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DAS KULTURMAGAZIN DER CHRISTOPH MERIAN STIFTUNG SHORTCUT Schwerpunkt: HALBWERTSZEIT Cartoonmuseum Basel: PLONK & REPLONK Christoph Merian Verlag: HÖRT DIE BÜCHER! # 4 April 2014

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Das Kulturmagazin der Christoph Merian Stiftung Schwerpunkt Halbwertszeit

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Page 1: Shortcut 4

EDITORIAL—

Eine bekannte Schweizer Stiftung mit dem Förderschwerpunkt Wissenschaft unterstützt grundsätzlich nur innovative Initiati-ven. Gefragt seien Projekte «von hoher Relevanz und wissen-schaftlicher Qualität, die durch ‹Originalität›, ‹Wirksamkeit›, ‹Transferpotential› und ‹Interdisziplinarität› abgesichert» sind und sich in der fragilen Phase zwischen Prototyp und Massen-produktion, also im Stadium mit dem emphatischen Namen «Tal der Tränen», befinden. Beeindruckt von diesem Statement, hat sich die Kulturabteilung der Christoph Merian Stiftung im vergangenen Jahr Gedanken darüber gemacht, ob sich diese Förderideen aus den Gefilden der Wissenschaftstechnik auch auf den Bereich der Kultur übertragen lassen. Basierend auf den entsprechenden internen Diskussionen widmet sich der Schwerpunkt der vierten Ausgabe von «Shortcut» den Fragen rund um das Thema von Fortschritt und Innovation, von Er-finden und Vergessen, von Nachhaltigkeit und Wertezerfall in unsrer beschleunigten Warenindustrie. Mit den verschiedenen Beiträgen möchten wir einige kritische, skeptische, aber auch charmant-absurde Antworten geben: Aus der Perspektive der digitalen Kunst, des Buchhandels, der Collagekunst und der Kulturförderung beleuchten wir einige Aspekte zu Novität und Invention – sozusagen direkt aus dem Auge des Orkans.Alexandra Stäheli, Leiterin iaab

EIN FEST DER KÜNSTE IM AUFBRUCH

OSLO NIGHT 2014

Einmal im Jahr verwandelt sich der Dreispitz vom Industrieareal zur Festivalzone und die 40-Tönner machen dem interessierten Kunst- und Kulturpublikum Platz. Für die diesjähri-ge Ausgabe der Oslo Night am 24. Mai 2014 schliessen sich die Kulturakteure der Oslo-strasse bereits zum dritten Mal zusammen und präsentieren ein spartenübergreifendes Programm aus Ausstellungen, Performances, Open-Air-Kino, Workshops, Konzerten und Party.

Initiator dieses eintägigen Kunstfestivals ist das seit 2011 auf dem Dreispitz ansässige Haus für elektronische Künste Basel (HeK), das zusammen mit seinen Nachbarn erneut ein gemeinsames Festivalthema erarbeitet hat, um die Aktivitäten der unterschiedlichen In-stitutionen miteinander zu verbinden. Dies sind Radio X, die Fotogalerie Oslo 8, der Kunstraum OSLO10, das Internationale Aus-tausch- und Atelierprogramm Region Basel iaab, das Fotofachlabor Pascale Brügger mit dem Aufziehatelier TRISUL und erstmals

auch die neu auf dem Areal ansässige Hoch-schule für Gestaltung und Kunst FHNW.

Das Motto, auf das man sich für 2014 ge-einigt hat, ist «Aufbruch»: Es verweist auf die grossen Veränderungen, die das Quartier in diesem Jahr erfahren wird. Die HGK / FHNW wird mit allen Instituten und Fakultäten auf das Dreispitzareal ziehen und mit ihren ca. 800 Studierenden und 200 Lehrkräften deutlich zur weiteren Transformation des Quartiers beitragen. Auch das HeK und iaab werden im November 2014 ihre neuen Räume am Freilager-Platz 9/10 beziehen. Schon jetzt ist die Veränderung vor Ort zu spüren – neue gastronomische Angebote entwickeln sich, die Studierenden der Hochschule erforschen ihr neues Quartier und die fertigen «Plätze» und Mini-Parks ziehen erste Flaneure an.

Die beteiligten Partner inszenieren und in-terpretieren diese Aufbruchsituation auf un-terschiedliche Weise. Im HeK wird im Ober-geschoss die Ausstellung «Perspectives on Ima-ginary Futures» gezeigt, welche internationale

künstlerische Positionen beinhalten wird, die sich mit Fragen nach einer möglichen alterna-tiven Zukunft beschäftigen. Gesellschaftliche und ökologische Fragestellungen stehen dabei ebenso im Fokus wie die Veränderungen des Alltags. Gemeinsam ist den verschiedenen Po-sitionen in der Ausstellung ihre unbefangene Herangehensweise, die unsere Vorstellungen der Zukunft einer ironisch-kritischen Prüfung unterziehen.

Die US-Künstlerin Stephanie Rothenberg beispielsweise reflektiert in ihrem Online-Projekt «Laborers of Love/LOL» (2013), wie sich Se-xualität und Lust mit der Entwicklung neuer Medi-en und Technologien und der dadurch ermöglichten Arbeitsauslagerung in Zu-kunft entwickeln werden. Der englische Künstler Tobias Revell thematisiert in seiner fiktiven Doku-mentation «New Mumbai» (2012) die positiven Folgen einer Invasion von Riesen-pilzen auf die Eigenstän-digkeit der Bewohner in den Slums von Mumbai. Wie wir uns in Zukunft alternativ ernähren könn-ten, zeigt das Künstlerduo Burton Nitta aus Grossbri-tannien in seinem Projekt «Algaculture» (2010 – 2014). Sie untersuchen, wie Menschen mit Algen symbiotisch leben und sich so wie Pflanzen von Licht ernähren könnten. Weitere Positi-onen stellen Zukunftsvorstellungen aus der Peripherie von Bamako, der Hauptstadt von Mali, vor (Neil Beloufa, «Kempinski», 2007) oder zeigen auf, wie das Aufziehen von Kin-dern in Zukunft per Roboter funktionieren könnte (Addie Wagenknecht, «Optimization of Parenthood», 2013). Im Untergeschoss des

HeK installiert Raphael Lauper eine Werkstatt und veranstaltet einen «Upcycling» Workshop, den er im Zuge seines Diploms am Hyperwerk entwickelt hat. Kinder und Erwachsene sind dazu eingeladen, Elektroschrott und Abfall-teile zu verarbeiten und ihnen neues Leben einzuhauchen. Um die aktive Beteiligung des Publikums geht es auch in einem vom HeK initiierten Open Call. Bis Ende April werden Video- und Filmbeiträge zum Thema «Ima-ginary Futures» gesammelt, die während der Oslo Night in einem solarbetriebenen Open-

Air-Kino vorgeführt wer-den. Dabei können sowohl eigene Clips als auch ge-fundenes Material einge-reicht werden.

Das mehrstündige Mu-sikprogramm präsentiert aktuelle Tendenzen der elektronischen Musik in einem entspannten Set-ting auf dem Vorplatz der HGK ab 18 Uhr und an der anschliessenden Party ab 23 Uhr im Kunstraum OSLO10. Im Aussenbe-reich spielen S S S S (CH) und Huerco S. (USA). An der Party tritt dann die gesamte Crew des Young Echo Labels aus Bristol auf. Dieser achtköpfige Verbund von Künstlern ge-hört zu einer neuen Welle

von Musikern, die der Tradition Bristols als Stadt der Musik neue Impulse liefert.

Vor der Party kann man die vom Team von OSLO10 zusammen mit Margit Säde kuratier-te Gruppenausstellung «Cats in the throat» sehen. Gleich daneben im Fotofachlabor Pascale Brügger / Aufziehservice Trisul und bei Radio X wird dem Publikum die Möglich-keit geboten, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

IMPRESSUM

Redaktion und TexteZamira Angst, Praktikantin Abteilung Kultur Oliver Bolanz, Leiter Christoph Merian Verlag Anette Gehrig, Leiterin Cartoonmuseum Basel Karin Matt, Vertrieb und Hörbuchprogramm

Christoph Merian Verlag Christoph Meneghetti, Projektleiter Abteilung Kultur

Alexandra Stäheli, Leiterin iaab Beat von Wartburg, Leiter Abteilung Kultur

Gestaltung Hauser, Schwarz – Basel

Druck Gremper AG – Basel / Pratteln

Christoph Merian Stiftung St. Alban-Vorstadt 5

CH-4002 Basel

DAS KULTURMAGAZIN DER CHRISTOPH MERIAN STIFTUNG

SHORTCUTSchwerpunkt:

HALBWERTSZEITCartoonmuseum Basel:PLONK & REPLONK

Christoph Merian Verlag:HÖRT DIE BÜCHER!

#4April 2014

DEUTSCHER HÖRBUCHPREIS FÜR «FALLBEIL FÜR GÄNSEBLÜMCHEN»

In der ersten «Shortcut»-Ausgabe 2013 stellten wir unsere Zusam-menarbeit mit der Stiftung Radio Basel vor. Seit 2007 vergibt sie den internationalen Featurepreis für herausragende Radiofeatures von ARD, ORF und SRF. Das Gewinnerfeature erscheint jeweils auf CD im Hörbuchpro-gramm des Christoph Merian Verlags. Feature ist eine faszinie-rende Form der Radioreportage und «Fallbeil für Gänseblüm-chen» – das Gewinnerfeature von 2012 – ein besonders eindrückli-ches Stück.

September 1955, ein Gerichtssaal irgendwo in Ostberlin: Der Spio-nageprozess gegen Elli Barczatis, Sekretärin des DDR-Ministerprä-sidenten, und ihren Geliebten Karl Laurenz findet unter Aus-schluss der Öffentlichkeit statt. Aus den bisher unveröffentlichten Originaltonaufnahmen der Staats-sicherheit, begleitet von wenigen Kommentaren, entstand dieses Feature. Es zeigt in bewegender und exemplarischer Weise, wie Rechtsprechung in einer Diktatur funktioniert. Noch heute, sechzig Jahre nach der Verhand-lung, sind die Rhetorik und die Fangfragen des Richters kaum zu ertragen, ist die Bedrohung förmlich zu spüren.

Das Hörbuch sorgte bereits im letzten Jahr für viel positives Presse-Echo und wurde gut ver-kauft. Es liegt nun in der zweiten Auflage vor. Ein besonderer Höhepunkt war die Nominierung für den Deutschen Hörbuchpreis, der 2003 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, ein Qualitätssiegel für das Hörbuch zu schaffen. Diese Idee fand – und findet – zahlreiche Befür-

worter. Dies führte im Jahr 2006 zur Gründung des Deutschen Hörbuchpreises e.V. mit weiteren wichtigen Mitgliedern, unter anderem dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem «Focus»-Magazin. Heute sind verschiedene ARD-Anstalten und die Wochenzeitung «Die Zeit» die wichtigsten Partner des mit Abstand bedeutendsten Hörbuch-preises im deutschsprachigen Raum.

Der Christoph Merian Verlag war in den vergangenen Jahren bereits fünfmal für einen Preis in ver-schiedenen Kategorien nominiert, was an sich schon eine grosse Auszeichnung und Anerkennung für ein herausragendes Hörbuch-programm darstellt. Nun hat es geklappt: Das Feature «Fallbeil für Gänseblümchen» setzte sich gegen starke Konkurrenz durch (Egon Bahr: «‹Das musst du erzählen›, Erinnerungen an Willy Brandt» und Peter Handke/ Siegfried Unseld: «Der Brief-wechsel») und wurde als bestes Sachhörbuch ausgezeichnet! Die Jury schreibt zur Begründung: «Die Überfülle des zugrunde liegenden O-Ton-Materials haben Autor und Regisseur auf verdienstvolle Weise gefiltert. Ihr Feature leuchtet nicht nur die Persönlichkeit und Psyche der beiden Angeklagten aus, sondern entlarvt darüber hinaus die schamlose, ideologiekonforme Art der Prozessführung. Die Collage ist ein eindrucksvolles Zeitdoku-ment, spannend und außerordent-lich erschütternd.»

Autor dieses Stücks Zeitgeschich-te ist Maximilian Schönherr, der im Auftrag des WDR das Feature erstellt hat. Aus seinem Projekt «Archivradio» haben

sich umfangreiche und preisge-krönte Features entwickelt, die auf O-Ton-Dokumenten basieren. Für die «Stammheim-Bänder» gewann er im März 2009 erstmals den Deutschen Hörbuchpreis, nun erhielt er bereits zum zweiten Mal diese wichtige Auszeichnung. Dem Christoph Merian Verlag wurde der Preis im Rahmen einer Gala in Köln verliehen. Es ist ein im wahrsten Sinne gewichtiger Preis, den er im März nach Basel brachte: Die Trophäe ist ein Unikat, besteht aus massivem Edelstahl und wiegt stolze sechs Kilogramm!

Oliver Bolanz

www.deutscher-hoerbuchpreis.de

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Die Fotogalerie Oslo 8 eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Polis – Bilder von Städten» mit Bildern der Fotografin Christa Ziegler. Während vier Jahren bereiste die Künstlerin zahlreiche Städte vornehmlich ausserhalb Europas und Nordamerikas und entwickelte eine eigenständige Perspektive auf den urbanen Raum. Sie verzichtet auf die Illustration sozialer Brennpunkte und begreift die Stadt vielmehr als eigengesetzlichen Kör-per. «Polis» ist gleichzeitig ein Bildband mit dazugehöriger Textedition, der um 19 Uhr von der Künstlerin selbst vorgestellt wird.

Das Internationale Austausch- und Atelier-programm der Region Basel iaab eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Going Places – Aufbruch ins Weite», die Arbeiten von 20 Kunstschaffenden aus der Region Basel, Süd-baden und Solothurn präsentiert, welche 2013 ein Stipendium für einen Aufenthalt in einem der Partnerateliers im Ausland erhielten. Da-bei wird der Aufbruch nicht nur geografisch im Sinne des Aufbrechens an andere und ferne

Orte thematisiert, sondern, damit verbunden, auch als ein Aufbrechen der gewohnten Zei-chensysteme und scheinbar selbstverständli-chen künstlerischen Praktiken. Beteiligt sind unter anderem Dunja Herzog, Vanessa Safavi, Clare Kenny sowie Monica Studer und Chris-toph van den Berg.

Der Beitrag der Hochschule für Gestaltung und Kunst kommt von der Vereinigung der Alumni HGK. Ehemalige Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen präsen-tieren selbst hergestellte Produkte und zeigen Showcases mit Workshops und partizipativer sowie performativer Kunst.

Auf der Oslostrasse selbst wird den Besu-chern ein ausgesuchtes kulinarisches Angebot offeriert, wobei auch hier das Thema der zu-künftigen Lebenswelten in der Frage «Was wol-len wir essen?» aufgegriffen wird. Leon Heinz, Student am Hyperwerk in Basel und Mitglied der Gastronauten, lädt die Besucher ein, unter professioneller Anleitung eine personalisier-te Wurst aus unterschiedlichsten Zutaten zu

Andere versuchen vorauszuschauen, die Westschweizer Künstlerbrüder und Verleger Hubert und Jacques Froidevaux alias Plonk & Replonk aus La Chaux-de-Fonds blicken entspannt zurück. Sie recyceln alte Postkarten und Fotografien, die sie entweder mit Unter-titeln subtil umdeuten oder in digitalen Bild-bearbeitungsprogrammen neu kombinieren, und schreiben so an ihrer eigenen Version der (helvetischen) Geschichte. Jedes neue Bild von Plonk & Replonk behauptet eine weitere absurde, aber ungemein charmante Wahrheit, die einen Platz in ihrem Koordi-natensystem aus inzwischen Hunderten von thematisch und gestalterisch verwandten Col-lagen findet. Mit ätzendem Humor, wenigen aber entscheidenden Bildmanipulationen und lakonischen bis skurrilen Kommentaren

wird die Vergangenheit umgepolt und der Ge-genwart ans Schienbein getreten. Besonders über Erfindergeist und Verbesserungswahn machen sich Plonk & Replonk mit Verve lus-tig. Scheinbar Modernes, aufgegebene Berufe, überholte Sitten und widerlegte Mythen sind der Stoff, aus dem sie ihre Pointen formen. Ihr schräger Blick auf das Gestern lässt die Betrachter über die Lächerlichkeit alter Stra-tegien schmunzeln und gleichzeitig ahnen, dass die heutigen kaum besser funktionieren. Die Wende zum 20. Jahrhundert, die Plonk & Replonk liebevoll verdreht wieder aufleben lassen, ist unserem hektischen Start ins neue Jahrtausend ähnlicher, als uns lieb ist.

Das Cartoonmuseum Basel würdigt Plonk & Replonk erstmals auf der deutschsprachigen Seite des Röstigrabens mit einer grossen Werk-

ANSICHTEN VON BASEL:

PLONK & REPLONK IM CARTOONMUSEUM

David Semper: Auf der Strecke zwischen Studio und

Old Delhi, Fotografie, 2013Ausstellung iaab:

«Going places – Aufbruch in die Weite»

fertigen und im Anschluss an der gegenüber-liegenden Grillstation zu konsumieren. Im breit gefächerten Angebot an Waren, die für die Wurst ausgesucht werden können – von Fleisch bis hin zu Sauerkraut und Gewürzen –, werden die Geschmacksnerven angeregt und aufgezeigt, wohin die Zukunft der Nahrungs-mittelzubereitung gehen könnte.

Die Initianten der Oslo Night begreifen sich als Pioniere und Mitgestalter eines neu-en urbanen Raumes. Im Format einer or-ganisierten Kollaboration eröffnet sich die Möglichkeit, in einem festlichen Ambiente einem grossen Publikum die Aktivitäten und Programme der einzelnen Partnerinstitutio-nen vorzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Bauarbeiten, den positiven Rück-meldungen des Publikums der letzten Jah-re und dem Zuzug neuer Partner feiert die diesjährige Oslo Night den Neubeginn des Quartiers. Als alljährlicher Fixpunkt im loka-len und überregionalen Kulturkalender kann man auch in Zukunft an der Oslo Night die

Weiterentwicklung der Oslostrasse und des Areals mitverfolgen.

Lukas ZitzerLukas Zitzer ist im Haus für elektronische Künste Basel verantwortlich für die Kommunikation.

c Tobias Revell: New Mumbai Film Still, Video, 2012 Ausstellung HeK: «Perspectives on Imaginary Futures»

g Die Oslostrasse an der Oslo Night 2013 Foto: Stefan Holenstein

heiterem Gespräch die Ereignisse der Zeit kommentierte. Die Wohnung werden Sie wie viele andere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht finden. Doch Margrit Rainer und Ruedi Walter, die für Radio Basel in der satirischen Sendung « Spalebärg 77a» auftraten, schafften mit elfjähriger Laufzeit und weit über 100 Fol-gen mit regelmässigem Hörerrekord einen bis heute einmaligen Erfolg.

Es regnet das ganze Wochenende, Sie liegen krank im Bett oder haben Ihren Frühlings-putz vor sich. Auf jeden Fall haben Sie ohne Probleme 18 Stunden Zeit, sich ein Hörbuch zu Gemüte zu führen? Dann nehmen Sie sich Beat Sterchis «Blösch» vor, einen der wich-tigsten Schweizer Romane der Gegenwart. Er erzählt vom Leben eines Spani-ers, der als Knecht auf einen Schweizer Bauern-hof kommt, von seinem friedlichen Leben mit den Kühen und von den nicht so friedlichen Dorfbe-wohnern. Das von Sebas-tian Mattmüller gelesene und von Raphael Zehnder an Originalschauplätzen (Kuhstall, Weide, Schlacht-hof u.a.) aufgezeichnete Hörbuch beschwört mit der wuchtigen Sprache Sterchis und den authentischen Geräuschkulissen Bilder herauf, die durch Mark und Bein gehen.

