Sutton Verlag Leseprobe: "Seefahrt ist not!"

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Gorch Fock Seefahrt ist not!

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Nichts wünscht sich Klaus Mewes alias Störtebeker sehnlicher, als mit seinem Vater zur See zu fahren und Schollen zu fangen. Seine Mutter Gesa vermag den Gedanken kaum zu ertragen, dass ihr viel zu junger Sohn der erbarmungslosen See zum Opfer fallen könnte. Doch Vater Klaus weiß, dass der Junge für die Seefischerei geboren ist und möchte ihm seinen Traum nur zu gern so früh wie möglich erfüllen. Selbst als der Vater später nach einer Fangfahrt verschollen bleibt, ändert sich nichts an Störtebekers unermesslicher Liebe zur See. Als Kapitän des schönsten Austernkutters Cuxhavens fährt er bald als stolzer Seefischer unter eigener Flagge. Doch Seefahrt ist not! - Das muss auch Klaus Mewes erfahren, dessen unvermeidliches Schicksal die See ist.

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Gorch Fock

Seefahrtist not!

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Gorch Fock

Seefahrtist not!

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Sutton Verlag GmbHHochheimer Straße 59

99094 Erfurthttp//:www.suttonverlag.de

Copyright © Sutton Verlag, 2005

Buch: 978-3-89702-930-9E-Book: 978-3-86680-778-5

Gestaltung: Markus DrapatzDas Coverbild zeigt den Fischerewer H.F. 125 von Gorch Focks Vater auf

einem Ölgemälde des bekannten Finkenwerder Kunstmalers Hinrich Stroh.

Lasst mich nur auf meinem Sattel gelten,bleibt in euern Hütten, euern Zelten,

und ich reite froh in alle Ferne –über meiner Mütze nur die Sterne.

Goethe

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Erster Stremel

„Insonderheitaberbittenwirdichfürdie,dieaufdemWasser ihreNahrung suchen. Segne, segne die Fischerei auf der See und imFluss,behüteMannundSchiffinallenGefahren!“

PastorBodemannbeugtedengrauenKopftieferalszuvor.DahatteerlautundwarmfürseinenaltenKaisergebetet,lautundwarm,wieesihmvonHerzenkam,nichtleiseundkaltwieseinVorgänger,einzäherWelfe,dernurderkirchlichenVorschriftnachgekommenwar: „Lassdeine Gnade groß werden über deinem Knecht Wilhelm, unseremKaiserundHerrn,undüberdemganzenkaiserlichenHaus.“

DiegefurchteStirnberührtefastdasschwarzeTuch,mitdemdieKanzelvomSonntagReminiszerebiszumstillenFreitagbedecktwar.Esschien,alswenndieStimmeihmversagteunderaufhörenmüsste.UnderhieltüberwältigtinneundließdiegroßeStillekommen.

Totenstillwurdees inderKircheaufFinkenwärder.RegungslossaßdieGemeinde.IndieAugenkameineDunkelheitwievonauf-steigendenTränen.

DenndieSeenahmdasWort,dieNordsee,dieMordsee–mitihrenjagenden,zerrissenenWolken,mitihrempfeifenden,brausen-den Sturm, mit ihren haushohen, schäumenden, brüllenden Seen,mit Brand und Wetterleuchten, mit Dünung und Gewitter – mitgeborstenen Segeln, gebrochenen Masten, blakenden Notfackeln,verlorenenWracksundhilferufendenFahrensleuten.

Und es war niemand da, der nicht ihre Stimme vernommenhätte.

Die hellhaarigen Jungen auf den Bänken neben dem Altar, dieals große Schleefen zu den gegenübersitzenden Konfirmandinnenhinübergelacht und ihnen zugenickt hatten, besannen sich, legtenbeschämtdieHändezusammenundsahenvorsichhin,weilihneninderheiligenStilledieVäterundBrüderindenSinnkamen,diedrau-ßenwaren,undweilsiedarandachten,dasssienachOsternselbstindieFischereihineinkamen.

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Auchbeiden rotbackigenMädchenwurde es still.Alle faltetenraschdieHändeundmanchesKinderherzbebte–vergessenwar,dasssieabendsamDeicheinzuhütenhattenunddassdieJungendortvordenFensterntrommeltenundpfiffen,bissiehineingelassenwurdenundBlindekuhoderSechsundsechzigmitspielendurften.

Gesine Külper, die schönste Deern der Hamburger Seite desEilandes,umdiedieJunggästeeinanderSonntagabendsaufMusikbannigindieWantenstiegen,weilkeinersiedemanderngönnteundjedersienachHausebringenwollte,senktedieWimpernundneigtedenstolzenKopf,nichtallein,weilsiewusste,dassesihrgutstand,sondern auch um die Seefischerei, um alle Freundschaft, Bekannt-schaftundVerwandtschaft,dieunterSegelnwar.

AuchHeinLoopbetetemit,derRotbartvomAuedeich,densiedenSeeteufelnannten,wennernichtdabeiwar,HeinLoop,einerderVerwegenen–derVerwogenen,wiesieanderWasserkantesagen–,einervondenen,dienichtreffenundbeidrehenmögen,diemitallenLappensegelnundbeijedemWindfischen,denenesergehtwiedemjungenLordvonEdenhall:

Sie schlürfen gern in vollem Zug,sie läuten gern mit lautem Schall.

DiemitdemGlückvonEdenhallanstoßenundeswohlaucheinmalversuchen.DieSeeschmecke ihmerstdann,wennsiegarsei,undgarseisienachseinerMeinungerst,wennsiekoche,hatteHeinLoopeinmalgesagt,und jeder,der ihnkannte,glaubtees ihm.Abernunbeteteer,dennerwolltedenandernTagmitseinemKutternachSeeundkonntemooiWindundmooiFanggebrauchen.

Auch Jan Greun, Simon Fock und Hinnik Six, seine Macker, dienichtweithinterihmsaßen,ließendasKirchenwortindieunerschro-ckenenSeemannsherzenhinein,wennsieinGedankenaucheinkräf-tiges Sprüchlein achtern anhängten, das bei Jan hieß: Herr Pastur, deverdreihtenDänennevergeten!BeiSimonlautetees:Amen,HerrPas-tur:oberdatIsmütirstinnenDut,anskanniknerut!UndbeiHinnikbesagtees:DeBüt,HerrPastur,deBüt,deBüt,dehürtdorokmitto!

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VondenmittlerenBänkenkameinWeinenundSchluchzen.Dortsaßen die Seefischerwitwen, in ihren schwarzen Kleidern und mitdendunklenKopftüchernwiemorgenländischeKlageweiberanzuse-hen.DerletzteJahrganghattedieStirnenaufderhartenHolzlehneliegen,alsseikeinLebenmehrinihm:SowolltenesdieSitteundderSchmerz.ZuhinterstsaßdiegreiseGeeschenWitten,tiefeRunenimGesicht,daseinerLandkarteähnlichersahalseinemMenschenant-litz.SiekonntenurnochfürTotebeten,dennallesLebenhattesiederSeegegeben:ihrenVater,der1843vorderholländischenKüsteüber Bord gegangen war, ihren Mann, der in den SechzigerjahrenwährendderÄquinoktienuntergegangenwar,ihrenBruder,densichdieSeefünfJahrespäterbeiAmrumgeholthatte,ihrebeidenSöhne,dievorneun Jahrenmit ihremneuenEwerverschollenwaren.Siewohnte ganz allein in ihrem großen, leeren Dachhaus, zwischenNetzenundSegeln,diedieGebliebenenzurückgelassenhatten,undwunderte sich, dass sie immer noch lebte und dass auf ihrem Kir-chenplatznichtschonlangeeineanderesaß.

Einer aber war da, der hatte den Kopf nicht gesenkt und dieAugennichtzugemacht:TheestoBaben,derSegelmacherundSpö-kenkieker,derBlutstillen,Krankheitenbesprechen,HexenbannenundSchweinezumFressenbringenkonnteunddieGabedesVorse-hensundVorhörensbesaß.ErbeobachtetedenPastorscharfundalsBodemanndieAugenschloss,machteTheesseineweitaufundstarr-tedurchdasverbleiteFenster,biser ihnkommensah,den langen,heimlichen Zug, der vom Deich stieg und über die Äcker, GräbenundWischenwallte,ohneeinesWegesoderStegeszubedürfen,derdurchdievonselbstsperrweitaufgehendenTürendrängteunddieKirchefüllte.LautlosundgespenstischbesetzteeralleleerenPlätzeund alle Gänge. Kopf an Kopf standen sie, die gekommen waren,diegebliebenenFahrensleute,diealtenunddiejungen,dieSchifferunddieKnechte.Mitweit geöffneten,wasserleerenAugen sahderSegelmachersiean.WiesieüberBordgespültwordenwaren,standenundgingensie,dasWasserleckteihnenvondenSüdwestern,glänzteaufdenÖlröckenundquollausdenSeestiefeln.DerSpökenkiekersahsieundlugte,obsieeinenuntersichhatten,dessenUntergang

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amDeichnochnichtbekanntgewordenwar.Dabeiblieber ruhig,dennerwaranSpukgewöhnt;nurwenneinerderTotenihnansah,schüttelteerdenKopf,alswennersagenwollte:AndenSegelnhatesnichtgelegen,dassihrgebliebenseid,dieSegelwarengut!Wobeierallerdingsvoraussetzte,dassersieauchwirklichgemachthatte.

