In der Wohnung. die Möbel der Tisch der Stuhl der Schrank der Sessel.
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SWR2 MANUSKRIPT
SWR2 Musikstunde
Die Bachs - Chronik einer Musikerdynastie (4)
Mit Ulla Zierau
Sendung: Freitag, 21. April 2017
Redaktion: Ulla Zierau
Produktion: SWR 2017
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SWR2 Musikstunde mit Ulla Zierau, 21.04.2017 19‟45 /35„00
Die Bachs- Chronik einer Musikerdynastie (4)
Signet
Mit Ulla Zierau und heute mit den Frauen der Familie Bach. Rein statistisch gesehen
müssten in den sechs Generationen ca. die Hälfte Frauen gewesen sein, Mütter,
Schwestern, Tanten, Cousinen, Töchter, Großmütter. Wie sie gelebt, was sie
empfunden haben, was sie konnten, dachten, wollten, darüber wissen wir so gut wie
nichts. In den mehreren Tausend Seiten sämtlicher Bach-Biographien steht kaum
etwas über die Frauen der Familie. Das Wenige, was bekannt ist, wollen wir in dieser
Stunde zusammentragen, für den Rest ist Fantasie gefragt. (0‟30)
Titelmusik
Die Frauen der Bachs leisten außerordentliches. Meist bekommen sie sechs, acht,
zehn Kinder, organisieren und bewerkstelligen den gesamten Haushalt. Ganz davon
abgesehen, dass sie fast ununterbrochen schwanger sind, müssen sie sich um die
Kinderschar, die Männer und meist noch weitere Verwandte kümmern, Witwen,
unverheiratete Schwestern oder Tanten, Waisenkinder von Geschwistern, von
Cousins und Cousinen. Sie bewirten Gäste, halten den Männern den Rücken frei und
gehen oft in die Kirche.
Ob da Zeit für Mußestunden bleibt, für gemeinsames Üben, Singen oder Cembalo
spielen? (0‟40)
Musik 1
Johann Sebastian Bach:
Anglaise aus der französischen Suite Nr.3 h-moll BWV 814
Ignacio Prego, Cembalo
M0410064 038, Cantus records, C 9642/43, 1‘33
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Anglaise aus der französischen Suite Nr.3 h-moll BWV 814 aus dem Notenbüchlein
für Anna Magdalena Bach, jenes musikalische Haus- und Erbauungsbuch, das
Sebastian zusammen mit seiner zweiten Frau führt. Eine Sammlung beliebter Stücke
von Bach und anderen Komponisten. Es gewährt einen wertvollen Einblick in das
Musik- und Privatleben der Familie Sebastian Bach.
Das Original des Notenbüchleins liegt in der Staatsbibliothek Berlin und gehörte einst
dem großen Bach Verehrer Carl Friedrich Zelter. Carl Philipp Emanuel Bach hat es
ihm übergegeben. Zelter notierte auf die erste Seite: „Anna Magdalena, J. S. Bachs
zweite Frau, deren Name dieses Buch ziert, soll eine treffliche Sängerin gewesen
seyn“.
Damit sind wir bei der einzigen Frau in der Bach-Familie, von der wir mehr wissen als
nur die Lebensdaten und Anzahl der Kinder. Anna Magdalena Bach, geborene
Wilcke, die zweite Ehefrau von Sebastian. Sie kommt aus einer großen
Musikerfamilie, ist die jüngste von vier Töchtern, beide Großväter waren
Instrumentalisten, der Vater Hof- und Feldtrompeter. Er fördert das musikalische
Talent der Tochter, reist mit ihr nach Weißenfels, wo sie bei Pauline Kellner
professionellen Gesangunterricht bekommt.
Kellner ist eine herausragende Sopranistin. Durch sie lernt Anna Magdalena Arien
von Bach kennen und singt sie vermutlich bald selbst. (1‟30)
Musik 2
Johann Sebastian Bach:
Jagdkantate, Schafe können sicher weiden
Nuria Rial, Kammerorchester Basel, Julia Schröder
M0355365 001, Harmonia mundi, 88765482752, 3‘45
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Nuria Rial mit der Arie „Schafe können sicher weiden“ aus Bachs Jagdkantate. Julia
Schröder leitete das Kammerorchester Basel.
