STADT - Ort der Gegensätze

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S T A D T Ort der Gegensätze Lea Wäckerlin Theoretische Bachelorthesis Mentorin: Gabrielle Alioth April 2014 Illustration Fiction Hochschule Design & Kunst

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von Lea Wäckerlin Theoretische Bachelorthesis Mentorin: Gabrielle Alioth April 2014 Illustration Fiction Hochschule Design & Kunst

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S T A D T

Ort der Gegensätze

Lea Wäckerlin

Theoretische BachelorthesisMentorin: Gabrielle Alioth

April 2014Illustration FictionHochschule Design & Kunst

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I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

VORWORT .............................................................................6HEIMAT ...................................................................................8NACHBARSCHAFT ............................................................10UNTERWEGSSEIN ............................................................12NEHMEN ..............................................................................14LIEBLINGSSTÄDTE ............................................................16STADT/LAND ........................................................................18WAS IST EINE STADT? ..................................................... 20POSITIVES .......................................................................... 24NEGATIVES ......................................................................... 26BAUEN ................................................................................. 28GEBEN ................................................................................ 30REISEN ................................................................................ 32NACHWORT ....................................................................... 34QUELLENVERZEICHNIS ................................................. 36LITERATUR/DANK ............................................................. 38

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V O R W O R T

Eine Stadt bietet Platz für jeden. Sie ist ein Ort der Gegensätze. Es gibt Sauberkeit und Dreck. Reichtum und Armut. High Society und Prekariat. Pudel und Kanalratten. Schwerverkehr und Fussgänger. Achtspurige Autobahnen und engste Gässchen. Wolkenkratzer und Slumhütten. Öffentliche Plätze und streng geheime Areale. Hoffnung und Verzweiflung. Beton und Parkanlagen. Anonymität und Überwachung. Vielfalt und Engstirnigkeit. Übersättigung und Hunger. Möglichkeiten und Barrieren. Einwohner und Touristen. Leben und Tod. Wahrheit und Illusion. Wachstum und Zusammen-bruch. Gemeinschaft und Einsamkeit. Zukunft und Vergangenheit. Provokation und Regeln.

Trotz diesen Gegensätzen leben die Stadtbewohner auf engstem Raum zusammen – und es funktioniert. Dank komplexen Systemen werden Abläufe wie Verkehr, Wasser und Abwasser, Lebensmittel, Strom etc. geplant und geregelt. Es wird für Schutz, ärztliche Ver-sorgung und andere Bedürfnisse gesorgt.

Eine Stadt ist wie ein offenes Buch, in dem man lesen und auch schreiben darf. Es passieren tausende Geschichten jeden Tag. Die einen geschehen für jeden sichtbar, andere versteckt und geheim. Solche Geschichten, wie auch die Protagonisten und deren Häuser möchte ich in meiner praktischen Arbeit erfinden und illustrieren: Ich will eine fiktive Stadt aufbauen, in der die unterschiedlichsten Per-sonen und Kreaturen wohnen und leben. Das Ganze soll ein drei-dimensionales Wimmelbild werden, um das man herumgehen kann und immer wieder neue einzelne Szenarios entdeckt. Meine Stadt wird überwiegend von Wesen bewohnt sein, die im echten Leben nie in eigenen Häusern und schon gar nicht in Städten wohnen. Sie setzen sich aber – und so entstehen Geschichten, mit denen sich der Betrachter identifizieren kann – mit den gleichen Themen wie ein echter Stadtbewohner auseinander.Genau diese Themen habe ich in meiner theoretischen Arbeit behandelt. Ich habe dafür für jeden Begriff eine Frage formuliert und sie an Menschen geschickt, die alle einen besonderen Bezug zu Städten haben und die mir Einblick in fremde Welten gaben (oder solche, die ich vergessen hatte): ein Reisender, eine Stadtpräsiden-tin, ein Architekt, ein Kind... Parallel begann ich, zu den Begriffen kurze Essays zu schreiben, in denen ich eigene Überlegungen und Gedanken von anderen aus Büchern und Artikeln zusammenführte. Ich wollte eine Sammlung von echten Meinungen, Gedankengän-gen und Tatsachen erstellen und mein eigenes Denken zum Thema Stadt bündeln, bevor ich anschliessend in eine fiktionale Welt eintauche.

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

In der Au 7, 5105 Auenstein. Ein wunderbares Haus, nur von mir bewohnt. Genau an der Nahtstelle wo der Jura an der Aare mit den Auenlandschaften ins Mittelland übergeht.

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Stadt Schaffhausen

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Momentan noch in Stockholm

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Z‘Ermatinge.

Wo wohnen Sie?

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

In Wohnungen, Häusern, Hütten oder Hotels, meist in grossen Städten um die Welt.Zur Zeit in Bangkok. Ansonsten meist 3-6 Monate jährlich in Berlin, Rio de Janeiro oder Zürich, den Rest projektbedingt weltweit.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

In der Stadt Zürich, im Kreis 6.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

In Fläsch und Zürich

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

In Schaffhausen am Rand der Stadt, im Grünen.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Uerikon / ZH

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H E I M A T

Ich wurde im Kantonsspital Schaffhausen geboren. Wenn ich den Ort hätte aussuchen können, hätte ich vermutlich ein anderes Spital, eine andere Stadt, vielleicht auch ein anderes Land oder gar einen anderen Kontinent gewählt. Doch heute, nachdem ich eben da das Licht der Welt erblickte, eine Urkunde ausgestellt wurde und ich später einen Pass erhielt und meine Kindheit und Jugend in die-ser Stadt verbracht habe, bin ich der Meinung, dass Schaffhausen die zauberhafteste Stadt der Welt ist. Und wenn ich heute darüber nachdenke, dass ich dieses Heimatgefühl einer anderen Stadt gegenüber haben könnte, wäre ich nicht per Zufall in Schaffhausen geboren, schreit gegen meinen Willen ein kleines Stimmchen in mir: „NEIN! Niemals könntest du das!“

Dies lässt sich neurobiologisch erklären: Am stärksten speichert das Gehirn Ereignisse ab, die sich entweder häufig wiederholen oder mit starken Emotionen verbunden sind. Da die Kindheit oft Wiederholungen und auch emotionsgeladene Erlebnisse beinhaltet, wird das Gehirn in dieser Phase besonders geprägt, wenn man längere Zeit an einem Ort verweilt. Man erinnert sich ab dann für immer an diese Verknüpfungen im Gehirn, an jene vertrauten, ab-gespeicherten Gerüche, Geräusche und andere Kleinigkeiten und verbindet so diesen Ort mit Gemütsbewegungen. 1

Mein Heimatgefühl ist mir oft peinlich. Ich finde es kitschig, spies-sig, unmodern. Aber ja, ich bin gerne in meiner Heimatstadt. Die Leute kennen mich und meine Arbeit. Ich habe mir ein heimeliges Netzwerk aufgebaut, in dem ich gut und flüssig arbeiten kann und das mich manchmal fast schon bequem werden lässt. Dies ist einer der Gründe, wieso ich im Sommer 800 Kilometer weit weg ziehe. Wie ist es, wenn man kaum jemanden kennt? Wenn man auf sich alleine gestellt ist? Wenn man sich vor Fremden erst beweisen muss? Wenn man sich gegen andere durchsetzen muss? Was bleibt einem, wenn nichts um einen herum vertraut ist?

Ich freue mich auf diese Herausforderungen, bin aber froh, dass ich meine Heimatstadt habe. Es fühlt sich an, als wäre man dort immer Willkommen, eine Absicherung im Falle, dass alle Stricke reissen sollten.

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

Ich habe ein wohl eingerichtetes Verhältnis zu meinen Nachbarn und geniesse das ein-ander gut leben lassen.