Endlich – ein erlösendes Husten unten im Schiff, ein befreiendesScharren oben auf dem Chor, ein dreistes Sperlingsgeschrei draußenin den Erlen und Eschen. Da vergingen Gespenster und Gedanken,die Sonnenstrahlen fingen wieder an zu spielen und Alt-BodemannbekamseineSprachezurück.UndalserdannbeiseinemHerrgottumdenHausstandanhieltundalle,diedazugehörten,umgottesfürchtigeEheleute, Eltern und Herren, gehorsame Kinder und frommes undgetreues Gesinde, da war die große Stille vorüber; die KonfirmandenmachtenwiederihreverstohlenenZeichen,dieMädchenkichertenundstießeneinanderimGeheimenan,GesineKülperdachteandenerstenSchnellwalzer,TheesSegelmacherstütztedieEllbogenaufdieBrüstungundhörtesogenauzu,alswennernochPastorwerdewollte,unddieFahrensleuterolltendiePrüntjergeruhigwiederhinterdieKusen.

Klaus Mewes, der junge Seefischer, der in der Nähe der OrgelaufdemChor saß,warvonderErinnerunganseinenVater freige-kommen,die ihn jähbefallenhatte,undkonnte sichwieder seinesgutenPlatzes freuen.DennerhattesichsozuAnkergehen lassen,dass er nicht allein recht in der Sonne saß, sondern auch aus demFenster sehenkonnte.HinterdenWischenundGräbensaherdenhohen Deich aufragen und über den Stroh- und PfannendächernderHäusergewahrteerdieMastenderFischerfahrzeuge,dieaufdenSchallenundamBollwerklagen,unddieRauchwolkenderDampfer,dieimFahrwasser,hartamholsteinischenElbufer,aufundabfuhren:Dinge,dieihmHirnundHerzmitMutundFreudefüllten.

WennerdiesesMalgleichwohlnicht sonderlichdarauf achtete,sokonntenurseinJungeschulddaransein,derunterseinenAugenunermüdlichnebenderKirche imGras aufundabging.Er freutesichwieeinStint,dasserihnnichtmithereingenommenhatte,wieeseigentlichseineAbsichtgewesenwar,alsderJungeihmmitdemHundnachgekommenwarundgesagthatte,siewolltendasGesang-

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buchtragenundihnbisandieKirchentürbringen.DennhättederVogelBuntsolangeruhiggesessenundgeschwiegen?Sicherlichnicht–erwärebaldaufgestandenundumhergelaufenundhättegegucktundgezeigtundgefragtundgetan;beimstillenEingangsgebetinderFensternischehätteergesagt,wasjenerBauernjungevomOsterendegesagthatte,alserseinenVaterindenHutguckensah:Du,Vadder,lotmiokmolinnenHotkieken!DenKlingelbeutelhätteerindenHändengewogenundausgerufen:Junge,Junge,Vadder,dorisoberplenniMonnein!UndGeeschenWittenhätteerlautgefragt:Diern,Geeschen,watschreestdu?HestdudienOntjenwollnixtofretengeben?WenneraberzurRuheermahntwordenwäre,hätteergeant-wortet:IckbünförnPasturnebang,Vadder!–odereingewendet:delebeGottisnebiHus,Vadder,dekannminixseggen!

Eswarwedervorwärtsnochrückwärtsaufzuzählen,waserallesangerichtet hätte, und es war besser, dass er draußen seine Wacheabreißenmusste.

DerSeefischerlachteinsichhinein.AlssievorderKircheangelangtwaren,hatteJochenRolfsichzu

ihnengeselltundschalkhaft-ernstgemeint:WennderJungemithineinwolle,müsstenihmwohlerstdieTaschendurchsuchtwerden,damiterkeineSteinebeisichbehalteundsiedemKüsterandenKopfwerfe.Solleeraberdraußenbleiben,dannwärenurzuwünschen,dassderPastoreskurzundknappmache,damitder JungenichtdieGeduldverliereundallesinBrandstecke.WoraufderVogelBuntdieKirchevonobenbisuntenangegucktunddannernsthafterwiderthatte,diebrennejagarnicht,weilsieganzausSteingemachtsei.DawardemSeefischer einköstlicherEinfall gekommen, erhatteden JungenbeiderHandgenommenundihnnebendieKirchegelotst,ihmdorteinenApfelbaumundeinenBirnbaumgezeigtundihmgesagt,dereineseiderGroßmastundderanderederBesanmastundzwischenihnenseiderFischewerundrechterHandseiSteuerbordundlinkerHandseiBackbord.Datbrukstminetovertillen,hattederJungegeeifert,datweet ik jo all lang! Na, dann solle er aufpassen, war des SeefischersEntgegnunggewesen,erwolleeinmalausfindigmachen,obderJungeschonetwaskönne,oberschonzuetwaszubrauchensei;darumsolle

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eraufdemEwerzwischendenBäumenWachegehenwieaufSeeinderSchollenzeit,zweiStundenhindurch.DerKompasslägeNordwestan:Er solledaraufachten,dassernichtausdemKurskomme, solleaufpassen, dass die Segel immer voll Wind seien und nicht klapper-ten,undgutenAusguckhalten,damit erkeineHaveriemit anderenFischewern habe. Der Junge hatte wie ein Großer genickt und warvonHerzendamiteinverstandengewesen,erhattesogleichdasDeckmitgroßenSchrittenausgemessen,hatteGroßmastundBesanmitdenwirklichenMastenverglichenunddenKopfindenNackengeworfenunddieÄsteaufihreEignungalsGiekbaumundGaffelgeprüft.

„VanBurddöttikoberdochnegohn,ne,Vadder?“hatteernochgefragt.

„Och du Dösbattel“, war des Seefischers Erwiderung gewesen,„kannstduokvanBurdgohn?BüstdochupSee,isdochallWoterümdirüm.“

„Isokjowohr!WatisSeemanndenn?“„Seemann?“KlausMeweshatteden struppigenHundergriffen

undandenBirnbaumgesetzt.„Sittenblieben,Seemann!DatisdatwitteNachthus,Störtebeker,unsienNüff,datisdeKumpass.“Nunwisse er wohl alles; er brauche nicht immer am Ruder zu stehenund das Helmholz festzuhalten, sondern könne geruhig auf Deckhinundhergehen,wiedieFischerleuteestäten,hattederSeefischergeschlossenundwarindieKirchegetreten,währendderJungeunterdemGeläutderGlockenunddemGebrausderOrgelanseineersteSchiffswachegegangenwar.

JetztwarBodemannschonmitteninderPredigtundderJungeging immer noch ernst und wachsam zwischen Apfel- und Birn-baumaufundnieder,alsoberwirklichanBordsei,dennerwolltebeweisen,dasserschongroßgenugwäreundalleindieWachegehenkönne. Er wollte zeigen, dass er schon mit der See klarkommenkönne,damitseinVaterihnimSommermitaufdenEwernahm,wieerihmversprochenhatte.WienachSegelnblickteernachdenZwei-genhinauf.EinenBuchfink,derimWipfeldesApfelbaumessaß,ließersichalsFlögelgefallen.ErhattedieHändenachFischerarttiefindieHosentaschengestecktundpfiffgefühlvollvorsichhin,spuckte

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aucheinmalgroßartigindieSeehinein,alswennerbangesei,dasserkeinWassergenughabeundaufsTrockenekomme.

Esschienstürmischzusein,dennalleAugenblickewehteihmdasweißeNachthausüberBord, sei es,weil eineRatteüberdenGrabenschwammoderweilsicheineKatzeaufderWurtdesnahenBauernhofessonnte.Junge,waswardasfüreinStückArbeit!WassolltederWachha-bendetun?Nachlaufenkonnteernicht,dennringsumwarWasser,daskeineBalkenhatte;erverlegtesichdeshalbaufRufenundPfeifenundwennesnichthalf,dachteerschließlich:Ochwat,nujumpikeenfachoberBurd.Ikkann joswümmen–undliefnachderWurtodernachdemGraben,ergriffseinNachthausundschleppteeszurück,wobeierpustete,alswennerwirklichimWassersei,stellteeswiederandenBirn-baumundsagte:„Dumüsssittenblieben,Seemann,anshebbikkeenKumpass!“DannguckteerverstohlennachdenKirchenfensternhinauf,dennerwarsichnichtganzsicher,oberüberBordspringendurfte.

