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Stefan Wisniewski

Wir waren so unheimlich konsequent ...Ein Gespräch zur Geschichte der RAF

ID-VerlagBerlin

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Vorbemerkung

Zwanzig Jahre nach dem Herbst 1977 hat ein bishernie dagewesenes Medienspektakel stattgefunden.Auf allen Fernsehkanälen, mit Radiofeatures, inSonderbeilagen und Serien sämtlicher großer Zei-tungen wurden die Ereignisse um die EntführungSchleyers, die Toten in Stammheim und die GSG 9-Aktion in Mogadischu abgehandelt. Hunderte vonJournalistInnen und KommentatorInnen bedientenin den letzten Monaten das öffentliche Interesse, oh-ne daß allerdings wesentlich Neues bekannt gewor-den wäre.

In dem folgenden Interview nimmt einer der un-mittelbar an der Schleyer-Entführung BeteiligtenStellung zu den Ereignissen 1977.

Stefan Wisniewski gehörte dem »KommandoSiegfried Hausner« der RAF an. Im Mai 1978 wurdeer in Paris festgenommen, an die deutschen Behör-den ausgeliefert und 1981 in der BRD wegen Ent-führung und Ermordung Hanns Martin Schleyers zulebenslanger Haft verurteilt. Den Behörden gegenü-ber hat er nie ausgesagt. Im Herbst 1997 konnte Ste-fan Wisniewski mit den taz-JournalistInnen PetraGroll und Jürgen Gottschlich erstmals ein unzen-siertes Interview führen. Wir haben uns entschlos-sen, dieses Gespräch nochmals in Buchform zu pu-blizieren, da auch hintergründige Zeitungsartikel oft

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ID-VerlagPostfach 36020510972 Berlin

ISBN: 3-89408-074-4Dezember 1997

Titel: SupportAgentur, BerlinLayout: seb, HamburgDruck: Winddruck, Siegen

Buchhandelsauslieferung: sova, Frankfurt/M.

Editorische NotizDas Gespräch mit Stefan Wisniewski wurde von Petra Groll undJürgen Gottschlich im Gefängnis für Langzeitstrafen in Aachengeführt. Es erschien erstmals am 11. Oktober 1997 in der Berlinertageszeitung.

Der Verlag bedankt sich bei Stefan Wisniewski und der taz für dieAbdruckgenehmigung. Das Autorenhonorar dieses Buches gehtan einen Fonds für osteuropäische ZwangsarbeiterInnen.

Post an Stefan Wisniewski:Stefan WisniewskiKrefelder Str. 251/JVA52070 Aachen

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der Schnellebigkeit des Marktes unterworfen sind.Vor allem aber auch, weil der Text als Diskussions-beitrag gedacht war und in der vorliegenden Formdafür weiter Bestand hat.

Das ausführliche Gespräch gehört zu den wich-tigsten Dokumenten über die Ereignisse von 1977.Bisher gab es vor allem eine Diskussion in den bür-gerlichen Medien, die sich durch die Abwesenheitder Positionen der unbequemeren ProtagonistInnen»auszeichnet«. So wurde für den vielbeachteten undpreisgekrönten Breloer-Film Todesspiel nicht einerder noch inhaftierten Gefangenen auch nur ange-fragt. Ehemalige 68er Linke arbeiten sich ebenfallsan der RAF ab und ignorieren schlichtweg, daß inder ersten Hälfte der siebziger Jahre nicht wenigeLinke über den bewaffneten Kampf diskutierten unddieser als eine ernstzunehmende politische Strategieverstanden wurde.

Ganz im Gegensatz zu den Rundumschlägen undpauschalen Abrechnungen selbsternannter Terroris-musexperten beschreibt Stefan Wisniewski ein-dringlich, nüchtern und selbstkritisch seine politi-sche Biographie und vermittelt einen Einblick in diedamalige RAF. Sein Beitrag steht gleichzeitig für ei-ne linke Reflexion, die sich nicht an mediengerech-ter und staatlich gewünschter Geschichtsaufarbei-tung orientiert.

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Wie sind denn deine Kontakte nach draußen, abgesehenvon der Familie? Wie informierst du dich?

Im Lauf der Jahre hat sich einiges an Besuchskontak-ten entwickelt, über alle politischen Differenzen hin-weg. Einige von uns sind ja mittlerweile entlassen,aber es kommen auch andere, ganz verschiedeneLeute. Vieles von dem, was die machen, kann ichnatürlich sinnlich schlecht nachvollziehen: Kinderkriegen, aufwachsen und spielen sehen, den ewigenExistenzkampf zwischen Leben und Sterben, der sichtäglich außerhalb der Mauern abspielt ... Ich lese viel,Bücher vor allem. In den ersten zehn Jahren hatte ichTV-Verbot, hab’ aber deswegen nicht viel verpaßt.Bis auf einige Besonderheiten, meine Post wird wei-terhin für die Bundesanwaltschaft registriert – immermal wieder gibt es eine Anhalteverfügung –, lebe undverfluche ich den Knast inzwischen wie die anderenGefangenen, arbeite sogar seit zwei Monaten, nach-dem ich fast all die Jahre davor Arbeitsverbot hatte.

Du wolltest doch immer in den Normalvollzug?

Den Begriff an sich hab’ ich schon immer abgelehnt,weil ich diesen Vollzug auch für andere Gefangenenicht normal finde. Aber ich hab’ den Knast immerals ein gesellschaftliches Terrain gesehen, von demich mich nicht isolieren wollte.

Im Gegensatz zu dir hat die RAF immer die Zusammen-legung der politischen Gefangenen und nicht die Integra-tion in den Normalvollzug gefordert.

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»Wir waren so unheimlich konsequent ...«

Das Jahr 1977 war das Jahr der Konfrontation zwischender RAF und dem Staat. Als ihr euer ganzes Potentialauf die Befreiung der Gefangenen konzentriert habt, wa-ren die erst ein paar Jahre im Knast ...

Stefan Wisniewski: Die erste bewaffnete Aktionder RAF, quasi ihre Geburtsstunde, war im April1970 die Befreiung Andreas Baaders, der seinerzeitnoch weniger Knast hinter beziehungsweise vor sichhatte. Nach den vier, fünf Jahren vor 1977 haben wirgesagt: Das kann kein Jahr mehr so weitergehen. Ul-rike Meinhof war tot, Holger Meins war tot, Katha-rina Hammerschmidt, Siegfried Hausner warenauch tot.

Du bist zur hierzulande zulässigen Höchststrafe, zu le-benslänglicher Haft verurteilt worden und hast nun fast20 Jahre abgesessen.

Die Revolution hab’ ich trotzdem nicht verpaßt ...Und aus heutiger Sicht muß natürlich unsere »Zeitder Ungeduld« hinterfragt werden.

Wie ist deine Situation jetzt?

Der Knast hat natürlich keine Perspektive, außerdaß ich hier Zeit absitze, eher sinnlos.

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Auch die RAF hat erst mal versucht, mit anderen zu-sammenzukommen. Da gab es durchaus Vorstellun-gen für eine revolutionäre Gefangenenbewegung.Die Situation war aber so, daß von vornherein gegenuns diese umfassenden Isolationsmaßnahmen ange-ordnet wurden. Dann kamen die Prozesse, und vonunserer Seite wurde versucht, diese Prozesse ge-meinsam und politisch zu führen. Es war und ist le-gitim, eine Zusammenlegung zu fordern, um ge-meinsam zu diskutieren und die Isolationshaft aufzu-brechen.

Das haben wir in den ersten Hungerstreikerklärungennachgelesen. Aber die Linie änderte sich schnell: Alles liefauf den Kriegsgefangenenstatus hinaus

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Als das zu einer politischen Linie verabsolutiert wur-de, hab’ ich gesagt, gut, das können wir politisch dis-kutieren, aber ich kann dann auch eine andere Linieeinschlagen. Wenn wir es hier nicht schaffen, mitanderen Gefangenen zusammenzukommen, wie sol-len wir es dann draußen schaffen. Hier sind die Leu-te selber eingesperrt und erfahren, was das Systemist. Dafür muß nicht erst eine wissenschaftliche Un-tersuchung gemacht werden, obwohl eine Analyseüber die Neuzusammensetzung der Gefangenen inden neuen Gefängnissen mehr denn je sinnvoll wäre.Mindestens die Hälfte der Gefangenen sind Auslän-der, viele von ihnen sind mit Abschiebung in Folter-länder bedroht.

Ist es an diesem Punkt zum Bruch zwischen dir und denanderen Gefangenen aus der RAF gekommen?

Als Bruch war es zumindest von mir nicht inszeniert.Der Stein kam jedenfalls bei meinem Prozeß insRollen, es war 1981 der erste Prozeß wegen derSchleyer-Entführung.

