Stephen Hawking - Rowohlt · MEINE KURZE GESCHICHTE Aus dem Englischen von ... 10 Eine kurze...
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Leseprobe aus:
Stephen Hawking
Meine kurze Geschichte
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Copyright © 2014 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Stephen Hawking
MEINE KURZE GESCHICHTE
Aus dem Englischen vonHainer Kober
RowohltRowohlt Taschenbuch Verlag
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Die amerikanische Originalausgabeerschien 2013 unter dem Titel My Brief History
bei Bantam Books, New York.
Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag,Reinbek bei Hamburg, Januar 2015
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe© 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
«My Brief History» © 2013 by Stephen W. HawkingLektorat Frank Strickstrock
Umschlaggestaltung ZERO Werbeagentur, Münchennach einem Entwurf von ANZINGER WÜSCHNER RASP, München,
Umschlagabbildung mit freundlicher Genehmigungvon Gillman & Soame Photographers
Gesamtherstellung CPI books GmbH, Leck, GermanyISBN 978 3 499 63058 3
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INHALT
1 Kindheit 9
2 St. Albans 21
3 Oxford 39
4 Cambridge 51
5 Gravitationswellen 69
6 Urknall 73
7 Schwarze Löcher 81
8 Caltech 93
9 Heirat 101
10 Eine kurze Geschichte der Zeit 111
11 Zeitreisen 121
12 Imaginäre Zeit 137
13 Keine Grenzen 145
Abbildungsnachweise 153
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KINDHEIT
MEIN VATER FRANK stammte aus einer Familie von
Pachtbauern in Yorkshire. Sein Großvater John Haw
king, mein Urgroßvater, war ein wohlhabender Land
wirt. Doch er hatte zu viele Höfe gekauft und verlor sein
ganzes Vermögen in der landwirtschaftlichen Depres
sion zu Beginn unseres Jahrhunderts. Sein Sohn Robert
– mein Großvater – versuchte, seinem Vater zu helfen,
machte aber selbst Bankrott. Zum Glück besaß Roberts
Frau ein Haus in Boroughbridge, in dem sie eine Schule
betrieb und für ein bescheidenes Einkommen sorgte. So
ermöglichten sie es ihrem Sohn, in Oxford Medizin zu
studieren.
Mein Vater bekam eine Reihe von Stipendien und
Preisen, die ihm erlaubten, seinen Eltern etwas Geld
zurückzuschicken. Dann wandte er sich der Tropenme
dizin zu und ging 1937 im Rahmen seiner Forschungs
arbeiten nach Ostafrika. Bei Kriegsbeginn reiste er auf
dem Landweg quer durch Afrika den KongoFluss hin
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ab, gelangte per Schiff nach England und meldete sich
freiwillig zum Militärdienst. Man teilte ihm jedoch mit,
er werde dringender in der medizinischen Forschung
gebraucht.
Mein Vater und ich
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MEINE MUTTER stammte aus Dunfermline in Schott
land und wurde als drittes von acht Kindern eines prak
tischen Arztes geboren. Das älteste war ein Mädchen
mit DownSyndrom und lebte getrennt von der Familie
in Pflege, bis es mit dreizehn Jahren starb. Als meine
Mutter zwölf war, zog die Familie ins südlich gelegene
Mit meiner Mutter
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Devon. Wie die Familie meines Vaters war auch die
meiner Mutter nicht sehr begütert. Trotzdem ließ sie
meine Mutter in Oxford studieren. Nach dem Studium
arbeitete sie in verschiedenen Berufen, unter anderem
als Finanzinspektorin, was ihr nicht gefiel. Sie gab diese
Stellung auf und wurde Sekretärin. In dieser Funktion
lernte sie Anfang des Krieges meinen Vater kennen.
ICH wurde am 8. Januar 1942 geboren, genau dreihun
dert Jahre nach Galileis Tod. Aber ich schätze, dass noch
ungefähr zweihunderttausend andere Kinder an diesem
Tag geboren worden sind. Ob sich eines von ihnen spä
ter für Astronomie interessierte, weiß ich nicht.
Mit Philippa und Mary
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Ich kam in Oxford zur Welt, obwohl meine Eltern in
London wohnten. Das hatte einen guten Grund: Die
Deutschen hatten versprochen, Oxford und Cambridge
mit ihren Bomben zu verschonen. Im Gegenzug hatten
sich die Engländer bereit erklärt, Heidelberg und Göt
tingen nicht zu bombardieren. Es ist sehr schade, dass
man derart zivilisierte Vereinbarungen nicht für mehr
Städte hat treffen können.
