Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 18/2015
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Spruchverfahren aktuell - Nr. 18/2015
SpruchZ 2015 Seite 353
Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten
Nr. 18/2015 vom 27. September 2015 ISSN 2195-7274
Inhaltsübersicht
Sonderausgabe vor allem mit weiteren Stellungnahmen zu der geplanten Delisting-Neuregelung
Neuregelung des Delistings:
Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion, S. 354
Stellungnahme der DSW, S. 355
Stellungnahme der SdK, S. 356
Stellungnahme des DAV, S. 359
Anstehende Spruchverfahren & Mitteilungen S. 360
Neuerscheinungen zu Spruchverfahren S. 360
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Spruchverfahren aktuell
Spruchverfahren aktuell - Nr. 18/2015
SpruchZ 2015 Seite 354
Neuregelung des Delistings
Der Gesetzesvorschlag zur Neuregelung des Delistings im Rahmen eines Gesetz zur Umsetzung der
Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie (SpruchZ 2015, 280 ff.) ist von der Regierungskoalition aus
CDU/CSU und SPD nach der Anhörung im Finanzausschuss am 7. September 2015 (Stellungnahmen
hierzu in SpruchZ 2015, 307 ff.) zwischenzeitlich etwas nachgebessert worden. So soll auf jeden Fall
ein Abfindungsangebot für die Aktien der Minderheitsaktionäre gemacht werden müssen. Die
bisherigen Pläne hatten noch eine Ausnahme vorgesehen, falls zuvor bereits ein Übernahmeangebot
gemacht worden war. Die Abfindung soll sich außerdem am Durchschnittskurs der letzten sechs
Monate orientieren und nicht mehr nur am Drei-Monats-Durchschnitt.
Diese Änderungen wurden von der Koalition als „mehr Anlegerschutz bei Börsen-Rückzug“ verkauft,
siehe die Reuters-Meldung http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEKCN0RL1RK20150921
und die nachfolgende Pressemitteilung der SPD („SPD stärkt Verbraucherschutz“).
Die Aktionärsvereinigungen DSW und SdK sehen dies dezidiert anderes („Atomisierung des Anleger-
schutzes“ und „Regierungskoalition beim Delisting auf Enteignungskurs“). Auch der Deutsche
Anwaltsverein hat die Neuregelung in der geplanten Form heftig kritisiert, während die Vertreter der
Großkanzleien sich gegen ein Spruchverfahren aussprachen.
Die Stellungnahmen zu dem geänderten Vorschlag sind nachfolgend dokumentiert:
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SPD stärkt Verbraucherschutz beim Börsenrückzug
Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion vom 24. September 2015
Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher;
Christian Petry, zuständiger Berichterstatter:
Auf Initiative der SPD-Bundestagsfraktion werden die gesetzlichen Änderungsvorschläge zum
Delisting, dem Börsenrückzug einer Aktiengesellschaft, im Sinne der Kleinanleger deutlich
verbessert. Im Rahmen des nächste Woche im Bundestag zu verabschiedenden Gesetzes zur
Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie werden auch die verbraucher-
freundlichen Regelungen zum Delisting beschlossen.
„Das ist gut für den Verbraucherschutz: Bisher können sich große börsennotierte Unternehmen aus
dem regulierten Markt der Börse zurückziehen, ohne ihre Anteilseigner zu entschädigen. Damit ist
Schluss, denn durch die vorliegenden gesetzlichen Änderungsanträge zum Börsenrückzug verpflichtet
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die SPD-Bundestagsfraktion die Aktiengesellschaften, ihre Kleinaktionäre bei einem Börsenrückzug
angemessen zu entschädigen. Damit werden die Minderheitsaktionäre endlich geschützt. Delisting
ohne Abfindung ist unfair. Denn oft verlieren Aktien schon nach der bloßen Ankündigung eines
Börsenrückzugs an Wert. In der Vergangenheit kam es oft zu regelrechten Kursstürzen, weil delistete
Aktien praktisch unverkäuflich sind.
