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Systemische Praxis zwischen Komplexität und Einengung Vortrag bei der Jubiläums- Fachtagung der MIKO Kinder- und Jugendhilfe Hamburg-Bergedorf am 11.07.2008 Dr. Kurt Ludewig© Münster/ Hamburg

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Systemische Praxis zwischen Komplexität und Einengung

Vortrag bei der Jubiläums-Fachtagung derMIKO Kinder- und Jugendhilfe

Hamburg-Bergedorf am 11.07.2008

Dr. Kurt Ludewig©

Münster/Hamburg

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Vorwort:

Systemtheorie lässt sich als eine Forschungsstrategie definieren, die Systeme bzw. System/Umwelt-Unterscheidungen zum Gegenstand macht.

Systemisches Denken erlaubt, komplexe Zusammenhänge ohne übermäßige Vereinfachung zu betrachten bzw. zu handhaben.

Systemische Praxis bedient sich systemischen Denkens und macht Systeme zu ihrem Gegenstand.

Systeme stellen Zusammenhänge organisierter Komplexität dar. Sie entstehen durch Beobachten (= Unterscheiden).

Insofern strebt systemische Praxis einen komplexitätsschonenden Umgang mit komplexen psychischen und sozialen Systemen.

Dennoch muss sie Einengung bzw. Reduktion (Selektivität) in Kauf nehmen, um überhaupt als Praxis ansetzen zu können.

Von diesen Bedingungen und deren Folgen handelt mein Vortrag.

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Meine Themen:

1. Einige zentrale Prämissen systemischen Denkens:

a. Biologisches b. Soziales c. Psychisches

• Elemente systemischer Praxis

• Systemische Praxis im Kontext unterschiedlicher Arbeitsfelder

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Systemische TherapieLiteraturhinweise des Referenten

Klett-Cotta1992, 19974

Klett-Cotta2002

Carl-Auer2005

Hogrefe2000

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Wissenschaft

• Haken, H., G. Schiepek (2006): Synergetik in der Psychologie. Selbst-organisation verstehen und gestalten. Göttingen (Hogrefe).

• Maturana, H.R., K. Ludewig (2006), Gespräche mit Humberto Maturana. www.systemagazin.de

• Sydow, K. von, S. Beher, R. Retzlaff, J. Schweitzer (2007): Die Wirk-samkeit der Systemischen Therapie/Familientherapie. Göttingen (Hogrefe).

• Wirsching, M., P. Scheib (Hrsg.)(2002), Paar- und Familientherapie. Berlin (Springer).

Praxis

• Klein, R., A. Kannicht (2007 i.Dr.), Einführung in die Praxis der systemischen Therapie und Beratung. Heidelberg (Carl-Auer-Systeme).

• Rotthaus, W. (Hrsg.)(2001): Systemische Kinder- und Jugendlichen-psychotherapie. Heidelberg (Carl-Auer-Systeme).

Systemische TherapieErgänzende Literaturhinweise

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Systemische Praxis

Nutzung systemischen Denkens für den professionellen Umgang mit Menschen

bei der Linderung, Bewältigung, Klärung und/oder Auflösung ihrer persönlichen,

zwischenmenschlichen und organisatorischen Probleme.

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• Interdisziplinäre Denkbewegung:

u.a. Systemtheorie, Selbstorganisation, Kybernetik, Autopoiesis, Synergetik, dissipative Strukturen usw.

• Gegenstand:

Komplexität (und Vernetzung)

• Ziel:

„komplexitätserhaltende Komplexitätsreduktion“

• Seins- und Erkenntnistheorie:

Theorie des Beobachtens bzw. Beobachter-Theorie

Was ist systemisches Denken?

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Biologische Grundlagen:

Systemisches Denken

Beobachten

Systemisches Prinzip

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Die Wirklichkeit der Wirklichkeitoder:

die zwei Säulen systemischen Denkens

< ein Cartoon von Hannes Brandau, 1991 >

Kognition

Kommunikation

Sprache

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“Beobachter” sind “linguierende” (sprachliche) Lebewesen.

Es folgt:

“Beobachter” sind als (biologische, autopoietische) Lebewesen einsame Erzeuger ihrer Realitäten

und als „Linguierende“ zugleich auf Konsensualität

ausgerichtete, sozial konstituierte Lebewesen.