Mit knapp 20 wird Anna Magdalena Wilcke auf Empfehlung von Sebastian Bach als
Kammersängerin an den Köthener Hof geholt. Wenige Monate später heiraten die
beiden.
Über Nacht wird Anna Magdalena Mutter von vier Kindern. Catharina Dorothea ist
13, der älteste Sohn, Wilhelm Friedemann 11, Carl Philipp Emmanuel 7 und Johann
Gottfried Bernhard 6 Jahre alt. Und es ist noch eine gute Seele im Haus, die ältere
Schwester von Sebastians verstorbener erster Frau, sie kümmert sich mit um den
Haushalt und die Kinder.
So kann Anna Magdalena weiterhin auftreten, mit ihrem Mann und gelegentlich auch
mit ihrem Bruder, dem Hoftrompeter Johann Caspar Wilcke. Meist musizieren sie zu
Feierlichkeiten des musikliebenden Herzogs Christian von Sachsen Weißenfels.
Magdalenas Berufsleben endet abrupt mit dem Umzug nach Leipzig, wo Sebastian
im Mai 1723 die Stelle des Thomaskantors annimmt. In den Leipziger Kirchen dürfen
keine Frauen singen und die Oper ist seit drei Jahren geschlossen. Schlechte
Aussichten für eine junge Sängerin. Dann also doch Küche und Kinder. In knapp 20
Jahren bekommt Magdalena 13 Kinder, sieben Töchter, sechs Söhne, drei sterben
im Säuglingsalter, vier als Kleinkinder und nur sechs überleben die Mutter, darunter
die beiden Komponisten der Londoner Bach, Johann Christian und der Bückeburger
Bach, Johann Christoph Friedrich.
13 Kinder, 117 Monate schwanger und nebenher den Haushalt schmeißen, vom dem
Bach-Sohn Carl Philipp behauptet, es sei in der Kantorenwohnung zugegangen wie
in einem Taubenschlag.
Außerdem hilft Magdalena ihrem Mann bei der Arbeit. Ob sie mit ihm neue Werke
ausprobiert, singt oder auf dem Cembalo spielt, ist ungewiss, aber sicher kopiert sie
handschriftlich seine Noten. Manches entsteht auch in Gemeinschaftsarbeit,
Magdalena notiert die Noten, Sebastian schreibt die Titel, Satzbezeichnungen und
Ziffern hinzu. Viele bedeutende Werke Bachs sind in ihrer Handschrift erhalten, wie
die sechs Cellosuiten. (2‟20)
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Musik 3
J.S. Bach:
Suite für Violoncello G-dur Nr.1, Courante
Jan Vogler, Violoncello
M0390909 003, Sony Classical, 88697892572, 2’32
Jan Vogler mit der Courante aus der ersten Cellosuite G-dur von Johann Sebastian
Bach. Anna Magdalena hat die Noten ihres Mannes fein säuberlich abgeschrieben.
Dass Frauen schreiben und lesen können, ist zu der Zeit keine Selbstverständlich-
keit. Erst 1642 hat Herzog Ernst der Fromme von Sachsen-Gotha die Schulpflicht
auch für alle fünf bis 12-jährigen Mädchen eingeführt.
Frauen sollen den Katechismus und die Bibel lesen, danach die Kinder erziehen,
Haushaltsbücher führen, die Zubereitung von Heilmitteln nachschlagen. Für die
Bachinnen kommt das Abschreiben von Noten und Texten hinzu und später oftmals
das Verwalten des Nachlasses ihrer Männer. Die Witwe von Carl Philipp hat ein
vollständiges Verzeichnis aller Werke ihres Mannes erstellt, ebenso einen Katalog
über den gesamten Nachlass.
Auch Carl Philipps Tochter, Anna Carolina Philippina ist in Sachen Nachlass aktiv.
Sie schreibt in ebenmäßiger Handschrift Sebastians Chronik „Ursprung der
musicalisch-Bachischen Familie“ ab. Ihr Vater Carl Philipp fügt in etwas dickerer
Schrift und dunklerer Tinte Kommentare hinzu. Den Ursprung, den wir als Original
kennen, der in der Staatsbibliothek Berlin liegt und im Internet einzusehen ist, hat
nicht Sebastians geschrieben, sondern ist eine Abschrift seiner Enkelin. Damit hätten
wir zumindest mal eine Enkelin von Sebastian kennengelernt. Ihre außerordentliche
Fähigkeit hat uns einen wichtigen Dienst erwiesen, den Erhalt der Familienchronik.