Auf Initiative der SPD-Bundestagsfraktion muss sich das Abfindungsangebot am durchschnittlichen
Börsenkurs der vergangenen sechs Monate orientieren. Der Entwurf der Änderungsanträge hatte
noch drei Monate vorgesehen. Die Verlängerung des Bemessungszeitraums soll die Ausnutzung von
kurzfristigen Kursdellen an der Börse erschweren. Im Interesse der Kleinanleger haben wir
durchgesetzt, dass sich bei falschen oder unterlassenen Ad hoc-Mitteilungen des
Unternehmensvorstandes sowie bei unzulässigen Marktmanipulationen die Abfindung nach dem
notfalls durch ein Gerichtsgutachten festzustellenden Unternehmenswert berechnet. Die SPD-
Fraktion hat sich ferner erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Entschädigung in Geld und nicht in
Aktien erfolgen muss. Denn wir wollen nicht, dass die Kleinanleger mit kaum verkäuflichen Aktien
abgespeist werden.
Entgegen dem ursprünglichen Entwurf lässt auch ein vorhergehendes Übernahmeangebot die Pflicht
zu einem Abfindungsangebot nicht entfallen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat darauf gedrungen, dass
Aktionäre nicht mit der Drohung eines entschädigungslosen Delistings faktisch gezwungen werden,
jedes noch so schlechte Übernahmeangebot anzunehmen.“
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DSW: Regierungskoalition atomisiert Anlegerschutz beim Delisting
Pressemitteilung der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz vom 24. September 2015
Das Thema „Delisting“, also der Widerruf der Zulassung von Aktien zum regulierten Markt,
beschäftigt weiter die Politik. Nachdem im Oktober 2013 der Bundesgerichtshof (BGH) mit seiner
Entscheidung, dass ein Delisting ohne Beschluss der Hauptversammlung und ohne Kaufangebot an
die Aktionäre durchgeführt werden kann, zu einer wahren Delisting-Welle geführt hatte, will die
Politik nun „anlegerschützend“ eingreifen. „Wir freuen uns natürlich, dass im Rahmen eines Gesetzes
die Pflicht, den freien Aktionären ein Kaufangebot für ihre Aktien machen zu müssen, wieder
eingeführt werden soll“, kommentiert Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der DSW (Deutsche
Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz), die Diskussion.
„Nach der letzten Anhörung zu dem Gesetz hatten wir allerdings gehofft, dass die Politiker verstehen,
wie existenziell wichtig die Möglichkeit ist, die Höhe eines solchen Angebots gerichtlich überprüfen
lassen zu können. Nur dann haben die Anteilseigner die Chance, den ‚wahren Wert‘ für ihre Papiere
zu bekommen. Da ist der Groschen offenbar noch nicht gefallen“, so der Anlegerschützer weiter.
Daran ändere auch der Vorschlag nichts, eine solche gerichtliche Überprüfung bei
Kursmanipulationen zu ermöglichen. „Anleger müssten also zunächst die Marktmanipulation
beweisen. Das ist in den meisten Fällen schlicht unmöglich“, urteilt Tüngler.
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Aktuell sieht die Planung vor, die Höhe des Pflichtangebots in der Regel am Börsenkurs zu
orientieren. „Die nun kolportierte Idee, nicht den – wie ursprünglich geplant – durchschnittlichen
Börsenkurs der letzten drei, sondern den der letzten sechs Monate als Basis zu nehmen, ändert
nichts an unserer Kritik“, stellt Tüngler klar. „Der Börsenkurs bleibt, gerade bei kleinen Werten,
manipulierbar. Auch wenn der verlängerte Zeitraum die Manipulation erschwert. Zudem unterliegt
der Aktienkurs an der Börse extrem vielen externen Einflüssen, die mit dem Unternehmenswert
nichts zu tun haben“, so Tüngler weiter. Daher müsse der Ertragswert als angemessene und mani-
pulationsfreie Abfindung herangezogen werden. „Alles andere benachteiligt die freien Aktionäre und
ermöglicht unnötig leicht den billigen Ausverkauf der deutschen Industrie“, ist Tüngler überzeugt.