Grundlagen systemischer Therapie: Beobachten und Beobachter

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Die Folgen

Kognition ist als biologisch verankerte Leistung prinzipiell subjekt-bezogen und wird allenfalls kommunikativ konsensualisiert;

Kommunikation besteht aus Ereignissen, die nur in der Zeitdimension stattfinden. Sie muss immer wieder reproduziert werden und bleibt deshalb immer variabel und riskant.

Für die Wissenschaft folgt, dass sie

1) als Form menschlichen Erkennens das Gebot der Objektivität nicht erfüllen kann;

2) als kommunikatives Unternehmen ist und bleibt das Ergebnis von Vereinbarungen im Sozialsystem der Wissenschaftler. Diese versuchen, die ihrer Kommunikation anhaftenden Risiken durch strenge Regeln zu minimieren, im Idealfall auszuschalten.

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Systemisches Denken - das systemische Prinzip -

• Menschen sind konstitutiv veranlagt, ihre biologische Individualität durch Konsensualisierung zu überschreiten.

• Dafür benötigen sie existentiell andere, denen Gleich-artigkeit zugeschrieben wird.

• Erkennen heisst Unterscheiden. ICH kann als ICH erst im Unterschied zu einem anderen Ich, also einem DU, ent-stehen.

• Ich und Du => WIR. Erst im WIR <Soziales System> entsteht das Menschsein.

• Das WIR hebt in sich die biologisch-individuelle und die sozial-kommunikative Identität des Menschen auf

=> das systemische Prinzip

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Systemisches Denken

Grundmatrix menschlicher Existenz

ICHDU / DUICH WIRICH/DU

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Ethische Folgerungen:

Akzeptanz: Achte die Vielfalt individueller Welten!

Respekt : Achte den anderen als ebenbürtig!

Systemisches Denken

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Soziale Grundlagen:

Theorie sozialer Systeme

Kommunikationstheorie

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Systeme

Maschinen Organismen soziale psychischeSysteme Systeme

Interaktionen Organisationen Gesellschaften

Systeme

Maschinen Organismen soziale psychischeSysteme Systeme

Interaktionen Organisationen Gesellschaften

Systeme<nach N. Luhmann 1984 >

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Soziale Phänomene :=

Temporalisierte Einheiten aus Ereignissen

Soziale Systeme :=

Sinnzusammenhänge im Zeitablauf

Soziales System <n. Niklas Luhmann>

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• Für soziale Systeme gilt:

• Elemente = Kommunikationen

• Relationen = Anschlussbildungen

• Grenze = Sinngrenze

Das soziale System <n. Niklas Luhmann>

Systeme sind beschreibbar durch Angabe ihrer Elemente, Relationen und Grenze

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Sinn reduziert soziale Komplexität durch Selektion und macht sie dadurch

für psychische und soziale Systeme verfügbar

Sinn ist die basale Operation psychischer und sozialer Systeme

Sinn ist selbstreferentiell und verweist immer nur auf Sinn. Für Systeme, die an Sinn gebunden sind, gibt es keine sinnfreien Gegenstände

Also: Man kann nicht nicht Sinn machen!

Sinn ist als temporalisierte Komplexität prinzipiell instabil

Jeder Sinn kann im nächsten Moment anders werden.

Sinn <n. Niklas Luhmann>

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Interaktionssysteme

nach K. Ludewig 1992

Ein Modell für die klinische Theorie

Problem: Bestimmung der Elemente, Relationen und der Grenze

Lösungen:

Elemente = Mitglieder <Soziale Operatoren bzw. Funktionseinheiten>

Relationen = Anschlüsse <durch Kommunikationen>

Grenze = Sinngrenze <Sinnkontinuität in der Zeitdimension>

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Interaktionssystem II <nach K. Ludewig 1992>

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Psychologische Grundlagen:

Systemtheorie psychischer Systeme

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„Das Ich, welches erfasst,… ist ein Bewusstseinsvorgang, in jedem Augenblick verschieden von dem, der im vorhergegangenen Augenblick war…“ (Psychologie: W. James 1909)

„Die Kognitionswissenschaft belehrt uns, dass wir kein wirkendes oder freies SELBST besitzen“ (Kognitionsforscher: F. Varela & E. Thompson 1991, S. 183)

„Wir erleben diese vielen „Iche“ in der Regel als ein einheitliches Ich…Diese … entstehenden verschiedenen Iche (binden) sich aktuell in ver-schiedener Weise zusammen und (konstituieren) den Strom der Ich-Emp-findungen“ (Biologie: G. Roth, 2001, S. 325ff)

