälzten und Autos den Weg zum Zollgebäude am Corso San

Gottardo versperrten, nicht Blumen-tröge, Plakatwände und Strassenkafis.

Auch das kulturelle Angebot in der knapp 8000-Seelen-Gemeinde kommt einer Sensation gleich: Chiasso ist der Place to be in der Sonnenstube und in Sachen Kultur um ein Vielfaches hoch-karätiger als etwa Locarno.

Altbundesrat Moritz Leuenberger war auch begeistert vom Programm des Ci-nema Teatro sowie vom Max-Museo – und den Ex-Magistraten lockt nicht so schnell etwas hinter dem Ofen hervor.

Obwohl die Stadt noch viele Geschich-ten hergeben würde, kehren wir ihr den Rücken und verlassen Chiasso über die Via Como. Dabei fahren wir am neuen Einkaufszentrum Polaris vorbei und ver-renken uns fast den Hals: Das Gebäude

Das Valle di Muggio: eine der unbekanntes-

ten Gegenden im Tessin und Mendrisiotto.

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Chiasso besteht nicht nur aus Zoll und lauten Strassen: Hier steht auch futuristische Architektur.

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natur / reise

InformationenGole di Breggia: Am Eingang zum Valle di Muggio befi ndet sich die Breggia-Schlucht. Auf dem Geo-Lehrpfad kann man 200 Millionen Jahre Erd-Geschichte durchwandern. Letzten Frühling wurde zudem ein Industrie-Lehrpfad bei der alten Zementfabrik Holcim eröffnet. Tel. 091 690 10 29, www.parcobreggia.ch

Valle di Muggio: Das Tal ist nicht nur durch zahlreiche Wanderwege erschlos-sen, es ist auch ein Freilichtmuseum: Alte Vogelfang-Türme, urtümliche Kühl-schränke aus Stein (die Nèvere), eine historische Mühle und ein Kastanien-Dörrhaus gibt's zu besichtigen. Tel. 091 682 20 16, www.valledimuggio.ch

Essen: Die Osteria Grotto Bundi serviert einfache Tessiner Spezialitäten zu fairen Preisen (Brasato di Manzo mit Polenta Fr. 19.50), Tel. 091 646 70 89. Das Grotto Osteria Croce in Castel San Pietro ist eine Entdeckung. Uns haben der Aufschnittteller (Fr. 15.–) und der Steinpilzrisotto (Fr. 18.–) hervorragend geschmeckt. Tel. 091 683 22 76

Übernachten: Fünf Kilometer von Mendriso entfernt befi ndet sich in Arzo das Ristorante al Torchio Antico. Der aufmerksam geführte kleine Betrieb eignet sich hervorragend als Ausgangs-punkt für Erkundungstouren auf den Saurierberg Monte San Giorgio und ins Mendrisiotto. 5 Zimmer, DZ ab Fr. 75.– Tel. 091 646 49 94, www.altorchioantico.ch

WISSENSWERTES

Infos: www.mendrisiotto-turismo.ch. Die Website ist eine wahre Schatztruhe mit Ausfl ugtipps, Infos und Restauranttipps für das ganze Mendrisiotto.

Monte Generoso: Im Sommer wird der Berg von Touristen belagert. Im Spätherbst und Anfang Winter, wenn der Mischwald seine Blätter verloren hat, läuft man auf sonnig exponierten Wanderwegen fast alleine dem höchsten Punkt entgegen. Tel. 091 630 51 11, www.montegeneroso.ch

Chiasso

San Giorgio gefunden wurden. Uns be-eindruckt weniger das als die Tatsache, dass der Berg seit 10 Jahren auf der Unesco-Weltnaturerbe-Liste steht. Kaum jemand hat das mitbekommen.

Genauso verhält es sich mit dem Mer-lot: Die Hälfte des Tessiner Merlots – auch einige Topweine – kommen aus dem Mendrisiotto. Der beste Ort, um sich einen Schluck dieses Weines zu ge-nehmigen, ist die Via alle Cantine in Mendrisio. Die schmucken gelben, roten und braunen Häuser aus dem 18. Jahr-hundert sind wegen ihrer historischen Weinkeller und der urchigen Grotti bei den Einheimischen sehr beliebt. «Bun di. Brasato di manzo mit Polenta ist heute weggegangen wie frische Weggli. Wenn Sie davon noch wollen, müssen Sie pres-sieren», begrüsst uns der Kellner in der Osteria Grotto Bundi in Dialekt. Natür-lich wollen wir den Rindsschmorbraten, und natürlich wollen wir dazu ein Glas Merlot. Der letzte Schluck bleibt uns je-doch fast im Hals stecken: Mario Botta setzt sich an den Tisch neben uns. Er ist in Mendrisio geboren. Für den grossen Meister gibt es freilich keinen Brasato di manzo mehr. n

erndorf zur Chiesa di Sant’Antonino aus dem 16. Jahrhundert. Sie steht inmitten von Weinbergen mit wunderschönem Blick über das Tal. Die Lage des Gottes-hauses ist so grandios, dass wir uns auf das Kirchenmäuerchen setzen, uns von der Sonne wärmen und die italienisch anmutende Kulisse auf uns wirken las-sen. Grazie Ticino: Wieso in die Ferne schweifen, wenn das Schöne so nah liegt.

Dazu zählt zweifelsohne auch das Val-le di Muggio. Es ist das südlichste Tessi-ner Tal und das unbekannteste. Vor bald zwei Jahren sind wir von Morbio Inferio-

re über Muggio und am nächsten Tag weiter auf den Ausflugsberg Monte Ge-neroso gewandert. Die Tour ist uns noch in bester Erinnerung: Wir waren fast die einzigen Touristen, die durch die Kasta-nienwälder schlenderten, und die Stille war berauschend.

In Meride begegnen wir endlich dem Wirken von Mario Botta. Der 69-Jährige hat dort erst kürzlich das Dorfmuseum renoviert, das viele der weltberühmten Fisch- und Reptilienfossilien beherbergt, die seit dem 19. Jahrhundert am Monte

sieht aus wie ein Ufo. Ausnahmsweise hat nicht der Tessiner Stararchitekt Mario Botta diesen ungewöhnlichen Konsum-tempel zu verantworten.

In 10 Autominuten geht es hoch nach Obino. Hier finden wir den Beweis, dass das Mendrisiotto durchaus mit dem süd-lichen Nachbarn mithalten kann und sich links und rechts der Autobahn toska-nisch anmutende Flecken verbergen.

An alten, aufwendig renovierten Steinhäusern vorbei spazieren wir durch ein charakteristisches Tessiner Weinbau-

Wein, Brasato und hübsche Grotti gibts in der Via alle Cantine in Mendrisio.

Das Valle di Muggio ist ein Wanderparadies abseits der ausgetretenen Pfade.

Die Kehrseite des Mendrisiotto: Autobahn und Industriezonen.

Chiesa di Sant’Antonino in Obino

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