Von den neun Bach-Töchtern erreichen nur vier das Erwachsenenalter. Die Älteste
Catharina Dorothea kümmert sich nach dem Tod der Mutter um den Vater und ihre
Geschwister. Sie bleibt unverheiratet und wohnt bis zuletzt mit ihrer Stiefmutter Anna
Magdalena zusammen. Ihr Leben lang ist sie ganz nah am Alltag von Sebastian und
Anna Magdalena Bach dran. Leider hat sie nichts darüber aufgeschrieben oder
doch?
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Naja, der Musikwissenschaftler Andreas Liebert hat einen historischen Roman in
Form eines Tagebuchs aus der Sicht Catharina Dorotheas verfasst. Der Titel lautet:
„Mein Vater, der Kantor Bach“ – darin beschreibt sie den Alltag, Feste und die Arbeit
des Vaters. Und sie offenbart ihre Liebe zur Musik, besonders zu der des Vaters. Ob
Catharina Dorothea und ihre Schwestern tatsächlich Klavier spielen, ob sie vom
Vater unterrichtet werden und gelegentlich mit den Brüdern zusammen spielen, wir
würden es gerne wissen. (2‟30)
Musik 4:
Johann Sebastian Bach:
Konzert für drei Cembali, Streicher und Basso continuo d-Moll, BWV 1063,
3. Satz
Céline Frisch, Dirk Börner, Anna Fontana / Ensemble Café Zimmermann
M0417104 014, Alpha 811, 4‘20
Konzert für drei Cembali, Streicher und Basso continuo d-Moll, BWV 1063 mit Céline
Frisch, Dirk Börner, Anna Fontana und dem Ensemble Café Zimmermann. Im Hause
Bach waren sicher genug Pianisten und vielleicht auch Pianistinnen, die dieses
Konzert jederzeit spielen konnten.
In einem seiner raren Briefe an den Jugendfreund Georg Erdmann schreibt
Sebastian 1730 über seine Söhne:
„Insgesamt aber sind sie geborne Musiker, und ich kann versichern, dass ich schon
ein Concert Vocaliter u. Instrumentaliter mit meiner Familie formieren kann, zumal da
meine itzige Frau gar einen sauberen Sopran singet, auch meine älteste Tochter
nicht schlimm einschlägt.”
Das kann man wohl als Kompliment auffassen, „nicht schlimm einschlägt“ – und in
Catharina Dorotheas fiktivem Tagebuch lesen wir, dass sie gerne mal in der
Öffentlichkeit singen würde, aber wo? Die Kirche ist tabu, die Oper ist geschlossen
und als „Kneipennachtigall“ durch die Caféhäuser ziehen, wie sie es selbst nennt, ist
für ein bürgerliches Mädchen und zu dem für die Tochter des Musikdirektors
unvorstellbar.
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Aber sie ist auch schon über ein Hauskonzert bei den Nachbarn selig, wo sie die Arie
„Schlummert ein ihr matten Augen“ singt. Eine Arie, die sie besonders liebt, sie sei
ein Stück Paradies, „ich weiß bestimmt, dass es auf der Welt nie mehr eine Arie
geben kann, in der Schlaf so innig angerufen und das Zufallen der Augenlider so
schlicht und so eindringlich beschworen wird“, schreibt Catharina Dorothea und
erzählt in Lieberts Roman:
„Sie war schon länger Magdalenas Lieblingsarie gewesen, heute war sie von meinem
Gesang so bewegt, dass sie gestand, sie werde die Arie in ihr Notenbüchlein
eintragen. Vater hat sie, um Magdalena eine Freude zu machen, für unser heutiges
Hauskonzert in den Sopran transponiert, aber Magdalena entschied, dass ich singen
sollte. Noch sei sie Melodie und Text nicht gewachsen, Christiana Benedictas wegen.