„Das hieße aber auch, dass die Psyche nicht eine Realität... ist, sondern: System... nämlich als Differenz.... Psychisches und Soziales... als verschie-dene Ausdrücke eines Beobachters für einen Ko-Fundierungsprozess“ (Soziologie: P. Fuchs 2005, 141ff)

Nachdenkenswerte Gedanken zum «Ich»

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Thesen: Psychische Systeme sind unbeständige, nicht beobachtbare kognitiv-emotionale Kohären-

zen, die nur in Selbstreflexion / Kommunikation rekonstruierbar sind,

verweisen immer auf eine Relation zu einem speziellen oder generali-sierten Anderen (= relationale Kohärenzen, relationale Identitäten,

Selbste oder psychische Systeme),

werden als temporalisierte Prozesse immer neu als Reaktion auf innere oder äußere Ansprüche produziert und reproduziert (=> psychisches

Gegenstück zu den sozialen Mitgliedschaften eines Menschen).

Schlussfolgerung:

Jeder Mensch verkörpert vielfältige psychische Systeme, ist also im Normalzustand polyphren. Polyphrenie ist Normalität.

Über psychische Systeme - Thesen

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⇆ KINDMUTTER ⇆ MUTTERKIND

RELATIONALE MITGLIED MITGLIED

IDENTITÄTEN INTERAKTIONSSYSTEM

⇆ MUTTERKIND ⇆ KINDMUTTER

Entwicklung relationaler Kohärenzen

Psychische Systeme (Selbste – Iche – Identitäten)

KINDMUTTER

MUTTERKIND

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Aktuelles und personales ICH

- Jeder Mensch verkörpert zu jeder aktuellen Interaktion jeweils eine Mitgliedschaft und ein psychisches System.

- Jeder dieser Operationalitäten kann ein ICH zugeordnet werden (-> aktuelles oder operationales ICH).

- Die hierbei beteiligten Operationalitäten treffen in der kör-perlichen Struktur eines Menschen zusammen. An dieser Struktur sind Menschen identifizierbar.

- ICH als Bezeichnung für einen Menschen (-> personales ICH) resultiert aus einer jeweils aktuellen, im Bewusstsein oder in Kommunikation erbrachten Synthese der

betreffenden Operationalitäten (als Narrative).

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Zusammenfassung:

Jedes ICH – ein Unterschied - bedarf, ob als psychisches System oder als Mitglied, einer faktischen oder gedachten Relation zu einem anderen ICH, also einem DU, um überhaupt im WIR entstehen zu können.

Der Mensch beginnt mindestens zu zweit !

ICH/DU ⇆ WIR ⇆ ICHDU ⇆ DUICH

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Theorie der Praxis

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Systemische Praxisam Beispiel „Therapie“

Gegenstand

• menschliche Autonomie statt heteronomer Be-stimmung

• Offenheit kommunikati-ver Prozesse statt kau-saler Zwangsläufigkeit

• Ressourcen- und Lösungsorientierung statt Problemfokus

Methodologie

• Beitrag zur Herstellung günstiger Randbedin-gungen

• für die auftragsbezogene Selbstveränderung des/der Klienten

• durch eine nützliche, passende und respekt-volle therapeutische Interaktion.

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Zentrale Leitdifferenzen - Konzepte systemischer Therapie

• Anliegen / Auftrag Wünsche des Klienten / Ziel-Vereinbarung mit Helfer

• Lebensproblem / Problemsystem Individuelle, leidvolle Probleme / kommunikativ gestützte

Probleme (= änderungsbedürftig gewertete Sachverhalte)

• Hilfreich / Nicht-hilfreich „Überlebensdiagnostik“ und Fokus auf Vorhandenes

<Ressourcen> anstelle von Falschem oder Fehlendem <Defiziten und Pathologien>

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Aufgaben des Helfersam Beispiel „Therapie“

1. Anliegen/Auftrag

Klärung/Erarbeitung des/der Anliegen/s

und

Aushandlung/Vereinbarung eines Auftrags

2. Intervenieren

a. Würdigung

Anerkennen des/der Klienten und ihrer Ressourcen

b. Intervention

Anregung, Alternati-ven zu wagen

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Störungsspezifische systemische Therapie?