»Ich wollte meinen Prozeß politisch offensiv führen«

Moment mal, von deiner Verhaftung 78 bis zum Prozeß-beginn hast du volle drei Jahre in U-Haft verbracht?

Bevor dieser Prozeß begann, hatte ich schon zweiandere Verfahren. Nach meiner Verhaftung hatte icheinem Bundesrichter auf die Nase gehauen. Das war

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zeß kam, sollte ich dort, quasi zum Auftakt, die Hun-gerstreikerklärung verlesen. Da hab’ ich Stopp ge-sagt. Wenn wir jetzt im Hungerstreik sind, dann istder ganze Prozeß, die politische Auseinandersetzungdarum auf den Hungerstreik konzentriert. Ich hatteaber das Interesse, den Prozeß politisch offensiv zuführen. Ich wollte die Auseinandersetzung über1977.

Die Gefangenen haben den Hungerstreik trotzdem be-gonnen.

Sie hatten einen anderen Weg gefunden, um denHungerstreik publik zu machen. Es kam dann, wie eskommen mußte, die politischen Fragen im Gerichts-saal und in der Öffentlichkeit spitzten sich zuneh-mend darauf zu: Können die Gefangenen das überle-

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gleich nach meiner Auslieferung aus Frankreich, alser mir ein Telefongespräch mit einem Rechtsanwaltprovokativ unterbrach, nachdem mir bereits bei mei-ner Verhaftung in Paris-Orly am Tag davor keineMöglichkeit gegeben wurde, einen französischenAnwalt zu sprechen.

Deine Auslieferung verlief blitzartig, möglicherweise,weil man bei der damals ausgesprochen antideutschenStimmung in der französischen Öffentlichkeit tatsächlichdamit rechnen mußte, daß dir Asyl gewährt wird...

Ja, alles lief sehr schnell, praktisch nur auf der Poli-zeischiene. Selbst der Richter mußte später eingeste-hen, das sei alles nicht rechtmäßig gewesen damals.Aber das war dann nicht mehr wichtig. Wichtig war:Jetzt haben sie mich. Für diesen Schlag auf denBGH-Richter gab es dann sieben Monate, die mirnoch zusätzlich zu den 20 Jahren von meinem Le-benslänglich angerechnet werden, während meineVerurteilung zu sechs Jahren wegen eines Fluchtver-suchs in die spätere Berechnung der »besonderenSchwere der Schuld« einbezogen wurde. Der politi-sche Hintergrund war, daß sie damals fast nichts ge-gen mich in der Hand hatten. Also wurde vor demProzeß um Schleyer versucht, meine Gefährlichkeitzu demonstrieren.

Jedenfalls war ich drei Jahre fast völlig weg-gebunkert, als dann der eigentliche Prozeß anfing.Die Gefangenen planten damals einen Hunger-streik. Und weil die Presse natürlich in meinen Pro-

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Wie bist du denn bei der RAF gelandet?

Dazu muß ich erst einmal erzählen, wie ich zur anti-autoritären Bewegung gekommen bin. Ich bin inden 50er Jahren in einem kleinen idyllischenSchwarzwalddorf geboren und aufgewachsen, alsSohn eines polnischen Zwangsarbeiters. Keine spek-takuläre Geschichte, in Polen wäre es nur eine vonhunderttausend anderen gewesen, aber in diesemDorf bläute mir meine Mutter ein: »Erzähl bloßnichts von der Geschichte deines Vaters, sonstkriegst du Ärger.« Im Ort gab es etliche frühere SS-und SA-Männer und Mitläufer, die zu den angesehe-nen Bürgern zählten. Mein Vater hat »die Vernich-tung durch Arbeit« in einem KZ-Außenkommandonur acht Jahre nach seiner Befreiung überlebt – ichwar damals noch ein Baby und meine Schwester wargerade unterwegs. Meine Mutter wollte mich ohneHaß erziehen. Aber auch in guter Absicht zu»schweigen« war wohl doch nicht der richtige Weg.Ich bin jedenfalls aus verschiedenen Gründen fürkürzere Zeit in ein Heim für »schwererziehbare«Jungs gesteckt worden. Die meisten Kinder dort ka-men aus den untersten sozialen Schichten, viele Far-bige, Kinder ehemaliger GIs, auch Sinti und sogarein Junge mit polnischer Abstammung. Im Heimsollten wir eine Lehre machen, mit Meistern, die unsmit Sprüchen wie: »Bei Hitler hätten wir mit euchkurzen Prozeß gemacht« traktierten. Ich bin vondort siebenmal in einem Jahr abgehauen und teilwei-

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ben? Wer will mit wem zusammen usw. Zum Glückwaren auch noch viele soziale Gefangenen mit zumTeil eigenen Forderungen in den Hungerstreik ge-gangen, auf die ich mich beziehen konnte, als ichauch für sechs Wochen in den Streik ging – mit For-derungen, die ich aus meinen konkreten Erfahrun-gen entwickelt hatte.

Sigurd Debus ist in diesem Streik für die Zusam-menlegung durch die Tortur der Zwangsernährunggestorben. Im Gerichtssaal bin ich danach auchkaum über die üblichen Rituale der Konfrontationmit dem Staatsschutzsenat hinausgekommen.

Es hieß immer, du hast dich 1981 aus der RAF verab-schiedet?

Abschwören und unterwerfen war nie meine Sache.Ich war auf der Suche nach anderen Möglichkeiten,nachdem wir 77 an der Gefangenenfrage – unseremschwächsten Punkt – die politische Machtfrage stell-ten. Und diesen tödlichen Fehler wollte ich als Ge-fangener auf keinen Fall wiederholen.

Es ist aber von der RAF aus dann doch mit vielen Totenweitergelaufen.

Dazu müßt ihr die Verfasser und Träger des Antiim-perialistischen-Front-Konzepts fragen, zu denen ichnicht gehöre. Mein Schritt war ein »Back to theRoots«, zurück zu den Wurzeln, zu all den Fragen,die uns überhaupt dazu gebracht haben, zornig undmilitant zu werden ...

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se nach abenteuerlichen Jagden von der Polizei wie-der eingefangen worden. Als ich das, auch mit Hilfemeiner Mutter, endlich hinter mir hatte, bin ichnach Hamburg gegangen und von dort zur See ge-fahren. Das war gar nicht romantisch, ich hab’ dabeidas Elend in der Dritten Welt kennengelernt, wennin afrikanischen Häfen ältere Männer an Bord ka-men und im Tausch für Essensreste ihre Ehefrauenanboten. Wer sich da nicht schämt, sollte den Hai-fischen zum Fraß vorgeworfen werden. Ich bin dannin Hamburg geblieben, hab’ gejobbt und eineAbendschule besucht.

Wie alt warst du damals?

Da war ich knapp 20 Jahre. In jeder dieser Phasenhätte ich auch einen ganz anderen Weg gehen kön-

nen, entscheidend für mich war die antiautoritäreBewegung: die neuen Lebensformen, Wohngemein-schaften, Stones-Musik, lange Haare, das hatte aufmich eine enorme Anziehung. Dazu kam der Sozia-lismus und andere revolutionäre Theorien, vor allemder in der Revolte geborene Sinn für Gerechtigkeit.Ich ging zur Roten Hilfe, war bei einer Hausbeset-zung dabei, der Eckhoffstraße, einem Haus der Neu-en Heimat.

Wir waren militant, aber wir haben auch sozialeArbeit mit Obdachlosen oder Fürsorgezöglingen ge-macht. Polizei und Springerpresse sind damals ge-meinsam auf uns losgegangen – einige mußten fürein Jahr in den Knast, und es war eigentlich nur Zu-fall, daß ich nicht dazugehörte. Damals hatten wirdas Gefühl, noch wirklich etwas verändern zu kön-nen, auch wenn sich der Rückzug der 68er längst ab-zeichnete und der Repressionsapparat immer härterzuschlug.

Vor diesem Hintergrund erschien uns die RAFals besonders glaubwürdig, immerhin setzten dieGenossInnen ihr Leben für ihre Überzeugung ein.Es herrschte damals, als die ersten RAF-Leute ver-haftet wurden, eine ungeheure Hetze. Schon des-halb dachten wir, da muß doch etwas dran sein, wenngegen die so gehetzt wird. Es waren viele verschiede-ne Anstöße, die bei mir dazu geführt haben, michmit der RAF zu beschäftigen. Ich bin dann aber erstnoch nach Berlin gegangen.

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Der Tod von Holger Meins wareine einschneidende Erfahrung

Da hast du beschlossen, zur RAF zu gehen?

Ich wußte damals auch, wie ich die Leute vom 2. Ju-ni erreichen konnte. Doch jemand hatte einen totenBriefkasten nicht geleert oder mir einen falschen ge-sagt – der Kontakt kam nicht zustande.