KlausMewessaheswohlundhögtesichüberihn,währendihmdasBlut,dasdieSonnenstrahlengeweckthatten,heftigundstarkindenSchläfenklopfte.DaswarseinJunge,derkleineMannmitdenhellen Haaren, den blauen, nordischen Augen und dem wetterge-bräuntenGesicht,dereinegraue,wolleneMatrosenmützeaufhatte,um den Hals ein schottischbuntes Tuch trug, einen weißblauenBuscherump und eine marineblaue Büx anhatte und auf braunenSegeltuchschuhen ging wie ein Janmaat, der auf Freiwache ist undsich landfein gemacht hat. Das war sein Junge! Wer den so gehenundstehensah,demmochtewohldasGedichtvonUhlandeinfallen:JungSiegfriedwareinstolzerKnab…DurchdieBrustseinesVatersbrausteeinsolchesLied,dasdieOrgelübertönte.

Wieder nahm Klaus Mewes sich freudig und heilig vor, einenFahrensmannausihmzumachen,einenSeefischer,einensofurcht-losenundverwegenenwieFinkenwärdernochkeinengehabthatte.NochdiesenSommerwollteerihnmitnachSeenehmen,obauchdie Mutter weinte und die Leute den Kopf schüttelten. Lachendwollteerihnentrotzen,dennerwaresnichtgewohnt,aufanderezuhören,wederanLandnochaufSee.WieseinenEwer,sosteuerteerauchseinLebenselbst.

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Ja,KlausStörtebekersollteeinFischermannwerden!DerJungehießKlausMeweswieerselbst,aberdasganzeEiland,

mitAusnahmevonGesa,nannteihnKlausStörtebeker,einmal,weilerwirklich ein großerStrömerundLiekedeelerwar, einBriteundTunichtgut,dann,weilseingrünerKahndiesenSeeräubernamenanStevenundGatt trug, schließlichauchwegendesGroßvaters,demernochähnlichersehensolltealsseinemVater,wiediealtenLeutebehaupteten, der auch Klaus Mewes geheißen hatte, wegen seinesFreibeutertumsaberallgemeinStörtebekergenanntwordenwar.WasdenkleinenKlausMewesbetraf,sowardermitseinemSeeräuber-namen so einverstanden, dass er auf seinen wirklichen nicht mehrhörte;riefeinerKlaus,sosagteer:KlausgifftenganzenBarg!Nann-te ihneinerKlausMewes, soerwiderteer:Dat ismienVadder,duanner!ErstbeiStörtebekerließersichermunternundantwortete.

Klaus Mewes freute sich. Wie treu der Junge Wache ging, wiegenauerdasDeckabmaß!DawarkeinSchrittzuvielundkeinerzuwenig.Wenner sichbeimBirnbaumumdrehte, vergaßerniemals,nachdemKompasszusehenunddieSegelzuprüfen,wennerbeimApfelbaumangekommenwar,spähteer luvwärtsundleewärtsüberdieSee.MitgroßemBehagenundeinigerVerwunderungbemerktederSeefischerdieseEinzelheiten,dieihmsagten,dassderJungeihmunddenanderenFahrensleutenschonvielmehrabgeguckthatte,alserglaubenwollte.NichtsstörtedenkleinenFischer,derwusste,dasseraufSeewarundkeinLandinSichthatte,unddersichwederumdie vorbeigehenden Kinder kümmerte noch den vorüberrollendenWagennachlief.

Dass der Seefischer bei diesem Ausguck viel von der Predigthörte,warnichtzuverlangen;erwurdekaumgewahr,dassdergolde-neSternobenanderOrgelklingendlief,einemHochzeitspaarezurFeier, und hätte sogar den Klingelbeutel übersehen, wenn der ihmnichtdirektunterdieNasegehaltenwordenwäre.NurderGesanglenkte ihn eine Zeit lang von seinem Jungen ab, denn es braustegewaltig durch die Kirche: Krist Kyrie, komm zu uns auf die See!ImInnerstenergriffesihn,denndaswarkeinGesangmehr.WieeinweherRuf,wieein todesbangerSchreihörtees sichanundschlug

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wieMeereswogenumdiekahlenPfeiler,eswar,alswenndieStürmesich wieder erheben und die See und die Herzen aufwühlten, dieSegelunddieSeelenzerrissen,alswennGeisterlaute,dieStimmenderErtrunkenen,derVerschollenen,sichhineinmischten.Sofurcht-bardrücktederKüsteraufdieTasten,deranseinengebliebenenSohndachte,soübermächtigsangendieFahrensleute.

Klaus Störtebeker sah sich besorgt um und dachte, es kommeWindauf,weilesmiteinemMalsobrauste.AbererdurfteundwolltesichnichtbangemachenlassenundgingdeshalbwiederaufundabzwischendenBäumen,derenStämmederHasenundRaupenwegenmitKalkbestrichenwaren.Unverdrossenhielteraus,bisderMondaufging,derstille,mildeFreundderMenschen:PeterWittorfsrun-des,glänzendesVollmondgesichterschieninderSchalllukeaufdemTurm.DieGlockemitderAufschrift:UtdatFüerbünikfloten/PeterStruvehettmigotenbegann,sichleiseknarrendzuwiegen,schwangsichhöherundhöher,bisderKlöppeldröhnendgegendenMantelschlugunddashelleGeläutsicherhob.DieTürenwurdenaufgesto-ßen,die Jungenstürmtenheraus,als seidrinneneineFeuersbrunstausgebrochen,dieMädchendrängtennach,dannkamendieFahrens-leuteunddieFrauen.DagingdasNachthausbellendindieBinsenund war nicht wieder in Sicht zu bekommen, so laut Störtebekerauchriefundpfiff.AberwennernunauchohneKompasswar, sohielterdennochgetreulichausundverließseinenPostennicht,bisseinVaterlachendzuihmtratundihnerlöste.

OberauchHavereigehabthätte?Nein,nurdasNachthauswäresiebenmal über Bord gegangen! Ob der Fang gut gewesen sei? Ja,banniggut,einfeinerStreek,hundertStiege,großeSüdschollen!

„Deubelok,dukannstdatober!“lobteKlausMewes.„Ja,Vadder,datharrstdiwollnedacht,wat?Nimmmimanmit

no See, denn schallst mol sehn, wat wi de Fisch belurt!“ sagte derJungemitblitzendenAugenundfuchsklugenNasenlöchern.

DerSeefischeraberwarfihmdasGesangbuchhinunderwiderte,siewolltenerstmalsehen,obdieKlütjennochschmeckten.„Kumm,See-mann!“UnderschechtetegroßundheiteraufdemKirchenwegentlangundüberholteeinedunkleReihenachderandern.Immergrößerwur-

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denseineSchritte, sodassStörtebeker inSprüngen laufenmusste,ummitzukommen,undSeemann,derweiteWegegarnichtgewohntwar,weilersonstnurvonBackbordnachSteuerbordzuwackelnbrauchte,seineroteZungealsNotflaggeaussteckte,wasKlausMewesabernichtbewegenkonnte,sichausderFahrtlaufenzulassen.

DerSeefischerlachteundsprachlaut,ohnesichandiemissbilli-gendenBlickederAltenzukehren.Wasgingesihnan,dassaufdemKirchenwegnicht gelachtwerden sollte?Er tat,was erwollte,undaß, was ihm schmeckte, der große Klaus Mewes, der getrost seineSegeldemWindbot,weilerkeinenmürbenKramfuhr;derwusste,dasserdenbestenEwerunterdenFüßenhatte,mitdemsichetwasbeschickenließ,undderHerrundKönigseinesLebenswar.NichtumsonsthatteerTagundNacht,beijedemWindundWetter,seinedeutsche Flagge auf dem Besan wehen. Das war der Tiefe seinesWesensentsprungenundentsprachseinerLiebezuseinemFahrzeug,seinerWikingerlustanderSeefahrt.HattederWinddasbunteTuchzerfetzt, dann zog er unbekümmert eine neue Flagge auf und ließweder Furcht noch Aberglauben in seine Seele hinein. SonnigenHerzenspflügtederglücklicheFischerdieSee,lachendstricherdenreichenSegenein,densiefürihnhatte,undwennderFischenochsovielewaren.Fremdwarihmdasalte,heidnischeGefühl,dasdenBauer bewog, sein Feld nicht ganz zu mähen, sondern eine EckeHaferstehenzulassen,fürdieGötter,fürWotansSchimmel.

