Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie · 1.2 Mengensysteme Christine M¨uller, Statistik V -...

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Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie Prof. Dr. Christine M¨ uller Technische Universit¨ at Dortmund Wintersemester 2010/2011

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Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie

Prof. Dr. Christine Muller

Technische Universitat Dortmund

Wintersemester 2010/2011

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INHALTSVERZEICHNIS

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

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Literatur:

R.B. Ash (19972). Real Analysis and Probability. Academic Press.

H. Bauer (1968). Wahrscheinlichkeitstheorie und Grundzuge der Maßtheorie. De Gruyter.

P. Billingsley (1995). Probability and Measure. Wiley.

L. Breiman (1968). Probability. Addison-Wesley Educational Publishers Inc.

P. Ganssler, W. Stute (1977). Wahrscheinlichkeitstheorie. Springer.

A. Klenke (2007). Probability Theory: A Comprehensive Course. Springer.

Inhaltsverzeichnis

I Maß- und Integrationstheorie 3

1 Fortsetzung von Maßen 3

1.1 Folgen von Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.2 Mengensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.3 Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1.4 Fortsetzung von Maßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2 Das Maß-Integral 15

2.1 Messbare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.2 Das Maß-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.3 Konvergenz von Maß-Integralen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.4 Weitere Eigenschaften des Maß-Integrals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

2.5 Lebesgue’sche Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

3 Zerlegung und Darstellung signierter Maße 30

3.1 Maß mit Dichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

3.2 Signierte Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

4 Maße auf Produktraumen 34

4.1 Maße auf endlichen Produktraumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

4.2 Faltung von Maßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

4.3 Maße auf unendlichen Produktraumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

II Wahrscheinlichkeitstheorie 43

5 Bedingte Wahrscheinlichkeiten und Erwartungen 43

5.1 Bedingte Wahrscheinlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

5.2 Bedingte Dichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

5.3 Bedingte Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

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INHALTSVERZEICHNIS

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6 Konvergenz von Wahrscheinlichkeitsverteilungen 51

6.1 Konvergenz von Wahrscheinlichkeitsmaßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

6.2 Konvergenz von Zufallsvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

6.3 Charakteristische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

6.4 Zentrale Grenzwertsatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

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Teil I

Maß- und Integrationstheorie

1 Fortsetzung von Maßen

1.1 Folgen von Mengen

1.1.1 Bezeichnung

a) Ac bezeichnet das Komplement einer Menge A, d.h. Ac = Ω \A, wenn Ω der Grundraum ist.

b) ∅ ist die leere Menge.

c) P(Ω) := A; A ⊂ Ω ist die Potenzmenge von Ω.

1.1.2 Satz (Gesetze von De Morgan)

Sei A1, A2, . . . eine Folge von Mengen. Dann gilt

a) (⋃∞

n=1 An)c =⋂∞

n=1 Acn.

b) (⋂∞

n=1 An)c =⋃∞

n=1 Acn.

1.1.3 Satz

Sei A1, A2, . . . eine Folge von Mengen. Dann gilt

a)⋃n

i=1 Ai = A1 ∪ (Ac1 ∩A2) ∪ (Ac

1 ∩Ac2 ∩A3) ∪ . . . ∪ (Ac

1 ∩ . . . ∩Acn−1 ∩An),

b)⋃∞

n=1 An =⋃∞

n=1(Ac1 ∩ . . . ∩Ac

n−1 ∩An).

Gilt zusatzlich A1 ⊂ A2 ⊂ A3 . . ., so folgt

c)⋃n

i=1 Ai = A1 ∪ (A2 \A1) ∪ . . . ∪ (An \ An−1),

d)⋃∞

n=1 An =⋃∞

n=1(An \ An−1) mit A0 = ∅.

1.1.4 Definitionlim sup

n→∞An = ω; ω ∈ An fur unendlich viele n

=⋂

n≥1

k≥n

Ak

lim infn→∞

An = ω; ω ∈ An fur alle bis auf endlich viele n=⋃

n≥1

k≥n

Ak

limn→∞

An existiert, falls lim supn→∞

An = lim infn→∞

An,

und dann gilt

limn→∞

An := lim supn→∞

An = lim infn→∞

An.

1.1.5 Satz

a) Gilt A1 ⊂ A2 ⊂ A3 . . . und⋃∞

n=1 An = A so gilt limn→∞ An = A.

b) Gilt A1 ⊃ A2 ⊃ A3 . . . und⋂∞

n=1 An = A so gilt limn→∞ An = A.

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1.1 Folgen von Mengen

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1.1.6 Bezeichnung

a) Fur A1 ⊂ A2 ⊂ A3 . . . mit limn→∞ An = A schreiben wir An ↑ A.

b) Fur A1 ⊃ A2 ⊃ A3 . . . mit limn→∞ An = A schreiben wir An ↓ A.

1.1.7 Satz

a) Aus An ↑ A folgt Acn ↓ Ac.

b) Aus An ↓ A folgt Acn ↑ Ac.

c) (lim supn→∞

An)c = lim infn→∞

Acn.

d) (lim infn→∞

An)c = lim supn→∞

Acn.

e) lim infn→∞

An ⊂ lim supn→∞

An.

1.1.1 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie die Satze 1.1.3, 1.1.5 und 1.1.7.

1.1.2 Ubungsaufgabe

Definiere Teilmengen der reellen Zahlen wie folgt: An = (−1/n, 1] fur ungerades n ∈ N und

An = (−1, 1/n] fur gerades n ∈ N. Bestimmen Sie lim infn→∞

An und lim supn→∞

An.

1.1.3 Ubungsaufgabe

Sei (xn)n∈N eine Folge von reellen Zahlen und An = (−∞, xn). Was ist die Beziehung zwischen

lim supn→∞ xn, lim infn→∞ xn, lim supn→∞ An und lim infn→∞ An?

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1.2 Mengensysteme

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1.2 Mengensysteme

1.2.1 Definition (Ring)

Ist Ω 6= Ø eine Menge, dann heißt ein Mengensystem R ⊂P(Ω) ein Ring uber Ω ⇐⇒(i) Ø ∈ R,

(ii) A,B ∈ R ⇒ A \B ∈ R,

(iii) A,B ∈ R ⇒ A ∪B ∈ R.

1.2.2 Definition (Dynkin-System, Algebra, σ-Algebra))

Sei Ω 6= Ø eine Menge.

a) A ⊂P(Ω) heißt Dynkin-System uber Ω: ⇐⇒(i) Ω ∈ A ,

(ii) A ∈ A =⇒ Ac ∈ A ,

(iii) A1, A2, . . . ∈ A paarweise disjunkt, d.h. Ai ∩Aj = ∅ fur i 6= j, =⇒ ⋃∞i=1 Ai ∈ A .

b) A ⊂P(Ω) heißt Algebra (algebra, field) uber Ω: ⇐⇒ (i), (ii) und

(iv) A1, A2, . . . , An ∈ A =⇒ ⋃ni=1 Ai ∈ A .

c) A ⊂P(Ω) heißt σ-Algebra uber Ω: ⇐⇒ (i), (ii) und

(v) A1, A2, . . . ∈ A =⇒ ⋃∞i=1 Ai ∈ A .

1.2.3 Bemerkung

Gilt Ω ∈ R fur den Ring R, so ist R eine Algebra.

1.2.4 Lemma

Eine σ-Algebra A ist abgeschlossen bzgl. abzahlbarer Mengenoperationen, z. B.

(An ∈ A )n∈N (ii)⇒ (Acn ∈ A )n∈N (iv)⇒ ⋃

n≥1Ac

n ∈ A(ii)⇒ ⋂

n≥1An =

(

n≥1Ac

n

)c

∈ A .

1.2.5 Satz (Erzeugte σ-Algebra)

Ist E ⊆P(Ω), dann gibt es eine kleinste von E erzeugte σ-Algebra σ(E ), d.h.

a) σ(E ) ist σ-Algebra,

b) E ⊆ σ(E ),

c) E ⊆ A und A σ-Algebra ⇒ σ(E ) ⊆ A .

Beweis

Betrachte σ(E ) :=⋂

A ∈A (E )

A , wobei A(E ) = A ; A σ-Algebra und E ⊂ A .

Dann gilt A(E) 6= ∅, da P(Ω) σ-Algebra ist und E ⊂P(Ω). Damit ist σ(E) wohldefiniert.

Es bleibt zu zeigen, dass σ(E ) eine σ-Algebra ist:

(i)∧

A ∈A (E )

Ω ∈ A ⇒ Ω ∈ σ(E )

(ii) A ∈ σ(E ) ⇒ ∧

A ∈A (E )

A ∈ A ⇒ ∧

A ∈A (E )

Ac ∈ A ⇒ Ac ∈ σ(E )

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1.2 Mengensysteme

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(iii) (An ∈ σ(E ))n∈N ⇒ ∧

A ∈A (E )

(An ∈ A )n∈N ⇒ ∧

A ∈A (E )

n≥1An ∈ A ⇒ ⋃

n≥1An ∈ σ(E ).

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1.2.6 Beispiel

(i) Ω abzahlbar (endlich oder unendlich)

E = ω; ω ∈ Ω das System der Elementarereignisse

⇒ σ(E ) = P(Ω).

(ii) Ω uberabzahlbar

E = ω; ω ∈ Ω⇒ σ(E ) = A; A ∈P(Ω), A abzahlbar oder A abzahlbar .

1.2.7 Lemma

Ein Dynkin-System D ist genau dann eine σ-Algebra, wenn es durchschnittsstabil ist, d.h. es

gilt D1 ∩D2 ∈ D fur alle D1,D2 ∈ D .

Beweis

Es muss nur gezeigt werden, dass ein durchschnittsstabiles Dynkinsystem eine σ-Algebra ist.

Dazu muss nur Eigenschaft (v) aus Definition 1.2.2 gezeigt werden. Fur alle D1,D2 ∈ D gilt

wegen der Durchschnittsstabilitat und (ii) und (iii) in Definition 1.2.2:

D2 \D1 = D2 ∩Dc1 ∈ D ,

D1 ∪D2 = (D1 \D2) ∪ (D1 ∩D2) ∪ (D2 \D1) ∈ D . (1)

Seien nun An ∈ D , n ∈ N, beliebig. Mit Induktion folgt aus (1) Dn := A1 ∪ . . . ∪ An ∈ D fur

alle n ∈ N. Mit Definition 1.2.2 (i) und (ii) gilt auch D0 := ∅ ∈ D . Damit folgt mit Eigenschaft

(iii) aus Definition 1.2.2∞⋃

n=1

An =

∞⋃

n=0

(Dn+1 \Dn) ∈ D .

2

1.2.8 Lemma

Ist E ein durchschnittsstabiler Erzeuger, d.h. es gilt E1 ∩ E2 ∈ E fur alle E1, E2 ∈ E , dann gilt

D(E ) = σ(E ),

wobei D(E ) das von E erzeugte Dynkin-System ist.

Beweis

Wegen D(E ) ⊂ σ(E ) und Lemma 1.2.7 muss nur noch gezeigt werden, dass D(E ) durchschnitts-

stabil ist. Sei fur D ∈ D(E )

DD := Q ∈P(Ω); Q ∩D ∈ D(E ).

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1.2 Mengensysteme

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DD ist Dynkin-System, denn (i) und (iii) aus Definition 1.2.2 gelten offensichtlich und Eigen-

schaft (ii) folgt aus:

Q ∈ DD =⇒ Q ∩D ∈ D(E )

=⇒ Q ∪Dc = (Q ∩D) ∪Dc ∈ D(E ) =⇒ Qc ∩D = (Q ∪Dc)c ∈ D(E ) =⇒ Qc ∈ DD.

Da E durchschnittsstabil ist gilt E ⊂ DE fur alle E ∈ E und somit D(E ) ⊂ DE fur alle E ∈ E .

Somit gilt fur alle D ∈ D(E ), E ∈ E :

D ∈ DE =⇒ D ∩ E ∈ D(E ) =⇒ E ∈ DD,

also E ⊂ DD fur alle D ∈ D(E ) und somit D(E ) ⊂ DD fur alle D ∈ D(E ). Die letzte Eigenschaft

bedeutet aber: ∀D ∈ D(E ),D ∈ D(E ) gilt D ∈ DD, d.h. D ∩D ∈ D(E ). 2

1.2.9 Definition (Borel-σ-Algebra)

Sei Ω = R (bzw. Ω = Rp) und E = [a, b]; a, b ∈ R, a ≤ b (bzw. Ep = [a, b]; a =

(a1, . . . , ap)⊤, b = (b1, . . . , bp)

⊤ ∈ Rp, a ≤ b, wobei a ≤ b gilt, falls ai ≤ bi fur i = 1, . . . , p

gilt). Dann heißt B := σ(E ) (bzw. Bp := σ(Ep)) die Borel-σ-Algebra uber R (bzw. Rp).

1.2.10 Bemerkung

B p lasst sich auch durch das System

E′p = (−∞, b]; b ∈ Rp

erzeugen, d. h. B p = σ(E ′p), denn: Fur jedes (−∞, b] ∈Bp gilt:

(−∞, b] =⋃

n≥1

[−n 1p , b] ∈ σ(E p)

mit 1p = (1, . . . , 1)⊤ ∈ Rp und der Konvention [a, b] := ∅, falls nicht a ≤ b gilt. Somit gilt

σ(E ′p) ⊆ B p . Andererseits gilt fur jedes [a, b] ∈E p :

[a, b] =⋂

n≥1

(a(n), b] mit a(n) = a− 1n

1p und

(a(n), b] = (−∞, b]\p⋃

π=1

(−∞, a(n)(π)] ∈ σ(E ′p),

wobei a(n)(π) = (a(n)1 (π), . . . , a

(n)p (π))T mit a

(n) (π) =

b fur 6= π

a(n)π fur = π

.

Folglich [a, b] ∈ σ(E ′p) und damit B p ⊆ σ(E ′

p).

Weitere Erzeuger von Bp sind z.B. (dabei gelte a < b ⇔ ai < bi fur i = 1, . . . , p):

(i) E 1p = (a, b); a, b ∈ Rp, a < b = x ∈ Rp; a < x < b; a, b ∈ Rp a < b,

(ii) E 2p = (a, b]; a, b ∈ Rp, a ≤ b = x ∈ Rp; a < x ≤ b; a, b ∈ Rp a ≤ b,

(iii) E 3p = (−∞, b); b ∈ Rp.

(iv) E 4p = O; O ⊂ Rp ist offene Menge.

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1.2 Mengensysteme

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Eine Menge O ⊂ Rp ist dabei offen, wenn fur jedes x ∈ O ein offenes p-dimensionales Inter-

vall (ax, bx) existiert mit x ∈ (ax, bx) ⊂ O. Damit gilt E 1p ⊂ E 4

p und somit σ(E 1p ) ⊂ σ(E 4

p ).

Umgekehrt gilt auch E 4p ⊂ σ(E 1

p ), denn jedes O ∈ E 4p ist eine abzahlbare Vereinigung

von offenen Intervallen (an, bn), wobei an und bn aus rationalen Komponenten bestehen,

d.h. an, bn ∈ Qp. Ist namlich x ∈ (ax, bx) ⊂ O so gibt es q(x), aq(x), bq(x) ∈ Qp mit

x ∈ (aq(x), bq(x)) ⊂ O. Da die rationalen Zahlen abzahlbar sind, ist somit O eine abzahl-

bare Vereinigung von Elementen aus E 1p .

1.2.11 Lemma

Sei Ω0 ⊂ Ω.

a) Ist A eine (σ-)Algebra uber Ω, so ist A0 = A ∩ Ω0; A ∈ A eine (σ-)Algebra uber Ω0, die

sogenannte Spur-(σ-)Algebra von A bzgl. Ω0.

b) Ist A eine von E erzeugte σ-Algebra uber Ω, so ist A0 = A ∩ Ω0; A ∈ A die von

E0 = A ∩Ω0; A ∈ E erzeugte σ-Algebra.

1.2.1 Ubungsaufgabe

Sei Ω = 1, 2, 3, 4. Man gebe

a) die kleinste σ-Algebra uber Ω an,

b) die großte σ-Algebra uber Ω an,

c) die von 1, 1, 3, 4 erzeugte σ-Algebra uber Ω an.

1.2.2 Ubungsaufgabe

Man zeige fur p = 1, dass die in Beispiel 1.2.10 angegebenen Erzeuger Ep, E 1p und E 2

p der Borel-

σ-Algebra wirklich die gleichen σ-Algebren erzeugen.

Hinweis: Man zeige, dass jedes Element eines Erzeugers sich durch abzahlbare Schnitte und

Vereinigungen von Elementen des anderen Erzeugers darstellen laßt.

1.2.3 Ubungsaufgabe

Man zeige fur p = 1, dass die in Beispiel 1.2.10 angegebenen Erzeuger Ep, E 1p und E 2

p der Borel-

σ-Algebra keine Algebren sind.

Man zeige aber, dass

A (R) =

n⋃

i=1

Ii ; n ∈ N, Ii = (ai, bi] oder Ii = [−∞, bi] mit ai, bi ∈ R fur i = 1, . . . , n

eine Algebra ist, die die Borel-σ-Algebra uber R := R ∪ −∞,∞ erzeugt. Dabei wird die

Borel-σ-Algebra uber R durch E (R) = [a, b]; a, b ∈ R, a ≤ b erzeugt.

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1.3 Maße

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1.3 Maße

1.3.1 Definition

Sei R ein Ring uber Ω und µ : R → [0,∞].

a) µ heißt endlich additiv: ⇐⇒A1, . . . , An ∈ R paarweise disjunkt, d.h. Ai ∩Aj = ∅ fur i 6= j, =⇒

µ (⋃n

i=1 Ai) =∑n

i=1 µ(Ai).

b) µ heißt (Pra-)Maß auf R: ⇐⇒(i) µ(∅) = 0,

(ii) A1, A2, . . . ∈ R paarweise disjunkt und⋃∞

i=1 Ai ∈ R =⇒µ (⋃∞

i=1 Ai) =∑∞

i=1 µ(Ai) (σ-Additivitat).

c) Ein Maß µ auf einer Algebra heißt endlich (unendlich), falls µ(Ω) <∞ (µ(Ω) =∞).

d) Ein Maß µ auf einer Algebra heißt Wahrscheinlichkeitsmaß, falls µ(Ω) = 1.

e) Ein Maß µ heißt σ-endlich, falls A1, A2, . . . ∈ R existieren mit Ω =⋃∞

i=1 Ai und µ(Ai) < ∞fur i = 1, 2, . . ..

1.3.2 Definition

a) (Ω,A ) heißt messbarer Raum: ⇐⇒ A ist σ-Algebra uber Ω.

b) (Ω,A , µ) heißt Maßraum (Wahrscheinlichkeitsraum): ⇐⇒ A ist σ-Algebra uber Ω und µ ist

(W-)Maß auf A .

