Studium nach Bologna: Praxisbezüge stärken?! || Das Praxissemester im Lehramt–ein Erfolgsmodell?...

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Die Einführung von Praxissemestern in einer Reihe von Bundesländern ist eine der zentralen Antworten der Bildungspolitik auf die seit vielen Jahren geäußerte Kritik an der Qualität der Lehrerausbildung, insbesondere an deren mangelnder Praxis- und Berufsfeldorientierung. Ob ein Praxissemester, das heißt eine Praxis- phase über den Zeitraum eines Hochschulsemesters, die damit verbundenen hohen Erwartungen erfüllen kann und traditionellen Modellen mit kürzeren Praxisphasen überlegen ist – diese Frage ist wegen fehlender empirischer Evi- denzen bisher kaum zu beantworten. Gleichwohl unternimmt die empirische Lehrerbildungsforschung in jüngster Zeit verstärkte Anstrengungen, die Wirk- samkeit von Praxisphasen zu untersuchen. In diesen Kontext ordnet sich der vorliegende Beitrag ein, der im Rahmen des BMBF-Forschungsprojektes „Evidenzbasierte Professionalisierung der Praxisphasen in außeruniversitären Lernorten“ (ProPrax) entstand und der grundlegende Projektergebnisse zum Praxissemester im Lehramt präsentiert. 1 Um die Frage nach der Wirksamkeit des Praxissemesters im Land Brandenburg zu beantworten, wird wie folgt vorgegangen: Zunächst wird die Diskussion um Praxisphasen in der aktuellen Lehrerbildungsdebatte verortet und das Praxisse- mester als Kern des „Potsdamer Modells der Lehrerbildung“ vorgestellt (1). Daran anschließend werden Ziele und Forschungsdesign der Untersuchungen zum Praxissemester im Rahmen des Forschungsprojektes ProPrax beschrieben (2). Im nächsten Abschnitt erfolgt die Präsentation der Ergebnisse der ProPrax- Teilstudie Lehramt. Besonderes Augenmerk wird auf den Vergleich der Durch- führungs- und Ergebnisqualität des Praxissemesters mit dem Blockpraktikum einer weiteren Hochschule sowie vertiefend auf die selbst wahrgenommene Kompetenzentwicklung der Potsdamer Studierenden gelegt (3). Darauf aufbau- end werden die empirischen Befunde diskutiert (4) und abschließend Folgerun- gen vorgestellt (5). 1 Zu übergreifenden Ergebnissen des Forschungsprojektes ProPrax vgl. den Beitrag von Schubarth Wilfried Schubarth, Karsten Speck, Andreas Seidel, Corinna Gottmann, Caroline Kamm, Maud Krohn Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? Zur Wirksamkeit des Praxissemesters im Land Brandenburg W. Schubarth et al. (Hrsg.), Studium nach Bologna: Praxisbezüge stärken?!, DOI 10.1007/978-3-531-19122-5_8, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? P W. Schubarth, K. Speck, A. Seidel, C. Gottmann, C. Kamm, M. Krohn

Die Einführung von Praxissemestern in einer Reihe von Bundesländern ist eine der zentralen Antworten der Bildungspolitik auf die seit vielen Jahren geäußerte Kritik an der Qualität der Lehrerausbildung, insbesondere an deren mangelnder Praxis- und Berufsfeldorientierung. Ob ein Praxissemester, das heißt eine Praxis-phase über den Zeitraum eines Hochschulsemesters, die damit verbundenen hohen Erwartungen erfüllen kann und traditionellen Modellen mit kürzeren Praxisphasen überlegen ist – diese Frage ist wegen fehlender empirischer Evi-denzen bisher kaum zu beantworten. Gleichwohl unternimmt die empirische Lehrerbildungsforschung in jüngster Zeit verstärkte Anstrengungen, die Wirk-samkeit von Praxisphasen zu untersuchen.

In diesen Kontext ordnet sich der vorliegende Beitrag ein, der im Rahmen des BMBF-Forschungsprojektes „Evidenzbasierte Professionalisierung der Praxisphasen in außeruniversitären Lernorten“ (ProPrax) entstand und der grundlegende Projektergebnisse zum Praxissemester im Lehramt präsentiert.1 Um die Frage nach der Wirksamkeit des Praxissemesters im Land Brandenburg zu beantworten, wird wie folgt vorgegangen: Zunächst wird die Diskussion um Praxisphasen in der aktuellen Lehrerbildungsdebatte verortet und das Praxisse-mester als Kern des „Potsdamer Modells der Lehrerbildung“ vorgestellt (1). Daran anschließend werden Ziele und Forschungsdesign der Untersuchungen zum Praxissemester im Rahmen des Forschungsprojektes ProPrax beschrieben (2). Im nächsten Abschnitt erfolgt die Präsentation der Ergebnisse der ProPrax-Teilstudie Lehramt. Besonderes Augenmerk wird auf den Vergleich der Durch-führungs- und Ergebnisqualität des Praxissemesters mit dem Blockpraktikum einer weiteren Hochschule sowie vertiefend auf die selbst wahrgenommene Kompetenzentwicklung der Potsdamer Studierenden gelegt (3). Darauf aufbau-end werden die empirischen Befunde diskutiert (4) und abschließend Folgerun-gen vorgestellt (5). 1 Zu übergreifenden Ergebnissen des Forschungsprojektes ProPrax vgl. den Beitrag von

Schubarth

Wilfried Schubarth, Karsten Speck, Andreas Seidel, Corinna Gottmann, Caroline Kamm, Maud Krohn

Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? Zur Wirksamkeit des Praxissemesters im Land Brandenburg

W. Schubarth et al. (Hrsg.), Studium nach Bologna: Praxisbezüge stärken?!,DOI 10.1007/978-3-531-19122-5_8, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

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Reform und Forschung im Bereich Lehrerbildung 1.

Die Forderung nach mehr Praxisbezügen im Lehramtsstudium ist so alt wie die institutionelle Lehrerausbildung. So war die mangelnde Praxis- und Berufsori-entierung ein Dauerthema in den Lehrerbildungsdebatten des gesamten letzten Jahrhunderts (vgl. Merzyn 2004). Insbesondere in den 1990er Jahren verstärkte sich die Kritik an der Lehrerbildung: Eine KMK-Expertenkommission konsta-tierte beispielsweise Anfang der 2000er Jahre, dass die Verwissenschaftlichung zu einer beträchtlichen Praxisferne führe und die Lehrangebote der Erziehungs-wissenschaft und der Fächer wenig berufsbezogen seien. „Schulpraktische Stu-dien werden zwar (von den Studierenden!) hoch geschätzt und erhöhen die Bin-dung an das Lehramtsstudium, bleiben aber ohne Verbindung zu den anderen Elementen“ (Terhart 2000: 28). Demzufolge wurden von der Kommission schulpraktische Studien als ein wesentlicher Bestandteil der ersten Ausbil-dungsphase mit unterschiedlichen Zielen (Berufswunschüberprüfung, Berufs-felderkundung, Unterrichtserprobung, Berufsqualifizierung) hervorgehoben. „Auch ein Praxissemester kann eine sinnvolle Form der Organisation schulprak-tischer Studien sein“ (ebd.: 108). Es müsse aber – so die Kommission – in das Studium eingebettet und von der Universität vor- und nachbereitet sowie beglei-tet sein.

Für nicht mehr, sondern bessere universitäre Praxisphasen plädierte einige Jahre später eine Expertenkommission zur Lehrerausbildung in Nordrhein-Westfalen (vgl. Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie NRW 2007): „Voraussetzung für eine qualitätsvolle Durchführung der Praktika sind ihre systematische Vor- und Nachbereitung, ihre Einbindung in ein curriculares, modularisiertes Gesamtkonzept der Lehrerbildung, eine personelle und organisatorische Infrastruktur auf Hochschulseite, die es erlau-ben, die Praktika in Kooperation mit den Praktikumsschulen zu planen“ (ebd.: 8). Da in NRW eine solche qualitätsvolle Durchführung von Praktika nach An-sicht der Kommission nicht gewährleistet sei, empfahl sie keine Ausweitung von praktischen Studienanteilen. Ungeachtet dieser Empfehlung der Experten-kommission wird jedoch auch in Nordrhein-Westfalen ein Praxissemester einge-führt.2

Eine stärkere berufsfeldbezogene Ausbildung in der Lehrerbildung wurde in Deutschland nicht zuletzt durch die seit der Jahrtausendwende initiierte Bolog-na-Debatte forciert. Der Bologna-Beschluss hat mit seiner Forderung nach einer stärkeren Berufs- bzw. Beschäftigungsbefähigung in der Lehrerbildung zunächst zu einer Kontroverse um Polyvalenz versus Professionalisierung (vgl. Fischler 2009) geführt. Mit einem KMK-Beschluss wurde schließlich ein Mindestmaß an 2 vgl. URL: http://www.schulministerium.nrw.de/ZBL [Zugriff: 07.03.2012].

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Einheitlichkeit festgelegt und ein integriertes Lehrerbildungsmodell mit bil-dungswissenschaftlichen und schulpraktischen Anteilen im Bachelor und Master empfohlen (KMK 2005), womit zugleich Forderungen nach einer Ausweitung der schulpraktischen Studien und deren stärkerer Vernetzung mit anderen Stu-dien- und Ausbildungsphasen verbunden waren.

Mit der Umstellung auf die gestuften Studiengänge Bachelor und Master sind in den letzten Jahren in Deutschland eine Vielzahl von Modellen der Leh-rerausbildung entstanden, die durch unterschiedliche Formen und Anteile von Praxisphasen gekennzeichnet sind. Vier Modelle universitärer Praxisphasen lassen sich dabei unterscheiden (vgl. Schaeper 2008):

Kurzpraktika mit unterschiedlicher wissenschaftlicher Einbettung, Praktika im polyvalenten Professionalisierungsbereich des Bachelors, Parallelstrukturen von theoretischer und praktischer Ausbildung im

BA- und MA-Studium (sog. „Duales System“), längere, mehrere Monate andauernde Praktika (sog. Praxissemester)

mit unterschiedlicher wissenschaftlicher Einbettung und Umrahmung.

Die Lehrerbildung in Deutschland stellt sich letztlich als „Flickenteppich“ (Keuffer 2010) dar. Traditionelle Modelle mit mehreren kurzen Praktika im gesamten Studium sind an vielen Hochschulen, z.B. in Hessen, Bayern, Berlin und Bremen, verbreitet. Modelle mit polyvalentem Professionalisierungsbereich finden sich beispielsweise in Greifswald, Hannover und Oldenburg. Parallel-strukturen („Duales System“) mit regelmäßigen Praxisphasen im Studienverlauf (semesterbegleitend oder Blockpraktika) gibt es in Rheinland-Pfalz. Praxisse-mester als neues Modell universitärer Praxisphasen wurden in Bremen3, Ba-den-Württemberg (kein BA/MA), Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen (nur Jena), eingeführt (vgl. Weyland/Wittmann 2010). Erwartbar ist, dass weitere Bundesländer folgen. Die einzelnen Praxissemester unterschei-den sich dabei zum Teil erheblich voneinander, und zwar in der Bezeichnung (z.B. Schulpraktikum, Kernpraktikum, Praxissemester), der Dauer (vier bis sechs Monate), der zeitlichen Verortung im Studienverlauf, der Verantwortung (Hochschule, Landesinstitute) und der Anrechenbarkeit auf den Vorbereitungs-dienst. Weitere Unterschiede liegen darin, ob bzw. in welchem Umfang eine Begleitung durch die Hochschule und/oder die Studienseminare erfolgt und ob es zusätzlich weitere schulpraktische Anteile gibt.