Joggen: Aber vielleicht besser nicht im Zolli, denn ein «nulluns macrosalis» ist ausgebüxt! Das verbreitet Angst und Schrecken und ver-setzt den Tierforscher Benno Potzi in Alarm-bereitschaft. Jetzt heisst es Ruhe bewahren und das exotische Wesen zurück in den Käfig locken. Diese Geschichte gibt es im Hörbuch «Lockstoff» von Joachim Rittmeyer zum Mithören und -lachen. Erschrecken Sie nicht, wenn die Geschichte plötzlich unterbrochen werden muss: Eine zoologische Taskforce übernimmt und koordiniert die diffizile Auf-gabe, das Tier wieder einzufangen.

Und zum Schluss: Schaurig schöne Bett-mümpfeli-Geschichten! Am 5. November 1975

drang es zu später Stunde erstmals in die helveti-schen Stuben und Schlaf-zimmer: das Schreck-mümpfeli. Seither gingen gegen tausend dieser iro-nischen Kurzkrimis über den Sender. Der Sendeter-min wurde zur Fixzeit für Hörerinnen und Hörer, die sich ohne beschleunigten Puls und Kribbeln im Bauch nicht mehr unter die Bettdecke verkriechen

mochten. Mittlerweise sind neun verschiedene Schreckmümpfeli-CDs sowie «Das Beste vom Schreckmümpfeli» erschienen, die Sie nicht nur zu bestimmter Sendezeit hören können.

Zamira Angst

HÖREN SIE ZU! HÖRBÜCHER AUS DEM CHRISTOPH MERIAN VERLAG FÜR ALLE LEBENSLAGEN

Im Christoph Merian Verlag erscheinen jedes Jahr zahlreiche und vielfältige Hörbücher. Hier seien einige besondere Perlen hervorgehoben. Lassen Sie sich auf die Geschichten ein und geniessen Sie es, vom Alltag abzuschalten. Vorschläge für ein Hörbuchabenteuer.

Im ehemaligen Restaurant Milchhüsli, heute Caffè Bologna: Nehmen Sie Platz im neu von Studierenden betriebenen Caffè Bologna, be-stellen Sie Kaffee und Kuchen und setzen Sie sich die Kopfhörer auf. Kommissär Hunkeler entführt Sie in alte Zeiten, als das Milchhüsli noch die Stammkneipe der Quar-tierbewohner war. Zuerst haben Sie jedoch noch die Qual der Wahl: «Das Paar im Kahn», «Hunkeler macht Sachen», «Hunkeler und der Fall Livius», «Hun-keler und die Augen des Ödipus», «Hunkeler und die goldene Hand» oder doch lieber «Tod einer Ärztin»? Eines ist sicher: Ueli Jäggi – 2004 erhielt er als bester Sprecher den Deutschen Hörbuchpreis – glänzt in der Rolle des kauzigen Kommissärs von Hansjörg Schneider.

Mit Dürrenmatt in die Badewanne: Ein gewag-tes Experiment! Achtung: Das Wasser könn-te kalt werden, ohne dass Sie es bemerken. Denn Friedrich Dürrenmatt schrieb neben Romanen, Erzählungen und Theaterstücken auch Hörspiele, die vielfach ausgezeichnet wurden. Im Klassiker «Die Panne» erzählt er die Geschichte des Durchschnittsmenschen Alfredo Traps, der sich stolz zu einem Ver-

brechen bekennt, das er nicht begangen hat. Und das Beste: Dürrenmatt selbst spricht die Einleitung.

Am Rhein liegen, sich sonnen, vielleicht so-gar die Angelrute auswerfen, mit Arno Came-nischs «Fred und Franz» im Ohr. Die besten Freunde und Brüder im Geiste kämpfen mit dem Alltag. Im Erfolgsroman geht es um die Liebe, die Frauen, den Tod und das Mensch-sein. Ein starkes Stück neue Schweizer Lite-ratur, virtuos als intimes Hörspiel von Geri

Dillier in Zusammenar-beit mit Arno Camenisch umgesetzt.

Im Stau stehen bedeutet nicht unbedingt Zeit ver-lieren. Hören Sie stattdes-sen zu, wenn «Max Frisch spricht». Er wird Sie bes-tens unterhalten mit Aus-zügen aus Originalmit-schnitten seiner Reden, die anlässlich seines 75. Ge-burtstags erschienen sind.

Nicht nur die Reden sind spannend, sondern auch das Gespräch mit Hans Ulrich Probst, in dem sich Frisch zu zentralen Themen seines Werks äussert. Ausserdem ist dieser Autor so aktuell wie nie, hat er doch schon 1965 zur damaligen Zuwanderung in die Schweiz ge-schrieben: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.» Es ist 2014 beson-ders lohnend, Max Frisch wieder einmal genau zuzuhören!

Spalenberg 77a, das ist der Wohnort des Ehe-paars Ehrsam, das ab 1955 jeden dritten Sams-tag nach den Mittagsnachrichten in traulich-

Ein Klassiker im Christoph Merian Verlag: Dürrenmatts «Die Panne»

Unterwegs mit «Max Frisch spricht»

EIN HÖRBUCH VON SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN

IM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

Die BuchBasel 2005 markierte den Startschuss für ein neues Kapitel im Christoph Merian Verlag: Das erste Hörbuchprogramm erschien. Ausgangspunkt war die Vereinbarung einer exklusiven Partnerschaft mit dem Schweizer Radio DRS, um ausgewählte Erwachsenenhör-spiele des Radios als Hörbuch in Lizenz in den Buchhandel zu bringen. Damit verschaffte sich der Verlag auch Zugang zum umfangreichen Archiv des Radios.Mittlerweile ist aus dem Schweizer Radio DRS das «Schweizer Radio und Fernsehen» geworden und die gemeinsame Reihe heisst nun «Ein Hörbuch von Schweizer Radio und Fernsehen im Christoph Merian Verlag». In dieser Edition konnte der CMV erfolgreiche Titel wie die «Schreckmümpfeli»-Reihe oder Gisela Widmers «Zytlupe» auf CD veröffent-lichen. Letztere liegt bereits in der vierten Auflage vor! Einen Schwerpunkt im Hör-buchprogramm bilden Schweizer Autorinnen und Autoren. Das Programm umfasst Werke der beiden «Grossen» Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, Krimiklassiker von Friedrich Glauser oder Hansjörg Schneiders erfolgrei-che Kommissär-Hunkeler-Fälle. Auch Mund-artstücke mit prominenter Besetzung wie zum Beispiel Ruedi Walter und Margrit Rainer in «Spalebärg 77a» dürfen im Programm nicht fehlen, ebensowenig viele Hörspiele von zeit-genössischen Autorinnen und Autoren im Verlagsprogramm.Welche Werke den Weg aus den Archiven auf die CDs und seit einigen Jahren auch auf das Download-Angebot des Verlags finden, wird zusammen mit den Radio-Verantwortlichen aus der Hörspielredaktion entschieden. Bei der Auswahl achten wir zum Beispiel dar-auf, ob eine Produktion grundsätzlich ins Programm passt und ob es einen aktuellen

Anlass gibt, ein bestimmtes Werk gerade jetzt als Hörbuch ins Verlagsprogramm aufzuneh-men: Feiert ein Autor Jubiläum? Gibt es einen neuen Kriminalfall des Publikumslieblings Franz Musil? Welches Hörspiel hat bei der Radioausstrahlung besonders viel positives Echo ausgelöst? Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Auswahl. Das Radio verfügt zwar über die Sen-derechte, nicht aber über diejenigen für kom-merzielle Verwertungen. Oft stehen aufwendi-ge Recherchen und Verhandlungen mit den Rechteinhabern an. Danach werden mit dem Grafiker Hans Sommer von «rébus» die Ideen für jedes einzelne Hörbuch-Cover besprochen. Zusammen mit ihm haben wir die einheitli-che Gestaltung der Hörbuchreihe entwickelt und damit ein Wiedererkennungs- und Qua-litätsmerkmal geschaffen. Danach müssen die Produktionspläne gemacht, die Offerten des Presswerks eingeholt und alle Informationen rund um die Produktionen für die Verlags-vertreter, den Buchhandel und die Medien zusammengetragen werden. Das Erscheinen der Hörbücher wird in den meisten Fällen auf die Buchmessen im Frühling in Leipzig und im Herbst in Frankfurt terminiert. Die CDs können danach überall im Buchhandel in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sowie im SRF-Shop und über unsere Website merianverlag.ch erworben werden.

Karin Matt

schau. Hierzulande erscheinen ihre humoris-tischen Postkarten vor allem im Westschwei-zer Satiremagazin «Vigousse», in «L’Hebdo» und in der Deutschschweiz zeitweise in der Tageszeitung «Der Bund». In Frankreich, wo sie ganze Museen gegen den Strich gebürs-tet haben, sind die beiden Jurassier bestens bekannt und etabliert, dort publizieren sie regelmässig in der linksliberalen Pariser Ta-geszeitung «Libération», in «Charlie Hebdo» und in «L’Humanité».

Plonk & Replonk sind nicht zeichnende Cartoonisten, ihre Collagetechnik orientiert sich an Künstlern wie dem deutschen Foto-montagekünstler John Heartfield (eigent-lich Helmut Herzfeld, 1891 – 1968). Ihr Aus-drucksmittel ist die im Fotobearbeitungspro-gramm Photoshop ausgeführte Collage von Ausschnitten historischer Postkarten und Fotografien. Die im Computer montierten schwarz-weissen, sepiafarbenen oder pseudo-handkolorierten Bilder sind aber nicht perfekt verschmolzen, sondern erkennbar zusammen-gefügt, so dass spätestens auf den zweiten Blick klar wird, dass hier geschummelt wurde. Die Spuren der Bildmontage bleiben bewusst sichtbar, um dem Betrachter der Manipula-tionen die Dechiffrierung der umgedeuteten Zusammenhänge zu ermöglichen. Ebenso wichtig wie die Bilder sind die nur auf den ersten Blick erklärenden Bildlegenden, die lustvoller Kalauer wie hintergründige Pointe sein können. Anstatt den Betrachter zu in-formieren, verleihen diese den arrangierten

Bildern eine weitere, oft kauzige oder gar groteske Qualität. Sie können aber auch die historisch anmutenden Bilder an konkrete ak-tuelle Themen anbinden oder mit bekannten Ereignissen verknüpfen. Die mit Hintersinn und Wortspielereien gespickten, verfremdeten Postkarten von Plonk & Replonk präsentieren die Schweiz als Hort des Skurrilen und krat-zen mächtig an der Politur erhabener Gipfel, nobler Teppichetagen, stolzer Militärs, ordent-licher Kleinbürger und alter Klischees.

Die Werkschau in Basel zeigt einen Über-blick über die vielfältige künstlerische Arbeit von Plonk & Replonk, die auch die bildhau-erische Auseinandersetzung mit Schweizer Ikonen wie den Schuhen von Rousseau, der Brille von Le Corbusier oder dem Garten-zwerg beinhaltet. Speziell für Basel kreieren Plonk & Replonk ein Kabinett mit einer Serie von Arbeiten zu den Besonderheiten der Stadt am Rheinknie.

Anette Gehrig

BEGLEITVERANSTALTUNGEN—

CAFÉ BELLEVUETreten Sie ein in die gute Stube! Führung

durch die Ausstellung mit anschliessendem Kaffee trinken und Gebäck von der Confiserie Beschle, Basel.

13.4., 11.5., 22.6.2014, 14 Uhr—

INTERNATIONALER MUSEUMSTAG

(K)EINE PERFEKTE SCHWEIZ11 Uhr:

Führung mit der Kuratorin Anette Gehrig14 Uhr:

Workshop mit der Illustratorin Alessia Conidi

Sonntag, 18.5.2014—

Für Schulklassen, Betriebsausflüge und sonstige Gruppenbesuche bieten wir Führungen an.

Mechanisierung des Steuerwesens im Jahre 1899 © Plonk & Replonk

Zehntausend Jahre Basler Geschichte. © Plonk & Replonk

1966: Die feste Installation eines Kreisels erlaubt es, die Rheinschifffahrt flüssig zu halten. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

Die Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen alten Schweizer Viertels. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

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Eine bekannte Schweizer Stiftung mit dem Förderschwerpunkt Wissenschaft unterstützt grundsätzlich nur innovative Initiati-ven. Gefragt seien Projekte «von hoher Relevanz und wissen-schaftlicher Qualität, die durch ‹Originalität›, ‹Wirksamkeit›, ‹Transferpotential› und ‹Interdisziplinarität› abgesichert» sind und sich in der fragilen Phase zwischen Prototyp und Massen-produktion, also im Stadium mit dem emphatischen Namen «Tal der Tränen», befinden. Beeindruckt von diesem Statement, hat sich die Kulturabteilung der Christoph Merian Stiftung im vergangenen Jahr Gedanken darüber gemacht, ob sich diese Förderideen aus den Gefilden der Wissenschaftstechnik auch auf den Bereich der Kultur übertragen lassen. Basierend auf den entsprechenden internen Diskussionen widmet sich der Schwerpunkt der vierten Ausgabe von «Shortcut» den Fragen rund um das Thema von Fortschritt und Innovation, von Er-finden und Vergessen, von Nachhaltigkeit und Wertezerfall in unsrer beschleunigten Warenindustrie. Mit den verschiedenen Beiträgen möchten wir einige kritische, skeptische, aber auch charmant-absurde Antworten geben: Aus der Perspektive der digitalen Kunst, des Buchhandels, der Collagekunst und der Kulturförderung beleuchten wir einige Aspekte zu Novität und Invention – sozusagen direkt aus dem Auge des Orkans.Alexandra Stäheli, Leiterin iaab

EIN FEST DER KÜNSTE IM AUFBRUCH OSLO NIGHT 2014

Einmal im Jahr verwandelt sich der Dreispitz vom Industrieareal zur Festivalzone und die 40-Tönner machen dem interessierten Kunst- und Kulturpublikum Platz. Für die diesjähri-ge Ausgabe der Oslo Night am 24. Mai 2014 schliessen sich die Kulturakteure der Oslo-strasse bereits zum dritten Mal zusammen und präsentieren ein spartenübergreifendes Programm aus Ausstellungen, Performances, Open-Air-Kino, Workshops, Konzerten und Party.

Initiator dieses eintägigen Kunstfestivals ist das seit 2011 auf dem Dreispitz ansässige Haus für elektronische Künste Basel (HeK), das zusammen mit seinen Nachbarn erneut ein gemeinsames Festivalthema erarbeitet hat, um die Aktivitäten der unterschiedlichen In-stitutionen miteinander zu verbinden. Dies sind Radio X, die Fotogalerie Oslo 8, der Kunstraum OSLO10, das Internationale Aus-tausch- und Atelierprogramm Region Basel iaab, das Fotofachlabor Pascale Brügger mit dem Aufziehatelier TRISUL und erstmals

auch die neu auf dem Areal ansässige Hoch-schule für Gestaltung und Kunst FHNW.

Das Motto, auf das man sich für 2014 ge-einigt hat, ist «Aufbruch»: Es verweist auf die grossen Veränderungen, die das Quartier in diesem Jahr erfahren wird. Die HGK / FHNW wird mit allen Instituten und Fakultäten auf das Dreispitzareal ziehen und mit ihren ca. 800 Studierenden und 200 Lehrkräften deutlich zur weiteren Transformation des Quartiers beitragen. Auch das HeK und iaab werden im November 2014 ihre neuen Räume am Freilager-Platz 9/10 beziehen. Schon jetzt ist die Veränderung vor Ort zu spüren – neue gastronomische Angebote entwickeln sich, die Studierenden der Hochschule erforschen ihr neues Quartier und die fertigen «Plätze» und Mini-Parks ziehen erste Flaneure an.

Die beteiligten Partner inszenieren und in-terpretieren diese Aufbruchsituation auf un-terschiedliche Weise. Im HeK wird im Ober-geschoss die Ausstellung «Perspectives on Ima-ginary Futures» gezeigt, welche internationale

künstlerische Positionen beinhalten wird, die sich mit Fragen nach einer möglichen alterna-tiven Zukunft beschäftigen. Gesellschaftliche und ökologische Fragestellungen stehen dabei ebenso im Fokus wie die Veränderungen des Alltags. Gemeinsam ist den verschiedenen Po-sitionen in der Ausstellung ihre unbefangene Herangehensweise, die unsere Vorstellungen der Zukunft einer ironisch-kritischen Prüfung unterziehen.

Die US-Künstlerin Stephanie Rothenberg beispielsweise reflektiert in ihrem Online-Projekt «Laborers of Love/LOL» (2013), wie sich Se-xualität und Lust mit der Entwicklung neuer Medi-en und Technologien und der dadurch ermöglichten Arbeitsauslagerung in Zu-kunft entwickeln werden. Der englische Künstler Tobias Revell thematisiert in seiner fiktiven Doku-mentation «New Mumbai» (2012) die positiven Folgen einer Invasion von Riesen-pilzen auf die Eigenstän-digkeit der Bewohner in den Slums von Mumbai. Wie wir uns in Zukunft alternativ ernähren könn-ten, zeigt das Künstlerduo Burton Nitta aus Grossbri-tannien in seinem Projekt «Algaculture» (2010 – 2014). Sie untersuchen, wie Menschen mit Algen symbiotisch leben und sich so wie Pflanzen von Licht ernähren könnten. Weitere Positi-onen stellen Zukunftsvorstellungen aus der Peripherie von Bamako, der Hauptstadt von Mali, vor (Neil Beloufa, «Kempinski», 2007) oder zeigen auf, wie das Aufziehen von Kin-dern in Zukunft per Roboter funktionieren könnte (Addie Wagenknecht, «Optimization of Parenthood», 2013). Im Untergeschoss des

HeK installiert Raphael Lauper eine Werkstatt und veranstaltet einen «Upcycling» Workshop, den er im Zuge seines Diploms am Hyperwerk entwickelt hat. Kinder und Erwachsene sind dazu eingeladen, Elektroschrott und Abfall-teile zu verarbeiten und ihnen neues Leben einzuhauchen. Um die aktive Beteiligung des Publikums geht es auch in einem vom HeK initiierten Open Call. Bis Ende April werden Video- und Filmbeiträge zum Thema «Ima-ginary Futures» gesammelt, die während der Oslo Night in einem solarbetriebenen Open-

Air-Kino vorgeführt wer-den. Dabei können sowohl eigene Clips als auch ge-fundenes Material einge-reicht werden.

Das mehrstündige Mu-sikprogramm präsentiert aktuelle Tendenzen der elektronischen Musik in einem entspannten Set-ting auf dem Vorplatz der HGK ab 18 Uhr und an der anschliessenden Party ab 23 Uhr im Kunstraum OSLO10. Im Aussenbe-reich spielen S S S S (CH) und Huerco S. (USA). An der Party tritt dann die gesamte Crew des Young Echo Labels aus Bristol auf. Dieser achtköpfige Verbund von Künstlern ge-hört zu einer neuen Welle

von Musikern, die der Tradition Bristols als Stadt der Musik neue Impulse liefert.