Siesagten,mansolleunddürfeniemandenaufsWasserweisen.WerdenWegnachdemSchiffnichtvonselbstfinde,ausdemkönnedoch kein Seemann werden. Am besten aber sei es immer nochgewesen, wenn einer gegen seiner Eltern und aller Willen zur Seegegangen sei. Was scherte das Klaus Mewes, den Lachenden? ErsprachmitseinemJungenübernichtsalsFischereiundSeefahrtunderfüllte ihn mit nichts anderem, als dass er Fahrensmann werdenmüsseundsolle.WasfürLasthattendieFrauenamDeich,dasssiedie Kinder vom Graben und von der Elbe fernhielten, dass sie sieausdenBootenundKähnenherausbrachten!GohmannebitWoter!warihrzweitesunddrittesWort.WastatKlausMewes?Erlachteundsagte: „GohmanbetjenbitWoter,Störtebeker!Schippermanmol,

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klüsmanmolnotFohrwoterraf,seilmanbetjen,swümmmanmol,dorliggtdeBoot,dorisdeKohn!“

UndeinesbrannteerdemJungenwiemitglühendemEiseninsHerz, drückte es tief und unverwischbar, unauslöschlich ein: Nebangwarrn!Nichtbangewerden,sonstkommstdunichtmitnachSee!Nichtbangewerden,zukeinerZeitundStunde,einerlei,obeshelloderdunkelist.Obesdonnertoderblitztoderweht,wederaufdemWassernochanLand,wederindenMastennochaufdenBäu-men,wedervorMenschennochvorTieren,wedervorLebendigennochvorToten.Nichtbangewerden,nichtbangewerden!

UndderJungenahmesaufwiedasSegeldenWind.Bangdöttiknewarrn,anskommiknenoSee,sagteersichimmerwieder,wennihmetwasFurchteinjagenwollte;sowurdeerdreistundverwegen,wieseinVatereswollte.

SiehattendieHöhedesDeicheserreichtundKlausMewesblick-teaufatmendüberdieElbe.WennerauchdieFischerewernochimWintereissitzensah,dasnichtvondenSchallenschmelzenwollte,sofischteundsegelteerdochimMorgenlichtmitallenSegelnbeiHel-goland.UndwennStörtebekersichauchnochmitdemGesangbuchabschleppte, sohatteer ihndochschonanBordundwies ihmdieFeuerschiffevorderElbeunddieLotsenschoneraufSee.

DagrüßteseinEwerüberdasEis,ersahseineFlaggeflattern–undseineSeelefasstenochmehrWind,siesetztedieletztenundhöchs-tenSegel.

Zweiter Stremel

Klaus Störtebeker stand auf dem Deich, hatte die Hände hohl umdenMundgelegtundriefdieLeute.„KapHornundHein,wateten!Wateten!Wateten!“

EndlichentstiegensiederKombüse,winktenmitderHandzumZeichen,dasssieverstandenhättenundkamenüberdasEis.

DannsetztensiesichdrinnenzuTisch,wieessichgehörte.Aufder Bank mit dem Blumenkranz, dem Namen und der JahreszahlsaßzuoberstderSchiffer,rechtsvonihmderKnecht,derBestmann,

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vor ihm der Junge, Störtebeker aber neben ihm auf dem buntenBankkissen.

Gesa trugdievollen,dampfendenSchüsselnauf.Esgab frischeSuppemitbuntenKorinthenklütjen.Safran,SuppenkrautundMus-katnuss fehlten nicht daran und ein Stück Fleisch, wie ein halberOchsegroß,kamdazuaufdenTisch.

EinestillePause,dannergriffKlausMewesdengroßen,blankenSchöpflöffelundfüllteseinFatt,seinenTeller.Alsergenughatte,gaberdenLöffeldemKnecht.Störtebekerbekamihnzuallerletzt,obgleichervielleichtamhungrigstenwar.AnderaltenSchiffsordnung,dieamDeichgalt,durftenichtgerütteltwerden,obschonKlausMewessichsonst wahrlich nicht an das alte Wort kehrte: Flesch förn Schipper,KlütjenförnKnecht,KantüffelnförnJungen.ErgabeinEssen,wieesselbstdiegroßenBauernnichtbessergebenkonnten.

Bi Disch ward ne snackt. Das war nichts für Klaus Mewes, dahätteihmwohleinereinPechpflasteraufdenMundklebenmüssen,wennerdasgesollthätte.Ersprachundlachte,ohnesichetwasdabeizudenken,undließsichauchdurchdieverweisendenBlickeseinerFraunichtausdemKursbringen.

StörtebekeraßfünfKlöße,GottsdenDonner,watkunntangohn!„VörreHandweg,Vadder“,versicherteer,„ohnuttoseuken;wenniknodelütjenlangtharr,harrikwenigstenssöbenupkregen.“

„Odersöbenuntwintig“,gabderKnechttrockendrein,aberStör-tebekerverstanddenSpottnicht.

„Ikwull,wietenirstlebennigeSchullen,Vadder,desmecktnochenbargbeter!“

„Datwullikok“,riefKlausMewesundblicktenachseinemEwerhinaus.

ErhättejadieSchollenannehmenkönnen,dieJan-OhmvonderAuegeschickthätte,meinteGesa, aber erwehrte abund sagte,daswärejanochschöner,wennderFischermannsichdieerstenScholleninsHausbringenließe!Gottsolleihnbewahren:DiemüsseerselbstausderSeegeholthabenodersieschmecktenihmnicht.Ersahsei-nenJungenan:„Ne,Störtebeker?“

„Jo,Vadder!“

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NachmittagsstandendiedreiamFensterundknütteten,Klaus,derSchiffer,KapHorn,derKnecht,undKlausStörtebeker.HeinMück,derJunge,hatteUrlaubgenommen.DiedreiaberklappertenmitdenSchegernund fuhrenmitdenNadeln inderLuftherum,obgleichGesamitderSabbatschändunguppenSünndagnomerdagkeineswegseinverstandenwarundeineLippezog.AberdieNetzmacherließensichnichtstören.

Kap Horn war der Bestmann, der Steuermann, Klaus Mewes’Knecht.Erhießeigentlichanders,aberaufFinkenwärdernanntensieihnallgemeinKapHorn.Viele sagtenauchKorlHorn,namentlichdieGören.

Er war ein Janmaat alten Schlages, der lange Jahre auf großenSchiffengefahrenhatte,aufhamburgischenundenglischen,derimSüdatlantikAlbatrossegeangeltundbeiGrönlandWalfischeharpu-niert hatte und dreißigmal unter der Linie durchgekommen war.Warum er von der großen Fahrt abgemustert hatte und vom Vier-mastvollschiffaufdenFischerewergeklettertwar,weißichnicht:ErfuhraberschonzwölfJahrebeiKlausMewesundwarschonfastzueinemFinkenwärdergeworden,nurinseinerSprachewarnocheinhamburgischerTonundergabnochoft einenglischesWortdrein.Unddannhieltersichalsalt-undweitbefahrenerMatrosefüretwasBesseresalsdieanderenFischerknechte,diedochhöchstenshollän-dischoderdänischsprechengehörthatten.

Wenn jemand mit Fahrten und Reisen prahlte, dann pflegte ereinfachzufragen:„KapHorn?“Undwusstederanderedannnichteinmal,wasgemeintwar,sospuckteerminnachtigaus;verneinteer,so drehte er sich um und sagte, mit Bierfahrern verkehre er nicht,bekam er aber ein Ja als Antwort, so fragte er schnell: „Veel mol?“„Dreeoderso.“Dannlachteerundsagte:„Anmikannstnichklin-geln,oldboy:IkbünsossteinMolumKapHornseiltunnulotdienProhlen man en bitten no.“ Bei einer solchen Gelegenheit war erauchKapHorngetauftworden.

Nun stand er backbords von seinem Schiffer am Fenster undwarbeieinerweißenManilakurre,KlausMewesarbeiteteaneinem

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Zungensteert,mitdemernurlangsamweiterkommenkonnte,undStörtebeker hatte etwas in der Mache, von dem er steif und festbehauptete,dasseseineBungewerdensollte,einReifenkorbnetzfürHechteundSchleie,währendKapHornaufeinZwiebelnetztippteundKlausMewesesfüreineStaatsgardinefürdenKrähenkäfighielt.Wie Weberschiffchen flogen die Nadeln hin und her und auf denSchegernreihtesichMascheanMasche.Dabeiaberwurdeausgiebiggeklönt,dennniemandhatteuppenStutzzumindernundMaschenzuzählen,alsobesondersaufmerksamzusein.EinmalfrischteKapHorn sogar ein altesMatrosendöntje vonSt.Pauli aufundbegannzusingen:

„In England geiht dat lustig her,dor bot se Scheepen grot und swor,een bannig Deert von Ungetümdat sall jo de Gretj Astern sien!

Lang is dat Deert twee dütsche Mil,hoch annerthalf von Deck to Kiel,

Soß Masten, hoch bet an den Moon,acht Dog brukt een, um roptogohn …“

Weiterkamerabernicht,dennGesa,diebeimGrabengewesenwarunddieEntengefütterthatte, trat indieDönßunduntersagte ihmdenHymnusmitdenWorten:„Sünndogswardnesungen,Korl!“

Gesa,dieihrenJungenstetsKlausnannteundvonseinemgrässli-chenSeeräubernamennichtswissenwollte,gabauchKapHornnichtseinenSpitznamen,sondernnannteihnehrbarKorlundmeinteihmwunderwasfüreinenGefallendamitzutun.