Die Varianz innerhalb des Modells Praxissemesters wirft generell die Frage nach der Funktion und Zielsetzung der Praxissemester auf (bzw. der schulprak-tischen Studien insgesamt), insbesondere nach dem anvisierten Beitrag zur Pro-

3 Bremen ist mittlerweile wieder zu Kurzpraktika zurückgekehrt.

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fessionalisierung sowie der curricularen und organisatorischen Ausgestaltung. In den bisherigen Konzepten überwiegen äußerst heterogene und nicht selten unklare Zielsetzungen: Eine Berücksichtigung finden beispielsweise solche Ziele, wie Berufswahlüberprüfung, Einübung in die Unterrichtspraxis, Förde-rung des selbstreflexiven Lernens, Entwicklung eines forschenden Habitus. Probleme deuten sich im Hinblick auf die hohe fachpolitische Bedeutung schu-lischer Praxisphasen und den tatsächlichen Stellenwert im Hochschulalltag an, aber auch aufgrund divergierender Erwartungshaltungen und fehlender Abspra-chen sowie unzureichender Ressourcen der beteiligten Akteure und Institutionen (vgl. Weyland/Wittmann 2010). Vor diesem Hintergrund müssten z.B. die Fol-gen der Verkürzung des Vorbereitungsdienstes für das Konzept eines Praxisse-mesters bedacht werden und auch die notwendigen Rahmenbedingungen, ein-schließlich der Kosten eines Praxissemesters, wären in Rechnung zu stellen (vgl. Schubarth 2010).

1.1 Lohnt sich ein Praxissemester? Zur Evidenzbasierung schulpraktischer Studien

Im Gegensatz zur forcierten Implementierung von Praxissemestern an zahlrei-chen Hochschulstandorten – als eine spezielle Form schulpraktischer Studien –steht die empirische Forschung zu deren Wirksamkeit und möglichen förderli-chen und hemmenden Bedingungen noch am Anfang. Zudem zeichnen bisheri-ge Befunde ein eher uneinheitliches Bild vom Nutzen eines Praxissemesters. Zwar verweisen einschlägige Studien auf ein höheres Niveau selbst eingeschätz-ter Kompetenzen infolge von Praktika bzw. des Praxissemesters – die wahrge-nommenen Kompetenzzuwächse fallen jedoch recht unterschiedlich aus und sind auch nicht einheitlich nachweisbar (z.B. Bach/Brodhäcker/Arnold 2010; Bodensohn/Schneider 2008; Gröschner/Schmitt 2011; Müller 2010). So zeigt eine Untersuchung zum Praxissemester beispielsweise einen starken Effekt beim Unterrichten, während in anderen Kompetenzbereichen die Effekte deut-lich geringer waren (vgl. Gröschner/Schmitt 2011; vgl. auch Gröschner/Seidel in diesem Band). Eine Längsschnittstudie zu einem Praxisjahr kommt zu dem Schluss, dass die allgemeine Lehrkompetenz in gleicher Weise zunahm wie bei den Regelstudierenden und die Theorie-Praxis-Verknüpfung offenbar nicht verbessert werden konnte (vgl. Dieck u.a. 2010). Hinzu kommt, dass bei der Kompetenzwahrnehmung Selbst- und Fremdeinschätzung häufig differieren (vgl. z.B. Bodensohn/Schneider 2008) und mit zunehmender Distanz zum Prak-tikum dessen „Entmystifizierung“ stattfindet (vgl. Hascher 2006). Untersuchun-gen zur Kompetenzerwartung zeigen darüber hinaus, dass als Einflussvariablen

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sowohl die Betreuungsqualität (Gröschner/Seidel in diesem Band; Grösch-ner/Schmitt 2011) als auch die berufsspezifische Selbstwirksamkeitserwartung bedeutsam sind (vgl. Cramer 2010).4

Diese bisher insgesamt noch spärliche und z.T. widersprüchliche Befundlage zum Praxissemester signalisiert zum einen erheblichen Forschungsbedarf –sowohl bei der empirischen Forschung als auch bei der theoretischen Fundie-rung (vgl. z.B. die Ansätze bei Arnold u.a. 2011; Baumert/Kunter 2006; Frey/Jäger 2009; Hascher 2011; Lehmann-Grube 2010). Zum anderen legen die bisherigen Befunde die Annahme nahe, dass eine Umfangserweiterung der Pra-xisphasen, so auch die Einführung eines Praxissemesters, nicht automatisch zu einer besseren Kompetenzentwicklung bei Studierenden führt. Vielmehr wird die berufsbefähigende Wirksamkeit von weiteren Faktoren beeinflusst, z.B. von der Einbettung in das Studium, der organisatorischen Ausgestaltung und vor allem der professionellen Begleitung und Unterstützung. So wird in Untersu-chungen z.B. auf die Notwendigkeit einer besseren Betreuung und der Über-windung der Diskrepanz von Studien- und Praxiserfahrung hingewiesen (Gröschner/Seidel in diesem Band; Gröschner/Schmitt 2011). Müller und Dieck fordern sowohl eine gute Betreuung und Begleitung als auch eine bessere Situie-rung und theoriebasierte Reflexion praktischer Erfahrungen an der Universität sowie insgesamt eine hochschuldidaktische Implementation und curriculare Einbettung praktischer Lerngelegenheiten im Studienverlauf (Müller/Dieck 2011). Offenbar spielt die Austarierung des Theorie-Praxis-Verhältnisses im Studiengang eine entscheidende Rolle.

Trotz erster empirischer Hinweise ist die Frage nach dem Nutzen eines Pra-xissemesters, nach seiner berufsbefähigenden Wirksamkeit sowie seines Beitra-ges zur Professionalisierung weitgehend offen. Der unhinterfragte „Mythos Praxis“ hat – nach Hascher (2011: 13f) – möglicherweise „verpassten Lerngele-genheiten“ Vorschub geleistet. Deshalb bedarf es erstens einer kontextsensitiven Theorieentwicklung, wie in Praktika gelernt wird, zweitens einer empirischen Forschung zu verschiedenen Praktikumsformen auf Basis von Kriterien des Lernens im Praktikum und drittens einer professionellen Zusammenarbeit zwi-schen Hochschulen und Ausbildungsschulen.

4 Ähnliche Ergebnisse liegen zur Zweiten Phase vor, vgl. z.B. Schubarth/Speck/Seidel 2007 und

Schubarth 2011.

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1.2 Das Praxissemester im Land Brandenburg als Kern des „Potsdamer Modells der Lehrerbildung“

Die Universität Potsdam, im Jahre 1991 aus einer ehemaligen Pädagogischen Hochschule hervorgegangen, hatte in den 1990er Jahren mit dem „Potsdamer Modell der Lehrerbildung“ bundesweite Beachtung erzielt. Kernelemente des „Potsdamer Modells der Lehrerbildung“ waren: die Wissenschaftlichkeit in allen Bereichen inklusive der allgemeinen und lehramtsspezifischen Fachdidak-tiken, eine umfassende, erziehungswissenschaftliche Ausbildung, die Verzah-nung bzw. Integration der verschiedenen fachdidaktischen und erziehungswis-senschaftlichen Bereiche, die Berufs- bzw. Professionsorientierung, der intensi-ve Praxisbezug sowie die Einbeziehung der Studierenden in die Forschung. Auch heute gilt die Lehrerbildung als profilbildend für die Universität. Das Ziel einer praxisnahen Lehrerausbildung ist im Leitbild der Universität verankert.5 Die Zahl der Studierenden an der Universität Potsdam ist in den letzten Jahren gestiegen: Mittlerweile verzeichnet die Universität rund 20.000 Studierende, davon ca. 3.500 in Lehramtsstudiengängen. Die Universität bildet Lehrerinnen und Lehrer für zwei Schulformen aus: für das Lehramt Sekundarstufe I/ Primarstufe sowie für das Lehramt an Gymnasien.6

Im Zuge des Bologna-Prozesses erfolgte an der Universität Potsdam im Stu-dienjahr 2004/2005 die Umstellung auf die neuen, konsekutiven Bachelor- und Master-Studiengänge im Lehramt. Dies war u.a. mit der Einführung von Modu-len, studienbegleitenden Prüfungen, dem Leistungspunktesystem (ECTS) und einem Praxissemester verbunden. Das Praxissemester bildet nunmehr den Ab-schluss einer Reihe von schulpraktischen Studien im Studium (vgl. Gemsa/ Wendland 2011): Hierzu gehören das Orientierungspraktikum (dreiwöchig), das Praktikum in pädagogisch-psychologischen Handlungsfeldern (30 Stunden) und Fachdidaktische Tagespraktika in den Studienfächern (mindestens zwei Unter-richtsproben je Fach) im Bachelorstudium sowie ein Psychodiagnostisches Praktikum (einwöchig) und das „Schulpraktikum“ im Masterstudiengang (sog. Praxissemester, 16 Wochen, davon je eine Vor- und Nachbereitungswoche).

Seit 2008 wird das Praxissemester zweimal jährlich angeboten, und zwar jeweils im Zeitraum von März bis Juli und von Oktober bis Februar. Auch im Praxissemester besuchen die Studierenden fachdidaktische und erziehungswis-senschaftliche Seminare an der Universität (Umfang: 68 Stunden). Dafür ist ein wöchentlicher Studientag eingerichtet. Die Studierenden hospitieren in den ersten Wochen verstärkt im facheigenen und fachfremden Unterricht (vgl. 5 Zum Leitbild der Universität, vgl. URL: http://www.uni-potsdam.de/leitbild/leitbild-uni-

potsdam.pdf [Zugriff: 07.03.2012]. 6 Ein neues Lehrerbildungsgesetz im Land Brandenburg ist in Vorbereitung.

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Gemsa/Wendland 2011). Mit zunehmender Praktikumsdauer unterrichten sie vermehrt in ihren Fächern, wobei sie je Fach ca. 30 Unterrichtsstunden planen, durchführen, auswerten und dokumentieren, während sich der Umfang der Hos-pitationen (insgesamt 96 Stunden) verringert (vgl. ebd.). Ziele des Praxissemes-ters sind das vertiefte Kennenlernen der Schulrealität, das Zusammenführen von Theorie und Praxis, das Forschende Lernen und die Überprüfung sowie Weiter-entwicklung der eigenen Kompetenzen (vgl. Zentrum für Lehrerbildung 2009).