Vor der Party kann man die vom Team von OSLO10 zusammen mit Margit Säde kuratier-te Gruppenausstellung «Cats in the throat» sehen. Gleich daneben im Fotofachlabor Pascale Brügger / Aufziehservice Trisul und bei Radio X wird dem Publikum die Möglich-keit geboten, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

IMPRESSUM

Redaktion und TexteZamira Angst, Praktikantin Abteilung Kultur Oliver Bolanz, Leiter Christoph Merian Verlag Anette Gehrig, Leiterin Cartoonmuseum Basel Karin Matt, Vertrieb und Hörbuchprogramm

Christoph Merian Verlag Christoph Meneghetti, Projektleiter Abteilung Kultur

Alexandra Stäheli, Leiterin iaab Beat von Wartburg, Leiter Abteilung Kultur

Gestaltung Hauser, Schwarz – Basel

Druck Gremper AG – Basel / Pratteln

Christoph Merian Stiftung St. Alban-Vorstadt 5

CH-4002 Basel

DAS KULTURMAGAZIN DER CHRISTOPH MERIAN STIFTUNG SHORTCUT

Schwerpunkt:HALBWERTSZEIT

Cartoonmuseum Basel:PLONK & REPLONK

Christoph Merian Verlag:HÖRT DIE BÜCHER!

#4 April 2014

DEUTSCHER HÖRBUCHPREIS FÜR «FALLBEIL FÜR GÄNSEBLÜMCHEN»

In der ersten «Shortcut»-Ausgabe 2013 stellten wir unsere Zusam-menarbeit mit der Stiftung Radio Basel vor. Seit 2007 vergibt sie den internationalen Featurepreis für herausragende Radiofeatures von ARD, ORF und SRF. Das Gewinnerfeature erscheint jeweils auf CD im Hörbuchpro-gramm des Christoph Merian Verlags. Feature ist eine faszinie-rende Form der Radioreportage und «Fallbeil für Gänseblüm-chen» – das Gewinnerfeature von 2012 – ein besonders eindrückli-ches Stück.

September 1955, ein Gerichtssaal irgendwo in Ostberlin: Der Spio-nageprozess gegen Elli Barczatis, Sekretärin des DDR-Ministerprä-sidenten, und ihren Geliebten Karl Laurenz findet unter Aus-schluss der Öffentlichkeit statt. Aus den bisher unveröffentlichten Originaltonaufnahmen der Staats-sicherheit, begleitet von wenigen Kommentaren, entstand dieses Feature. Es zeigt in bewegender und exemplarischer Weise, wie Rechtsprechung in einer Diktatur funktioniert. Noch heute, sechzig Jahre nach der Verhand-lung, sind die Rhetorik und die Fangfragen des Richters kaum zu ertragen, ist die Bedrohung förmlich zu spüren.

Das Hörbuch sorgte bereits im letzten Jahr für viel positives Presse-Echo und wurde gut ver-kauft. Es liegt nun in der zweiten Auflage vor. Ein besonderer Höhepunkt war die Nominierung für den Deutschen Hörbuchpreis, der 2003 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, ein Qualitätssiegel für das Hörbuch zu schaffen. Diese Idee fand – und findet – zahlreiche Befür-

worter. Dies führte im Jahr 2006 zur Gründung des Deutschen Hörbuchpreises e.V. mit weiteren wichtigen Mitgliedern, unter anderem dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem «Focus»-Magazin. Heute sind verschiedene ARD-Anstalten und die Wochenzeitung «Die Zeit» die wichtigsten Partner des mit Abstand bedeutendsten Hörbuch-preises im deutschsprachigen Raum.

Der Christoph Merian Verlag war in den vergangenen Jahren bereits fünfmal für einen Preis in ver-schiedenen Kategorien nominiert, was an sich schon eine grosse Auszeichnung und Anerkennung für ein herausragendes Hörbuch-programm darstellt. Nun hat es geklappt: Das Feature «Fallbeil für Gänseblümchen» setzte sich gegen starke Konkurrenz durch (Egon Bahr: «‹Das musst du erzählen›, Erinnerungen an Willy Brandt» und Peter Handke/ Siegfried Unseld: «Der Brief-wechsel») und wurde als bestes Sachhörbuch ausgezeichnet! Die Jury schreibt zur Begründung: «Die Überfülle des zugrunde liegenden O-Ton-Materials haben Autor und Regisseur auf verdienstvolle Weise gefiltert. Ihr Feature leuchtet nicht nur die Persönlichkeit und Psyche der beiden Angeklagten aus, sondern entlarvt darüber hinaus die schamlose, ideologiekonforme Art der Prozessführung. Die Collage ist ein eindrucksvolles Zeitdoku-ment, spannend und außerordent-lich erschütternd.»

Autor dieses Stücks Zeitgeschich-te ist Maximilian Schönherr, der im Auftrag des WDR das Feature erstellt hat. Aus seinem Projekt «Archivradio» haben

sich umfangreiche und preisge-krönte Features entwickelt, die auf O-Ton-Dokumenten basieren. Für die «Stammheim-Bänder» gewann er im März 2009 erstmals den Deutschen Hörbuchpreis, nun erhielt er bereits zum zweiten Mal diese wichtige Auszeichnung. Dem Christoph Merian Verlag wurde der Preis im Rahmen einer Gala in Köln verliehen. Es ist ein im wahrsten Sinne gewichtiger Preis, den er im März nach Basel brachte: Die Trophäe ist ein Unikat, besteht aus massivem Edelstahl und wiegt stolze sechs Kilogramm!

Oliver Bolanz

www.deutscher-hoerbuchpreis.de

Michael Burton &

Michiko N

itta: Near Future A

lgae Symbiosis Suit, Prototype, 2010 / «Perspectives on Im

aginary Futures» Haus für elektronische K

ünste Baselh

Die Fotogalerie Oslo 8 eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Polis – Bilder von Städten» mit Bildern der Fotografin Christa Ziegler. Während vier Jahren bereiste die Künstlerin zahlreiche Städte vornehmlich ausserhalb Europas und Nordamerikas und entwickelte eine eigenständige Perspektive auf den urbanen Raum. Sie verzichtet auf die Illustration sozialer Brennpunkte und begreift die Stadt vielmehr als eigengesetzlichen Kör-per. «Polis» ist gleichzeitig ein Bildband mit dazugehöriger Textedition, der um 19 Uhr von der Künstlerin selbst vorgestellt wird.

Das Internationale Austausch- und Atelier-programm der Region Basel iaab eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Going Places – Aufbruch ins Weite», die Arbeiten von 20 Kunstschaffenden aus der Region Basel, Süd-baden und Solothurn präsentiert, welche 2013 ein Stipendium für einen Aufenthalt in einem der Partnerateliers im Ausland erhielten. Da-bei wird der Aufbruch nicht nur geografisch im Sinne des Aufbrechens an andere und ferne

Orte thematisiert, sondern, damit verbunden, auch als ein Aufbrechen der gewohnten Zei-chensysteme und scheinbar selbstverständli-chen künstlerischen Praktiken. Beteiligt sind unter anderem Dunja Herzog, Vanessa Safavi, Clare Kenny sowie Monica Studer und Chris-toph van den Berg.

Der Beitrag der Hochschule für Gestaltung und Kunst kommt von der Vereinigung der Alumni HGK. Ehemalige Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen präsen-tieren selbst hergestellte Produkte und zeigen Showcases mit Workshops und partizipativer sowie performativer Kunst.

Auf der Oslostrasse selbst wird den Besu-chern ein ausgesuchtes kulinarisches Angebot offeriert, wobei auch hier das Thema der zu-künftigen Lebenswelten in der Frage «Was wol-len wir essen?» aufgegriffen wird. Leon Heinz, Student am Hyperwerk in Basel und Mitglied der Gastronauten, lädt die Besucher ein, unter professioneller Anleitung eine personalisier-te Wurst aus unterschiedlichsten Zutaten zu

Andere versuchen vorauszuschauen, die Westschweizer Künstlerbrüder und Verleger Hubert und Jacques Froidevaux alias Plonk & Replonk aus La Chaux-de-Fonds blicken entspannt zurück. Sie recyceln alte Postkarten und Fotografien, die sie entweder mit Unter-titeln subtil umdeuten oder in digitalen Bild-bearbeitungsprogrammen neu kombinieren, und schreiben so an ihrer eigenen Version der (helvetischen) Geschichte. Jedes neue Bild von Plonk & Replonk behauptet eine weitere absurde, aber ungemein charmante Wahrheit, die einen Platz in ihrem Koordi-natensystem aus inzwischen Hunderten von thematisch und gestalterisch verwandten Col-lagen findet. Mit ätzendem Humor, wenigen aber entscheidenden Bildmanipulationen und lakonischen bis skurrilen Kommentaren

wird die Vergangenheit umgepolt und der Ge-genwart ans Schienbein getreten. Besonders über Erfindergeist und Verbesserungswahn machen sich Plonk & Replonk mit Verve lus-tig. Scheinbar Modernes, aufgegebene Berufe, überholte Sitten und widerlegte Mythen sind der Stoff, aus dem sie ihre Pointen formen. Ihr schräger Blick auf das Gestern lässt die Betrachter über die Lächerlichkeit alter Stra-tegien schmunzeln und gleichzeitig ahnen, dass die heutigen kaum besser funktionieren. Die Wende zum 20. Jahrhundert, die Plonk & Replonk liebevoll verdreht wieder aufleben lassen, ist unserem hektischen Start ins neue Jahrtausend ähnlicher, als uns lieb ist.

Das Cartoonmuseum Basel würdigt Plonk & Replonk erstmals auf der deutschsprachigen Seite des Röstigrabens mit einer grossen Werk-

ANSICHTEN VON BASEL:

PLONK & REPLONK IM CARTOONMUSEUM

David Semper: Auf der Strecke zwischen Studio und

Old Delhi, Fotografie, 2013Ausstellung iaab:

«Going places – Aufbruch in die Weite»

fertigen und im Anschluss an der gegenüber-liegenden Grillstation zu konsumieren. Im breit gefächerten Angebot an Waren, die für die Wurst ausgesucht werden können – von Fleisch bis hin zu Sauerkraut und Gewürzen –, werden die Geschmacksnerven angeregt und aufgezeigt, wohin die Zukunft der Nahrungs-mittelzubereitung gehen könnte.

Die Initianten der Oslo Night begreifen sich als Pioniere und Mitgestalter eines neu-en urbanen Raumes. Im Format einer or-ganisierten Kollaboration eröffnet sich die Möglichkeit, in einem festlichen Ambiente einem grossen Publikum die Aktivitäten und Programme der einzelnen Partnerinstitutio-nen vorzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Bauarbeiten, den positiven Rück-meldungen des Publikums der letzten Jah-re und dem Zuzug neuer Partner feiert die diesjährige Oslo Night den Neubeginn des Quartiers. Als alljährlicher Fixpunkt im loka-len und überregionalen Kulturkalender kann man auch in Zukunft an der Oslo Night die

Weiterentwicklung der Oslostrasse und des Areals mitverfolgen.

Lukas ZitzerLukas Zitzer ist im Haus für elektronische Künste Basel verantwortlich für die Kommunikation.

c Tobias Revell: New Mumbai Film Still, Video, 2012 Ausstellung HeK: «Perspectives on Imaginary Futures»

g Die Oslostrasse an der Oslo Night 2013 Foto: Stefan Holenstein

heiterem Gespräch die Ereignisse der Zeit kommentierte. Die Wohnung werden Sie wie viele andere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht finden. Doch Margrit Rainer und Ruedi Walter, die für Radio Basel in der satirischen Sendung « Spalebärg 77a» auftraten, schafften mit elfjähriger Laufzeit und weit über 100 Fol-gen mit regelmässigem Hörerrekord einen bis heute einmaligen Erfolg.

Es regnet das ganze Wochenende, Sie liegen krank im Bett oder haben Ihren Frühlings-putz vor sich. Auf jeden Fall haben Sie ohne Probleme 18 Stunden Zeit, sich ein Hörbuch zu Gemüte zu führen? Dann nehmen Sie sich Beat Sterchis «Blösch» vor, einen der wich-tigsten Schweizer Romane der Gegenwart. Er erzählt vom Leben eines Spani-ers, der als Knecht auf einen Schweizer Bauern-hof kommt, von seinem friedlichen Leben mit den Kühen und von den nicht so friedlichen Dorfbe-wohnern. Das von Sebas-tian Mattmüller gelesene und von Raphael Zehnder an Originalschauplätzen (Kuhstall, Weide, Schlacht-hof u.a.) aufgezeichnete Hörbuch beschwört mit der wuchtigen Sprache Sterchis und den authentischen Geräuschkulissen Bilder herauf, die durch Mark und Bein gehen.

Joggen: Aber vielleicht besser nicht im Zolli, denn ein «nulluns macrosalis» ist ausgebüxt! Das verbreitet Angst und Schrecken und ver-setzt den Tierforscher Benno Potzi in Alarm-bereitschaft. Jetzt heisst es Ruhe bewahren und das exotische Wesen zurück in den Käfig locken. Diese Geschichte gibt es im Hörbuch «Lockstoff» von Joachim Rittmeyer zum Mithören und -lachen. Erschrecken Sie nicht, wenn die Geschichte plötzlich unterbrochen werden muss: Eine zoologische Taskforce übernimmt und koordiniert die diffizile Auf-gabe, das Tier wieder einzufangen.

Und zum Schluss: Schaurig schöne Bett-mümpfeli-Geschichten! Am 5. November 1975

drang es zu später Stunde erstmals in die helveti-schen Stuben und Schlaf-zimmer: das Schreck-mümpfeli. Seither gingen gegen tausend dieser iro-nischen Kurzkrimis über den Sender. Der Sendeter-min wurde zur Fixzeit für Hörerinnen und Hörer, die sich ohne beschleunigten Puls und Kribbeln im Bauch nicht mehr unter die Bettdecke verkriechen

mochten. Mittlerweise sind neun verschiedene Schreckmümpfeli-CDs sowie «Das Beste vom Schreckmümpfeli» erschienen, die Sie nicht nur zu bestimmter Sendezeit hören können.

Zamira Angst

HÖREN SIE ZU!HÖRBÜCHER AUS DEM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

FÜR ALLE LEBENSLAGEN

Im Christoph Merian Verlag erscheinen jedes Jahr zahlreiche und vielfältige Hörbücher. Hier seien einige besondere Perlen hervorgehoben. Lassen Sie sich auf die Geschichten ein und geniessen Sie es, vom Alltag abzuschalten. Vorschläge für ein Hörbuchabenteuer.

Im ehemaligen Restaurant Milchhüsli, heute Caffè Bologna: Nehmen Sie Platz im neu von Studierenden betriebenen Caffè Bologna, be-stellen Sie Kaffee und Kuchen und setzen Sie sich die Kopfhörer auf. Kommissär Hunkeler entführt Sie in alte Zeiten, als das Milchhüsli noch die Stammkneipe der Quar-tierbewohner war. Zuerst haben Sie jedoch noch die Qual der Wahl: «Das Paar im Kahn», «Hunkeler macht Sachen», «Hunkeler und der Fall Livius», «Hun-keler und die Augen des Ödipus», «Hunkeler und die goldene Hand» oder doch lieber «Tod einer Ärztin»? Eines ist sicher: Ueli Jäggi – 2004 erhielt er als bester Sprecher den Deutschen Hörbuchpreis – glänzt in der Rolle des kauzigen Kommissärs von Hansjörg Schneider.

Mit Dürrenmatt in die Badewanne: Ein gewag-tes Experiment! Achtung: Das Wasser könn-te kalt werden, ohne dass Sie es bemerken. Denn Friedrich Dürrenmatt schrieb neben Romanen, Erzählungen und Theaterstücken auch Hörspiele, die vielfach ausgezeichnet wurden. Im Klassiker «Die Panne» erzählt er die Geschichte des Durchschnittsmenschen Alfredo Traps, der sich stolz zu einem Ver-

brechen bekennt, das er nicht begangen hat. Und das Beste: Dürrenmatt selbst spricht die Einleitung.

Am Rhein liegen, sich sonnen, vielleicht so-gar die Angelrute auswerfen, mit Arno Came-nischs «Fred und Franz» im Ohr. Die besten Freunde und Brüder im Geiste kämpfen mit dem Alltag. Im Erfolgsroman geht es um die Liebe, die Frauen, den Tod und das Mensch-sein. Ein starkes Stück neue Schweizer Lite-ratur, virtuos als intimes Hörspiel von Geri

Dillier in Zusammenar-beit mit Arno Camenisch umgesetzt.

Im Stau stehen bedeutet nicht unbedingt Zeit ver-lieren. Hören Sie stattdes-sen zu, wenn «Max Frisch spricht». Er wird Sie bes-tens unterhalten mit Aus-zügen aus Originalmit-schnitten seiner Reden, die anlässlich seines 75. Ge-burtstags erschienen sind.

Nicht nur die Reden sind spannend, sondern auch das Gespräch mit Hans Ulrich Probst, in dem sich Frisch zu zentralen Themen seines Werks äussert. Ausserdem ist dieser Autor so aktuell wie nie, hat er doch schon 1965 zur damaligen Zuwanderung in die Schweiz ge-schrieben: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.» Es ist 2014 beson-ders lohnend, Max Frisch wieder einmal genau zuzuhören!

Spalenberg 77a, das ist der Wohnort des Ehe-paars Ehrsam, das ab 1955 jeden dritten Sams-tag nach den Mittagsnachrichten in traulich-

Ein Klassiker im Christoph Merian Verlag: Dürrenmatts «Die Panne»

Unterwegs mit «Max Frisch spricht»

EIN HÖRBUCH VON SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN

IM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

Die BuchBasel 2005 markierte den Startschuss für ein neues Kapitel im Christoph Merian Verlag: Das erste Hörbuchprogramm erschien. Ausgangspunkt war die Vereinbarung einer exklusiven Partnerschaft mit dem Schweizer Radio DRS, um ausgewählte Erwachsenenhör-spiele des Radios als Hörbuch in Lizenz in den Buchhandel zu bringen. Damit verschaffte sich der Verlag auch Zugang zum umfangreichen Archiv des Radios.Mittlerweile ist aus dem Schweizer Radio DRS das «Schweizer Radio und Fernsehen» geworden und die gemeinsame Reihe heisst nun «Ein Hörbuch von Schweizer Radio und Fernsehen im Christoph Merian Verlag». In dieser Edition konnte der CMV erfolgreiche Titel wie die «Schreckmümpfeli»-Reihe oder Gisela Widmers «Zytlupe» auf CD veröffent-lichen. Letztere liegt bereits in der vierten Auflage vor! Einen Schwerpunkt im Hör-buchprogramm bilden Schweizer Autorinnen und Autoren. Das Programm umfasst Werke der beiden «Grossen» Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, Krimiklassiker von Friedrich Glauser oder Hansjörg Schneiders erfolgrei-che Kommissär-Hunkeler-Fälle. Auch Mund-artstücke mit prominenter Besetzung wie zum Beispiel Ruedi Walter und Margrit Rainer in «Spalebärg 77a» dürfen im Programm nicht fehlen, ebensowenig viele Hörspiele von zeit-genössischen Autorinnen und Autoren im Verlagsprogramm.Welche Werke den Weg aus den Archiven auf die CDs und seit einigen Jahren auch auf das Download-Angebot des Verlags finden, wird zusammen mit den Radio-Verantwortlichen aus der Hörspielredaktion entschieden. Bei der Auswahl achten wir zum Beispiel dar-auf, ob eine Produktion grundsätzlich ins Programm passt und ob es einen aktuellen

Anlass gibt, ein bestimmtes Werk gerade jetzt als Hörbuch ins Verlagsprogramm aufzuneh-men: Feiert ein Autor Jubiläum? Gibt es einen neuen Kriminalfall des Publikumslieblings Franz Musil? Welches Hörspiel hat bei der Radioausstrahlung besonders viel positives Echo ausgelöst? Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Auswahl. Das Radio verfügt zwar über die Sen-derechte, nicht aber über diejenigen für kom-merzielle Verwertungen. Oft stehen aufwendi-ge Recherchen und Verhandlungen mit den Rechteinhabern an. Danach werden mit dem Grafiker Hans Sommer von «rébus» die Ideen für jedes einzelne Hörbuch-Cover besprochen. Zusammen mit ihm haben wir die einheitli-che Gestaltung der Hörbuchreihe entwickelt und damit ein Wiedererkennungs- und Qua-litätsmerkmal geschaffen. Danach müssen die Produktionspläne gemacht, die Offerten des Presswerks eingeholt und alle Informationen rund um die Produktionen für die Verlags-vertreter, den Buchhandel und die Medien zusammengetragen werden. Das Erscheinen der Hörbücher wird in den meisten Fällen auf die Buchmessen im Frühling in Leipzig und im Herbst in Frankfurt terminiert. Die CDs können danach überall im Buchhandel in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sowie im SRF-Shop und über unsere Website merianverlag.ch erworben werden.