Janmaat verteidigte sich aber: „Wenn ik arbein sall, mutt ik oksingen,Gesa.“

„Arbeinschall?Keenseggtdiedat?PackdienKurrmangetrosttohopunmokmanFierobendunlesmanmolinneBibel“,priestertesieundalsKlauMewesherzlichlachte,fuhrsieerregterfort:„Jidreesündtjowollne,sündwollreinmallworden,stilltjouppenSünndagvörtFinsterhinundknütt!Weetjiok,keensünndogsarbeit?“

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„UnsHerrPastur!“sagteKlaus.„Ne,deBedelmann!FörunsLüdisdeWeekdor!“Klaus erwiderte gelassen, es müsse aber sein, denn es sei Tau-

wetterunddasEiskönnemitjederTideabtreiben,sodasssiefahrenmüssten,erwolleundwollediebeidenKurrenbisdahinaberfertighaben,dennbeiderFischereiunterbliebedasKnüttendochwieder.

UndermüsseseineBungeauchklarhaben,verteidigteStörtebe-kersich,dennseinVatersollesieihmnocheinstellen.Wassiewohlmeine,dieganzenGräbensäßenvollerHechte.

DannsolltensiemitihremKramnachderKücheodernachdemBodenodernachdemEwergehen,fingGesawiederan,diesichübersieärgerte.SiesolltensichdochnichtvondenLeutensehenlassen,dennamDeichsprächensiesicherlichwiederdavonundhieltensichdarüberauf.

„Lotjüm,Mudder“,erwiderteKlaussorglos,„ikbliefdochhier,mag to giern sehn, wenn welk uppen Diek langs goht un mi inneFinsternkiekt.“

Und er füllte die Nadel, die leer geworden war, und knütteteweiter.

GesaabergingkopfschüttelndausderStubeundmachtesichinderKüchezuschaffen,vonwosieüberdieBauerndächerundObst-bäumenachihrerHeimatsehenkonnte,nachdenblaugrauenBergenderGeest.SiekonntedieFischernichtverstehen!SiewarnochkeineFischerfraugewordenundfühltewiedermitbitteremSchmerz,dassausihrniemalseinewerdenkonnte.ImmernochgrauteihrvordemWasser und alle Schifffahrt war ihr fremd und unverständlich. Siekonnte sich nicht helfen. Das eine ließ sich nicht abschütteln unddasandrenicht lernen.KlausrüstetemitGewaltzurFahrt:SiesahihreböseZeitkommen,siehörteschondenRegengegendieFensterschlagenunddenWindanderTürsaugenundwusstenicht,wiesieeswieder ertragen sollte, ihrenMannaufSee zuwissen.Sie liebteihn tief und heiß und lag in seinen Armen wie im Sonnenschein,aberseineFahrtenmachtensiebangeundsiewünschteimHerzennichts sehnlicher, als dass er kein Seefischer wäre, sondern BaueroderHandwerkerodersonstetwasanderesanLand.Könnteernicht

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etwasanderesbeschicken,könnteernichtseinFahrzeugverkaufen,wieandereFischeresgetanhatten?

AberKlausMewes–unddastun?SiemusstedochlächelnüberdenGedanken.BisBlankenesemüssteesgewisszuhörensein,seinLachen,wennsiedavonspräche,dasseranLandbleibensolle.

Da saß sie nun in ihrem Glück, um das die ganze arme Heidesiebeneidete,wareinegroßeSeefischerfraumitHausundHofundDeich,derjedeReisedieHundertmarkscheineaufdenTischflogen,undwardochnureinarmesWeibvollUnruheundBangigkeit,dasimmer und überall Wetter und Wolken aufsteigen sah und seinesLebensnichtfrohwerdenkonnte.WiemanchenTagsehntesiesichnachderstillen,einsamenGeestzurück,wosienichtsvonSchiffenundvonSeefahrtgewussthatte,wiemanchenTag,wenndieElbeinGischt und Schaum einherging. Wie manche Nacht ließ der Windsienichteinschlafen,wiemanchensMaljagtendieBlitzesieausdemBett,wieoftschrecktensiedieStimmendergeängstigtenSchifffahrtim Nebel! Und immer allein zu sein! Der Mann war auf See, derJunge auf der Elbe. Mit den Finkenwärder Frauen hatte sie wenigVerkehrundFreundschaft,weilsiefühlte,dasssiealsButenländerinnichtganzfürvollangesehenwurde.

WiewichtigsieesinderDönßhatten!Alswennsiesiegarnichtvermissten!Wiesielachten,KlausMewesamlautesten!

DiesesLachenhatteesihrangetan,alserumsiegeworbenhatte,denn so hatte sie noch nie jemand lachen gehört. Das hatte sie inseineArmegedrängt,hattesievonderGeestindieMarschgelockt,vondemHeidehofindasFischerhaus,undhattesienichtandieNotund Schwere des Seefischerlebens denken lassen. Vergessen war esgewesen,wassiegehörtundgelesenhattevonSturmundUntergang:Woeinersolachenkonnte,dakonntewederUnglücknochGefahrsein,hattesiegemeint,alsKlausumsiefreite.

Erlachtenochjustsowiedamals,erhatteesnochnichtverlernt,abersiekonntees jetztnichtmehrohneSchmerzhören,esschnittihr ins Herz, wenn sie an das Finkenwärder Elend, an die Witwenund Waisen, an all die Tränen und unruhigen Stunden dachte, eskamihrwieeinFrevel,wieeineSündevor.Dassersoverwegenwar,

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machteihrdasHerznochschwerer,undeinetrübeAhnungfrüherWitwenschafthingwiedunklesGewölküberihremLeben.

Wie lautsieerzählten,diebeidenSeefischer!Gewissvonnichtsanderem als von Fahrt und See und die durstige Seele des Jungentrankes.Derwar schonderSeeverfallen,wardemDeichund ihrschonverfremdetundwurdeesvonTagzuTagmehr.Eswarjaschonausgemacht,dasserdenSommermitanBordsolle:AllihrBittenwarbishervergeblichgewesen.

EswareinHerzleid,einhartesLeid!AnsieundihreHeidedachtekeineinziger,niemandbekümmertesichdarum.WielangeZeitwarsie nicht mehr zu ihren Eltern gekommen, die ihren Enkel kaumkannten!Klauslachte,wennsiedavonsprach,siesollegernhingehenundallegrüßen,aberwaseraufderGeestbeschickensolle?Erkönneauch so weit nicht laufen. Den Jungen bekam sie nur mit halberGewaltdazu,dassermitging.Seitdemerwusste,dassseinVatersichnichts aus der Geest machte, trug auch er kein Verlangen danach.DortseifüreinenSeefischernichtszulernen,echoteer,dortgäbeesjanurHeideundSandundSteineundweitergarnichts.

SchließlichabergingGesadochnachderDönßzurück,weilihrzukaltwurde,suchte ihrStrickzeugherundsetztesichnebendenweißenKachelofen.

„Kiekmol an,Mudderknüttok,Vadder“, riefder Junge lustig.„Kiekmolan,KapHorn,ununswillsewatseggen!“

DamusstesiewiderWillendochmitlachen.„WatsädePasturdennGodes,Klaus?“fragtederKnecht.„Hette

okbeet,datdatIsbalddoldrifftunwinoSeeseilenkönnt?“„Jo,datseggman“,sagteKlausundrissgrimmiganseinerKurre.

„Ickwull,dorkeummolWestenwindachter!“ErblickteüberdieSchallen,aufdenendieFleek,dasdickeEis,

schon seit Fastelabend lag. Bis an den Nienstedter Fall, bis in dieMitte der Elbe stand es noch, zwar schwärzlich und mürbe, aberes hing doch noch zusammen. Dagegen war das Fahrwasser drü-benschonfastfreivonEis,dorttriebennurnochgroßeundkleineSchollen.DortsegeltendennauchschondieFischerfahrzeugevomAudeich,demanderenEndedesEilandes,dort kreuzten schondie

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DreuchewerundJalken,dortfischtenschondieAltenwerderJollennachStintenundSturenunddieHamburgerSmietnettfischernachButten,währenddasNessgeschwader,dasausdreißigEwern,neunKuttern, sieben Wattjollen, einigen fünfzig Elbjollen und Bootenbestand, noch im Eise festsaß und nicht mitkonnte. Die Auer undBlankeneser kamen schon mit den ersten lebendigen Schollendie Elbe herauf, einige hatten schon große Reisen nach der Wesergemacht: Klaus Mewes aber und seine Nachbarn saßen noch fest.WennderEisbrecherbinnenWassergenuggehabthätte,wäreihnenlängstgeholfengewesen,aberdergroßeBeißerkonntenurebendenRandeinwenigglattfressen.

Klaus Mewes sah, dass zwei weiße Kutter von einem kleinenSchleppervonBlankeneseheraufbugsiertwurden,diesicherlichdenBünnvollerSchollenhatten,undkamsehrinFahrt.SeineGedankenzertrümmertendasEisundbrachensicheinenWegnachdemoffe-nenWasser.