Das Praxissemester stellt für die Universität eine besondere Herausforderung dar. Die Vielzahl der beteiligten Institutionen und Akteure (Ministerien, Landes-institut für Lehrerbildung, Zentrum für Lehrerbildung, Ausbildungslehrkräfte, Hochschullehrende, Verwaltungsangestellte u.a.) erfordert ein hohes Maß an Kommunikation und Kooperation. An der Universität finden zum Beispiel vor-bereitende, begleitende und nachbereitende Veranstaltungen unter Einbeziehung des Ausbildungsteams7 statt. An den Schulen werden die Studierenden von den Dozentinnen und Dozenten der Universität Potsdam punktuell besucht und von den Ausbildungslehrkräften in ihrer Tätigkeit kontinuierlich begleitet. Die Or-ganisation, einschließlich der Akquise und Auswahl der Praktikumsschulen (was aufgrund des Flächenlandes und des demografischen Wandels ein zuneh-mendes Problem darstellt), erfolgt zentral durch das „Praktikumsbüro Master“ am Zentrum für Lehrerbildung der Universität in Abstimmung mit dem „Prakti-kumsbüro Bachelor“ (welches für die weiteren universitären Schulpraktika im Lehramtsstudium organisatorisch verantwortlich ist). Rückmeldungen von un-terschiedlichen Beteiligtengruppen deuten darauf hin, dass zwischen dem erfor-derlichen Vorbereitungs- und Betreuungsaufwand sowie den vorhandenen per-sonellen und sächlichen Ressourcen ein erhebliches Spannungsfeld besteht.

Die Teilstudie Lehramt im Kontext des Forschungsprojektes ProPrax 2.

Die vorgestellte Studie zum Praxissemester an der Universität Potsdam ist eine Teilstudie des Forschungsprojektes „Evidenzbasierte Professionalisierung der Praxisphasen in außeruniversitären Lernorten“ (ProPrax). Ziele und Forschungs-design des Projektes sind detailliert im ProPrax-Beitrag (vgl. Schubarth u.a. in diesem Band) beschrieben. Im vorliegenden Abschnitt werden die spezifischen Forschungsfragen für die Teilstudie Lehramt sowie das dafür verwandte Instru-mentarium vorgestellt. Grundlage bildet das Untersuchungsmodell, das auf der

7 Vorgesehen ist, dass die Studierenden im Praxissemester in beiden Fächern von je einem Aus-

bildungsteam begleitet werden. Ein Ausbildungsteam setzt sich aus einer universitären Lehr-kraft der Fachdidaktik bzw. der Erziehungswissenschaft, einer Lehrkraft des Landesinstitutes für Lehrerbildung und der Ausbildungslehrkraft aus der Praktikumsschule zusammen.

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Basis von Vorüberlegungen von Stufflebeam (1984) aus dem Bereich der Eva-luationsforschung entwickelt wurde (vgl. Abb. 1). Für die Hypothesenbildung und die Auswertungen wurden vor allem Input-, Prozess- und Ergebnisvariablen berücksichtigt. Aufgrund bisheriger Studienergebnisse (vgl. Dieck u.a. 2010; Gröschner/Schmitt 2011; Schubarth/Speck/Seidel 2007) wurde dabei den per-sönlichen Ressourcen der Studierenden, der Betreuung, den Ergebnisvariablen Berufsorientierung und Kompetenzentwicklung sowie der Einschätzung des Theorie-Praxis-Verhältnisses eine besondere Bedeutung beigemessen.

Abb. 1: Untersuchungsmodell nach Stufflebeam (1984)

Der multiperspektivische Ansatz der Untersuchung umfasst unterschiedliche Erhebungsinstrumente: eine standardisierte Fragebogenerhebung unter Lehr-amtsstudierenden zweier Hochschulen (zum Teil als Längsschnitt angelegt), retrospektive Befragungen der Ausbildungslehrkräfte in den Schulen sowie Expertengespräche mit Praktikumsverantwortlichen an den Hochschulen.

Forschungsfragen, Methodik und empirische Befunde 3.

In den folgenden Abschnitten werden die Befragungsergebnisse der ProPrax-Teilstudie Lehramt vorgestellt. Besonderes Augenmerk wird auf die Potenziale des Praxissemesters an der Universität Potsdam gelegt, die durch den Vergleich der Durchführungs- und Ergebnisqualität des Praxissemesters mit einem Block-praktikum einer weiteren Hochschule (3.1) sowie vertiefend anhand der Ent-

Ergebnisqualität (Outcome)

Berufsorientierung

Kontextqualität

Rahmenbedingungen curriculare Verankerung, Theorie-Praxis-Verknüpfung

Prozessqualität

Kooperation (Hochschule/ Praktikumseinrichtung)

Inputqualität (Income) individuelle Voraussetzungen berufliche Erfahrungen fachübergreifende/fach-spezifische Kompetenzen

Betreuung Begleitung

fachübergreifende Kompetenzen fachspezifische Kompetenzen

PRAXISPHASEN und deren WIRKSAMKEIT

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wicklung selbst wahrgenommener Kompetenzen der Potsdamer Studierenden (3.2) herausgearbeitet werden. Geprüft werden soll, ob das Praxissemester als Kern des Potsdamer Modells der Lehrerbildung als erfolgreich bewertet werden kann.

In beiden Abschnitten (3.1. und 3.2.) werden die jeweiligen Hypothesen und das verwandte Instrumentarium vorgestellt, die dazugehörige Stichprobe kurz skizziert sowie zentrale Ergebnisse präsentiert und zusammengefasst. Abgeleitet vom derzeitigen Forschungsstand und auf der Grundlage der Ziele des Potsda-mer Praxissemesters (vertieftes Kennenlernen der Schulrealität, Zusammenfüh-ren von Theorie und Praxis, Überprüfung sowie Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen; vgl. Zentrum für Lehrerbildung 2009) waren folgende For-schungsfragen richtungsgebend: Welche Tätigkeiten werden von den Studieren-den in ihrer Praxisphase übernommen? In welcher Form erfolgt die Begleitung und Betreuung der Praxisphasen durch die Schulen und Hochschulen? Und wie schätzen die Studierenden die Wirkung und den Stellenwert ihrer Praxisphasen ein?

3.1 Prozess- und Ergebnisqualität des Praxissemesters

Der Vergleich des Potsdamer Praxissemesters mit dem vierwöchigen Block-praktikum einer Vergleichshochschule soll aufzeigen, ob sich das Praxissemes-ter in seiner Prozessqualität (Durchführung) und Ergebnisqualität von einem Blockpraktikum unterscheidet. Auf der Basis der o.g. Forschungsfragen wurden fünf Hypothesen entwickelt:

Hypothese 1: Das Praxissemester bietet den Studierenden genügend Zeit, sich fachlich und methodisch auszuprobieren.

Hypothese 2: Die Begleitung und Betreuung während des Praxissemesters ist charakterisiert durch Praxisbezug in den begleitenden Hochschulseminaren sowie durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Praktikumsschulen und Hoch-schule.

Hypothese 3: Das Praxissemester trägt zur Berufsorientierung der Studieren-den bei.

Hypothese 4: Studierende, die das Praxissemester absolvieren, schätzen das Theorie-Praxis-Verhältnis ihres Studiums als gut ein.

Hypothese 5: Das Praxissemester unterscheidet sich in seiner Durchfüh-rungs- und Ergebnisqualität von Blockpraktika.

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3.1.1 Instrumentarium

Für den systematischen Vergleich des Potsdamer Praxissemesters mit dem Blockpraktikum einer Vergleichshochschule wurden Skalen zur Erfassung der Tätigkeiten in der Praxisphase, zur Betreuung in den Schulen, zum Praxisbezug der begleitenden Hochschulseminare sowie zur Berufsorientierung durch das Praktikum genutzt. Außerdem kamen Fragen zum Theorie-Praxis-Verhältnis des jeweiligen Lehramtsstudienganges zum Einsatz (vgl. Tab. 1). Alle Skalen und Fragen wurden den Studierenden nach dem Praktikum (Erhebungszeitpunkt T2) vorgelegt. Zusätzlich wurden Fragen zur Kooperation zwischen Hochschule und Praktikumsschulen ausgewertet, die von den Ausbildungslehrkräften nach dem Praktikum beantwortet werden sollten.

Tab. 1: Prozess- und Ergebnisqualität: Beispiel-Items und Skalenkennwerte

Tab. 1a: Tätigkeiten während des Praxissemesters

Genutzte Skalen/Einzelitems (Beispiel-)Item Festlegung konkreter Aufgaben (Einzelitem: nein; ja: mündlich und schriftlich/nur schriftlich/nur münd-lich; weiß nicht)

Sind Ihre konkreten Aufgaben im Prakti-kum vorher festgelegt worden?

Beobachtung/Austausch (Skala: von 1=trifft gar nicht zu bis 5=trifft genau zu; 4 Items; =.761)

Konnten Sie im Praktikum von Experten in der Praxis durch Beobachtung lernen?

Selbständiges Arbeiten (Skala: von 1=trifft gar nicht zu bis 5=trifft genau zu; 3 Items; =.734)

Konnten Sie im Praktikum eigene Ideen entwickeln und verwirklichen?

Praxisinnovationen (Skala: von 1=trifft gar nicht zu bis 5=trifft genau zu; 3 Items; =.716)

Konnten Sie im Praktikum innovative Verfahren kennenlernen?

Anm.: nStudierende=473

Tab. 1b: Begleitung zum Praxissemester

Genutzte Skalen/Einzelitems (Beispiel-)Item Praxisbezug in den Praktikums-veranstaltungen (Skala: von 1=nein bis 2=ja; 4 Items;

=.764-.828)

Die Inhalte gingen von meiner eigenen Praxis aus.

Stärken und Schwächen Praktikums-organisation (offene Frage)

Worin sehen Sie die Stärken bzw. Schwä-chen der Praktikumsorganisation an der Studienrichtung?

Anm.: nStudierende=473

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Tab. 1c: Betreuung im Praxissemester

Genutzte Skalen/Einzelitems (Beispiel-)Item Ansprechpartner an Schulen und Hoch-schule (Einzelitem: nein; ja: von beiden/nur Schule/nur Hochschule; weiß nicht)

Wurden Sie regelmäßig durch einen festen Ansprechpartner an der Praktikumseinrich-tung oder an der Studieneinrichtung be-treut?

Betreuungsqualität durch Schule (Skala: von 1=trifft gar nicht zu bis 6=trifft völlig zu; 10 Items; =.858)

Die Begleitung (Beratung/Betreuung/An-leitung/Unterstützung) durch meinen Prak-tikumsbetreuer war vorbildhaft.

Kooperation (Einzelitem: von 1=trifft gar nicht zu bis 6=trifft völlig zu)

Mein Praktikumsbetreuer hat mit Vertre-tern der Studieneinrichtung gut zusammen-gearbeitet.

Ausbildungslehrkräfte: Zusammenarbeit mit Hochschule (Skala: von 1=trifft gar nicht zu bis 5=trifft völlig zu; 6 Items; =.942)

Ich stimme Fragen zur Ausbildung der Praktikanten mit der jeweiligen Studienein-richtung ab.

Unterstützung durch Hochschule (Einzelitem: von 1=sehr schlecht bis 6=sehr gut zu)

Wie gut wurden Sie bei der Betreuung des Praktikanten von der Studieneinrichtung unterstützt?

Anm.: nStudierende=473, nAusbildungslehrkräfte=114

Tab. 1d: Wirkung des Praxissemesters

Genutzte Skalen/Einzelitems (Beispiel-)Item Berufsorientierung (Skala: von 1=trifft nicht zu bis 5=trifft zu; 12 Items; =.670)

Nach dem Praktikum habe ich klarere Vorstellungen über meinen Beruf.