Wir lebten in Highgate, im Norden Londons. Acht
zehn Monate nach mir wurde meine Schwester Mary
geboren. Es heißt, ich sei über diesen Zuwachs nicht
sehr erfreut gewesen. Unsere ganze Kindheit hindurch
gab es eine gewisse Spannung zwischen uns, die durch
den geringen Altersunterschied genährt wurde. Später,
als wir erwachsen wurden und verschiedene Wege gin
gen, hat sich das gelegt. Sehr zur Freude meines Vaters
wurde sie Ärztin.
Meine Schwester Philippa wurde geboren, als ich
fast fünf war und besser begreifen konnte, was vor sich
ging. Ich weiß noch, dass ich mich auf ihre Geburt freu
te, wegen der Aussicht, zu dritt spielen zu können. Sie
war ein sehr lebhaftes und aufgewecktes Kind. Ich habe
immer viel auf ihr Urteil und ihre Meinung gegeben.
Wesentlich später wurde mein Bruder Edward adoptiert.
Ich war damals vierzehn, sodass er kaum noch eine Rol
le in meiner Kindheit gespielt hat. Er entwickelte sich
ganz anders als wir anderen drei. Seine Interessen waren
nicht im Geringsten akademischer und intellektueller
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Natur. Wahrscheinlich war das gut für uns. Er war ein
recht schwieriges Kind, aber man musste ihn einfach
gern haben. 2004 starb er aus nie ganz geklärten Ursa
chen; höchstwahrscheinlich wurde er von den Dämp
fen des Klebstoffs vergiftet, den er für die Renovierung
seiner Wohnung verwendete.
IN MEINER frühesten Erinnerung stehe ich im Kinder
garten Byron House in Highgate und schreie mir die
Lunge aus dem Hals. Um mich herum spielten Kinder
mit, wie mir schien, herrlichem Spielzeug. Ich woll
te mitspielen, aber ich war erst zweieinhalb Jahre alt
Meine Geschwister und ich am Strand
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und zum ersten Mal allein bei Menschen, die ich nicht
kannte, und hatte Angst. Ich glaube, meine Eltern hat
meine Reaktion ziemlich überrascht. Da ich ihr erstes
Kind war, hatten sie kluge Bücher über die frühkind
liche Entwicklung gelesen, in denen stand, dass Kinder
ihre ersten sozialen Kontakte mit zwei Jahren knüpfen.
Dennoch nahmen sie mich nach jenem schrecklichen
Morgen aus der Tagesstätte und schickten mich erst an
derthalb Jahre später wieder hin.
Damals, während des Krieges und kurz danach, war
Highgate eine Gegend, in der viele Wissenschaftler und
Akademiker lebten. (In einem anderen Land hätte man
sie als Intellektuelle bezeichnet, aber die Engländer ha
ben niemals zugegeben, dass es unter ihnen Intellektu
elle gibt.) Alle diese Eltern schickten ihre Kinder in die
Byron House School, die für damalige Verhältnisse sehr
fortschrittlich war.
Ich weiß noch, dass ich mich bei meinen Eltern be
klagte, man bringe mir dort nichts bei. Die Lehrer die
ser Schule glaubten nicht an die damals üblichen Me
thoden, Kindern den Stoff einzutrichtern. Stattdessen
sollten wir lesen lernen, ohne zu merken, dass es uns
beigebracht wurde. Schließlich lernte ich tatsächlich
lesen, allerdings erst, als ich bereits mein achtes Lebens
jahr erreicht hatte. Meine Schwester Philippa lernte
nach eher herkömmlichen Methoden lesen, mit dem
Ergebnis, dass sie es mit vier Jahren konnte. Aber sie war
damals sowieso eindeutig klüger als ich.
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Wir wohnten in einem hohen, schmalen Haus aus
Viktorianischer Zeit, das meine Eltern während des
Krieges billig erworben hatten, als alle Welt glaubte,
London würde unter dem Bombenhagel dem Erdboden
gleichgemacht. Tatsächlich schlug nur wenige Häuser
weiter eine V2Rakete ein. Ich war zu diesem Zeitpunkt
mit meiner Mutter und meiner Schwester unterwegs,
aber mein Vater war zu Hause. Glücklicherweise wurde
er nicht verletzt und das Haus nicht sonderlich beschä
digt. Allerdings befand sich noch jahrelang ein großes
Ruinengrundstück in unserer Straße, auf dem ich mit
meinem Freund Howard spielte, der drei Häuser weiter
in die andere Richtung wohnte. Howard war für mich
eine Offenbarung, weil seine Eltern keine Intellektuel
Unser Haus in Highgate, London
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len waren wie die Eltern aller anderen Kinder, die ich
kannte. Er besuchte die staatliche Grundschule, nicht
Byron House, und kannte sich in Fußball und Boxen
aus, Sportarten, für die sich meine Eltern nicht im
Traum interessiert hätten.