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SdK e.V.: Regierungskoalition beim Delisting auf Enteignungskurs
Pressemitteilung der Aktionärsvereinigung SdK vom 24. September 2015
München - Nach Medienberichten „feiert“ die Koalition den offenbar nunmehr gefundenen
Kompromiss bei der Delisting-Regelung als Sieg des Anlegerschutzes. Doch die gegenüber dem ersten
Entwurf geänderte Regelung, dass sich das zu unterbreitende Abfindungsangebot nun nicht mehr am
Drei- sondern am Sechs-Monats-Durchschnittskurs zu orientierten hat, ist nicht mehr als ein fauler
Kompromiss, offenbar zur Wahrung des Koalitionsfriedens.
Die Kernforderungen der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. sowie weiterer
Anlegerschützer, nämlich die nach der Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses sowie
der Einführung einer gerichtlich nachprüfbaren Abfindung zum vollen Verkehrswert im Zuge eines
sogenannten Spruchverfahrens, wurden – sofern der in den Medienberichten erwähnte Kompromiss
tatsächlich zutreffend ist – nicht berücksichtigt. Dabei hatte die SPD-Fraktion selbst noch in ihrer
Pressemitteilung vom 07.09.2015 die „Orientierung am Ertragswert“ als Bedingung für ein „faires
Abfindungsangebot“ gefordert.
Fakt ist und bleibt damit, der typische Kleinanleger ist kein Bestandteil der vom Gesetzgeber
angedachten Schutzsystematik. Markus Kienle, Rechtsvorstand der SdK, bringt dies wie folgt auf den
Punkt: „Der Gesetzgeber schützt mit der angedachten Regelung zum Delisting nur den Großanleger
und dieser – dies sollte eigentlich Konsens sein – bedarf keines derartigen Schutzes.“
Die entscheidende Schwäche des Börsenkurses als Anknüpfungsmaßstab ist in dessen Volatilität, die
von verschiedenen – häufig auch zufälligen – Einflussfaktoren abhängt und gerade nicht zwingend
den vollen Ertrags- (= Verkehrs-)Wert darstellt, zu sehen. Mit einer Verlängerung der
Referenzperiode wird dieser Effekt gerade nicht ausgeschaltet, vor allem nicht in Zeiten eines
schwachen Börsenumfeldes. Beredtes Beispiel für so eine Entwicklung vermag K+S nach dem
Untergang des sog. Kalikartells zu sein.
Gerade solche Entwicklungen, die eine gewisse Zeit für eine Adaption und damit auch eine Erholung
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benötigen, können nunmehr geschickt mit einer Übernahme kombiniert werden und entheben die
Aktionäre der Möglichkeit, das Wertaufholungspotenzial durch Halten ihrer Position zu nutzen, weil
nach einem Delisting die Desinvestition erschwert, wenn nicht sogar unmöglich wird.
Dies führt selbstredend dazu, dass gewisse institutionelle Adressen, die durch gesetzliche Vorgaben
und/oder interne Reglements gehalten sind, nur in Werte des geregelten Marktes zu investieren,
selbst in einer „Börsenflaute“ Aktien gesunder, aber unterbewerteten Unter-nehmen, die
„gedelistet“ werden sollen, abstoßen müssen. Nichts anderes gilt für Privataktionäre, unter diesen
auch Belegschaftsaktionäre sind. Aus Angst, sich künftig nicht mehr oder nur noch zum diktierten
Preis des Mehrheitsaktionärs von Aktien trennen zu können, und damit dem Mehrheitsaktionär wie
ein Spielball ausgeliefert zu sein, wird man sich im Rahmen des Delistings zwangsläufig auch zu
Preisen unterhalb des vollen Verkehrswertes trennen, um den Verlust zumindest noch zu begrenzen.
Damit schafft der Gesetzgebern eine Zweiklassengesellschaft von Aktionären – nämlich solche, die
noch in unterbewertete Aktien investieren können und solche, denen dies aufgrund eines Delistings
verwehrt sein wird. Denn mit dem Instrument des Delistings und der zeitlichen Beliebigkeit einer
solchen Maßnahme, wird auch die Möglichkeit des investierenden Privataktionärs, die Chancen
seines Investments heben zu können, abhängig vom Gutwillen der Vorstände. Sind deren
Entscheidungen und Motivationslagen schon im klassischen Alltagsgeschäft allzu häufig
unverständlich und von dem Bestreben der Sicherung der eigenen Position bestimmt, werden diese
bei einem Delisting geradezu erratisch. Damit werden die Gutsverwalter zu Gutsherren und die
Gutsherren zu Gutsverwaltern. Wenn dies nicht einmal ein Paradigma für eine Enteignung ist!