Anm.: nStudierende=473

Tab. 1e: Theorie-Praxis-Verhältnis im Lehramtsstudium

Genutzte Skalen/Einzelitems (Beispiel-)Item Theorie-Praxis-Verhältnis (drei Einzelitems: von 1=keinesfalls bis 5=ganz sicher)

Mein Studium stellt eine gute Mischung von Theorie und Praxis dar.

Praktikumsdauer (Einzelitem: nein, ja)

Das Praktikum war zu kurz.

Anm.: nStudierende=473

3.1.2 Stichprobe

Insgesamt wurden 473 Studierende des Lehramtes mittels einer standardisierten Fragebogenerhebung befragt, davon 366 Studierende der Universität Potsdam (UP) und 107 Studierende der Vergleichshochschule (VH). Beide Stichproben

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stimmen in den Merkmalen Alter und Geschlecht überein. Das durchschnittliche Alter der Studierenden beträgt 25.4 Jahre (SD=3.0), der Frauenanteil liegt bei 78 %. Die befragten Studierenden befanden sich im ersten bis dritten Fachse-mester des Masterstudiums.

Die Stichprobe der Ausbildungslehrkräfte setzt sich aus 114 brandenburgi-schen Lehrerinnen und Lehrern zusammen. Das durchschnittliche Alter beträgt 48 Jahre (SD=7.1), der Frauenanteil liegt bei 80 %.

3.1.3 Ergebnisse

Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der Untersuchung zur Durchfüh-rungs- und Ergebnisqualität des Praxissemesters in fünf Abschnitten vorgestellt: a) Tätigkeiten während des Praxissemesters, b) Begleitung zum Praxissemester c) Betreuung im Praxissemester d) Wirkung des Praxissemesters und e) Theo-rie-Praxis-Verhältnis im Lehramtsstudium. Dabei werden in einem ersten Schritt die Ergebnisse für das Potsdamer Praxissemester berichtet sowie darauf aufbau-end in einem zweiten Schritt die Ergebnisse denen eines Blockpraktikums einer Vergleichshochschule gegenübergestellt.8 a) Tätigkeiten während des Praxissemesters Während des Praxissemesters an der Universität Potsdam ist vorgesehen, dass die Studierenden je Fach ca. 30 Unterrichtsstunden planen, durchführen, aus-werten und dokumentieren sowie im facheigenen und fachfremden Unterricht insgesamt 96 Stunden hospitieren (vgl. Abschnitt 1.2). In der Befragung wurden die Studierenden gebeten, anzugeben, ob ihre Aufgaben vor dem Praktikum fest vereinbart wurden und auf welche Lernangebote sie an den Schulen zurückgrei-fen konnten.

Um die Transparenz und Verbindlichkeit eines Praktikums zu erhöhen, kön-nen die konkreten Aufgaben vor der Praxisphase schriftlich oder mündlich fest-gelegt werden. Dieser Aspekt wurde entsprechend abgefragt („Sind Ihre konkre-ten Aufgaben im Praktikum vorher festgelegt worden?“). Für 90 % der Potsda-mer Studierenden wurden vor dem Praxissemester die konkreten Aufgaben – fast immer schriftlich – festgelegt.

Um die Lerngelegenheiten der Studierenden im Praxissemester zu erfassen, wurden zusätzlich drei Skalen gebildet, die unterschiedliche Lernangebote an

8 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich auch die Umsetzung des Lehramtsstudiums

der beiden Hochschulen voneinander unterscheidet. Gründe für mögliche Unterschiede in der Durchführung und Wirkung der Praxisphasen können sowohl in der Gestaltung der Praxisphase, aber auch in anderen Strukturmerkmalen der beiden Studiengänge liegen.

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? 149

den Schulen abbilden: a) durch Beobachtung und Austausch lernen, b) Lernen durch selbstständiges Arbeiten und Ausprobieren und c) Neues aus der Praxis kennenlernen. Die Auswertung zeigt, dass die Studierenden sich sowohl im Praxissemester ausprobieren und selbständig tätig sein (M=4.5; SD=0.69) als auch durch Beobachtung und Austausch lernen können (M=4.2; SD=0.9). Gele-genheiten, Neues aus der Praxis kennenzulernen und zu testen, werden den Studierenden im Praxissemester etwas seltener angeboten (M=3.6; SD=0.9). Diese Gelegenheiten gehen (laut Skala) offensichtlich damit einher, dass die Studierenden mit abwechslungsreichen Tätigkeiten des Lehrerhandelns betraut werden.

Im Vergleich des Praxissemesters mit dem Blockpraktikum der Vergleichs-hochschule zeigen sich Unterschiede sowohl bei der Übernahme und Ausgestal-tung von Tätigkeiten in der Schule als auch bei der Festlegung konkreter Auf-gaben. Die Studierenden des Praxissemesters führen mehr eigene Unterrichts-stunden durch und können mehr Hospitationen wahrnehmen (i.d.R. 60 Stunden Unterricht, 96 Stunden Hospitation) als die Studierenden der Vergleichshoch-schule (i.d.R. 12 Stunden Unterricht, 30 Stunden Hospitation). Mit Blick auf die Lernangebote profitieren die Studierenden im Praxissemester vor diesem Hin-tergrund stärker von der Möglichkeit, in abwechslungsreichen Tätigkeiten Neu-es aus der Praxis kennenzulernen als die Studierenden der Vergleichshochschule (MUP=3.6; SD=0.9 vs. MVH=3.1; SD=1.010; t-

Für die Festlegung konkreter Aufgaben vor dem Praktikum gilt: Während 90 % der befragten Studierenden der Universität Potsdam angeben, dass ihre Aufgaben fest vereinbart wurden, äußern dies 82 % der Studierenden der Ver-gleichshochschule. Gleichzeitig ist festzustellen, dass die Aufgaben für das Pra-xissemester an der Universität Potsdam häufiger schriftlich fixiert werden (80 % vs. 56 %; vgl. Tab. 2).

Tab. 2: Sind Ihre konkreten Aufgaben im Praktikum vorher festgelegt worden?

Festlegung von Aufgaben nein ja, nur

mündl. ja, nur

schriftl. ja,

mündl. + schriftl. % % % %

Universität Potsdam 10 10 37 43 Vergleichshochschule 18 26 22 34

Anm.: nUP=311, nVH=99, Chi-

9 Alle drei Skalen sind fünfstufig – von 1=trifft gar nicht zu bis 5=trifft genau zu – angelegt. 10 Die Skala ist fünfstufig – von 1=trifft gar nicht zu bis 5=trifft genau zu – angelegt.

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150 W. Schubarth, K. Speck, A. Seidel, C. Gottmann, C. Kamm, M. Krohn

b) Begleitung zum Praxissemester Unter der Begleitung der Praxisphasen werden die vor- und nachbereitenden sowie die Begleitveranstaltungen verstanden, die die Hochschulen anbieten. Die Universität Potsdam führt als Begleitung des Praxissemesters vorbereitende, begleitende und nachbereitende Veranstaltungen für das Fach Erziehungswis-senschaften (erziehungswissenschaftliche Seminare) sowie für die beiden ge-wählten Studienfächer der Studierenden durch (fachdidaktische Seminare).

Für die Erfassung des Praxisbezugs in den jeweiligen Veranstaltungen wur-den zweistufige Skalen und für die fachdidaktischen Seminare jeweils eine gemeinsame Skala gebildet. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem der Praxis-bezug der vorbereitenden Veranstaltungen weniger gut eingeschätzt wird (vgl. Tab. 3). Den stärksten Praxisbezug sehen die Studierenden der Universität Pots-dam in ihren erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Begleitsemina-ren sowie in den nachbereitenden fachdidaktischen Veranstaltungen.

Tab. 3: Praxisbezug der Veranstaltungen für das Praktikum

Praxisbezug Universität Potsdam

M (SD) EWI

vorbereitend 1.46 (0.38) begleitend 1.70 (0.36) nachbereitend 1.58 (0.37)

Fach

vorbereitend 1.54 (0.39) begleitend 1.69 (0.36) nachbereitend 1.65 (0.37)

Anm.: nUP=191, Skala (4 Items): 1=nein und 2=ja; EWI=Erziehungswissenschaften, Fach=Fachdidaktik 1, M=Mittelwert, SD=Standardabweichung

In einer offenen Frage wurden die Potsdamer Studierenden außerdem gebeten, die Stärken bzw. Schwächen der Praktikumsorganisation an ihrer Hochschule zu benennen. Die Angaben der Studierenden weisen darauf hin, dass die Potsdamer Studierenden im Durchschnitt mit ihren Praktikumsveranstaltungen nicht wirk-lich zufrieden sind. 54 % der Lehramtsstudierenden, die auf die offene Frage geantwortet haben11, weisen die Praktikumsveranstaltungen als Schwäche aus, z.B. mit folgender Aussage: „Die Inhalte der Begleitseminare schließen die Lücke zwischen Theorie und Praxis nicht“. Gleichwohl loben aber auch 33 % die Veranstaltungen, z.B. das „System der vor- und nachbereitenden sowie Begleitseminare“.

11 Insgesamt 44% der Potsdamer Studierenden beantworteten diese offene Frage.

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? 151

Im Vergleich des Praxissemesters mit dem Blockpraktikum der Vergleichshoch-schule12 zeigen sich Unterschiede im wahrgenommenen Praxisbezug durch die Studierenden. So schätzen die Studierenden der Universität Potsdam den Pra-xisbezug ihrer vorbereitenden Veranstaltung im Fach Erziehungswissenschaften besser ein als die Studierenden der Vergleichshochschule, im Fall der vorberei-tenden und nachbereitenden Fachdidaktik aber schlechter (vgl. Tab. 4). Hier zeigen sich möglicherweise Unterschiede in der Gesamtkonzeption der Praxis-phasen, die sich im Praxisbezug der Veranstaltungen niederschlagen. So wird dem Fach Erziehungswissenschaften an der Vergleichshochschule vergleichs-weise wenig Relevanz für die Praxisphase eingeräumt: es gibt nur eine vorberei-tende Vorlesung, wohingegen das Potsdamer Modell eine Woche Vorberei-tungsseminar sowie Begleit- und nachbereitende Veranstaltungen bietet.

Tab. 4: Praxisbezug der Veranstaltungen für das Praktikum

Praxisbezug EWI

vorbereitend* Fach

vorbereitend* Fach

nachbereitend*** M (SD) M (SD) M (SD)

Universität Potsdam 1.46 (0.38) 1.54 (0.39) 1.65 (0.37) Vergleichshochschule 1.36 (0.36) 1.66 (0.34) 1.81 (0.26)

Anm.: nUP=191, nVH=93, t-Tests: *p (4 Items): 1=nein und 2=ja; EWI=Erziehungswissenschaften, Fach=Fachdidaktik 1, M=Mittelwert, SD=Standardabweichung

c) Betreuung im Praxissemester In diesem Abschnitt werden die Aspekte der Betreuung während des Praxisse-mesters vorgestellt, die folgenden Perspektiven umfasst: erstens das Vorhanden-sein von festen Ansprechpartnern an Hochschule und Praktikumsschulen, zwei-tens die Qualität der Betreuung in den Schulen sowie drittens die Kooperation zwischen Schulen und Hochschule aus Sicht der Studierenden und aus Sicht der Ausbildungslehrkräfte.

