Stiefkind Kultur in der Mongolei · Tsendpurev Tsegmid ©UNIVISION Tsendpurev Tsegmid ist eine...

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20 Kulturpolitische Mitteilungen • Nr. 146 • III/2014 KULTURPOLITIK AKTUELL Wie würden Sie die Rolle von Kunst und Kultur in der mongolischen Gesellschaft be- schreiben? TT: Auf den ersten Blick scheint der Kunst- und Kulturbereich in der modernen Mongo- lei zu blühen, doch wenn man genauer hin- schaut, entsteht ein eher düsteres Bild. Denn was Kunst und Kultur tatsächlich in die Ge- sellschaft einzubringen haben, ist vollkom- men in Vergessenheit geraten. Politisch ge- wollt ist es in jedem Fall nicht. So besteht das mongolische Parlament seit geraumer Zeit fast nur noch aus Geschäftsleuten. Sie haben in der Regel keinen Bezug zur Kunst und deren Belangen. Sie interessieren sich statt- dessen für’s Geldverdienen, seitdem in der Mongolei der Bergbau boomt. Die mongoli- sche Regierung fördert all jene Unterneh- men, kleine wie große, die im Minengeschäft tätigt sind – und dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren noch verstärken. Sie meinen, dass nur gefördert wird, was in einem geldwerten Sinne profitabel ist? TT: Sie müssen sich den Kunst- und Kul- turbereich in Mongolei wie ein Stiefkind vorstellen, das nur dann Geld vom Staat bekommt, wenn es sich gut benimmt, das heißt: nicht aneckt. Nehmen wir das 2002 gegründete Arts Council of Mongolia als ein Beispiel: Als größte kulturelle Nichtregie- rungsorganisation sollte es staatliche Geld- zuwendungen erhalten, allerdings gibt es dafür keine allgemeinen Förderrichtlinien oder ein entsprechendes Gesetz. Das ist ein gravierender Strukturfehler, der vor allem dem fehlenden Kunstverständnis auf Seiten der Regierung und in der Öffentlichkeit ge- schuldet ist. Wie macht sich das konkret bemerkbar? TT: Es gibt in der Mongolei mehr als nur Tanz, Musik und Gesang. Doch konzen- triert sich die staatliche Kulturförderung eher auf diese traditionellen Kunstformen. Ihr geht es fast ausschließlich um das kulturelle Erbe, um den Erhalt vergangener Kulturen und Reliquien. Die öffentliche Bedeutung der Kunst beschränkt sich daher auf bloße Unterhaltung. Die traditionelle Kunst wird an Feiertagen gezeigt, gelegentlich taucht sie auch auf internationalen Festivals auf, um den »andersartigen« und »ethnischen« Gehalt unseres antiken Kulturerbes zu pro- pagieren. Nun gibt es dieses Erbe aber zweifellos. Was genügt Ihnen daran nicht? TT: Ich wünsche mir in der Mongolei ganz allgemein mehr Aufmerksamkeit für den ge- samten Kunst- und Kulturbereich. Wir, also die Künstler und Kulturschaffenden, die Kunst- manager und -experten, erinnern an die ei- gentliche Bedeutung der Kunst für die Gesell- schaft. Seit jeher haben Menschen das Bedürf- nis, ihre Gefühle und Gedanken auszudrü- cken, und das wiederum taten sie zuerst mit den Mitteln der Kunst. Die Menschen malten Bilder in Höhlen noch bevor sie eine Schrift- sprache erfanden. Kunst half den Menschen immer schon, sich selbst zu entdecken und zu erforschen. Sie legt Schichten unseres Selbst- und Weltverständnisses frei, lange bevor wir in Begriffen der Wirtschaft oder der Politik darüber sprechen. Die Mongolei versagt an diesem Punkt und fällt damit auch hinter das von uns bewunderte Europa zurück. Wie schätzen Sie die Situation von Künst- lern und Kunstinstitutionen in der Mongolei ein? TT: Es wird Sie nicht überraschen, dass Politiker ihr Unverständnis über Kunst und Künstler mit einer Reihe von Vorurteilen zu »begründen« versuchen. Der Staat habe mit diesem unserem »Hobby« nichts zu tun. Künst- ler würden ihre Werke ja zum Beispiel verkau- fen, also offenbar viel und schnell Geld ver- dienen. Künstler betteln dennoch immer nur um Unterstützung, sind immer unzufrieden. Sollten sie nicht erst einen gesellschaftlichen Beitrag geleistet haben, z.B. Einkommens- steuer zahlen, bevor sie etwas zurückfordern? Künstler haben in dem vorherrschenden Kos- ten-Nutzen-Kalkül keinen Platz. Es gibt also keine freien Kunsträume in der Mongolei? Stiefkind Kultur in der Mongolei Zur Rolle von Kunst und Kultur in der mongolischen Gesellschaft Tsendpurev Tsegmid ©UNIVISION Tsendpurev Tsegmid ist eine freischaffende Künstlerin, Kunstdozentin und Kuratorin in Ulan Bator. Sie hat neun Jahre an der britischen Leeds University studiert und dort ihr Studium mit einer Promotion in Contemporary Art Practice and Research abgeschlossen. Nach ihrer Rückkehr in die Mongolei 2012 begann sie, an der Mongolian State University of Arts and Culture Master-Studenten und Doktoranden zu unterrichten. 2013 gründete sie das VANJIL- Kunst-Zentrum, das mongolische Künstler bei ihrer Arbeit unterstützen und zu künstlerischer Forschung ermutigen soll. Tsegmid beschäftigt sich insbesondere mit zeitgenössischen Kunstformen, vor allem Fotografie und Performance.