Damit wird aber auch eine zweite zentrale Schwäche der geplanten Regelung deutlich: Die
Zuweisung des Delistings in den Kompetenzbereich des Vorstands. Nicht nur, daß damit ein
mögliches Delisting zeitlich vollkommen unkalkulierbar wird, übersteigert dieses Instrumentarium die
Machtfülle des Vorstandes und gibt diesem die Möglichkeit, aktiv auf die Zusammensetzung des
Aktionariats Einfluss zunehmen. Insbesondere lästiger Kleinanleger kann man sich damit durchaus
entledigen. Aufgrund erheblicher Nachteile eines Delistings wird auch und gerade der Kleinanleger
seine Aktien im Zuge eines Delistings verkaufen müssen. Damit benachteiligt man eine
Anlegergruppe, deren Engagement in Aktien der Gesetzgeber nicht nur stärken wollte, sondern die
auch direkt oder indirekt für nachhaltige erfolgreiche Börsengänge notwendig sind.
Deshalb kann und darf ein Gesetzgeber, der ernsthaften Anlegerschutz betreibt, nicht bei einem
gerichtlich nachprüfbaren Abfindungsangebot zum vollen Verkehrswert stehenbleiben. Erforderlich
ist darüber hinaus die Zuweisung der Entscheidung über ein Delisting an die Hauptversammlung.
Und als ob dies nicht schon genug an gut gemeintem Anlegerschutz wäre, hat man nunmehr den
Börsenkurs nicht nur für Delistings im Zusammenhang mit Übernahmen für maßgeblich erklärt,
sondern völlig losgelöst von diesen für jegliches Delisting. Damit gehören höhere Schutzniveaus in
Börsenordnungen oder abweichende Regelungen in Satzungen für jegliches Delisting – anders als
noch im Entwurf, der nur beschränkt auf Delistings im Zusammenhang mit Übernahmen war – der
Vergangenheit an.
Aber gut gemeint ist halt schlicht und ergreifend das Gegenteil von gut. Denn wer nunmehr glaubt,
dass Druck- und Drohpotential von Übernahmen in Kombination mit einem Delisting sei damit
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gebannt, der darf desillusioniert werden: Denn gerade „Großinvestoren“ werden im schwachen
Börsenumfeld unterbewertete Aktien aufkaufen, um sodann ihren Einfluss auf das Management
auszuüben, das dann auch wunschgemäß das Delisting beantragen und so die Aktien der anderen
Aktionäre dem Großinvestor willig in die Arme treiben wird.
Sofern der kolportierte Kompromissvorschlag in die Tat umgesetzt wird, muss man bewundernd und
bestaunend attestieren, dass die „Enteignungs- und Übenahmeindustrie“ respektive deren Vertreter
ganze Arbeit geleistet haben. Jeglicher anderer Erklärungsansatz wäre für den parlamentarischen
Gesetzgeber weniger schmeichelhaft.
Der nunmehrige Regelungsvorschlag ist wirklich Anlegerschutz ganz groß, ganz groß aber nur für den
künftigen Großinvestor. Der typische Kleinanleger ist kein Bestandteil dieser Schutzsystematik. Seine
Rolle beschränkt sich auf die eines Platzhalters, eines Platzhalters für den Großaktionär, bis dieser die
Zeit gekommen sieht, die Chancen aus dem Investment komplett einzufahren. Originäre und
selbständige Bedeutung kommt dem Privatanleger nur noch bei den Unternehmen zu, an denen die
großen Marktteilnehmer kein Interesse haben respektive haben dürfen. Allzu oft sind dies aber
Unternehmen mit einem erhöhten Risikoprofil und/oder einem zweifelhaften Geschäftsmodell.