Um die Regelmäßigkeit der Betreuung während des Praxissemesters in den Schulen und der Universität Potsdam zu dokumentieren, wurde das Vorhanden-sein von festen Ansprechpartnern erfasst („Wurden Sie regelmäßig durch einen festen Ansprechpartner an der Praktikumseinrichtung oder an der Studienein-richtung betreut?“). Das Ergebnis zeigt, dass zumindest die Mehrheit der Pots-damer Lehramtsstudierenden (70 %) sowohl durch einen festen Ansprechpartner an der Hochschule als auch an ihrer Schule regelmäßig betreut wurde. Ein Vier-tel der Potsdamer Studierenden gibt jedoch an, dass sie während ihres Praxisse-mesters keinen festen Ansprechpartner an ihrer Hochschule hatten. 12 Die Vergleichshochschule führt für das Fach Erziehungswissenschaft nur eine vorbereitende

Veranstaltung durch, außerdem existieren vor- und nachbereitende fachdidaktische Seminare.

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152 W. Schubarth, K. Speck, A. Seidel, C. Gottmann, C. Kamm, M. Krohn

Die Betreuungsqualität in den Schulen wurde in Form einer Skala erhoben, die die erlebte Qualität der Betreuung durch die Ausbildungslehrkräfte abbildet. Hier zeigt sich: Die Potsdamer Lehramtsstudierenden bewerten die Qualität der Betreuung in den Praktikumsschulen recht gut (M=4.7; SD=0.813).

Um zu erfassen, wie die Praktikumsschulen mit der Hochschule kooperieren, wurden die Studierenden zu ihrer Wahrnehmung gefragt („Mein Praktikumsbe-treuer hat mit Vertretern der Studieneinrichtung gut zusammengearbeitet.“). Eine solche Kooperation zwischen Schulen und Hochschule sehen 53 % der Potsdamer Studierenden. Dagegen weisen die Ausbildungslehrkräfte in den Praktikumsschulen auf eine schlechte Zusammenarbeit mit der Universität Pots-dam hin (M=2.2; SD=1.314). Nur 13 % fühlen sich bei der Betreuung ihrer Prak-tikantinnen und Praktikanten von der Hochschule gut unterstützt.

Im Vergleich des Praxissemesters mit dem Blockpraktikum einer Ver-gleichshochschule zeigen sich nur Unterschiede im Vorhandensein von festen Ansprechpartnern an Hochschule und Praktikumsschulen. So geben 70 % der Studierenden der Universität Potsdam, aber nur 55 % der Studierenden der Ver-gleichshochschule an, sowohl durch einen festen Ansprechpartner an der Hoch-schule als auch an ihrer Schule regelmäßig betreut worden zu sein (vgl. Tab. 5). Damit liegt der Anteil der Hochschulbetreuung in Potsdam höher als für die Vergleichshochschule (76 % vs. 64 %).

Tab. 5: Wurden Sie regelmäßig durch einen festen Ansprechpartner an der Praktikumseinrichtung oder an der Studieneinrichtung betreut?

Betreuung durch Ansprechpartner nein ja, nur

Schule ja, nur

HS ja, von beiden

% % % % Universität Potsdam 1 23 6 70 Vergleichshochschule 4 32 9 55

Anm.: nUP=212, nVH=92, Chi-Quadrat:

d) Wirkung des Praxissemesters Nach erfolgreichem Absolvieren ihres Praxissemesters wurden die Studierenden gebeten, die berufsorientierende Wirkung ihrer Praxisphase einzuschätzen. Um diese Wirkung des Praxissemesters zu untersuchen, wurden die Antworten der Studierenden mithilfe der Skala „Berufsorientierung“ ausgewertet, die folgende Aspekte einschließt: das Einarbeiten und Orientieren in der beruflichen Praxis, ein gelingender Theorie-Praxis-Transfer sowie das Erlangen von Berufsklarheit

13 Die Skala ist sechsstufig – von 1=trifft gar nicht zu bis 6=trifft völlig zu – angelegt. 14 Die Skala ist sechsstufig – von 1=trifft gar nicht zu bis 6=trifft völlig zu – angelegt.

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? 153

und die Absicherung der eigenen Berufsentscheidung.15 Die Auswertung der Skala zeigt: 94 % der Potsdamer Studierenden stimmen dieser berufsorientie-renden Wirkung des Praxissemesters zu (Zusammenfassung der Aussagen „trifft eher zu“ und „trifft zu“).

Der Vergleich des Praxissemesters mit dem Blockpraktikum der Vergleichs-hochschule zeigt, dass die Studierenden der Universität Potsdam in der berufs-orientierenden Wirkung etwas mehr von ihrem Praxissemester profitierten als die Studierenden der Vergleichshochschule von ihrem Blockpraktikum (MUP=4.2; SD=0.4 vs. MVH=4.0; SD=0.416; t- e) Theorie-Praxis-Verhältnis im Lehramtsstudium Um das Theorie-Praxis-Verhältnis und die Wichtigkeit von Praktika zu erfassen, wurden den Studierenden vier Einzelitems vorgelegt:

Mein Studium stellt eine gute Mischung von Theorie und Praxis dar. Der Praxisbezug kommt in meinem Studium zu kurz. Das Praktikum ist ein wichtiger Bestandteil des Studiums. Das Praktikum war zu kurz.

Nach ihrer Einschätzung zum Theorie-Praxis-Verhältnis befragt, konstatieren drei Viertel der Potsdamer Lehramtsstudierenden, dass ihr Studium keine gute Mischung aus Theorie und Praxis darstellt. Dass der Praxisbezug im Studium dabei zu kurz käme, finden 71 % der Potsdamer Studierenden. Von 80 % wird bekräftigt, dass ein Praktikum ein wichtiger Bestandteil des Studiums wäre. Mit der Länge ihres Praxissemesters sind die Potsdamer Studierenden zufrieden (92 %).

Im Vergleich des Praxissemesters mit dem Blockpraktikum der Vergleichs-hochschule zeigen sich Unterschiede im wahrgenommenen Praxisbezug durch die Studierenden sowie in der Einschätzung ihrer Praktikumsdauer. Dass der Praxisbezug im Studium zu kurz käme, betonen die Studierenden der Ver-gleichshochschule häufiger (83 %) als die Studierenden der Universität Potsdam (71 %). Dem entspricht, dass die Studierenden der Vergleichshochschule ihr Praktikum auch fünfmal häufiger als zu kurz einschätzen als die Potsdamer Studierenden ihr Praxissemester (40 % vs. 8 %).

Für die Durchführungs- und Ergebnisqualität des Potsdamer Praxissemesters lässt sich zusammenfassend feststellen, dass es den Studierenden genügend Zeit bietet, sich fachlich und methodisch auszuprobieren (Hypothese 1). Dabei wer-

15 Reflexionsaspekte, die die erlebte Praxis kritisch hinterfragen, sind nicht Bestandteil der Skala. 16 Die Skala ist fünfstufig – von 1=trifft nicht zu bis 5=trifft zu – angelegt.

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den ihre konkreten Aufgaben zu 90 % (fast immer schriftlich) vor dem Praxis-semester festgelegt

Die Mehrheit der Potsdamer Lehramtsstudierenden wird durch einen festen Ansprechpartner an der Hochschule betreut, jedoch ein Viertel der Potsdamer Studierenden erfährt eine solche Betreuung nicht. Für die Hochschulseminare wird von den Studierenden mehr Praxisbezug eingefordert. Das betrifft vor allem die vorbereitenden Veranstaltungen. Den stärksten Praxisbezug sehen die Studierenden in ihren Begleitseminaren und den nachbereitenden fachdidakti-schen Veranstaltungen. Die Betreuungsqualität in den Schulen kann als recht gut eingeschätzt werden. Die Kooperation der Universität mit den Praktikums-schulen ist dagegen als verbesserungswürdig einzustufen. Die Ausbildungslehr-kräfte klagen mangelnde Unterstützung durch die Hochschule und fehlende Zusammenarbeit in Fragen der Ausbildungsinhalte des Praxissemesters ein (Hypothese 2).

Das Praxissemester trägt nachweislich zur Berufsorientierung der Studieren-den bei (Hypothese 3). Das Theorie-Praxis-Verhältnis des Potsdamer Master-Lehramtsstudiums wird aber trotzdem von den Studierenden als nicht zufrieden-stellend eingeschätzt (Hypothese 4).

Der Vergleich des Potsdamer Praxissemesters mit einem vierwöchigen Blockpraktikum einer Vergleichshochschule zeigt auf, dass sich das Praxisse-mester in seiner Durchführungs- und Ergebnisqualität teilweise von einem Blockpraktikum unterscheidet (Hypothese 5). Für die Durchführungsbedingun-gen gilt: Die erhöhte Dauer des Praxissemesters bietet den untersuchten Studie-renden im Vergleich zu denen des untersuchten Blockpraktikums mehr Gele-genheit, sich fachlich auszuprobieren. Dabei werden die konkreten Aufgaben für das Praxissemester häufiger vorher festgelegt als im untersuchten Blockprakti-kum. Mit Blick auf die Lernangebote profitieren die Studierenden im Praxisse-mester stärker durch die Möglichkeit, in abwechslungsreichen Tätigkeiten Neu-es aus der Praxis kennenzulernen als die Studierenden der Vergleichshochschu-le.

Die Betreuung durch die Praktikumsschulen wird von den Studierenden bei-der Hochschulen gleichermaßen gut eingeschätzt, die Hochschulbetreuung – in Form von festen Ansprechpartnern – dagegen nicht: hier liegt der Anteil der regelmäßigen Betreuung an der Potsdamer Universität höher als an der Ver-gleichshochschule. Auch in der Begleitung durch Praktikumsveranstaltungen zeigen sich Unterschiede: Im Vergleich zu den Bedingungen der Vergleichs-hochschule schätzen die Potsdamer Studierenden den Praxisbezug in den vorbe-reitenden Veranstaltungen im Fach Erziehungswissenschaften besser ein als die Studierenden der Vergleichshochschule, in den Veranstaltungen der Fachdidak-tiken aber schlechter.

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? 155

Als Ergebnis der Praxisphasen zeigen sich Unterschiede im Ausmaß der erfolg-ten Berufsorientierung sowie in der Einschätzung des Theorie-Praxis-Verhältnisses der beiden Lehramtsstudiengänge: Im Vergleich zum untersuchten Blockpraktikum trägt das Praxissemester zu einer stärkeren Berufsorientierung bei. Das führt aber nicht zu einer besseren Einschätzung des Theorie-Praxis-Verhältnisses durch die Potsdamer Studierenden: Die Mehrheit der Studieren-den beider Hochschulen sehen in ihrem Studium keine gute Mischung aus Theo-rie und Praxis umgesetzt. Dass der Praxisbezug im Studium dabei zu kurz käme, betonen die Studierenden der Vergleichshochschule aber häufiger als die Studie-renden der Universität Potsdam.