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20 Kulturpolitische Mitteilungen • Nr. 146 • III/2014

KULTURPOLITIK AKTUELL

Wie würden Sie die Rolle von Kunst undKultur in der mongolischen Gesellschaft be-schreiben?

TT: Auf den ersten Blick scheint der Kunst-und Kulturbereich in der modernen Mongo-lei zu blühen, doch wenn man genauer hin-schaut, entsteht ein eher düsteres Bild. Dennwas Kunst und Kultur tatsächlich in die Ge-sellschaft einzubringen haben, ist vollkom-men in Vergessenheit geraten. Politisch ge-wollt ist es in jedem Fall nicht. So besteht dasmongolische Parlament seit geraumer Zeitfast nur noch aus Geschäftsleuten. Sie habenin der Regel keinen Bezug zur Kunst undderen Belangen. Sie interessieren sich statt-dessen für’s Geldverdienen, seitdem in derMongolei der Bergbau boomt. Die mongoli-sche Regierung fördert all jene Unterneh-men, kleine wie große, die im Minengeschäfttätigt sind – und dieser Trend wird sich in dennächsten Jahren noch verstärken.

Sie meinen, dass nur gefördert wird, was ineinem geldwerten Sinne profitabel ist?

TT: Sie müssen sich den Kunst- und Kul-turbereich in Mongolei wie ein Stiefkindvorstellen, das nur dann Geld vom Staatbekommt, wenn es sich gut benimmt, dasheißt: nicht aneckt. Nehmen wir das 2002gegründete Arts Council of Mongolia als einBeispiel: Als größte kulturelle Nichtregie-rungsorganisation sollte es staatliche Geld-zuwendungen erhalten, allerdings gibt esdafür keine allgemeinen Förderrichtlinienoder ein entsprechendes Gesetz. Das ist eingravierender Strukturfehler, der vor allemdem fehlenden Kunstverständnis auf Seitender Regierung und in der Öffentlichkeit ge-schuldet ist.

Wie macht sich das konkret bemerkbar?TT: Es gibt in der Mongolei mehr als nur

Tanz, Musik und Gesang. Doch konzen-

triert sich die staatliche Kulturförderung eherauf diese traditionellen Kunstformen. Ihrgeht es fast ausschließlich um das kulturelleErbe, um den Erhalt vergangener Kulturenund Reliquien. Die öffentliche Bedeutungder Kunst beschränkt sich daher auf bloßeUnterhaltung. Die traditionelle Kunst wirdan Feiertagen gezeigt, gelegentlich tauchtsie auch auf internationalen Festivals auf,um den »andersartigen« und »ethnischen«Gehalt unseres antiken Kulturerbes zu pro-pagieren.

Nun gibt es dieses Erbe aber zweifellos.Was genügt Ihnen daran nicht?