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Die Nachbarn unter uns: Relativ gut. Würde vor allem mit Anni gerne mal eins Kiffen gehen. Mit Heinz hab ich schon öfters einen Schnapps getrunken. Den bekommt man immer, wenn man bei ihm vorbei geht um Eier zu holen. Die Nachbarn neben uns: Plamen kenne ich gut. Seine Frau weniger. Im gleichen Haus wohnt noch eine Frau mit zwei Kinder. Die Namen hab ich vergessen.

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Wir essen jeden Montag zusammen und manchmal spielen wir Musik im Keller. Ich hatte Glück, Nachbarn zu treffen die so offen sind.

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Jo. D‘Heidi und de Werner und dä Armin und d‘ Alisha und dä Keanu und alli.

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Meistens nach einer Weile schon. Viele Nachbarn im Kreis 5 in Zürich kenne ich gut.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

Ja, wir haben regelmässigen Kontakt und regen Austausch im Haus und in der Strasse.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

In Fläsch ja, in Zürich nein.

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Wir haben 3 direkte Nachbarn. In der Nachbarliegenschaft 1 kennen wir das ältere Besit-zerehepaar und die Tochter im Erdgeschoss recht gut, wir beziehen bei ihnen wöchentlich die Eier aus dem eigenen Hühnerhof, tauschen uns bei einem Hausschnaps aus und feiern auch 2-3 mal pro Jahr ein Fest zusammen. Die übrigen Mieter dieses Hauses kennen wir nur vom Sehen, man grüsst sich knapp. In der Nachbarschaft 2 wohnt eine junge Familie mit einer 1-jährigen Tochter. Darüber wohnen eine alleinerziehende Mutter mit ihren zwei Knaben im Schulalter. Diese Nachbarn kennen wir über den Garten und dadurch, dass ein von ihnen genutztes Wegrecht über unser Grundstück führt. Man kennt sich und tauscht sich - im Sommer vermehrt als im Winter - kurz aus, hie und da werden kleine Handreichungen für die Gegenseite geleistet. In der Nachbarschaft 3 liegt ein Rebberg. Zum Pächter haben wir eine gutes, zweckgemeinschaftliches Verhältnis, weil wir über ihn und den Rebberg unser Scheiterholz für unsere Holzheizung zugeliefert bekommen.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Meine Nachbarn kenne ich nicht da Sie Menschen vom Kopf sind und nicht vom Herz.

Kennen Sie Ihre Nachbarn gut?

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N A C H B A R S C H A F T

In dem Quartier am Stadtrand, wo ich aufgewachsen bin, ha-ben sich alle gekannt. Es gab viele Quartierfestli, Mittagstische oder auch Wochenend- oder Ferienpläne von mehreren Familien zusammen. Man hat für einander eingekauft, hat ein Auto geteilt, gab dem Nachbarskind Nachhilfestunden, hat die Katze gehütet oder schenkte Spielsachen weiter. Man war vernetzt. Jetzt wohne ich in der Stadt, in einer Wohnung mit 11 verschiedenen Parteien. Wir wohnen näher beieinander als dort, wo ich aufgewachsen bin. Wir teilen zwar Dinge wie Waschmaschinen, Tumbler, Trocken- und Veloräume, benutzen denselben Hauseingang, jedoch kenne ich nur zwei Personen im ganzen Haus beim Namen.

Gemäss Georg Simmel2 reagiert ein Städter im Gegensatz zu einem Landbewohner mehr mit dem Verstand als mit dem eher konservativen Gemüt, da der Verstand anpassungsfähiger ist und er dem ständigen Wechsel der Stadt besser standhalten kann. Da der Städter unfähig wäre, die zahlreichen Eindrücke einer Stadt tagtäglich angemessen zu verarbeiten, entwickelt er zu seinem vom Verstand gesteuerten Verhalten eine Abstumpfung zum eigenen Schutze. Dies geht so weit, dass man nicht mal seine eigenen Nachbarn grüsst.

Heute gibt es Architekten, die mit Mehrfamilienhäusern versuchen, genau dem entgegenzuwirken und das nachbarschaftliche Wohnen unter den verschiedenen Wohnparteien in der Stadt zu fördern. Ein Beispiel dafür sind die preisgekrönten Hallenhäuser in Hamburg-Hamm-Süd der Czerner Göttsch Architekten3. Hallenhäuser waren ursprünglich Bauernhäuser, in denen die Wohnung, Stall und Lager in einem Hauskörper untergebracht waren. Nach diesem Prinzip planten die Architekten in Hamm vier Objekte, die aus je zwei Wohnkörpern bestehen, welche mit einem Glasdach verbunden sind, so dass ein gedeckter Innenhof entsteht. Dieser so entstande-ne halböffentliche Raum fördert gemäss dem Sozialwissenschaftler Erich Schmidt das Zusammenwohnen: Er hat dieses Projekt be-gleitet, die Bewohner befragt, diese Fragebögen ausgewertet und schliesslich das Buch „Nachbarschaft in der Stadt“ geschrieben. Darin erwähnt er unter anderem folgendes Ergebnis: Zwei Drittel der Befragten war überzeugt, dass Hallenhäuser nachbarschaftliche Beziehungen förderten. 4

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

Immer zu Fuss und mit Tram und Bus, ein Stadtwanderer.

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Je nach dem was das Ziel meiner Bewegung ist. In Schaffhausen nehme ich meistens die öffentlichen Verkehrsmittel (neuerdings auch ab und zu das Auto). Meine Heimat-stadt ist aber so klein. Darum bewege ich mich im Kern fast ausschliesslich zu Fuss.Befinde ich mich in einer fremden Stadt, in der es vorallem ums Entdecken geht, versu-che ich die verschiedenen Verkehrsmittel abzuwechseln.Je nach dem mit welcher Geschwindigkeit, oder mit welchen Verkehrsmittel ich mich be-wege, (im Untergrund, auf einer Hochbahn zu Fuss oder auf der oberen Plattform eines Routmasters) hat man verschiedene Blickwinkel und eindrücke einer Stadt.

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Zug, Bus, U-Bahn und am liebsten zu Fuss.

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Mir gönd mit em Auto uf Konstanz. Oder uf St. Galle. I de Stadt toni laufe und gumpe und ich bi immer lieb. Im Lade törf me nämmli nid esse.

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Mit dem Velo oder zu Fuss. In den Megastädten auch mal U-Bahn, BTS, Zug, Bus oder Taxi. Mit dem Auto nur um grosse, schwere Dinge zu transportieren.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

Hauptsächlich mit dem Velo, zu Fuss und mit dem öffentlichen Verkehr.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

Zu Fuss

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Meistens zu Fuss, hie und da auch mit dem Fahrrad, obwohl in der Fussgängerzone der Innenstadt ein Fahrverbot besteht.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

In der Grossstadt ungern aber wenn zu Fuss.

Wie sind Sie in der Stadt unterwegs?

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U N T E R W E G S S E I N

Öffentlicher Verkehr braucht eine hohe Bevölkerungs- und Nut-zungsdichte, damit er rentiert. Dies ist natürlich in einer Stadt ideal, und so verfügen die meisten Städte über ein sehr gut erschlos-senes Verkehrsnetz. Die Zersiedelung (genauer thematisiert unter STADT/LAND) hingegen verursacht mehr Verkehr von privaten Kraftfahrzeugen5, da der öffentliche Verkehr die Randbezirke sel-tener und unregelmässiger erschliesst und die Nachfrage danach auch nicht vorhanden ist. So ist die Verkehrsbelastung besonders zu Pendlerzeiten extrem hoch.