3.2 Berufsbefähigende Wirkung des Praxissemesters: Kompetenzentwicklung

Mit Blick auf die berufsbefähigende Wirkung des Praxissemesters an der Uni-versität Potsdam im Sinne einer Entwicklung der selbst wahrgenommenen Kompetenzen sollen drei Hypothesen überprüft werden. Diese wurden aus dem bisherigen Forschungsstand abgeleitet und rekurrieren auf die anvisierten Wir-kungen des Potsdamer Praxissemesters:

Hypothese 6: Das Praxissemester trägt zu einem berufsbefähigenden Kom-petenzgewinn der Studierenden bei. Es werden sowohl lehramtsspezifische (z.B. Unterrichten, Erziehen) als auch fachübergreifende Kompetenzen (allgemeine Fachkompetenz17, Methodenkompetenz, Personale und Soziale Kompetenz) erworben.

Hypothese 7: Der berufsbefähigende Kompetenzgewinn der Studierenden ist bei den lehramtsspezifischen Kompetenzen größer als bei den fachübergreifen-den Kompetenzen.

Hypothese 8: Prozessvariablen wie z.B. Betreuungsaspekte während des Praxissemesters und Inputvariablen wie z.B. Persönlichkeitseigenschaften der Studierenden haben einen Einfluss auf die Einwicklung berufsbefähigender Kompetenzen der Studierenden.

3.2.1 Instrumentarium

Für die Entwicklung der Skalen zur Erfassung der fachübergreifenden Kompe-tenzen sei auf den Beitrag von Schubarth u.a. in diesem Band (Abschnitt I)

17 Der Erwerb von allgemeiner Fachkompetenz in der Hochschulausbildung wird als Erweiterung

der eigenen Kenntnisse und als das Verstehen, Anwenden und Analysieren von Gelerntem ge-sehen (vgl. Braun u.a. 2008).

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verwiesen. Die Erfassung der lehramtsspezifischen Kompetenzen erfolgte auf der Grundlage konzeptioneller Vorüberlegungen (z.B. Qualifikationsrahmen der Kultusministerkonferenz: KMK 2005; Standards und Kompetenzen für das Lehramt: KMK 2004, 2008) sowie anschlussfähiger Kompetenzinstrumentarien (z.B. Gröschner 2009; Schubarth/Speck/Seidel 2007). Tabelle 6 gibt einen Über-blick über die verwendeten Skalen.

Tab. 6: Beispiel-Items und Skalenkennwerte für die lehramtsspezifischen Kom-petenzen im Lehramt (n=144)

Skala Beispiel-Item „Ich kann…“ Unterrichten (6 Items; T1=.881; T2=.870)

… Schülern Lernstrategien für das weitere Lernen vermitteln.

Erziehen (5 Items; T1=.868; T2=.839)

… mit unterschiedlichen Disziplinproble-men umgehen.

Beurteilen (6 Items; T1=.881; T2=.830)

… im Rahmen offener Lernformen Leis-tungen ermitteln und beurteilen.

Beraten (6 Items; T1=.869; T2=.885)

… die Lernenden individuell für ihren Lernweg beraten.

Innovieren (6 Items; T1=.769; T2=.774)

… Ergebnisse der Bildungsforschung für die eigene Tätigkeit nutzen.

Anm.: Skalen sechsstufig von 1=trifft gar nicht zu bis 6=trifft völlig zu

Die Skalen sowohl zu den fachübergreifenden als auch zu den lehramtsspezifi-schen Kompetenzen wurden den Studierenden vor und nach dem Praxissemester vorgelegt. Zur Validierung werden den Selbsteinschätzungen der Studierenden Fremdeinschätzungen der Ausbildungslehrkräfte an den Schulen zum Zeitpunkt T2 (nach dem Praxissemester) gegenübergestellt.

Um mögliche Faktoren auf Kontext-, Input- und Prozessebene zu ermitteln, die die Kompetenzentwicklung der Studierenden beeinflussen, wurden lineare Regressionsanalysen durchgeführt. Aufbauend auf ein exploratives Verfahren (schrittweise Regressionsanalysen anhand theoretischer Vorannahmen und ent-sprechender Korrelationsanalysen) wurde ein gemeinsames Modell für alle Kompetenzbereiche (sowohl fachübergreifend als auch lehramtsspezifisch) gewählt. Auf diese Weise sollten zum einen lineare Zusammenhänge zwischen verschiedenen Variablen und den potenziellen Wirkungen des Praxissemesters geprüft werden. Zum anderen sollte geklärt werden, ob sich der Einfluss ausge-wählter Variablen in den verschiedenen Wirkungsbereichen unterscheidet. In das Modell flossen die in Tabelle 7 aufgeführten Variablen ein.

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? 157

Tab. 7: Einflussvariablen auf die Kompetenzentwicklung

Genutzte Skalen/Einzelitems Beispiel-Items Inputvariablen Selbstwirksamkeitserwartung18 (Skala: von 1=trifft nicht zu bis 5=trifft zu;10 Items; =.841)

Für jedes Problem kann ich eine Lösung finden.

Ausgangsniveau der fachübergreifen-den und lehramtsspezifischen Kom-petenzen zu Beginn des Praxissemes-ters

Prozessvariablen Betreuung durch Schule (Skala: von 1=trifft gar nicht zu bis 6=trifft völlig zu; 10 Items; =.871)

Die Begleitung (Beratung/Betreuung/ Anleitung/Unterstützung) durch meinen Praktikumsbetreuer war vorbildhaft.

Anm.: Die Bestimmung von Cronbachs Alpha bezieht sich auf die Teilstichprobe von n=144.

3.2.2 Stichprobe

Die Untersuchung zur Kompetenzentwicklung im Praxissemester (3.2) kon-zentriert sich auf die Befunde der längsschnittlichen Befragung bei den Lehr-amtsstudierenden der Universität Potsdam. Damit gehen 144 Lehramtsstudie-rende, die vor und nach dem Praxissemester befragt werden konnten, in die Auswertung ein. Das durchschnittliche Alter dieser Lehramtsstudierenden be-trug 25.3 Jahre (SD=2.7), der Frauenanteil liegt bei 85,4 %. Die befragten Stu-dierenden befanden sich im zweiten bis dritten Fachsemester des Masterstudi-ums.

Die Stichprobe der Ausbildungslehrkräfte setzt sich aus 114 brandenburgi-schen Lehrerinnen und Lehrern zusammen. Das durchschnittliche Alter beträgt 48 Jahre (SD=7.1), der Frauenanteil liegt bei 80 %.

3.2.3 Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse zur Entwicklung der selbst wahrgenom-menen Kompetenzen der Potsdamer Lehramtsstudierenden vorgestellt. Dabei werden in einem ersten Schritt a) die Veränderungen in den Einschätzungen der lehramtsspezifischen Kompetenzen vor und nach dem Praxissemester (T1 und T2) dargestellt. In einem zweiten Schritt folgt ein Überblick über b) die Verän-derungen in den Einschätzungen der fachübergreifenden Kompetenzen vor und 18 Verwendung der Skala von Schwarzer/Jerusalem (1999).

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nach dem Praxissemester. Den Selbsteinschätzungen der Studierenden werden dabei jeweils zusätzlich die Fremdeinschätzungen der Ausbildungslehrkräfte nach Absolvieren des Praxissemesters gegenübergestellt. Die Darstellung der Einflüsse auf die Kompetenzentwicklung schließt die Ergebnisdarstellung ab. a) Entwicklung lehramtsspezifischer Kompetenzen Bei Betrachtung des Ausgangsniveaus der Studierenden hinsichtlich der lehr-amtsspezifischen Kompetenzen wird sichtbar, dass die Selbsteinschätzungen in allen fünf Kompetenzbereichen deutlich im positiven Wertebereich liegen (oberhalb der theoretischen Skalenmitte von M=3.5) (vgl. Tab. 8). Das heißt, die Studierenden nehmen sich bereits vor dem Praxissemester als sehr kompetent wahr. Unabhängig davon lassen sich mittels t-Test für abhängige Stichproben für alle Bereiche statistisch signifikante Zuwächse am Ende des Praxissemesters nachweisen. Dabei fallen die Unterschiede für die beiden lehramtsbezogenen Kompetenzbereiche Beurteilen und Innovieren am deutlichsten aus. Zur Über-prüfung der praktischen Bedeutsamkeit dieser Mittelwertsunterschiede wurden die Effektstärken (Cohens d als standardisierte Mittelwertdifferenz) bestimmt.19 Insgesamt liegen die Effektstärken im mittleren Bereich.

Tab. 8: Einschätzung der lehramtsspezifischen Kompetenzen im Lehramt vor und nach dem Praxissemester (n=144)

Skalen T1: M (SD) T2: M (SD) t(df) Cohens d Unterrichten 4.57 (0.69) 4.81 (0.64) -4.42 (140)*** 0.37 Erziehen 4.14 (0.71) 4.37 (0.66) -3.68 (138)*** 0.31 Beurteilen 4.02 (0.78) 4.35 (0.66) -5.11 (139)*** 0.43 Beraten 3.99 (0.76) 4.24 (0.76) -4.11 (137)*** 0.35 Innovieren 3.96 (0.72) 4.23 (0.70) -4.81 (136)*** 0.41

Anm.: T1=vor der Praxisphase; T2=nach der Praxisphase, M=Mittelwert; SD=Standardabweichung,

Um zu überprüfen, inwieweit die Selbsteinschätzungen der Studierenden mit den Fremdeinschätzungen der Ausbildungslehrkräfte übereinstimmen, wurden die Antworten der beiden Gruppen mittels t-Test für unabhängige Stichproben verglichen. Im Ergebnis wird deutlich, dass sich Selbst- und Fremdeinschätzun-gen in zwei Bereichen signifikant voneinander unterscheiden (vgl. Abb. 2): Im Unterrichten und Erziehen fallen die Fremdeinschätzungen durch die Ausbil-

19 Nach Bortz/Döring (2006) werden allgemein Effektstärken von d>0.50 als groß interpretiert,

Effektstärken von d=0.50 bis 0.30 gelten als moderat und Effektstärken von d=0.30 bis 0.10 als klein.

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? 159

dungslehrkräfte niedriger aus als die Selbsteinschätzungen der Studierenden. Die praktische Bedeutsamkeit dieser Mittelwertsunterschiede ist jedoch anhand der Bestimmung von Cohens d als gering einzuschätzen. Einschränkend muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass hier und im Folgenden keine personenbezogene Zuordnung von Selbst- und Fremdeinschätzungen vorge-nommen werden konnte, sondern dass es sich hierbei um durchschnittliche Einschätzungen der jeweiligen Befragtengruppen handelt.

Abb. 2: Fachspezifische Kompetenzen nach dem Praxissemester – Vergleich von Selbst- und Fremdeinschätzungen (n=258)

Anm.: Skalen sechsstufig von 1=trifft gar nicht zu bis 6=trifft völlig zu; t-Tests: Angabe von signifi-kanten Mittelwertsunterschieden und Effektstärken (Cohens d)

b) Entwicklung der fachübergreifenden Kompetenzen Die Lehramtsstudierenden nehmen sich auch in allen vier fachübergreifenden Kompetenzbereichen bereits zum ersten Messzeitpunkt (vor bzw. zu Beginn des Praxissemesters) als kompetent wahr (vgl. Tab. 9). Bestimmt man die Mittel-wertsunterschiede mittels t-Test für abhängige Stichproben, sind ebenfalls die Kompetenzzuwächse signifikant. Im Gegensatz zu den lehramtsspezifischen Kompetenzen weisen die Veränderungen in den Einschätzungen aber – mit Aus-nahme der allgemeinen Fachkompetenz – eine eher geringe praktische Bedeut-samkeit auf (kleine Effektstärken).