Vor einem Monat haben wir sie begraben, Vaters Faulpelz. Sie habe es richtig
gemacht, hat er gesagt, sich schlafen gelegt, wie es sich für einen Faulpelz gehört.“
(2‟20)
Musik 5:
Johann Sebastian Bach:
„Ich habe genug“, Kantate, Arie „Schlummert ein ihr matten Augen“
Johannette Zomer, Sopran und Ensemble Florilegium
M0335199 004, Channel Classics CCSSA 23807, 2‘44
Johannette Zomer und Ensemble Florilegium mit dem Anfang der Arie „Schlummert
ein ihr matten Augen“ aus der Kantate BWV 82 „Ich habe genug“, die Arie haben
Sebastian und Magdalena in ihr gemeinsames Notenbüchlein aufgenommen.
Im historischen Roman „Mein Vater, der Kantor Bach“ erzählt Sebastians älteste
Tochter Catharina Dorothea, wie sie diese Arie bei einem Hauskonzert der
wohlhabenden Nachbarn, den Boses gesungen habe. Erst überwiegen Freude und
Stolz, doch dann kommt die bittere Erkenntnis:
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„So wohlwollend wurde ich angeschaut, dass mir bald ein Licht aufging: Meine
Wenigkeit, Catharina Dorothea Bach wurde nicht als neue Sängerin betrachtet,
sondern allein als zukünftige Ehefrau. Ich war die noch zu Habende vom Bach der
Thomasschule, eine gute Partie, singender Köder“.
So kann es gewesen sein, so war es aber vermutlich nicht, fiktive Gedanken der
ältesten Bachtochter basierend auf historischen Fakten frei improvisiert im Roman
„Mein Vater, der Kantor Bach“, lesenswert allemal, weil unterhaltend und anregend.
Trotz schöner Stimme, heiraten wird Catharina Dorothea nie, anders ihre 18 Jahre
jüngere Schwester Elisabeth Juliane Friederica. Von ihr wissen wir nicht viel, außer
dass sie in der Familie Liesgen genannt wird und dass sie Sebastians Schüler, den
Komponisten und Organisten Johann Christoph Altnikol heiratet.
Altnikol verdanken wir so manche Notenabschrift Bach‟scher Werke. Er hat den
zweiten Teils des Wohltemperierten Klaviers sauber kopiert, hat Geigensätze
ausgeschrieben und immer wieder Bachs Noten gesammelt und sortiert und auch
selbst komponiert, sicher unter Einfluss seines Lehrmeisters. (1‟50)
Musik 6
Johann Christoph Altnikol
Ricercar für Orgel C-Dur
Wolfgang Baumgratz, Silbermann-Orgel in der Jakobikirche in Freiberg (1717)
M0061232 003, Querstand, VKJK 0303, 5‘05
Wolfgang Baumgratz an der Silbermann-Orgel in der Jakobikirche in Freiberg mit
einem Ricercar von Johann Christoph Altnikol, dem Schwiegersohn Johann
Sebastian Bachs.
Viel ist es nicht, was wir über die Frauen im Hause Bach herausbekommen haben.
Mit Maria Barbara, Sebastians erster Frau sieht es auch nicht besser aus. Sie ist eine
Cousine zweiten Grades, ein Jahr älter als Bach. Nach dem Tod ihrer Eltern zieht sie
mir ihren beiden Schwestern zu einer Tante nach Arnstadt, der Frau des Bürger-
meisters. Dort lernt sie Sebastian näher kennen und wohl auch lieben. Sie ist 22 als
sie Bach heiratet und bekommt in knapp14 Ehejahren sieben Kinder.
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Ihr Vater war der Organist und Komponist Michael Bach, der die Arnstädter
Ratswahlkantate geschrieben hat, ob die Tochter auch musikalisch gewesen ist,
wissen wir nicht. In allen Bach-Biographien kursiert eine pikante Geschichte, dass
Sebastian in Arnstadt „ohnlängsten die fremde Jungfer auf das Chor biethen und
musiciren laßen“. Wer war diese fremde Jungfer, etwa Maria Barbara.