Die Mehrheit der von mir befragten Personen erwähnte bei dieser Frage das Auto nicht. Wenn man in der Stadt lebt und sich bewegt, ist man mit dem öffentlichen Verkehr oder dem Fahrrad deutlich besser bedient.

Ist man als Tourist in einer fremden Stadt, lernt man diese schneller und (wie ich finde) auf eine sympathischere Art kennen, wenn man das Glück hat und ein Einheimischer einem die Stadt zeigt. Man wird nicht mit Daten und Fakten bombardiert, die man auch im Internet hätte raussuchen können, sondern kriegt so eine aktuelle, kommunikative Stadtführung eines Bewohners, der hier lebt. Wenn man niemanden kennt oder kennenlernt, ist dies übrigens auch möglich auf sogenannten Free City Tours, die in immer mehr Städ-ten von Einheimischen als Alternative zu normalen Stadtführungen angeboten werden. 6

Die Interessen eines Menschen verändern seine Art, unterwegs zu sein: Man sieht die Stadt mit anderen Augen, sobald man sich für eine neues Thema im urbanen Raum interessiert. Als ich zum Beispiel angefangen habe, Streetart zu machen, habe ich nur noch auf Laternenpfähle, Sicherungskästen oder Rückseiten von Schil-dern geschaut, weil dort oft Sticker kleben oder Tags angebracht sind. Wenn ich dann mit jemandem unterwegs war, dem diese Welt fremd ist, und ich was entdeckt und diese Person darauf hinge-wiesen habe, musste sie meist ein paar Sekunden lang suchend in die gezeigte Richtung blicken, ehe sie erkannte, was ich meinte. Dasselbe erlebte ich mit Freunden, die skaten: Die laufen durch die Stadt und sehen überall nur potentielle Rails, Hindernisse, Treppen und Schanzen und überlegen sich bereits im Kopf, wo sie welchen Trick machen könnten, während Leute, die nichts mit Skaten am Hut haben, nur eine ganz normale Betonmauer sehen. So sieht dieselbe Stadt immer anders aus, je nach dem, wer sie betrachtet.

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

Vorab schätze ich die Einrichtungen, die es nur in einer (möglichst grossen) Stadt geben kann.

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Irgendwie jetzt gerade; um sie zu fühlen...

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Zum studieren, Menschen treffen und Eindrücke sammeln.

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Käfele und laufe tömmer und Schueh poschte.

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Zum drin Leben.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

Als Lebens-, Arbeits- und Freizeitort, mit allen Facetten, die dazu gehören.Als Begegnungsraum und Raum lebhafter kultureller Nutzung.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

Arbeiten, Wohnen in der Nähe der Arbeit, Theater, Restaurant, Spazieren

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Als ein öffentlicher, gemeinschaftlich genutzter Lebensraum, für den Austausch mit an-dern (kulturell, politisch, sozial), zum Einkaufen, Konsumieren und sich Vergnügen.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Ich brauche die Grossstadt eigentlich kaum. Höchstens für die Kultur. Ich ziehe aber Kultur aus der Periferie vor.

Für was brauchen Sie die Stadt?

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N E H M E N

Viele Menschen ziehen in die Stadt, um die guten Einrichtungen und zahlreichen Angeboten auszunützen.Auch der Arbeitsmarkt spielt eine Rolle. Heute arbeitet selten jemand über mehrere Jahrzehnte in derselben Firma wie unsere Grossväter das noch taten. Da kann man in vielen Berufsgattungen bei einem Jobwechsel von den zahlreichen Angeboten in der Stadt profitieren.

In der Stadt gibt es zudem oft Einrichtungen, die man auf dem Land nicht findet: Universitäten, Fachhochschulen, Museen, Bibliotheken, Kinos, Geschäfte, Theater und sehr gute öffentliche Verkehrsverbin-dungen. Mich hat es nach Zürich und danach nach Luzern gezogen, weil ich in diesen Städten studierte.

Ich brauche Städte als Inspiration für neue Ideen, wie auch als An-triebskraft. Klar gibt es auch verschlafene, ausgestorbene und träge Orte, aber vor allem Grossstädte sind oft rastlose Motoren, die Tag und Nacht arbeiten, jeden Tag im Jahr. Sie schlafen nie. Sie sind wie Fernseher mit tausend spannenden Sendern, es gibt zahlreiche verschiedene Angebote, es ist immer etwas los, das man besuchen oder sich anschauen könnte. Ein grosses Angebot kann jedoch auch überfordern. Man hat das Gefühl, ständig etwas zu verpassen.

In einer Stadt leben auf engstem Raum verschiedenste Menschen zusammen. Darum bleibt eine Stadt nie wie sie ist. Sie verändert sich ständig, wächst, zerfällt. Menschen ziehen weg, ziehen zu, nehmen, geben und mit jedem neuen Bewohner verändert sich die Stadt wieder ein bisschen.

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

Ohne zu zögern: Paris. Ich gehe so gerne hin weil ich sie nach ungezählten Fahrten so gut kenne – vertraut rein. Wissen was wo.

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Ich habe keine Lieblingsstadt. Bzw. ich kann mich nicht für eine Entscheiden, weil ich ganz viele herausragende Städte kenne.

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Nein, meine Lieblingsstadt ist dort, wo ich gute Menschen kenne und das findet man in jeder Stadt.

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Konstanz. (Wieso?: Eifach.)

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Meist sind es meine Freunde in der jeweiligen Stadt in der ich mich gerade aufhalte.Rio de Janeiro weil ich mich dort zuhause fühle. Wozu die Art der Menschen, die Spra-che und der Mix von Stadt, Urwald, Hügeln und Meer beitragen. Berlin wegen der direk-ten Art der Eingeborenen, der Vielfalt der Zugezogenen, dem kreativen Schmelzpegel. Zürich weil ich die Stadt wie meinen Hosensack kenne, in der besten WG wohne und das Dynamobrüggli im Sommer unschlagbar ist.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

Meine Lieblingsstadt ist Zürich. Die Vielfalt und die Offenheit, die wir hier haben, ist einmalig.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

Köln. Der Dom und gute Bekannte.

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Grundsätzlich, Städte am Wasser. Etwas spezieller, Venedig-ähnliche Situationen. Des-halb ganz klar, als Lieblingsstadt: Venedig, weil das Geschehen im öffentliche Raum extrem verlangsamt und dadurch viel anschaulicher erlebt werden kann.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Cardiff = überschaubar, lebbar!

Haben Sie eine Lieblingsstadt und wenn ja: Was macht sie zu Ihrer Lieblingsstadt?

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L I E B L I N G S S T Ä D T E

In meinem Fall hat meine Lieblingsstadt viele Parallelen zu meiner Heimatstadt. An meiner Heimatstadt Schaffhausen mag ich, dass ich auf der Strasse per Zufall Leute treffe. In Hamburg ist mir das auch schon öfters passiert, obwohl die Stadt viel grösser ist und ich da viel weniger Menschen kenne. Vor allem das Viertel St. Pauli ist wie ein kleines Dorf für sich, wo sich die Menschen untereinan-der kennen. Ein anderes Beispiel: Ich als Schaffhauserin bin am Wasser aufgewachsen. Ich habe viel Zeit meiner Kindheit am Rhein verbracht. Der Rhein ist ein sehr wandelbares, aktives Gewässer, deswegen glaube ich, ist das Wort Wasser bei mir mit aktiv, leben-dig, rastlos verknüpft. Und deswegen sind mir Städte mit Wasser, wo etwas passiert, sympathisch. Wie die Hafenstadt Hamburg mit ihren Containerschiffen, Werften und Frachtterminals.

