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Workshop „Platonische Körper“
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Elementare
Mathematik
Skript zum Workshop
Platonische Körper
Workshop „Platonische Körper“
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1 Einleitung
Das Thema des vorliegenden Workshops hat einen Schwerpunkt in der Geometrie des dreidimensionalen Raums, genauer: in der Mathematik der platonischen Körper. Des weiteren werden wir uns mit Parkettierungen der Ebene, n-Ecken in der Ebene und archimedischen Körpern beschäftigen. Während mathematische Themengebiete wie die Analysis oder die Stochastik schon aufgrund ihrer zahlreichen Anwendungen in verschiedenen Lebensbereichen ihren Weg in die Bildungspläne der Schulen gefunden haben, fristet die Beschäftigung mit den genannten Themen eher ein Schattendasein. Zu welchem Zweck wollen wir sie aber studieren? Einen Grund liefert uns H. S. M. Coxeter in seinem klassischen Buch „Regular Polytopes“
1:
“Thus the chief reason for studying regular polyhedra is still the same as
in the time of the Pythagoreans, namely, that their symmetrical shapes
appeal to one’s artistic sense.“
Mit anderen Worten: Die Beschäftigung mit interessanten Strukturen im zwei- und dreidimensionalen Raum ist in erster Linie zweckfrei (wenn auch nicht zwecklos!); neben einem ästhetischen Vergnügen bietet der Workshop aber auch die Gelegenheit zur Beschäftigung mit verschiedenen Beweistypen und appelliert an unser räumliches Vorstellungsvermögen. Letzteres wird an Schulen bestenfalls bei Problemen der Schnittmengenbestimmung von Geraden und Ebenen trainiert. Auf der anderen Seite ist das räumliche Vorstellungsvermögen ein aktuelles Forschungsgebiet im Bereich der Kognitionsforschung. Als Beispiel sei das Problem der mentalen Rotation genannt (siehe Abbildung 1.1). Tests mit Versuchspersonen haben gezeigt, dass die Drehung eines virtuellen Körpers im Geist analog zur Rotation eines realen Körpers im Raum Zeit beansprucht. Untersucht werden auch geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Durchführung dieser Aufgabe und die Frage, welche Bereiche unseres Gehirns für derartige Aufgaben zuständig sind.2
1 H. S. M. Coxeter, Regular Polytopes, The Macmillan Company, New York (1963). 2 Siehe z. B. http://de.wikipedia.org, Stichwort „Mentale Rotation“
(18.02.2009).
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Kapitel 2 macht einen Ausflug in die Geometrie des zweidimensionalen Raums; behandelt werden insbesondere Eigenschaften von n-Ecken sowie die Parkettierung der Ebene. In Kapitel 3 betrachten wir Körper im dreidimensionalen Raum und den eulerschen Polyedersatz. Kapitel 4 ist zentral in diesem Workshop und beschäftigt sich mit den fünf platonischen Körpern und ihren Eigenschaften. Eine Verallgemeinerung des Begriffs der platonischen Körper führt uns zu den archimedischen Körpern, die der Gegenstand von Kapitel 5 sind.
2 Geometrie in der Ebene
2.1 Polygone
In der Schule wird in der Sekundarstufe I das Thema der Vielecke (Poly-gone) ausführlich behandelt. Was aber ist ein Polygon im allgemeinen Fall? Wir können folgende Definition zugrunde legen:
Definition 2.1 (Vieleck; Polygon)
Unter einem Vieleck oder Polygon verstehen wir eine ebene Figur, die aus 3≥n Ecken besteht. Mindestens drei dieser Ecken sind paarweise
Abb. 1.1: Ein Test zur Fähigkeit, dreidimensionale Objekte im Geiste zu drehen. In jeder Reihe ist das Objekt auf der linken Seite identisch mit einem der Objekte auf der rechten Seite. Aber mit welchem?
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voneinander verschieden. Dabei dürfen drei angrenzende Eckpunkte nicht auf einer Geraden liegen.
Diese sehr allgemeine und deshalb auch unanschauliche Definition erlaubt Polygone, wie sie in Abb. 2.1 zu sehen sind.
Abb. 2.1: Polygone nach der allgemeinen Definition 2.1.