Systemische Therapie versteht sich als Umsetzung einer therapeutischen

Haltung mit uneingeschränktem Anwendungsbereich - sie strebt

keinen spezifischen Umgang mit verschiedenen Problemtypen an.

Das technische Instrumentarium kann durch die Techniken anderer Ansätze problemlos ergänzt werden.

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1 Definiere Dich als Therapeut!................

2 Sieh Dich! ................

3 Gehe von Deinen Klienten aus! ..............

4 Werte förderlich! ........ 5 Beschränke Dich! ....... 6 Sei bescheiden! ...........

7 Bleibe beweglich! ....... 8 Frage konstruktiv! ...... 9 Interveniere sparsam!..

10 Beende rechtzeitig!.....

Übernehme ich Verantwortung als Therapeut?Stehe ich zu meinen Möglichkeiten

Wessen Maßstäbe lege ich an?Suche ich nach Öffnendem?Fokussiere ich auf das Nötigste?Sehe ich mich als Ursache?

Wechsele ich meine Perspektiven?Stelle ich Fragen, die weiterführen?Rege ich behutsam an?

Kann ich schon beenden?

Methodischer Rahmen: 10+1 Leitsätze/-fragen

+1 Befolge nie blind Leitsätze! Wende ich die Leitsätze kontextadäquat an?

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Grundarten

psychosozialer Versorgung

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Grundarten professioneller sozialer Versorgung - Bedürftigkeit wird persönlich oder sozial ermittelt -

ZIEL DER VERSORGUNG <ERBETEN ODER ANGEORDNET>

ERWEITERUNG

<Wunsch nach mehr von ...> MUSTER DER VERSORGUNG

KONVERGENZ < > DIFFERENZ <der Strukturen> <der Strukturen>

<Wunsch nach weniger von...>

VERRINGERUNG

Professionelle soziale Versorgung: ein Kommunikationsmodell

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HILFE FÜRSORGE

1. Das Problem wird von den Betroffenen selbst festgestellt

2. Diese entwickeln ein Anliegen und suchen nach Hilfe

3. Die Form der Versorgung resultiert aus dem An- liegen

4. Die Hilfestellung richtet sich nach dem mit dem/ den Betroffenen frei ausgehandelten “Auftrag”

1. Das Problem wird von Dritten, z.B. sozialen Instanzen ermittelt

2. Ihr Anliegen wird an Fachleute delegiert

3. Die Form der Versorgung resultiert aus dem An- liegen

4. Die Fürsorge wird ge- währt nach Maßgabe der sozialen Instanzen, also der “Auftraggeber”

Professionelle psychosoziale Versorgung - Grundarten: Hilfe und Fürsorge

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ZIEL DER VERSORGUNG

ERWEITERUNG

MUSTER DER VERSORGUNG ANLEITUNG BERATUNG KONVERGENZ < > DIFFERENZ

BEGLEITUNG THERAPIE

VERRINGERUNG

Professionelle soziale Versorgung: Grundarten professionellen HELFENS - Bedürftigkeit wird persönlich festgestellt

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Hilfssysteme: Grundarten

ANLEITUNGTyp: »Hilf uns, unsere Möglichkeiten

zu erweitern!«a. Fehlen oder Mangel an Fertigkeitenb. Bereitstellung von Wissenc. Offen

BEGLEITUNGTyp: »Hilf uns, unsere Lage zu

ertragen!«a. Unabänderliche Problemlageb. Stabilisierung durch fremde

Strukturc. Offen

BERATUNG Typ: »Hilf uns, unsere Möglichkeiten zu nutzen!«a. Interne Blockierung,inaktive

Ressourcenb. Förderung vorhandener Strukturenc. Begrenzt nach Umfang des Problems

THERAPIE Typ: »Hilf uns, unser Leiden rasch zu beenden!«a. Veränderliche Problemlageb. Beitrag zur Problem-Auflösungc. Als Vorgabe begrenzt

<a. Anlaß - b. Maßnahme - c. Dauer>

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ZIEL DER VERSORGUNG

ERWEITERUNG

MUSTER DER VERSORGUNG ANLEITUNG BERATUNG KONVERGENZ < > DIFFERENZ

BEGLEITUNG KONTROLLE

VERRINGERUNG

Professionelle soziale Versorgung:

Grundarten professioneller FÜRSORGE - Bedürftigkeit wird sozial ermittelt

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Fürsorgesysteme:

Grundarten

ANLEITUNG <z.B. AUFKLÄRUNG>

Typ: »Sie benötigen mehr Möglichkeiten«

a. Fehlen oder Mangel an Fertigkeitenb. Bereitstellung von Wissenc. Offen

BEGLEITUNG <z.B. BETREUUNG>

Typ: »Sie schaffen es allein nicht«a. Unabänderliche Problemlageb. Stabilisierung durch fremde

Strukturc. Offen

BERATUNG <z.B. VORSORGE>

Typ: »Sie verkennen ihre Möglichkeiten«a. Interne Blockierung, inaktive

Ressourcenb. Förderung vorhandener Strukturenc. Begrenzt, je nach Umfang des Problems

KONTROLLE <z.B. ZWANGSBEHANDLNG>

Typ: »Sie dürfen nicht allein bestimmen«a. Veränderliche Problemlageb. Einschränkung der Selbstbestimmungc. Als Vorgabe begrenzt

<a. Anlaß - b. Maßnahme - c. Dauer>

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Grundarten professionellen Helfens - Bedürftigkeit wird persönlich ermittelt -

ZIEL DER HILFESUCHE

ERWEITERUNG MUSTER DER VERSORGUNG Anleitung Beratung

KONVERGENZ < > DIFFERENZ

Begleitung Therapie

VERRINGERUNG

Grundarten professioneller Fürsorge - Bedürftigkeit wird gesellschaftlich ermittelt -

ZIEL DER FÜRSORGE

ERWEITERUNG MUSTER DER VERSORGUNG Anleitung Beratung KONVERGENZ < > DIFFERENZ

Begleitung Kontrolle

VERRINGERUNG

HELFEN UND FÜRSORGE: ZWEI MÖGLICHKEITEN FÜR DEN UMGANG MIT BEDÜRFTIGKEIT

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Dabei ist Folgendes zu bedenken:

Die meisten Prozesse professioneller Versorgung setzen sich aus mehr als einer dieser Maßnahmen zusammen; sie verändern sich mit der Fortentwicklung der (Teil-)Aufträge.

Deshalb sollte jeder professionelle Versorger in der Lage sein, je nach Auftragslage zwischen diesen Maßnahmen zu wählen bzw. an geeignete Spezialisten zu verweisen.

Es gibt jedoch keinen Grund – außer berufspolitischen Interessen –, irgend eine dieser Maßnahmen als wertvoller oder sozial relevanter als die anderen zu bewerten.

Sie sind alle berechtigte Bestandteile gesellschaftlicher Ordnung und Hilfestellung.

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Zum Schluss:

Auf dem Hintergrund systemischen Denkens lässt sich folgern:

- Es gibt keine Notwendigkeit, irgendeine Sichtweise, ob sie sich als analytisch oder synthetisch, holistisch oder atomistisch, einheitlich oder vielfältig versteht, als allein gültige zu betrachten.

- Das Beobachten eines Sachverhaltes bringt unterschiedliche Phänomene hervor und nicht bloß unterschiedliche Erscheinungs-

weisen des gleichen Phänomens: Will ich dich verstehen, sag mir, wie Du siehst und nicht nur, was du siehst!

- Die nach objektiver Einheitlichkeit strebenden Wissenschaften vom Menschen, die u.a. im Sinne Gergens den Menschen als

„Behälter für Eigenschaften“ betrachten, erweisen sich als Ergebnis einer ontologisierenden, vereinheitlichenden und „einfrierenden“ Form der Betrachtung. Sie kann durch Alternativen ersetzt werden.

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Vielen Dank für die Aufmersamkeit!

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Anhang

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Begriffe:

Theorie: Instrumente für die Organisation eines kohärenten Erklärungsmodells der beobachteten Welt (Willke 2000, S. 2)

Komplexität: Grad an Vernetzbarkeit zwischen den Elementen eines Zusammenhangs, das heißt, je komplexer ein Zusammenhang ist, desto geringer seine innere Vernetzung, zumal nicht alle Elemente mit allen anderen verknüpft sein können (≠ kompliziert = Zahl der Elemente).

System: Organisierte Komplexität durch Selektionsleistung und Vernetzung

System/Umwelt-Unterscheidung: Komplexitätsgefälle, wobei das Systeme auf mögliche Relationen verzichten muss, um die eigene Komplexität zu sichern und so auch den Unterschied zur Umwelt.