Die Wahl einer Lieblingsstadt ist so individuell und von Mensch zu Mensch verschieden wie eine Lieblingsfarbe oder ein Lieblingslied. Trotzdem gibt es zahlreiche Rankings und Reisetipps, die versu-chen, die schönsten Städte zu küren. Die Reise-Website Tripadvi-sor hat beispielsweise 2013 aus Millionen von Bewertungen und Meinungen ihrer User die beliebtesten Städtereiseziele der Welt ermittelt7: Gewonnen hat Paris, danach folgen New York, London, Rom und Barcelona. Auffällig ist, dass die Spitze dieses weltweiten Rankings fast komplett von europäischen Städten besetzt ist. Das soll an der im Vergleich mit anderen Regionen insgesamt höheren Lebensqualität liegen.

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

Ich lebe beides. Das wichtigste ist dabei der Bahnhof. Ich erreiche Winterthur, Zürich, Basel, Biel, Bern, Luzern in weniger als eine Stunde.

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

In der Stadt.

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Momentan lebe ich gerne in der Stadt, wenn die Stadt aber zu gross ist flüchte ich gerne mal in die Natur.

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Uf em Land.

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Ich glaube das ist ziemlich klar aus den bisherigen antworten ;) STADT!

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

In der Stadt.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

An beiden Orten. Und das tue ich ja auch. 1/3 Fläsch; 2/3 Zürich.

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Klar dazwischen, weil ich ein naher Bezug zur Stadt und zum Land ideal finde. Weil die ‚Altstadt’ gebaut ist und schwer noch zusätzlich verdichtet werden kann, gleichzeitig das Land zukünftig vor einer zusätzlichen Zersiedelung geschützt werden soll, ist - ‚das Dazwischen‘ - die Agglomeration die Zone in der zukünftig Veränderungen noch am besten möglich sind.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Ich würde am liebsten in den Bergen von Wales wohnen.

Wohnen Sie lieber in der Stadt oder auf dem Land?

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S T A D T / L A N D

Gemäss Georg Simmel2 hat das Landleben einen gewohnteren, langsameren gleichmässigeren Rhythmus als das Stadtleben. Es bietet mehr Raum fürs Gemüt und für gefühlsmässige Beziehungen, da diese im „ruhigen Gleichmass ununterbrochener Gewöhnungen“ eher gedeihen. Im Gegensatz dazu reagiert ein Städter, wie schon unter NACHBARSCHAFT beschrieben, mehr mit dem anpas-sungsfähigeren Verstand, da er dem ständigen Wechsel der Stadt standhalten muss.

Auf dem Land kennt jeder jeden, ein Fremder wird meist sofort erkannt. In der Stadt geniesst ein Mensch – trotz der Vielfalt und hohen Anzahl an anderen Personen – Anonymität. Das kann als Lu-xus, als in Ruhe gelassen werden, aber natürlich auch als Einsam-keit empfunden werden.

Während es auf dem Land viel Freiraum und Natur gibt, ist der Platz in der Stadt begrenzt. Die Menschen möchten aber immer mehr Einfamilienhäuser, mehr Raum, mehr Garten, mehr Privatsphäre. Das Problem der Zersiedelung ist hochaktuell und eine der gröss-ten Herausforderungen in der Raumplanung der Schweiz8.

Benedikt Loderer, Architekt, Stadtwanderer und Gründer der Zeit-schrift Hochparterre ist ein Feind des Einfamilienhauses. Es sei das effizienteste Mittel, Natur kaputt zu machen, brauche am meisten Energie, am meisten Land und am meisten Erschliessung. Der Wohlstand sei ausschlaggebend für die Zersiedelung:„Die Leute überlegen sich nichts, sie fahren 30 Kilometer ins Hand-balltraining. Die Menschen vor 50 Jahren lebten in einem viel kleine-ren Umkreis. Dann begann der Ausbau der Infrastruktur, grössere Distanzen liessen sich in viel kürzerer Zeit bewältigen. Und warum macht man das? Weil man es kann. Weil es billig ist.“ 9, 10

Am 3. März 2013 wird in der Volksabstimmung die Revision des Raumplanungsgesetzes, die eine kompaktere Siedlungsentwicklung garantieren und der Zersiedelung entgegenwirken soll mit 62% angenommen. 11, 12

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

Gut tut mir, dass die Städte rote Regierungen haben. Damit vorhanden ist vorausschau-en, der Zeit voraus sein (und nicht alles verhindern und auf dem Gestrigen verharren)

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Einzigartigkeit. Eine Stadt soll möglichst anders als alle anderen Städte sein. Sie soll eine Heterotopie sein und in dieser Heterotopie sollen sich möglichst viele weitere He-terotopien befinden.

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Viele ganz unterschiedliche Menschen und Meinungen auf engem Raum. Die Stadt ist wie eine Batterie voller Energie.

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

I de Stadt hets Hüser, Krokodil, Bäum, aber weniger als do, vil Autos und susch weissi nüt.

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Viel Fläche. Viele Gebäude. Viele Geschäfte. Viel Verkehr. Viele Menschen. Viel Kultur. Viel Leben. Vielfalt.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

Der Austausch zwischen unterschiedlichsten Menschen, Menschen von Nah‘ und Fern, solche, die zu uns kommen, und mit ihren Ideen, mit ihren unterschiedlichen Mentalitäten und Kulturen und mit ihrem Engagement zum vielfältigen Stadtleben beitragen, das die Stadt Zürich auszeichnet.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

Vielfalt, Enge, Fremde.

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Eine Mischung aus öffentlichen und privaten Räumen, die - je nach dem - als dicht ge-wachsene, offene Struktur gut, weniger gut, bis schlecht funktioniert.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Die Stadt ist leider oft eine Agglomeration, der Mensch fühlt sich wie eine unter vielen Ameisen, aber wahrscheinlich haben die Amiesen ein besseres Leben.

Was zeichnet eine Stadt Ihrer Meinung nach aus?

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W A S I S T E I N E S T A D T ?

Eine Stadt (von althochdeutsch stat ‚Standort‘, ‚Stelle‘; etymolo-gisch eins mit Statt, Stätte; vgl. dagegen Staat) ist eine größere, zentralisierte und abgegrenzte Siedlung im Schnittpunkt größerer Verkehrswege mit einer eigenen Verwaltungs- und Versorgungs-struktur.Wikipedia 13

Größere, dicht geschlossene Siedlung, die mit bestimmten Rechten ausgestattet ist und den verwaltungsmäßigen, wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt eines Gebietes darstellt; große Ansammlung von Häusern [und öffentlichen Gebäuden], in der viele Menschen in einer Verwaltungseinheit leben. Duden 14

Eine Stadt besteht aus unterschiedlichen Arten von Menschen; ähn-liche Menschen bringen keine Stadt zuwege.Aristoteles

Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen.Robert Musil 15

Die Stadt, die ganz grosse Siegerin der Moderne.SRF Sternstunde Philosophie 16

Die Krankheit unserer heutigen Städte und Siedlungen ist das trau-rige Resultat unseres Versagens, menschliche Grundbedürfnisse über wirtschaftliche und industrielle Forderungen zu stellen.Walter Gropius 17

In der Stadt lebt man zu seiner Unterhaltung, auf dem Lande zur Unterhaltung der anderen.Oscar Wilde 18

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

Allen, die sie mögen.

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Eigentlich allen. Auch dem Fuchs oder der Dachs (dem Nachbarn am Bahndamm).Heute aber vorallem denen die Geld haben.

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Den Bewohnern

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Weissi nid.

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Effektiv gehören, tut sie den Investoren, Banken, Geschäften und Menschen mit viel Geld und der Regierung. Gehören SOLLEN, sollte sie den Menschen die darin Leben, sie benutzen und sie dadurch Formen dürfen.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

Den Menschen, die hier leben und sich hier engagieren.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

Den Bodenbesitzern.