1.3.3 Beispiel

Wird im Fall p = 1 µ(⊕N

n=1(an, bn]) =∑N

n=1(bn−an) als die aufsummierte Lange der Intervalle

(an, bn] definiert und im Fall p > 1 µ(⊕N

n=1(an, bn]) =∑N

n=1

∏pi=1(bni−ani) als der aufsummierte

Flachen-/Rauminhalt der mehrdimensionalen Intervalle (an, bn] definiert, so ist µ : Rp → [0,∞)

ein Pramaß auf dem Ring Rp = ⋃ni=1(ai, bi]; ai, bn ∈ Rp, ai ≤ bi, i = 1, . . . , n, n ∈ N.

1.3.4 Lemma

Ist µ ein Maß auf einer Algebra A , dann gilt:

a) µ(A ∪B) + µ(A ∩B) = µ(A) + µ(B) fur alle A,B ∈ A ,

b) A,B ∈ A , A ⊂ B =⇒ µ(A) = µ(B)− µ(B \A),

c) A1, A2 . . . ∈ A ,⋃∞

i=1 Ai ∈ A =⇒ µ (⋃∞

i=1 Ai) ≤∑∞

i=1 µ(Ai),

d) A,A1, A2 . . . ∈ A , An ↑ A =⇒ limn→∞ µ(An) = µ(A),

e) A,A1, A2 . . . ∈ A , An ↓ A, µ(A1) <∞ =⇒ limn→∞ µ(An) = µ(A).

1.3.5 Lemma

Sei P ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf der Algebra A , A1, A2, . . . ∈ A , A′1, A

′2, . . . ∈ A , An ↑ A,

A′n ↑ A′ und A ⊂ A′. Dann gilt limn→∞ P (An) ≤ limn→∞ P (A′

n).

1.3.1 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie Lemma 1.3.4.

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1.3 Maße

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1.3.2 Ubungsaufgabe

Sei Ω = R, Ω = N oder Ω =

1n ; n ∈ N

, R = A ⊂ Ω; ; ♯A <∞ und µ : R → [0,∞] gegeben

durch µ(A) = ♯A, wobei ♯A die Anzahl der Elemente in A bezeichnet.

a) Fur welches Ω ist R ein Ring uber Ω?

b) Fur welches Ω ist µ ein Pramaß auf R?

1.3.3 Ubungsaufgabe

Sei A eine σ-Algebra uber Ω, ω0 ∈ Ω und

µ(A) =

0, falls ω0 /∈ A,

1, falls ω0 ∈ A.

Zeigen Sie, dass µ ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω,A ) ist. Es ist das sogenannte Dirac-Maß.

1.3.4 Ubungsaufgabe

Sei Ω = R, A =

A ⊂ Ω; A ist abzahlbar oder A ist abzahlbar

und µ : A → 0, 1 gegeben

durch

µ(A) =

0, falls A abzahlbar ist,

1, falls A abzahlbar ist.

a) Zeigen Sie, dass A eine σ-Algebra uber Ω ist.

b) Zeigen Sie, dass µ ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω,A ) ist.

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1.4 Fortsetzung von Maßen

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1.4 Fortsetzung von Maßen

1.4.1 Lemma

Sei P ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf der Algebra, G = A ⊂ Ω; ∃A1, A2, . . . ∈ A mit An ↑ Aund fur alle A ∈ G sei µ(A) = limn→∞ P (An), falls An ↑ A, A1, A2, . . . ∈ A . Dann gilt fur G

und µ : G −→ [0,∞]:

a) µ ist wohldefiniert,

b) A ⊂ G ,

c) µ(A) = P (A) fur A ∈ A ,

d) G1, G2 ∈ G =⇒ G1 ∪G2, G1 ∩G2 ∈ G und µ(G1 ∪G2) + µ(G1 ∩G2) = µ(G1) + µ(G2),

e) G1, G2 ∈ G , G1 ⊂ G2 =⇒ µ(G1) ≤ µ(G2),

f) Gn ∈ G , n = 1, 2, . . . , Gn ↑ G =⇒ G ∈ G und limn→∞ µ(Gn) = µ(G).

1.4.2 Lemma

Sei G und µ : G −→ [0,∞] so, dass ∅,Ω ∈ G , µ(∅) = 0, µ(Ω) = 1 sowie d), e) und f) aus Lemma

1.4.1 gelten. Definiere fur jedes A ⊂ Ω:

µ∗(A) = infµ(G); G ∈ G , G ⊃ A.

Dann gilt:

a) µ∗ = µ auf G , 0 ≤ µ∗(A) ≤ 1 fur alle A ⊂ Ω,

b) µ∗(A ∪B) + µ∗(A ∩B) ≤ µ∗(A) + µ∗(B),

c) A ⊂ B =⇒ µ∗(A) ≤ µ∗(B),

d) An ↑ A =⇒ limn→∞ µ∗(An) = µ∗(A).

1.4.3 Definition

λ : P(Ω) −→ [0,∞) heißt außeres Maß auf Ω: ⇐⇒(i) λ(∅) = 0,

(ii) A ⊂ B =⇒ λ(A) ≤ λ(B) (Monotonie),

(iii) λ (⋃∞

i=1 Ai) ≤∑∞

i=1 λ(Ai) (σ-Subadditivitat).

1.4.4 Lemma

Sei A eine Algebra und µ : A −→ [0,∞] endlich addititiv.

a) Gilt limn→∞ µ(An) = µ(A) fur alle A,A1, A2 . . . ∈ A mit An ↑ A (σ-Stetigkeit von unten),

so ist µ σ-additiv.

b) Gilt limn→∞ µ(An) = 0 fur alle A,A1, A2 . . . ∈ A mit An ↓ ∅ (σ-Stetigkeit von oben gegen

die leere Menge), so ist µ σ-additiv.

1.4.5 Lemma

Unter den Voraussetzungen von Lemma 1.4.2 gilt:

H := H ⊂ Ω; µ∗(H) + µ∗(Hc) = 1

ist σ-Algebra und µ∗ ist Wahrscheinlichkeitsmaß auf H .

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1.4 Fortsetzung von Maßen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

12

1.4.6 Satz

Sei P ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf der Algebra A . Dann ist µ∗ ein Wahrscheinlichkeitsmaß

auf σ(A ) und es gilt µ∗(A) = P (A) fur alle A ∈ A , d.h. µ∗ : σ(A ) −→ [0, 1] ist die Fortsetzung

von P : A −→ [0, 1].

1.4.7 Lemma (Monotone Class Theorem)

Sei A eine Algebra uber Ω und G ⊂P(Ω) sei monotones Mengensystem, d.h. An ∈ G , An ↑ A

oder An ↓ A =⇒ A ∈ G . Aus A ⊂ G folgt dann σ(A ) ⊂ G .

1.4.8 Satz (Caratheodory’s Fortsetzungssatz)

Sei A eine Algebra uber Ω und µ ein σ-endliches Maß auf A . Dann hat µ eine eindeutige

Fortsetzung zu einem Maß µ∗ auf σ(A ).

1.4.9 Satz (Approximationssatz∗)

Sei (Ω,A , µ) eine Maßraum, A0 eine Algebra uber Ω mit σ(A0) = A und µ σ-endlich auf A0.

Ist A ∈ A und µ(A) <∞, dann gibt es fur alle ǫ > 0 ein B ∈ A0 mit µ((A \B) ∪ (B \A)) < ǫ.

1.4.10 Lemma

Sei A eine Algebra und µ : A −→ [0,∞] endlich addititiv. Gibt es fur alle A ∈ A und ǫ > 0

ein B ∈ A und eine kompakte Menge C ⊂ Ω mit A ⊃ C ⊃ B und µ(A \ B) < ǫ, dann ist µ

σ-additiv.

((Cn)n∈N kompakt und⋂n

i=1 6= ∅ fur alle n ∈ N =⇒ ⋂∞i=1 6= ∅.)

Betrachte wieder die Algebra

A (R) =

n⋃

i=1

Ii ; n ∈ N, Ii = (ai, bi] oder Ii = [−∞, bi] mit ai, bi ∈ R fur i = 1, . . . , n

,

die die Borel-σ-Algebra B(R) uber R := R ∪ −∞,∞ erzeugt.

1.4.11 Satz

Sei F : R→ R monoton wachsend und rechtseitig stetig. Ist

µ(I) =

F (b)− F (a), falls I = (a, b], a, b ∈ R,

F (b)− F (−∞), falls I = [−∞, b], b ∈ R,

und µ (⋃n

i=1 Ii) =∑n

i=1 µ(Ii), falls I1, . . . , In paarweise disjunkt sind, dann ist µ ein Maß auf

A (R) und es besitzt eine eindeutige Fortsetzung auf B(R).

1.4.12 Definition

Ist F (x) = x, so heißt das durch Satz 1.4.11 gegebene Maß auf B(R) das Lebesgue-(Borel)-Maß

und wird mit λ bezeichnet.

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1.4 Fortsetzung von Maßen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

13

1.4.13 Beispiel (Lebesgue-Maß auf Rp)

Mittels des Satzes 1.4.8 kann nicht nur das in Beispiel 1.3.3 definierte Langenmaß eindeutig

fortgesetzt werden, sondern auch die in Beispiel 1.3.3 definierten Flachen- und Rauminhalts-

Pramaße konnen eindeutig zu einem Maß auf der Borel-σ-Algebra Bp fortgesetzt werden. Diese

Maße werden auch Lebesgue-Maße genannt und mit λp im p-dimensionalen Fall bezeichnet.

1.4.14 Definition

Ein Maß µ auf B(Rp) heißt Lebesgue-Stieltjes-Maß (LS-Maß), falls µ((a, b]) <∞ fur alle a, b ∈

Rp gilt.

((a, b] = ((a1, . . . , ap), (b1, . . . , bp)] := (x1, . . . .xp) ∈ Rp; ai < xi ≤ bi, i = 1, . . . , p)

1.4.15 Satz (Eindeutigkeitssatz)

Sei E ein Erzeuger einer σ-Algebra A und µ1 und µ2 Maße auf A . Gilt

(i) µ1(E) = µ2(E) fur alle E ∈ E ,

(ii) E1, E2 ∈ E ⇒ E1 ∩ E2 ∈ E ,

(iii) es gibt (En ∈ E )n≥1 mit µ1(En) = µ2(En) <∞ fur n ∈ N, E1 ⊂ E2 ⊂ . . . und⋃∞

n=1 En = Ω,

so gilt µ1 = µ2 auf A .

Beweis

Sei E ∈ E mit µ1(E) = µ2(E) <∞. Dann betrachte man das System

DE := D ∈ A ; µ1(E ∩D) = µ2(E ∩D).

DE ist ein Dynkin-System, denn es gilt: Ω ∈ DE . Fur D ∈ DE gilt außerdem

µ1(E ∩Dc) = µ1(E \ (E ∩Dc)) = µ1(E)− µ1(E ∩Dc) = µ2(E) − µ2(E ∩Dc) = µ2(E ∩Dc)

also Dc in DE , so dass auch Eigenschaft (iii) der Definition eines Dynkinsystems erfullt ist. Sind

ferner D1,D2, . . . paarweise disjunkt, so gilt

µ1

(

E ∩( ∞⋃

n=1

Dn

))

= µ1

( ∞⋃

n=1

(E ∩Dn)

)

=∞∑

n=1

µ1(E ∩Dn) =∞∑

n=1

µ2(E ∩Dn) = µ2

(

E ∩( ∞⋃

n=1

Dn

))

,

also⋃∞

n=1 Dn ∈ DE , so dass auch Eigenschaft (ii) der Definition eines Dynkinsystems erfullt ist.

Da E durchschnittsstabil ist, gilt E ⊂ DE und somit mit Lemma 1.2.8 A = σ(E ) = D(E ). Da

D(E ) das von E erzeugte Dynkin-System ist und DD ein Dynkin-System ist, das E enthalt, gilt

D(E ) ⊂ DD ⊂ A . Also gilt DD = A und somit µ1(E ∩D) = µ2(E ∩D) fur alle D ∈ A .

Fur die Folge (En)n∈N mit En ↑ Ω ist dann auch µ1(En ∩D) = µ2(En ∩D) fur alle D ∈ A und

n ∈ N erfullt und es gilt En ∩D ↑ D fur alle D ∈ A . Somit folgt mit der σ-Stetigkeit des Maßes

µ1(D) = limn→∞

µ1(En ∩D) = limn→∞

µ2(En ∩D) = µ2(D)

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1.4 Fortsetzung von Maßen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

14

fur alle D ∈ A. 2

1.4.16 Bemerkung

Sei P ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Rp,Bp). Dann ist die p-dimensionale Verteilungsfunktion

als

F (x) := P ((−∞, x]) = P ((y1, . . . , yp) ∈ Rp; y1 ≤ x1, . . . , yp ≤ xp)

definiert. Wegen des Eindeutigkeitssatzes legt eine Verteilungsfunktion auch im p-dimensionalen

Fall das Wahrscheinlichkeitsmaß eindeutig fest.

1.4.1 Ubungsaufgabe (Fortsetzung von Ubungsaufgabe 1.3.2)

Sei Ω = R, Ω = N oder Ω =

1n ; n ∈ N

, R = A ⊂ Ω; ; ♯A <∞ und µ : R → [0,∞] gegeben

durch µ(A) = ♯A.

c) Fur welches Ω lasst sich µ auf die von R erzeugte σ-Algebra fortsetzen?

d) Fur welches Ω gibt es eine eindeutige Fortsetzung von µ auf P(Ω)?

1.4.2 Ubungsaufgabe

Sei Ω die Menge der rationalen Zahlen Q,

A = (a, b] ∩Q; a, b ∈ Q ∪ ∞ ∪ Q,

σ(A ) die von A erzeugte σ-Algebra und µ(A) = ♯A fur A ∈ σ(A ). Zeigen Sie:

a) σ(A ) besteht aus allen Teilmengen von Q, d.h. σ(A ) = P(Q).

b) µ ist ein Maß sowohl auf A als auch σ(A ), aber es ist nur σ-endlich auf σ(A ). Auf A ist es

kein σ-endliches Maß.

c) Es gibt Mengen A ∈ σ(A ) mit µ(A) < ∞, die nicht durch Mengen aus A approximiert

werden konnen, d.h. es gibt keine Folge An ∈ A mit limn→∞ µ((A \ An) ∪ (An \ A)) = 0.

d) Ist λ = 2µ, dann gilt λ = µ auf A aber nicht auf σ(A ).

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2.0 Das Maß-Integral

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

15

2 Das Maß-Integral

2.1 Messbare Funktionen

2.1.1 Definition (Messbare Abbildung, Zufallsvariable)

Seien (Ω, A ) und (Ω′,B) messbare Raume und Bp die Borel-σ-Algebra auf Rp.

(i) Eine Abbildung f : Ω ∋ ω → f(ω) ∈ Ω′ heißt A -B-messbar

⇔∧

B∈B

f−1(B) := ω ∈ Ω; f(ω) ∈ B ∈ A .

(ii) Eine Abbildung f : Ω→ Rp

heißt (Borel)-messbar, falls f A −Bp-messbar ist.

(iii) Eine Abbildung X : Ω ∋ ω → X(ω) ∈ Ω′ heißt Zufallsvariable (zufalliges Element)

auf (Ω, A ) mit Werten in (Ω′,B), falls (Ω, A , P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum ist und

X A -B-messbar ist.

2.1.2 Satz (Charakterisierung der Messbarkeit)

Seien (Ω, A ) und (Ω′,B) messbare Raume und E ein Erzeuger von B. Dann ist f A -B-

messbar

⇔∧

E∈E

f−1(E) ∈ A .

Beweis

⇐: Das System C aller Mengen C ∈P(Ω′) mit f−1(C) ∈A ist eine σ-Algebra uber Ω′. Folglich

gilt B ⊂ C genau dann, wenn E ⊂ C ist. Nach Voraussetzung gilt E ⊂ C , was B ⊂ C impliziert.

B ⊂ C ist aber gleichbedeutend mit der Messbarkeit von f . 2

2.1.3 Satz (Kriterium fur reelwertige messbare Abbildungen)

Sei Bp die Borel-σ-Algebra auf Rp und A eine σ-Algebra auf Ω. Dann ist f : Ω ∋ ω −→ f(ω) ∈Rp A -Bp-messbar

⇔∧

b∈Rp

f−1((−∞, b]) := ω ∈ Ω; f(ω) ≤ b ∈A ,

⇔∧

b∈Rp

f−1((−∞, b)) := ω ∈ Ω; f(ω) < b ∈A ,

⇔∧

b∈Rp

f−1([b,∞)) := ω ∈ Ω; f(ω) ≥ b ∈A ,

⇔∧

b∈Rp

f−1((b,∞)) := ω ∈ Ω; f(ω) > b ∈A .

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2.1 Messbare Funktionen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

16

Beweis

Der Beweis folgt mit Satz 2.1.2 aus der Tatsache, dass (−∞, b]; b ∈ Rp, (−∞, b); b ∈ Rp,[b,∞); b ∈ Rp, (b,∞); b ∈ Rp Erzeuger von Bp sind. 2

2.1.4 Folgerung

f : Ω ∋ ω −→ f(ω) :=

f1(ω)...

fp(ω)

∈ Rp ist A -Bp-messbar

⇔∧

π=1,...,p

fπ : Ω ∋ ω → fπ(ω) ∈ R ist A -B-messbar.

Beweis

Mit Hilfe des Kriteriums 2.1.3:

”⇒”:fπ ((−∞, bπ]) = ω; fπ(ω) ≤ bπ

=⋃

n≥1

ω; fπ(ω) ≤ bπ, f(ω) ≤ n, = 1, . . . , p, 6= π

=⋃

n≥1

ω; f(ω) ≤ b(n) ∈ A ,

wobei b(n) ∈ Rp mit b(n)π = bπ und b

(n) = n fur 6= π.

”⇐”

f−1((−∞, b]) = ω; f(ω) ≤ b=

p⋂

π=1

ω; fπ(ω) ≤ bπ ∈ A falls b = (b1, . . . , bp)⊤. 2

2.1.5 Satz

Sei B die Borel-σ-Algebra auf R und A eine σ-Algebra auf Ω. Sind f, g : Ω→ R A -B-

messbar, so gilt

f < g := ω; f(ω) < g(ω) ∈ A , f ≤ g := ω; f(ω) ≤ g(ω) ∈ A ,

f = g := ω; f(ω) = g(ω) ∈ A , f 6= g := ω; f(ω) 6= g(ω) ∈ A .

Beweis

Da die Menge Q der rationalen Zahlen abzahlbar ist, folgt die Behauptung mit Hilfe des

Kriteriums 2.1.3 aus

f < g =⋃

q∈Qf < q ∩ q < g, f ≤ g = f > g,

f = g = f ≤ g ∩ f ≥ g, f 6= g = f = g.