Gefallen würde uns die Vorstellung schon, dass auch Sebastians erste Frau eine
Sängerin gewesen ist und mit ihm in der Kirche musiziert hat. Es ist jedoch
unwahrscheinlich, dass man Maria Barbara in Arnstadt als „fremde“ Jungfer
beschrieben hätte. Sie lebte bereits zwei Jahren im Haus des Bürgermeisters und
war alles andere als fremd. Dann war es also eine andere Frau bei Bach im Chor
oder auf der Empore? (1‟30)
Musik 7
Johann Sebastian Bach
Kantate BWV 36, „Schwingt freudig euch empor“, Chor
Amsterdamer Barockchor und -orchester / Leitung: Ton Koopman
M0053423 058, 4‘00
„Schwingt freudig euch empor“, Chor aus der gleichnamigen Kantete BWV 36 mit
dem Amsterdamer Barockchor und –orchester unter der Leitung von Ton Koopman.
Ob Sebastians erste Frau Maria Barbara nun mit ihrem Zukünftigen in der Kirche
gesungen hat oder nicht, wird für immer ein Geheimnis bleiben, aber eines steht fest,
wenn die Bach Frauen musikalisch in Erscheinung getreten sind, dann als
Sängerinnen.
Eine der frühen Begebenheiten könnte sich – und hier ist wieder Fantasie gefragt –
bei der Hochzeit von Sebastians Onkel Stoffel, dem Zwillingsbruder seines Vaters, im
April 1679 in Ohrdruf zugetragen haben. Familientreffen der Bachs mit eigens
komponierter Hochzeitskantate, wir haben gestern schon Ausschnitte daraus gehört:
„Meine Freundin, du bist schön“.
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Der Cousin in Eisenach Christoph, der Stophus hat komponiert, ein Großteil der
Familie, singt, spielt, geigt, pfeift, der Freund Pachelbel ist auch mit von der Partie,
Wendel Bach übernimmt die Bariton-Rolle und die große Frage ist nun, wer singt die
Braut? In Hagedorns Familiengeschichte „Bachs Welt“ steht.
„Dann geschieht Erstaunliches. Die Königin begibt sich zu den Musikern, stellt sich
neben Wendel, holt ein Blatt hervor... Die Braut also übernimmt die Rolle der Braut.“
Die frisch vermählte Martha Elisabeth Bach könnte die wunderbare ausgedehnten
Chaconne „Mein Freund ist mein und ich bin sein“ gesungen haben. Voller Wärme
und Vertrautheit öffnet sie ihre Seele und die Violine folgt ihr, ein Liebkosen, ein
Begehren – „ich bin krank vor Liebe“ singt sie und alle die es hören, wollen sich
anstecken mit dieser Krankheit, krank sein vor Liebe. (1‟42)
Musik 8
Johann Christoph Bach
Hochzeitskantate für Soli, Chor, Streicher-Ensemble und Basso continuo,
„Mein Freund ist mein und ich bin sein“ Ciacona
Nele Gramß, Sopran und das Ensemble Movimento
M0359480 013, Christopherus, CHR 77378, 8‘45
Nele Gramß und das Ensemble Movimento mit der Chaconne aus der
Hochzeitskantate „Meine Freundin, du bist schön“ von Johann Christoph Bach. Es
könnte sein, dass bei der Erstaufführung die frisch angetraute Martha Elisabeth
Bach, die Braut Stoffels die Sopranpartie gesungen hat.
Wenn es so gewesen ist, dann waren das mit Sicherheit die besonderen Stunden im
Leben der Bachinnen. Zeit zur Selbstfindung bleibt ihnen sonst kaum. Die Frauen
sind für die Familie da, sie helfen immer da, wo sie gebraucht werden.
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Als Sebastians erste Frau, Maria Barbara überraschend stirbt, während ihr Mann auf
Dienstreise ist, übernimmt ihre ältere Schwester den Haushalt und ersetzt so gut sie
kann die Mutter. Das ist die Paraderolle der Bürgersfrauen im 16. und 17. Jahr-
hundert, also auch unzähliger Bachfrauen. Sie machen sich keinen Namen als
Musiker und Komponisten, sind aber dennoch permanent im Einsatz und zwar im
Dienste der Familie. Sie kümmern sich um verwaiste Neffen und Nichten, um jüngere
Geschwister, um verwitwete Schwestern, Brüder, Cousins und Cousinen und wenn
sie selbst verwitwet sind, hoffen sie ihrerseits auf Unterstützung der Verwandten oder
sie sind auf Spenden angewiesen. Es gleicht einem Hauptgewinn, wenn sich erneut
ein Mann, meist ein Witwer, findet, der sie heiratet.