Karin Matt

schau. Hierzulande erscheinen ihre humoris-tischen Postkarten vor allem im Westschwei-zer Satiremagazin «Vigousse», in «L’Hebdo» und in der Deutschschweiz zeitweise in der Tageszeitung «Der Bund». In Frankreich, wo sie ganze Museen gegen den Strich gebürs-tet haben, sind die beiden Jurassier bestens bekannt und etabliert, dort publizieren sie regelmässig in der linksliberalen Pariser Ta-geszeitung «Libération», in «Charlie Hebdo» und in «L’Humanité».

Plonk & Replonk sind nicht zeichnende Cartoonisten, ihre Collagetechnik orientiert sich an Künstlern wie dem deutschen Foto-montagekünstler John Heartfield (eigent-lich Helmut Herzfeld, 1891 – 1968). Ihr Aus-drucksmittel ist die im Fotobearbeitungspro-gramm Photoshop ausgeführte Collage von Ausschnitten historischer Postkarten und Fotografien. Die im Computer montierten schwarz-weissen, sepiafarbenen oder pseudo-handkolorierten Bilder sind aber nicht perfekt verschmolzen, sondern erkennbar zusammen-gefügt, so dass spätestens auf den zweiten Blick klar wird, dass hier geschummelt wurde. Die Spuren der Bildmontage bleiben bewusst sichtbar, um dem Betrachter der Manipula-tionen die Dechiffrierung der umgedeuteten Zusammenhänge zu ermöglichen. Ebenso wichtig wie die Bilder sind die nur auf den ersten Blick erklärenden Bildlegenden, die lustvoller Kalauer wie hintergründige Pointe sein können. Anstatt den Betrachter zu in-formieren, verleihen diese den arrangierten

Bildern eine weitere, oft kauzige oder gar groteske Qualität. Sie können aber auch die historisch anmutenden Bilder an konkrete ak-tuelle Themen anbinden oder mit bekannten Ereignissen verknüpfen. Die mit Hintersinn und Wortspielereien gespickten, verfremdeten Postkarten von Plonk & Replonk präsentieren die Schweiz als Hort des Skurrilen und krat-zen mächtig an der Politur erhabener Gipfel, nobler Teppichetagen, stolzer Militärs, ordent-licher Kleinbürger und alter Klischees.

Die Werkschau in Basel zeigt einen Über-blick über die vielfältige künstlerische Arbeit von Plonk & Replonk, die auch die bildhau-erische Auseinandersetzung mit Schweizer Ikonen wie den Schuhen von Rousseau, der Brille von Le Corbusier oder dem Garten-zwerg beinhaltet. Speziell für Basel kreieren Plonk & Replonk ein Kabinett mit einer Serie von Arbeiten zu den Besonderheiten der Stadt am Rheinknie.

Anette Gehrig

BEGLEITVERANSTALTUNGEN—

CAFÉ BELLEVUETreten Sie ein in die gute Stube! Führung

durch die Ausstellung mit anschliessendem Kaffee trinken und Gebäck von der Confiserie Beschle, Basel.

13.4., 11.5., 22.6.2014, 14 Uhr—

INTERNATIONALER MUSEUMSTAG

(K)EINE PERFEKTE SCHWEIZ11 Uhr:

Führung mit der Kuratorin Anette Gehrig14 Uhr:

Workshop mit der Illustratorin Alessia Conidi

Sonntag, 18.5.2014—

Für Schulklassen, Betriebsausflüge und sonstige Gruppenbesuche bieten wir Führungen an.

Mechanisierung des Steuerwesens im Jahre 1899 © Plonk & Replonk

Zehntausend Jahre Basler Geschichte. © Plonk & Replonk

1966: Die feste Installation eines Kreisels erlaubt es, die Rheinschifffahrt flüssig zu halten. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

Die Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen alten Schweizer Viertels. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

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Page 3: Shortcut 4

EDITORIAL—

Eine bekannte Schweizer Stiftung mit dem Förderschwerpunkt Wissenschaft unterstützt grundsätzlich nur innovative Initiati-ven. Gefragt seien Projekte «von hoher Relevanz und wissen-schaftlicher Qualität, die durch ‹Originalität›, ‹Wirksamkeit›, ‹Transferpotential› und ‹Interdisziplinarität› abgesichert» sind und sich in der fragilen Phase zwischen Prototyp und Massen-produktion, also im Stadium mit dem emphatischen Namen «Tal der Tränen», befinden. Beeindruckt von diesem Statement, hat sich die Kulturabteilung der Christoph Merian Stiftung im vergangenen Jahr Gedanken darüber gemacht, ob sich diese Förderideen aus den Gefilden der Wissenschaftstechnik auch auf den Bereich der Kultur übertragen lassen. Basierend auf den entsprechenden internen Diskussionen widmet sich der Schwerpunkt der vierten Ausgabe von «Shortcut» den Fragen rund um das Thema von Fortschritt und Innovation, von Er-finden und Vergessen, von Nachhaltigkeit und Wertezerfall in unsrer beschleunigten Warenindustrie. Mit den verschiedenen Beiträgen möchten wir einige kritische, skeptische, aber auch charmant-absurde Antworten geben: Aus der Perspektive der digitalen Kunst, des Buchhandels, der Collagekunst und der Kulturförderung beleuchten wir einige Aspekte zu Novität und Invention – sozusagen direkt aus dem Auge des Orkans.Alexandra Stäheli, Leiterin iaab

EIN FEST DER KÜNSTE IM AUFBRUCH

OSLO NIGHT 2014

Einmal im Jahr verwandelt sich der Dreispitz vom Industrieareal zur Festivalzone und die 40-Tönner machen dem interessierten Kunst- und Kulturpublikum Platz. Für die diesjähri-ge Ausgabe der Oslo Night am 24. Mai 2014 schliessen sich die Kulturakteure der Oslo-strasse bereits zum dritten Mal zusammen und präsentieren ein spartenübergreifendes Programm aus Ausstellungen, Performances, Open-Air-Kino, Workshops, Konzerten und Party.

Initiator dieses eintägigen Kunstfestivals ist das seit 2011 auf dem Dreispitz ansässige Haus für elektronische Künste Basel (HeK), das zusammen mit seinen Nachbarn erneut ein gemeinsames Festivalthema erarbeitet hat, um die Aktivitäten der unterschiedlichen In-stitutionen miteinander zu verbinden. Dies sind Radio X, die Fotogalerie Oslo 8, der Kunstraum OSLO10, das Internationale Aus-tausch- und Atelierprogramm Region Basel iaab, das Fotofachlabor Pascale Brügger mit dem Aufziehatelier TRISUL und erstmals

auch die neu auf dem Areal ansässige Hoch-schule für Gestaltung und Kunst FHNW.

Das Motto, auf das man sich für 2014 ge-einigt hat, ist «Aufbruch»: Es verweist auf die grossen Veränderungen, die das Quartier in diesem Jahr erfahren wird. Die HGK / FHNW wird mit allen Instituten und Fakultäten auf das Dreispitzareal ziehen und mit ihren ca. 800 Studierenden und 200 Lehrkräften deutlich zur weiteren Transformation des Quartiers beitragen. Auch das HeK und iaab werden im November 2014 ihre neuen Räume am Freilager-Platz 9/10 beziehen. Schon jetzt ist die Veränderung vor Ort zu spüren – neue gastronomische Angebote entwickeln sich, die Studierenden der Hochschule erforschen ihr neues Quartier und die fertigen «Plätze» und Mini-Parks ziehen erste Flaneure an.

Die beteiligten Partner inszenieren und in-terpretieren diese Aufbruchsituation auf un-terschiedliche Weise. Im HeK wird im Ober-geschoss die Ausstellung «Perspectives on Ima-ginary Futures» gezeigt, welche internationale

künstlerische Positionen beinhalten wird, die sich mit Fragen nach einer möglichen alterna-tiven Zukunft beschäftigen. Gesellschaftliche und ökologische Fragestellungen stehen dabei ebenso im Fokus wie die Veränderungen des Alltags. Gemeinsam ist den verschiedenen Po-sitionen in der Ausstellung ihre unbefangene Herangehensweise, die unsere Vorstellungen der Zukunft einer ironisch-kritischen Prüfung unterziehen.

Die US-Künstlerin Stephanie Rothenberg beispielsweise reflektiert in ihrem Online-Projekt «Laborers of Love/LOL» (2013), wie sich Se-xualität und Lust mit der Entwicklung neuer Medi-en und Technologien und der dadurch ermöglichten Arbeitsauslagerung in Zu-kunft entwickeln werden. Der englische Künstler Tobias Revell thematisiert in seiner fiktiven Doku-mentation «New Mumbai» (2012) die positiven Folgen einer Invasion von Riesen-pilzen auf die Eigenstän-digkeit der Bewohner in den Slums von Mumbai. Wie wir uns in Zukunft alternativ ernähren könn-ten, zeigt das Künstlerduo Burton Nitta aus Grossbri-tannien in seinem Projekt «Algaculture» (2010 – 2014). Sie untersuchen, wie Menschen mit Algen symbiotisch leben und sich so wie Pflanzen von Licht ernähren könnten. Weitere Positi-onen stellen Zukunftsvorstellungen aus der Peripherie von Bamako, der Hauptstadt von Mali, vor (Neil Beloufa, «Kempinski», 2007) oder zeigen auf, wie das Aufziehen von Kin-dern in Zukunft per Roboter funktionieren könnte (Addie Wagenknecht, «Optimization of Parenthood», 2013). Im Untergeschoss des

HeK installiert Raphael Lauper eine Werkstatt und veranstaltet einen «Upcycling» Workshop, den er im Zuge seines Diploms am Hyperwerk entwickelt hat. Kinder und Erwachsene sind dazu eingeladen, Elektroschrott und Abfall-teile zu verarbeiten und ihnen neues Leben einzuhauchen. Um die aktive Beteiligung des Publikums geht es auch in einem vom HeK initiierten Open Call. Bis Ende April werden Video- und Filmbeiträge zum Thema «Ima-ginary Futures» gesammelt, die während der Oslo Night in einem solarbetriebenen Open-

Air-Kino vorgeführt wer-den. Dabei können sowohl eigene Clips als auch ge-fundenes Material einge-reicht werden.

Das mehrstündige Mu-sikprogramm präsentiert aktuelle Tendenzen der elektronischen Musik in einem entspannten Set-ting auf dem Vorplatz der HGK ab 18 Uhr und an der anschliessenden Party ab 23 Uhr im Kunstraum OSLO10. Im Aussenbe-reich spielen S S S S (CH) und Huerco S. (USA). An der Party tritt dann die gesamte Crew des Young Echo Labels aus Bristol auf. Dieser achtköpfige Verbund von Künstlern ge-hört zu einer neuen Welle

von Musikern, die der Tradition Bristols als Stadt der Musik neue Impulse liefert.

Vor der Party kann man die vom Team von OSLO10 zusammen mit Margit Säde kuratier-te Gruppenausstellung «Cats in the throat» sehen. Gleich daneben im Fotofachlabor Pascale Brügger / Aufziehservice Trisul und bei Radio X wird dem Publikum die Möglich-keit geboten, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

IMPRESSUM

Redaktion und TexteZamira Angst, Praktikantin Abteilung Kultur Oliver Bolanz, Leiter Christoph Merian Verlag Anette Gehrig, Leiterin Cartoonmuseum Basel Karin Matt, Vertrieb und Hörbuchprogramm

Christoph Merian Verlag Christoph Meneghetti, Projektleiter Abteilung Kultur

Alexandra Stäheli, Leiterin iaab Beat von Wartburg, Leiter Abteilung Kultur

Gestaltung Hauser, Schwarz – Basel

Druck Gremper AG – Basel / Pratteln

Christoph Merian Stiftung St. Alban-Vorstadt 5

CH-4002 Basel

DAS KULTURMAGAZIN DER CHRISTOPH MERIAN STIFTUNG

SHORTCUTSchwerpunkt:

HALBWERTSZEITCartoonmuseum Basel:PLONK & REPLONK

Christoph Merian Verlag:HÖRT DIE BÜCHER!

#4April 2014

DEUTSCHER HÖRBUCHPREIS FÜR «FALLBEIL FÜR GÄNSEBLÜMCHEN»

In der ersten «Shortcut»-Ausgabe 2013 stellten wir unsere Zusam-menarbeit mit der Stiftung Radio Basel vor. Seit 2007 vergibt sie den internationalen Featurepreis für herausragende Radiofeatures von ARD, ORF und SRF. Das Gewinnerfeature erscheint jeweils auf CD im Hörbuchpro-gramm des Christoph Merian Verlags. Feature ist eine faszinie-rende Form der Radioreportage und «Fallbeil für Gänseblüm-chen» – das Gewinnerfeature von 2012 – ein besonders eindrückli-ches Stück.

September 1955, ein Gerichtssaal irgendwo in Ostberlin: Der Spio-nageprozess gegen Elli Barczatis, Sekretärin des DDR-Ministerprä-sidenten, und ihren Geliebten Karl Laurenz findet unter Aus-schluss der Öffentlichkeit statt. Aus den bisher unveröffentlichten Originaltonaufnahmen der Staats-sicherheit, begleitet von wenigen Kommentaren, entstand dieses Feature. Es zeigt in bewegender und exemplarischer Weise, wie Rechtsprechung in einer Diktatur funktioniert. Noch heute, sechzig Jahre nach der Verhand-lung, sind die Rhetorik und die Fangfragen des Richters kaum zu ertragen, ist die Bedrohung förmlich zu spüren.

Das Hörbuch sorgte bereits im letzten Jahr für viel positives Presse-Echo und wurde gut ver-kauft. Es liegt nun in der zweiten Auflage vor. Ein besonderer Höhepunkt war die Nominierung für den Deutschen Hörbuchpreis, der 2003 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, ein Qualitätssiegel für das Hörbuch zu schaffen. Diese Idee fand – und findet – zahlreiche Befür-

worter. Dies führte im Jahr 2006 zur Gründung des Deutschen Hörbuchpreises e.V. mit weiteren wichtigen Mitgliedern, unter anderem dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem «Focus»-Magazin. Heute sind verschiedene ARD-Anstalten und die Wochenzeitung «Die Zeit» die wichtigsten Partner des mit Abstand bedeutendsten Hörbuch-preises im deutschsprachigen Raum.

Der Christoph Merian Verlag war in den vergangenen Jahren bereits fünfmal für einen Preis in ver-schiedenen Kategorien nominiert, was an sich schon eine grosse Auszeichnung und Anerkennung für ein herausragendes Hörbuch-programm darstellt. Nun hat es geklappt: Das Feature «Fallbeil für Gänseblümchen» setzte sich gegen starke Konkurrenz durch (Egon Bahr: «‹Das musst du erzählen›, Erinnerungen an Willy Brandt» und Peter Handke/ Siegfried Unseld: «Der Brief-wechsel») und wurde als bestes Sachhörbuch ausgezeichnet! Die Jury schreibt zur Begründung: «Die Überfülle des zugrunde liegenden O-Ton-Materials haben Autor und Regisseur auf verdienstvolle Weise gefiltert. Ihr Feature leuchtet nicht nur die Persönlichkeit und Psyche der beiden Angeklagten aus, sondern entlarvt darüber hinaus die schamlose, ideologiekonforme Art der Prozessführung. Die Collage ist ein eindrucksvolles Zeitdoku-ment, spannend und außerordent-lich erschütternd.»

Autor dieses Stücks Zeitgeschich-te ist Maximilian Schönherr, der im Auftrag des WDR das Feature erstellt hat. Aus seinem Projekt «Archivradio» haben

sich umfangreiche und preisge-krönte Features entwickelt, die auf O-Ton-Dokumenten basieren. Für die «Stammheim-Bänder» gewann er im März 2009 erstmals den Deutschen Hörbuchpreis, nun erhielt er bereits zum zweiten Mal diese wichtige Auszeichnung. Dem Christoph Merian Verlag wurde der Preis im Rahmen einer Gala in Köln verliehen. Es ist ein im wahrsten Sinne gewichtiger Preis, den er im März nach Basel brachte: Die Trophäe ist ein Unikat, besteht aus massivem Edelstahl und wiegt stolze sechs Kilogramm!

Oliver Bolanz

www.deutscher-hoerbuchpreis.de

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Die Fotogalerie Oslo 8 eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Polis – Bilder von Städten» mit Bildern der Fotografin Christa Ziegler. Während vier Jahren bereiste die Künstlerin zahlreiche Städte vornehmlich ausserhalb Europas und Nordamerikas und entwickelte eine eigenständige Perspektive auf den urbanen Raum. Sie verzichtet auf die Illustration sozialer Brennpunkte und begreift die Stadt vielmehr als eigengesetzlichen Kör-per. «Polis» ist gleichzeitig ein Bildband mit dazugehöriger Textedition, der um 19 Uhr von der Künstlerin selbst vorgestellt wird.

Das Internationale Austausch- und Atelier-programm der Region Basel iaab eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Going Places – Aufbruch ins Weite», die Arbeiten von 20 Kunstschaffenden aus der Region Basel, Süd-baden und Solothurn präsentiert, welche 2013 ein Stipendium für einen Aufenthalt in einem der Partnerateliers im Ausland erhielten. Da-bei wird der Aufbruch nicht nur geografisch im Sinne des Aufbrechens an andere und ferne

Orte thematisiert, sondern, damit verbunden, auch als ein Aufbrechen der gewohnten Zei-chensysteme und scheinbar selbstverständli-chen künstlerischen Praktiken. Beteiligt sind unter anderem Dunja Herzog, Vanessa Safavi, Clare Kenny sowie Monica Studer und Chris-toph van den Berg.

Der Beitrag der Hochschule für Gestaltung und Kunst kommt von der Vereinigung der Alumni HGK. Ehemalige Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen präsen-tieren selbst hergestellte Produkte und zeigen Showcases mit Workshops und partizipativer sowie performativer Kunst.