Wir werden uns im Folgenden einschränken und Polygone aussparen, die sich beispielsweise überschlagen (siehe Abb. 2.1, rechts, hier schneiden sich die Kanten nicht nur in den Eckpunkten). Von besonderem Interesse sind – schon wegen ihrer Ästhetik – die regelmäßigen Vielecke:
Definition 2.2 (Regelmäßiges n -Eck)
Ein regelmäßiges n -Eck ist ein nicht überschlagenes, konvexes Polygon, das gleiche Seitenlängen und gleiche Winkel besitzt. Zu den regelmäßigen Polygonen gehören gleichseitige Dreiecke (warum keine gleichschenkligen?) und Quadrate (warum keine Parallelogramme?). Abbildung 2.2 zeigt ein berühmtes regelmäßiges Fünfeck.
Abb. 2.2: Um welches Gebäude handelt es sich?
Abbildung 2.3 zeigt ein regelmäßiges Siebeneck. Wie bei allen regelmäßigen n -Ecken liegen die Eckpunkte auf einem Kreis. Der Innenwinkel ist mit α bezeichnet. Zieht man Strecken vom Mittelpunkt
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des Kreises, auf dem die Eckpunkte liegen, zu den Eckpunkten, so entstehen gleichschenklige Dreiecke mit dem Zentriwinkel (Mittelpunktswinkel) β.
Abb. 2.3: Ein regelmäßiges Siebeneck mit Innenwinkel α und Zentriwinkel β.
Für die Innenwinkel, die Zentriwinkel und die Flächeninhalte regelmäßiger n -Ecke gilt Folgendes:
Satz 2.1 (Innenwinkel, Zentriwinkel und Flächeninhalt eines
regelmäßigen n -Ecks)
Bei einem regelmäßigen n -Eck der Kantenlänge a beträgt der Innen-
winkel °⋅−
= 1802
n
nα , der Zentriwinkel
n
°=
360β und der Flächeninhalt
)180
tan(4
²
n
naA
°= .
Tabelle 1.1 zeigt die Innenwinkel einiger regelmäßiger Vielecke; die Tabelle ist nützlich bei Überlegungen zur Parkettierung.
Regelmäßiges Polygon Größe eines
Innenwinkels
Gleichseitiges Dreieck 60°
Quadrat 90°
Fünfeck 108°
Sechseck 120°
Siebeneck 128,6°
Achteck 135°
Neuneck 140°
Zehneck 144°
Elfeck 147,3°
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Zwölfeck 150°
Dreizehneck 152,3°
Vierzehneck 154,3°
Fünfzehneck 156°
Sechzehneck 157,5°
Achtzehneck 160°
Zweiundvierzigeck 171,4°
Tabelle 1.1: Innenwinkel einiger regelmäßiger Vielecke. Mit welchen Vielecken kann man eine Ebene parkettieren?
2.2 Parkettierungen der Ebene
Definition 2.3 (Parkettierung)
Unter einer Parkettierung (Pflasterung, Kachelung, Tessellation) versteht man eine lückenlose und überlappungsfreie Überdeckung der Ebene durch Parkettsteine. Abbildung 2.4 zeigt zwei Beispiele für Parkettierungen.
Abb. 2.4: Zwei Beispiele für Parkettierungen. Links eine Bienenwabe, ein Parkett aus regelmäßigen Sechsecken. Rechts ein Parkett des Künstlers M. C. Escher; es besteht nicht aus Polygonen, sondern aus unregelmäßig geformten ebenen Figuren.
Im Folgenden werden wir uns ausschließlich mit Parketten aus Polygonen beschäftigen. Es gilt der Satz 2.2 (Winkelsumme bei Parkettierungen durch Polygone)
Wird die Ebene mit Polygonen parkettiert, so stoßen an jeder Ecke des Parketts mindestens drei Polygone zusammen. Die Summe der Innenwinkel der an dieser Ecke zusammentreffenden Polygone muss
°360 betragen.