2

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2.1 Messbare Funktionen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

17

2.1.6 Satz

Sei B die Borel-σ-Algebra auf R, A eine σ-Algebra auf Ω und a, c ∈ R. Sind f, g, fn :

Ω→ R, n ∈ N, A -B-messbar, so sind auch

af + c, f 2, |f |, f + g, f − g, f ∗ g, f/g, supn∈N fn, inf

n∈N fn, lim supn∈N fn, lim inf

n∈N fn

A -B-messbar, falls sie wohldefiniert sind, d.h. weder ∞−∞ noch∞/∞ vorkommt noch

durch 0 geteilt wird.

Beweis

Mit dem Kriterium 2.1.3 ist mit f zunachst auch af + c A -B-messbar, denn

af + c ≤ b = f ≤ b−ca ∈ A fur alle b ∈ R, falls a > 0, und af + c ≤ b = f ≥

b−ca ∈ A fur alle b ∈ R, falls a < 0 (der Fall a = 0 ist trivial).

Ebenso ist wegen f 2 ≤ b = f ≤√

b ∩ f ≥ −√

b auch f 2 messbar.

Mit g ist dann auch b− g A -B-messbar. Damit gilt

f + g ≤ b = f ≤ b− g ∈ A ,

weshalb f + g nach Satz 2.1.5 A -B-messbar ist. Die Messbarkeit von f ∗ g folgt aus

f ∗ g =1

4(f + g)2 − 1

4(f − g)2.

Wegen supn∈N fn ≤ b =⋂∞

n=1fn ≤ b ∈ A fur alle b ∈ R, ist auch supn∈N fn messbar.

Mit infn∈N fn = − supn∈N(−fn) folgt die Messbarkeit von infn∈N fn. Der Rest folgt aus

lim supn∈N fn = inf

n∈N supm≥n

fm, lim infn∈N fn = sup

n∈N infm≥n

fm.

2

2.1.7 Satz

a) Ist f : Rp → Rq stetig, so ist f Bp-Bq-messbar.

b) Ist f : R→ R monoton wachsend oder fallend, dann ist f B1 −B1-messbar.

c) Ist f : Ω → Ω′ A − A ′-messbar und ist g : Ω′ → Ω′′ A ′ − A ′′-messbar, so ist die

Hintereinanderausfuhrung g f : Ω→ Ω′′ A −A ′′-messbar.

Beweis

a) Sei Ep = O ⊂ Rp; O ist offen und Eq = O ⊂ Rq; O ist offen. Eine Charakterisierung

der Stetigkeit ist, dass das Urbild jeder offenen Menge wieder offen ist, d.h. es gilt f−1(O) ∈Ep fur alle O ∈ Eq. Da Ep und Eq nach Bemerkung 1.2.10 Erzeuger der Borel-σ-Algebren

Bp und Bq sind, folgt die Behauptung aus Satz 2.1.2. 2

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2.1 Messbare Funktionen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

18

2.1.1 Ubungsaufgabe

a) Sei (Ω, A ) ein messbarer Raum und A ∈ A . Zeigen Sie, dass die Indikatorfunktion

1A : Ω→ 0, 1 gegeben durch

1A(ω) =

1, falls ω ∈ A,

0, falls ω /∈ A,

messbar ist.

b) Zeigen Sie fur messbares f : Ω→ R, dass auch |f | messbar ist.

c) Zeigen Sie fur messbare f, g : Ω→ R, dass auch minf, g und maxf, g messbar sind.

2.1.2 Ubungsaufgabe

Sei Ω = 1, 2, 3, 4 und A

a) die kleinste σ-Algebra uber Ω,

b) die großte σ-Algebra uber Ω,

c) die von 1, 1, 3, 4 erzeugte σ-Algebra uber Ω.

Sei f : Ω→ R eine Abbildung gegeben durch

f(ω) =

1, fur ω = 1,

5, fur ω = 2,

−1, fur ω = 3,

−1, fut ω = 4.

Fur welche der σ-Algebren in a), b), c) ist f messbar? Begrunden Sie die Antwort.

2.1.3 Ubungsaufgabe (Fortsetzung von Ubungsaufgabe 1.3.4)

Sei Ω = R, A =

A ⊂ Ω; A ist abzahlbar oder A ist abzahlbar

und µ : A → 0, 1gegeben durch

µ(A) =

0, falls A abzahlbar ist,

1, falls A abzahlbar ist.

Zeigen Sie, dass die Abbildung f : Ω → R A -B-messbar ist genau dann, wenn sie auf

dem Komplement einer abzahlbaren Menge konstant ist.

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2.2 Das Maß-Integral

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

19

2.2 Das Maß-Integral

Wahrend beim Riemann-Integral der Urbildbereich [a, b] ⊂ R bzw. [a, b] ⊂ Rp einer

Funktion f : [a, b] → R in immer kleinere Teilmengen zerlegt wird, wird beim Maß-

Integral der Bildbereich R zerlegt. Dadurch konnen Funktionen f : Ω→ R auf beliebigen

Raumen Ω zugelassen werden. Wichtig ist nur, dass (Ω, A ) ein messbarer Raum ist, auf

dem ein Maß µ existiert, und dass f A -B-messbar ist.

Wir werden zuerst nur nichtnegative Funktionen f betrachten. Durch 0 < an1 < an

2 <

. . . < anm(n) <∞ wird eine Zerlegung von [0,∞) gegeben, denn [0,∞) = [0, an

1 ]∪ (an1 , a

n2 ]∪

(an2 , a

n3 ]∪ . . .∪ (an

m(n)−1, anm(n)]∪ (an

m(n),∞). Da f A -B-messbar ist, liegen alle f−1([0, an1 ]),

f−1((an1 , a

n2 ]), . . ., f−1((am(n)−1n , an

m(n)]), f−1((anm(n),∞)) in A und die Funktion

fn =

m(n)−1∑

i=1

ani 1f−1((an

i ,ani+1])

+ anm(n) 1f−1((an

m(n),∞))

ist A -B-messbar. Wird die Zerlegung immer feiner, d.h. es gilt

(i) limn→∞ max|ani+1 − an

i |; i = 1, . . . , m(n)− 1 = 0,

(ii) limn→∞ am(n) =∞,

(iii)∧

i∈1,...,m(n+1)

j∈1,...,m(n)(an+1

i , an+1i+1 ] ⊂ (an

j , anj+1] oder

(an+1i , an+1

i+1 ] ⊂ [0, an1 ] ∪ (an

m(n),∞),

dann gilt f = supn∈N fn punktweise. Denn fur jedes ω ∈ Ω und n ∈ N gibt es i(ω, n) mit

f(ω) ∈ (ani(ω,n), a

ni(ω,n)+1]. Damit gilt fn(ω) = an

i(ω,n) ≤ f(ω).

Wegen limn→∞ |ani(ω,n)+1 − an

i(ω,n)| = 0 folgt supn∈N fn(ω) = f(ω).

2.2.1 Definition (Maß-Integral von Elementarfunktionen)

Sei µ ein Maß auf (Ω, A ).

(i) Eine A -B-messbare Funktion f : Ω→ [0,∞] heißt Elementarfunktion, wenn sie

nur endlich viele Werte annimmt, d.h. wenn sie die Gestalt f =∑n

i=1 ai 1Aihat,

wobei Ai ∈ A , i = 1, . . . , n, eine disjunkte Zerlegung von Ω ist.

(ii) Ist f =∑n

i=1 ai 1Aieine Elementarfunktion, so heißt

f(ω) µ(dω) :=

f dµ :=n∑

i=1

ai µ(Ai)

das (µ)-Integral von f (uber Ω).

2.2.2 Lemma

Das µ-Integral von f hangt nicht von der speziellen Darstellung von f als Elementarfunk-

tion ab, d.h. die Definition des Maß-Integrals ist widerspruchsfrei.

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2.2 Das Maß-Integral

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

20

Beweis

Seien f =∑n

i=1 ai 1Aiund f =

∑mj=1 bj 1Bj

zwei Darstellungen von f . Betrachte nun

(Ai ∩ Bj)i=1,...,n,j=1,...,m. Dann gilt ai = bj fur jedes Indexpaar i, j mit Ai ∩ Bj 6= ∅ und

somit mit der σ-Additivitat und Ω = A1 ∪ . . . ∪An = B1 ∪ . . . ∪ Bm

n∑

i=1

ai µ(Ai) =n∑

i=1

m∑

j=1

ai µ(Ai ∩ Bj) =m∑

j=1

n∑

i=1

bi µ(Ai ∩ Bj) =m∑

j=1

bj µ(Bj).

2

2.2.3 Lemma (Eigenschaften des µ-Integrals fur Elementarfunktionen)

Seien f, g Elementarfunktionen und α ∈ [0,∞). Dann gilt:

(i) f = 1A ⇒∫

f dµ = µ(A),

(ii)∫

(α f) dµ = α∫

f dµ,

(iii)∫

(f + g) dµ =∫

f dµ +∫

g dµ,

(iv) f ≤ g ⇒∫

f dµ ≤∫

g dµ.

Beweis

Es mussen nur (iii) und (iv) gezeigt werden. Dazu sei f =∑n

i=1 ai 1Aiund g =

∑mj=1 bj 1Bj

.

Aus

f =

n∑

i=1

m∑

j=1

ai 1Ai∩Bjund g =

m∑

j=1

n∑

i=1

bi 1Ai∩Bj

folgen dann die Behauptungen. 2

2.2.4 Lemma

Fur jede isotone Folge (gn)n∈N von Elementarfunktionen und jede Elementarfunktion f

gilt:

f ≤ supn∈N gn ⇒

f dµ ≤ supn∈N ∫ gn dµ.

Beweis

Sei f =∑n

i=1 ai 1Aiund α ∈ (0, 1) beliebig. Nach Satz 2.1.5 gilt fur alle n ∈ N

Bn := gn ≥ αf ∈ A .

Dann gilt gn ≥ α f 1Bnund mit Lemma 2.2.3 folgt fur alle n ∈ N

gn dµ ≥ α

f 1Bndµ.

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2.2 Das Maß-Integral

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

21

Da die Folge (gn) isoton ist und f ≤ supn∈N gn gilt, folgt andererseits Bn ↑ Ω, also

Ai ∩Bn ↑ Ai fur jedes i = 1, . . . , n, und somit mit der σ-Stetigkeit, die auch fur beliebige

Maße gilt,

α

f dµ = α

n∑

i=1

ai µ(Ai) = α limn→∞

n∑

i=1

ai µ(Ai∩Bn) = α limn→∞

f 1Bndµ ≤ sup

n∈N ∫ gn dµ.

Da α < 1 beliebig ist, folgt die Behauptung. 2

2.2.5 Folgerung

Seien (fn)n∈N und (gn)n∈N zwei Folgen von isotonen Elementarfunktionen. Dann gilt

supn∈N fn = sup

n∈N gn ⇒ supn∈N ∫ fn dµ = sup

n∈N ∫ gn dµ.

Beweis

Wegen fm ≤ supn∈N gn und gm ≤ supn∈N fn folgt aus Lemma 2.2.4∫

fm dµ ≤ supn∈N ∫ gn dµ und

gm dµ ≤ supn∈N ∫ fn dµ

fur alle m ∈ N. 2

2.2.6 Definition (Maß-Integral fur nichtnegative Funktionen)

Sei f : Ω → [0,∞) eine A -B-messbare Funktion und sei (fn)n∈N eine isotone Folge von

Elementarfunktionen mit supn∈N fn = f . Dann wird die Zahl∫

f(ω) µ(dω) :=

f dµ := supn∈N ∫ fn dµ,

welche nach Folgerung 2.2.5 unabhangig von der speziellen Darstellung mittels (fn)n∈Nist, das (µ)-Integral von f (uber Ω) genannt.

2.2.7 Definition (Maß-Integral)

Sei f : Ω→ R eine A -B-messbare Funktion.

(i) Dann heißt f+ := supf, 0 der Positiv- und f− := − inff, 0 der Negativteil

von f .

(ii) Sind∫

f+ dµ und∫

f− dµ endlich, so heißt∫

f(ω) µ(dω) :=

f dµ :=

f+ dµ−∫

f− dµ

das (µ)-Integral von f (uber Ω) und f (µ-)integrierbar.

2.2.8 Bemerkung

Nach Satz 2.1.6 sind mit f und fn auch supf, 0, − inff, 0, supn∈N fn, lim infn→∞ fn

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2.2 Das Maß-Integral

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

22

A -B-messbare, nichtnegative Funktionen. Damit existieren die Integrale von diesen Funk-

tionen und die Definition 2.2.7 sowie die Aussagen von Satz 2.3.1 und Satz 2.3.2 machen

Sinn.

2.2.9 Definition

Sei (Ω, A , µ) ein Maßraum und f, g : Ω → R messbar. Dann gilt f = g (f ≥ g) µ-fast

uberall (µ-f.u.) :⇐⇒ Es gibt N ∈ A mit µ(N) = 0, so dass fur alle ω ∈ Ω \ N gilt

f(ω) = g(ω) (f(ω) ≥ g(ω)).

2.2.10 Satz (Eigenschaften des µ-Integrals)

Sei (Ω, A , µ) ein Maßraum.

a) Seien f, g µ-integrierbare Funktionen und α ∈ [0,∞). Dann gilt:

(i)∫

(α f) dµ = α∫

f dµ.

(ii)∫

(f + g) dµ =∫

f dµ +∫

g dµ.

(iii) f ≥ g =⇒∫

f dµ ≥∫

g dµ.

(iv) |∫

f dµ| ≤∫

|f | dµ =∫

f+ dµ +∫

f− dµ.

b) Sei f : Ω→ R messbar. Dann gilt:

(i) f : Ω→ [0,∞]: f = 0 µ-f.u. ⇐⇒∫

fdµ = 0.

(ii) f ≥ 0 µ-f.u. ⇐⇒∫

Af dµ ≥ 0 ∀A ∈ A .

(iii) f = 0 µ-f.u. ⇐⇒∫

Af dµ = 0 ∀A ∈ A .

c) Seien f, g : Ω→ R messbar und |∫

fdµ| <∞. Dann gilt:

(i) f ≥ g µ-f.u. ⇐⇒∫

Af dµ ≥

Ag dµ ∀A ∈ A .

(ii) f = g µ-f.u. ⇐⇒∫

Af dµ =

Ag dµ ∀A ∈ A .

(iii) µ(f =∞) = µ(f = −∞) = 0.

2.2.1 Ubungsaufgabe

Sei f : Ω→ [0,∞] messbar und

fN(ω) =

k−12N , falls k−1

2N ≤ f(ω) < k2N fur k = 1, 2, . . . , 2N ,

N, falls f(ω) ≥ N.

Zeigen Sie, daß die Funktionen fN Treppenfunktionen sind, fur die limN→∞ fN(ω) = f(ω)

und fN(ω) ≤ fN+1(ω) fur alle ω ∈ Ω und N ∈ N gilt. Zeigen Sie auch, daß fN gleichmaßig

gegen f konvergiert, falls f beschrankt ist.

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2.2 Das Maß-Integral

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

23

2.2.2 Ubungsaufgabe

Sei (Ω,A, µ) ein Maßraum, f messbar und X ⊂ R abzahlbar mit der Eigenschaft µ(f /∈X) = 0, (d.h. f nimmt

”im wesentlichen“ nur die abzahlbar vielen Werte aus X an).

Zeigen Sie, daß∫

f dµ =∑

x∈X xµ(f = x) gilt.

2.2.3 Ubungsaufgabe

Betrachten Sie den Maßraum (N, P(N), µ), wobei µ das Zahlmaß ist, d.h. µ(A) = ♯(A).

Bestimmen Sie∫

fdµ fur folgende Funktionen f : R→ R:

f(x) = 1[−10,10](x), f(x) = (2− x) 1[0,4](x), f(x) =1

2x.

2.2.4 Ubungsaufgabe (Fortsetzung von Ubungsaufgabe 2.1.3)

Sei Ω = R, A =

A ⊂ Ω; A ist abzahlbar oder A ist abzahlbar

und µ : A → 0, 1gegeben durch

µ(A) =

0, falls A abzahlbar ist,

1, falls A abzahlbar ist.

Was ist das µ-Integral∫

f dµ einer A -B-messbaren Funktion f : Ω→ R?

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2.3 Konvergenz von Maß-Integralen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

24

2.3 Konvergenz von Maß-Integralen

2.3.1 Satz (Satz von der monotonen Konvergenz (B. Levi))

Fur jede isotone Folge (fn)n∈N von A -B-messbaren Funktionen fn : Ω→ [0,∞) gilt

supn∈N fn dµ = sup

n∈N ∫ fn dµ.

Beweis

Wir setzen f = supn∈N fn. Zu jedem fn gibt es eine isotone Folge (gnm)m∈N von Elemen-

tarfunktionen mit fn = supm∈N gnm. Sei

vm = supg1m, . . . , gmm.

Dann ist wegen der Isotonie der (gnm)m∈N die Folge (vm)m∈N eine isotone Folge von Ele-

mentarfunktion mit vm ≤ supf1, . . . , fm ≤ fm ≤ f , da (fn)n∈N isoton ist. Also gilt

supm∈N vm ≤ f . Fur alle m ≥ n hat man aber auch gnm ≤ vm und somit

fn = supm∈N gnm ≤ sup

m∈N vm

fur alle n ∈ N und somit

f = supn∈N fn ≤ sup

m∈N vm.

Also gilt f = supm∈N vm und somit

f dµ = supm∈N ∫ vm dµ.

Wegen vm ≤ fm = supk∈N gmk folgt mit Lemma 2.2.4∫

vm dµ ≤ supk∈N ∫ gmk dµ =∫

fm dµ fur jedes m ∈ N und somit

f dµ = supm∈N ∫ vm dµ ≤ sup

m∈N ∫ fm dµ.

Umgekehrt gilt aber auch gnm ≤ fn ≤ f = supm∈N vm und somit mit Lemma 2.2.4∫

gnm dµ ≤ supm∈N ∫ vm dµ =∫

f dµ, woraus

supn∈N ∫ fn dµ = sup

n∈N supm∈N ∫ gnm dµ ≤

f dµ

folgt. 2

2.3.2 Satz (Lemma von Fatou)

Fur jede Folge (fn)n∈N von A -B-messbaren Funktionen fn : Ω→ [0,∞) gilt

lim infn→∞

fn dµ ≤ lim infn→∞

fn dµ.

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2.3 Konvergenz von Maß-Integralen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

25

2.3.3 Definition

Sei (Ω, A , µ) eine Maßraum und fn, n ∈ N, messbar. Die Funktionenfolge (fn)n∈N heißt

µ-f.u. konvergent, falls es ein messbares f und N ∈ A mit µ(N) = 0 gibt, so dass

limn→∞ fn(ω) = f(ω) fur alle ω /∈ N gilt.

2.3.4 Satz (Satz von der majorisierten (dominierten) Konvergenz (H. Lebesgue))

Sei (fn)n∈N eine µ-f.u. konvergente Folge von messbaren Funktionen. Existiert eine inte-

grierbare Funktion g : Ω → [0,∞) mit |∫

gdµ| < ∞ und |fn| ≤ g fur alle n ∈ N, so

gilt

limn→∞

fn dµ =

limn→∞

fn dµ.