Die wären für dich vielleicht viel passender gewesen.

Das haben schon manche gesagt, aber die Geschich-te ist halt anders gelaufen.

War das nicht so wichtig?

Beim 2. Juni gab es nicht nur Arbeiter- und in derRAF nicht nur Bürgerkinder, daran würde ich es

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Ich war auch 1974 in Berlin und hab’ bei der Demo nachdem Tod von Holger Meins erstmals richtig Prügel ge-kriegt. Diese Situation haben ganz viele Leute erlebt,aber ganz wenige sind zur RAF gegangen.

Dort hätten wir uns eigentlich treffen können. Ichhabe nie vergessen, wie ich damals im Jugendzen-trum in der Potsdamer Straße gewesen bin. Es gingum den Hungerstreik.

Wir hatten von amnesty international bis PfarrerAlbertz alles mobilisiert, was überhaupt möglichschien. Ich stand also da in diesem Jugendzentrum,auf einem Tisch, ein Podium gab es nicht, und hieltgerade eine Rede.

In dem Moment kommt jemand rein und sagt:Der Holger ist tot. Mir – und nicht nur mir – sinddie Tränen in die Augen geschossen. Einige, diesonst eher zu den Kritikern der RAF zählten, habensofort angefangen Molotowcocktails zu basteln, sindzum Ku’damm los.

Wenn die anfangen, die Gefangenen umzubrin-gen oder verrecken zu lassen, dann muß was anderesgeschehen, dachten wir. Alles, was ich bis dahin inbezug auf die Gefangenen politisch gemacht hatte,war schlicht wirkungslos geworden. So konnte esnicht weitergehen. Die Beerdigung von HolgerMeins mitzuorganisieren war meine letzte legale po-litische Tätigkeit. Das war für mich das Überschrei-ten einer Schwelle.

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nicht von ähnlichen Fehlern verschont wie wir. Ähn-liches läßt sich auch von den Revolutionären Zellenund den Roten Zoras sagen, die unsere Schwächengründlich untersucht haben und mit ihrer illegalenOrganisationstruktur »am Puls der Bewegung« blie-ben. Ihrem internationalen Flügel blieb ein Desasterallerdings auch nicht erspart.

Anfang der 70er Jahre haben sich die Aktionen der RAFnoch auf den Vietnamkrieg bezogen.

Einen Konsens gab es innerhalb der Bewegung,dem, was von 68 übriggeblieben war: daß eine Revo-lution, soweit sie hier stattfinden kann, einen antiim-perialistischen Charakter haben muß. Daß sie auchnur dann hier eine Chance hat zu bestehen, wenn siedie Bewegungen in der Dritten Welt berücksichtigt.Ohne Vietnam, ohne die Entwicklung in der DrittenWelt, wäre die RAF nicht geworden, was sie danngeworden ist. Unsere Hoffnungsträger waren dieTupamaros und die Black Panther.

Ihr habt euch dann aber schnell auf die Frage konzen-triert: Wie kriegen wir die Leute aus dem Knast?

Wir haben auch überlegt, was es an anderen Mög-lichkeiten, auf anderen Gebieten gibt. Aber wir ha-ben es so gesehen, daß wir, als relativ kleine Gruppe,auf anderen Gebieten nur stärker werden, wenn wiran diesem Punkt etwas erreichen können. Unserenüchterne Einschätzung war, daß Staat und Kapitaldie Situation dermaßen dominieren, daß von der Be-

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nicht unbedingt festmachen. Als ich in Berlin undnoch in der Legalität lebte, habe ich sowohl Frauenaus dem 2. Juni wie auch aus der RAF im Knast be-sucht. Die hatten wohl ihre Auseinandersetzungenuntereinander, aber mir hat das nicht viel bedeutet.Ob ich damals die Ina Siepmann aus dem 2. Juni be-sucht hab’ oder Ingrid Schubert aus der RAF, ent-scheidend war, das es jemand aus der Bewegung war,der eingefahren ist. Die konnten oder wollten wirnicht hängenlassen.

Aber die unterschiedlichen Konzepte waren dir doch be-wußt?

Klar, die kannte ich. Aber sie waren zu dem Zeit-punkt – zumindest für mich – noch nicht ausrei-chend in der Praxis überprüft, die Lorenz-Ent-führung und die Botschaftsbesetzung in Stockholmwaren da noch nicht gelaufen.

Es wäre heute sicher interessant, genauer zu un-tersuchen, wie sich die unterschiedlichen Konzeptevon Stadtguerilla ausgewirkt haben. Auf die Ab-kopplung der RAF von den sozialen Bewegungenund die verheerenden Auswirkungen werden wir bei77 sicher noch kommen. Die Bewegung 2. Juni, dieihre Stärke und sprachliche Ausdruckskraft aus derWechselwirkung mit ihrem sozialen Milieu bezog,hatte in der Beziehung sicher die besseren Karten.Als allerdings ihr sozialer Bezugsrahmen und ihreBasis zunehmend verlorenging oder sich neuenThemen zuwandte, blieb ein Teil von ihnen auch

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wegung, die 67/68 aufgebrochen war, nichts mehrübrigbleiben konnte. Über die Gefangenenfragewollten wir etwas von diesem Staat vermitteln. Sei-nen Charakter. Seine Geschichte.

Wem wolltet ihr das vermitteln?

Wir waren nicht, so wie die ML-Gruppen, auf dasIndustrieproletariat ausgerichtet. Diesen Gedankenhaben wir damals schon mit der Analyse über die Ar-beiteraristokratie in den Metropolen verworfen. Füruns war das revolutionäre Subjekt nicht ökonomi-stisch bestimmbar. Wir haben gesagt: Jeder, derkämpft, kann Revolutionär sein. Dadurch, daß wir esdiffuser gefaßt haben, hatten wir aber auch nicht dasnotwendige Korrektiv einer sozialen Basis. Das wardamals eher bei den Roten Brigaden in Italien der

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Fall, die in den Fabriken ganz anders verankert wa-ren.

Italien war anders.

Ja sicher. Auch Irland war anders. Trotzdem habenwir uns in diesem Zusammenhang gesehen. Hättenwir in Italien gelebt, hätten wir natürlich lieber dasKonzept der Brigaden gemacht, das haben wir schonin den frühen Texten gesagt. In Italien hatte es einestarke Resistenza gegeben, mit der hing selbst dieGeschichte der italienischen Christdemokraten zu-sammen. Hier jedoch hatte der Faschismus alles zer-stört, was von Arbeiterbewegung übriggebliebenwar. Das war eine ganz andere Kontinuität, die erstmal aufgebrochen werden mußte.

Unser internationalistischer Ansatz hatte auchdarauf gebaut, daß durch die »Einkreisung der Städ-te durch die Dörfer« das »Modell Deutschland«Risse bekommt, in denen wir uns auf Dauer sozialverankern und festkrallen können.

Aber worüber wolltet ihr euch legitimieren, über die Ver-hältnisse hier oder über die weltweite Bewegung?

Im besten Fall über beides, aber die Frage ist bisheute strategisch nicht gelöst: Tatsache ist, daß wirin einer Metropole leben, mit ungeheurem Reich-tum und Privilegien, in anderen Ländern dagegenungeheure Armut herrscht, und die sozialen Bedin-gungen für einen revolutionären Ansatz ganz anderesind. Heute kommen noch die »Inseln der Dritten

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Wir bestreiten ja nicht, daß das eine sinnvolle Arbeit warund auch heute wäre. Damals hatten wir aber immer denEindruck, daß die, die sich da Avantgarde nennen, überdie Themen, die uns interessieren, überhaupt nicht spre-chen.

Geredet wurde schon, soweit ein Austausch darübermit unseren GenossInnen in der Legalität möglichwar, allerdings bekanntlich ohne diese Themen inunsere Praxis aufzunehmen. Ich würde an diesemPunkt in der selbstkritischen Reflexion noch weiter-gehen: Die Gefangenenfrage wurde von einem Teilder Gefangenen und uns in den Antifolterkomiteesfurchtbar moralisiert, und damit haben wir sicherviele in der Linken abgeschreckt, die sich kritisch,aber solidarisch mit uns auseinandergesetzt haben.

Welt« in den Metropolen und die Armutsregionenim Osten dazu.

Für beide ist die Lösung der sozialen Frage zu ei-ner Überlebensfrage geworden, die mehr denn jeden nationalstaatlichen Rahmen sprengen muß unddie zugleich jeden abstrakten Internationalismusverblassen läßt. Wenn man sich in diesen internatio-nalen Zusammenhang stellt, ist jedoch die Gefahrgroß, den sozialen Kontakt, die kritische Reibungs-fläche zu verlieren, sich mit dem Verweis auf die in-ternationalen Verhältnisse sogar jeder Kritik zu ent-ziehen.