Auf der Oslostrasse selbst wird den Besu-chern ein ausgesuchtes kulinarisches Angebot offeriert, wobei auch hier das Thema der zu-künftigen Lebenswelten in der Frage «Was wol-len wir essen?» aufgegriffen wird. Leon Heinz, Student am Hyperwerk in Basel und Mitglied der Gastronauten, lädt die Besucher ein, unter professioneller Anleitung eine personalisier-te Wurst aus unterschiedlichsten Zutaten zu

Andere versuchen vorauszuschauen, die Westschweizer Künstlerbrüder und Verleger Hubert und Jacques Froidevaux alias Plonk & Replonk aus La Chaux-de-Fonds blicken entspannt zurück. Sie recyceln alte Postkarten und Fotografien, die sie entweder mit Unter-titeln subtil umdeuten oder in digitalen Bild-bearbeitungsprogrammen neu kombinieren, und schreiben so an ihrer eigenen Version der (helvetischen) Geschichte. Jedes neue Bild von Plonk & Replonk behauptet eine weitere absurde, aber ungemein charmante Wahrheit, die einen Platz in ihrem Koordi-natensystem aus inzwischen Hunderten von thematisch und gestalterisch verwandten Col-lagen findet. Mit ätzendem Humor, wenigen aber entscheidenden Bildmanipulationen und lakonischen bis skurrilen Kommentaren

wird die Vergangenheit umgepolt und der Ge-genwart ans Schienbein getreten. Besonders über Erfindergeist und Verbesserungswahn machen sich Plonk & Replonk mit Verve lus-tig. Scheinbar Modernes, aufgegebene Berufe, überholte Sitten und widerlegte Mythen sind der Stoff, aus dem sie ihre Pointen formen. Ihr schräger Blick auf das Gestern lässt die Betrachter über die Lächerlichkeit alter Stra-tegien schmunzeln und gleichzeitig ahnen, dass die heutigen kaum besser funktionieren. Die Wende zum 20. Jahrhundert, die Plonk & Replonk liebevoll verdreht wieder aufleben lassen, ist unserem hektischen Start ins neue Jahrtausend ähnlicher, als uns lieb ist.

Das Cartoonmuseum Basel würdigt Plonk & Replonk erstmals auf der deutschsprachigen Seite des Röstigrabens mit einer grossen Werk-

ANSICHTEN VON BASEL:

PLONK & REPLONK IM CARTOONMUSEUM

David Semper: Auf der Strecke zwischen Studio und

Old Delhi, Fotografie, 2013Ausstellung iaab:

«Going places – Aufbruch in die Weite»

fertigen und im Anschluss an der gegenüber-liegenden Grillstation zu konsumieren. Im breit gefächerten Angebot an Waren, die für die Wurst ausgesucht werden können – von Fleisch bis hin zu Sauerkraut und Gewürzen –, werden die Geschmacksnerven angeregt und aufgezeigt, wohin die Zukunft der Nahrungs-mittelzubereitung gehen könnte.

Die Initianten der Oslo Night begreifen sich als Pioniere und Mitgestalter eines neu-en urbanen Raumes. Im Format einer or-ganisierten Kollaboration eröffnet sich die Möglichkeit, in einem festlichen Ambiente einem grossen Publikum die Aktivitäten und Programme der einzelnen Partnerinstitutio-nen vorzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Bauarbeiten, den positiven Rück-meldungen des Publikums der letzten Jah-re und dem Zuzug neuer Partner feiert die diesjährige Oslo Night den Neubeginn des Quartiers. Als alljährlicher Fixpunkt im loka-len und überregionalen Kulturkalender kann man auch in Zukunft an der Oslo Night die

Weiterentwicklung der Oslostrasse und des Areals mitverfolgen.

Lukas ZitzerLukas Zitzer ist im Haus für elektronische Künste Basel verantwortlich für die Kommunikation.

c Tobias Revell: New Mumbai Film Still, Video, 2012 Ausstellung HeK: «Perspectives on Imaginary Futures»

g Die Oslostrasse an der Oslo Night 2013 Foto: Stefan Holenstein

heiterem Gespräch die Ereignisse der Zeit kommentierte. Die Wohnung werden Sie wie viele andere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht finden. Doch Margrit Rainer und Ruedi Walter, die für Radio Basel in der satirischen Sendung « Spalebärg 77a» auftraten, schafften mit elfjähriger Laufzeit und weit über 100 Fol-gen mit regelmässigem Hörerrekord einen bis heute einmaligen Erfolg.

Es regnet das ganze Wochenende, Sie liegen krank im Bett oder haben Ihren Frühlings-putz vor sich. Auf jeden Fall haben Sie ohne Probleme 18 Stunden Zeit, sich ein Hörbuch zu Gemüte zu führen? Dann nehmen Sie sich Beat Sterchis «Blösch» vor, einen der wich-tigsten Schweizer Romane der Gegenwart. Er erzählt vom Leben eines Spani-ers, der als Knecht auf einen Schweizer Bauern-hof kommt, von seinem friedlichen Leben mit den Kühen und von den nicht so friedlichen Dorfbe-wohnern. Das von Sebas-tian Mattmüller gelesene und von Raphael Zehnder an Originalschauplätzen (Kuhstall, Weide, Schlacht-hof u.a.) aufgezeichnete Hörbuch beschwört mit der wuchtigen Sprache Sterchis und den authentischen Geräuschkulissen Bilder herauf, die durch Mark und Bein gehen.

Joggen: Aber vielleicht besser nicht im Zolli, denn ein «nulluns macrosalis» ist ausgebüxt! Das verbreitet Angst und Schrecken und ver-setzt den Tierforscher Benno Potzi in Alarm-bereitschaft. Jetzt heisst es Ruhe bewahren und das exotische Wesen zurück in den Käfig locken. Diese Geschichte gibt es im Hörbuch «Lockstoff» von Joachim Rittmeyer zum Mithören und -lachen. Erschrecken Sie nicht, wenn die Geschichte plötzlich unterbrochen werden muss: Eine zoologische Taskforce übernimmt und koordiniert die diffizile Auf-gabe, das Tier wieder einzufangen.

Und zum Schluss: Schaurig schöne Bett-mümpfeli-Geschichten! Am 5. November 1975

drang es zu später Stunde erstmals in die helveti-schen Stuben und Schlaf-zimmer: das Schreck-mümpfeli. Seither gingen gegen tausend dieser iro-nischen Kurzkrimis über den Sender. Der Sendeter-min wurde zur Fixzeit für Hörerinnen und Hörer, die sich ohne beschleunigten Puls und Kribbeln im Bauch nicht mehr unter die Bettdecke verkriechen

mochten. Mittlerweise sind neun verschiedene Schreckmümpfeli-CDs sowie «Das Beste vom Schreckmümpfeli» erschienen, die Sie nicht nur zu bestimmter Sendezeit hören können.

Zamira Angst

HÖREN SIE ZU! HÖRBÜCHER AUS DEM CHRISTOPH MERIAN VERLAG FÜR ALLE LEBENSLAGEN

Im Christoph Merian Verlag erscheinen jedes Jahr zahlreiche und vielfältige Hörbücher. Hier seien einige besondere Perlen hervorgehoben. Lassen Sie sich auf die Geschichten ein und geniessen Sie es, vom Alltag abzuschalten. Vorschläge für ein Hörbuchabenteuer.

Im ehemaligen Restaurant Milchhüsli, heute Caffè Bologna: Nehmen Sie Platz im neu von Studierenden betriebenen Caffè Bologna, be-stellen Sie Kaffee und Kuchen und setzen Sie sich die Kopfhörer auf. Kommissär Hunkeler entführt Sie in alte Zeiten, als das Milchhüsli noch die Stammkneipe der Quar-tierbewohner war. Zuerst haben Sie jedoch noch die Qual der Wahl: «Das Paar im Kahn», «Hunkeler macht Sachen», «Hunkeler und der Fall Livius», «Hun-keler und die Augen des Ödipus», «Hunkeler und die goldene Hand» oder doch lieber «Tod einer Ärztin»? Eines ist sicher: Ueli Jäggi – 2004 erhielt er als bester Sprecher den Deutschen Hörbuchpreis – glänzt in der Rolle des kauzigen Kommissärs von Hansjörg Schneider.

Mit Dürrenmatt in die Badewanne: Ein gewag-tes Experiment! Achtung: Das Wasser könn-te kalt werden, ohne dass Sie es bemerken. Denn Friedrich Dürrenmatt schrieb neben Romanen, Erzählungen und Theaterstücken auch Hörspiele, die vielfach ausgezeichnet wurden. Im Klassiker «Die Panne» erzählt er die Geschichte des Durchschnittsmenschen Alfredo Traps, der sich stolz zu einem Ver-

brechen bekennt, das er nicht begangen hat. Und das Beste: Dürrenmatt selbst spricht die Einleitung.

Am Rhein liegen, sich sonnen, vielleicht so-gar die Angelrute auswerfen, mit Arno Came-nischs «Fred und Franz» im Ohr. Die besten Freunde und Brüder im Geiste kämpfen mit dem Alltag. Im Erfolgsroman geht es um die Liebe, die Frauen, den Tod und das Mensch-sein. Ein starkes Stück neue Schweizer Lite-ratur, virtuos als intimes Hörspiel von Geri

Dillier in Zusammenar-beit mit Arno Camenisch umgesetzt.

Im Stau stehen bedeutet nicht unbedingt Zeit ver-lieren. Hören Sie stattdes-sen zu, wenn «Max Frisch spricht». Er wird Sie bes-tens unterhalten mit Aus-zügen aus Originalmit-schnitten seiner Reden, die anlässlich seines 75. Ge-burtstags erschienen sind.

Nicht nur die Reden sind spannend, sondern auch das Gespräch mit Hans Ulrich Probst, in dem sich Frisch zu zentralen Themen seines Werks äussert. Ausserdem ist dieser Autor so aktuell wie nie, hat er doch schon 1965 zur damaligen Zuwanderung in die Schweiz ge-schrieben: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.» Es ist 2014 beson-ders lohnend, Max Frisch wieder einmal genau zuzuhören!

Spalenberg 77a, das ist der Wohnort des Ehe-paars Ehrsam, das ab 1955 jeden dritten Sams-tag nach den Mittagsnachrichten in traulich-

Ein Klassiker im Christoph Merian Verlag: Dürrenmatts «Die Panne»

Unterwegs mit «Max Frisch spricht»

EIN HÖRBUCH VON SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN

IM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

Die BuchBasel 2005 markierte den Startschuss für ein neues Kapitel im Christoph Merian Verlag: Das erste Hörbuchprogramm erschien. Ausgangspunkt war die Vereinbarung einer exklusiven Partnerschaft mit dem Schweizer Radio DRS, um ausgewählte Erwachsenenhör-spiele des Radios als Hörbuch in Lizenz in den Buchhandel zu bringen. Damit verschaffte sich der Verlag auch Zugang zum umfangreichen Archiv des Radios.Mittlerweile ist aus dem Schweizer Radio DRS das «Schweizer Radio und Fernsehen» geworden und die gemeinsame Reihe heisst nun «Ein Hörbuch von Schweizer Radio und Fernsehen im Christoph Merian Verlag». In dieser Edition konnte der CMV erfolgreiche Titel wie die «Schreckmümpfeli»-Reihe oder Gisela Widmers «Zytlupe» auf CD veröffent-lichen. Letztere liegt bereits in der vierten Auflage vor! Einen Schwerpunkt im Hör-buchprogramm bilden Schweizer Autorinnen und Autoren. Das Programm umfasst Werke der beiden «Grossen» Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, Krimiklassiker von Friedrich Glauser oder Hansjörg Schneiders erfolgrei-che Kommissär-Hunkeler-Fälle. Auch Mund-artstücke mit prominenter Besetzung wie zum Beispiel Ruedi Walter und Margrit Rainer in «Spalebärg 77a» dürfen im Programm nicht fehlen, ebensowenig viele Hörspiele von zeit-genössischen Autorinnen und Autoren im Verlagsprogramm.Welche Werke den Weg aus den Archiven auf die CDs und seit einigen Jahren auch auf das Download-Angebot des Verlags finden, wird zusammen mit den Radio-Verantwortlichen aus der Hörspielredaktion entschieden. Bei der Auswahl achten wir zum Beispiel dar-auf, ob eine Produktion grundsätzlich ins Programm passt und ob es einen aktuellen

Anlass gibt, ein bestimmtes Werk gerade jetzt als Hörbuch ins Verlagsprogramm aufzuneh-men: Feiert ein Autor Jubiläum? Gibt es einen neuen Kriminalfall des Publikumslieblings Franz Musil? Welches Hörspiel hat bei der Radioausstrahlung besonders viel positives Echo ausgelöst? Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Auswahl. Das Radio verfügt zwar über die Sen-derechte, nicht aber über diejenigen für kom-merzielle Verwertungen. Oft stehen aufwendi-ge Recherchen und Verhandlungen mit den Rechteinhabern an. Danach werden mit dem Grafiker Hans Sommer von «rébus» die Ideen für jedes einzelne Hörbuch-Cover besprochen. Zusammen mit ihm haben wir die einheitli-che Gestaltung der Hörbuchreihe entwickelt und damit ein Wiedererkennungs- und Qua-litätsmerkmal geschaffen. Danach müssen die Produktionspläne gemacht, die Offerten des Presswerks eingeholt und alle Informationen rund um die Produktionen für die Verlags-vertreter, den Buchhandel und die Medien zusammengetragen werden. Das Erscheinen der Hörbücher wird in den meisten Fällen auf die Buchmessen im Frühling in Leipzig und im Herbst in Frankfurt terminiert. Die CDs können danach überall im Buchhandel in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sowie im SRF-Shop und über unsere Website merianverlag.ch erworben werden.

Karin Matt

schau. Hierzulande erscheinen ihre humoris-tischen Postkarten vor allem im Westschwei-zer Satiremagazin «Vigousse», in «L’Hebdo» und in der Deutschschweiz zeitweise in der Tageszeitung «Der Bund». In Frankreich, wo sie ganze Museen gegen den Strich gebürs-tet haben, sind die beiden Jurassier bestens bekannt und etabliert, dort publizieren sie regelmässig in der linksliberalen Pariser Ta-geszeitung «Libération», in «Charlie Hebdo» und in «L’Humanité».

Plonk & Replonk sind nicht zeichnende Cartoonisten, ihre Collagetechnik orientiert sich an Künstlern wie dem deutschen Foto-montagekünstler John Heartfield (eigent-lich Helmut Herzfeld, 1891 – 1968). Ihr Aus-drucksmittel ist die im Fotobearbeitungspro-gramm Photoshop ausgeführte Collage von Ausschnitten historischer Postkarten und Fotografien. Die im Computer montierten schwarz-weissen, sepiafarbenen oder pseudo-handkolorierten Bilder sind aber nicht perfekt verschmolzen, sondern erkennbar zusammen-gefügt, so dass spätestens auf den zweiten Blick klar wird, dass hier geschummelt wurde. Die Spuren der Bildmontage bleiben bewusst sichtbar, um dem Betrachter der Manipula-tionen die Dechiffrierung der umgedeuteten Zusammenhänge zu ermöglichen. Ebenso wichtig wie die Bilder sind die nur auf den ersten Blick erklärenden Bildlegenden, die lustvoller Kalauer wie hintergründige Pointe sein können. Anstatt den Betrachter zu in-formieren, verleihen diese den arrangierten

Bildern eine weitere, oft kauzige oder gar groteske Qualität. Sie können aber auch die historisch anmutenden Bilder an konkrete ak-tuelle Themen anbinden oder mit bekannten Ereignissen verknüpfen. Die mit Hintersinn und Wortspielereien gespickten, verfremdeten Postkarten von Plonk & Replonk präsentieren die Schweiz als Hort des Skurrilen und krat-zen mächtig an der Politur erhabener Gipfel, nobler Teppichetagen, stolzer Militärs, ordent-licher Kleinbürger und alter Klischees.

Die Werkschau in Basel zeigt einen Über-blick über die vielfältige künstlerische Arbeit von Plonk & Replonk, die auch die bildhau-erische Auseinandersetzung mit Schweizer Ikonen wie den Schuhen von Rousseau, der Brille von Le Corbusier oder dem Garten-zwerg beinhaltet. Speziell für Basel kreieren Plonk & Replonk ein Kabinett mit einer Serie von Arbeiten zu den Besonderheiten der Stadt am Rheinknie.

Anette Gehrig

BEGLEITVERANSTALTUNGEN—

CAFÉ BELLEVUETreten Sie ein in die gute Stube! Führung

durch die Ausstellung mit anschliessendem Kaffee trinken und Gebäck von der Confiserie Beschle, Basel.

13.4., 11.5., 22.6.2014, 14 Uhr—

INTERNATIONALER MUSEUMSTAG

(K)EINE PERFEKTE SCHWEIZ11 Uhr:

Führung mit der Kuratorin Anette Gehrig14 Uhr:

Workshop mit der Illustratorin Alessia Conidi

Sonntag, 18.5.2014—

Für Schulklassen, Betriebsausflüge und sonstige Gruppenbesuche bieten wir Führungen an.

Mechanisierung des Steuerwesens im Jahre 1899 © Plonk & Replonk

Zehntausend Jahre Basler Geschichte. © Plonk & Replonk

1966: Die feste Installation eines Kreisels erlaubt es, die Rheinschifffahrt flüssig zu halten. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

Die Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen alten Schweizer Viertels. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

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EDITORIAL—

Eine bekannte Schweizer Stiftung mit dem Förderschwerpunkt Wissenschaft unterstützt grundsätzlich nur innovative Initiati-ven. Gefragt seien Projekte «von hoher Relevanz und wissen-schaftlicher Qualität, die durch ‹Originalität›, ‹Wirksamkeit›, ‹Transferpotential› und ‹Interdisziplinarität› abgesichert» sind und sich in der fragilen Phase zwischen Prototyp und Massen-produktion, also im Stadium mit dem emphatischen Namen «Tal der Tränen», befinden. Beeindruckt von diesem Statement, hat sich die Kulturabteilung der Christoph Merian Stiftung im vergangenen Jahr Gedanken darüber gemacht, ob sich diese Förderideen aus den Gefilden der Wissenschaftstechnik auch auf den Bereich der Kultur übertragen lassen. Basierend auf den entsprechenden internen Diskussionen widmet sich der Schwerpunkt der vierten Ausgabe von «Shortcut» den Fragen rund um das Thema von Fortschritt und Innovation, von Er-finden und Vergessen, von Nachhaltigkeit und Wertezerfall in unsrer beschleunigten Warenindustrie. Mit den verschiedenen Beiträgen möchten wir einige kritische, skeptische, aber auch charmant-absurde Antworten geben: Aus der Perspektive der digitalen Kunst, des Buchhandels, der Collagekunst und der Kulturförderung beleuchten wir einige Aspekte zu Novität und Invention – sozusagen direkt aus dem Auge des Orkans.Alexandra Stäheli, Leiterin iaab

EIN FEST DER KÜNSTE IM AUFBRUCH

OSLO NIGHT 2014

Einmal im Jahr verwandelt sich der Dreispitz vom Industrieareal zur Festivalzone und die 40-Tönner machen dem interessierten Kunst- und Kulturpublikum Platz. Für die diesjähri-ge Ausgabe der Oslo Night am 24. Mai 2014 schliessen sich die Kulturakteure der Oslo-strasse bereits zum dritten Mal zusammen und präsentieren ein spartenübergreifendes Programm aus Ausstellungen, Performances, Open-Air-Kino, Workshops, Konzerten und Party.

Initiator dieses eintägigen Kunstfestivals ist das seit 2011 auf dem Dreispitz ansässige Haus für elektronische Künste Basel (HeK), das zusammen mit seinen Nachbarn erneut ein gemeinsames Festivalthema erarbeitet hat, um die Aktivitäten der unterschiedlichen In-stitutionen miteinander zu verbinden. Dies sind Radio X, die Fotogalerie Oslo 8, der Kunstraum OSLO10, das Internationale Aus-tausch- und Atelierprogramm Region Basel iaab, das Fotofachlabor Pascale Brügger mit dem Aufziehatelier TRISUL und erstmals

auch die neu auf dem Areal ansässige Hoch-schule für Gestaltung und Kunst FHNW.