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Satz 2.2 nennt eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit einer Parkettierung: jedes Parkett aus Polygonen muss sie erfüllen. Beachten Sie, dass die Bedingung nicht hinreichend ist: es gibt Kombinationen aus Polygonen, die an einer Ecke einen Winkel von °360 bilden, aus denen sich aber trotzdem kein Parkett legen lässt. Näheres dazu im Workshop unter dem Thema „Lokale und globale Lösungen“. Der Winkel von °360 schränkt die Anzahl der möglichen Parkette aus regelmäßigen Polygonen stark ein. Auch hierzu erfolgt eine Übung im Workshop. Voronoi-Parkettierung. Ein interessantes Beispiel für die Parkettierung der Ebene mit unregelmäßigen n-Ecken liefert uns die Schale von Litschis.3
In diesem Verfahren zur Parkettierung einer Fläche mittels Polygonen werden alle Punkte einer Fläche, die jeweils einem bestimmten Messpunkt am nächsten liegen, einem Polygon um diesen Messpunkt zugeordnet. (Voronoi-Polygone oder Thiessen-Polygone). Anhang A gibt eine Übungsaufgabe dazu.
3 Wir sehen hier von der Tatsache ab, dass die Schale einer Litschi topologisch gesehen
eine Kugel ist; streng genommen wird also keine Ebene, sondern eine Kugeloberfläche
parkettiert. Strenge MathematikerInnen mögen sich also eine flache, unendlich
ausgedehnte Litschi vorstellen.
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2.3 Der eulersche Polyedersatz in der Ebene
Der eulersche Polyedersatz macht eine Aussage über die Anzahl der Flächen, die Anzahl der Kanten und die Anzahl der Ecken in einem beliebigen Parkettausschnitt (wobei das Parkett aus Polyedern besteht): Satz 2.3 (Eulerscher Polyedersatz in der Ebene)
Gegeben ist ein beliebiger Parkettauschnitt der Ebene. Es sei F die Anzahl der Flächen (also die Anzahl der Polygone), K die Anzahl der Kanten und E die Anzahl der Ecken. Dann gilt: 1=+− EKF . Ein möglicher Beweis wird im Workshop geführt; er ist verwandt mit dem Beweisverfahren der vollständigen Induktion.
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3 Geometrie im Raum und platonische Körper
3.1 Der eulersche Polyedersatz im Raum
Der eulersche Polyedersatz der Ebene lässt sich auf den dreidimensionalen Raum übertragen, beispielsweise indem man den Satz in der Ebene für Körpernetze betrachtet und anschließend das Netz in einen Körper verwandelt. Dabei erhält man den Satz 3.1 (Eulerscher Polyedersatz für Körper im Raum)
Gegeben ist konvexer Körper. Es sei F die Anzahl der Flächen (also die Anzahl der Polygone), K die Anzahl der Kanten und E die Anzahl der Ecken. Dann gilt: 2=+− EKF .
3.2 Definition der platonischen Körper
Unter den Vielflächnern (Polyedern) ragen diejenigen heraus, die besondere Symmetrieeigenschaften auf-weisen. Hier sind in erster Linie die platonischen Kör-
per zu nennen, deren Name auf den griechischen Philo-sophen Platon zurückgeht. (Abbildung: Römische Kopie einer griechischen Plastik des Bildhauers Silanion).
Definition 4.1 (Platonischer Körper)
Ein platonischer Körper ist ein konvexes Polyeder aus zueinander kongruenten regelmäßigen Vielecken, von denen in jeder Ecke jeweils gleich viele zusammentreffen. Erklärung: • „Konvex“ bedeutet hier, dass es keine innen liegende Ecke geben darf.
• „Zueinander kongruente Vielecke“: Das Polyeder besteht aus n -Ecken, die alle deckungsgleich sind: es ist also nur eine „Sorte“ von n -Ecken zugelassen.
• „Regelmäßige Vielecke“: Die n -Ecke, aus denen das Polyeder besteht, müssen regelmäßig sein (vgl. Kapitel 2.1). Ein beliebiger Quader ist als beispielsweise kein platonischer Körper.
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3.3 Anzahl und Eigenschaften platonische Körper
Abbildung 3.1 zeigt fünf platonische Körper: Das Tetraeder, das Hexaeder (als den Würfel), das Oktaeder, das Dodekaeder und das Ikosaeder.4 Tabelle 3.1 listet wesentliche Eigenschaften dieser fünf platonischen Körper auf5.
Abb. 3.1: Die fünf platonischen Körper, hier als Würfel für Rollenspiele.6 Von links nach rechts: Tetraeder, Hexaeder (Würfel), Oktaeder, Dodekaeder, Ikosaeder.