TT: Ich wünsche mir in der Mongolei ganzallgemein mehr Aufmerksamkeit für den ge-samten Kunst- und Kulturbereich. Wir, alsodie Künstler und Kulturschaffenden, die Kunst-manager und -experten, erinnern an die ei-gentliche Bedeutung der Kunst für die Gesell-schaft. Seit jeher haben Menschen das Bedürf-nis, ihre Gefühle und Gedanken auszudrü-cken, und das wiederum taten sie zuerst mitden Mitteln der Kunst. Die Menschen maltenBilder in Höhlen noch bevor sie eine Schrift-sprache erfanden. Kunst half den Menschenimmer schon, sich selbst zu entdecken und zuerforschen. Sie legt Schichten unseres Selbst-und Weltverständnisses frei, lange bevor wirin Begriffen der Wirtschaft oder der Politikdarüber sprechen. Die Mongolei versagt andiesem Punkt und fällt damit auch hinter dasvon uns bewunderte Europa zurück.

Wie schätzen Sie die Situation von Künst-lern und Kunstinstitutionen in der Mongoleiein?

TT: Es wird Sie nicht überraschen, dassPolitiker ihr Unverständnis über Kunst undKünstler mit einer Reihe von Vorurteilen zu»begründen« versuchen. Der Staat habe mitdiesem unserem »Hobby« nichts zu tun. Künst-ler würden ihre Werke ja zum Beispiel verkau-fen, also offenbar viel und schnell Geld ver-dienen. Künstler betteln dennoch immer nurum Unterstützung, sind immer unzufrieden.Sollten sie nicht erst einen gesellschaftlichenBeitrag geleistet haben, z.B. Einkommens-steuer zahlen, bevor sie etwas zurückfordern?Künstler haben in dem vorherrschenden Kos-ten-Nutzen-Kalkül keinen Platz.

Es gibt also keine freien Kunsträume in derMongolei?

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Zur Rolle von Kunst und Kultur in der mongolischen Gesellschaft

Tsendpurev Tsegmid ©UNIVISION

Tsendpurev Tsegmid ist eine freischaffende Künstlerin, Kunstdozentin und Kuratorin in UlanBator. Sie hat neun Jahre an der britischen Leeds University studiert und dort ihr Studium miteiner Promotion in Contemporary Art Practice and Research abgeschlossen. Nach ihrerRückkehr in die Mongolei 2012 begann sie, an der Mongolian State University of Arts andCulture Master-Studenten und Doktoranden zu unterrichten. 2013 gründete sie das VANJIL-Kunst-Zentrum, das mongolische Künstler bei ihrer Arbeit unterstützen und zu künstlerischerForschung ermutigen soll. Tsegmid beschäftigt sich insbesondere mit zeitgenössischenKunstformen, vor allem Fotografie und Performance.

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21Kulturpolitische Mitteilungen • Nr. 146 • III/2014

KULTURPOLITIK AKTUELL

TT: Solange es keine öffentliche Anerken-nung für unsere Arbeit gibt, keine transparenteund kontinuierliche Förderungspolitik, siehtdie Zukunft leider nicht besonders rosig aus.In der Mongolei sind im Laufe der Jahre vieleunabhängige Kunstschulen entstanden undwieder verschwunden – für keine von ihnengab es staatliche Unterstützung. Nehmen sieGreen Horse als Beispiel, einen Verein fürmoderne Kunst mit einer unabhängigen Kunst-schule, ein wegweisendes Kollektiv aus Künst-lern, Wissenschaftlern und Kunstliebhabern –gegründet 1990. Hier versammelten sich Leh-rer und Schüler, ehemalige Studenten undAbsolventen, unter dem Banner zeitgenössi-scher Kunst in der Mongolei. Nun, die Schulegibt es schon lange nicht mehr, alles, was vonihr übrig blieb, ist ein persönliches Archiv ausFotos, Kunstwerken und Zeitungsausschnit-ten bei Erdenebileg Galsandorj, einem ehema-ligen Lehrer an der Schule.

In der Mongolei existiert keine unabhängi-ge Kunstschule mehr?

TT: Die einzige unabhängige Kunstschulein der Mongolei ist heute die ANIMA-Kunst-

schule, sie wurde 1994 gegründet. Die Leite-rin Bulgan Yadamsuren, selbst eine herausra-gende Künstlerin, versucht trotz vieler Schwie-rigkeiten verzweifelt, die Türen ihrer Schuleoffen zu halten, in der sie auch Kindern einenbesonderen, auf deren Bedürfnisse zugeschnit-tenen Kunstunterrichtet anbietet.