Eine derartige funktionale Degradierung des Privatanlegers hat mit Förderung der Aktienkultur nichts
gemein. Eine derartige Kultur ist auf die Förderung der Interessen von Großinvestoren angelegt und
führt damit über die Waffenungleichheiten zur Chancenungleichheit und zur Hofierung des Rechts
des Stärkeren. Wer ernsthaften Anlegerschutz will, der muss die Chancengleichheit sicherstellen und
stärken. Eine solche effiziente Chancengleichheit verbietet es, dass das Instrument „Delisting“ zur
Zwangsdesinvestition ge- und missbraucht wird.
Wenn der Privataktionär schon – wenn auch nur faktisch – gezwungen wird/ist, zu verkaufen, dann
muss dieser Verkaufszwang vom Aktionariat durch einen entsprechenden Hauptversammlungs-
beschluss legitimiert sein und der Aktionär wenigstens den vollen (= wahren) und von Zufälligkeiten
unabhängigen Verkehrswert als Abfindung erhalten. Es ist eine zuvörderst obliegende Pflicht eines
kultivierten Rechtsstaates, dass ein solches Angebot auch der gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist,
allein schon um den Anspruch auf die Abfindung zum vollen Verkehrswert durchzusetzen. Damit wird
zwar der faktische Verkaufszwang nicht beseitigt, aber wenigstens wird die Vermögenseinbuße
vollständig ausgeglichen.
Alles andere schützt nur den Großanleger und dieser – dies sollte eigentlich Konsens sein – bedarf
keines derartigen Schutzes.
München, 24. September 2015
SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V.
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Spruchverfahren aktuell - Nr. 18/2015
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Stellungnahme des DAV zum Delisting
Pressemitteilung des DAV vom 25.09.2015
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat durch den Ausschuss Bank- und Kapitalmarktrecht anlässlich
des Änderungsantrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum Gesetzentwurf zur Umsetzung der
Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie Stellung genommen.
Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD würden in ihrem Delisting-Entwurf davon ausgehen, dass
"gesetzliche Verbesserungen des Anlegerschutzes beim Widerruf der Zulassung eines Wertpapiers
zum Handel am regulierten Markt" erforderlich sind. Zudem werde richtig erkannt, dass aktuell eine
zu schließende Lücke im Anlegerschutz besteht.
Diese Lücke habe sich nach der Frosta-Entscheidung des BGH (Urt. v. 08.10.2013 - II ZB 26/12) auf-
getan. Nach Auffassung des DAV vermag der vorliegende Entwurf es nicht, diese Lücke mit einem
angemessenen Schutz für die Anleger zu schließen. Im Gegenteil: das Schutzniveau würde durch die
Einführung des neu vorgesehenen § 39 Abs. 2 Satz 3 BörsG-E sogar zusätzlich gemindert. Der DAV
schlägt vor, die im Rahmen der früheren Macrotron-Entscheidung des BGH (Urt. v. 25.11.2002 - II ZR
133/01) aufgestellten Anforderungen an ein Delisting nunmehr in Gesetzesform zu gießen. Eine
solche gesetzliche Regelung im Geiste der Macrotron-Entscheidung würde einer bereits etablierten
Vorgehensweise erneut Geltung verschaffen, die einen fairen Interessenausgleich zum Inhalt hat und
keine Seite einseitig bevorzugt. Dem Anleger würde mit dem Spruchverfahren eine bewährte
Möglichkeit zur Verfügung gestellt, um ein rechtsstaatliches Überprüfungs-Verfahren abzuhalten.