Körper Tetraeter Hexaeder Oktaeder Dodekaeder Ikosaeder
Abbildung
Seitenflächen 4 gleichseitige
Dreiecke 6 Quadrate
8 gleichseitige Dreiecke
12 regelmäßige
Fünfecke
20 gleichseitige
Dreiecke Anzahl der
Flächen 4 6 8 12 20
Anzahl der Ecken
4 8 6 20 12
Anzahl der Kanten
6 12 12 30 30
Netz
Anzahl verschiedener
Netze 2 11 11 43380 43380
4 Beachten Sie, dass das Geschlecht der platonischen Körper sächlich ist: Man hat ein
Tetraeder, nicht einen Tetraeder etc. 5 Die Abbildungen stammen aus wikipedia.org, Stichwort: „Platonische Körper“. Die
Kantenlänge des Körpers ist a . 6 wikipedia.org, Stichwort: „Platonische Körper“.
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Oberfläche O ²3 a⋅ ²6 a ²32 a⋅ ²510253 a⋅+ ²35 a⋅
Volumen V ³212
1a⋅ ³a ³2
3
1a⋅ ³)5715(
4
1a⋅+
³)53(
12
5a⋅+
Dualer Körper Tetraeder Oktaeder Hexaeder Ikosaeder Dodekaeder
Tabelle 3.1: Eigenschaften der fünf platonischen Körper.
Bereits Platon kannte die fünf platonischen Körper. Es stellt sich nun die Frage, wie viele platonische Körper es eigentlich gibt. Euklid schrieb zu diesem Thema in dem 13. Buch seiner Elemente:
„Weiter behaupte ich, dass sich außer den fünf Körpern kein weiterer
Körper errichten lässt, der von einander gleichen gleichseitigen und
gleichwinkligen Figuren umfasst würde.“
Im Folgenden soll gezeigt werden, dass tatsächlich nur die fünf aufgeführten platonischen Körper existieren.
Satz 3.2 (Anzahl platonischer Körper)
Es gibt genau fünf platonische Körper. Beweis: Ein platonischer Körper ist ein Polyeder, für den der eulersche Polyedersatz gilt: 2=−+ KFE , wobei E die Anzahl der Ecken, F die Anzahl der Flächen und K die Anzahl der Kanten ist. Des weiteren bezeichnen wir mit n die Anzahl der Ecken eines Polyeders (es handelt sich also um n -Ecke) und mit r die Anzahl der Kanten, die an einer Ecke des Polyeders zusammenstoßen. n , r sind natürliche Zahlen mit 3, ≥rn .
Nun gilt: 1. Da jede der F Flächen n Kanten besitzt, gilt KFn 2=⋅ . Die Zahl 2
auf der rechten Seite berücksichtigt die Tatsache, dass jede Kante zu zwei Flächen gehört und daher im Produkt Fn ⋅ doppelt gezählt wird.
2. Da an jeder der E Ecken r Kanten zusammenlaufen, gilt KEr 2=⋅ . Die Zahl 2 auf der rechten Seite berücksichtigt die Tatsache, dass jede Kante zu zwei Ecken gehört und daher im Produkt Er ⋅ doppelt gezählt wird.
Nun kann man die Gleichung unter 1. nach F und die Gleichung unter 2. nach E auflösen und in den eulerschen Polyedersatz einsetzen:
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222
=+−n
KK
r
K.
Division durch K2 ergibt
2
1111+=+
Knr.
An dieser Gleichung sieht man, dass n und r nicht beide größer als 3 sein dürfen: in dem Fall wäre die linke Seite kleiner oder gleich ½; das ist wegen 0>K aber nicht möglich. Somit muss entweder n oder r (oder beide) gleich 3 sein. Wir treffen eine Fallunterscheidung:
Fall 1: 3=n . Dann erhält man die Gleichung
6
111+=
Kr,
also 3=r oder 4=r oder 5=r . Dies liefert drei platonische Körper: das Tetraeder, das Oktaeder und das Ikosaeder.
Fall 2: 3=r . Dann erhält man die Gleichung
6
111+=
Kn,
also 3=n oder 4=n oder 5=n . Dies liefert ebenfalls drei platonische Körper: wiederum das Tetraeder, das Hexaeder und das Dodekaeder.