2.3.1 Ubungsaufgabe

(i) Seien fn : Ω → [0,∞] fur n ∈ N meßbar. Zeigen Sie, dass∫

(∑∞

n=1 fn) dµ =∑∞

n=1

fndµ gilt.

(ii) Let (fn)n∈N be a sequence of measurable functions. Show: If∑∞

n=1

|fn| dµ <∞,

then gN :=∑N

n=1 fn converges almost everywhere and∫

(∑∞

n=1 fn) dµ =∑∞

n=1

fndµ.

2.3.2 Ubungsaufgabe

Geben Sie ein Beispiel fur eine Folge (fn)n∈N mit∫

|fn| dµ < ∞ fur n ∈ N an, die fast

uberall gegen eine Funktion f mit∫

|f | dµ <∞ konvergiert und fur die limn→∞∫

fn dµ 6=∫

f dµ gilt.

2.3.3 Ubungsaufgabe

Sei fn, n ∈ N, meßbar und µ-f.u. konvergent gegen f : Ω→ R und p > 0. Zeigen Sie, dass

limn→∞∫

|fn − f |p dµ = 0 gilt, falls ein g : Ω → R existiert. sodass∫

|g|p dµ < ∞ und

|fn| ≤ g fur alle n ∈ N gilt.

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2.4 Weitere Eigenschaften des Maß-Integrals

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

26

2.4 Weitere Eigenschaften des Maß-Integrals

2.4.1 Definition

Ist (Ω, A , µ) ein Maßraum und T : Ω→ Ω′ A -A ′-messbar, so heißt

µT : A′ ∋ A′ −→ µT (A′) := µ(T−1(A′)) ∈ R

das Bildmaß von µ unter T .

2.4.2 Satz (Transformationssatz fur Integrale)

Sei µ ein Maß auf (Ω, A ), T : Ω→ Ω′ eine A -A ′-messbare Funktion und µT das Bildmaß

von µ unter T .

(i) Ist f : Ω′ → [0,∞) eine A ′-B-messbare Funktion, dann gilt∫

f dµT =

f(t) µT (dt) =

f(T (ω)) µ(dω) =

f T dµ.

(ii) f ist µT -integrierbar genau dann, wenn f T µ-integrierbar ist. In diesem Fall gilt∫

f dµT =∫

f T dµ.

Beweis

(i) Wir zeigen zuerst den Beweis fur Elementarfunktionen. Sei f eine Elementarfunktion.

Dann gilt f =∑n

i=1 ai1A′imit ai ∈ [0,∞), A′

i ∈ A ′ fur i = 1, . . . , n. Dann gilt

f T (ω) =

n∑

i=1

ai 1A′i(T (ω)) =

n∑

i=1

ai 1T−1(A′i)(ω)

und somit

f T dµ =

n∑

i=1

ai µ(T−1(A′i)) =

n∑

i=1

ai µT (A′i) =

f dµT .

Sei nun f eine nichtnegative A ′-B-messbare Funktion. Dann gibt es eine isotone Folge

(fn)n∈N von Elementarfunktionen mit f = supn∈N fn. Dann ist aber auch (fn T )n∈N eine

isotone Folge von Elementarfunktionen mit f T = supn∈N fn T . Damit gilt

f T dµ = supn∈N ∫ fn T dµ = sup

n∈N ∫ fn dµT =

f dµT .

Fur beliebiges messbares f folgt die Behauptung aus der Zerlegung von f in f+ und f−.

(ii) f ist µT -integrierbar

⇐⇒∫

f+ dµT =∫

f+ T dµ <∞ und∫

f− dµT =∫

f− T dµ <∞⇐⇒f T ist µ-integrierbar. 2

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2.4 Weitere Eigenschaften des Maß-Integrals

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

27

2.4.3 Definition

Sei (Ω, A , µ) ein Maßraum.

a) f :→ R ist eine µ-fast uberall definierte Funktion :⇐⇒ es gibt N ∈ A mit µ(N) = 0

so, dass f eindeutig auf Ω \N erklart ist.

b) f :→ R ist eine µ-fast messbare Funktion :⇐⇒ es gibt N ∈ A mit µ(N) = 0 so, dass

f · 1Nc messbar ist.

c) Eine µ-fast messbare Funktion f heißt µ-integrierbar :⇐⇒ es gibt N ∈ A mit µ(N) = 0

so, dass f · 1Nc messbar ist und∫

f+ · 1Nc dµ <∞ oder∫

f− · 1Nc dµ <∞ gilt.

2.4.4 Satz (Riemann- und Lebesgue-Integrierbarkeit)

(i) Sei f : R→ R eine B-B-messbare Funktion. Ist f auf [a, b] Riemann-integrierbar, also

insbesondere auf [a, b] beschrankt, so ist f auf [a, b] Lebesgue-integrierbar, d.h. f 1[a,b] ist

λ-integrierbar, wobei λ das Lebesgue-Maß ist, und es gilt∫ b

a

f(x) dx =

f(x) 1[a,b](x) λ(dx) =

f 1[a,b] dλ.

(ii) Sei f : R → [0,∞) eine B-B-messbare Funktion, die auf jedem kompakten Inter-

vall Riemann-integrierbar ist. Dann ist f Lebesgue-integrierbar genau dann, wenn das

uneigentliche Riemann-Integral existiert. In diesem Fall gilt

lima↓−∞, b↑∞

∫ b

a

f(x) dx =

∫ ∞

−∞f(x) dx =

f(x) λ(dx) =

f dλ.

2.4.1 Ubungsaufgabe

Sei Ω = N, A = P(N) und µ das Zahlmaß auf (N, P(N)), d.h. µ(A) = ♯A fur alle

A ∈P(N). Sei T : N→ R durch T (n) = 1n

gegeben. Bestimmen Sie µT und∫

x2µT (dx).

2.4.2 Ubungsaufgabe

Zeigen Sie: Ist (Ω, A , µ) ein Maßraum, T : Ω→ Ω′ A −A ′ messbar, f : Ω′ → R messbar,

dann gilt fur alle B ∈ B1∫

T−1(B)

f Tdµ =

B

fdµT .

2.4.3 Ubungsaufgabe

Geben Sie eine beschrankte Funktion f : [a, b] → R an, die Lebesgue-integrierbar bzgl.

des Lebesgue-Maßes λ ist und die nicht Riemann-integrierbar ist.

2.4.4 Ubungsaufgabe

Sei f : [π,∞] → R gegeben durch f(x) = sin(x)x

. Zeigen Sie, dass f Riemann-integrierbar

aber nicht Lebesgue-integrierbar bzgl. des Lebesgue-Maßes λ ist. Hinweis: Man schatze∫ nπ+π

nπsin(x)

xdx ab.

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2.5 Lebesgue’sche Raume

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

28

2.5 Lebesgue’sche Raume

2.5.1 Definition

Sei (Ω, A , µ) ein Maßraum und p ∈ (0,∞). Dann heißt

Lp := Lp(µ) := Lp(Ω, A , µ) :=

f : Ω→ R messbar;

|f |pdµ <∞

Lebsgue’scher Raum aller p-fach endlich integrierbaren Funktionen auf (Ω, A , µ).

2.5.2 Satz (Holder-und Minkowski-Ungleichung)

Seien f, g : Ω→ R A -B-messbare Funktionen.

(i) Ist 1 < p <∞ und q definiert durch 1p

+ 1q

= 1, dann gilt∫

|f · g| dµ ≤ (∫

|f |p dµ)1/p · (∫

|g|q dµ)1/q (Holder-Ungleichung).

(ii) Ist 1 ≤ p <∞ und ist f + g definiert, dann gilt

(∫

|f + g| dµ)1/p ≤ (∫

|f |p dµ)1/p + (∫

|g|p dµ)1/p (Minkowski-Ungleichung).

2.5.3 Definition

Sei (Ω, A , µ) ein Maßraum.

a) Ist f mesbar, so heißt ess − sup f := inf

x ∈ ℜ; µ(f > x) = 0

das wesentliche

(essentielle) Supremum von f bzgl. µ.

b) L∞ := L∞(µ) := L∞(Ω, A , µ) :=

f : Ω→ R messbar; ess − sup |f | <∞

heißt der

Raum der im wesentlichen beschrankten Funktionen.

2.5.4 Definition

Das System der Aquivalenzklassen in Lp(Ω, A , µ), 1 ≤ p ≤ ∞, dass durch die Relation

f ∼ g ⇐⇒ f = g µ-f.u. gegeben ist, wird mit Lp(Ω, A , µ) (bzw. Lp(µ), Lp) bezeichnet.

Eine Aquivalenzklasse wird mit f bezeichnet, falls f in der Klasse liegt.

2.5.5 Folgerung

a) Sei (Ω, A , µ) ein Maßraum und 1 ≤ p ≤ ∞. Durch

‖ · ‖p : Lp ∋ f −→ ‖f‖p :=

(∫

|f |pdµ

)1/p

bzw.

‖ · ‖∞ : Lp ∋ f −→ ‖f‖∞ := ess− sup |f |

wird eine Norm auf Lp bzw. L∞ definiert.

b) Sind f, g : Ω→ R A -B-messbare Funktionen, so gilt∫

|f · g| dµ ≤ ‖f‖2 ‖g‖2 (Cauchy-Schwarzsche Ungleichung).

c) Ist µ(Ω) <∞ und 0 < p < q ≤ ∞, dann gilt Lq ⊂ Lp.

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2.5 Lebesgue’sche Raume

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

29

2.5.1 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie:

a) f = g µ-f.u. ⇒ ‖f‖p = ‖g‖p fur alle 1 ≤ p ≤ ∞.

b) ‖f + g‖∞ ≤ ‖f‖∞ + ‖g‖∞.

c) ‖f · g‖1 ≤ ‖f‖1 · ‖g‖∞.

d) Folgerung 2.5.5 a) und c).

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3.0 Zerlegung und Darstellung signierter Maße

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

30

3 Zerlegung und Darstellung signierter Maße

3.1 Maß mit Dichte

3.1.1 Satz

Fur jede A -B-messbare Funktion f : Ω → [0,∞) und fur jedes Maß µ auf (Ω, A ) wird

durch

ν(A) :=

A

f dµ =

f 1A dµ

ein Maß auf (Ω, A ) definiert.

Beweis

Es ist ν(∅) = 0 und ν ≥ 0. Fur jede Folge (An)n∈N paarweiser disjunkter Mengen aus A

mit A =⋃∞

n=1 An gilt

f 1A =

∞∑

n=1

f 1An= sup

N∈N N∑

n=1

f 1An=: sup

N∈N fN .

Dabei ist (fN)N∈N eine isotone Folge von messbaren, nichtnegativen Funktionen. Nach

dem Satz 2.3.1 der monotonen Konvergenz und Satz 2.2.10 folgt

ν(A) =

∫ ∞∑

n=1

f 1Andµ =

supN∈N fN dµ = sup

N∈N ∫ fN dµ = supN∈N ∫ N

n=1

f 1Andµ

= supN∈N N

n=1

f 1Andµ =

∞∑

n=1

ν(An).

Also ist ν ein Maß. 2

3.1.2 Definition (Maß mit Dichte)

Ist f : Ω → [0,∞) eine A -B-messbare Funktion und µ ein Maß auf (Ω, A ), so wird

das durch ν(A) :=∫

Af dµ =

f 1A dµ gegebene Maß mit ν = f µ (oder dν = f dµ)

bezeichnet und f die Dichte von ν bezuglich µ (kurz µ-Dichte) genannt.

3.1.3 Satz (Integral bezuglich eines Maßes mit Dichte)

Sei f die Dichte von ν bezuglich µ.

(i) Ist ϕ : Ω→ [0,∞) eine A -B-messbare Funktion. Dann gilt

ϕ dν =

ϕ · f dµ.

(ii) ϕ ist genau dann ν-integrierbar, wenn ϕ · f µ-integrierbar ist.

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3.1 Maß mit Dichte

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

31

Beweis

(i) Sei ϕ =∑n

i=1 ai 1Aieine Elementarfunktion. Dann gilt mit Satz 2.2.10

ϕ dν =n∑

i=1

ai ν(Ai) =n∑

i=1

ai

f 1Aidµ =

ϕ f dµ.

Sei nun ϕ eine beliebige nichtnegative A -B-messbare Funktion. Dann gibt es eine isotone

Folge (ϕn)n∈N von Elementarfunktionen mit ϕ = supn∈N ϕn. Dann ist aber auch (ϕn ·f)n∈Neine isotone Folge von messbaren, nichtnegativen Funktionen mit ϕ · f = supn∈N ϕn · f .

Mit dem Satz 2.3.1 von der monotonen Konvergenz gilt∫

ϕ dν =

supn∈N ϕn dν = sup

n∈N ∫ ϕn dν = supn∈N ∫ ϕn · f dµ =

supn∈N ϕn · f dµ =

ϕ · f dµ.

(ii) ϕ ist ν-integrierbar

⇐⇒∫

ϕ+ dν =∫

ϕ+ · f dµ <∞ und∫

ϕ− dν =∫

ϕ− · f dµ <∞⇐⇒ϕ · f ist µ-integrierbar. 2

3.1.1 Ubungsaufgabe

Betrachte den Maßraum (R, B1, λ), wobei λ das Lebesgue-Maß ist. Fur welche der fol-

genden f : R → [0,∞) und unter welchen Bedingungen an a, b ∈ R ist ν = f λ ein ein

Wahrscheinlichkeitsmaß:

f(x) = 1[a,b](x), f(x) = a x 1[0,b](x), f(x) =a

x1[b,∞], f(x) = ae−bx, f(x) = a e−b|x|.

3.1.2 Ubungsaufgabe

Betrachte den Maßraum (N, P(N), µ), wobei µ das Zahlmaß ist, d.h. µ(A) = ♯(A). Fur

welche der folgenden f : R → [0,∞) und unter welchen Bedingungen an a, b ∈ R ist

ν = f µ ein Wahrscheinlichkeitsmaß:

f(x) = a 1[0,b](x), f(x) = a x 1[0,b](x), f(x) =a

x1[b,∞], f(x) =

a

2x1[b,∞].

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3.2 Signierte Maße

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

32

3.2 Signierte Maße

Ist (Ω, A , µ) ein Maßraum und f : Ω→ R messbar, so werden durch∫

f+dµ und∫

f−dµ

Maße auf (Ω, A ) definiert, aber∫

fdµ ist in der Regel kein Maß. Es ist aber ein soge-

nanntes signiertes Maß.

3.2.1 Definition

Ist (Ω, A ) ein messbarer Raum, dann heißt η signiertes Maß auf A :←→(i) η : A → (−∞,∞] oder η : A → [−∞,∞),

(ii) η(∅) = 0,

(iii) η ist σ-additiv auf A , d.h. fur alle paarweise disjunkten A1, A2, . . . ∈ A gilt η (⋃∞

i=1 Ai) =∑∞

i=1 η(Ai).

3.2.2 Definition

Ist η signiertes Maß auf (Ω, A ), dann nennt man:

a) A ∈ A η-negative :⇐⇒ η(A′) ≤ 0 fur alle A′ ⊂ A, A′ ∈ A ,

A ∈ A η-positive :⇐⇒ η(A′) ≥ 0 fur alle A′ ⊂ A, A′ ∈ A ,

b) Ω+, Ω− eine Hahn-Zerlegung von Ω bzgl. η :⇐⇒(i) Ω+ is η-positive und Ω− is η-negativ,

(ii) Ω+ ∩ Ω− = ∅ und Ω+ ∪ Ω− = Ω.

3.2.3 Satz (Existenz un Eindeutigkeit der Hahn-Zerlegung∗)

a) Fur jedes signierte Maß η existiert eine Hahn-Zerlegung von Ω bzgl. η.

b) Hahn-Zerlegungen von Ω bzgl. η unterscheiden sich hochstens durch η-Nullmengen,d.h.

sind Ω+i , Ω−

i , i = 1, 2, zwei Hahn-Zerlegungen von Ω bzgl. η, dann ist

η((Ω+1 \ Ω+

2 ) ∪ (Ω+2 \ Ω+

1 )) = 0 = η((Ω−1 \ Ω−

2 ) ∪ (Ω−2 \ Ω−

1 )).

3.2.4 Folgerung

a) Jedes signierte Maß η besitzt eine Jordan-Zerlegung, d.h. es lasst sich eindeutig als

η = η+ − η− darstellen mit

η+ : A ∋ A→ η+(A) := η(A ∩ Ω+) ∈ R+,

η− : A ∋ A→ η−(A) := −η(A ∩ Ω−) ∈ R+,

wobei η+ und η− Maße auf (Ω, A ) sind, wovon mindestens eins endlich ist.

b) Die absolute Variation |η| := η+ + η− ist auch ein Maß (Ω, A ).

c) L1(Ω, A , |η|) = L1(Ω, A , η+) ∩ L1(Ω, A , η−).

3.2.5 Definition (Integral bzgl eines signierten Maßes)

Sei η ein signiertes Maß und f ∈ L1(Ω, A , |η|). Das η-Integral von f bzgl. η wird dann

als∫

fdη =∫

fdη+ −∫

fdη− definiert.

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3.2 Signierte Maße

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

33

3.2.6 Definition (Signiertes Maß mit Dichte)

Ist µ ein Maß und f : Ω → R µ-integrierbar, so wird das durch η(A) :=∫

Af dµ =

f 1A dµ gegebene signierte Maß wieder mit η = f µ (bzw. dη = f dµ) bezeichnet und f

die Dichte von η bezuglich µ (kurz µ-Dichte) genannt.

3.2.7 Lemma

Ist µ ein Maß und f : Ω→ R µ-integrierbar, so gilt fur η = f µ:

a) η+ = f+ µ und η− = f− µ,

b) fur alle A ∈ A mit µ(A) = 0 gilt η(A) = 0 .

3.2.8 Definition

Ein signiertes Maß η heißt total-stetig (eigentlich nichtsingular) bzgl. eines Maßes µ, oder

kurz µ-stetig, in Zeichen η << µ :⇐⇒ fur alle A ∈ A mit µ(A) = 0 gilt η(A) = 0.

3.2.9 Bemerkung

Ist η total-stetig bzgl. µ, so sagt man auch: µ dominiert η bzw. η ist ein von µ dominiertes

signiertes Maß.

3.2.10 Satz (Satz von Radon-Nikodym∗)

Ist η ein signiertes Maß, das total-stetig bzgl. eines σ-endlichen Maßes µ ist, dann existiert

eine µ-Dichte f von η, d.h.

η << µ =⇒ ∃ f µ-integrierbar mit η = f µ.

3.2.1 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie Folgerung 3.2.4.

3.2.2 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie Lemma 3.2.7.