So kamen mir die Diskussionen der Roten-Hilfe-Grup-pen auch vor, die ich Mitte der 70er Jahre in meinemKreuzberger Umfeld erlebte.

Da müßten wir die Berliner GenossInnen mal fra-gen. Ich kenn’ die Hamburger Rote Hilfe aus dieserZeit. Da hat es andere Ansätze gegeben. Selbst wennes alles nicht das gebracht hat, was an sozialen Uto-pien damit verbunden war, heute erlebe ich, daß oftdie einzigen Gruppen, die sich noch um Gefangenekümmern, von rechten Organisationen getragenwerden, die hier versuchen, ein rassistisches Potenti-al zu etablieren. Mit denen bin ich mehrfach und inverschiedenen Knästen konfrontiert worden. Da hatdie Bewegung damals einfach ein Terrain fallenlas-sen. Übrigens auch die taz, die ja mal eine Knastsei-te hatte.

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fangenenfrage wäre geblieben. Sie saßen auch für dieGeschichte einer gemeinsamen Bewegung undwären genauso für unabsehbare Zeit in den Sicher-heitstrakten vergraben geblieben. Wir wollten dieGefangenen draußen haben und stellten an diesemPunkt die Machtfrage.

War das nicht schon so, als die RAF über die Besetzungder Deutschen Botschaft in Stockholm die Gefangenen be-freien wollte?

Gerade aus der Niederlage von Stockholm hat sichder Gedanke entwickelt, daß wir eine präzisere Akti-on machen müssen.

War die Idee der Schleyer-Entführung also ein direktesResultat aus der Erkenntnis, Stockholm war ein Fehler?

Es war der falsche Weg. Das hat das Ergebnis ge-zeigt: vier Tote, auf beiden Seiten zwei, niemand warrausgekommen, im Gegenteil, die Zuspitzung wurdenoch schärfer.

Und eure Analyse war, daß eine Botschaftbesetzung nichtausreicht, um die Freilassung der Gefangenen zu erzwin-gen?

Daß eine Botschaft nicht reicht, und auch, daß wirpolitisch einen Punkt treffen müssen, an dem es zuihren Ungunsten ausfällt, wenn sie nicht nachgeben.

Gab es in dieser Überlegung schon die konkrete PersonSchleyer?

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Peter Brückner und andere wurden vor den Kopf ge-stoßen, da gibt es sicher noch viel Widerwärtiges auf-zuarbeiten. Trotzdem seid ihr damit noch lange nichtaus dem Schneider, denn es gab – parallel zum Rück-zug der 68er – auch eine massive Entsolidarisierung.Das hat sich dann später gerächt: Wer die Bedingun-gen der Gefangenen in den Isolationstrakten ver-drängte und keine Verantwortung übernahm, zumBeispiel durch eine eigene, unabhängige Position,der sollte sich nachträglich wenigstens nicht wun-dern, daß ihn die Gefangenenfrage im Herbst 77 ineiner militärischen Zuspitzung wieder einholte.

»Wir wollten die revolutionärenAnsätze weitertragen«

Unsere Situation damals war wie gesagt eine andere.Wir waren vom Zerfall der 68er Revolte geprägt, wirwollten ihre sozialrevolutionären und antiimperiali-stischen Ansätze weitertragen, und der Horizont vonneuen sozialen Bewegungen war für uns noch langenicht greifbar. Die Bedeutung der Anti-AKW-Bewe-gung haben wir einfach auch lange unterschätzt odernur unter dem Gesichtspunkt ihrer Militanz gegenden Staat gesehen. Noch schwerwiegender war viel-leicht die fehlende Auseinandersetzung mit derFrauenbewegung. Da möchte ich gar nicht drumrum reden.

Doch selbst wenn wir uns in dieser Phase direktin den neuen sozialen Bewegungen aufgelöst hätten,was nicht unbedingt sinnvoll gewesen wäre, die Ge-

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Nein, nein, so schnell ging das nicht. Stellt euch dasnicht so vor, daß eine Aktion nach der anderen an-stand. Bevor ich in den Untergrund ging, hatte ichauch ganz andere Vorstellungen davon, was RAF istund was möglich ist. Als ich noch legal war, kannteich viele, die dauernd darüber redeten, wie sie dieRAF unterstützen wollten. Als ich dann selber imUntergrund war, mußte ich feststellen, daß das über-haupt nicht so war. Nach Stockholm stand ich plötz-lich quasi vor dem Nichts. Es gab noch ein paarMark und zwei Pistolen, die aber auch nicht richtigfunktionierten.

Wie seid ihr dann auf Schleyer gekommen?

Schleyer, so wie er sich präsentierte in der Öffent-lichkeit, in Interviews und all seinen Auftritten, war

einfach ein Magnet. Ein naheliegender Gedanke. Esgab aber auch andere Überlegungen, beispielsweisekamen wir auf Filbinger, den baden-württembergi-schen Ministerpräsidenten. Filbingers Vergangen-heit als Nazi-Marinerichter war damals noch nichtöffentlich bekannt. Aber bekannt war, daß er nachder NS-Zeit praktisch ungebrochen zum Landesva-ter geworden war. In seinem Fall sind wir sehrschnell zu dem Ergebnis gekommen, daß wir da denganzen Landtag stürmen müßten. Das fiel natürlichaus. Schleyer ist dann übriggeblieben.

Und da habt ihr angefangen, die Entführung vorzube-reiten?

Nein, zu dem Zeitpunkt wurde noch keine Aktionfestgelegt. Das waren erst mal Überlegungen.

Wann war das?

Das war direkt nach Stockholm, da hatte sich dieGruppe noch gar nicht konstituiert. Da kamen erstspäter noch zwei andere Gruppen zusammen, diesich bis dahin nicht als RAF begriffen haben. Da gabes noch keine konkreten Pläne, aber es war eineRichtung, und wir wollten, auch bewußt im Unter-schied zu Stockholm, an dieser Person klarmachen,worum es uns ging, wo wir herkommen, wofür wireigentlich kämpfen.

Dachtet ihr, bei Schleyer könnte Schmidt nicht hart blei-ben, da müssen sie austauschen?

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den Verhandlungen damals war Schleyer auch dabei.Aber solche Aktionen lassen sich nicht einfach über-tragen. Seht euch nur mal das Lohngefälle zwischeneinem Arbeiter bei Daimler in Stuttgart und dem inBuenos Aires an. Es war aber zu jenem Zeitpunkteinfach noch nicht festgelegt. Die Einengung aufden Gefangenenaustausch war auch aus der Zuspit-zung entstanden, auf die wir uns in der Gefangenen-frage im ganzen Jahr 77 zubewegten.

Erklär doch mal eure Dramaturgie für 1977 – vor derSchleyer-Entführung gab es das Attentat auf Buback undden Mord an Ponto.

Buback war der oberste »Terroristenjäger« und fürdie Haltung gegenüber den Gefangenen verantwort-lich. Für uns war er auch verantwortlich für den Tod

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Nein, diese Überlegung war noch nicht so weit. Erstmal haben wir Schleyer gesehen, bei dem sich alleskonzentriert hat, wogegen wir, die ganze Linke, re-belliert hatten. Ich erinnere mich noch sehr gut andiese Geschichte über Schleyer im Stern 1974. Dawurde nicht nur seine NS-Geschichte thematisiert,sondern vor allem diese Ungeheuerlichkeit, wie erseine weitere Karriere, seinen Aufstieg zum BDI-und BDA-Mann, zum politischen Chef des Kapitals,als einen vollkommen bruchlosen Übergang ver-standen hat. Damit hatte er öffentlich geprahlt, eswar also kein Kunststück, auf ihn zu kommen.

Aber ihr habt doch damals nicht gesagt, wir entführenSchleyer, um damit die Kontinuität des Faschismus in derBundesrepublik zu zeigen. In Italien gab es viel klarereAktionen: Die BR haben versucht, in aktuelle Arbeits-kämpfe einzugreifen, haben Manager entführt und mitruntergelassener Hose zum Schichtwechsel vor einem Fa-briktor wieder laufenlassen. Das sprach für sich.

Wir haben auch immer gesagt, die besten Aktionensind die, die für sich sprechen. Bei Schleyer mußtenjedenfalls nach der Entführung keine langatmigenErklärungen abgegeben werden, warum es geradeum ihn ging und nicht um einen anderen Vertreterder herrschenden Klasse. Vergleichbares wie in Itali-en ist aber auch 1975 in Argentinien gelaufen, als dieMontoneros einen Vertreter von Daimler-Benz ent-führten. Sie forderten die Wiedereinstellung vonAusgesperrten und höhere Löhne. Ich glaube, bei

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wollen, kennt schließlich jeder Gefangene. Die Fra-ge ist nur, welcher Einsatz dafür moralisch und poli-tisch vertretbar ist.