Das Motto, auf das man sich für 2014 ge-einigt hat, ist «Aufbruch»: Es verweist auf die grossen Veränderungen, die das Quartier in diesem Jahr erfahren wird. Die HGK / FHNW wird mit allen Instituten und Fakultäten auf das Dreispitzareal ziehen und mit ihren ca. 800 Studierenden und 200 Lehrkräften deutlich zur weiteren Transformation des Quartiers beitragen. Auch das HeK und iaab werden im November 2014 ihre neuen Räume am Freilager-Platz 9/10 beziehen. Schon jetzt ist die Veränderung vor Ort zu spüren – neue gastronomische Angebote entwickeln sich, die Studierenden der Hochschule erforschen ihr neues Quartier und die fertigen «Plätze» und Mini-Parks ziehen erste Flaneure an.

Die beteiligten Partner inszenieren und in-terpretieren diese Aufbruchsituation auf un-terschiedliche Weise. Im HeK wird im Ober-geschoss die Ausstellung «Perspectives on Ima-ginary Futures» gezeigt, welche internationale

künstlerische Positionen beinhalten wird, die sich mit Fragen nach einer möglichen alterna-tiven Zukunft beschäftigen. Gesellschaftliche und ökologische Fragestellungen stehen dabei ebenso im Fokus wie die Veränderungen des Alltags. Gemeinsam ist den verschiedenen Po-sitionen in der Ausstellung ihre unbefangene Herangehensweise, die unsere Vorstellungen der Zukunft einer ironisch-kritischen Prüfung unterziehen.

Die US-Künstlerin Stephanie Rothenberg beispielsweise reflektiert in ihrem Online-Projekt «Laborers of Love/LOL» (2013), wie sich Se-xualität und Lust mit der Entwicklung neuer Medi-en und Technologien und der dadurch ermöglichten Arbeitsauslagerung in Zu-kunft entwickeln werden. Der englische Künstler Tobias Revell thematisiert in seiner fiktiven Doku-mentation «New Mumbai» (2012) die positiven Folgen einer Invasion von Riesen-pilzen auf die Eigenstän-digkeit der Bewohner in den Slums von Mumbai. Wie wir uns in Zukunft alternativ ernähren könn-ten, zeigt das Künstlerduo Burton Nitta aus Grossbri-tannien in seinem Projekt «Algaculture» (2010 – 2014). Sie untersuchen, wie Menschen mit Algen symbiotisch leben und sich so wie Pflanzen von Licht ernähren könnten. Weitere Positi-onen stellen Zukunftsvorstellungen aus der Peripherie von Bamako, der Hauptstadt von Mali, vor (Neil Beloufa, «Kempinski», 2007) oder zeigen auf, wie das Aufziehen von Kin-dern in Zukunft per Roboter funktionieren könnte (Addie Wagenknecht, «Optimization of Parenthood», 2013). Im Untergeschoss des

HeK installiert Raphael Lauper eine Werkstatt und veranstaltet einen «Upcycling» Workshop, den er im Zuge seines Diploms am Hyperwerk entwickelt hat. Kinder und Erwachsene sind dazu eingeladen, Elektroschrott und Abfall-teile zu verarbeiten und ihnen neues Leben einzuhauchen. Um die aktive Beteiligung des Publikums geht es auch in einem vom HeK initiierten Open Call. Bis Ende April werden Video- und Filmbeiträge zum Thema «Ima-ginary Futures» gesammelt, die während der Oslo Night in einem solarbetriebenen Open-

Air-Kino vorgeführt wer-den. Dabei können sowohl eigene Clips als auch ge-fundenes Material einge-reicht werden.

Das mehrstündige Mu-sikprogramm präsentiert aktuelle Tendenzen der elektronischen Musik in einem entspannten Set-ting auf dem Vorplatz der HGK ab 18 Uhr und an der anschliessenden Party ab 23 Uhr im Kunstraum OSLO10. Im Aussenbe-reich spielen S S S S (CH) und Huerco S. (USA). An der Party tritt dann die gesamte Crew des Young Echo Labels aus Bristol auf. Dieser achtköpfige Verbund von Künstlern ge-hört zu einer neuen Welle

von Musikern, die der Tradition Bristols als Stadt der Musik neue Impulse liefert.

Vor der Party kann man die vom Team von OSLO10 zusammen mit Margit Säde kuratier-te Gruppenausstellung «Cats in the throat» sehen. Gleich daneben im Fotofachlabor Pascale Brügger / Aufziehservice Trisul und bei Radio X wird dem Publikum die Möglich-keit geboten, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

IMPRESSUM

Redaktion und TexteZamira Angst, Praktikantin Abteilung Kultur Oliver Bolanz, Leiter Christoph Merian Verlag Anette Gehrig, Leiterin Cartoonmuseum Basel Karin Matt, Vertrieb und Hörbuchprogramm

Christoph Merian Verlag Christoph Meneghetti, Projektleiter Abteilung Kultur

Alexandra Stäheli, Leiterin iaab Beat von Wartburg, Leiter Abteilung Kultur

Gestaltung Hauser, Schwarz – Basel

Druck Gremper AG – Basel / Pratteln

Christoph Merian Stiftung St. Alban-Vorstadt 5

CH-4002 Basel

DAS KULTURMAGAZIN DER CHRISTOPH MERIAN STIFTUNG

SHORTCUTSchwerpunkt:

HALBWERTSZEITCartoonmuseum Basel:PLONK & REPLONK

Christoph Merian Verlag:HÖRT DIE BÜCHER!

#4April 2014

DEUTSCHER HÖRBUCHPREIS FÜR «FALLBEIL FÜR GÄNSEBLÜMCHEN»

In der ersten «Shortcut»-Ausgabe 2013 stellten wir unsere Zusam-menarbeit mit der Stiftung Radio Basel vor. Seit 2007 vergibt sie den internationalen Featurepreis für herausragende Radiofeatures von ARD, ORF und SRF. Das Gewinnerfeature erscheint jeweils auf CD im Hörbuchpro-gramm des Christoph Merian Verlags. Feature ist eine faszinie-rende Form der Radioreportage und «Fallbeil für Gänseblüm-chen» – das Gewinnerfeature von 2012 – ein besonders eindrückli-ches Stück.

September 1955, ein Gerichtssaal irgendwo in Ostberlin: Der Spio-nageprozess gegen Elli Barczatis, Sekretärin des DDR-Ministerprä-sidenten, und ihren Geliebten Karl Laurenz findet unter Aus-schluss der Öffentlichkeit statt. Aus den bisher unveröffentlichten Originaltonaufnahmen der Staats-sicherheit, begleitet von wenigen Kommentaren, entstand dieses Feature. Es zeigt in bewegender und exemplarischer Weise, wie Rechtsprechung in einer Diktatur funktioniert. Noch heute, sechzig Jahre nach der Verhand-lung, sind die Rhetorik und die Fangfragen des Richters kaum zu ertragen, ist die Bedrohung förmlich zu spüren.

Das Hörbuch sorgte bereits im letzten Jahr für viel positives Presse-Echo und wurde gut ver-kauft. Es liegt nun in der zweiten Auflage vor. Ein besonderer Höhepunkt war die Nominierung für den Deutschen Hörbuchpreis, der 2003 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, ein Qualitätssiegel für das Hörbuch zu schaffen. Diese Idee fand – und findet – zahlreiche Befür-

worter. Dies führte im Jahr 2006 zur Gründung des Deutschen Hörbuchpreises e.V. mit weiteren wichtigen Mitgliedern, unter anderem dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem «Focus»-Magazin. Heute sind verschiedene ARD-Anstalten und die Wochenzeitung «Die Zeit» die wichtigsten Partner des mit Abstand bedeutendsten Hörbuch-preises im deutschsprachigen Raum.

Der Christoph Merian Verlag war in den vergangenen Jahren bereits fünfmal für einen Preis in ver-schiedenen Kategorien nominiert, was an sich schon eine grosse Auszeichnung und Anerkennung für ein herausragendes Hörbuch-programm darstellt. Nun hat es geklappt: Das Feature «Fallbeil für Gänseblümchen» setzte sich gegen starke Konkurrenz durch (Egon Bahr: «‹Das musst du erzählen›, Erinnerungen an Willy Brandt» und Peter Handke/ Siegfried Unseld: «Der Brief-wechsel») und wurde als bestes Sachhörbuch ausgezeichnet! Die Jury schreibt zur Begründung: «Die Überfülle des zugrunde liegenden O-Ton-Materials haben Autor und Regisseur auf verdienstvolle Weise gefiltert. Ihr Feature leuchtet nicht nur die Persönlichkeit und Psyche der beiden Angeklagten aus, sondern entlarvt darüber hinaus die schamlose, ideologiekonforme Art der Prozessführung. Die Collage ist ein eindrucksvolles Zeitdoku-ment, spannend und außerordent-lich erschütternd.»

Autor dieses Stücks Zeitgeschich-te ist Maximilian Schönherr, der im Auftrag des WDR das Feature erstellt hat. Aus seinem Projekt «Archivradio» haben

sich umfangreiche und preisge-krönte Features entwickelt, die auf O-Ton-Dokumenten basieren. Für die «Stammheim-Bänder» gewann er im März 2009 erstmals den Deutschen Hörbuchpreis, nun erhielt er bereits zum zweiten Mal diese wichtige Auszeichnung. Dem Christoph Merian Verlag wurde der Preis im Rahmen einer Gala in Köln verliehen. Es ist ein im wahrsten Sinne gewichtiger Preis, den er im März nach Basel brachte: Die Trophäe ist ein Unikat, besteht aus massivem Edelstahl und wiegt stolze sechs Kilogramm!

Oliver Bolanz

www.deutscher-hoerbuchpreis.de

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Die Fotogalerie Oslo 8 eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Polis – Bilder von Städten» mit Bildern der Fotografin Christa Ziegler. Während vier Jahren bereiste die Künstlerin zahlreiche Städte vornehmlich ausserhalb Europas und Nordamerikas und entwickelte eine eigenständige Perspektive auf den urbanen Raum. Sie verzichtet auf die Illustration sozialer Brennpunkte und begreift die Stadt vielmehr als eigengesetzlichen Kör-per. «Polis» ist gleichzeitig ein Bildband mit dazugehöriger Textedition, der um 19 Uhr von der Künstlerin selbst vorgestellt wird.

Das Internationale Austausch- und Atelier-programm der Region Basel iaab eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Going Places – Aufbruch ins Weite», die Arbeiten von 20 Kunstschaffenden aus der Region Basel, Süd-baden und Solothurn präsentiert, welche 2013 ein Stipendium für einen Aufenthalt in einem der Partnerateliers im Ausland erhielten. Da-bei wird der Aufbruch nicht nur geografisch im Sinne des Aufbrechens an andere und ferne

Orte thematisiert, sondern, damit verbunden, auch als ein Aufbrechen der gewohnten Zei-chensysteme und scheinbar selbstverständli-chen künstlerischen Praktiken. Beteiligt sind unter anderem Dunja Herzog, Vanessa Safavi, Clare Kenny sowie Monica Studer und Chris-toph van den Berg.

Der Beitrag der Hochschule für Gestaltung und Kunst kommt von der Vereinigung der Alumni HGK. Ehemalige Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen präsen-tieren selbst hergestellte Produkte und zeigen Showcases mit Workshops und partizipativer sowie performativer Kunst.

Auf der Oslostrasse selbst wird den Besu-chern ein ausgesuchtes kulinarisches Angebot offeriert, wobei auch hier das Thema der zu-künftigen Lebenswelten in der Frage «Was wol-len wir essen?» aufgegriffen wird. Leon Heinz, Student am Hyperwerk in Basel und Mitglied der Gastronauten, lädt die Besucher ein, unter professioneller Anleitung eine personalisier-te Wurst aus unterschiedlichsten Zutaten zu

Andere versuchen vorauszuschauen, die Westschweizer Künstlerbrüder und Verleger Hubert und Jacques Froidevaux alias Plonk & Replonk aus La Chaux-de-Fonds blicken entspannt zurück. Sie recyceln alte Postkarten und Fotografien, die sie entweder mit Unter-titeln subtil umdeuten oder in digitalen Bild-bearbeitungsprogrammen neu kombinieren, und schreiben so an ihrer eigenen Version der (helvetischen) Geschichte. Jedes neue Bild von Plonk & Replonk behauptet eine weitere absurde, aber ungemein charmante Wahrheit, die einen Platz in ihrem Koordi-natensystem aus inzwischen Hunderten von thematisch und gestalterisch verwandten Col-lagen findet. Mit ätzendem Humor, wenigen aber entscheidenden Bildmanipulationen und lakonischen bis skurrilen Kommentaren

wird die Vergangenheit umgepolt und der Ge-genwart ans Schienbein getreten. Besonders über Erfindergeist und Verbesserungswahn machen sich Plonk & Replonk mit Verve lus-tig. Scheinbar Modernes, aufgegebene Berufe, überholte Sitten und widerlegte Mythen sind der Stoff, aus dem sie ihre Pointen formen. Ihr schräger Blick auf das Gestern lässt die Betrachter über die Lächerlichkeit alter Stra-tegien schmunzeln und gleichzeitig ahnen, dass die heutigen kaum besser funktionieren. Die Wende zum 20. Jahrhundert, die Plonk & Replonk liebevoll verdreht wieder aufleben lassen, ist unserem hektischen Start ins neue Jahrtausend ähnlicher, als uns lieb ist.

Das Cartoonmuseum Basel würdigt Plonk & Replonk erstmals auf der deutschsprachigen Seite des Röstigrabens mit einer grossen Werk-

ANSICHTEN VON BASEL:

PLONK & REPLONK IM CARTOONMUSEUM

David Semper: Auf der Strecke zwischen Studio und

Old Delhi, Fotografie, 2013Ausstellung iaab:

«Going places – Aufbruch in die Weite»

fertigen und im Anschluss an der gegenüber-liegenden Grillstation zu konsumieren. Im breit gefächerten Angebot an Waren, die für die Wurst ausgesucht werden können – von Fleisch bis hin zu Sauerkraut und Gewürzen –, werden die Geschmacksnerven angeregt und aufgezeigt, wohin die Zukunft der Nahrungs-mittelzubereitung gehen könnte.

Die Initianten der Oslo Night begreifen sich als Pioniere und Mitgestalter eines neu-en urbanen Raumes. Im Format einer or-ganisierten Kollaboration eröffnet sich die Möglichkeit, in einem festlichen Ambiente einem grossen Publikum die Aktivitäten und Programme der einzelnen Partnerinstitutio-nen vorzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Bauarbeiten, den positiven Rück-meldungen des Publikums der letzten Jah-re und dem Zuzug neuer Partner feiert die diesjährige Oslo Night den Neubeginn des Quartiers. Als alljährlicher Fixpunkt im loka-len und überregionalen Kulturkalender kann man auch in Zukunft an der Oslo Night die

Weiterentwicklung der Oslostrasse und des Areals mitverfolgen.

Lukas ZitzerLukas Zitzer ist im Haus für elektronische Künste Basel verantwortlich für die Kommunikation.

c Tobias Revell: New Mumbai Film Still, Video, 2012 Ausstellung HeK: «Perspectives on Imaginary Futures»

g Die Oslostrasse an der Oslo Night 2013 Foto: Stefan Holenstein

heiterem Gespräch die Ereignisse der Zeit kommentierte. Die Wohnung werden Sie wie viele andere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht finden. Doch Margrit Rainer und Ruedi Walter, die für Radio Basel in der satirischen Sendung « Spalebärg 77a» auftraten, schafften mit elfjähriger Laufzeit und weit über 100 Fol-gen mit regelmässigem Hörerrekord einen bis heute einmaligen Erfolg.

Es regnet das ganze Wochenende, Sie liegen krank im Bett oder haben Ihren Frühlings-putz vor sich. Auf jeden Fall haben Sie ohne Probleme 18 Stunden Zeit, sich ein Hörbuch zu Gemüte zu führen? Dann nehmen Sie sich Beat Sterchis «Blösch» vor, einen der wich-tigsten Schweizer Romane der Gegenwart. Er erzählt vom Leben eines Spani-ers, der als Knecht auf einen Schweizer Bauern-hof kommt, von seinem friedlichen Leben mit den Kühen und von den nicht so friedlichen Dorfbe-wohnern. Das von Sebas-tian Mattmüller gelesene und von Raphael Zehnder an Originalschauplätzen (Kuhstall, Weide, Schlacht-hof u.a.) aufgezeichnete Hörbuch beschwört mit der wuchtigen Sprache Sterchis und den authentischen Geräuschkulissen Bilder herauf, die durch Mark und Bein gehen.

Joggen: Aber vielleicht besser nicht im Zolli, denn ein «nulluns macrosalis» ist ausgebüxt! Das verbreitet Angst und Schrecken und ver-setzt den Tierforscher Benno Potzi in Alarm-bereitschaft. Jetzt heisst es Ruhe bewahren und das exotische Wesen zurück in den Käfig locken. Diese Geschichte gibt es im Hörbuch «Lockstoff» von Joachim Rittmeyer zum Mithören und -lachen. Erschrecken Sie nicht, wenn die Geschichte plötzlich unterbrochen werden muss: Eine zoologische Taskforce übernimmt und koordiniert die diffizile Auf-gabe, das Tier wieder einzufangen.

Und zum Schluss: Schaurig schöne Bett-mümpfeli-Geschichten! Am 5. November 1975

drang es zu später Stunde erstmals in die helveti-schen Stuben und Schlaf-zimmer: das Schreck-mümpfeli. Seither gingen gegen tausend dieser iro-nischen Kurzkrimis über den Sender. Der Sendeter-min wurde zur Fixzeit für Hörerinnen und Hörer, die sich ohne beschleunigten Puls und Kribbeln im Bauch nicht mehr unter die Bettdecke verkriechen

mochten. Mittlerweise sind neun verschiedene Schreckmümpfeli-CDs sowie «Das Beste vom Schreckmümpfeli» erschienen, die Sie nicht nur zu bestimmter Sendezeit hören können.

Zamira Angst

HÖREN SIE ZU! HÖRBÜCHER AUS DEM CHRISTOPH MERIAN VERLAG FÜR ALLE LEBENSLAGEN

Im Christoph Merian Verlag erscheinen jedes Jahr zahlreiche und vielfältige Hörbücher. Hier seien einige besondere Perlen hervorgehoben. Lassen Sie sich auf die Geschichten ein und geniessen Sie es, vom Alltag abzuschalten. Vorschläge für ein Hörbuchabenteuer.

Im ehemaligen Restaurant Milchhüsli, heute Caffè Bologna: Nehmen Sie Platz im neu von Studierenden betriebenen Caffè Bologna, be-stellen Sie Kaffee und Kuchen und setzen Sie sich die Kopfhörer auf. Kommissär Hunkeler entführt Sie in alte Zeiten, als das Milchhüsli noch die Stammkneipe der Quar-tierbewohner war. Zuerst haben Sie jedoch noch die Qual der Wahl: «Das Paar im Kahn», «Hunkeler macht Sachen», «Hunkeler und der Fall Livius», «Hun-keler und die Augen des Ödipus», «Hunkeler und die goldene Hand» oder doch lieber «Tod einer Ärztin»? Eines ist sicher: Ueli Jäggi – 2004 erhielt er als bester Sprecher den Deutschen Hörbuchpreis – glänzt in der Rolle des kauzigen Kommissärs von Hansjörg Schneider.