3.2.3 Ubungsaufgabe

Betrachten Sie den Maßraum (N, P(N), µ), wobei µ das Zahlmaß ist, d.h. µ(A) = ♯(A).

Sei f : R → R durch f(x) = (−2)−x gegeben und η = f µ. Bestimmen Sie die die Hahn-

Zerlegung von N bzgl. η, die Jordan-Zerlegung von η und die totale Variation ‖η‖ :=

|η|(N) = η+(N) + η−(N) von η.

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4.0 Maße auf Produktraumen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

34

4 Maße auf Produktraumen

4.1 Maße auf endlichen Produktraumen

4.1.1 Bemerkung (Motivation fur Produktmaße)

Das Lebesgue-Maß λp auf (Rp, Bp) kann auch uber die eindimensionalen Lebesgue-Maße

λ auf (R, B) gewonnen werden. Dazu muss man ausnutzen, dass Rp = R × . . . × R

ein Produktraum ist. Mit den σ-Algebren B uber R kann eine “Produkt-σ-Algebra“⊗p

i=1 B = B ⊗ . . .⊗B uber Rp erzeugt werden, wenn man folgenden Erzeuger benutzt

Epp = B1 × . . .×Bp; Bi ∈ B, i = 1, . . . , p

Da (a, b] = (a1, b1] × . . . × (ap, bp] ∈ E pp fur jedes (a, b] ∈ E 2

p = (a, b]; a, b ∈ R, a ≤ bgilt, folgt sofort Bp ⊂

⊗pi=1 B. Da aber in σ(E 2

p ) = Bp auch alle Mengen der Form

B1 × . . .×Bp mit Bi ∈ B fur i = 1, . . . , p liegen, folgt auch⊗p

i=1 B ⊂ Bp. Damit ist die

Produkt-σ-Algebra⊗p

i=1 B mit der Borel-σ-Algebra Bp identisch.

Sei η : E pp → R gegeben durch

η(B) = η(B1 × . . .× Bp) = λ(B1) · . . . · λ(Bp) =

p∏

i=1

λ(Bi).

Die Frage ist nun, ob η sich zu einem Maß auf⊗p

i=1 B = Bp fortsetzen lasst. Ist das der

Fall, so muss η das Lebesgue-Maß λp sein, denn es stimmt mit diesem auf E 2p uberein.

Insbesondere wurde man dann fur das Lebesgue-Maß λp die Eigenschaft λp(B1×. . .×Bp) =∏p

i=1 λ(Bi) fur alle B1, . . . , Bp ∈ B erhalten.

Leider ist aber E pp kein Ring und damit η kein Pramaß auf einem Ring. Damit kann

der Fortsetzungssatz 1.4.8 nicht darauf angewendet werden. Es gibt aber einen anderen

Fortsetzungsatz, der fur allgemeine Produktraume gilt.

4.1.2 Definition (Endlicher Produktraum)

Seien (Ωi, Ai) messbare Raume und Ω =∏p

i=1 Ωi = Ω1× . . .×Ωp die Produktmenge. Die

von

Ep = A1 × . . .× Ap; Ai ∈ Ai, i = 1, . . . , p

erzeugte σ-Algebra⊗p

i=1 Ai = A1 ⊗ . . . ⊗ Ap heißt Produkt-σ-Algebra uber∏p

i=1 Ωi

und (∏p

i=1 Ωi,⊗p

i=1 Ai) endlicher Produktraum.

4.1.3 Definition

Ist (Ω1 × Ω2, A1 ⊗A2) ein Produktraum, ω1 ∈ Ω1, A ∈ A1 ⊗A2, dann heißt

A(ω1) := ω2 ∈ Ω2; (ω1, ω2) ∈ A

der Schnitt der Menge A in ω1.

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4.1 Maße auf endlichen Produktraumen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

35

4.1.4 Lemma

Sei (Ω1 × Ω2, A1 ⊗A2) ein Produktraum. Dann gilt:

a) A(ω1); A ∈ A1 ⊗ A2, ω1 ∈ Ω1 = A1, d.h. insbesondere A(ω1) ∈ A2 fur alle

A ∈ A1 ⊗A2, ω1 ∈ Ω1.

b) Ist f : Ω1 × Ω2 → R messbar und ω1 ∈ Ω1, dann ist

f(ω1, ·) : Ω2 ∋ ω2 −→ f(ω1, ω2) ∈ R

messbar.

c) Die Koordinatenabbildung

proji : Ω1 × Ω2 ∋ (ω1, ω2) −→ proji(ω1, ω2) = ωi ∈ Ωi

ist A1 ⊗A2 −Ai messbar fur i = 1, 2.

4.1.5 Definition

a) κ : A2 × Ω1 ∋ (A2, ω1) → κ(A2, ω1) ∈ [0,∞] heißt Maß-Kern von (Ω1, A1) nach

(Ω2, A2) :⇐⇒(i) κ(·, ω1) : A1 → [0,∞] ist ein Maß auf A2 fur alle ω1 ∈ Ω1,

(ii) κ(A2, ·) : Ω1 → [0,∞] ist messbar fur alle A2 ∈ A2.

b) Ein Maß-Kern κ heißt Wahrscheinlichkeits-Kern oder Markoff’scher Kern :⇐⇒fur alle ω1 ∈ Ω1 ist κ(·, ω1) ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf A2.

c) Ein Maß-Kern κ heißt σ-endlich :⇐⇒ es gibt paarweise disjunkte A21, A22, . . . ∈ A2

mit⋃∞

n=1 A2n = Ω2 und k1, k2, . . . ∈ [0,∞), so dass κ(ω1, A2n) ≤ kn fur alle n ∈ N und

alle ω1 ∈ Ω1 gilt.

4.1.6 Lemma

Ist κ ein σ-endlicher Maß-Kern von (Ω1, A1) nach (Ω2, A2), dann ist κ(A(·), ·) : Ω1 →[0,∞] fur alle A ∈ A1 ⊗A2 messbar.

4.1.7 Satz

Ist κ ein σ-endlicher Maß-Kern von (Ω1, A1) nach (Ω2, A2) und µ ein σ-endliches Maß auf

A1, dann existiert genau ein Maß κ⊗ µ auf A1 ⊗A2 mit der Eigenschaft:

(i) κ⊗ µ(A1 × A2) =∫

A1κ(A2, ω1) µ(dω1) fur alle A1 ∈ A1, A2 ∈ A2.

Dieses Maß ist σ-endlich und es gilt:

(ii) κ⊗ µ(A) =∫

Ω1κ(A(ω1), ω1) µ(dω1) fur alle A ∈ A1 ⊗A2.

4.1.8 Folgerung

a) Ist κ ein σ-endliches Maß auf (Ω2, A2) und µ ein σ-endliches Maß auf (Ω1, A1), dann

gilt

κ⊗ µ(A1 × A2) = µ(A1) · κ(A2) fur alle A1 ∈ A1, A2 ∈ A2.

b) Seien µi σ-endliche Maße auf (Ωi, Ai) fur i = 1, . . . , p Dann gibt es genau ein Maß µ

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4.1 Maße auf endlichen Produktraumen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

36

auf (∏p

i=1 Ωi,⊗p

i=1 Ai) mit

µ(A1 × . . .×Ap) = µ1(A1) · . . . · µp(Ap)

fur alle Ai ∈ Ai, i = 1, . . . , p.

4.1.9 Definition

Sind µi σ-endliche Maße auf (Ωi, Ai), i = 1, . . . , p, und gilt µ(A1 × . . .× Ap) = µ1(A1) ·. . . · µp(Ap) fur alle Ai ∈ Ai, i = 1, . . . , p, dann heißt µ das Produktmaß von µ1 . . . µp

und man schreibt µ = µ1⊗ . . .⊗µp. Fur µ1 = . . . = µp =: µ schreibt man auch µp anstelle

von µ⊗ . . .⊗ µ.

4.1.10 Satz (Einfache Version des Satzes von Fubini)

Seien µ1 und µ2 Maße auf (Ω1, A1) und (Ω2, A2).

(i) Sei f1 : Ω1 → [0,∞) eine A1-B-messbare Funktion und f2 : Ω2 → [0,∞) eine A2-

B-messbare Funktion. Ist f : Ω1 × Ω2 ∋ (ω1, ω2) → f((ω1, ω2)) = f1(ω1) · f2(ω2) ∈[0,∞), so gilt

f d(µ1 ⊗ µ2) =

f1 dµ1 ·∫

f2 dµ2.

(ii) f : Ω × Ω ∋ (ω1, ω2) → f((ω1, ω2)) = f1(ω1) · f2(ω2) ∈ R ist µ1 ⊗ µ2-integrierbar

genau dann, wenn f1 µ1-integrierbar und f2 µ2-integrierbar ist.

Beweis

(i) Seien f1 =∑n

i=1 ai 1Aimit Ai ∈ A1 und f2 =

∑mj=1 bj 1Bj

mit Bj ∈ A2 Elementar-

funktionen. Dann ist

f = f1 · f2 =

n∑

i=1

m∑

j=1

ai bj 1Ai×Bj

auch eine Elementarfunktion. Da µ1 ⊗ µ2 ein Produktmaß ist, gilt µ1 ⊗ µ2(Ai × Bj) =

µ1(Ai) · µ2(Bj) und somit

f d(µ1 ⊗ µ2) =

n∑

i=1

m∑

j=1

ai bj µ1 ⊗ µ2(Ai × Bj) =

n∑

i=1

m∑

j=1

ai bj µ1(Ai) · µ2(Bj)

=n∑

i=1

ai µ1(Ai) ·m∑

j=1

bj µ2(Bj) =

f1 dµ1 ·∫

f2 dµ2.

Sind f1 und f2 beliebige messbare, nichtnegative Funktionen, dann gibt es isotone Folgen

(f1n)n∈N und (f2n)n∈N von Elementarfunktionen auf Ω1 bzw. Ω2 mit f1 = supn∈N f1n und

f2 = supn∈N f2n. Nach der obigen Betrachtung sind f1n · f2n, n ∈ N, Elementarfunktionen

auf Ω1 × Ω2 und (f1n · f2n)n∈N ist eine isotone Folge von Funktionen auf Ω1 × Ω2 mit

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4.1 Maße auf endlichen Produktraumen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

37

f1 · f2 = supn∈N f1n · f2n. Wegen der Isotonie folgt∫

f d(µ1 ⊗ µ2) = supn∈N ∫ f1n · f2n d(µ1 ⊗ µ2) = sup

n∈N (∫ f1n dµ1 ·∫

f2n dµ2

)

= supn∈N ∫ f1n dµ1 · sup

n∈N ∫ f2n dµ2 =

f1 dµ1 ·∫

f2 dµ2.

(ii) Es muss nur beachtet werden, dass f+ = (f1 · f2)+ = f+

1 · f+2 + f−

1 · f−2 und f− =

(f1 · f2)− = f+

1 · f−2 + f−

1 · f+2 ist. 2

4.1.11 Satz (Iterierte Integration)

Sei κ ein σ-endlicher Maß-Kern von (Ω1, A1) nach (Ω2, A2) und µ ein σ-endliches Maß

auf A1, dann gilt:

a) Ist f : Ω1×Ω2 → [0,∞] messbar, so ist∫

Ω2f(·, ω2) κ(dω2, ·) : Ω1 → [0,∞] messbar und

es gilt∫

fd(κ⊗ µ) =

Ω1

[∫

Ω2

f(ω1, ω2) κ(dω2, ω1)

]

µ(dω1).

b) Ist f : Ω1 × Ω2 → R κ ⊗ µ-integrierbar, so existiert∫

Ω2f(ω1, ω2) κ(dω2, ω1) fur µ-fast

alle ω1 und ist µ-integrierbar und es gilt∫

fd(κ⊗ µ) =

Ω1

[∫

Ω2

f(ω1, ω2) κ(dω2, ω1)

]

µ(dω1).

4.1.12 Satz

Seien µi σ-endliche Maße auf (Ωi, Ai), i = 1, 2. Ist f : Ω1 × Ω2 → R µ1 ⊗ µ2-integrierbar,

so gilt:

a)∫

Ω1f(ω1, ·)µ1(dω1) existiert µ2-f-u. und ist µ2-fast messbar,

b)∫

Ω2f(·, ω2)µ2(dω2) existiert µ1-f-u. und ist µ1-fast messbar,

c)∫

fd(µ1⊗µ2) =∫

Ω1

[

Ω2f(ω1, ω2) µ2(dω2)

]

µ1(dω1) =∫

Ω2

[

Ω1f(ω1, ω2) µ1(dω1)

]

µ2(dω2).

4.1.13 Satz

Seien κ ein σ-endliches Maß auf (Ω1, A1) und κj σ-endliche Maß-Kerne von(

∏j−1i=1 Ωi,

⊗j−1i=1 Ai

)

nach (Ωj , Aj) fur j = 2, . . . , p.

a) Dann existiert genau ein σ-endliches Maß κ1⊗ . . .⊗κp auf⊗p

i=1 Ai mit der Eigenschaft

κ1 ⊗ . . .⊗ κp(A1 × . . .× Ap)

=

A1

[

A2

. . .

[

Ap−1

[

Ap

κp(dωp, (ω1, . . . , ωp−1))

]

κp−1(dωp−1, (ω1, . . . , ωp−2))

]

. . .

κ2(dω2, ω1)] κ(dω1).

b) Ist κ1 ⊗ . . .⊗ κp-integrierbar, dann gilt∫

fd (κ1 ⊗ . . .⊗ κp)

=

∫ ∫

. . .

f(ω1, . . . , ωp)κp(dωp, (ω1, . . . , ωp−1)) . . . κ2(dω2, ω1)κ(dω1).

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4.1 Maße auf endlichen Produktraumen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

38

4.1.1 Ubungsaufgabe

Zeigen Sie, dass A∗ := A ∈ A1 ⊗A2; A(ω1) ∈ A2 fur alle ω1 ∈ Ω1 eine σ-Algebra ist.

4.1.2 Ubungsaufgabe

Let Ω1 = Ω2 = N, A1 = A2 = P(N), µ1 = µ2 be the counting measure, and

f : N× N ∋ (m, n)→ f(m, n) :=

1− 2−n, if m = n,

2−n − 1, if m = n + 1,

0, otherwise.

Show that the iterated integrals∫

Ω1

Ω2f dµ2 dµ1 and

Ω2

Ω1f dµ1 dµ2 exists but are

unequal. Why does this not contradict Fubini’s theorem?

4.1.3 Ubungsaufgabe

Sei Ω1 = Ω2 = R, A1 = A2 = B, λ das Lebesgue-Maß, µ das Zahlmaß auf R und

f : R× R → 0, 1 gegeben durch f(x, y) = 1x=y(x, y). Zeigen Sie, dass f messbar ist,

aber∫ ∫

f dµ dλ 6=∫ ∫

f dλ dµ gilt. Warum ist der Satz von Fubini nicht anwendbar?

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4.2 Faltung von Maßen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

39

4.2 Faltung von Maßen

4.2.1 Definition

Seien µ1, . . . , µn endliche Maße auf (Rp, Bp) und Tn : Rp × . . . × Rp ∋ (x1, . . . , xp) →T (x1, . . . , xn) = x1 + . . . + xn ∈ Rp. Dann wird

µ1 ∗ . . . ∗ µn = (µ1 ⊗ . . .⊗ µn)Tn

die Faltung (convolution) von µ1, . . . , µn genannt.

4.2.2 Satz (Eigenschaften der Faltung von Maßen)

Seien ν, µ1, . . . , µn endliche Maße auf (Rp, Bp) und α ∈ R+. Dann gilt:

a) µ1 ∗ . . . ∗ µn ∗ µn+1 = (µ1 ∗ . . . ∗ µn) ∗ µn+1.

b) f : Rp → R µ1 ∗ µ2-integrierbar =⇒∫

fd(µ1 ∗ µ2) =∫ ∫

f(x + y) µ1(dx) µ2(dx).

c) Fur B ∈ Bp gilt µ1 ∗ µ2(B) =∫

µ1(B − y)µ2(dy) =∫

µ2(B − x)µ1(dx), insbesondere

gilt µ1 ∗ µ2 = µ2 ∗ µ1 (dabei ist B − y := x ∈ Rp; x + y ∈ B).d) ν ∗ (µ1 + µ2) = ν ∗ µ1 + ν ∗ µ2.

e) µ1 ∗ (αµ2) = (αµ1) ∗ µ2 = α(µ1 ∗ µ2).

f) Besitzt µ1 eine λp-Dichte f1 (λp ist das Lebesgue-Maß auf (Rp, Bp)), so ist f(x) =∫

f1(x− y)µ2(dy) eine λp-Dichte von µ1 ∗ µ2.

g) Besitzt zusatzlich auch µ2 eine λp-Dichte f2 so ist f(x) =∫

f1(x − y) f2(y) λp(dy) =∫

f2(x− y) f1(y) λp(dy) eine λp-Dichte von µ1 ∗ µ2.

Beweis

a) Es gilt Tn+1 = T2 Vn+1 mit

Vn+1 : (Rp)n+1 ∋ (x1, . . . , xn+1)→ V (x1, . . . , xn+1) = (x1 + . . . + xn, xn+1) ∈ Rp × Rp.

Aus (µ1 ⊗ . . .⊗ µn+1)Vn+1 = (µ1 ⊗ . . .⊗ µn)Tn ⊗ µn+1 folgt

µ1∗. . .∗µn∗µn+1 = (µ1∗. . .∗µn∗µn+1)Tn+1 = ((µ1∗. . .∗µn∗µn+1)

Vn+1)T2 = (µ1∗. . .∗µn)∗µn+1.

b)-e) sind Ubungsaufgabe.

f) Sei W : Rp ×Rp ∋ (x1, x2)→W (x1, x2) = x1 − x2 ∈ Rp. Dann gilt λWp = λp und somit

mit dem Transformationssatz und dem Satz von Fubini

µ1 ∗ µ2(B) =

1Bd(µ1 ∗ µ2) =

∫ ∫

1B(x + y)µ1(dx)µ2(dy)

=

∫ ∫

1B(x + y)f1(x)λp(dx)µ2(dy) =

∫ ∫

1B(x + y)f1(x)λWp (dx)µ2(dy)

=

∫ ∫

1B(x)f1(x− y)λp(dx)µ2(dy) =

1B(x)

(∫

f1(x− y)µ2(dy)

)

λp(dx).

g) folgt sofort aus f). 2

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4.2 Faltung von Maßen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

40

4.2.3 Definition

Seien µ1, µ2 endliche Maße auf (Rp, Bp) mit λp-Dichten f1, f2. Dann wird die λp-Dichte

von µ1 ∗ µ2 mit f1 ∗ f2 bezeichnet, d.h.

f1 ∗ f2(x) =

f1(x− y) f2(y) λp(dy) =

f2(x− y) f1(y) λp(dy).

f1 ∗ f2 wird auch Faltung (convolution) von f1 und f2 genannt.

4.2.1 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie Satz 4.2.2 b)-e).