Erst einmal haben die Verhältnisse Druck ge-macht. Dazu kommt, es gab in der Zeit die Theorievom neuen Faschismus, der aus den Institutionenkommt und keine Massenbasis braucht. Beides hat sonicht gestimmt. Diese schräge Theorie wurde nichtnur von der RAF vor- und nachgebetet, sie führteauch dazu, daß wir uns auf einen militaristischenSchlagabtausch mit dem Staat beschränkten. Gleich-zeitig haben wir beispielsweise die Produktion rassi-stischer Mentalitäten unterschätzt, die zwischenOben und Unten funktionieren und so neu nichtsind. 1977 war auch das Jahr, in dem sich viele SS-Traditionsverbände, von einigen Protesten der VVNabgesehen, ungestört treffen konnten. Warum habenwir die nicht attackiert? Statt dessen wurden in eini-gen Fällen leichtfertige Assoziationen zwischen Iso-lations- und Vernichtungshaft und Auschwitz herge-stellt, die nicht nur zu grotesken Fehleinschätzungenund »Handlungszwängen« führten, sondern dieauch gegenüber den Opfern der Vernichtungslagerschäbig waren. Dabei waren die Bedingungen in denIsolationstrakten schlimm genug. Um dagegen zuhandeln wäre kein zusätzlicher »Druck« notwendiggewesen. Wir waren ja auch keine Gruppe, die nurdarauf gewartet hat, was die Stammheimer sagen.Mit solchen Erklärungen versuchen einige, sich ausder Verantwortung zu schleichen.

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Siegfried Hausners, den er aus Stockholm abtrans-portieren ließ, obwohl Hausner lebensgefährlichverletzt war. Und wir sahen in ihm den Verantwort-lichen für den toten Trakt und die Haftbedingungenvon Ulrike Meinhof. Dem wollten wir Grenzen set-zen.

Kam dazu, daß ihr, so hat es jedenfalls Peter JürgenBoock erzählt, von den Stammheimern massiv unterDruck gesetzt wurdet?

Ich habe keine Lust, die jeweils neueste Variante vonBoock zu kommentieren. Auf ihn trifft zu, was RegisDebray in seinem Buch »Kritik der Waffen« überdie Guerillabewegung in Lateinamerika sagte: »Diegrößten Militaristen werden die besten Renegaten.«Während Boock wie ein Tanzbär durch die Talk-shows tapst, haben andere, wie Brigitte Mohnhaupt,die in einem bayrischen Knast weggebunkert ist,keinerlei Möglichkeit, sich dazu zu äußern.

Du hast ja jetzt die Möglichkeit. Seid ihr damals unterDruck gesetzt worden?

Das kann tatsächlich erst vollständig aufgearbeitetwerden, wenn alle Gefangenen etwas dazu sagenkönnen. Gerade Boock bezieht sich immer auf eineangebliche oder tatsächliche Korrespondenz mit denStammheimern, die außer ihm nur Brigitte Mohn-haupt kennen soll. Was soll ich also dazu sagen? Si-cher, die Gefangenen wollten unbedingt raus, unddieses Gefühl, mit dem Kopf durch die Wand zu

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Das heißt nicht, daß nicht auch an den Stamm-heimern vieles hätte kritisiert werden müssen. Ichhab’ mich oft gefragt, was passiert wär’, wenn wir sietatsächlich rausgeholt hätten. Ob ich mich mit ihnenverstanden hätte. Damals ging ich automatisch da-von aus. Heute bin ich da eher skeptisch. Aber wennsie draußen gewesen wären, hätten wir sie wenig-stens kritisieren können. Der Schmerz, daß das nichtging, der bleibt bis heute hängen. Damals dachtenwir, wenn wir die Gefangenen befreit haben, dannkönnen wir wieder auf die ursprünglichen Ziele derRAF zurückkommen – die Ziele, die schon währendder 68er Revolte entstanden.

Du hast vorhin angesetzt, die Dynamik jener Zeit,76/77, zu beschreiben. Da warst du bei Bundesanwalt

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Siegfried Buback. Der Anschlag auf ihn sollte die anderenGefangenen schützen. Habt ihr erreicht, was ihr wolltet?

Nein, sonst hätten wir uns die weitere Eskalation jaersparen können. Nach dem Tod von Holger Meinsund dem Anschlag auf den obersten Berliner Rich-ter, Günther Drenckmann, gab es im Spiegel ein In-terview mit den Stammheimern, in dem sie deutlichgesagt haben: Wenn es Beerdigungen gibt, wennSchmerz, Leid und Trauer, dann auf beiden Seiten.

Hättet ihr euch dieser Konfrontation nicht entziehen kön-nen?

Das hätte damals bedeutet, daß wir die Gefangenenaufgeben, daß wir sagen müssen: Eine Befreiungsak-tion geht einfach nicht, andere Initiativen sind jetztdringender. Heute würde ich eher sagen, wir hättendamals mehr Geduld einfordern müssen. Obwohl, esist ja heute noch schwer, mitansehen zu müssen, wieder Staat auch gegenüber kranken Gefangenen wieHelmut Pohl oder Adelheid Schulz hart bleibt.

Ihr habt dann also in relativ kurzer Zeit eine Strukturaufgebaut, um Schleyer entführen zu können. Wie liefdas?

Es waren wie gesagt zunächst verschiedene Grup-pen, die erst mal nicht im RAF-Zusammenhangstanden.

Dann war das 1977 quasi eine Nachgründung oder Neu-gründung?

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auszunutzen. Das hat unsere Erfolgsaussichtenschon zu Beginn sehr eingeschränkt. Die zweiteSchwierigkeit war, daß Schleyer ursprünglich dieseSEK-Bewachung nicht gehabt hat. Die höchste Si-cherheitsstufe wurde für ihn erst infolge der Ponto-Aktion angeordnet. Angesichts dieser Schwierigkei-ten haben wir selbst schon damals der Aktion skep-tisch gegenübergestanden. Zudem gab es gleich vierTote, den Fahrer und Schleyers Bewacher. Damitwurde die Eskalation verschärft und ein Austauschnoch weniger wahrscheinlich.

»Wir hatten Angst, es gibterneut Tote im Knast«

Aber ihr habt Schleyer doch wohl durchgehend observiertund hättet von den Begleitern wissen müssen.

Nein, dieser Begriff der zweiten Generation RAFstimmt so nicht. Das waren teilweise Leute, die ausalten Zusammenhängen übriggeblieben waren, teilsaber auch neue Leute, die aus ihren Erfahrungensagten, daß jetzt mit der RAF zusammen eine Chan-ce für die Zukunft offengehalten wird.

Haben sich eure Hoffnungen am Erfolg der Lorenz-Ent-führung 1975 orientiert? Oder habt ihr gedacht, ein sowichtiger Mann wie Hanns Martin Schleyer wird auf je-den Fall ausgetauscht?

Am Augenmaß der Bewegung 2. Juni hätten wir unsruhig ein Beispiel nehmen können. Aber die Lorenz-Entführung hat wohl auch die Kräfteverhältnisseverändert. Wir waren ursprünglich davon ausgegan-gen, daß Schleyer allein für den Austausch der Ge-fangenen nicht reicht. Deshalb sollte außer Schleyernoch der Chef der Dresdner Bank, Jürgen Ponto,entführt werden. Da hätten wir das durch seinebraune Vergangenheit belastete Finanzkapital, fürdas die Dresdner Bank stand, und Schleyer mit sei-ner Rolle in den Kapitalistenverbänden, also den Po-litiker, zusammengehabt. Ein Gewicht, an dem sienicht vorbeigekonnt hätten. Durch die Bekannt-schaft einer damaligen Genossin mit der FamiliePonto erschien uns die Entführung des Bankiers alsdie militärisch leichtere Aktion. Das ging bekannt-lich schief. Ponto wurde erschossen, weil einer vonuns die Situation falsch eingeschätzt hat. Es warauch falsch, die private Bekanntschaft für so etwas

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Nach seiner Entführung hat er auf den Videos davorgewarnt, das Gefangenenproblem militärisch zu lö-sen. Da hat er allerdings bereits gespürt, daß er vonseinen politischen Freunden fallengelassen wird.

Das habt ihr auch gemerkt?

Natürlich.

Ihr hattet also relativ früh nicht mehr den Eindruck, daßdie Bundesregierung auf eure Forderungen eingehenwürde?

Wir wußten, daß sich innerhalb von wenigen Tagenzeigt, wie der Krisenstab sich entscheiden wird, obsie z.B. die Kommuniqués veröffentlichen oder dieVideos, die gemacht wurden. Wären die im Fernse-hen veröffentlicht worden, wäre es für die Regierungsehr schwer geworden, einen Austausch abzulehnen.Es gab also sehr früh Anzeichen, daß es nicht soschnell läuft.