Damit haben wir gezeigt, dass es genau fünf platonische Körper gibt, q.e.d.
Ein weiterer Beweis für die Existenz von genau fünf platonischen Körpern kann über die möglichen Winkelsummen an einer Ecke des Körpers geführt werden. Dieser Beweis wird im Workshop durchgeführt.
Duale Körper. Verbindet man die Mittelpunkte benachbarter Seiten-flächen eines platonischen Körpers, so erhält man (mit den Verbindungs-linien als Kanten) wieder einen platonischen Körper, und zwar mit demselben Mittelpunkt. Dieser Körper wird als der zum Ausgangskörper duale Körper bezeichnet.
Es gilt: Der Duale Körper jedes platonischen Körpers ist wiederum ein platonischer Körper (siehe Abbildung 3.2 und Tabelle 3.1).
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Abb. 3.2: Die dualen Körper (rot) der platonischen Körper (schwarz).7
7 wikipedia.org, Stichwort: „Platonische Körper“.
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4 Archimedische Körper
Lässt man in der Definition 4.1 der platonischen Körper eine oder mehrere der vier Bedingungen – Konvexität, Kongruenz der Vielecke, Regel-mäßigkeit der Vielecke, Identität aller Ecken des Polyeders – fallen, so erweitert man die Menge der auf diese Weise definierten Körper. So kann man beispielsweise die Forderung nach Kongruenz aufgeben, die Regelmäßigkeit der Vielecke aber beibehalten. Dann gelangt man zu den archimedischen Körpern. Ein Beispiel zeigt die Abbildung 4.1!
Abb. 4.1: Ob Franz Beckenbauer wohl weiß, dass er mit einem archimedischen Körper spielt? Aus welchen Vielecken besteht ein Fußball? Wie viele Vielecke sind es jeweils?
Der Begriff des archimedischen Körpers ist formal schwierig zu erfassen. Wir definieren ihn hier heuristisch folgendermaßen: Ein archimedischer Körper ist ein Körper, dessen Seitenflächen regelmäßige Vielecke sind, die aber nicht alle kongruent sein müssen. Mit dieser Definition wäre auch jeder platonische Körper ein archimedischer Körper; diese Bezeichnung ist jedoch unüblich – die platonischen Körper werden von der Definition ausgenommen. Ebenfalls in den Rahmen der obigen Definition fallen die Prismen (z. B. Abb. 4.2). Aber auch Prismen will man nicht als archimedische Körper bezeichnen, so dass sie ebenfalls ausgenommen sind.
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Abb. 4.2: Ein (gerades) Prisma hat ein Vieleck als Grundfläche; seine Seiten sind parallel und gleich lang. Wählt man als Grundfläche ein regelmäßiges Vieleck der Kantenlänge a und Seiten, die ebenfalls die Länge a haben, so entsteht ein Prisma, das nur aus regelmäßigen Vielecken besteht. Wir bezeichnen einen solchen Körper aber nicht als archimedischen Körper.
Eigenschaften archimedischer Körper. Es gibt insgesamt 13 archimedische Körper; diese sind in Tabelle 4.1 aufgelistet und beschrieben.
Nr. Körper Abbildung Anzahl und
Art der
Flächen
Anzahl der
Kanten
Anzahl der
Ecken
1 Abgestumpftes
Tetraeder
8 (4 Dreiecke, 4 Sechsecke)
36 24
2 Abgestumpftes
Hexaeder
14 (8 Dreiecke, 6 Achtecke)
36 24
3 Abgestumpftes
Oktaeder
14 (6 Quadrate, 8 Sechsecke)
36 24
4 Abgestumpftes
Dodekaeder
32 (20 Dreiecke,
12 Zehnecke) 90 60
5 Abgestumpftes
Ikosaeder
32 (12 Fünfecke,
20 Sechsecke) 90 60
6 Kuboktaeder
14 (8 Dreiecke, 6 Quadrate)
24 12
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7 Rhombenkuboktaeder
26 (8 Dreiecke, 18 Quadrate)
48 24
8 Abgestumpftes Kuboktaeder
26 (12 Quadrate,
8 Sechsecke, 6 Achtecke)
72 48
9 Abgeschrägtes
Hexaeder
38 (32 Dreiecke,
6 Quadrate) 60 24
10 Ikosidodekaeder
32 (20 Dreiecke,
12 Fünfecke) 60 30
11 Rhomben-
ikosidodekaeder
62 (20 Dreiecke,
30 Quadrate, 12 Fünfecke)
120 60
12 Abgestumpftes
Ikosidodekaeder
62 (30 Quadrate,
20 Sechsecke, 12 Zehnecke)
180 120
13 Abgeschrägtes
Dodekaeder
92 (80 Dreiecke,
12 Fünfecke) 150 60
Tabelle 4.1: Die Eigenschaften der 13 archimedischen Körper.