ICH erinnere mich auch noch, wie ich meine erste
Spielzeugeisenbahn bekam. Während des Krieges wur
de kein Spielzeug hergestellt, zumindest nicht für den
Binnenmarkt. Aber ich hatte eine Leidenschaft für
Modelleisenbahnen entwickelt. Mein Vater versuchte,
mir einen Holzzug zu basteln, aber damit war ich nicht
zufrieden, denn ich wollte etwas, das sich in Bewegung
London während des Krieges
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setzte. Also kaufte mein Vater eine gebrauchte Eisenbahn
zum Aufziehen, reparierte sie mit einem Lötkolben und
schenkte sie mir zu Weihnachten, als ich fast drei war.
Die Eisenbahn fuhr nicht besonders gut. Aber dann,
unmittelbar nach dem Krieg, unternahm mein Vater
eine Reise nach Amerika. Als er mit der «Queen Mary»
zurückkehrte, brachte er meiner Mutter Nylonstrümpfe
mit, die damals in England nicht zu bekommen waren.
Für meine Schwester Mary hatte er eine Puppe, die die
Augen schloss, wenn man sie hinlegte, und für mich
einen amerikanischen Zug mit Kuhfänger an der Lok
und einem Gleis in Form einer Acht. Ich weiß noch, wie
aufgeregt ich war, als ich die Schachtel öffnete.
Mit einer Eisenbahn zum Aufziehen ließ sich schon
Ich mit meiner Eisenbahn
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etwas anfangen, aber was ich mir wirklich wünschte,
war eine elektrische. Stundenlang betrachtete ich die
Auslage eines Modelleisenbahnklubs in Crouch End, in
der Nähe von Highgate. Ich träumte von elektrischen
Eisenbahnen. Eines Tages schließlich, als meine Eltern
beide unterwegs waren, nutzte ich die Gelegenheit und
hob von meinem Postbankkonto den bescheidenen
Betrag ab, der sich dort – zusammengespart von Geld
geschenken zu besonderen Anlässen, etwa zur Taufe
– angesammelt hatte. Davon kaufte ich mir eine elek
trische Eisenbahn, die aber zu meiner großen Enttäu
schung auch nicht sehr gut funktionierte. Ich hätte die
Eisenbahn zurückbringen und vom Geschäft oder vom
Hersteller Ersatz verlangen müssen. Doch damals hielt
man es für ein Privileg, etwas kaufen zu dürfen, und
es war eben Schicksal, wenn es sich als mangelhaft er
wies. Also ließ ich den Elektromotor der Lokomotive für
teures Geld reparieren, und trotzdem hat er nie richtig
funktioniert.
Als Jugendlicher baute ich dann Modellflugzeuge und
schiffe. Mit den Händen war ich nie sehr geschickt,
aber ich tat mich mit meinem Schulkameraden John
McClenahan zusammen, der ein guter Bastler war und
dessen Vater sich im Haus eine Werkstatt eingerichtet
hatte. Mein Ziel war es immer, Modelle zu bauen, die
ich steuern konnte. Mir war es egal, wie sie aussahen.
Ich glaube, der gleiche Wunsch trieb mich, eine Reihe
sehr komplizierter Spiele mit einem anderen Schulka
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meraden, Roger Ferneyhough, zu erfinden. Da gab es
ein Produktionsspiel mit Fabriken, die verschiedenfar
bige Produkte herstellten, Straßen und Schienensträn
ge, auf denen sie befördert wurden, und einen Aktien
markt. Es gab ein Kriegsspiel, das auf einem Brett mit
viertausend Quadraten gespielt wurde, und sogar ein
Ritterspiel, bei dem jeder Spieler eine ganze Dynastie
mit eigenem Stammbaum repräsentierte. Ich glaube,
diese Spiele entsprangen, genau wie die Eisenbahnen,
Schiffe und Flugzeuge, dem Drang herauszufinden, wie
die Dinge funktionieren, und sie zu beherrschen. Seit
ich mit meiner Promotion begann, konnte ich dieses
Bedürfnis in der kosmologischen Forschung stillen.
Wenn man weiß, wie das Universum funktioniert, be
herrscht man es in gewisser Weise.
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