4.2.2 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie folgende Aussage: Sind ν1, ν2 endliche Maße mit Dichten f1, f2 bezuglich des

Zahlmaßes ν auf (Z, P(Z)), so hat µ1 ∗ µ2 die ν-Dichte f(x) =∫

f1(x− y) f2(y) ν(dy) =∫

f2(x− y) f1(y) ν(dy).

4.2.3 Ubungsaufgabe

Seien δa und δb Einpunktmaße (Dirac-Maße) auf a und b. Was ist δa ∗ δb?

4.2.4 Ubungsaufgabe

Sei πλ die Poisson-Verteilung auf (N0, P(N0)), d.h. µλ(n) = λne−λ

n!fur n ∈ N0 = N∪0.

Zeigen Sie, dass πλ1 ∗ πλ2 = πλ1+λ2 gilt.

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4.3 Maße auf unendlichen Produktraumen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

41

4.3 Maße auf unendlichen Produktraumen

4.3.1 Definition

Seien (Ωn, An), n ∈ N, messbare Raume und Ω =∏∞

n=1 Ωn = (ω1, ω2, . . .) = (ωn)n∈N; ωn ∈Ωn fur n ∈ N.a) Ist BN ⊂∏N

n=1 Ωn, dann heißt BN := ω ∈ Ω; (ω1, . . . , ωN) ∈ BN der Zylinder zur

Basis BN .

b) Ein Zylinder zur Basis BN wird messbar genannt, falls BN ∈⊗Nn=1 An gilt.

c) Ein Zylinder zur Basis BN wird (messbares) Rechteck genannt, falls BN = A1×. . .×AN

mit An ⊂ Ωn (An ∈ An) fur n = 1, . . .N gilt.

d) Die kleinste σ-Algebra uber Ω, die alle messbaren Zylinder enthalt, wird Produkt-σ-

Algebra von A1, A2, . . . genannt und mit⊗∞

n=1 An bezeichnet.

4.3.2 Satz ( Satz von Ionescu-Tulcea fur Wahrscheinlichkeitsmaße)

Seien Pn Wahrscheinlichkeitsmaße auf (Ωn, An) fur n ∈ N. Dann gibt es genau ein Wahr-

scheinlichkeitsmaß P auf (∏∞

n=1 Ωn,⊗∞

n=1 An) mit

P (A1 × . . .× AN ×∞∏

n=N+1

Ωi) = P1(A1) · . . . · PN(AN )

fur alle An ∈ An, n = 1, . . . , N und N ∈ N.

Beweis

Nach Satz 4.1.8 lasst sich P fur jedes N ∈ N eindeutig auf den messbaren Raum (A N ,∏∞

n=1 Ωn)

mit

AN = AN ×

∞∏

n=N+1

Ωn; AN ∈N⊗

n=1

An

fortsetzen. Insbesondere gilt P (∏∞

n=1 Ωn) = P (∏N

n=1 Ωn×∏∞

n=N+1 Ωn) = 1. Offensichtlich

ist

R∞ = AN ×

∞∏

n=N+1

Ωn; AN ∈N⊗

n=1

An, N ∈ N

eine Algebra uber∏∞

n=1 Ωn. P ist dann ein Pramaß auf dieser Algebra, denn fur disjunkte

(Bi ∈ R∞)i∈N mit⋃∞

i=1 Bi ∈ R∞ gibt es N ∈ N mit⋃∞

i=1 Bi ∈ A N und somit Bi ∈ A N

fur alle i ∈ N, woraus P (⋃∞

i=1 Bi) =∑∞

i=1 P (Bi) folgt. Nach Satz 1.4.8 lasst sich P auf

die von R∞ erzeugte σ-Algebra eindeutig fortsetzen. Die von R∞ erzeugte σ-Algebra ist

aber⊗∞

n=1 An, womit die Behauptung bewiesen ist. 2

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4.3 Maße auf unendlichen Produktraumen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

42

4.3.3 Satz ( Satz von Ionescu-Tulcea fur Wahrscheinlichkeits-Kerne)

Seien (Ωn, An), n ∈ N, messbare Raume, P1 Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Ω1, A1) und Pn,

n = 2, 3, . . ., Wahrscheinlichkeitskerne von(

∏N−1n=1 Ωn,

⊗N−1n=1 An

)

nach (ΩN , AN). Dann

gibt es genau ein Wahrscheinlichkeitsmaß P auf (∏∞

n=1 Ωn,⊗∞

n=1 An) mit

P (BN) = P1 ⊗ . . .⊗ PN(BN)

fur alle messbaren Zylinder BN zur Basis BN mit N ∈ N.

4.3.1 Ubungsaufgabe

Seien (Ω1,A1), . . . , (ΩN ,AN) messbare Raume. Zeigen Sie, dass A1 ⊗ . . .⊗AN = (A1 ⊗. . .⊗AN−1)⊗AN gilt. Was bedeutet das fur unendliche Produktraume?

4.3.2 Ubungsaufgabe

Sei R∞ der Raum der reellen Zahlenfolgen und B∞ :=⊗∞

n=1 B das Produkt der Borel-σ-

Algebren B auf R. Zeigen Sie, dass die Abbildung

f : R∞ ∋ (xn)n∈N =: x→ f(x) :=

∞, falls∑N

n=1 xn < 1 fur alle N,

minN ;∑N

n=1 xn ≥ 1, sonst,

B∞ − B-messbar ist.

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43

Teil II

Wahrscheinlichkeitstheorie

5 Bedingte Wahrscheinlichkeiten und Erwartungen

5.1 Bedingte Wahrscheinlichkeiten

5.1.1 Definition

Sei (Ω, A , P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum, X : Ω→ X A -C -messbar, T : Ω→ T A -D-

messbar und C ∈ C . PX|T∗ (C, ·) : T → R heißt Version der bedingten Wahrscheinlichkeit

von X ∈ C gegeben T :⇐⇒(i) P

X|T∗ (C, ·) ist D-B-messbar,

(ii) P (X ∈ C, T ∈ D) =∫

DP

X|T∗ (C, t) P T (dt) fur alle D ∈ D .

P∗(X ∈ C|T = t) := PX|T=t∗ (C) := P

X|T∗ (C, t) heißt Version der bedingten Wahrschein-

lichkeit von X ∈ C gegeben T = t.

5.1.2 Lemma

Seien PX|T∗1 (C, ·) und P

X|T∗2 (C, ·) zwei Versionen der bedingten Wahrscheinlichkeit von

X ∈ C gegeben T , dann gilt PX|T∗1 (C, ·) = P

X|T∗2 (C, ·) P T -f.u.

5.1.3 Lemma

Sei T1 : Ω → T1 A -D1-messbar und sei T2 : Ω → T2 A -D2-messbar. Sind PX|Ti∗ (C, ·)

Versionen der bedingten Wahrscheinlichkeit von X ∈ C gegeben Ti, i = 1, 2, und gilt

T−11 (D1) = T−1

2 (D2), dann gilt PX|T1∗ (C, T1(·)) = P

X|T2∗ (C, T2(·)) P -f.u.

5.1.4 Definition

Sei (Ω, A , P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum, X : Ω → X A -C -messbar, C ∈ C und A0

eine Unter-σ-Algebra von A . PX|A0∗ (C, ·) : Ω → R heißt Version der bedingten Wahr-

scheinlichkeit von X ∈ C gegeben A0 :⇐⇒(i) P

X|A0∗ (C, ·) ist A0-B-messbar,

(ii) P (X ∈ C ∩ A) =∫

AP

X|A0∗ (C, ω) P (dω) fur alle A ∈ A0.

5.1.5 Lemma (Faktorisierungslemma)

Sei T : Ω→ T A -D-messbar und Z : Ω→ R. Dann gilt:

Z ist T−1(D)-B-messbar ⇐⇒ es existiert eine D-B-messbare Abbildung f : T → R.

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5.1 Bedingte Wahrscheinlichkeiten

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

44

5.1.6 Satz (Existenz der Version der bedingten Wahrscheinlichkeit)

Sei (Ω, A , P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum, X : Ω → X A -C -messbar, und A0 eine

Unter-σ-Algebra von A .

a) Dann existiert fur alle C ∈ C eine Version PX|A0∗ (C, ·) der bedingten Wahrscheinlichkeit

von X ∈ C gegeben A0 und sie ist P -f.u. eindeutig.

b) Ist T : Ω → T A -D-messbar und A0 = T−1(D), dann existiert fur alle C ∈ C

eine Version PX|T∗ (C, ·) der bedingten Wahrscheinlichkeit von X ∈ C gegeben T mit der

Eigenschaft

P X|T∗ (C, T (·)) = P X|A0

∗ (C, ·).

5.1.7 Satz

a) Fur jedes C ∈ C gilt 0 ≤ PX|A0∗ (C, ·) ≤ 1 P -f.u.

b) Sind C1, C2, . . . ∈ C paarweise verschieden, dann gilt

PX|A0∗

(

⋃Nn=1 Cn, ·

)

=∑N

n=1 PX|A0∗ (Cn, ·) P -f.u.

c) Sind C1, C2, . . . ∈ C mit Cn ↑ C oder Cn ↓ C, dann gilt

limn→∞ PX|A0∗ (Cn, ·) = P

X|A0∗ (C, ·) P -f.u.

d) Sind C1, C2 ∈ C mit C1 ⊂ C2, dann gilt

PX|A0∗ (C1, ·) ≤ P

X|A0∗ (C2, ·) und P

X|A0∗ (C2 \C1, ·) = P

X|A0∗ (C2, ·)− P

X|A0∗ (C1, ·) P -f.u.

5.1.8 Definition

P X|A0 : C × Ω → [0, 1] heißt bedingte Wahrscheinlichkeitsverteilung von X gegeben A0

:⇐⇒(i) P X|A0(·, ω) ist Wahrscheinlichkeitsmaß fur alle ω ∈ Ω,

(ii) P X|A0(C, ·) = PX|A0∗ (C, ·) P -f.u. fur alle C ∈ C .

5.1.9 Definition

P X|T : C × T → [0, 1] heißt bedingte Wahrscheinlichkeitsverteilung von X gegeben T

:⇐⇒(i) P X|T (·, t) ist Wahrscheinlichkeitsmaß fur alle t ∈ T ,

(ii) P X|T (C, ·) = PX|T∗ (C, ·) P T -f.u. fur alle C ∈ C .

5.1.10 Definition

Ist X : Ω → R A -B-messbar, dann heißt F X|A0 : R × Ω → [0, 1] bedingte Verteilungs-

funktion von X gegeben A0 :⇐⇒(i) F X|A0(·, ω) ist Verteilungsfunktion fur alle ω ∈ Ω,

(ii) F X|A0(x, ·) = PX|A0∗ ((−∞, x], ·) P -f.u. fur alle x ∈ R.

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5.1 Bedingte Wahrscheinlichkeiten

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45

5.1.11 Lemma

Die bedingte Verteilungsfunktion F X|A0 existiert immer.

5.1.12 Satz

Ist X : Ω → R A -B-messbar, dann existiert die bedingte Wahrscheinlichkeitsverteilung

von X gegeben A0.

5.1.13 Satz

Ist X : Ω→ X A -C -messbar und gibt es C -B-messbares Ψ : X → R, so dass Ψ injektiv

ist, Ψ(X ) ∈ B und Ψ−1 : Ψ(X )→ X B\Ψ(X )-C -messbar ist, dann existiert die bedingte

Wahrscheinlichkeitsverteilung von X gegeben A0. Dabei ist B \Ψ(X ) die Spur-σ-Algebra

von B bzgl. Ψ(X ).

5.1.14 Satz (Existenz fur separable metrische Raume∗)

Sei X ein vollstandiger, separabler metrischer Raum und C die Borel-σ-Algebra uber X ,

d.h. die kleinste σ-Algebra, die alle offenen Teilmengen von X enthalt. Dann existiert ein

Ψ : X → R mit den Eigenschaften, wie sie in Satz 5.1.13 gefordert sind.

5.1.15 Bemerkung

Rp ist ein vollstandiger, separabler metrischer Raum, aber auch viele Funktionenraume

sind vollstandige, separable metrische Raume.

5.1.16 Folgerung

Sei X : Ω → X A -C -messbar und T : Ω → T A -D-messbar. Erfullt X die Vorausset-

zungen von Satz 5.1.14, dann existiert die bedingte Wahrscheinlichkeitsverteilung P X|T

von X gegeben T und es gilt

P (X,T ) = P X|T ⊗ P T .

5.1.1 Ubungsaufgabe (Mischungsverteilung)

Man nehme an, dass in einem Computer ein elektronisches Bauteil in 60% der Falle von

der Firma A, in 30% der Falle von der Firma B und in 10% von der Firma C stammt. Die

Lebensdauer des Bauteils der Firma A besitze eine Exponentialverteilung mit Parameter

λA, die der Firma B eine Exponentialverteilung mit Parameter λB und die der Firma C

eine Exponentialverteilung mit Parameter λC . Sei H die Zufallsvariable, die die Herkunft

des Bauteils angibt und L die Lebensdauer des Bauteils. Modellierung Sie die Verteilung

(L, H) mittels der bedingten Wahrscheinlichkeit.

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5.1 Bedingte Wahrscheinlichkeiten

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46

5.1.2 Ubungsaufgabe

Zeigen Sie:

a) X−1(C) ∈ A0 ⇒ PX|A0∗ (C, ·) = 1X−1(C)(·).

b) A0 = ∅, Ω ⇒ PX|A0∗ (C, ·) = P X(C) fur alle C ∈ C.

c) X, T unabhangig ⇒ PX|T∗ (C, ·) = P X(C) fur alle C ∈ C.

d) Satz von Bayes:

P (X ∈ C) > 0⇒ P (T ∈ D|X ∈ C) =

DP

X|T∗ (C, t) P T (dt)

ΩP

X|T∗ (C, t) P T (dt)

.

5.1.3 Ubungsaufgabe

Sei C, C1, C2, . . . ∈ C. Zeigen Sie:

a) PX|A0∗ (∅, ·) = 0 P-f.u.

b) PX|A0∗ (Ω, ·) = 1 P-f.u.

c) Cn ↑ C oder Cn ↓ C ⇒ limn→∞ PX|A0∗ (Cn, ·) = P

X|A0∗ (C, ·) P-f.u.

d) C1 ⊂ C2 ⇒ PX|A0∗ (C2/C1, ·) = P

X|A0∗ (C2, ·)− P

X|A0∗ (C1, ·) P-f.u.

5.1.4 Ubungsaufgabe

Geben Sie eine Version PX|A0∗ (·, ·) der bedingten Wahrscheinlichkeit von X gegeben A0

an, die keine bedingte Wahrscheinlichkeitsverteilung von X gegeben A0 ist.

5.1.5 Ubungsaufgabe

Sei X(ω) = ω fur alle ω ∈ Ω, P X|T=t = P X|T (·, t) die bedingte Verteilung von X gegeben

T = t und B := (T (ω), ω); ω ∈ Ω ∈ D ⊗A. Zeigen Sie, dass P X|T=t(T = t) = 1 gilt.

Hinweis: Betrachten Sie den Schnitt B(t).

5.1.6 Ubungsaufgabe

Suppose that X and Y are independent random variables, each with a distribution func-

tion F that is positive and continuous. Show that

1(−∞,x](m) +1

21(x,∞)(m)

F (x)

F (m)

is the conditional probability of X ≤ x given maxX, Y = m.

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5.2 Bedingte Dichten

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

47

5.2 Bedingte Dichten

5.2.1 Definition

Sei X : Ω → X A -C -messbar, T : Ω → T A -D-messbar, P X|T bedingte Wahr-

scheinlichkeitsverteilung von X gegeben T und µ ein Maß auf (X , C ). Eine Funktion

fX|T : X × T → R+

heißt bedingte µ-Dichte von X gegeben T , falls gilt:

(i) fX|T ist C ⊗D-B-messbar,

(ii) es existiert D ∈ D mit P T (D) = 0, so dass fX|T=t := fX|T (·, t) eine µ-Dichte von

P X|T=t = P X|T (·, t) fur alle t /∈ D ist.

5.2.2 Lemma

Eine Funktion f : X ×T → R+

ist genau dann eine bedingte µ-Dichte von X gegeben T ,

falls gilt:

(i) f ist C ⊗D-B-messbar,

(ii)∫

X f(x, ·)µ(dx) = 1 P T -f.u.,

(iii) P X,T (C ×D) =∫

D

Cf(x, t) µ(dx) P T (dt) fur alle C ∈ C , D ∈ D .

5.2.3 Satz

Seien X : Ω → X A -C -messbar, T : Ω → T A -D-messbar sowie µ1 und µ2 σ-endliche

Maße auf C bzw. D . Ist f eine µ1 ⊗ µ2-Dichte von P (X,T ), dann ist

fX|T : X × T ∋ (x, t)→ fX|T=t(x) :=

f(x,t)RX f(x,t) µ1(dx)

, falls∫

X f(x, t) µ1(dx) > 0,

0, sonst,

eine bedingte µ1-Dichte von X gegeben T .

5.2.1 Ubungsaufgabe

Seien X : Ω → X A -C -messbar, T : Ω → T A -D-messbar sowie µ1 und µ2 σ-endliche

Maße auf C bzw. D . Zeigen Sie: Ist fX|T eine bedingte µ1-Dichte von X gegeben T und

fT eine µ2-Dichte von P T , dann gilt

a) f gegeben durch f(x, t) = fX|T=t(x) fT (t) ist eine µ1 ⊗ µ2-Dichte von P (X,T ),

b) Formel von Bayes:

fT |X : T × X ∋ (t, x)→ fT |X=x(t)

:=

fX|T=t(x) fT (t)RT fX|T=t(x) fT (t) µ2(dt)

, falls∫

T fX|T=t(x) fT (t) µ2(dt) > 0,

0, sonst,

ist eine bedingte µ2-Dichte von T gegeben X.

5.2.2 Ubungsaufgabe (Fortsetzung von Ubungsaufgabe 5.1.1)

Bestimmen Sie die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass das Bauteil von der Firma A bzw.

B bzw. C stammt, wenn die Lebensdauer L = l beobachtet wurde. Betrachten Sie dazu

eine λ⊗ µ-Dichte von P L,H, wobei λ das Lebesgue-Maß und µ das Zahl-Maß ist.

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5.2 Bedingte Dichten

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

48

5.2.3 Ubungsaufgabe

Sei (X1, X2) 2-dimensional normal-verteilt mit Erwartungswert µ = (µ1, µ2)⊤ und Kova-

rianzmatrix

Σ =

(

σ21 ρσ1σ2

ρσ1σ2 σ22

)

,

d.h. fX1,X2(x) =(

2π√

det Σ)−1

exp−12(x−µ)⊤Σ−1(x−µ)mit x = (x1, x2)

⊤. Bestimmen

Sie die bedingte Dichte von X1 gegeben X2.