Die Aktion war aber nicht auf längere Sicht ange-legt. Wir wollten Leben gegen Leben, einen schnel-len Austausch von Gefangenen. Wenn das nichtläuft, sollte Schleyer erschossen werden.

Habt ihr mit Schleyer so darüber geredet?

Ja, das war von vornherein klar. Als sich herausstell-te, daß der Krisenstab immer nur neue Möglichkei-ten suchte, dieser Entscheidung auszuweichen, wuß-ten wir, daß sie ihn nicht austauschen wollen. Siehofften, uns zu finden und zu liquidieren. Im Grun-

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Ja sicher, das war uns bekannt. An diesem Tag warenaber drei statt der üblichen zwei SEK-Beamten beiSchleyer. Das war nicht vorhersehbar. Vorhersehbarwar, daß man denen nicht sagen konnte, so, jetzt hal-tet euch mal fein raus, sondern daß es nur geht, wenndie SEK-Beamten erschossen werden. Beim Fahrerhatten wir gesagt, daß es möglichst vermieden wer-den soll. Es war unsere gemeinsame politische Ent-scheidung. Aber die Durchführung folgte dann ebender militärischen Logik. Jedes Opfer auf beiden Sei-ten ist zu bedauern, aber die Polizisten sind in einerGefechtssituation erschossen worden, in der sie jaauch elf Schüsse aus der Maschinenpistole und dreiaus der Pistole abgegeben haben. Der Fahrer hattezwar eine Werkschutzausbildung für Entführungssi-tuationen, aber er war unbewaffnet. Deshalb findenicht nur ich seinen Tod um so bedauerlicher.

Aber aller Skepsis zum Trotz habt ihr nicht überlegt, denPlan fallenzulassen?

Diese Diskussion hat es schon gegeben. Die andereSeite waren aber die Verhältnisse im Knast. Wir hat-ten Angst, wenn das so weitergeht, dann gibt es un-ter Umständen erneut Tote, und wir stehen wiederda und können nur trauern. Wir haben dann ge-dacht, jetzt sollen sie selbst einmal spüren, wie dasist, in eine Situation zu kommen wie unsere Gefan-genen.

Hat Schleyer das begriffen?

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de genommen war das schon klar, als sie die ersteWohnung gefunden hatten, die sie dann gestürmthaben, ohne erst mal nachzusehen, ob da überhauptjemand drin ist. Da zeichnete sich die Haltung schonab. Und wir mußten überlegen, wie es weitergehensoll. Setzen wir das Ultimatum um oder nicht. Gibtes noch die Möglichkeit, daß der Druck stärker wird,wenn man das Ultimatum verlängert? Wir mußtenschauen, welche Möglichkeiten es noch gibt, einneues Versteck zu finden und so weiter. Das war dienächste wichtige Entscheidung.

Ihr hattet noch Hoffnung?

Wir sagten, wenn es in dieser Einheitsfront im Kri-senstab überhaupt Widersprüche gibt, dann mußman denen Zeit geben zu wirken. Beispielsweise

Spielraum für den Einfluß von Kräften aus der Indu-strie. Von Schleyer selbst sind dann auch Initiativengestartet worden, er hat seine politischen Freundeangeschrieben.

Das waren seine Ideen?

Ja sicher, das kann man daran sehen, daß er viele Sa-chen geschrieben hat, die wir niemals so formulierthätten – er hat zum Beispiel von Terroristen gespro-chen. Er kannte seine Freunde und seine politischeKlasse ja besser als wir und wußte, wo er ansetzenmußte. Er selbst hatte nicht die Einschätzung, daß erwirklich alles für einen Austausch mobilisierenkonnte, aber er hat darauf gebaut, daß seine Freundeihn nicht hängenlassen. Das war eine der erschüt-terndsten Erfahrungen für ihn, zu erleben, daß ermit all der Macht, die er vorher hatte, auf einmal ausseiner politischen Klasse, von seinen politischenFreunden fallengelassen wurde.

So habt ihr das empfunden?

Nicht von Anfang an, aber diese menschliche Tragö-die hat sich abgezeichnet und die hat auch jeder vonuns mitgekriegt.

Ist in einer solch harten Situation, die ja ganz viel Ent-schlossenheit und Verhärtung eurerseits bedeutet, so einGefühl überhaupt möglich?

Eine solche Situation geht an keinem vorbei. Bei al-ler Anspannung – niemand verhält sich in so einer

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liebt, und wir hatten deshalb auch die Befürchtung,daß er nicht mehr austauschfähig ist, wenn wir ihnweiter runtermachen.

Deshalb haben wir auch die Idee, ihn mit seinerSS-Nummer und einem Schild »Gefangener seinereigenen Geschichte« abzulichten, schnell verworfen.Das hat aber im Nachhinein eine verrückte Umkeh-rung bedeutet: Schleyer wurde, nach dem was er ge-schrieben und gesagt hat, nur noch als Familienva-ter, als Opfer gesehen.

Habt ihr damals überlegt, wie ihr dem Argument derBundesregierung begegnen könnt, ein Austausch würdenur dazu führen, daß die Leute aus dem Untergrund neueStraftaten begehen. Habt ihr jemals daran gedacht, öf-fentlich zu erklären, den bewaffneten Kampf einzustellen?

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Situation nur rational, nur entsprechend seiner poli-tischen Auffassung.

Haben sich da wirkliche Gesprächssituationen zwischeneuch und Schleyer entwickelt?

Ich würde sagen, nur Gesprächssituationen. Als Po-lizeiverhörspezialisten waren wir sicher völlig unge-eignet und als solcher hat sich auch niemand aufge-spielt.

»Wir wollten Schleyer nichtdemütigen oder vorführen«

Aber ihr habt doch gezielt Tonbänder dieser Gesprächeaufgenommen.

Sicher hatten wir gezielte politische Fragen. Aberdiese Auseinandersetzungen, diese Diskussionen wa-ren keine Verhöre.

Boock sagt, es habe Kreuzverhöre gegeben und ihr hättetsogar geplant, Schleyer vor ein Volksgericht zu stellen.

Beide Begriffe fassen nicht annähernd, was damalstatsächlich gelaufen ist.

Warum habt ihr mit Schleyers Vergangenheit damalsüberhaupt nicht öffentlich gearbeitet?

Das war sicher ein politischer Fehler, aber wir woll-ten ihn in dieser Situation nicht demütigen oder vor-führen, weil er wußte, daß die Aktion für ihn tödlichenden kann. Schleyer war ja nicht populär oder be-

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nicht, wie wir reagiert hätten, wenn wir gewußt hät-ten, was Andreas Baader angeboten hat. Es wäre zu-mindestens eine Chance gewesen, darauf Bezug zunehmen. Für uns waren die Gefangenen aber sechsWochen verschwunden. Wir wußten überhauptnicht, was mit denen passiert war. Wir konnten unsin unserer Phantasie alles mögliche vorstellen – dieStimmen, die die Wiedereinführung der Todesstrafeforderten, haben ihren Teil dazu beigetragen.

Statt dessen habt ihr den Druck erhöht. Erst hat Schleyeran seine politischen Freunde geschrieben und dann kamdie Flugzeugentführung. War das ein Angebot der Palä-stinenser, oder habt ihr euch an die Palästinenser ge-wandt?

Es kam als Angebot. Ich weiß nicht genau wie, weilich nicht bei der Hälfte der Gruppe war, die in Bag-dad war, aber die anderen haben uns natürlich ge-fragt. Unsere Genossen haben uns, die wir in West-europa geblieben sind, gefragt, ob wir damit einver-standen sind.

Ihr hattet kein Problem mit der Entführung eines Flug-zeugs voller Urlauber? Widersprachen Flugzeugent-führungen nicht dem Konzept der RAF?

Bis dahin hatten wir uns Flugzeugentführungenauch nur aus der Sicht der Palästinenser vorstellenkönnen, aber nicht zur Durchsetzung unserer For-derungen in Deutschland. Es gab ein Papier derStammheimer Gefangenen, in dem sie die Flugzeug-

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Andreas Baader hat ja so einen Vorstoß gegenübereinem Vertreter der Bundesregierung gemacht. Ihrwißt, was daraus geworden ist.

Ihr habt nie ernsthaft überlegt, euch dem Angebot Baadersanzuschließen?

Wir wußten von diesem Angebot nichts. Es warnicht festgelegt, daß wir mit dem bewaffnetenKampf so weiter machen würden, aber das wolltenwir so nicht einbringen.

Warum nicht?