Als Sebastian stirbt, ist seine Frau Anna Magdalena 49 Jahre alt. Zusammen mit
ihren beiden jüngsten Töchtern Johanna Carolina und Regina Susanna, 12 und 8
sowie der ledigen ältesten Tochter Bachs aus erster Ehe, Catharina Dorothea zieht
sie in Leipzig in eine Wohnung. Das Erbe wird unter den neun Kindern und der
Witwe, zwei Drittel zu einem Drittel aufgeteilt. Vorübergehend erhält Anna Magdalena
von der Stadt Leipzig und der Universität eine Unterstützung. Später verkauft sie
einige Noten und Musikalien aus dem Bach-Bestand.
Die Witwe Bach lebt von Spenden und Stiftungsgeldern. Sie stirbt zehn Jahre nach
ihrem Mann als Fürsorgeempfängerin, als sogenannte „Almosenfrau“. (2‟10)
Musik 9
Johann Sebastian Bach:
Gib dich zufrieden und sei stille Geistliches Lied, BWV 511/512
Sibylla Rubens und Michael Behringer
M0025628 023, 1‘00
Das geistliche Lied „Gib dich zufrieden und sei stille“ von Johann Sebastian Bach aus
dem Clavier-Büchlein für Anna Magdalena Bach mit Sibylla Rubens und Michael
Behringer.
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Als Sebastians Schwiegersohn Altnikol stirbt, müssen die Bach-Frauen einmal mehr
zusammenhalten. Die verwitwete Liesgen zieht mit ihren beiden Töchtern in die
Wohnung, in der ihre Mutter einst gewohnt hat. Sie erhält das Sorgerecht für ihre
jüngere Schwester Regina Susanna. Carl Philipp unterstützt seine Schwestern mit
einer vierteljährlichen Zahlung. Der älteste Bruder Friedemann ist mittellos und ist
selbst auf Hilfe von Sara Levi, einer Großtante Felix Mendelssohns angewiesen.
Am Ende ist Regina Susanna die letzte noch lebende Bach-Tochter. Der Musik-
schriftsteller Friedrich Rochlitz ruft im Mai 1800 in der Allgemeinen Musikalischen
Zeitung mit pathetischen Worten zur Unterstützung des letzten Kindes von Johann
Sebastian Bach auf. 96 Taler kommen zusammen, der Beethoven-Freund Andreas
Streicher erwirkt eine weitere Sammlung in Wien.
Regina schreibt einen Brief:
„Mit gerührtem Herzen statte ich denen Hochzuverehrenden und großmütigen
Wohltätern den gehorsamsten Dank ab und wünsche Ihnen für die große und gütige
Unterstützung zur Linderung meiner Armut ein glückliches und ungestörtes Leben.
Dero dankbarlige Dienerin Regina Susanna Bachin“
– das ist das einzige überlieferte persönliche Dokument einer Bach-Tochter.
Es gibt heute noch direkte Nachfahren von Johann Sebastian Bach, doch sie heißen
nicht mehr Bach, da die männliche Linie ausgestorben ist. Aber wer weiß, die Bach-
Familie ist groß und viele Genealogen forschen, recherchieren, analysieren und
bewerten heute noch Dokumente. Vor ein paar Jahren ist ein Texaner namens
Dwight Back aufgetaucht, er könnte ein entfernter Nachfahre Sebastians sein.
Einige Bachs sind nach Amerika ausgewandert und haben dort das h in ihrem
Namen in ein k abgeändert.
Wir sind am Ende unserer Familienchronik angelangt. Alle Manuskripte und die
Sendungen zum Nachhören finden Sie auf unserer Internetseite, SWR2.de.
Mit dem Bach aller Bäche, Johann Sebastian, mit seiner Badinerie aus der h-moll
Ouvertüre verabschiedet sich Ulla Zierau
(2‟25)
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Musik 10
Johann Sbeastian Bach
Ouvertüre h-Moll, BWV 1067, Badinerie
Musica antiqua Köln, Leiuntg: Reinhard Goebel
M0085256 014, Archiv Produktion 415671-8, 1’18
Literatur:
John Eliot Gardiner, Bach, Musik für die Himmelburg, München 2016, Hanser
Volker Hagedorn, Bachs Welt, Hamburg 2016, Rowohlt
Klaus Rüdiger Mai, Die Bachs, Berlin 2014, List