Hinweis: Zeigen Sie:

fX1,X2(x1, x2) = fN (µ2,σ22)(x2) fN

µ1+ρ

σ1σ2

(x2−µ2), (1−ρ2)σ21

(x1),

wobei fN (µ,σ2) die Dichte der 1-dimensionalen Normalverteilung mit Erwartungswert µ

und Varianz σ2 ist.

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5.3 Bedingte Erwartungen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

49

5.3 Bedingte Erwartungen

5.3.1 Lemma

Sei P X|A0 die bedingte Wahrscheinlichkeitsverteilung von X : Ω → X gegeben A0,

f : X → R C -B-messbar und es existiere E(f(X)) =∫

f(x)P X(dx). Dann gilt:

(i) E(f(X)|A0)(·) :=∫

f(x)P X|A0(dx, ·) existiert P -f.u. und ist A0-B-messbar.

(ii)∫

AE(f(X)|A0)(ω) P (dω) =

Af(X(ω)) P (dω) fur alle A ∈ A0 und insbesondere gilt

E(E(f(X)|A0)) = E(f(X)).

5.3.2 Definition

Sei X : Ω → R Zufallsgroße auf (Ω, A , P ), E(X) ∈ R existiere und A0 eine Unter-σ-

Algebra von A . E(X|A0)(·) : Ω → R heißt Version der bedingten Erwartung von X

gegeben A0 :⇐⇒(i) E(X|A0) ist A0-B-messbar,

(ii)∫

AE(X|A0)(ω) P (dω) =

AX(ω) P (dω) fur alle A ∈ A0.

5.3.3 Bemerkung

Ist A0 = T−1(D), so heißt E(X|T ) mit E(X|T ) T = E(X|A0) Version der bedingten

Erwartung von X gegeben T .

5.3.4 Satz (Existenz der bedingten Erwartung∗)

Unter den Voraussetzungen von Definition 5.3.2 existiert immer eine Version E(X|A0)

der bedingten Erwartung von X gegeben A0 und sie ist P -f.u. eindeutig.

5.3.5 Satz (Eigenschaften der bedingten Erwartung)

Seien X, Y, X1, X2, . . . Zufallsgroßen auf (Ω, A , P ) mit Erwartungswerten E(X), E(Y ),

E(X1), E(X2), . . . ∈ R, A0 und A1 seien Unter-σ-Algebren von A , α1, α2 ∈ R. Dann gilt:

a) X = c ∈ R P -f.u. =⇒ E(X|A0) = c P -f.u.

b) E(α1X1+α2X2|A0) = α1E(X1|A0)+α2E(X2|A0) P -f.u., falls α1E(X1|A0)+α2E(X2|A0)

existiert.

c) X1 ≤ X2 P -f.u. =⇒ E(X1|A0) ≤ E(X2|A0) P -f.u.

d) |E(X|A0)| ≤ E(|X| |A0) P -f.u.

e) A1 ⊃ A0 =⇒ E(X|A0) = E (E(X|A1)|A0) P -f.u.

f) Ist X1 A0-messbar und existiert E(X1 ·X2), dann gilt E(X1 ·X2|A0) = X1 ·E(X2|A0)

P -f.u. ((E(X1) muss dabei nicht existieren).

g) Y ≤ Xn P -f.u., Xn ↑ X P -f.u., E(Y ) > −∞ oder Y ≥ Xn P -f.u., Xn ↓ X P -f.u.,

E(Y ) <∞ =⇒ limn→∞ E(Xn|A0) = E(X|A0) P -f.u.

(Satz von der monotonen Konvergenz).

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5.3 Bedingte Erwartungen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

50

h)∗ |Xn| ≤ Y P -f.u., limn→∞ Xn = X P -f.u., E(Y ) < ∞ =⇒ limn→∞ E(Xn|A0) =

E(X|A0) P -f.u. (Satz von der majorisierten Konvergenz).

5.3.6 Satz

Sei X : Ω → X A -C -messbar und T : Ω → T A -D-messbar. Dann sind folgende

Aussagen aquivalent:

a) X, T sind stochastisch unabhangig.

b) Fur alle messbaren Funktionen f : X → R gilt E(f(X)) = E(f(X)|T ) P T -f.u.

c) Fur alle C ∈ C gilt P X(C) = PX|T∗ (C, ·) P T -f.u.

Existiert eine bedingte Verteilung P X|T von X gegeben T , dann ist a), b), c) aquivalent

mit:

d) P X = P X|T P T -f.u.

Existiert eine Dichte fX von X, dann ist a), b), c), d) aquivalent mit

e) fX = fX|T P T -f.u.

5.3.7 Satz

Sei X : Ω→ X A -C -messbar, T : Ω→ T A -D-messbar, f : X ×T → R C ⊗D-messbar

und es existiere E(f(X, T )). Dann gilt

E(f(X, T )|T = t) = E(f(X, t)) fur P T -fast alle t ∈ T .

5.3.1 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie die Aussagen von Satz 5.3.5 a) - e).

5.3.2 Ubungsaufgabe (Fortsetzung von Ubungsaufgabe 5.2.2)

Das elektronische Bauteil der Firma A kostet 1 EUR, das von Firma B 2 EUR und das

von Firma C 4 EUR. Was ist der erwartete Preis, den der Computerhersteller fur das

Bauteil bezahlt hat, wenn die Bauteillebensdauer L = l beobachtet wurde.

5.3.3 Ubungsaufgabe

Sei (Ω, A , P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum und S eine Gruppe endlicher Ordnung n von

wahrscheinlichkeitstreuen Abbildungen (d.h. S hat n Elemente und fur jedes g ∈ S gilt

P g = P , insbesondere ist g A −A−messbar). Zeigen Sie:

a) AS := A ∈ A ; g(A) = A fur alle g ∈ S ist eine σ-Algebra, die sogenannte

σ-Algebra der S-invarianten Mengen aus A .

b) Existiert E(X), dann gilt E(X|AS) = 1n

g∈S X g P-f.u.

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6.0 Konvergenz von Wahrscheinlichkeitsverteilungen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

51

6 Konvergenz von Wahrscheinlichkeitsverteilungen

6.1 Konvergenz von Wahrscheinlichkeitsmaßen

6.1.1 Definition

a) O ⊂P(Ω) heißt Topologie auf Ω :⇐⇒(i) Oi ∈ O, i ∈ I =⇒ ⋃

i∈I Oi ∈ O,

(ii) O1, . . . , On ∈ O =⇒ ⋂ni=1 Oi ∈ O.

Dabei ist I eine beliebige Indexmenge, die endlich, abzahlbar oder uberabzahlbar sein

kann.

b) O ∈ O heißt offene Menge.

c) Oc mit O ∈ O heißt abgeschlossene Menge.

d) Fur A ⊂ Ω ist intA die großte in A enthaltene offene Menge (int von”interior“).

e) Fur A ⊂ Ω ist clA die kleinste abgeschlossene Menge, die A enthalt (cl von”closure“).

f) ∂A := clA \ intA heißt der Rand von A.

g) Ist O Topolohgie auf Ω, dann heißt A Borel-σ-Algebra auf Ω :⇐⇒ A = σ(O).

6.1.2 Lemma

Ist Ω topologischer Raum mit Borel-σ-Algebra A , dann gilt ∂A ∈ A fur alle A ⊂ Ω.

6.1.3 Definition

Sei Ω topologischer Raum mit Borel-σ-Algebra A . Eine Folge von Wahrscheinlichkeits-

maßen Pn auf (Ω, A ) heißt schwach konvergent gegen ein Wahrscheinlichkeitsmaß P auf

(Ω, A ) (Pn −→ P bzw. limn→∞ Pn = P ) :⇐⇒

limn→∞

Pn(A) = P (A) fur alle A ∈ A mit P (∂A) = 0.

Die Mengen A mit P (∂A) = 0 heißen P -randlose Mengen.

6.1.4 Definition

Sei (Ω, d) ein metrischer Raum mit Metrik d. Dann heißt A Borel-σ-Algebra uber Ω :⇐⇒A = σ(O), wobei O die durch d erzeugte Topologie ist, d.h. O ∈ O ⇐⇒ fur alle ω ∈ O

gibt es ein ǫ > 0 mit ω′ ∈ Ω; d(ω, ω′) < ǫ ⊂ O.

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6.1 Konvergenz von Wahrscheinlichkeitsmaßen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

52

6.1.5 Satz (Satz von Portmanteau)

Sei (Ω, d) ein metrischer Raum mit Borel-σ-Algebra A . Fur Wahrscheinlichkeitsmaße Pn,

n ∈ N, und P sind folgende Aussagen aquivalent:

a) Pn −→ P .

b)∫

fdPn −→∫

fdP fur alle stetigen und beschrankten f : Ω→ R, d.h. f ∈ Cb(Ω).

c)∫

fdPn −→∫

fdP fur alle beschrankten, gleichmaßig stetigen f : Ω → R, d.h. f ∈UCb(Ω).

d) lim supn→∞ Pn(A) ≤ P (A) fur alle abgeschlossenen A ⊂ Ω.

e) lim infn→∞ Pn(O) ≥ P (O) fur alle offenen O ⊂ Ω.

6.1.6 Lemma

Sei A abgeschlossen, ρ(ω, A) := infω′∈A d(ω, ω′), ǫ > 0, G := ω ∈ Ω; ρ(ω, A) < ǫ,F := ω ∈ Ω; ρ(ω, A) ≤ ǫ. Dann gilt:

a) G ist offen.

b) F ist abgeschlossen.

c) Durch

f(ω) :=ρ(ω, Gc)

ρ(ω, Gc) + ρ(ω, A)

wird eine gleichmaßig stetige Abbildung von Ω nach [0, 1] definiert.

6.1.7 Lemma

Ist (Ω, d) ein metrischer Raum mit Borel-σ-Algebra A und sind P, Q Wahrscheinlichkeits-

maße auf A mit∫

fdP =∫

fdQ fur alle f ∈ UCb(Ω), dann gilt P = Q.

6.1.8 Folgerung

Ist (Ω, d) ein metrischer Raum mit Borel-σ-Algebra A und konvergiert Pn schwach sowohl

gegen P als auch Q, so gilt P = Q.

6.1.9 Satz (Kolmogorov, Prohorov)

Sei (Ω, d) ein metrischer Raum mit Borel-σ-Algebra A , Pn, P , n ∈ N, Wahrscheinlich-

keitsmaße auf A und A0 ⊂ A mit A1 ∩ A2 ∈ A0 fur alle A1, A2 ∈ A0, d.h. A0 ist

durchschnittsstabil. Gilt

(i) fur alle O offen gibt es (An ∈ A0)n∈N mit O =⋃∞

n=1 An

oder

(ii) (Ω, d) ist separabel und fur alle ω ∈ Ω und ǫ > 0 gibt es A ∈ A0 mit ω ∈ intA und

A ⊂ ω′ ∈ Ω; d(ω, ω′) < ǫ,dann gilt:

(Pn(A) −→ P (A) fur alle A ∈ A0) =⇒ Pn −→ P.

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6.1 Konvergenz von Wahrscheinlichkeitsmaßen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

53

6.1.10 Bemerkung

Dabei heißt ein topologischer Raum separabel, wenn es eine abzahlbare Teilmenge gibt,

die in diesem Raum dicht liegt. Insbesondere sind R und Rp separabel.

6.1.11 Satz

Sei (Ω, A ) = (Rp, Bp) und (Pn)n∈N und P Wahrscheinlichkeitsmaße auf (Ω, A ) mit zu-

gehorigen Verteilungsfunktionen (Fn)n∈N und F . Dann gilt

Pn −→ P ⇐⇒ Fn(x) −→ F (x) fur alle x, bei denen F stetig ist .

6.1.12 Satz

Seien (Ωi, di) metrische Raume mit Borel-σ-Algebren Ai fur i = 1, 2,

P, Pn, n ∈ N, Wahrscheinlichkeitsmaße auf A1, h : Ω1 → Ω2 A1-A2-messbar und

Dh := ω1 ∈ Ω1; h ist unstetig in ω. Dann gilt

Pn −→ P und P (Dh) = 0 =⇒ P hn −→ P h.

6.1.13 Satz (Helly’s Auswahlsatz)

Seien F1, F2, . . . Verteilungsfunktionen auf Rp. Dann existiert eine Teilfolge (Fnl)l∈N und

eine monoton wachsende, rechtseitig stetige Funktion G, die nur Werte in [0, 1] annimmt,

so dass liml→∞ Fnl(x) = G(x) fur alle x ∈ Rp gilt, in denen G stetig ist.

6.1.14 Definition

Sei Ω topologischer Raum mit Borel-σ-Algebra A und P eine Menge von Wahrscheinlich-

keitsmaßen auf A .

a) P heißt straff (tight) :⇐⇒ fur alle ǫ > 0 gibt es eine kompakte Menge K ⊂ Ω mit

P (K) > 1− ǫ fur alle P ∈ P.

b) P heißt relativ kompakt :⇐⇒ fur alle Folgen (Pn ∈ P)n∈N gibt es eine Teilfolge (Pnl)l∈N

und ein Wahrscheinlichkeitsmaß P mit Pnl−→ P fur l →∞.

6.1.15 Satz (Satz von Prokhorov)

Sei P eine Menge von Wahrscheinlichkeitsmaßen auf (Rp, Bp). Dann gilt:

P ist straff ⇐⇒ P ist relativ kompakt.

6.1.16 Lemma

Fur jede Folge von Wahrscheinlichkeitsmaßen (Pn)n∈N auf (Rp, Bp) gilt: Ist Pn; n ∈ Nstraff und jede konvergente Teilfolge (Pnl

)l∈N konvergiert schwach gegen P , dann gilt

Pn −→ P .

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6.1 Konvergenz von Wahrscheinlichkeitsmaßen

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54

6.1.1 Ubungsaufgabe

Sei Ω = [0, 1] ∪ 2, E0 := O ∩ [0, 1]; O offen bezgl. gewohnlicher Topologie, E :=

E0 ∪ (a, 1) ∪ 2; a ∈ (0, 1) und O die von E erzeugte Topologie. Finden Sie eine Folge

von Einpunktmaßen exndie gegen zwei verschiedene Einpunktmaße schwach konvergiert.

Hinweis: Zeigen Sie die folgende Aquivalenz: xn → x⇐⇒ exn→ ex.

6.1.2 Ubungsaufgabe

Sei (Ω,A, µ) ein Maßraum und pn, p Wahrscheinlichkeitsdichten bzgl. µ von Pn, P . Zeigen

Sie:

limn→∞

pn = p µ-f.u. =⇒ limn→∞

supA∈A|P (A)− Pn(A)| = 0.

Hinweis: Zeigen Sie supA∈A |∫

Ap dµ−

Apn dµ| =

p−pn≥0 |p − pn| dµ und benutzen Sie

den Satz von Lebesgue.

6.1.3 Ubungsaufgabe

Sei d die Metrik auf RN, die durch

d(x, y) = d((xn)n∈N, (yn)n∈N) :=∞∑

n=1

2−n |xn − yn|1 + |xn − yn|

gegeben ist, O die durch d gegebene Topologie auf RN,

A1 := BN ; BN ist Zylinder zur Basis BN ∈N⊗

n=1

B, N ∈ N und

A2 := RN,ǫ(x); x ∈ RN , N ∈ N, ǫ ∈ (0,∞)N mit

RN,(ǫ1,...,ǫN )((xn)n∈N) := (yn)n∈N ∈ RN; |yn − xn| < ǫn fur alle n = 1, . . . , N.

Zeigen Sie:

a) σ(O) =⊗∞

n=1 B, wobei B die Borel-σ-Algebra af R ist.

b) Pn(A)→ P (A) fur alle A ∈ A1 mit P (∂A) = 0 =⇒ Pn → P .

c) Pn(A)→ P (A) fur alle A ∈ A2 mit P (∂A) = 0 =⇒ Pn → P .

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6.2 Konvergenz von Zufallsvariablen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

55

6.2 Konvergenz von Zufallsvariablen

6.2.1 Definition

Seien (Ω, A , P ), (Ω, A , Pn), n ∈ N, Wahrscheinlichkeitsraume, (X , d) metrischer Raum

mit Borel-σ-Algebra C und X, X1, X2, . . . : Ω→ X A -C -messbar.

a) (Xn)n∈N konvergiert P -f.u. gegen X :⇐⇒es gibt A ∈ A mit P (A) = 0 und limn→∞ d(Xn(ω), X(ω)) = 0 fur alle ω /∈ A.

(Abkurzungen: Xn −→ X P -f.u./P -f.s., Xn −→ X[P ].)

b) (Xn)n∈N konvergiert stochastisch (bzgl. P ) gegen X :⇐⇒fur alle ǫ > 0 gilt limn→∞ P (d(Xn), X) > ǫ) = 0.

(Abkurzungen: XnP−→ X, Xn

st−→ X, X = P − lim Xn.)

c) (Xn)n∈N konvergiert in Verteilung gegen X :⇐⇒P Xn

n → P X (schwache Konvergenz).

(Abkurzungen: XnD−→ X.)

d) Ist X = R, C = B, X, X1, X2, . . . ∈ Lp(Ω, A , P ), dann konvergiert (Xn)n∈N im p-ten

Mittel gegen X :⇐⇒limn→∞ E(|Xn −X|p) = 0.

(Abkurzungen: Xnp−→ X, Xn

Lp−→ X.)

6.2.2 Satz

Seien X, Xn, Yn, n ∈ N, Zufallsvariable auf (Ω, A , P ). Dann gilt:

a) Xn −→ X P -f.u. =⇒ XnP−→ X.

b) XnP−→ X =⇒ Xn

D−→ X.

c) XnP−→ X =⇒ (Xn)n∈N enthalt eine P -f.u. konvergente Teilfolge.

d) XnD−→ a ∈ X =⇒ Xn

P−→ a.

6.2.3 Satz (Lemma von Slutzky)

Seien X, Xn, n ∈ N, Zufallsvariable auf (Ω, A , P ). Dann gilt:

YnD−→ X und d(Xn, Yn)

P−→ 0 =⇒ XnD−→ X.

6.2.4 Lemma (Ungleichung von Tschebyschev und Markov)

Sei (Ω, A , µ) ein Maßraum und f : Ω→ R messbar. Dann gilt fur alle p > 0, ǫ > 0:

µ(|f | ≥ ǫ) ≤ 1

ǫp

|f |pdµ.

6.2.5 Satz

a) p > p′, XnLp−→ X =⇒ Xn

Lp′−→ X.

b) XnLp−→ X =⇒ Xn

D−→ X.

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6.2 Konvergenz von Zufallsvariablen

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56

6.2.6 Lemma

Seien Xn, X r-dimensionale und Yn, Y p-dimensionale reellwertige Zufallsvariable mit

P Xnn −→ P X , P Yn

n −→ P Y . Dann gilt

P (Xn,Yn)n −→ P (X,Y ) = P X ⊗ P Y ,

falls eine der folgenden Bedingungen erfullt ist:

a) P Y = δc mit c ∈ Rp (δc(A) = 1⇐⇒ c ∈ A),

b) Xn und Yn sind stochastisch unabhangig fur alle n ∈ N.