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Der Bevölkerung, die bereit ist gemeinschaftlich organisiert zu leben (wohnen und ar-beiten)

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Der Stadt der nur die Machbarkeit der Dinge eben die Poltik und gar nicht die Christliche Anarchisten.

Wem gehört eine Stadt?

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

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Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Schaffhausen ist so das minimum, was eine Stadt haben soll. Alles darunter ist keine Stadt mehr. ;)

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Sobald die Menschen einem Ort „Stadt“ sagen und nicht mehr Dorf.

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Weme grösser isch chame Stadt sägä, weme no chli isch, chame da nonid sägä.

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Das gleich wie oben: Viel Fläche. Viele Gebäude. Viele Geschäfte. Viel Verkehr. Viele Menschen. Viel Kultur. Viel Leben. Vielfalt.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

Keine leichte, aber eine sehr interessante Frage! Ein Kriterium für eine Stadt ist die Viel-falt und die Häufigkeit der Möglichkeiten zur sozialen Interaktion. Je mehr und je verschie-dener die Möglichkeiten der Bevölkerung sind, das Leben und den Alltag zu gestalten und sich untereinander auszutauschen, umso deutlicher ist eine Siedlung eine Stadt.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

Wenn ich mich verliere in der Fremde, der Enge und den Menschen.

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Wenn die Persönlichkeit der Bewohner durch die Anonymität verschluckt wird.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Wenn sie für jeden Bewohner eine Insel ist.

Wann ist eine Stadt eine Stadt?

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

Das ausgeprägte Neben- und Miteinander, die Vielfalt. Dazu muss eine Stadt gross sein. Die verschiedensten Menschen sollten willkommen sein und ihren Platz finden. In einer grossen Stadt kann man eine Planung betreiben. Ein guter Stadtbaumeister kann sehr viel über die Entwicklung ausdenken.

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Die Dynamik Energie und Hektik mit der die unterschiedlichsten Menschengruppen die aufeinander prallen. Ausserdem die Dichte in der diese Menschen zusammenleben. Wo viele unterschiedliche Menschen auf kleinem Raum leben und aufeinander prallen, wird es Lebendig. Das Lebendige ist dann vermutlich dass, was mich fasziniert.

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Den Charakter einer Stadt fasziniert mich. Die Menschen, die Architektur, das Wetter und Klima kreieren eine Atmosphäre, die in jeder Stadt anders ist.

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Wens en Chriesibaum het, würi grad ufe chlettere. Und go käfele isch au cool.

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Ebenso: Viel Fläche. Viele Gebäude. Viele Geschäfte. Viel Verkehr. Viele Menschen. Viel Kultur. Viel Leben. Vielfalt.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

Die oben erwähnte Vielfalt und Offenheit. Und ihre Intensität.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

Mein Arbeitsort; Vielfalt, Enge, Fremde, Anonymität und die Menschen; der reiche Ser-vice Public und die überschäumenden Kulturangebote.

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Das Gefüge von offenen und geschlossenen sowie engen und weiten Räumen.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Es gibt kaum etwas, was mich an der Grossstadt fasziniert.

Was fasziniert Sie an einer Stadt?

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P O S I T I V E S

Eine Stadt funktioniert, obwohl Menschen aus verschiedenen Alterskategorien, Gesellschaftsschichten und Kulturen auf engem Raum zusammenwohnen. In einem gut zu erreichenden Umkreis fin-det man oft alles, was man braucht: Geschäfte, kulturelle Angebote, medizinische Versorgung, Schulen, Arbeitsplätze. Man muss nicht erst in den nächsten Ort fahren, wie das auf dem Land oft der Fall ist und ist dank den öffentlichen Verkehrsmitteln auch nicht ange-wiesen auf ein Auto. Für Menschen, die viel und oft etwas erleben wollen, ist die Stadt ideal. Wenn man aktiv sich in einem Lebensbereich bewegt, findet man unter der grossen Vielfalt von Leuten oft Gleichgesinnte. Und man muss auch nicht immer gleich mit jedem etwas zu tun haben, den man mal getroffen hat. Wenn einem eine Person eher unsympa-thisch ist, kann man ihr in einer Stadt eher aus dem Weg gehen als in einem Dorf. In der Stadt ist man einer von vielen. Die wenigsten Menschen, denen man auf der Strasse begegnet, interessiert es beispielsweise, ob man heute mal nur Jogging-Hosen trägt oder mit seinem neuen Freund spazieren geht.

Spannend ist, wenn Menschen ihren Lebensraum anfangen, mit-zugestalten. Gerade in Berlin zum Beispiel gibt es viele Baulücken oder Zwischenräume, die zum Teil jahrelang leer stehen, denn um diese legal bebauen zu dürfen, müsste man zuvor viele architektoni-sche und juristische Fragen klären. Auf diesem Brachland entste-hen zum Teil spannende, spontane Projekte, wie zum Beispiel die Bar25, ein legendärer Technoclub19.In der Schweiz ist das seltener, unter anderem, weil die Schweizer Städte dichter und überschaubarer sind und (bis auf ein paar we-nige Ausnahmen) nicht bombardiert wurden – in Deutschland sind Baulücken oft eine Folge des Zweiten Weltkrieges.

Manchmal sind es aber auch nur die Kleinigkeiten, oder die ver-steckten Details, die einen erfreuen: Originelle Streetart. Flohmärk-te. Spontane Konzerte in einer Bahnhofsunterführung. Zettel an Laternenpfählen mit kleinen Smileys zum Abreissen.

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

Die unendliche Dominanz der Autos

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Überregulation, Sauberkeit, und den Anspruch alles fertig denken zu wollen. Vor allem das Leben, das sich ausbreiten will, wird heute in den Städten oft zu fest reguliert.

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Den Lärm und die Autos.

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Autöli findi nid cool. Dä Matteo finds cool.

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Wenn Vielfalt und Freiheit in der Lebensform und selbstbestimmtes Denken unterbun-den wird. Wenn die Stadt zu ordentlich, aufgeräumt und reglementiert ist. Wenn die Menschen alle sehr ähnlich in ihrem denken, handeln und arbeiten sind und die Stadt nicht bewohnen sondern als Geld-Verdien und -Ausgebemaschienen funktionieren.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

Wo viele Menschen zusammen kommen, ergeben sich unterschiedliche Vorstellungen und Ansprüche an das Zusammenleben. Die aktive Auseinandersetzung mit den daraus entstehenden Differenzen ist inspirierend: Wir lernen Neues kennen und gewinnen neue Einsichten. Wenn die Unterschiede aber zu Streit und Zwietracht führen, ist das nega-tiv. Als Gesellschaft müssen wir uns dagegen einsetzen, indem wir offen und tolerant bleiben.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

Wenn die Nachbarn auch nach 2 Uhr nachts noch Krach machen.

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Der wachsende Egoismus, versus einem konstruktiven Pluralismus.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

John 23rd hat gesagt: „Hütet Euch vor zwei Übeln: 1) die Hetze 2) die Unentschlos-senheit. Und es ist in der Stadt nicht möglich, in einem Tagtraum zu leben (was man müsste) weil sonst könnte man von einem Auto überfahren werden wie es in Biasca der Keramikerin Raffaella Columberg passert ist.

Gibt es für Sie negative Aspekte in einer Stadt? Welche?