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Großkanzleien gegen Spruchverfahren bei Delisting-Fällen
In der Börsen-Zeitung vom 26. September 2015 sprachen sich dagegen mehrere Rechtsanwälte von
Großkanzlei gegen ein Spruchverfahren als „systemfremd“ aus. Die Börsen-Zeitung schreibt:
„Die vorgeschlagene kapitalmarktrechtliche Lösung eines Kaufangebots an die Aktionäre auf
Basis eines durchschnittlichen Börsenkurses sei ein angemessenes Verfahren, argumentieren
Gabriele Apfelbacher, Partnerin der Kanzlei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton, Christian
Decher, Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer und Michael Hoffmann-Becking, Partner
von Hengeler Mueller, in einem Gastbeitrag. Eine Orientierung der Entschädigung am
Ertragswert des Unternehmens "wäre systemfremd". Würde eine Nachprüfung im
Spruchverfahren erlaubt, würde "das Geschäft von Hedgefonds und anderen aktivistischen
Aktionären gefördert", warnen die Juristen.“
Zu dem Beitrag:
https://www.boersen-zeitung.de/index.php?li=1&artid=2015185001&titel=Anwaelte-begruessen-
Delisting-Gesetz
Spruchverfahren aktuell - Nr. 18/2015
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Anstehende Spruchverfahren & Mitteilungen
Endress+Hauser übermittelt Squeeze-out-Verlangen an Analytik Jena AG
Jena/Weil am Rhein, 23. September 2015 — Die Endress+Hauser (Deutschland) AG+Co. KG mit Sitz in
Weil am Rhein, Deutschland, („Endress+Hauser“) hat dem Vorstand der Analytik Jena AG am 17.
September 2015 ihr Verlangen übermittelt, die Hauptversammlung der Analytik Jena AG über die
Übertragung der Analytik Jena-Aktien der übrigen Aktionäre auf Endress+Hauser gegen Gewährung
einer angemessenen Barabfindung gemäß dem Verfahren zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre
nach §§ 327a ff. AktG („Squeeze-Out-Verfahren“) beschließen zu lassen.
Am Grundkapital der Analytik Jena AG in Höhe von 7.655.697,00 EUR hält Endress+Hauser einen
Anteil von 96,18 % bzw. 7.363.157 Stückaktien und ist demzufolge Hauptaktionär im Sinne von §
327a Abs. 1 Satz 1 AktG.
Die Höhe der angemessenen Barabfindung pro Aktie an der Analytik Jena AG wird Endress+Hauser
auf der Grundlage einer noch durchzuführenden Unternehmensbewertung festlegen und den
Minderheitsaktionären der Analytik Jena AG mitteilen.
Neuerscheinungen zu Spruchverfahren
Das Spruchverfahren nach dem Spruchverfahrensgesetz Max Noack: Das Spruchverfahren nach dem Spruchverfahrensgesetz - Unzulänglichkeiten und Lösungswege Duncker & Humblot, 1. Aufl. 2014 / 348 S. ISBN 978-3-428-14454-9 Monographie/Dissertation 89,90 € Reihe: Schriften zum Prozessrecht. Band: 235
Verlagstext:
Allen Bemühungen des Gesetzgebers zum Trotz erweist sich das im Jahr 2003 reformierte
Spruchverfahren immer noch als zu langwierig und wenig effizient. Der Verfasser deckt die
Schwächen des geltenden Spruchverfahrensrechts auf, analysiert ihre Ursachen und entwickelt - teils
auch in Anlehnung an die österreichische Rechtslage - Lösungen, welche in konkreten Vorschlägen
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für eine signifikante Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung münden. Er kommt dabei zu dem
Ergebnis, dass man es bei Einzelkorrekturen belassen kann. Plädiert wird insbesondere für eine
stärkere Orientierung am Börsenkurs durch Einräumung eines entsprechenden satzungsautonomen
Bewertungswahlrechts und für die Einführung eines qualifizierten Mehrheitsvergleichs. Des Weiteren
widmet sich der Verfasser der »faktischen Sperre« des Spruchverfahrens bei grenzüberschreitenden
Verschmelzungsgründungen, welche sich nur durch eine Gleichbehandlung beider beteiligter
Aktionärsgruppen in prozessualer wie auch in materieller Hinsicht überwinden lässt.
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Fundamentalanalyse und Börsenkurs bei der Ermittlung aktienrechtlicher Barabfindungen Philip Stein, Fundamentalanalyse und Börsenkurs als Grundlage richterlicher Schätzung bei der Ermittlung aktienrechtlicher Barabfindungen Studienreihe wirtschaftsrechtliche Forschungsergebnisse, Band 182 Hamburg 2014, 324 Seiten ISBN 978-3-8300-7547-9 Zum Inhalt (Text des Verlags): Strukturmaßnahmen im Aktien- und Umwandlungsrecht bieten Mehrheitsaktionären die
Möglichkeit, Konzerne zu konsolidieren. Diese Konsolidierungsmaßnahmen gehen zwangsläufig
zulasten der Minderheitsaktionäre. Die Beeinträchtigung reicht dabei von einem Ausschluss der
Mitverwaltungsrechte (z.B. Vertragskonzernierung) bis hin zum vollständigen Verlust des Anteils
(Squeeze-out).