Unterrichten Erziehen Beurteilen Beraten Innovieren

Selbsteinschätzung (n=144) Fremdeinschätzung (n=114)

6

5

4

3

2

1

4.81 4.59

4.37 4.16

4.35 4.25 4.24 4.12 4.23 4.37

d=.29

d=.27

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Tab. 9: Einschätzung der fachübergreifenden Kompetenzen vor und nach dem Praxissemester (n=144)

Skalen T1: M (SD) T2: M (SD) t(df) Cohens d

Fachkompetenz 4.35 (0.56) 4.58 (0.59) -5.47 (139)*** 0.46

Methodenkompetenz 4.72 (0.62) 4.85 (0.64) -2.46 (139)* 0.21

Personale Kompetenz 4.81 (0.66) 4.95 (0.67) -2.87 (139)** 0.24

Soziale Kompetenz 4.54 (0.61) 4.67 (0.60) -2.65 (139)** 0.22

Anm.: T1=vor der Praxisphase; T2=nach der Praxisphase, M=Mittelwert; SD=Standardabweichung,

Ein Vergleich der Selbst- und Fremdeinschätzungen mittels t-Test für unabhän-gige Stichproben zeigt, dass sich die Einschätzungen in zwei Kompetenzberei-chen signifikant voneinander unterscheiden (vgl. Abb. 3): In der Methoden- und Sozialen Kompetenz fallen nach dem Praxissemester die Einschätzungen der Ausbildungslehrkräfte niedriger aus als die Selbsteinschätzungen der Studieren-den. Die praktische Bedeutsamkeit der Mittelwertsunterschiede ist wiederum als gering einzustufen.

Abb. 3: Fachübergreifende Kompetenzen nach dem Praxissemester – Vergleich von Selbst- und Fremdeinschätzungen (n=258)

Anm.: Skalen sechsstufig von 1=trifft gar nicht zu bis 6=trifft völlig zu; t-Tests: Angabe von signifi-kanten Mittelwertsunterschieden und Effektstärken (Cohens d)

Fachkompetenz Methodenkompetenz Personale Kompetenz Soziale Kompetenz

Selbsteinschätzung (n=144) Fremdeinschätzung (n=114)

6

5

4

3

2

1

4.58 4.67 4.85 4.64

4.95 4.77 4.67 4.48

d=.28

d=.27

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? 161

c) Einflüsse auf die Kompetenzentwicklung Für die Untersuchung der Einflüsse auf die berufsbefähigende Wirkung des Praxissemesters wurden Inputvariablen (z.B. Selbstwirksamkeitserwartung) und Prozessvariablen (z.B. Betreuung durch die Ausbildungslehrkräfte an den Schu-len) als Prädiktoren in ein lineares Regressionsmodell einbezogen (vgl. dazu Abschnitt 3.2.1). Als abhängige Variable fungiert die jeweilige Differenz in den Kompetenzeinschätzungen vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt (also die Entwicklung vom Beginn des Praxissemesters zum Abschluss des Praxissemes-ters). Ziel war es, ein gemeinsames Modell für alle Kompetenzbereiche zu prü-fen.

Zwischen den Einschätzungen der fachübergreifenden und lehramtsspezifi-schen Kompetenzen vor dem Praktikum (Ausgangsniveau) und den entspre-chenden Einschätzungen nach dem Praktikum lassen sich hohe Korrelationen nachweisen (Pearson’s r=.41–.62). Auch die Zusammenhänge zwischen Kom-petenzeinschätzungen nach dem Praktikum und der Selbstwirksamkeitserwar-tung vor dem Praktikum fallen hoch aus (Pearson’s r=.45–.54). Zwischen der Einschätzung der Betreuung durch die Ausbildungslehrkräfte und den Kompe-tenzeinschätzungen nach dem Praktikum fallen die Zusammenhänge ebenfalls signifikant, jedoch etwas niedriger aus (Pearson’s r=.21–.39). Mit den letztlich einbezogenen Prädiktoren und dem gewählten Regressionsmodell werden – je nach Kompetenzbereich – zwischen 27 bis 55 % (vgl. Tab 10 und 11) der Vari-anz aufgeklärt. Einflüsse auf die lehramtsspezifische Kompetenzentwicklung Die Ergebnisse der linearen Regressionsanalysen machen den starken Einfluss des Ausgangsniveaus und der Selbstwirksamkeitserwartung zu Beginn des Prak-tikums auf die Entwicklung selbst wahrgenommener Kompetenzen deutlich: Je höher die Selbstwirksamkeitserwartung der Studierenden, desto höher der Zu-wachs in den lehramtsspezifischen Kompetenzen.20 Zusätzlich lässt sich für alle Kompetenzbereiche ein signifikanter Einfluss der Betreuung durch die Ausbil-dungslehrkräfte an den Schulen nachweisen (vgl. Tabelle 10): Je besser die Betreuung eingeschätzt wird, desto höher fällt der Kompetenzzuwachs aus.

20 Der scheinbar negative Einfluss des Ausgangsniveaus kann mit dem statistischen Phänomen

„Regression zur Mitte“ begründet werden.

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162 W. Schubarth, K. Speck, A. Seidel, C. Gottmann, C. Kamm, M. Krohn

Tab. 10: Ergebnisse der Regressionsanalysen für die lehramtsspezifische Kom-petenzentwicklung (n=132-136)

Unter-richten

Beurtei-len

Beraten Inno-vieren

Erziehen

Varianzaufklärung 44.1%*** 54.5%*** 31.9%*** 36.8%*** 46.0%*** Ausgangsniveau -.679*** -.800*** -.583*** -.719*** -.771*** Selbstwirksam-keitserwartung

.300*** .316*** .256** .324*** .285***

Betreuung durch Schule

.249*** .207*** .158* .227** .221***

Anm.: Einschlus

Einflüsse auf die fachübergreifende Kompetenzentwicklung Wie bei den lehramtsspezifischen Kompetenzen wird auch bei den fachübergrei-fenden Kompetenzen der starke Einfluss individueller Voraussetzungen deut-lich: Ein hohes Ausgangsniveau und eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung haben einen positiven Einfluss auf die fachübergreifenden Kompetenzen.21 Zusätzlich ist auch für die fachübergreifenden Kompetenzen die qualifizierte Betreuung durch die Ausbildungslehrkraft relevant.

Tab. 11: Ergebnisse der Regressionsanalysen für die fachübergreifende Kompe-tenzentwicklung (n=132-136)

Fach-kompetenz

Methoden-kompetenz

Personale Kompetenz

Soziale Kompetenz

Varianzaufklärung 30.6%*** 41.8%*** 27.3%*** 31.0%*** Ausgangsniveau -.587*** -.721*** -.571*** -.634*** Selbstwirksamkeits-erwartung

.294*** .340*** .207* .272**

Betreuung durch Schule

.260*** .266*** .257*** .150*

Anm.:

Für die berufsbefähigende Wirkung des Praxissemesters lässt sich zusammen-fassend feststellen, dass das Potsdamer Praxissemester zu einer Entwicklung (selbst wahrgenommener) Kompetenzen der Studierenden – sowohl für lehr-amtsspezifische als auch für fachübergreifende Kompetenzen – beiträgt (Hypo-these 6).

21 Auch hier kann der scheinbar negative Einfluss des Ausgangsniveaus mit dem statistischen

Phänomen „Regression zur Mitte“ begründet werden.

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? 163

Bestätigt werden konnte auch die Hypothese, dass die Entwicklung hinsichtlich der lehramtsspezifischen Kompetenzen größer ist als für die meisten der über-prüften fachübergreifenden Kompetenzen (vgl. Hypothese 7). Für die allgemei-ne Fachkompetenz und für die lehramtsspezifischen Fachkompetenzen Innovie-ren und Beurteilen lassen sich die stärksten Effekte nachweisen.

Prozessvariablen und Inputvariablen haben einen Einfluss auf die berufsbe-fähigende Kompetenzentwicklung der Studierenden (vgl. Hypothese 8): Neben dem Ausgangsniveau und der Selbstwirksamkeitserwartung zu Beginn des Pra-xissemesters ist vor allem die Betreuung durch die Ausbildungslehrkräfte an den Schulen für die Kompetenzentwicklung bedeutsam.

Zusammenfassung und Diskussion 4.

Um einschätzen zu können, ob das Potsdamer Praxissemester als erfolgreich gelten kann, wurde in einem ersten Schritt überprüft, welche Tätigkeiten von den Studierenden in ihrer Praxisphase übernommen wurden, in welcher Form die Begleitung und Betreuung des Praxissemesters durch die Schulen und Hoch-schule erfolgte und wie die Studierenden die berufsorientierende und -befähigende Wirkung sowie den Stellenwert ihrer Praxisphasen bewerteten. In einem zwei-ten Schritt wurden die Ergebnisse des Praxissemesters denen eines Blockprakti-kums einer Vergleichshochschule gegenübergestellt. Im Folgenden sollen diese Befunde vor dem Hintergrund ausgewählter Ziele des Potsdamer Praxissemes-ters (vgl. Abschnitt 3) diskutiert werden.

Betrachtet man die Durchführungsqualität des Potsdamer Praxissemesters, lässt sich feststellen, dass es den Studierenden genügend Zeit bietet, sich fach-lich und methodisch auszuprobieren. Im Vergleich zum Blockpraktikum zeigt sich, dass das Potenzial des Praxissemesters vor allem darin liegt, dass sich die Studierenden durch die erhöhte Dauer der Praxisphase fachlich und methodisch besser ausprobieren können als in einem vierwöchigen Blockpraktikum. Damit konnte ein Ziel des Potsdamer Praxissemesters „vertieftes Kennenlernen der Schulrealität“ (Zentrum für Lehrerbildung 2009) umgesetzt werden.

Die Betreuung in den Schulen kann als gut eingeschätzt werden. Die Koope-ration der Universität mit den Praktikumsschulen ist dagegen als verbesse-rungswürdig einzustufen. Die Ausbildungslehrkräfte klagen mangelnde Unter-stützung durch die Hochschule und fehlende Zusammenarbeit in Fragen der Ausbildungsinhalte des Praxissemesters ein. Für die Hochschulseminare wird von den Potsdamer Studierenden mehr Praxisbezug eingefordert. Im Vergleich zum Blockpraktikum lassen sich, bezogen auf die Betreuungs- und Begleitungs-verhältnisse, keine eindeutigen Vorteile des Praxissemesters konstatieren. Zwar

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wird die Hochschulbetreuung – in Form von festen Ansprechpartnern – von den Potsdamer Studierenden besser eingeschätzt als von den Studierenden der Ver-gleichshochschule, aber die Begleitung in den vorbereitenden Seminaren wird von den Potsdamer Studierenden als nicht zufriedenstellend beurteilt und die Seminare der Fachdidaktiken insgesamt schlechter als in der Vergleichshoch-schule. Die Betreuung in den Praktikumsschulen erfolgt im Praxissemester und im Blockpraktikum gleichermaßen gut. Vor dem Zielhintergrund des Potsdamer Praxissemesters „Zusammenführen von Theorie und Praxis“ (ebd.) kann nicht von einer erfolgreichen Umsetzung gesprochen werden, da sowohl die Koopera-tion zwischen Universität und Praktikumsschulen als auch die Begleitung in den vor- und nachbereitenden sowie begleitenden Seminaren als verbesserungswür-dig einzustufen sind.