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N E G A T I V E S

Neben Verkehr, ständiger Überwachung, Ignoranz, Lärm, Krimina-lität, Smog und Hundescheisse gibt es in Städten die Gentrifizie-rung. Ich möchte darauf näher eingehen, weil es ein sehr aktuelles Thema ist. Im Duden wird Gentrifizierung folgendermassen definiert:Aufwertung eines Stadtteils durch dessen Sanierung oder Umbau mit der Folge, dass die dort ansässige Bevölkerung durch wohlha-bendere Bevölkerungsschichten verdrängt wird.

Der Musiker Olli Schulz hat sich in der Sendung Absolute Mehrheit vom 17. Februar 2013 zum Thema hohe Mietpreise und Gentrifizie-rung geäussert:„Vor acht Jahren waren in Berlin – ich wohne in Kreuzberg – die Wohnungen noch relativ bezahlbar. Es ist aber nun mal immer so ein Prozess, der stattfindet: Wenn irgendwo Künstler wohnen und sich irgendwo zusammentun und die wollen da leben, weil die Woh-nungen günstig sind. Bei mir in der Strasse ist ein kleiner Lackierla-den gewesen, von so nem Malertypen, und alle Künstler haben da ihre Sachen gekauft. Und da wo die Künstler abhängen, da wollen die Reichen alle hin, weil die Reichen, die finden das geil mit den Künstlern abzuhängen. Die Reichen wären nämlich gern so kreativ wie die Künstler. Und dann ziehn die alle da hin. Da hauen dann aber die Künstler ab, haben keinen Bock mehr auf die Spacken die da mit ihren derben fetten Volvos ankommen und meinen: „Moin, wir wollen auch hier leben.“ Und dann kommt natürlich ein Bauhaus dahin, und der kleine Lackiererladen muss dichtmachen.“ 20

Klar ist dieses Zitat übertrieben und überspitzt, Olli Schulz ist Komi-ker und Entertainer, aber es beschreibt trotzdem die Gentrifizierung aus den Augen eines Betroffenen. In einem gentrifizierten Stadtteil lebt nachher oft nur noch eine Sparte einer Bevölkerungsgruppe. Die Durchmischung von Arm und Reich, Jung und Alt ist aber wichtig für den Pulsschlag einer Stadt. Wenn sich die Bewohner betroffener Gebiete versuchen zu wehren, erinnert das meist an David gegen Goliath: eine kleine Gruppe störrischer, verrückter, randständiger, kreativen Menschen kämpft gegen Immobilienhaie, gegen Stadtbauämter oder Investoren. Ich habe ein paar solche Situationen hautnah miterlebt und es ist traurig, was bei solchen „Veredelungen des Wohnumfeldes“ verloren geht. Ein paar Beispie-le dafür sind das Binz Areal in Zürich, das Hardbrücke Quartier, wo immer mehr alternative Clubs schliessen, um Platz zu schaffen für neue Gebäude rund um den Primetower, Hamburg unter anderem mit der Räumung und dem Abriss der Essohäuser und Berlin mit fast allen Vierteln, besonders Kreuzberg, Friedrichshain und Prenz-lauer Berg.

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

In meiner Metronzeit habe ich als Architekt gebaut. Und jetzt vor 10 Jahren zusammen mit Freunden mein unendlich geschätztes Haus.

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Ich bin stolzer Architekt von mehreren Legohäusern und Städten.Jetzt mach ichs dann bald mal in Gross.

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Ja, als Kind, da bauten wir aus Bambus und Holz ein Haus mit Strohdach. Das war in Papua Neuguinea weit weg von der Stadt, in der Natur.

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Ich ha nonie e Stadt oder e Hus baut. Vilicht us Lego. Da hani au scho.

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Irgendwie schon, irgendwie nicht. Im Kopf seit meiner Kindheit ganze Welten.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

Als Stadtpräsidentin leiste ich einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Stadt Zürich.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

Nein.

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Ich habe schon Häuser geplant, die in einem anschliessenden gruppendynamischen Prozess gebaut wurde. Eine Stadt plant selten ein Einzelner, bauen schon gar nicht, zudem wird der Prozess dazu, über eine längere Zeit abgewickelt.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Ja, diverse.

Haben Sie schon mal eine Stadt oder ein Haus gebaut?

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B A U E N

Bauen ist eine Tätigkeit, die uns seit dem Beginn der Geschichte des Homo sapiens, wie auch seit unseren ersten paar Lebensjahren begleitet und fasziniert. Auch wenn wir es vergessen, hat vermutlich jeder schon mal ein Haus gebaut. Ich zähle zig Bauklotz-Türme, Lego-Häuser, Sandburgen, Waldhütten, Schneehöhlen und virtuelle Städte zu meinem architektonischen Lebenswerk.

Ein Heim zu finden, das einem entspricht und wo man sich nach seinen Bedürfnissen einrichten kann, ist sicher schon mal ein grosses Glück. Ich denke jedoch, jeder Mensch hat irgendwann von seinem Traumhaus geträumt, vom Luxus, in einem für ihn massge-schneiderten eigenen Zuhause wohnen zu können. Ein eigenes Haus zu bauen, ist eine sehr schöne, aber auch anstrengende Le-benserfahrung. Man kann das Zuhause für die nächsten paar Jahre, vielleicht auch für den Rest seines Lebens nicht nur auswählen, sondern genau nach seinen Vorstellungen und Lebensgewohnhei-ten gestalten.

Ein Haus planen und bauen ist das eine. Man kann auch Stadtteile oder ganze Städte planen und aufbauen. Das nennt man eine Plan-stadt, sie bildet den Gegensatz zu natürlich wachsenden Städten. Ein typisches Merkmal ist das regelmässige Strassenraster, das zum Beispiel das Zentrum vieler amerikanischer Grossstädte bildet. Oft wurde eine Planstadt oder ein Planstadtteil errichtet, wenn durch Krieg oder nach einem Brand Stadtteile zerstört waren, es wurde aber auch auf leeren Flächen gebaut oder extra dafür Stadtteile abgebrochen. Planhauptstädte sind Planstädte, die als Hauptstadt geplant und gebaut wurden, zum Beispiel, um die Bevölkerung besser zu verteilen oder als neutrale Lösung, wenn es Streitigkeiten zwischen mehreren grossen Städten gab. Berühmte Beispiele dafür sind Brasília, Washington, D.C. oder Canberra. Gerade die Verteilung der Bevölkerung ist ein schwie-riges Unterfangen, weil die wenigsten Planhauptstädte auch die bevölkerungsreichste Stadt des Landes wurden. Auch wurden in Brasília von Anfang an kein Platz für den ärmeren Teil der Bevöl-kerung vorgesehen, also wurden aus den Arbeitersiedlungen der Menschen, die die Stadt innerhalb von vier Jahren aufgebaut haben, Satellitenstädte, die von Armut und zum Teil stark von Kriminalität und Drogen geprägt sind. Der Stadt Brasília selbst fehlt es an kultu-rellen Treffpunkten und so ist sie in der Nacht und am Wochenende wie ausgestorben. 21

Oscar Niemeyer meinte 2001 in einem Interview: 22

„Dieses Experiment war nicht erfolgreich.“

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

Es müsste dem Stadtwanderer auch eine Chance geben – spannende Aussenräume, Strassenräume, Vorgärten, Alleen, Fussgängerwege. Möglichst keine Autos.

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Ein Hochhaus, etwa in der Grösse des Prime Towers, das aber nur als Rohbau besteht und in dem noch nichts fertig gedacht und geplant ist. Es soll eine Hülle sein, in der alles noch möglich ist. Eine „Ermöglichungsarchitektur“! Menschen sollen diesen Ort bevöl-kern und ihre Träume darin ausleben und so ihre eigene heterotpische Welt erschaffen.

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Ein Baumhaus

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

E knallrots, e pinkigs, e violetts und e knallblaus. Meitlifarbe.