Aktien- und Umwandlungsrecht halten deshalb Instrumente des Minderheitenschutzes im
finanziellen Bereich bereit. Eines davon ist die Barabfindung. Der ausscheidende Aktionär soll für den
Verlust seines Anteilseigentums einen „vollen“ finanziellen Ausgleich bekommen. Was ein „voller“
Ausgleich ist, hat das Bundesverfassungsgericht erstmals im Jahr 1999 in der DAT/Altana-
Entscheidung dahingehend präzisiert, dass es mindestens der Verkehrswert des Anteils sein müsse.
Bei börsennotierten Unternehmen sei der Verkehrswert regelmäßig identisch mit dem Börsenkurs.
Der BGH hat in seiner Umsetzungsentscheidung im Jahr 2001 das sog. Meistbegünstigungsprinzip
geschaffen. Danach sollen die ausscheidenden Aktionäre immer den höheren Wert aus Börsenkurs
und im Wege der Unternehmensbewertung ermitteltem Wert erhalten. Teilweise in der juristischen
Literatur und zunehmend auch in der Rechtsprechung verschiedener Obergerichte wurde dieses
Meistbegünstigungsprinzip in Frage gestellt. Der Autor zeichnet diese Zweifel in fundierter Art und
Weise nach. Neben Einwänden rechtlicher Natur greift er dabei auf einen Fundus betriebs-
wirtschaftlicher Argumentationsmuster zurück.
Der Autor zeigt mögliche Kriterien auf, bei deren Vorliegen eine alleinige Orientierung am Börsenkurs
in der Regel angebracht sein wird. Er versetzt sich dafür in die Perspektive des Spruchrichters, der in
streitigen Abfindungsverfahren regelmäßig das letzte Wort im Hinblick auf die Höhe von
Abfindungen hat. Rechtstechnischer Anknüpfungspunkt ist das zivilprozessuale Institut des
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richterlichen Schätzungsermessens nach § 287 Abs.
2 ZPO. Der Richter muss nicht in jedem Fall die volle
Wahrheit ermitteln. Gestaltet sich die Ermittlung als
besonders schwierig oder kompliziert, so genügen
auch hinreichende Anhaltspunkte, um eine
Entscheidung zu treffen. Der Autor macht auf dieser
Grundlage Vorschläge, was typischerweise solche
„hinreichenden Anhaltspunkte“ für die Maß-
geblichkeit des Börsenkurses sein können. Liegen sie
vor, so kann der Spruchrichter auf die Einholung von
umfangreichen Sachverständigengutachten zur Er-
mittlung des Unternehmenswerts verzichten.
Minderheitsaktionäre kämen so schneller und ein-
facher zu ihrem Recht.
Zeitschrift und Dokumente auf http://de.slideshare.net/SpruchZ
Impressum
______________________
Zeitschrift
Spruchverfahren aktuell
(SpruchZ)
4. Jahrgang
ISSN 2195-7274
Herausgeber:
Interessengemeinschaft
Spruchverfahren (IG Spruch),
c/o Rechtsanwaltskanzlei
ARENDTS ANWÄLTE,
Perlacher Str. 68,
D - 82031 Grünwald
(bei München)
Bestellungen bitte an die E-Mail-
Adresse: [email protected]
Redaktion/Mitarbeiter: [email protected]
RA Martin Arendts, M.B.L.-HSG
(presserechtlich verantwortlich),
RA Dr. Peter Dreier, RA/StB Dr.
Theo Schubert, M.C.L. Univ. Mich.,
Prof. Dr. Leonhard Knoll
(„Bemerkenswerte Befunde“)
c/o ARENDTS ANWÄLTE, Perlacher Str. 68, D - 82031 Grünwald
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