Als Ergebnisqualität lassen sich sowohl eine berufsorientierende als auch eine berufsbefähigende Wirkung des Potsdamer Praxissemester nachweisen. Die vorliegende Untersuchung liefert Belege dafür, dass das Praxissemester zum einen eine – im Vergleich zum Blockpraktikum – erhöhte Berufsorientierung und zum anderen einen nachweisbaren Kompetenzgewinn ermöglicht.

Die berufsorientierende Wirkung zeigt, dass das Potsdamer Praxissemester die von der KMK-Expertenkommission hervorgehobenen Ziele für schulprakti-sche Studien der ersten Ausbildungsphase – Berufswunschüberprüfung, Berufs-felderkundung, Unterrichtserprobung sowie Berufsqualifizierung – erfüllen kann (vgl. Terhart 2000). Hinsichtlich eines für Praxisphasen geforderten Theo-rie-Praxis-Transfer (vgl. Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich AfH 2010) liegen für das Potsdamer Praxissemester widersprüchliche Befunde vor: Mit Blick auf die Berufsorientierung deuten die Ergebnisse darauf hin, dass eine Berücksichtigung theoretischer Inhalte in der Praxis möglich ist. Die Reflexion der studentischen Praxiserfahrungen in den begleitenden und nachbereitenden Seminaren erfolgt hingegen aus Sicht der Studierenden bislang nicht zufriedenstellend.

Insgesamt wird die berufsbefähigende Wirkung des Potsdamer Praxissemes-ters durch die Entwicklung sowohl lehramtsspezifischer als auch fachübergrei-fender Kompetenzen deutlich. Ähnlich wie von Gröschner/Schmitt 2011 konsta-tiert, fallen die Zuwächse in den einzelnen Kompetenzbereichen unterschiedlich hoch aus. Im Gegensatz zu Bodensohn/Schneider (2008) liegen die Selbstein-schätzungen der Lehramtsstudierenden nach dem Praktikum höher als die Fremdeinschätzungen des Kompetenzstandes durch die Ausbildungslehrkräfte. Vor dem Zielhintergrund des Potsdamer Praxissemesters „Überprüfung sowie Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen“ (Zentrum für Lehrerbildung 2009) muss aber konstatiert werden, dass es keine Qualitätsstandards der Hoch-schule gibt, die es ermöglichen, lehramtsspezifische und/oder fachübergreifende

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? 165

Kompetenzen auf der Basis eines objektiven Maßstabes einzuschätzen. So zeig-te bereits eine frühere Untersuchung des Potsdamer Lehramtsstudiums, dass sich die Studierenden des Praxissemesters im Kompetenzbereich Unterrichten besser einschätzen als Referendare im Vorbereitungsdienst (vgl. Schubarth u.a. 2009). Die vorliegenden Ergebnisse der berufsbefähigenden Wirkung des Pra-xissemesters bestätigen außerdem Untersuchungen, die den Einfluss von Be-treuungsqualität auf der Ebene der Prozessvariablen (vgl. Gröschner/Schmitt 2011) und von Selbstwirksamkeitserwartung auf der Ebene der Inputvariablen (vgl. Cramer 2010) nachgewiesen haben.

Trotz der nachgewiesenen berufsorientierenden und -befähigenden Wirkung trägt das Praxissemester als neues Element in der Lehrerausbildung – unseren Ergebnissen zufolge – nicht zu einem besseren Theorie-Praxis-Verhältnis bei (vgl. hierzu auch Dieck u.a. 2010; Müller 2010): Sowohl die große Mehrheit der Potsdamer Studierenden als auch der Studierenden der Vergleichshochschule schätzen die Mischung aus Theorie und Praxis ihres Studiengangs als nicht zufriedenstellend ein. Insgesamt wird dem Spannungsfeld zwischen anwen-dungs- aber auch theoriegeleiteter Vorbereitung, Reflexion und Distanz zum eigenen praktischen Handeln offenbar auch im untersuchten Praxissemester noch nicht genug Rechnung getragen und stellt für die Hochschulbildung sowie für die Zusammenarbeit mit den Praktikumsschulen eine große Herausforderung dar. Die kritischen Befunde zum Theorie-Praxis-Verhältnis könnten u.a. auf den noch zu verbessernden Praxisbezug der vorbereitenden, begleitenden und nach-bereitenden Veranstaltungen sowie die noch zu verbessernde Kooperation zwi-schen Schulen und Hochschulen und weiteren beteiligten Institutionen zurück-zuführen sein. Eine andere Begründung liefert die Untersuchung von Schüss-ler/Keuffer (in diesem Band) aus der Perspektive der Studierenden: Während ein Teil der Lehramtsstudierenden „rezeptartiges Anwendungswissen“ und unterrichtspraktische Tätigkeit einfordert, wünscht sich ein etwa gleichgroßer Anteil eine bessere, wechselseitige Verknüpfung von Theorie und Praxis. Die Bewertung des Theorie-Praxis-Verhältnisses ist insofern keine objektive Größe, sondern hängt mit konkreten Verständnissen und Erwartungen an Studium und Schule sowie Theorie und Praxis zusammen. Berücksichtigt werden muss, dass die kritischen Befunde zum Theorie-Praxis-Verhältnis kein spezifisches Merk-mal des Praxissemesters, sondern ein strukturelles Problem in der Hochschul-ausbildung und nicht zuletzt der Lehramtsausbildung sind.

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Folgerungen für Lehrerbildung und Lehrerforschung 5.

Ist das Praxissemester, das in der Lehrerbildung zunehmend als eine Art „Kö-nigsweg“ angesehen wird, nun ein Erfolgsmodell? Das Praxissemester im Land Brandenburg bietet den Lehramtsstudierenden durch seine erhöhte Dauer ge-genüber Blockpraktika mehr Gelegenheit, sich fachlich und methodisch auszu-probieren. Es unterstützt die Berufsorientierung der Studierenden und trägt bei den betreffenden Studierenden zu einem differenzierten (selbst wahrgenomme-nen) Kompetenzgewinn bei. Dass die Einführung eines Praxissemesters per se zu einer stärkeren Berufsorientierung, mehr Kompetenzen und zu einem insge-samt besseren Theorie-Praxis-Verhältnis im Lehramtsstudium führt, lässt sich durch unsere Studie nicht belegen. Der Umfang der Praxisanteile ist allein nicht ausreichend für eine Erreichung der anvisierten Kompetenzen. Vor allem die Qualität der Betreuung, die Kooperation zwischen Praktikumsschulen und Hochschule sowie die Verzahnung von Theorie und Praxis scheinen entschei-dende Erfolgsbedingungen für ein Praxissemester zu sein.

Für eine Optimierung des Praxissemesters ergeben sich aus den vorliegen-den Befunden folgende Konsequenzen: Die Entwicklung der Kompetenzen wird deutlich durch die Selbstwirksamkeitserwartung beeinflusst. Neben einer fachli-chen Unterstützung im Rahmen des Studiums geht es offensichtlich auch um eine psychosoziale Unterstützung der Studierenden in Form von Kompetenz-trainings und Reflexionsangeboten wie Supervision oder Coaching, was wiede-rum die Frage nach der Qualifizierung der Betreuungspersonen an Hochschulen und Praktikumsschulen nach sich zieht. Es stellt sich außerdem auch die grund-sätzliche Frage nach Eignungskriterien für zukünftige Lehramtsstudierende (vgl. Mayr 2007).

Grundlegend ist weiterhin, die fachliche Zusammenarbeit zwischen Schulen und Hochschulen zu verbessern, um die Ausbildung der Lehramtsstudierenden durch eine gelingende Verzahnung von theoretischen Inhalten und schulprakti-schen Anteilen zu verbessern. Auf Seiten der Hochschule erscheint nach unse-ren Ergebnissen wichtig, den Praxisbezug der vorbereitenden, begleitenden und nachbereitenden Veranstaltungen zu überprüfen und ggf. zu verbessern. Die Ausbildungslehrkräfte an den Schulen benötigen offensichtlich mehr Informati-onen über die Funktion und Zielsetzung des Praxissemesters – auch in Abgren-zung zu den Praxisanteilen des Vorbereitungsdienstes –, um die Ausbildungsin-halte sowie die Betreuung der Studierenden dementsprechend anzupassen.

Als entscheidende Erfolgsbedingung für die Wirksamkeit von Praxisphasen wird die Gesamtkonzeption der Lehramtsausbildung angesehen: Welche Praxis-anteile mit welchen Zielsetzungen (z.B. Berufsorientierung, Kennenlernen be-ruflicher Tätigkeiten, Kompetenzgewinn) sind an welcher Stelle der ersten oder

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? 167

zweiten Phase des Lehramtsstudiums sinnvoll einzubinden und wie können sie aufeinander abgestimmt werden (vgl. Hascher 2011).

Die Befunde des Forschungsprojektes ProPrax stützen sich maßgeblich auf die Selbsteinschätzung der Studierenden. Um die Validität der Ergebnisse zu erhöhen, wurden in der vorliegenden Untersuchung die Selbsteinschätzungen der Studierenden mit den Fremdeinschätzungen der Ausbildungslehrkräfte an den Praktikumseinrichtungen zum Zeitpunkt T2 verglichen (nach Abschluss des Praxissemesters). Über die Selbsteinschätzungen hinaus wären kontrastierend Testergebnisse der Studierenden und Beobachtungen zur Praxis der Studieren-den wünschenswert. Um die Einflüsse der Prozessqualität auf die berufsorientie-rende und -befähigende Wirkung von Praxissemestern umfassender analysieren zu können, wäre eine Ergänzung der bisherigen Erhebungsinstrumente, z.B. in Bezug auf die Theorie-Praxis-Verzahnung an den Hochschulen, notwendig.

Das Forschungsprojekt ProPrax konnte mit seiner Teilstudie Lehramt neue Ergebnisse zur Prozess- und Ergebnisqualität eines Praxissemesters liefern. Für die weitere empirische Forschung scheint es wichtig, unterschiedliche Prakti-kumsformen in verschiedenen Ausbildungsabschnitten des Lehramtsstudiums kontextbezogen und vergleichend zu untersuchen, um stärker noch empirisches Wissen zu generieren, was und wie in Praktika gelernt wird. Erst dann wird sich zeigen, ob ein Praxissemester im Lehramtsstudium ein „Königsweg“ ist. Literatur Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich (AfH) (2010): Praktikum. Orientierungs-

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168 W. Schubarth, K. Speck, A. Seidel, C. Gottmann, C. Kamm, M. Krohn

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Das Praxissemester im Lehramt – ein Erfolgsmodell? 169

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