„KapHorn,watmeenstdorto,wennwisülbenIsbrekerspeelt?“riefer.

„Watseggstdu,Klaus?DuwulltenIsbrekerutgeben?“fragtederalteJanmaat,dergerademitbrausendemMonsunindenSegelnzwi-schendemKapderGutenHoffnungundSingapurschipperteunddeshalbnichtzugehörthatte.

„Wi weut di bi Isbrekers“, warf Störtebeker laut dazwischen,„swarten Kaffee schallst du hebben!“ Klaus aber hatte seinen PlanschonunterSegeln.„Wimötallemannbi“,riefer.„HützmitteMütz,Lütjfischers un Seefischers, Schippers und Lüd! Wi stekt uns bei-denKurrlienensutunspanntunsalltohopvörundenntehtwian!Schallstmolsehn,wogauwidennnotFohrwoterrafkommt!“

„Jä!“„Wat jä? Meenst, wat wi ne soveel Hölpslüd uppen Hümpel

kriegt?“fragtederSchiffer.„Ikhilpokmit“,versichertederJungewichtig,„ikkannwattehn,

Vadder!“„Dubliffsthier,Klaus“,kamesabermitGegenwindvomOfen

her.„Meenstdu,watdudorünnertIskommenschallst!“

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AnHilfsleutenwürdeeswohlnicht fehlen,gabderKnechtzu,aberwerwürdeseinFahrzeugzumEisbrechermachenwollen?DasseiderKnoten!

Der am weitesten im Eis stecke, erwiderte Klaus. Er selbst! Erwolleeswagen,seinEwerseieinerderstärkstenundkönneesambestenab,erwollegleichamandernMorgenallesklarmachenundKapHornsolledanndenDeichabklopfenundesaussingen,dassdieEisbrechereimitHochwasseranfangensolle.„Dennkönntwioffer-morgenallupdeSchullendol,Mudder!“

„Huroh, offermorgen geiht no See!“ rief der Junge, warf dieBunge hin und machte, dass er hinauskam. In voller Fahrt lief erden Deich entlang, dass die Enten im Graben ein lautes GequarkanstimmtenundsicherstnachundnachvondemgrünköpfigenWartberuhigenließen:Wat,wathebbtjiegentlich,dat,datisdeJungdochjobloß,soschnattertederWart.

„Dukummstobernochnemit“,wollteKlausgeradesagen,abererkamgarnichtmehrdazu.DerJungewarschonumdieHuk,erhörte auch nicht mehr, dass Gesa laut ans Fenster klopfte und ihnzurückrufenwollte.

„Watwillhe?AllBescheed seggen?“ fragteKapHorn lachend,aber sein Schiffer lachte noch lauter und sagte: „De? Ne, de willnodenSchosterhinunsienSeestebelnholen.Wenndeklorsünd,schallhejomitanBurd,unhewillwollallgliekdeirsteReisgiernmit.“

„Dor hest du ok wat scheunes mokt, Klaus“, sagte Gesa kopf-schüttelnd,„datdueindeStebelnanmetenlotenhest!HelöpptelkenDag söbenmalhinundkött an!DeSchoster seggt,hekannemallgornemihrhinholen.“

„Jä –du liebeZeit“, erwiderte er, „endlichwill deBurdeKohbetohlthebbenunddeJungwilltoletztokmolsienStebelnhebben.DeSchosterkannsok jomanklormoken,dennhetthe joweddersiengeruhigtenNachten.“

„Undenn?“„DennnehmikdenJungenmitnoSee,Mudder,datweestdujo,

dorisjoallgenogobersnacktworden“,sagteersicher.

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Siewaraufgestandenunderwidertemiterregter,heisererStim-me:„Unikseggdisoveel,KlausMees,dukriegstdenJungennemitno See. Wenn he noher grot is un ut de Schol, denn nimm em inGottsNomenhin,dennwilliknixmihroberemtoseggenhebben.Abersolanghürthemi,mienMudderrechtlotikminenehmen!Isgenog,watikemsoveeluppeIlwlotenmütt:NoSeeschallhenochne!“

„Geef di, Gesa“, beschwichtigte Klaus gelassen, während KapHorn,derzudemStreitnichts sagenwollte,heimlichausderTürgingundmalüberdenWesterdeichguckte.„DeJungkummtdüssenSommermitnoSee,datissogewissasdeHeben.Heschallbitiedsseefastwarrn!“

„Iklieddatneunlieddatne!“beharrtesieleidenschaftlich.„DuhestenreinenVogelmitdienenJungen,weestdat?KeeneenvandeSeefischersnimmtsonlütjenBoitelallmitanBurd,dekumenBüxmitVerstanddregenkann.“

ErmachtegeruhigseineMaschen.„DehebbtoknesonJungenasik“,sagteer.„Lotmiman,Gesa.IkbünenrechtenFischermannunwillenrechtenFischerjungenutemmoken,unutdiwillikokwatrechtsmoken,Diern!Weest,watdatis?“

SiegabkeineAntwort.„EnrechteFischerfro,Gesa!Weestduwat,Diern?Dugeihstok

mitnoSee,man to,dennwardt irstmooi!KiekdimienFischereemolmitegenOgenan!“

SieschütteltestarrdenKopf:„Datkannikne,Klaus!Wennikdatkunn,dennharrikdatvullichtalllangdon,oberikkanntne!“

„Dat kummt uppen Verseuk an“, erwiderte er. „Goh man molmit,unduschallstmolsehn:Butenistenbargbeterasbinnen!“

„Klaus,gläufmidatdochto:Ikkanndatne,ikwarrseekrankundstarfdiallvörAngst,ihrwimolnoSeedolsünd!MigrottodullvörtWoter!“

„Jo,dubüstengroteBangbüx“,schalter,dannabertatihmseinherber Ton leid und er tröstete: „Ober dat schall sik woll noch allgeben,mienDiern,passmanup,duwarstnochengodeFischerfro,deBanghaftigkeitgifftsikmitdeJohren.“

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„Ne,degifftsikne,datweetik“,sagtesietonlosundgingausderStube,weilihrdieTränenkommenwollten.

DabliebdergroßeSeefischeralleinbeiseinenKurren,abererließsichdenklarenSinnauchdurchdieStillenichtverwirrenundgingnicht von seinem Kurs ab. Kap Horn kam herein und nahm seineArbeitschweigendauf.

„DeJungkummtdochmitnoSee“,ließKlausMewessichver-nehmen. Dann blickte er nach seinem Ewer und wartete auf KapHornsMeinung,dieauchbaldandenTagkam.

„Klaus,ikwilldimolwatseggen:IkkunndienVaddersein:Alsdugebornweurst,dokrüzikallbiKapHornrumungreepAlbatros-sen!DeMudderhettnochenRechtopdenJungen!“

„Ochwat!“fielKlausihmbarschinsWort.„Ikhebbdateenmolseggtundorbiblifftdat:HekummtmitanBurd!BideDiernsgeihtdatnodeMudder,oberbideJungensgeihtdatnodenVadder:SienMudderseh joupt leefst,wennheSchosteroderSniederwarrndäunkeenannerWotertosehnkreegasdatinnenTeeputt.Unwennwibliebenschulln,KapHorn,dennmoktseokenSchosteroberSnie-derutem.ObermankeenBang,KlausMeeskannneblieben!“

DeralteKnechterhobwarnenddieHand.„DathettdienVadderokvullichtdachtoderseggt,KlausMees,

unheisdochnewedderkommenmitsienEwer!“AberKlausMewes,derseinenEwerfürdenbestenvonderElbe

hieltundsichfürdenbestenFischermann,bliebdabei,dassernichtbleiben könne. Das war sein Wort von jeher gewesen und seinegewisse, sturmgewohnte, sonnenfreudige Seele hielt daran fest: „Ikkannneblieben,unikbliefokne!“

Störtebekerließsichauchwiedersehen,ernahmseineBungeundfingwiederanzuknütten,aberermachteeinGesichtwieeinFischer,dernichtsgefangenhatundließdieUnterlippevorstehen,alswenneinSchockHühnerdaraufsitzensollte.DerKnechtsahihnbelustigtvonderSeiteanundstichelte:„Na,KlausStörtebeker,großerSeeräuber,watsädeSchoster?HetthedeSöbenmielenstebelnnochnichklor?“

DabrachesbeidemJungen loswiebeieinerStintflageunderballertewieeinGroßer:„Ikgläuf,deKnappenisverrücktodersplie-

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nig!DatisoberhauptkeenSchoster,gläufik,dekangorneschosternungorkeenStebelnmoken!DatisenLeisegänger,Vadder…“

SchifferundKnechtkonntensichnichtmehrvorLachenhelfen,aberderJungefuhr inseinenSchmähungenfort.„Jedesmol,wennikkomm,seggthe:morgen;oberhekummtnewiederashe is,deTüffel.“

„WatscheutdeStebelndennall,Störtebeker?“fragteKlausernst-haft.