Mit Dürrenmatt in die Badewanne: Ein gewag-tes Experiment! Achtung: Das Wasser könn-te kalt werden, ohne dass Sie es bemerken. Denn Friedrich Dürrenmatt schrieb neben Romanen, Erzählungen und Theaterstücken auch Hörspiele, die vielfach ausgezeichnet wurden. Im Klassiker «Die Panne» erzählt er die Geschichte des Durchschnittsmenschen Alfredo Traps, der sich stolz zu einem Ver-

brechen bekennt, das er nicht begangen hat. Und das Beste: Dürrenmatt selbst spricht die Einleitung.

Am Rhein liegen, sich sonnen, vielleicht so-gar die Angelrute auswerfen, mit Arno Came-nischs «Fred und Franz» im Ohr. Die besten Freunde und Brüder im Geiste kämpfen mit dem Alltag. Im Erfolgsroman geht es um die Liebe, die Frauen, den Tod und das Mensch-sein. Ein starkes Stück neue Schweizer Lite-ratur, virtuos als intimes Hörspiel von Geri

Dillier in Zusammenar-beit mit Arno Camenisch umgesetzt.

Im Stau stehen bedeutet nicht unbedingt Zeit ver-lieren. Hören Sie stattdes-sen zu, wenn «Max Frisch spricht». Er wird Sie bes-tens unterhalten mit Aus-zügen aus Originalmit-schnitten seiner Reden, die anlässlich seines 75. Ge-burtstags erschienen sind.

Nicht nur die Reden sind spannend, sondern auch das Gespräch mit Hans Ulrich Probst, in dem sich Frisch zu zentralen Themen seines Werks äussert. Ausserdem ist dieser Autor so aktuell wie nie, hat er doch schon 1965 zur damaligen Zuwanderung in die Schweiz ge-schrieben: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.» Es ist 2014 beson-ders lohnend, Max Frisch wieder einmal genau zuzuhören!

Spalenberg 77a, das ist der Wohnort des Ehe-paars Ehrsam, das ab 1955 jeden dritten Sams-tag nach den Mittagsnachrichten in traulich-

Ein Klassiker im Christoph Merian Verlag: Dürrenmatts «Die Panne»

Unterwegs mit «Max Frisch spricht»

EIN HÖRBUCH VON SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN

IM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

Die BuchBasel 2005 markierte den Startschuss für ein neues Kapitel im Christoph Merian Verlag: Das erste Hörbuchprogramm erschien. Ausgangspunkt war die Vereinbarung einer exklusiven Partnerschaft mit dem Schweizer Radio DRS, um ausgewählte Erwachsenenhör-spiele des Radios als Hörbuch in Lizenz in den Buchhandel zu bringen. Damit verschaffte sich der Verlag auch Zugang zum umfangreichen Archiv des Radios.Mittlerweile ist aus dem Schweizer Radio DRS das «Schweizer Radio und Fernsehen» geworden und die gemeinsame Reihe heisst nun «Ein Hörbuch von Schweizer Radio und Fernsehen im Christoph Merian Verlag». In dieser Edition konnte der CMV erfolgreiche Titel wie die «Schreckmümpfeli»-Reihe oder Gisela Widmers «Zytlupe» auf CD veröffent-lichen. Letztere liegt bereits in der vierten Auflage vor! Einen Schwerpunkt im Hör-buchprogramm bilden Schweizer Autorinnen und Autoren. Das Programm umfasst Werke der beiden «Grossen» Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, Krimiklassiker von Friedrich Glauser oder Hansjörg Schneiders erfolgrei-che Kommissär-Hunkeler-Fälle. Auch Mund-artstücke mit prominenter Besetzung wie zum Beispiel Ruedi Walter und Margrit Rainer in «Spalebärg 77a» dürfen im Programm nicht fehlen, ebensowenig viele Hörspiele von zeit-genössischen Autorinnen und Autoren im Verlagsprogramm.Welche Werke den Weg aus den Archiven auf die CDs und seit einigen Jahren auch auf das Download-Angebot des Verlags finden, wird zusammen mit den Radio-Verantwortlichen aus der Hörspielredaktion entschieden. Bei der Auswahl achten wir zum Beispiel dar-auf, ob eine Produktion grundsätzlich ins Programm passt und ob es einen aktuellen

Anlass gibt, ein bestimmtes Werk gerade jetzt als Hörbuch ins Verlagsprogramm aufzuneh-men: Feiert ein Autor Jubiläum? Gibt es einen neuen Kriminalfall des Publikumslieblings Franz Musil? Welches Hörspiel hat bei der Radioausstrahlung besonders viel positives Echo ausgelöst? Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Auswahl. Das Radio verfügt zwar über die Sen-derechte, nicht aber über diejenigen für kom-merzielle Verwertungen. Oft stehen aufwendi-ge Recherchen und Verhandlungen mit den Rechteinhabern an. Danach werden mit dem Grafiker Hans Sommer von «rébus» die Ideen für jedes einzelne Hörbuch-Cover besprochen. Zusammen mit ihm haben wir die einheitli-che Gestaltung der Hörbuchreihe entwickelt und damit ein Wiedererkennungs- und Qua-litätsmerkmal geschaffen. Danach müssen die Produktionspläne gemacht, die Offerten des Presswerks eingeholt und alle Informationen rund um die Produktionen für die Verlags-vertreter, den Buchhandel und die Medien zusammengetragen werden. Das Erscheinen der Hörbücher wird in den meisten Fällen auf die Buchmessen im Frühling in Leipzig und im Herbst in Frankfurt terminiert. Die CDs können danach überall im Buchhandel in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sowie im SRF-Shop und über unsere Website merianverlag.ch erworben werden.

Karin Matt

schau. Hierzulande erscheinen ihre humoris-tischen Postkarten vor allem im Westschwei-zer Satiremagazin «Vigousse», in «L’Hebdo» und in der Deutschschweiz zeitweise in der Tageszeitung «Der Bund». In Frankreich, wo sie ganze Museen gegen den Strich gebürs-tet haben, sind die beiden Jurassier bestens bekannt und etabliert, dort publizieren sie regelmässig in der linksliberalen Pariser Ta-geszeitung «Libération», in «Charlie Hebdo» und in «L’Humanité».

Plonk & Replonk sind nicht zeichnende Cartoonisten, ihre Collagetechnik orientiert sich an Künstlern wie dem deutschen Foto-montagekünstler John Heartfield (eigent-lich Helmut Herzfeld, 1891 – 1968). Ihr Aus-drucksmittel ist die im Fotobearbeitungspro-gramm Photoshop ausgeführte Collage von Ausschnitten historischer Postkarten und Fotografien. Die im Computer montierten schwarz-weissen, sepiafarbenen oder pseudo-handkolorierten Bilder sind aber nicht perfekt verschmolzen, sondern erkennbar zusammen-gefügt, so dass spätestens auf den zweiten Blick klar wird, dass hier geschummelt wurde. Die Spuren der Bildmontage bleiben bewusst sichtbar, um dem Betrachter der Manipula-tionen die Dechiffrierung der umgedeuteten Zusammenhänge zu ermöglichen. Ebenso wichtig wie die Bilder sind die nur auf den ersten Blick erklärenden Bildlegenden, die lustvoller Kalauer wie hintergründige Pointe sein können. Anstatt den Betrachter zu in-formieren, verleihen diese den arrangierten

Bildern eine weitere, oft kauzige oder gar groteske Qualität. Sie können aber auch die historisch anmutenden Bilder an konkrete ak-tuelle Themen anbinden oder mit bekannten Ereignissen verknüpfen. Die mit Hintersinn und Wortspielereien gespickten, verfremdeten Postkarten von Plonk & Replonk präsentieren die Schweiz als Hort des Skurrilen und krat-zen mächtig an der Politur erhabener Gipfel, nobler Teppichetagen, stolzer Militärs, ordent-licher Kleinbürger und alter Klischees.

Die Werkschau in Basel zeigt einen Über-blick über die vielfältige künstlerische Arbeit von Plonk & Replonk, die auch die bildhau-erische Auseinandersetzung mit Schweizer Ikonen wie den Schuhen von Rousseau, der Brille von Le Corbusier oder dem Garten-zwerg beinhaltet. Speziell für Basel kreieren Plonk & Replonk ein Kabinett mit einer Serie von Arbeiten zu den Besonderheiten der Stadt am Rheinknie.

Anette Gehrig

BEGLEITVERANSTALTUNGEN—

CAFÉ BELLEVUETreten Sie ein in die gute Stube! Führung

durch die Ausstellung mit anschliessendem Kaffee trinken und Gebäck von der Confiserie Beschle, Basel.

13.4., 11.5., 22.6.2014, 14 Uhr—

INTERNATIONALER MUSEUMSTAG

(K)EINE PERFEKTE SCHWEIZ11 Uhr:

Führung mit der Kuratorin Anette Gehrig14 Uhr:

Workshop mit der Illustratorin Alessia Conidi

Sonntag, 18.5.2014—

Für Schulklassen, Betriebsausflüge und sonstige Gruppenbesuche bieten wir Führungen an.

Mechanisierung des Steuerwesens im Jahre 1899 © Plonk & Replonk

Zehntausend Jahre Basler Geschichte. © Plonk & Replonk

1966: Die feste Installation eines Kreisels erlaubt es, die Rheinschifffahrt flüssig zu halten. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

Die Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen alten Schweizer Viertels. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

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EDITORIAL—

Eine bekannte Schweizer Stiftung mit dem Förderschwerpunkt Wissenschaft unterstützt grundsätzlich nur innovative Initiati-ven. Gefragt seien Projekte «von hoher Relevanz und wissen-schaftlicher Qualität, die durch ‹Originalität›, ‹Wirksamkeit›, ‹Transferpotential› und ‹Interdisziplinarität› abgesichert» sind und sich in der fragilen Phase zwischen Prototyp und Massen-produktion, also im Stadium mit dem emphatischen Namen «Tal der Tränen», befinden. Beeindruckt von diesem Statement, hat sich die Kulturabteilung der Christoph Merian Stiftung im vergangenen Jahr Gedanken darüber gemacht, ob sich diese Förderideen aus den Gefilden der Wissenschaftstechnik auch auf den Bereich der Kultur übertragen lassen. Basierend auf den entsprechenden internen Diskussionen widmet sich der Schwerpunkt der vierten Ausgabe von «Shortcut» den Fragen rund um das Thema von Fortschritt und Innovation, von Er-finden und Vergessen, von Nachhaltigkeit und Wertezerfall in unsrer beschleunigten Warenindustrie. Mit den verschiedenen Beiträgen möchten wir einige kritische, skeptische, aber auch charmant-absurde Antworten geben: Aus der Perspektive der digitalen Kunst, des Buchhandels, der Collagekunst und der Kulturförderung beleuchten wir einige Aspekte zu Novität und Invention – sozusagen direkt aus dem Auge des Orkans.Alexandra Stäheli, Leiterin iaab

EIN FEST DER KÜNSTE IM AUFBRUCH OSLO NIGHT 2014

Einmal im Jahr verwandelt sich der Dreispitz vom Industrieareal zur Festivalzone und die 40-Tönner machen dem interessierten Kunst- und Kulturpublikum Platz. Für die diesjähri-ge Ausgabe der Oslo Night am 24. Mai 2014 schliessen sich die Kulturakteure der Oslo-strasse bereits zum dritten Mal zusammen und präsentieren ein spartenübergreifendes Programm aus Ausstellungen, Performances, Open-Air-Kino, Workshops, Konzerten und Party.

Initiator dieses eintägigen Kunstfestivals ist das seit 2011 auf dem Dreispitz ansässige Haus für elektronische Künste Basel (HeK), das zusammen mit seinen Nachbarn erneut ein gemeinsames Festivalthema erarbeitet hat, um die Aktivitäten der unterschiedlichen In-stitutionen miteinander zu verbinden. Dies sind Radio X, die Fotogalerie Oslo 8, der Kunstraum OSLO10, das Internationale Aus-tausch- und Atelierprogramm Region Basel iaab, das Fotofachlabor Pascale Brügger mit dem Aufziehatelier TRISUL und erstmals

auch die neu auf dem Areal ansässige Hoch-schule für Gestaltung und Kunst FHNW.

Das Motto, auf das man sich für 2014 ge-einigt hat, ist «Aufbruch»: Es verweist auf die grossen Veränderungen, die das Quartier in diesem Jahr erfahren wird. Die HGK / FHNW wird mit allen Instituten und Fakultäten auf das Dreispitzareal ziehen und mit ihren ca. 800 Studierenden und 200 Lehrkräften deutlich zur weiteren Transformation des Quartiers beitragen. Auch das HeK und iaab werden im November 2014 ihre neuen Räume am Freilager-Platz 9/10 beziehen. Schon jetzt ist die Veränderung vor Ort zu spüren – neue gastronomische Angebote entwickeln sich, die Studierenden der Hochschule erforschen ihr neues Quartier und die fertigen «Plätze» und Mini-Parks ziehen erste Flaneure an.

Die beteiligten Partner inszenieren und in-terpretieren diese Aufbruchsituation auf un-terschiedliche Weise. Im HeK wird im Ober-geschoss die Ausstellung «Perspectives on Ima-ginary Futures» gezeigt, welche internationale

künstlerische Positionen beinhalten wird, die sich mit Fragen nach einer möglichen alterna-tiven Zukunft beschäftigen. Gesellschaftliche und ökologische Fragestellungen stehen dabei ebenso im Fokus wie die Veränderungen des Alltags. Gemeinsam ist den verschiedenen Po-sitionen in der Ausstellung ihre unbefangene Herangehensweise, die unsere Vorstellungen der Zukunft einer ironisch-kritischen Prüfung unterziehen.

Die US-Künstlerin Stephanie Rothenberg beispielsweise reflektiert in ihrem Online-Projekt «Laborers of Love/LOL» (2013), wie sich Se-xualität und Lust mit der Entwicklung neuer Medi-en und Technologien und der dadurch ermöglichten Arbeitsauslagerung in Zu-kunft entwickeln werden. Der englische Künstler Tobias Revell thematisiert in seiner fiktiven Doku-mentation «New Mumbai» (2012) die positiven Folgen einer Invasion von Riesen-pilzen auf die Eigenstän-digkeit der Bewohner in den Slums von Mumbai. Wie wir uns in Zukunft alternativ ernähren könn-ten, zeigt das Künstlerduo Burton Nitta aus Grossbri-tannien in seinem Projekt «Algaculture» (2010 – 2014). Sie untersuchen, wie Menschen mit Algen symbiotisch leben und sich so wie Pflanzen von Licht ernähren könnten. Weitere Positi-onen stellen Zukunftsvorstellungen aus der Peripherie von Bamako, der Hauptstadt von Mali, vor (Neil Beloufa, «Kempinski», 2007) oder zeigen auf, wie das Aufziehen von Kin-dern in Zukunft per Roboter funktionieren könnte (Addie Wagenknecht, «Optimization of Parenthood», 2013). Im Untergeschoss des

HeK installiert Raphael Lauper eine Werkstatt und veranstaltet einen «Upcycling» Workshop, den er im Zuge seines Diploms am Hyperwerk entwickelt hat. Kinder und Erwachsene sind dazu eingeladen, Elektroschrott und Abfall-teile zu verarbeiten und ihnen neues Leben einzuhauchen. Um die aktive Beteiligung des Publikums geht es auch in einem vom HeK initiierten Open Call. Bis Ende April werden Video- und Filmbeiträge zum Thema «Ima-ginary Futures» gesammelt, die während der Oslo Night in einem solarbetriebenen Open-

Air-Kino vorgeführt wer-den. Dabei können sowohl eigene Clips als auch ge-fundenes Material einge-reicht werden.

Das mehrstündige Mu-sikprogramm präsentiert aktuelle Tendenzen der elektronischen Musik in einem entspannten Set-ting auf dem Vorplatz der HGK ab 18 Uhr und an der anschliessenden Party ab 23 Uhr im Kunstraum OSLO10. Im Aussenbe-reich spielen S S S S (CH) und Huerco S. (USA). An der Party tritt dann die gesamte Crew des Young Echo Labels aus Bristol auf. Dieser achtköpfige Verbund von Künstlern ge-hört zu einer neuen Welle

von Musikern, die der Tradition Bristols als Stadt der Musik neue Impulse liefert.

Vor der Party kann man die vom Team von OSLO10 zusammen mit Margit Säde kuratier-te Gruppenausstellung «Cats in the throat» sehen. Gleich daneben im Fotofachlabor Pascale Brügger / Aufziehservice Trisul und bei Radio X wird dem Publikum die Möglich-keit geboten, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

IMPRESSUM

Redaktion und TexteZamira Angst, Praktikantin Abteilung Kultur Oliver Bolanz, Leiter Christoph Merian Verlag Anette Gehrig, Leiterin Cartoonmuseum Basel Karin Matt, Vertrieb und Hörbuchprogramm

Christoph Merian Verlag Christoph Meneghetti, Projektleiter Abteilung Kultur

Alexandra Stäheli, Leiterin iaab Beat von Wartburg, Leiter Abteilung Kultur

Gestaltung Hauser, Schwarz – Basel

Druck Gremper AG – Basel / Pratteln

Christoph Merian Stiftung St. Alban-Vorstadt 5

CH-4002 Basel

DAS KULTURMAGAZIN DER CHRISTOPH MERIAN STIFTUNG SHORTCUT

Schwerpunkt:HALBWERTSZEIT

Cartoonmuseum Basel:PLONK & REPLONK

Christoph Merian Verlag:HÖRT DIE BÜCHER!

#4 April 2014

DEUTSCHER HÖRBUCHPREIS FÜR «FALLBEIL FÜR GÄNSEBLÜMCHEN»

In der ersten «Shortcut»-Ausgabe 2013 stellten wir unsere Zusam-menarbeit mit der Stiftung Radio Basel vor. Seit 2007 vergibt sie den internationalen Featurepreis für herausragende Radiofeatures von ARD, ORF und SRF. Das Gewinnerfeature erscheint jeweils auf CD im Hörbuchpro-gramm des Christoph Merian Verlags. Feature ist eine faszinie-rende Form der Radioreportage und «Fallbeil für Gänseblüm-chen» – das Gewinnerfeature von 2012 – ein besonders eindrückli-ches Stück.

September 1955, ein Gerichtssaal irgendwo in Ostberlin: Der Spio-nageprozess gegen Elli Barczatis, Sekretärin des DDR-Ministerprä-sidenten, und ihren Geliebten Karl Laurenz findet unter Aus-schluss der Öffentlichkeit statt. Aus den bisher unveröffentlichten Originaltonaufnahmen der Staats-sicherheit, begleitet von wenigen Kommentaren, entstand dieses Feature. Es zeigt in bewegender und exemplarischer Weise, wie Rechtsprechung in einer Diktatur funktioniert. Noch heute, sechzig Jahre nach der Verhand-lung, sind die Rhetorik und die Fangfragen des Richters kaum zu ertragen, ist die Bedrohung förmlich zu spüren.

Das Hörbuch sorgte bereits im letzten Jahr für viel positives Presse-Echo und wurde gut ver-kauft. Es liegt nun in der zweiten Auflage vor. Ein besonderer Höhepunkt war die Nominierung für den Deutschen Hörbuchpreis, der 2003 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, ein Qualitätssiegel für das Hörbuch zu schaffen. Diese Idee fand – und findet – zahlreiche Befür-

worter. Dies führte im Jahr 2006 zur Gründung des Deutschen Hörbuchpreises e.V. mit weiteren wichtigen Mitgliedern, unter anderem dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem «Focus»-Magazin. Heute sind verschiedene ARD-Anstalten und die Wochenzeitung «Die Zeit» die wichtigsten Partner des mit Abstand bedeutendsten Hörbuch-preises im deutschsprachigen Raum.