6.2.7 Satz

Seien Xn, X p-dimensionale reellwertige Zufallsvariable mit P Xnn −→ P X .

a) Seien Yn p-dimensionale reellwertige Zufallsvariable mit P Ynn −→ δc, so gilt

P Xn±Ynn −→ P X±c.

b) Seien Yn eindimensionale reellwertige Zufallsvariable mit P Ynn −→ δc, so gilt

(i) P Xn·Ynn −→ P X·c,

(ii) PXn/Ynn −→ P X/c fur c 6= 0.

6.2.1 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie: XnD→ a ∈ X ⇐⇒ Xn

P→ a ∈ X .

6.2.2 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie: Konvergiert (√

nXn)n∈N in Verteilung gegen X, so konvergiert (Xn)n∈Nstochastisch gegen 0.

6.2.3 Ubungsaufgabe

Sei X0 eine gleichformig auf [−1, 1] verteilte Zufallsvariable, Xn := X0 fur alle n ∈ N und

Yn := X0 fur n = 2m, m ∈ N, und Yn := −X0 fur n = 2m + 1, m ∈ N. Zeigen Sie, dass

Yn gegen X0 in Verteilung konvergiert, aber dass (Xn, Yn) nicht in Verteilung konvergiert.

6.2.4 Ubungsaufgabe

Sei Ω = [0, 1],A = B∩[0, 1], P = λ das Lebesgue-Maß und X(ω) = 0, Xn(ω) = n1[0,1/n](ω)

fur alle ω ∈ Ω. Zeigen Sie, dass Xn P -f.u. gegen X konvergiert, aber dass fur kein p ∈ [1,∞)

Xn im p-ten Mittel gegen X konvergiert.

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6.3 Charakteristische Funktionen

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57

6.3 Charakteristische Funktionen

Komplexe Zahlen:

C = z = u + i v; u, v ∈ R ∼ R2 =(

uv

)

; u, v ∈ R

.

|z| :=√

u2 + v2 =√

z · z∗, wobei z∗ = u− i v die konjugiert komplexe Zahl ist.

eix = cos x + i sin x.

Integration komplexer Funktionen f : Ω ∋ ω → f(ω) = u(ω) + i v(ω) ∈ C:

fdµ :=

u dµ + i

v dµ.

6.3.1 Definition

a) Sei P(Rp) die Menge der Wahrscheinlichkeitsmaße auf (Rp, Bp).

Φ : P(Rp) ∋ P −→ ΦP ∈ CRp

mit ΦP (t) =

eit⊤xP (dx)

heißt Fouriertransformation auf P(Rp) und ΦP : Rp −→ C heißt Fouriertransformierte

von P .

b) Ist (Ω, A , P ) Wahtscheinlichkeitsraum und X Rp-wertige Zufallsvariable auf Ω, dann

heißt die Fouriertransformierte von P X charakteristische Funktion von X und wird mit

ϕX bezeichnet, d.h.

ϕX(t) :=

eit⊤xP X(dx) = E(

eit⊤X)

.

6.3.2 Lemma (Elementare Eigenschaften der charakteristischen Funktion)

Sei X eine Rp-wertige Zufallsvariable und ϕX ihre charakteristische Funktion. Dann gilt:

a) |ϕX(t)| ≤ 1 = ϕX(0) fur alle t ∈ Rp.

b) ϕX ist gleichmaßig stetig.

6.3.3 Beispiele

(i) Einpunktverteilung: Gilt X ∼ εa, so gilt

ϕX(t) = eita.

(ii) Standard-Normalverteilung: Gilt X ∼ N (0, 1), so gilt wegen der Symmetrie von

fX und der Antisymmetrie von sin∫ ∞

−∞sin(tx) fX(x) dx = 0

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6.3 Charakteristische Funktionen

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58

und somit

ϕX(t) = E(cos(tX)) + iE(sin(tX))

=

∫ ∞

−∞cos(tx) fX(x) dx

=

∫ ∞

−∞cos(tx)

1√2π

e−x2

2 dx ∈ R .

Dieses Integral kann nicht ad hoc bestimmt werden, jedoch konnen wir ϕX differen-

zieren:

ϕ′X(t) =

1√2π

∫ ∞

−∞e−

x2

2∂

∂tcos(tx) dx

=1√2π

∫ ∞

−∞−xe−

x2

2 sin(tx) dx .

Die Vertauschung von Differentation (nach t) und Integration (uber x) ist nach Satz

2.3.4 (Satz von der majorisierten Konvergenz von Lebesgue) moglich, da die parti-

ellen Ableitungen (nach t) des Integranden gleichmaßig (in t) durch eine (nur von x

abhangige) integrierbare Funktion beschrankt sind. Partielle Integration liefert:

ϕ′X(t) =

1√2π

[

e−x2

2 sin(tx)]∞

−∞

− 1√2π

∫ ∞

−∞e−

x2

2 t cos(tx) dx

= 0− t

∫ ∞

−∞cos(tx)

1√2π

e−x2

2 dx

= −t ϕX(t) .

Diese Differentialgleichung besitzt die (bis auf die Konstante c) eindeutige Losung

ϕX(t) = c · e− t2

2 .

Da ϕX eine charakteristische Funktion ist, gilt ϕX(0) = E(e0) = E(1) = 1. Somit

muss c = 1 gelten und wir erhalten

ϕX(t) = e−t2

2

fur X mit Standard-Normalverteilung.

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6.3 Charakteristische Funktionen

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6.3.4 Lemma

Seien X, X1, X2 Rp-wertige und Y Rq-wertige Zufallsvariablen, A ∈ Rn×p, b ∈ Rn. Dann

gilt:

a) ϕAX+b(t) = eit⊤bϕX(A⊤t).

b) X1, X2 stochastisch unabhangig =⇒ ϕX1+X2(t) = ϕX1(t) · ϕX2(t).

c) X, Y stochastisch unabhangig =⇒ ϕ(X,Y )(t) = ϕX(t) · ϕY (t).

d) (ϕX(t))∗ = ϕX(−t).

e) ϕX(t) ∈ R fur alle t ∈ Rp ⇐⇒ P X = P−X , d.h. P X ist symmetrisch um 0.

Beweis

Hier wird nur exemplarisch ein Beweis aufgefuhrt:

b) Mit X1 und X2 sind auch eitX1 und eitX2 stochastisch unabhangig (Statistik II), so dass

gilt

ϕX1+X2(t) = E(

eit(X1+X2))

= E(

eitX1 · eitX2)

= E(

eitX1)

·E(

eitX2)

= ϕX1(t) · ϕX2(t)

fur alle t ∈ R. 2

6.3.5 Satz (Eindeutigkeitssatz fur charakteristische Funktionen)

Seien X und Y zwei Rp-wertige Zufallsvariablen auf (Ω, A , P ) bzw. (Ω′, A ′, Q). Dann gilt

ϕX = ϕY ⇐⇒ P X = QY .

6.3.6 Lemma

Seien Xn, n ∈ N, Rp-wertige Zufallsvariablen und P Xn; n ∈ N sei straff. Dann gilt:

P Xn konvergiert schwach ⇐⇒ ϕXn(t) konvergiert gegen einen endlichen Wert fur alle t ∈ Rp.

6.3.7 Lemma (Abschneide-Ungleichung, Truncation Inequality)

Sei X R-wertige Zufallsvariable. Dann existiert fur alle u > 0 ein k > 0 mit∫

|x|>1/u

P X(dx) ≤ k

u

∫ u

0

[ϕX(0)− Re ϕX(t)] dt

(Re ϕX= Realteil von ϕX).

6.3.8 Satz (Stetigkeitssatz in R)

Sei (Xn)n∈N eine Folge von R-wertigen Zufallsvariablen und X R-wertige Zufallsvariable.

Dann gilt

limn→∞

ϕXn(t) = ϕX(t) fur alle t ∈ R ⇐⇒ Xn

D−→ X .

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6.3 Charakteristische Funktionen

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60

Beweis

“⇐”: Nach dem Satz von Portmanteau (Satz 6.1.5) folgt aus XnD−→ X

limn→∞

E(f(Xn)) = E(f(X))

fur alle stetigen und beschrankten f : R −→ R. Insbesondere gilt dies fur f(x) = cos(tx)

und f(x) = sin(tx). Also

limn→∞

ϕXn(t) = lim

n→∞[E(cos(tXn)) + i E(sin(tXn))]

= E(cos(tX)) + i E(sin(tX)) = ϕX(t)

fur alle t ∈ R.

“⇒”: Aus limn→∞ ϕXn(t) = ϕX(t) fur alle t ∈ R folgt insbesondere

limn→∞

E(sin(tXn)) = E(sin(tX)) , limn→∞

E(cos(tXn)) = E(cos(tX))

fur alle t ∈ R. Folglich gilt fur jedes trigonometrisches Polynom f

limn→∞

E(f(Xn)) = E(f(X)) .

Sei f nun eine beliebige stetige Funktion mit f(x) = 0 fur x /∈ [a, b]. Dann gibt es fur alle

m ∈ N ein trigonometrisches Polynom fm mit supx∈R |fm(x)− f(x)| < 1

m.

Damit gilt fur alle m ∈ N

limn→∞

E(f(Xn)) = limn→∞

[E(fm(Xn)) + E(f(Xn)− fm(Xn))]

≤ limn→∞

[

E(fm(Xn)) + E

(

1

m

)]

= E(fm(X)) +1

m

= E(f(X)) + E(fm(X)− f(X)) +1

m≤ E(f(X)) +

2

m,

und analog

limn→∞

E(f(Xn)) ≥ E(f(X))− 2

m.

Es folgt limn→∞ E(f(Xn)) = E(f(X)) und mit dem Satz von Portmanteau (Satz 6.1.5)

XnD−→ X . 2

6.3.9 Satz (Stetigkeitssatz in Rp, Satz von Levy)

Sei (Xn)n∈N eine Folge von Rp-wertigen Zufallsvariablen. Dann gilt:

a) XnD−→ X =⇒ ϕXn

−→ ϕX .

b) ϕXn−→ ϕ und ϕ : RK → C ist stetig in 0 =⇒ es gibt Zufallsvariable X mit ϕX = ϕ

und XnD−→ X.

6.3.10 Satz (Cramer-Wold Device)

Seien X, Xn, n ∈ N, Rp-wertige Zufallsvariable. Dann gilt:

XnD−→ X ⇐⇒ t⊤Xn

D−→ t⊤X fur alle t ∈ Rp.

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6.3 Charakteristische Funktionen

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

61

6.3.1 Ubungsaufgabe

Sei (Ω, A , µ) Maßraum und f = u + iv : Ω→ C. Zeigen Sie:

a) u, v sind endlich µ-integrierbar ⇐⇒ |f | ist endlich µ-integrierbar.

b) |∫

f dµ| ≤∫

|f | dµ.

c)∫

f ∗ dµ = (∫

f dµ)∗.

6.3.2 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie:

a)∫

e−x2/2 cos(xt) λ(dx) = e−t2/2∫∞−∞ e−x2/2 dx.

b)∫

e−x2/2 sin(xt) λ(dx) = 0.

6.3.3 Ubungsaufgabe

Beweisen Sie Lemma 6.3.4 a), c)-e).

6.3.4 Ubungsaufgabe

Bestimmen Sie die charakteristische Funktion der

a) Binomialverteilung,

b) Poissonverteilung,

c) multivariaten Normalverteilung N (µ, Σ) mit µ ∈ Rk, Σ ∈ Rk×k positiv definit,

d.h. die Dichte ist f(x) = (2π)−k/2(det Σ)−1/2exp−12(x− µ)⊤Σ−1(x− µ).

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6.4 Zentrale Grenzwertsatze

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

62

6.4 Zentrale Grenzwertsatze

6.4.1 Satz (Zentraler Grenzwertsatz fur i.i.d. Zufallsvariable)

Ist (Xn)n∈N eine Folge von unabhangigen und identisch verteilten Zufallsgroßen mit

Var(Xn) <∞, dann konvergiert

√N

(

1

N

N∑

n=1

Xn − E(Xn)√

Var(Xn)

)

fur N →∞

in Verteilung gegen X, das eine Standard-Normalverteilung besitzt.

Beweis

Setze Yn = Xn−E(Xn)√Var(Xn)

. Dann gilt

E(Yn) = 0, Var(Yn) = 1

und

√N

(

1

N

N∑

n=1

Xn −E(Xn)

Var(Xn)

)

=1√N

N∑

n=1

Yn =: S∗N .

Fur die charakteristische Funktion von S∗N gilt dann fur alle t ∈ R

ϕS∗N(t) = E

(

eitS∗N

)

= E

(

eit 1√

N

NPi=1

Yn

)

= ϕ NPi=1

Yn

(

1√N

t

)

(Lemma 6.3.4 b))=

N∏

i=1

ϕYn

(

1√N

t

)

= ϕY1

(

1√N

t

)N

=(

E(

ei t√

NY1

))N

(Taylor-Entwicklung)

=

(

ϕY1(0) + i E(Y1)t√N

+1

2i2E(Y 2

1 )t2

N+ rN

)N

=

(

1 + 0− 1

2

t2

N+ rN

)N

Die Taylorentwicklung wird dabei im Erwartungswert fur die Funktion f(x) = eix an der

Stelle x = 0 vorgenommen:

f

(

t√N

y1

)

= f(0) + f ′(0)t√N

y1 +1

2f ′′(cN)

(

t√N

y1

)2

= 1 + it√N

y1 +i2

2eicN

(

t√N

y1

)2

= 1 + it√N

y1 +i2

2

(

t√N

y1

)2

+i2

2

(

t√N

y1

)2(

eicN − ei0)

.

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6.4 Zentrale Grenzwertsatze

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

63

Dann ist

RN =i2

2

(

t√N

Y1

)2(

eicN − ei0)

und rN = E(RN). Wegen

|RN | ≤i2

2

(

t√N

Y1

)2

2

und

E

(

i2

2

(

t√N

Y1

)2

2

)

<∞

existiert eine integrierbare Majorante. Nach dem Satz von Lebesgue Satz 2.3.4 gilt wegen

|cN | ≤ t√N

y1 −→ 0

limN→∞

N rN = limN→∞

N E(RN) =

limN→∞

i2

2t2y2

1

(

eicN − ei0)

d y1 = 0

Damit folgt

ϕS∗N(t) =

(

1 + 0− 1

2

t2

N+ rN

)NN→∞−−−→ e−

t2

2 ,

denn wegen rN = o(

1N

)

gibt es fur alle ε > 0 ein N0 mit

(

1−(

t2

2+ ε

)

1

N

)N

<

(

1− t2

2

1

N+ rN

)N

<

(

1−(

t2

2− ε

)

1

N

)N

fur N ≥ N0. Da e−t2

2 nach Beispiel 6.3.3(ii) die charakteristische Funktion der Standard-

Normalverteilung ist, folgt mit Satz 6.3.8 und Satz 6.3.5 die Behauptung. 2

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6.4 Zentrale Grenzwertsatze

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

64

6.4.2 Satz (Zentraler Grenzwertsatz unter Lindeberg- und Lyapounov-Bedingung)

Seien fur jedes N ∈ N

X1N , . . . , XrNN

undabhangige Zufallsgroßen mit

E(XnN) = 0, σ2nN = E(X2

nN), s2N =

rN∑

n=1

σ2nN .

Gilt entweder

(i) Lindeberg-Bedingung:

limN→∞

rN∑

n=1

1

s2N

|x|>εsN

x2 P XnN (dx) = 0 fur alle ε > 0,

oder

(ii) Lyapounov-Bedingung:

limN→∞

rN∑

n=1

1

s2+δN

E(|XnN |2+δ) = 0 fur ein δ > 0,

dann konvergiert fur N →∞1

sN

rN∑

n=1

XnN

in Verteilung gegen die Standard-Normalverteilung, d.h. 1sN

∑rN

n=1 XnND−→ X ∼ N (0, 1).

6.4.3 Satz (Delta-Methode, Satz von Cramer)

Seien XN , N ∈ N, Rp-wertige Zufallsvariable, c ∈ Rp und f : Rp → Rl messbar.

a) Ist f im Punkt c stetig und gilt XnD−→ c, so gilt f(XN)

P−→ f(c).

b) Ist f im Punkt c differenzierbar mit der Jacobi-Matrix

f ′(c) =

(

∂fi(z)

∂zj

z=c

)

i=1,...,l,j=1,...,p

∈ Rl×p

und gilt√

N(XN − c)D−→ X ∼ N (0, Σ) mit Σ ∈ Rp×p, so gilt

√N(f(XN)− f(c))

D−→ Y ∼ N (0, f ′(c)Σf ′(c)⊤).

6.4.1 Ubungsaufgabe

Seien Zn =(

Xn

Yn

)

, n ∈ N, stochastisch unabhangige und identisch verteilte Zufallsvektoren

mit E(Zn) = µ ∈ R2 und Var(Zn) = Σ ∈ R2×2. Leiten Sie die asymptotische Verteilung

von 1√N

∑Nn=1(Zn − µ) her.

Page 66: Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie · 1.2 Mengensysteme Christine M¨uller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011 5 1.2 Mengensysteme 1.2.1 Definition (Ring)

6.4 Zentrale Grenzwertsatze

Christine Muller, Statistik V - Wahrscheinlichkeitstheorie, WS 2010/2011

65

6.4.2 Ubungsaufgabe

a) Sei (Xn)n∈N eine Folge von unabhangigen Zufallsgroßen mit P (Xn = 0) = 1−P (Xn = 1)

fur alle n ∈ N. Zeigen Sie:

∞∑

n=1

P (Xn = 0) · P (Xn = 1) =∞ =⇒√

N

(

1

N

N∑

n=1

Xn −E(Xn)√

Var(Xn)

)

D−→ X ∼ N (0, 1),

d.h. der Zentrale Grenzwertsatz gilt.

b) Bei einer Untersuchung von Fischbestanden werden aus jedem von funf verschiede-

nen Seen aus jeweils einer großen Anzahl von Fischen 20 Fische gefangen. Der Anteil

pi unverseuchter Fische im i-ten See wurde auf Grund fruherer Beobachtungen wie folgt

angenommen:

i 1 2 3 4 5

pi 0.90 0.96 0.92 0.95 0.98

Berechnen Sie unter dieser Annahme approximativ die Wahrscheinlichkeit dafur, dass von

den 100 untersuchten Fischen mindestens 10 vergiftet sind.

6.4.3 Ubungsaufgabe

Sei (Xn)n∈N eine Folge von unabhangigen und identisch verteilten Zufallsgroßen mit

E(Xn) = µ und Var(Xn) < ∞. Gegen welche Verteilung konvergiert√

N

(

(

1N

∑Nn=1 Xn

)2

− µ2

)

, wenn µ 6= 0 gilt. Was gilt fur µ = 0?