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Ein sehr grosses mit vielen verschiedenen Teilen die sich klar von einenander abheben. Auch können die Bewohner stark Einfluss nehmen auf die Fassade. Aus Materialien wie Lehm, Holz, Backsteinen, Ziegeln, Stroh, nachhaltige Materialien, die nah an dem sind was jeder aus der Natur gewinnen kann, ohne chemische Zusätze. Oder recycling von Müll. Ein Gebäude mit vielen Nieschen, Winkeln, Verbindungs-Brücken, Balkonen, Treppen, Durchgängen, Plätzen, Terassen, Grossen und ganz kleinen Fenstern, Teichen, Bäumen, Säälen, Kammern und Zimmern. Als Inspiration ein Mix aus Bauhaus, Baum-haus, Jugendstil, Niemeyer, Pipi‘s Villa Kunterbunt, Backstein Fabrik, Peter‘s Nimmer-land, Strandhaus, Jahrhundertwende oder älterem Stadthaus....

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

Ein Haus für die Kultur und für die Kulturen.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

Ein Haus für eine grosse WG mit kleinen Wohn- und grossen Gemeinschaftszimmern und ohne Garage.

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

Ein Wohnturm als Mehrfamilienhaus, als Lösung für eine Verdichtung des bestehenden Baubestandes.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Atriumhäuser ohne Fenster nach Aussen.

Wenn Sie ein Gebäude Ihrer Wahl für die Bewohner einer Stadt bau-en könnten, was wäre das für eines?

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G E B E N

Eine Stadt bietet und gibt einem viel. Und die Menschen geben auch wieder etwas zurück. Jeder Stadtbewohner gestaltet das Ge-sicht seiner Stadt mit. Es geht nicht nur darum, dass ein Architekt neue Häuser baut, ein Landschaftsgärtner den Stadtpark bepflanzt, ein Kehrichtmann den Abfall entsorgt, der Denkmalpfleger sich um Kulturgut kümmert und so weiter. Jede Generation trifft neue Ent-scheidungen, wie es mit ihrer Stadt weitergeht. Sei es als Politiker, Initianten, Stimmvolk, Demonstranten entscheidet man über neue Schwimmbäder, Turnhallen, Verkehrsplanungen, Platzgestaltungen, Stadtfeste und Weihnachtsbeleuchtungen.

Was genau soll einer Stadt gegeben werden? Wie soll unsere Stadt sein? Wie soll sie aussehen?

Wahlberechtigte Stadtbewohner stimmen in regionalen Abstimmun-gen über die Veränderungen in ihrer Stadt ab. Menschen, die ihrer Stadt mehr zurückgeben oder sie bewusst verändern wollen, tun dies auf gesellschaftlichen oder politischen Wegen. Viele sind in Vereinen aktiv und schliessen sich so zu Interessensgemeinschaften zusammen, deren Entscheide und Erfolge auch das Bild einer Stadt sehr mitprägen können, wie zum Beispiel Tempolimits in Wohnquar-tieren, Erhaltung von Gebäuden oder sicherere Velowege.

Wo unterschiedliche Menschen zusammenwohnen, kommt es natürlich auch schnell zu Konflikten, besonders was das Stadt-bild betrifft. Solche Meinungsverschiedenheiten werden oft über Leserbriefe in der Lokalzeitung ausgetragen und wie bei so vielen Themen ist es unmöglich, es allen Leuten recht zu machen.

Manchmal gibt jemand der Stadt auch illegal etwas zurück, was von anderen Bürgern nicht gerne gesehen wird und ihrer Meinung nach nicht in ihre Stadt gehört. Wenn jemand zum Beispiel ein Gebäude besprüht, finden die einen das grossartig und erklären es zu Kunst, andere Leute regen sich über diese Schmierereien auf und hätten sie lieber heute als morgen überstrichen.

So entsteht, freiwillig oder erzwungenermassen, ein Dialog zwi-schen unterschiedlichen Menschen, die doch mindestens eine Gemeinsamkeit haben: Sie wohnen in derselben Stadt. Und dieses Wechselspiel macht doch eine Stadt aus.

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Ruedi Weibel, 70 | pensionierter Architekt SIA, Dozent für Hochbauzeichner in Brugg und Zürich

Am liebsten würde ich wieder Städte in den USA besuchen. Aber ich mag mich nicht mehr in ein Flugzeug hineinstemmen.

Julian Wäckerlin, 23 | Gelernter Hochbauzeichner, Student und Heterotopiensuchender

Hamburg, weil Schwester-Herz bald dort hin zieht. :DSie soll mir dann möglichst viel Önderground und Heterotopien zeigen.

Tobias Gutmann, 27 | Storyteller, Illustrator

Ich würde gerne mal nach Taipei, ich kenne das Land nicht und weiss nicht viel von der Stadt. Das ist ein guter Grund.

Sophia, 3 | geht in die Spielgruppe und will mal Piratin werden.

Konstanz und ehm… Meiringe. (Anmerkung: da ist jetzt grad ihre Nonna in den Ferien)

Tika, 35 | Künstlerin, DJ, Arschbombenkönigin, Velofan, Kaffeekonsument, Weltenbürger

Rio, weil ich schon fast 2 Jahre nicht mehr die Zeit und Möglichkeit hatte und ich es vermisse.

Corine Mauch, 54 | Stadtpräsidentin von Zürich

In Kopenhagen sind zahlreiche gute Ideen umgesetzt, wie das Potenzial des Velo- und Fussverkehrs noch besser genutzt werden kann.

Köbi Gantenbein, 57 | Verleger und Chefredaktor von Hochparterre

Das hört nicht auf: Zur Zeit Kiew, um vor Ort zu schauen, was los ist.

Christian Wäckerlin, 59 | Gestalter und Vermittler von Gesaltung, Kunst und Architektur

New York, zum ersten mal. Tokyo, zum zweiten mal. Weil diese extreme räumliche Dichte mein Denken anregt und inspiriert.

Bryan Thurston, 80 | Architekt, Künstler und Poet

Am liebsten Mallaig, eine chaotische Hafenstadt in Schottland.

Welcher Stadt würden Sie am liebsten einen Besuch abstatten und wieso?

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R E I S E N

Der Horizont erweitert sich, je älter man wird. Früher hab ich ein paar Legosteine aufeinandergesteckt und diese zu einer Stadt erklärt. Später war ich fasziniert von Schaffhausen, noch später von Zürich. Mit 11 war ich zum ersten Mal in meinem Leben in einer grösseren Stadt: Athen. Als wir auf dem Aussichtspunkt Lykavittos hinunterblickten, konnte ich bis zum dunstigen Horizont nichts als Häuser sehen. Ich versuchte, dieses eindrückliche Erlebnis zu zeich-nen, war aber schlichtweg überfordert. Extrem Eindruck machte mir auch das Thema Smog, ein Problem, das es praktisch nur in Grossstädten gibt.

Heutzutage ist es möglich, virtuell durch fremde, reale Städte zu wandern. Seit 2007 gibt es Google Street View. Daraus entwickel-ten sich Spiele wie GeoGuessr: Man wird an einem Ort in Google Streetview abgesetzt und muss anhand von Strassenschildern, Um-gebung, Werbungen etc. raten, wo auf der Erde man sich befindet. Je näher man am gesuchten Ort ist, desto mehr Punkte gibt es.Google Streetview ist unglaublich spannend, jedoch natürlich immer noch weit von der realen Welt entfernt. Zum Beispiel bleiben Gerüche und Geräusche verborgen. So können virtuelle Reisen auch ein falsches Bild eines Ortes vermitteln.