Was wünschen sie sich von deutschen undinternationalen Partnern?

TT: Deutschland erscheint als großarti-ges Beispiel für ein Land, in dem Kunst undKultur gut gedeihen, und das sogar untermarktwirtschaftlichen Bedingungen. Ichwünsche mir eine Partnerschaft, in der Ideen,Wünsche und Überzeugungen gleichberech-tigt und auf Augenhöhe ausgetauscht wer-den können und in der wir daran arbeiten,Dinge für beide Seiten zum Laufen zu be-kommen.

Und was heißt das für Sie persönlich?TT: Ich möchte mich künftig verstärkt in

solchen Projekten engagieren, die für besse-re, vor allem verlässliche Förderstrukturenarbeiten. Es geht mir dabei um die Stärkung

unabhängiger Kunstorganisationen undKünstlerkollektive. In Ulan Bator stehen zumBeispiel zahlreiche leere Fabrikgebäude ausSowjetzeiten – während Künstler zumeist indunklen Kellern arbeiten müssen. Das isteine paradoxe Situation, denn es ist ja nichtso, dass wir in Mongolei keine Räume hätten,doch ziehen wir es offenbar vor, sie unge-nutzt und leer zu lassen: Ein Gesetz verbietetnämlich, staatliche Gebäude zu vermieten.Allerdings steht nur ein paar Minuten vomSukhbaatar-Platz – oder Dschingis-Platz –entfernt der Zentrale Kulturpalast, ein Ge-bäude in staatlichem Besitz, das jetzt an Re-staurants, Bars und Büros vermietet wird. Esgibt viele solcher widersprüchlicher Beispie-le. Vielleicht sollten wir unsere Behördendarauf hinweisen, wie in Deutschland übergute Arbeitsbedingungen für Künstler nach-gedacht wird.

Das Gespräch führte Corinna Bethge, eineder Gründerinnen der Forschungs- und Per-formance Plattform

Urban Nomads // Nomad Citizens,www.urbannomads.org.

Die Mongolei grenzt im Norden an Russlandund im Süden an die Volksrepublik China,sie ist ungefähr viereinhalb Mal so groß wieDeutschland, hat aber nur knapp 3 Millio-nen Einwohner. Die moderne Mongolei um-fasst nur einen Teil der historischen Heimatder Mongolen. Es leben mehr ethnischeMongolen in der Autonomen Region derInneren Mongolei innerhalb der Volksrepu-blik China als in der Mongolei.

1921 erlangte die Mongolei Unabhängig-keit von China und 1924 wurde mit sowjeti-scher Unterstützung ein kommunistischesRegime errichtet. Nach massiven Protes-ten, bei denen ein Mehrparteiensystem undWirtschaftsreformen gefordert wurden, tratdie Regierung im Dezember 1989 zurück.Es folgten demokratische Wahlen und derÜbergang in ein marktwirtschaftliches Sys-tem.

Die engen Verbindungen zwischenDeutschland und der Mongolei gehen imWesentlichen auf das Sonderverhältnis zwi-schen der DDR und der Mongolischen Volks-republik zurück. Die Bundesrepublik über-nahm mit der Wiedervereinigung zahlreicheEntwicklungsprojekte der DDR und die Be-treuung von Hunderten mongolischen Sti-pendiaten in den neuen deutschen Bundes-ländern. Im September 2008 wurde eine»Gemeinsame Erklärung über die umfas-senden partnerschaftlichen Beziehungen

zwischen Deutschland und der Mongolei«unterzeichnet, die den Ausbau der Bezie-hungen auf politischem, wirtschaftlichemund kulturellem Gebiet vorsieht. AngelaMerkel besuchte die Mongolei im Oktober2011. Es war der erste Besuch eines deut-

schen Bundeskanzlers und der erste Be-such eines Regierungschefs eines EU-Mit-gliedstaates in der Mongolei. Im Jahr 2014wird das 40-jährige Jubiläum der Aufnahmediplomatischer Beziehungen zwischen derMongolei und der Bundesrepublik gefeiert.

Mongolei und Autonome Region Innere Mongolei in der VR ChinaQuelle: Wikipedia, Urheber: Dagvadorj, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Kleines Portrait Mongolei