Erzeugung archimedischer Körper. Sieben archimedische Körper (1-6, 10) lassen sich dadurch erzeugen, dass man die Ecken eines platonischen Körpers abschneidet („Abstumpfen“). Das Abstumpfen eines platonischen Körpers muss so geschehen, dass der entstehende Körper Seitenflächen hat, die aus regelmäßigen Vielecken bestehen, die also insbesondere Seiten mit gleicher Kantenlänge besitzen. Zwei Körper (8, 12) entstehen durch Abstumpfen des Kuboktaeders bzw. des Ikosidodekaeders. Zwei Körper (7, 11) entstehen durch Abflachen von Ecken und Kanten des Oktaeders bzw. des Dodekaeders. Zwei Körper schließlich (9, 13) erhält man, indem man beim Hexaeder bzw. Dodekaeder eine Seitenfläche dreht und gleichzeitig verkleinert, so dass die Zwischenräume mit gleichseitigen Dreiecken ausgefüllt werden.
Anwendungen. Der Fußball stellt ein abgestumpftes Ikosaeder dar. Vor einigen Jahren wurden neue Modifikationen des Kohlenstoff (neben Diamant und Graphit) entdeckt; diese werden als Fullerene bezeichnet.
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Das Fulleren-Molekül stellt ebenfalls ein abgestumpftes Ikosaeder dar (Abb. 4.3).
Abb. 4.3: Fullerene stellen eine neu entdeckte Form des Kohlenstoffs dar. Rechts ist das sog. Buckminster-Fulleren dargestellt, ein Molekül, das aus 60 C-Atomen besteht.
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5 Literaturhinweise
Zum Themengebiet der Vielecke, des eulerschen Polyedersatzes und der platonischen Körper finden sich viele gute Quellen im Internet. Es folgen einige Anregungen: • Nützlich sind die Artikel „Platonische Körper“ und „Archimedische
Körper“ von Wikipedia, http://www.wikipedia.de/
• Eine sehr informative Seite sind die „Mathematischen Basteleien“ http://www.mathematische-basteleien.de/index.htm (Stichworte z. B. „Regelmäßiges Vieleck“, „Platonische Körper“, „Archimedische Körper“). Sie enthält beispielsweise Stereobilder der Körper, so dass man einen räumlichen Eindruck gewinnt.
• Bastelbögen für platonische und archimedische Körper finden sich auf der Seite von Reimund Albers. Hier sind auch Filme zu sehen, die den Übergang zwischen verschiedenen platonischen Körpern zeigen: http://www.mevis-research.de/~albers/Materialien/index.html
• Mit dem Programm Poly kann man sich sehr viele Körper (unter ihnen auch die platonischen und die archimedischen) und deren Netze an-schauen. Das Programm lässt sich auf der Seite http://www.peda.com/poly/ herunterladen.
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Anhang A: Voronoi - Parkettierung In diesem Verfahren zur Parkettierung einer Fläche mittels Polygonen werden alle Punkte einer Fläche, die jeweils einem bestimmten Messpunkt am nächsten liegen, einem Polygon um diesen Messpunkt zugeordnet. (Voronoi-Polygone oder Thiessen-Polygone) Aufgaben:
1. Verbinden Sie zwei benachbarte Messpunkte. 2. Konstruieren Sie die Mittelsenkrechte der Verbindungslinie. 3. Verfahren Sie entsprechend bis alle Mittelsenkrechten aller
benachbarten Messpunkte konstruiert sind. 4. Zeichnen Sie nun die entstandenen Polygone farbig ein. 5. Wie viele Polygone ergeben sich bei sieben Messpunkten? 6. Begründen Sie, warum die so entstandene Parkettierung die oben
genannte Eigenschaft hat.