Wenn ich in eine Stadt reisen könnte, würde ich auf jeden Fall eine Stadt auf einem anderen Kontinent wählen. Wahrscheinlich New York, wegen der zahlreicher Museen, Bauten, Wahrzeichen, Clubs, Wolkenkratzern und tiefen Strassenschluchten dieser Kulturmetro-pole.

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N A C H W O R T

Wir leben im Zeitalter der Städte. Während um 1900 noch 10% der Weltbevölkerung in Städten wohnten, waren es im Jahr 2007 schon über 50%! Erstmals in der Geschichte der Menschheit wohnten mehr Personen in Städten als auf dem Land. Und diese Tendenz ist steigend, gemäss der World Urbanization Prospects, die von den vereinten Nationen im Jahr 2007 veröffentlicht wurde. 23

Ich bin gespannt, wie unsere aktuellen Probleme wie zum Beispiel die Gentrifizierung (unter NEGATIVES beschrieben) oder Planstäd-te (unter BAUEN beschrieben) in ein paar Jahrzehnten aussehen. Es kommt vor, dass Probleme einer Stadt Jahre später als Glücks-fall gesehen werden oder anfänglich positive Veränderungen sich plötzlich zu Schwierigkeiten entwickeln: In Paris wurden um 1860 zirka 27.000 Gebäude abgerissen, breite Boulevards gebaut und die Viertel neu errichtet. Wo damals viele Menschen ihr Zuhause verloren, freuen sich heute Bewohner wie auch Touristen über die grosszügigen Strassen und Plätze. Wie auch das Beispiel Brasília: Zu Bauzeiten galt sie als Stadt der Zukunft, der Moderne, die Stadt wurde zum Beispiel (vermeintlich zukunftsorientiert) extrem autofreundlich gebaut. Heute ist eines der grössten Probleme in Brasília der ungenügende öffentliche Verkehr und auch Stellen zum Flanieren findet der Fussgänger selten. Die Stadt erinnert an eine Maschine: Bis heute hat Brasília das Image einer künstlichen Schöpfung ohne Eigenleben.

Ich habe in meiner theoretischen Arbeit eine Sammlung von Meinungen zum Thema Stadt erstellt. Städte faszinieren mich, weil es so viele Sichtweisen und Aspekte gibt, unter denen man sie be-trachten kann. Sei es Raumplanung, Mobilität, Politik, Philosophie, Psychologie, Ökologie... alles hängt miteinander zusammen und eine gut funktionierende Stadt braucht fähige Menschen und Planer in allen Betrachtungsweisen. Diese vielen Blickwinkel waren aber auch schwierig zu fassen: Ich musste mich oft aufwendig einlesen, dann jedoch das Thema in kurzen Erklärungen und den wichtigsten Beispielen beschreiben. Schlussendlich half mir das Schreiben der Essays zu den Unterthemen wie auch die Antworten der befragten Personen in der Ideenfindung für die praktische Arbeit. Mir sind bei jedem Thema, in das ich mich eingelesen und behandelt habe, neue, zahlreiche Ideen für Häuser gekommen. Ich möchte in meiner Stadt nicht nur frei erfundene oder triviale Geschichten erzählen, sondern auch auf aktuelle Themen eingehen, die die heutigen Städ-te beschäftigen. So haben einerseits die Protagonisten und ihre Häuser mehr Hintergrund und Persönlichkeit, andererseits ist die Stadt dann interessant für Betrachter verschiedener Altersstufen.

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Q U E L L E N V E R Z E I C H N I S

1 Im Wohlfühl-Ort. Gemischte Gefühle: Heimatgefühl. http://www.sueddeutsche.de/wissen/gemischte-gefuehle-heimatgefuehl-im-wohlfuehl-ort-1.1041384-3. 10. April 2014

2 Simmel, Georg 2006: Die Grossstädte und das Geistesleben. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

3 Czerner Göttsch Architekten. Hallenhäuser Steinbeker Straße. http://www.czernergo-ettsch.de/projekte/wohnen/article/hallenhaeuser-steinbekerstrasse.html. 10. April 2014

4 Schmidt, Erich 2007: Nachbarschaft in der Stadt. Soziale Architektur und Stad-tentwicklung. Die »Hallenhäuser« in Hamburg-Hamm-Süd. Hamburg: VSA-Verlag. Kurzfassung: http://ediss.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2007/3237/pdf/1_Kurz.pdf 10. April 2014

5 Zersiedelung. http://de.wikipedia.org/wiki/Zersiedelung. 10. April 2014

6 City Tours weltweit: Ich schenk‘ dir meine Stadt. http://www.spiegel.de/reise/staed-te/free-city-tours-kostenlose-stadtfuehrungen-mit-einheimischen-a-919898.html. 10. April 2014

7 TripAdvisor. http://www.tripadvisor.de. 10. April 2014

8 Zersiedelung der Schweiz seit den 60er-Jahren. http://www.srf.ch/news/infografik/zersiedelung-der-schweiz-seit-den-60er-jahren. 10. April 2014

9 Stadtwandern. Interview mit Benedikt Loderer. http://www.heimatschutz.ch/uploads/tx_userzeitschrift/2_2010_1_01.pdf. 10. April 2014

10 Benedikt Loderer: «Irrtum, meine Lieben!» http://www.tageswoche.ch/de/2012_14/schweiz/412238. 10. April 2014

11 Ja zum Raumplanungsgesetz. http://www.ja-zum-raumplanungsgesetz.ch. 10. April 2014

12 Revision Raumplanungsgesetz RPG. http://www.are.admin.ch/themen/recht/04651/index.html?lang=de. 10. April 2014

13 Stadt. http://de.wikipedia.org/wiki/Stadt. 10. April 2014

14 Stadt, die. http://www.duden.de/rechtschreibung/Stadt. 10. April 2014

15 Musil, Peter 1994: Der Mann ohne Eigenschaften. Erstes und zweites Buch. Berlin: Rowohlt TB.

16 Sternstunde Philosophie: Die Zukunft der Städte. http://www.srf.ch/player/tv/stern-stunde-philosophie/video/sternstunde-philosophie-die-zukunft-der-staedte-der-urba-nist-und-historiker-angelus-eisinger-im-gespraech?id=836339ee-7f15-43dc-ac8a-11702efd844b. 10. April 2014

17 Walter Gropius. http://de.wikiquote.org/wiki/Walter_Gropius. 10. April 2014

18 Stadt. http://de.wikiquote.org/wiki/Stadt. 10. April 2014

19 Bar25. http://www.bar25.de. 10. April 2014

20 Olli Schulz Absolute Mehrheit. https://www.youtube.com/watch?v=Mw64Zlom4K8. 10. April 2014

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21 50 Jahre Brasília: Vom Betonmonster zur Boomtown. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/50-jahre-brasilia-vom-betonmonster-zur-boomtown-a-690333.html. 10. April 2014

22 Haberlik, Christina 2001: 50 Klassiker. Architektur des 20. Jahrhunderts. Hildes-heim: Gerstenberg.

23 United Nations 2007: World Urbanization Prospects, The 2007 Revision. Highlights. New York: United Nations

L I T E R A T U R

Bogdanovic, Bogdan 2002: Vom Glück in den Städten. Wien: Paul Zsolnay Verlag.

Meisenheimer, Wolfgang 2004: Das Denken des Leibes und der architektonische Raum. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König.

Schmidt, Erich 2007: Nachbarschaft in der Stadt. Soziale Architek-tur und Stadtentwicklung. Die »Hallenhäuser« in Hamburg-Hamm-Süd. Hamburg: VSA-Verlag.

Sennett, Richard 1994: Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Simmel, Georg 2006: Die Grossstädte und das Geistesleben. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

I C H D A N K E

Gabrielle Alioth und allen, die sich für meinen Fragebogen Zeit genommen haben.

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