„IkwilldochmitnoSee,Vadder,unduhestdochseggt,wennde Stebeln klor würn, denn schull ik mit“, antwortete der Jungezuversichtlich.

„Büstdudennoknichmehrbang?“ fragtenunKapHorn lau-ernd.„NoSeedörftblotwelk,denichbangsünd.“

„Ne,KapHorn,bangbünikne“,erwidertederJungetreuherzig.„VörndodeMuswollnich,Störtebeker,unvörnbrodtenGnurr-

hohnokwollnich,oberwenndienlütjenRottenbieterinneMeutkummt,dennneihstut,watkannst,unschreest:Mudder,Mudder,Mudder!“

„Lögen,Lögen,Lögen!“strittStörtebekerundpekteihnmitderhölzernenKnüttnadel.„IkbünvörkeenHundbangunvörgornix!“

„WennduoberopSeekeenLandmehrsehnkannst,denngeihtdatBölkendochlos?“

„Ne,schreendoikgewissne.“„Dennwarstduoberseekrank!“„Ne,KapHorn,ikwarrneseekrank!“Dasklanggeradeso,alswennseinVatersagte:Ikbliefne!UndKlaus

MewessahseinenJungenanunddachte:WassollindemwohlanderssteckenalseinFahrensmann?Dannsagteer,undesklangwieeinGelüb-de:„Manstill,Störtebeker,dukummsttoSommermitanBurd!“

DerJungefreilichhattefürdieFeierlichkeitkeinenSinnundließeinenttäuschtes:„Och, toSommer irst!“ fallen,dasdenKnechtzuderBemerkungveranlasste,eswärejetztnochzukaltaufSee.

„UndienStebelnsündokjonochneklor“,gabKlauszubeden-kenundKapHornkamnocheinmalmitderbitterbösenSeekrank-heitandenWind.

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Sieknüttetenfleißigweiter;alsesaberFlutgewordenwarunddasEisaufstand,dieEwersicherhobenunddasWasseraufdasBollwerkstieg, hielt Störtebeker es nicht mehr aus, er ließ die Bunge liegenundnahmfranzösischenAbschied.

„Neemschalltnoto?“fragteseinVater,aberererwidertehinge-worfen,erwollefüttern–undwegwarer.

„Datkeumjobannigzaghaftrut“,sagtederKnechtundsahihmnach.„WenndemannixannersindeLurhett.“

Klausdachtedasselbe,dennsonstpflegteStörtebekerdieFütterungseinerKräheundseinerKaninchenmitdemvonseinerMuttergelern-tenSprucheinzuleiten:DerGerechteerbarmtsichseinesViehes!

AlseineganzeZeitvergangenwar,legteKlausMewesdenSchegerbeiseite und ging binnendeichs. Wie er sich schon gedacht hatte, warvon Störtebeker nichts zu erblicken. Die Kaninchen machten Männ-chen,alserdenDeckeldesKobenslüftete,undließenihreNaseninderLufttanzen.Klussaber,diealteNebelkrähe,dieerselbsteinmalaufSeegegriffenhatte,saßunbeweglichaufihrerStangeundwagtenichtmehralseinhalbesAugeanseineGegenwart.Erriefhalblaut,damitGesaihnnichthörensollte,abererbekamkeineAntwort.Dannginger indasSchauerundgucktenachdenStichlingsnetzen,dienebendemHühner-wiemhingen;siewarenalledreiamNagel:FischengegangenwarderJungealsonicht.ErmachtedenWarbelvorundblickteüberWischen,StegelundBinnendeich, aberda rührte sichnichts alsHannisHolstsgelberKater,derumeinenMäusebratenverlegenwarunddieStubbenüberholte.TiefesSchweigenlagüberdendunklenGräbenundindenkahlenWipfelnderEschenundErlen saßdasnächtlicheGrauen,dasdieSeenichthat,sondernnurdasLandunddasdenSeefischerdarumeinigermaßenbedrückte, als er sichnunaufmachte, seinen Jungenzusuchen.ErdachteabernichtnachWeiberartandasWasserunddasserhineingefallenseinkönnte;übrigenswussteerjaauch,dassStörtebekerschwimmenkonnteundnichtineinenGrabenfiel,ohnewiederheraus-zuklettern.Abererwolltewissen,woerabgebliebenwar.

SogingerüberdieWurtnachdemDeichzurückundgucktemitseinenscharfenAugenüberdasEis,er liefüberdieBlöschennachdemEwer,dieWakenundLöcherumgehend;nichtswarzu sehen

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als imFahrwasserdieLichter,diegelben,grünenundroten,nichtszuhörenalsdasraschelndealteReetaufdenKneienblickenunddasKrachenderzusammenbrechendenSickbergeinderWeite.

SolltederJungewieder inderKombüsesitzen,wieeresschonmehrmals gemacht hatte, um sich an die Ewerluft zu gewöhnen?Klaus Mewes turnte auf das Deck und stieg in die stille, dunkleKajütehinab,dieihmnunbeinahefremdvorkommenwollte,sototerschiensieihmohnedassonstständigbrennendeLicht.

WomochtederJungesein?WiederanDeck,horchteervonNeuem,aberervernahmnurdas

TuteneinesDampfers,derdwarsvonderNienstedterKirche fuhr.SeineFlaggeaufdemBesanregte sich leicht imAbendwind,alserhinaufsah.Da schoss ihm jähderGedankedurchdenKopf:Wennikdibloßnehalfstockholenmütt!–Abererjagteihnvondannen,kletterteüberdasSchwertundschrittüberdasEisnachdemBoll-werk zurück. ImOstenglommderLichtscheinvonHamburg auf,derdemLandfremdeneineweitentfernte,ungeheureFeuersbrunstvortäuschte. Da dachte Klaus Mewes an die alte Fischfrau BeekenFocken,die1842schonverheiratetgewesenwar:Soaltwarsie.DiehatteeinmalbeiihmaufdemDeichgestandenundmitihrenbrau-nen,knochigenFingernnachdemöstlichenAbendrotgewiesenundgesagt: Viel anders hätte sich das 1842 vom Deich aus auch nichtausgesehen:NunwäreHamburgschonsogroß,dassesjedeNachteinensogroßenBrandhätte.

„Jä,Beeken,datmagstduwoll seggen.BideveelenWirtschaf-ten“,hatteerlachendgeantwortet.

Mit einem Mal drehte er sich um und sah Seemann auf demBollwerkstehen.„NeemistStörtebeker,Seemann?Such!Such!“rieferhastig.

SeemannwedeltemitdemSchwanzzumZeichen,dass er ver-standenhatte,undsetztesichgemächlichinBewegung.Erschwanktevon dem langen Leben an Bord wie ein wirklicher Seemann voneinerSeitenachderanderen,wennerlief.

KlauswussteschonBescheid,esgingnachderNesskuhle,inderderKahnlag:DerJungeschippertegewissodergossdasWasseraus

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seinemFahrzeug,dasetwasziepte.DalagaberderKahnunterdenkrummenWichelnundwarnichtabgeleintwiesonst,derRiemenlagdwarsundkeinJungewardabei:JachbefieleinungeheurerSchreckden Fahrensmann, der auf der Doggerbank den bösesten StürmenfurchtlosindieAugenblickenkonnte,underliefinSprüngendenDeichhinab.

„Klaus!“DerStörtebekerbliebihmdieseineMaldochinderKehlestecken.„Hier bün ik, Vadder, wat schall ik?“ rief Störtebeker und eine

dunkle Gestalt löste sich aus dem Schatten der Baumstämme, diedenSchleusengrabenwieGespensterumstanden.Taumelndkamsienäherundwäreumschossen,wennderSeefischersienichtaufgefan-genhätte.

„Watistdorlos,Störtebeker?Watfehltdi?Büstdukrank?“DerJungesahblassaus,abererlächeltedochschonwiederverlo-

ren.„Jo,Vadder,ikbünseekrankunmüttmijümmerspeen.“„Watkummtdatdenn?“Der Junge wies nach seinem grünen Kahn. „Ik will mi seefast

moken,Vadder,watikminoherupSeenemihrtospeenbruk.UnJakobHusteenhetttomiseggt,dennmüssikjümmermitenKohndümpeln.Örk,örk–watbüniknuslechttoweg,Vadder,wathebbikförnbitternGesmackinnenMund!“

Klaus wollte lachen, lachen – konnte es aber nicht, weil ihndie Tapferkeit des kleinen Kerls tief rührte, der so lange mit demKahndümpelte,bisihmschwindeligwurde,nurumsichseefestzumachen.

„Jä, Störtebeker, so geiht dat buten den ganzen Dag! Nu wulltdochgewissnemihrmitnoSee,wat?“

AberderJungenickteherzhaftundsagte:„Doch,Vadder!Morgendümpelikwedder,unoffermorgenundenDag,dedennkummt,ok,bitiknemihrdüsigwarrundminemihrbrekenmütt!IkwillmidochtoSommervanKapHornundHeinMücknixutlachenloten!“

KlausMewesvertäutedenKahn in schiffergerechterArt,nahmseinen Jungen bei der Hand und ging mit ihm nach dem Nesszurück.