Seht es mal so herum: Wir hatten Schleyer und dieGegenseite macht nicht nur mobil, sondern sie ver-hängt die Kontaktsperre, sie bricht ihre eigenen Ge-setze. Überall setzt sie noch eins drauf. Sie sagt, siemacht keine Fahndung und veranstaltet tatsächlichdie größte Fahndung aller Zeiten, sie bläst zur Hatzauf alle, die überhaupt nur irgend etwas Kritischesgegen den Staat gesagt haben, sie verordnet dieNachrichtensperre. In dieser Situation der Zuspit-zung zu verlangen, daß wir sagen: Es war eigentlichgar nicht so gemeint, wir wollen nur friedlich in ir-gendeinem Palästinenserlager den Flüchtlingskin-dern helfen – das hätte uns doch niemand abgenom-men. Die Frage ist, ob es in der Situation Initiativenhätte geben können, die unterhalb der Ebene einesAustauschs einen Ansatzpunkt finden, an dem manhätte sagen können: Schluß jetzt, es hat genug Totegegeben, jetzt suchen wir was anderes. Ich weiß auch

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entführung nach Entebbe 1976 heftig kritisieren.Der Kritikpunkt war die Beteiligung von zwei deut-schen RZ-Mitgliedern an einer Aktion gegen Israel,dem Land, das ja auch der Fluchtort für die Opferdes Holocaust war. In diesem Papier wird aber auchangedeutet, daß es anders bewertet werden muß,wenn ein deutsches Flugzeug entführt wird. Nacheiner langen Debatte war das ein ausschlaggebenderPunkt für unsere Zustimmung, weil die Gefangenendiese Frage offen gelassen haben und wir deshalb dasGefühl hatten, nicht gegen ihre Interessen zu han-deln. Wir hätten auf keinen Fall gegen den Willender Gefangenen gehandelt.

War es dann doch eure Initiative? Haben eure Leute,Boock und andere, den Palästinensern gesagt, ihr müßt

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uns helfen, wir kommen allein nicht mehr weiter?

Nein, nein, das war ganz sicher nicht so. Dazu mußich etwas genauer darauf eingehen, wie unsere Zu-sammenarbeit mit den Palästinensern eigentlich aus-sah. Die Palästinenser hatten eigene Interessen beiso einer Aktion. Schon auch, daß die Gefangenenrauskommen, es ging ja auch um zwei palästinensi-sche Gefangene, die in einem türkischen Knastsaßen, aber sie haben dabei einen ganz anderen Hin-tergrund gehabt. Die haben sich gesagt, ein Landwie die Bundesrepublik, das wichtigste Land in derEG, ist in eine Konfrontation verwickelt, auf die dieganze Welt schaut, da können wir unser Anliegenmit einbringen. In dem Flüchtlingslager Tel al-Zatarin Beirut waren damals die Syrer den Falangisten zuHilfe gekommen, als diese 6.000 Palästinenser mas-sakriert haben. Die Fraktion innerhalb des palästi-nensischen Widerstands, die die Landshut entführthat, wollte in dieser Situation verhindern, daß dieSyrer oder andere arabische Regierungen sich aufKosten der Palästinenser mit Israel einigen. Wirwurden in diesem Konflikt auch in bezug auf Israelvon der deutschen Geschichte eingeholt.

War euch nicht klar, was es bedeutet, wenn bei der Flug-zeugentführung 80 unbeteiligte Urlauber umgebrachtwerden?

Es entschuldigt nichts, aber wir haben dabei an dieerfolgreichen Flugzeugentführungen von Leila Kha-

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Wir haben gedacht, daß sie sehr, sehr wahrscheinlichausgetauscht werden. Wir sind aber auch dabei vonfalschen Voraussetzungen ausgegangen. Die Aktionist anders gelaufen, als sie geplant war. Die Ent-führung sollte im Südjemen enden. Dort wäre dieGSG 9 niemals an die Maschine herangekommen,ohne sich gleich mit dem ganzen Land und demOstblock anzulegen. Die Bundesregierung hätte ver-handeln müssen.

Wieso ist es in Aden schiefgegangen?

So wie ich die Verhältnisse in Aden kannte, war fürmich klar, daß die DDR oder die Sowjetunion dafürgesorgt haben, daß die Maschine nicht dort bleibenkonnte. Diese Entscheidung ist nicht in Aden alleingetroffen worden. Die hatten ein ganz anderes Ver-

led gedacht, deren Buch lange als Kultbuch in derLinken zirkulierte. Es war für uns ein Problem, dieMallorca-Urlauber und Schleyer auf eine Stufe zustellen. In dieser speziellen Situation, in der Dyna-mik, die sich nach der Schleyer-Entführung ent-wickelt hatte, konnte das Angebot aber die Lösungsein. Wir sind davon ausgegangen, daß die Bundes-regierung durch die Flugzeugentführung die Gele-genheit bekam zu sagen: O.K., wir sind hart geblie-ben bei Schleyer, aber jetzt können wir nicht mehr,jetzt müssen wir austauschen.

In dieser Haltung steckte ein grotesker Wider-spruch. Wir haben einerseits geglaubt, die Bundes-republik befinde sich in einer Entwicklung hin zumFaschismus und haben deshalb der politischen Klas-se alles mögliche zugetraut. Aber genau an diesemPunkt haben wir unsere eigene Analyse nicht ernstgenommen und gesagt: So, jetzt müssen sie austau-schen, das können sie sich nicht leisten. Warum ei-gentlich nicht?

Wir sind damit nicht aus der Verantwortung ent-lassen, weil wir einfach darauf vertraut haben. Aberfür uns wäre es die Lösung gewesen: Schleyer wirdnicht erschossen, die Gefangenen kommen raus.

»Nach der Landshut-Entführung glaubten wir an Austausch«

Ihr habt geglaubt, die 80 Leute sind nicht wirklich in Ge-fahr?

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hältnis zu den Palästinensern, hätten sie niemalsnach Somalia geschickt.

Hattet ihr von den Palästinensern so sichere Zusagen,daß ihr die Möglichkeit von achtzig toten Urlaubern garnicht in Betracht gezogen habt? Habt ihr euch nicht ge-fragt, was machen wir als politische Gruppe, wenn wegender Aktion achtzig Urlauber umgebracht werden?

Wir haben auf die Erfahrung gebaut, daß die Palästi-nenser bei Flugzeugentführungen immer verantwor-tungsbewußt gehandelt haben. Hätten wir die Akti-on zu Ende gedacht, hätten wir ihr nicht zustimmenkönnen. Aber wir haben tatsächlich nur an den gutenFall, die politische Lösung, gedacht.

War das eine einhellige Meinung?

Ja, das war unsere gemeinsame Einschätzung. Wirdachten dabei auch an die fast gleichzeitig erfolg-reich durchgeführte Entführung eines japanischenFlugzeugs durch die japanische Rote Armee. Unddann hat sich hier ja auch nichts bewegt. Damit mei-ne ich nicht nur den großen Krisenstab, die Bundes-regierung, sondern irgendwelche anderen Initiati-ven, moralischen Instanzen oder sonstige linkeGruppen haben sich ja auch nicht zu Wort gemeldet.Wir haben Deutschland nur noch aus der Sicht der»Verdammten dieser Erde« gesehen.

Hättet ihr es an euch herangelassen, wenn eine kritischeÖffentlichkeit euch genau zu diesem Zeitpunkt aufgefor-

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dert hätte: Laßt jetzt Schleyer laufen, rettet die Lands-hut-Geiseln?

Damals gab es ja vor allem diese zwanghaften Di-stanzierungen. Wenn es als eine unabhängige linkePosition gekommen wäre, schon. Wir wurden abernicht in die Pflicht genommen.

Habt ihr denn damals geglaubt, daß es Unterstützungfür die Forderung nach einer Freilassung der Gefangenengeben würde?

Eigentlich schon. Wir hatten natürlich nicht mit derNachrichtensperre gerechnet. Das war eine Situati-on, in der wir plötzlich eng auf uns begrenzt waren.Wir haben den Bezug nicht mehr gesehen.

Habt ihr ihn vermißt?

Was heißt vermißt? Wir waren davon ausgegangen,daß sich nach der Entführung auch noch andere be-merkbar machen könnten. Unsere Planung war al-lerdings nicht darauf angelegt.

Mit wieviel Leuten habt ihr eigentlich diskutiert. Wur-den die Entscheidungen von zwei, drei Leuten gefällt,oder haben alle diskutiert, die an der Entführung beteiligtwaren?

Es gab Situationen in denen nicht alle präsent wa-ren. Es kamen Leute mit unterschiedlichen Erfah-rungen zusammen, aber alle wurden nach Möglich-keit an den Entscheidungen beteiligt. Ich kenne nie-

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manden, der sich damals beschwert hat, daß er poli-tisch nicht einbezogen war.