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InderDönßbrannteschondieLampe.AlssiesichvorderTürdieFüßeabschrapten,sagteKlaushalb-

laut:„BrukstMudderdorobernixvantoseggen,hürst?“„Seggdumannix,Vadder, ikwillwoll swiegen“,flüsterteStör-

tebekerkameradschaftlichundsetztesichinderDönßgleichnebendenOfen,möglichstweitwegvonderLampe,bücktesichtiefundzog umständlich die Stiefel aus, um sein Gesicht vor der Mutterzu verbergen, die gleich in richterlichem Ton fragte: „Non, neemkommtjüdennher?“

„WisündmolnodeNesskulwesen“,berichteteKlausMewesderWahrheitgemäß.

„HestduoknatteStrümp,Klaus?“„Ne,Mudder,knokendreuch!“„Lot mol feuhlen! De un dreuch? De leckt jo vör Nattigkeit.

Gliektreckstjümut!“StörtebekermachteeinsauresGesicht,abererfreutesichdoch,

dasssieweiternichtsmerkte,undwischteheimlichdieletztenSpu-rendesSeefestigkeitskursesab.

NachdemAbendbrotwurdedasKnüttennocheineWeilewiederaufgenommen,dannaberpacktensiedasKurrengutzusammenundmachtenFeierabend.

KapHornsuchte sichdiealtenZeitungenausderBankhervorund las den Roman: „Zehn Jahre unter der Erde oder Schuld undSühne“mit aufgestütztenEllbogen.Wennerdabei anStellenkam,die ihmbehagten,nickte er anhaltendmitdemKopfe,wogegenerbeiKapiteln,dienichtnachseinerKlitschwaren,ebensoausdauernddenKopfschüttelte.Ja,mankonntenochmehrausseinemGesichterkennen, denn wenn er von Wind oder Sturm las (und in einemechtenRomanwehtundstürmtesjaalledreiSeiten!),sopusteteerleisevorsichhin,laservonLiebe,sostrichersichüberdieBacken,gabeseineMordgeschichtezukauen,solasermitgeballtenFäustenundsoweiter.WennsiesturmeshalberachterNorderneyoderWan-geroogelagen,beobachteteKlausinderKojeliegendseinenlesendenKnechtmitunterstundenlangundsagtedannzuletzt:„Nuwillikdimolvertillen,KapHorn,watdulesthest.“Undmeistensstimmtees,

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waserdannerzählte,dassderKnechtjedesmalerstauntsagte:„KlausMees,ikgläuf,dukannsthexen.“

DiesenAbendaberkamderSchiffernichtdazu,dennseinJungerittaufseinenKnienundtreunteumeineGeschichte.

„IkweetuppenStutzkeen.“„OchVadder,vertilldocheen!Duweestsoveel.“„Ne,ikkannnukeentohopgrabbeln.“„Och,manto,Vadder!“„Nonjo,dennoberganzstillwesenuneulichtohürnunnoher

newedderseggen,datwürjogorkeenGeschichte.“„Ne,Vadder,datseggikoknee“,versicherteStörtebekerundsein

Vaterlegtelos.„Non, denn hür to: Dor wür mol en Mann, de harr keen

Kamm, toköffthe sikeen, toharrheeen…“Dahieltder JungeseinemVateraberschondenMundzuundpaukste:„DatistkeenGeschichte,datistNarrenkrom!DuschallsteneulicheGeschichtevertillen!“

„Non,dennhürto:DorwürmolenMann,dewürindeHeidverbiestert,nuhürmangodto!DorwürmolenMann,dewürindeHeidverbiestert…“DahieltStörtebekerihmwiederdenMundzuundsagte,daswäreauchTüdeleiunhekunneneulicheGeschichteverlangtwesen.

„Non,dennhürto:TosetthesinHotuppenDischunseggt:Nondennsowisst,ichselbstbinKlausStörtebeker!“

Oweh–dashätteKlausMewesdochwohlliebernichtvorbrin-gen sollen, denn nun tagelte Störtebeker ihn regelrecht durch undheischtezwaretwasvonKlausStörtebeker,aberetwasandres,nichtimmerdieseneinenSatz,denerschontausendmalgehörthabe.

Kap Horn legte den Finger auf das letzte Wort, das er gelesenhatte,sahaufundsagte:„KlausStörtebekerbüstdujosülben,Junge,dorbruktdidochkeeneenwatvontovertellen.“

Gesaaber,dieeinenFlickenaufdieenglischlederneHosesetzte,sagte abweisend: „Lot den olen Seeräuber man ünnerwegens unnäumtdenJungenmanne jümmerStörtebeker.DenolenslechtenNomwardhejosienganzLebennewedderlos.“

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„DeNomisgornichsoslecht,Gesa“,sagteKapHornernsthaft,währendKlausMeweslachteundmeinte,denNamenhabeerein-malweg.KlausStörtebekerseiübrigensgarkeinschlechterMenschgewesen,wohlhabeerdenreichenKaufleutenunddenKönigenihrGoldundGutweggenommen,aberdenArmenhabeervielGutesgetan, noch jetzt würden die armen Leute zu Verden von seinemGeld gespeist. Und mit den Fischern habe er es auch nicht bösgemeint:ErstörtesienichtundwennerFischeholte,sobezahlteersiereichlich.

So erzählte Klaus Mewes, was die Sage an der WasserkantezusammengetragenhatvondenVitalienbrüdernundihremHaupt-mannKlausStörtebeker–undderkleineKlausStörtebekersaßmitfunkelnden Augen und glühenden Backen dabei und konnte nichtgenug hören, wie sie Kopenhagen in Brand steckten, wie die zer-fetztegelbeFlaggeimSturmeflatterte,wiesiemitdenHamburgerSchiffenumsprangen,wiesieRitzebüttelundNeuwerkwegnahmenundwiesiedenschottischenKöniggefangenhielten.AlsKlausaberweitergingundvondemgroßen,breitenGrabenaufFinkenwärdererzählte,derdiekleineElbehieß,unddassStörtebekerdortoftmitseinenSchiffenaufderLauergelegenhabe,dasprangderJungeauf,dass Kap Horn ausrief: „Neem ist dat Füer?“ und fragte: „Vadder,neemisdeGroben?“

SeinVaterbeschriebihmdiesenGrabenundsagte,dassesdamalsnochkeinenDeichgegebenhabeunddassdiekleineElbeeinPrielvon der großen gewesen sei. Aber er konnte es dem Jungen dochnicht recht verdeutschen, der sich einen so breiten Graben ebennichtvorstellenkonnte,undesbliebschließlichnichtsandresübrig,alsdasssieeinekleine,nächtlicheExpeditionnachdemSeeräuber-graben ausrüsteten, die trotz der großen Einwendungen von GesasofortausrückteunddersichauchKapHornundSeemannfreiwilliganschlossen.

„Klaus,bliefhier,dor sittdeBrummkirl innenGrobenunholtdi!“

Der Junge lachte sie aus und sagte, während er sein wollenesHalstuchumband:„Brummkirlgifftne,Mudder.“

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…mehrinIhrerBuchhandlung…

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NichtswünschtsichKlausMewesaliasStörtebekersehnlicher,alsmitseinemVaterzurSeezufahrenundSchollenzufan-

gen.SeineMutterGesavermagdenGedankenkaumzuertragen,dassihrvielzujungerSohndererbarmungslosenSeezumOpferfallenkönnte.DochVaterKlausweiß,dassderJungefürdieSeefischereigeborenistundmöchteihmseinenTraumnurzugernsofrühwiemöglicherfüllen.SelbstalsderVaterspäternacheinerFangfahrtverschollenbleibt,ändertsichnichtsanStörtebekersunermesslicherLiebezurSee.AlsKapitändesschönstenAusternkuttersCuxhavensfährterbaldalsstolzerSeefischeruntereigenerFlagge.

DochSeefahrtistnot!–DasmussauchKlausMeweserfahren,dessenunvermeidlichesSchicksaldieSeeist.

GorchFock,eigentlichJohannKinau,geboren1880aufFinken-werder,gefallen1916amSkagerrak,wurdemitseinenauchinnieder-deutscherSpracheverfasstenGedichten,GeschichtenundDramenvomLebenaufderSeeundanderWaterkantberühmt.NichtohneGrundträgtdasSegelschulschiffderdeutschenMarineseinenNamen.Zuseinem125.GeburtstagliegtseinbedeutendstesWerknunineinerJubiläumsausgabevor.

Dieser1912erstmalsveröffentlichteRomansprichtallenSeefah-rern,ihrenAngehörigenundallenLiebhabernderSeeausderSeele.DieGeschichtevonKlausMewesbringtwiekeinezweitedieLiebe,ÄngsteundLeidenschaften,diesichmitderSeefahrtverbinden,aufdenPunkt.

„Ein glühendes Bekenntnis zur Seefahrt.“

Ostsee-Zeitung

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