Hätte euch eine Reaktion aus der Linken denn noch er-reicht?

Das war nicht der Punkt. Die Aktion sollte in einpaar Tagen entschieden sein. In dieser Situation istes unmöglich, öffentlich zu diskutieren. Danach wares auch schwierig: Wenn wir ein Papier für die Linkeverfaßt hätten, wäre das doch gar nicht angekom-men. Hätte jemand so ein Papier gehabt und es nichtgleich zur Polizei getragen, der wäre sofort im Knastgelandet.

Es gab doch die Möglichkeit, über die französische Zei-tung Liberation zu kommunizieren.

Vielleicht. Ich bin mir nicht so sicher, ob in dieserSituation eine offene Debatte mit der Linken mög-lich gewesen wäre. Fakt ist, es gab weder von unsnoch von der Linken solche Versuche. Die Ge-schichte ist wie sie ist, und wir müssen sie erst einmalannehmen und die Verantwortung übernehmen. Ichmuß zu meiner Schande sagen, daß ich mir auch erstviel später, während meines Prozesses, als ich anfing,meine eigene Geschichte unter einem anderemBlickwinkel zu begreifen, überlegt habe, daß wir vielstärker hätten deutlich machen müssen, warum wirausgerechnet Schleyer gefangengenommen haben.Wir hätten Forderungen stellen müssen, die in eineganz andere Richtung zielten. Es wäre naheliegendgewesen zu fordern, daß Daimler-Benz die Archiveüber den Einsatz von Zwangsarbeitern öffnet, daßder Konzern Entschädigungen für Zwangsarbeiterzahlt. Wir hätten sagen können, bei der Frage derGefangenen gibt es nur noch tödliche Konfrontati-on, aber auf einem anderen Terrain kommen wirjetzt auf das zurück, worum es uns eigentlich inhalt-lich geht. Aus einer solchen Position wäre es dannvielleicht auch möglich gewesen, ein anderes Ende,für Schleyer eine menschlichere Lösung zu finden.

Habt ihr in der Gruppe darüber geredet?

Wir haben, wenn überhaupt, dann nur innerhalb derKonsequenz dieser Aktion darüber geredet. ImNachhinein muß ich sagen, wir haben nichts ver-sucht, um die vermeintliche Zwangsläufigkeit zu

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Warum konntet ihr da nicht aussteigen, warum habt ihrSchleyer nicht nach Hause geschickt?

Das hätte aus unserer damaligen Sicht bedeutet, daßwir die Politik des Krisenstabes bestätigen und legi-timieren. Eine Freilassung ohne politische Gegen-leistung wäre nicht als eine menschliche Geste ver-standen worden, sondern als Eingeständnis der Nie-derlage, als voller Erfolg für den Krisenstab, nachdem Motto: Härte zahlt sich aus. Aus heutiger Sichtsehe ich auch unsere verpaßten Chancen, die politi-schen Interventionsmöglichkeiten, die auch Schley-er den Weg nach Hause hätten ebnen können.

Hattet ihr euch dazu etwas überlegt, gab es Kompromiß-linien, z.B. weniger Gefangene werden freigelassen,

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durchbrechen. Aber damals war niemand bereit, einEingeständnis zu machen. Das hätte bedeutet, daßwir vieles, was wir später wohl gesehen haben, vor-weggenommen hätten. Wir hätten sagen müssen,der bewaffnete Kampf, so wie er gelaufen ist, gehtnicht.

Für euch war schon vor Beginn der Geschichte klar, wenndie Gefangenen nicht rauskommen, wird Schleyer er-schossen?

Ja, das ist auch das, was in den Kommuniqués drin-steht ...

Es ist aber doch eine Sache, was man in Kommuniquésankündigt, und eine andere, was dann wirklich passiert.

Wir haben uns ja auch anders verhalten. Wir sindsogar während der Aktion von einer anderen Grup-pe kritisiert worden, daß wir nicht die Aktion been-det haben, indem wir Schleyer erschießen. Sie habengesagt, dadurch, daß wir das hinauszögern und aufdie Verschleppungstaktik des Krisenstabes eingehen,machen wir es anderen unmöglich, bei späteren Ge-fangenenbefreiungen noch ernstgenommen zu wer-den.

Es gab aber doch eine Zäsur, einen Punkt, an dem dieSpirale der wechselseitigen Drohungen beendet war. Daswar nach dem 18. Oktober. Die Maschine in Mogadischuwar gestürmt, die Geiseln befreit, drei Palästinenser er-schossen, und die Gefangenen in Stammheim waren tot.

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Theresienstadt entfernt, von wo die Transporte nachAuschwitz gingen. Außerdem hat die Bundesregie-rung ja die Ausstrahlung der Videobänder, in denenSchleyer selbst an den menschlichen Aspekt appel-liert hat, verhindert. Sie hat auch die Gefangenennicht reden lassen, dann wäre vielleicht das Rück-zugsangebot Baaders bekanntgeworden und die Ge-fangenen hätten in der Öffentlichkeit ein anderesGesicht bekommen. Sie hatten auch Freunde undFamilie, die sie gerne wiedergesehen hätten. Aberdie menschlichen Gesichtspunkte wurden vom Kri-senstab bewußt ausgeschaltet. In der Logik der Akti-on war dann auch das bittere Ende konsequent. Aberfür unsere menschlichen und politischen Ziele wares ein Desaster.

Wir waren so unheimlich konsequent, als es dar-auf angekommen wäre, menschliche Stärke undGroßzügigkeit zu zeigen, und waren politisch so we-nig radikal, sogar harmlos, als es darum ging, die ge-sellschaftlichen Verhältnisse umzuwälzen und zumtanzen zu bringen.

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Hafterleichterungen, die Anerkennung, daß es sich umpolitische Gefangene handelt?

»Ein Kompromiß war von uns aus möglich«

Wenn in der damaligen Situation das Angebot vonAndreas zum Rückzug der Gefangenen zu einer Re-aktion der Bundesregierung geführt hätte, wenn esirgendeine Form der politischen Akzeptanz gegebenhätte, wenn beispielsweise eine internationale Kom-mission zur Überprüfung der Haftbedingungen an-geboten worden wäre, dann hätten wir natürlich rea-giert, dann wäre es für uns undenkbar gewesen,strikt auf der ursprünglichen Forderung zu beharrenund Schleyer zu erschießen. Man kann uns vielesvorwerfen, aber nicht, daß wir die Interessen derGefangenen ignoriert hätten.

Welche Rolle hat es gespielt, daß ihr nach den sechs Wo-chen Schleyer als Person kanntet?

Das hat natürlich eine Rolle gespielt, es war bewe-gend und banal zugleich, wie bei jedem, der um seinLeben bangt. Aber Schleyer war auch zuletzt für unsnicht nur jemand, der eine Familie hat. Hat Schleyerjemals Rücksicht auf die ausgesperrten Arbeiter ge-nommen? Schleyer hat nie ernsthaft seine Rolle imProtektorat Böhmen und Mähren bedauert – er warals SS-Mann für die Integration der tschechischenIndustrie in die deutsche Kriegswirtschaft zuständig,sein Büro war damals nur 60 Kilometer vom KZ

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Die Sprache der Bilder

»Seit 18.11 Uhr überstürzen sich die Meldungen.Trotzdem ist Klarheit über den Hergang der Tat nichtzu gewinnen«, erklärt der »Tagesschau«-Moderatoram 5.9.77. Und »Für eine Entführung spricht, daß kei-ne amtliche Stelle weiß, wo Schleyer sich aufhält.«Über neun Minuten lang berichtet die »Tagesschau«an diesem Abend über die Schleyer-Entführung. Dabeigibt es bis dahin »keinen neuen Stand der Ermitt-lung«, wie Friedrich Nowottny zugibt. In den folgen-den Wochen übernehmen die ARD-Sprecher trotzdemeine tragende Rolle: Wie Boten auf dem Theater, diedas Publikum via Mauerschau über das informieren,was es auf der Bühne nicht sehen kann, berichten No-wottny & Co. – im Duktus des »Wie es heißt« –, wasdas BKA die Entführer wissen lassen will.

Auch heute, zwei Jahrzehnte später, hat dieseNachrichtenvermittlung nicht von ihrer medialen Ei-gentümlichkeit verloren. Hier gibt es eine Botschafthinter der Botschaft, ein verstecktes Spiel, das von dengroßen Inserts hinter den Nachrichtensprechern (»Dis-kussion um Terrorismus«, »CSU fordert Todesstrafe«)nicht getilgt werden kann. Das Ereignis hatte – ob-wohl es weitgehend ohne Bilder auskommen mußte –zu seiner Bildersprache gefunden. Es war eine derstaatlichen Ordnung: Alternativen gab und gibt esnicht.

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