Der Christoph Merian Verlag war in den vergangenen Jahren bereits fünfmal für einen Preis in ver-schiedenen Kategorien nominiert, was an sich schon eine grosse Auszeichnung und Anerkennung für ein herausragendes Hörbuch-programm darstellt. Nun hat es geklappt: Das Feature «Fallbeil für Gänseblümchen» setzte sich gegen starke Konkurrenz durch (Egon Bahr: «‹Das musst du erzählen›, Erinnerungen an Willy Brandt» und Peter Handke/ Siegfried Unseld: «Der Brief-wechsel») und wurde als bestes Sachhörbuch ausgezeichnet! Die Jury schreibt zur Begründung: «Die Überfülle des zugrunde liegenden O-Ton-Materials haben Autor und Regisseur auf verdienstvolle Weise gefiltert. Ihr Feature leuchtet nicht nur die Persönlichkeit und Psyche der beiden Angeklagten aus, sondern entlarvt darüber hinaus die schamlose, ideologiekonforme Art der Prozessführung. Die Collage ist ein eindrucksvolles Zeitdoku-ment, spannend und außerordent-lich erschütternd.»

Autor dieses Stücks Zeitgeschich-te ist Maximilian Schönherr, der im Auftrag des WDR das Feature erstellt hat. Aus seinem Projekt «Archivradio» haben

sich umfangreiche und preisge-krönte Features entwickelt, die auf O-Ton-Dokumenten basieren. Für die «Stammheim-Bänder» gewann er im März 2009 erstmals den Deutschen Hörbuchpreis, nun erhielt er bereits zum zweiten Mal diese wichtige Auszeichnung. Dem Christoph Merian Verlag wurde der Preis im Rahmen einer Gala in Köln verliehen. Es ist ein im wahrsten Sinne gewichtiger Preis, den er im März nach Basel brachte: Die Trophäe ist ein Unikat, besteht aus massivem Edelstahl und wiegt stolze sechs Kilogramm!

Oliver Bolanz

www.deutscher-hoerbuchpreis.de

Michael Burton &

Michiko N

itta: Near Future A

lgae Symbiosis Suit, Prototype, 2010 / «Perspectives on Im

aginary Futures» Haus für elektronische K

ünste Baselh

Die Fotogalerie Oslo 8 eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Polis – Bilder von Städten» mit Bildern der Fotografin Christa Ziegler. Während vier Jahren bereiste die Künstlerin zahlreiche Städte vornehmlich ausserhalb Europas und Nordamerikas und entwickelte eine eigenständige Perspektive auf den urbanen Raum. Sie verzichtet auf die Illustration sozialer Brennpunkte und begreift die Stadt vielmehr als eigengesetzlichen Kör-per. «Polis» ist gleichzeitig ein Bildband mit dazugehöriger Textedition, der um 19 Uhr von der Künstlerin selbst vorgestellt wird.

Das Internationale Austausch- und Atelier-programm der Region Basel iaab eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Going Places – Aufbruch ins Weite», die Arbeiten von 20 Kunstschaffenden aus der Region Basel, Süd-baden und Solothurn präsentiert, welche 2013 ein Stipendium für einen Aufenthalt in einem der Partnerateliers im Ausland erhielten. Da-bei wird der Aufbruch nicht nur geografisch im Sinne des Aufbrechens an andere und ferne

Orte thematisiert, sondern, damit verbunden, auch als ein Aufbrechen der gewohnten Zei-chensysteme und scheinbar selbstverständli-chen künstlerischen Praktiken. Beteiligt sind unter anderem Dunja Herzog, Vanessa Safavi, Clare Kenny sowie Monica Studer und Chris-toph van den Berg.

Der Beitrag der Hochschule für Gestaltung und Kunst kommt von der Vereinigung der Alumni HGK. Ehemalige Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen präsen-tieren selbst hergestellte Produkte und zeigen Showcases mit Workshops und partizipativer sowie performativer Kunst.

Auf der Oslostrasse selbst wird den Besu-chern ein ausgesuchtes kulinarisches Angebot offeriert, wobei auch hier das Thema der zu-künftigen Lebenswelten in der Frage «Was wol-len wir essen?» aufgegriffen wird. Leon Heinz, Student am Hyperwerk in Basel und Mitglied der Gastronauten, lädt die Besucher ein, unter professioneller Anleitung eine personalisier-te Wurst aus unterschiedlichsten Zutaten zu

Andere versuchen vorauszuschauen, die Westschweizer Künstlerbrüder und Verleger Hubert und Jacques Froidevaux alias Plonk & Replonk aus La Chaux-de-Fonds blicken entspannt zurück. Sie recyceln alte Postkarten und Fotografien, die sie entweder mit Unter-titeln subtil umdeuten oder in digitalen Bild-bearbeitungsprogrammen neu kombinieren, und schreiben so an ihrer eigenen Version der (helvetischen) Geschichte. Jedes neue Bild von Plonk & Replonk behauptet eine weitere absurde, aber ungemein charmante Wahrheit, die einen Platz in ihrem Koordi-natensystem aus inzwischen Hunderten von thematisch und gestalterisch verwandten Col-lagen findet. Mit ätzendem Humor, wenigen aber entscheidenden Bildmanipulationen und lakonischen bis skurrilen Kommentaren

wird die Vergangenheit umgepolt und der Ge-genwart ans Schienbein getreten. Besonders über Erfindergeist und Verbesserungswahn machen sich Plonk & Replonk mit Verve lus-tig. Scheinbar Modernes, aufgegebene Berufe, überholte Sitten und widerlegte Mythen sind der Stoff, aus dem sie ihre Pointen formen. Ihr schräger Blick auf das Gestern lässt die Betrachter über die Lächerlichkeit alter Stra-tegien schmunzeln und gleichzeitig ahnen, dass die heutigen kaum besser funktionieren. Die Wende zum 20. Jahrhundert, die Plonk & Replonk liebevoll verdreht wieder aufleben lassen, ist unserem hektischen Start ins neue Jahrtausend ähnlicher, als uns lieb ist.

Das Cartoonmuseum Basel würdigt Plonk & Replonk erstmals auf der deutschsprachigen Seite des Röstigrabens mit einer grossen Werk-

ANSICHTEN VON BASEL:

PLONK & REPLONK IM CARTOONMUSEUM

David Semper: Auf der Strecke zwischen Studio und

Old Delhi, Fotografie, 2013Ausstellung iaab:

«Going places – Aufbruch in die Weite»

fertigen und im Anschluss an der gegenüber-liegenden Grillstation zu konsumieren. Im breit gefächerten Angebot an Waren, die für die Wurst ausgesucht werden können – von Fleisch bis hin zu Sauerkraut und Gewürzen –, werden die Geschmacksnerven angeregt und aufgezeigt, wohin die Zukunft der Nahrungs-mittelzubereitung gehen könnte.

Die Initianten der Oslo Night begreifen sich als Pioniere und Mitgestalter eines neu-en urbanen Raumes. Im Format einer or-ganisierten Kollaboration eröffnet sich die Möglichkeit, in einem festlichen Ambiente einem grossen Publikum die Aktivitäten und Programme der einzelnen Partnerinstitutio-nen vorzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Bauarbeiten, den positiven Rück-meldungen des Publikums der letzten Jah-re und dem Zuzug neuer Partner feiert die diesjährige Oslo Night den Neubeginn des Quartiers. Als alljährlicher Fixpunkt im loka-len und überregionalen Kulturkalender kann man auch in Zukunft an der Oslo Night die

Weiterentwicklung der Oslostrasse und des Areals mitverfolgen.

Lukas ZitzerLukas Zitzer ist im Haus für elektronische Künste Basel verantwortlich für die Kommunikation.

c Tobias Revell: New Mumbai Film Still, Video, 2012 Ausstellung HeK: «Perspectives on Imaginary Futures»

g Die Oslostrasse an der Oslo Night 2013 Foto: Stefan Holenstein

heiterem Gespräch die Ereignisse der Zeit kommentierte. Die Wohnung werden Sie wie viele andere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht finden. Doch Margrit Rainer und Ruedi Walter, die für Radio Basel in der satirischen Sendung « Spalebärg 77a» auftraten, schafften mit elfjähriger Laufzeit und weit über 100 Fol-gen mit regelmässigem Hörerrekord einen bis heute einmaligen Erfolg.

Es regnet das ganze Wochenende, Sie liegen krank im Bett oder haben Ihren Frühlings-putz vor sich. Auf jeden Fall haben Sie ohne Probleme 18 Stunden Zeit, sich ein Hörbuch zu Gemüte zu führen? Dann nehmen Sie sich Beat Sterchis «Blösch» vor, einen der wich-tigsten Schweizer Romane der Gegenwart. Er erzählt vom Leben eines Spani-ers, der als Knecht auf einen Schweizer Bauern-hof kommt, von seinem friedlichen Leben mit den Kühen und von den nicht so friedlichen Dorfbe-wohnern. Das von Sebas-tian Mattmüller gelesene und von Raphael Zehnder an Originalschauplätzen (Kuhstall, Weide, Schlacht-hof u.a.) aufgezeichnete Hörbuch beschwört mit der wuchtigen Sprache Sterchis und den authentischen Geräuschkulissen Bilder herauf, die durch Mark und Bein gehen.

Joggen: Aber vielleicht besser nicht im Zolli, denn ein «nulluns macrosalis» ist ausgebüxt! Das verbreitet Angst und Schrecken und ver-setzt den Tierforscher Benno Potzi in Alarm-bereitschaft. Jetzt heisst es Ruhe bewahren und das exotische Wesen zurück in den Käfig locken. Diese Geschichte gibt es im Hörbuch «Lockstoff» von Joachim Rittmeyer zum Mithören und -lachen. Erschrecken Sie nicht, wenn die Geschichte plötzlich unterbrochen werden muss: Eine zoologische Taskforce übernimmt und koordiniert die diffizile Auf-gabe, das Tier wieder einzufangen.

Und zum Schluss: Schaurig schöne Bett-mümpfeli-Geschichten! Am 5. November 1975

drang es zu später Stunde erstmals in die helveti-schen Stuben und Schlaf-zimmer: das Schreck-mümpfeli. Seither gingen gegen tausend dieser iro-nischen Kurzkrimis über den Sender. Der Sendeter-min wurde zur Fixzeit für Hörerinnen und Hörer, die sich ohne beschleunigten Puls und Kribbeln im Bauch nicht mehr unter die Bettdecke verkriechen

mochten. Mittlerweise sind neun verschiedene Schreckmümpfeli-CDs sowie «Das Beste vom Schreckmümpfeli» erschienen, die Sie nicht nur zu bestimmter Sendezeit hören können.

Zamira Angst

HÖREN SIE ZU!HÖRBÜCHER AUS DEM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

FÜR ALLE LEBENSLAGEN

Im Christoph Merian Verlag erscheinen jedes Jahr zahlreiche und vielfältige Hörbücher. Hier seien einige besondere Perlen hervorgehoben. Lassen Sie sich auf die Geschichten ein und geniessen Sie es, vom Alltag abzuschalten. Vorschläge für ein Hörbuchabenteuer.

Im ehemaligen Restaurant Milchhüsli, heute Caffè Bologna: Nehmen Sie Platz im neu von Studierenden betriebenen Caffè Bologna, be-stellen Sie Kaffee und Kuchen und setzen Sie sich die Kopfhörer auf. Kommissär Hunkeler entführt Sie in alte Zeiten, als das Milchhüsli noch die Stammkneipe der Quar-tierbewohner war. Zuerst haben Sie jedoch noch die Qual der Wahl: «Das Paar im Kahn», «Hunkeler macht Sachen», «Hunkeler und der Fall Livius», «Hun-keler und die Augen des Ödipus», «Hunkeler und die goldene Hand» oder doch lieber «Tod einer Ärztin»? Eines ist sicher: Ueli Jäggi – 2004 erhielt er als bester Sprecher den Deutschen Hörbuchpreis – glänzt in der Rolle des kauzigen Kommissärs von Hansjörg Schneider.

Mit Dürrenmatt in die Badewanne: Ein gewag-tes Experiment! Achtung: Das Wasser könn-te kalt werden, ohne dass Sie es bemerken. Denn Friedrich Dürrenmatt schrieb neben Romanen, Erzählungen und Theaterstücken auch Hörspiele, die vielfach ausgezeichnet wurden. Im Klassiker «Die Panne» erzählt er die Geschichte des Durchschnittsmenschen Alfredo Traps, der sich stolz zu einem Ver-

brechen bekennt, das er nicht begangen hat. Und das Beste: Dürrenmatt selbst spricht die Einleitung.

Am Rhein liegen, sich sonnen, vielleicht so-gar die Angelrute auswerfen, mit Arno Came-nischs «Fred und Franz» im Ohr. Die besten Freunde und Brüder im Geiste kämpfen mit dem Alltag. Im Erfolgsroman geht es um die Liebe, die Frauen, den Tod und das Mensch-sein. Ein starkes Stück neue Schweizer Lite-ratur, virtuos als intimes Hörspiel von Geri

Dillier in Zusammenar-beit mit Arno Camenisch umgesetzt.

Im Stau stehen bedeutet nicht unbedingt Zeit ver-lieren. Hören Sie stattdes-sen zu, wenn «Max Frisch spricht». Er wird Sie bes-tens unterhalten mit Aus-zügen aus Originalmit-schnitten seiner Reden, die anlässlich seines 75. Ge-burtstags erschienen sind.

Nicht nur die Reden sind spannend, sondern auch das Gespräch mit Hans Ulrich Probst, in dem sich Frisch zu zentralen Themen seines Werks äussert. Ausserdem ist dieser Autor so aktuell wie nie, hat er doch schon 1965 zur damaligen Zuwanderung in die Schweiz ge-schrieben: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.» Es ist 2014 beson-ders lohnend, Max Frisch wieder einmal genau zuzuhören!

Spalenberg 77a, das ist der Wohnort des Ehe-paars Ehrsam, das ab 1955 jeden dritten Sams-tag nach den Mittagsnachrichten in traulich-

Ein Klassiker im Christoph Merian Verlag: Dürrenmatts «Die Panne»

Unterwegs mit «Max Frisch spricht»

EIN HÖRBUCH VON SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN

IM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

Die BuchBasel 2005 markierte den Startschuss für ein neues Kapitel im Christoph Merian Verlag: Das erste Hörbuchprogramm erschien. Ausgangspunkt war die Vereinbarung einer exklusiven Partnerschaft mit dem Schweizer Radio DRS, um ausgewählte Erwachsenenhör-spiele des Radios als Hörbuch in Lizenz in den Buchhandel zu bringen. Damit verschaffte sich der Verlag auch Zugang zum umfangreichen Archiv des Radios.Mittlerweile ist aus dem Schweizer Radio DRS das «Schweizer Radio und Fernsehen» geworden und die gemeinsame Reihe heisst nun «Ein Hörbuch von Schweizer Radio und Fernsehen im Christoph Merian Verlag». In dieser Edition konnte der CMV erfolgreiche Titel wie die «Schreckmümpfeli»-Reihe oder Gisela Widmers «Zytlupe» auf CD veröffent-lichen. Letztere liegt bereits in der vierten Auflage vor! Einen Schwerpunkt im Hör-buchprogramm bilden Schweizer Autorinnen und Autoren. Das Programm umfasst Werke der beiden «Grossen» Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, Krimiklassiker von Friedrich Glauser oder Hansjörg Schneiders erfolgrei-che Kommissär-Hunkeler-Fälle. Auch Mund-artstücke mit prominenter Besetzung wie zum Beispiel Ruedi Walter und Margrit Rainer in «Spalebärg 77a» dürfen im Programm nicht fehlen, ebensowenig viele Hörspiele von zeit-genössischen Autorinnen und Autoren im Verlagsprogramm.Welche Werke den Weg aus den Archiven auf die CDs und seit einigen Jahren auch auf das Download-Angebot des Verlags finden, wird zusammen mit den Radio-Verantwortlichen aus der Hörspielredaktion entschieden. Bei der Auswahl achten wir zum Beispiel dar-auf, ob eine Produktion grundsätzlich ins Programm passt und ob es einen aktuellen

Anlass gibt, ein bestimmtes Werk gerade jetzt als Hörbuch ins Verlagsprogramm aufzuneh-men: Feiert ein Autor Jubiläum? Gibt es einen neuen Kriminalfall des Publikumslieblings Franz Musil? Welches Hörspiel hat bei der Radioausstrahlung besonders viel positives Echo ausgelöst? Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Auswahl. Das Radio verfügt zwar über die Sen-derechte, nicht aber über diejenigen für kom-merzielle Verwertungen. Oft stehen aufwendi-ge Recherchen und Verhandlungen mit den Rechteinhabern an. Danach werden mit dem Grafiker Hans Sommer von «rébus» die Ideen für jedes einzelne Hörbuch-Cover besprochen. Zusammen mit ihm haben wir die einheitli-che Gestaltung der Hörbuchreihe entwickelt und damit ein Wiedererkennungs- und Qua-litätsmerkmal geschaffen. Danach müssen die Produktionspläne gemacht, die Offerten des Presswerks eingeholt und alle Informationen rund um die Produktionen für die Verlags-vertreter, den Buchhandel und die Medien zusammengetragen werden. Das Erscheinen der Hörbücher wird in den meisten Fällen auf die Buchmessen im Frühling in Leipzig und im Herbst in Frankfurt terminiert. Die CDs können danach überall im Buchhandel in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sowie im SRF-Shop und über unsere Website merianverlag.ch erworben werden.

Karin Matt

schau. Hierzulande erscheinen ihre humoris-tischen Postkarten vor allem im Westschwei-zer Satiremagazin «Vigousse», in «L’Hebdo» und in der Deutschschweiz zeitweise in der Tageszeitung «Der Bund». In Frankreich, wo sie ganze Museen gegen den Strich gebürs-tet haben, sind die beiden Jurassier bestens bekannt und etabliert, dort publizieren sie regelmässig in der linksliberalen Pariser Ta-geszeitung «Libération», in «Charlie Hebdo» und in «L’Humanité».

Plonk & Replonk sind nicht zeichnende Cartoonisten, ihre Collagetechnik orientiert sich an Künstlern wie dem deutschen Foto-montagekünstler John Heartfield (eigent-lich Helmut Herzfeld, 1891 – 1968). Ihr Aus-drucksmittel ist die im Fotobearbeitungspro-gramm Photoshop ausgeführte Collage von Ausschnitten historischer Postkarten und Fotografien. Die im Computer montierten schwarz-weissen, sepiafarbenen oder pseudo-handkolorierten Bilder sind aber nicht perfekt verschmolzen, sondern erkennbar zusammen-gefügt, so dass spätestens auf den zweiten Blick klar wird, dass hier geschummelt wurde. Die Spuren der Bildmontage bleiben bewusst sichtbar, um dem Betrachter der Manipula-tionen die Dechiffrierung der umgedeuteten Zusammenhänge zu ermöglichen. Ebenso wichtig wie die Bilder sind die nur auf den ersten Blick erklärenden Bildlegenden, die lustvoller Kalauer wie hintergründige Pointe sein können. Anstatt den Betrachter zu in-formieren, verleihen diese den arrangierten

Bildern eine weitere, oft kauzige oder gar groteske Qualität. Sie können aber auch die historisch anmutenden Bilder an konkrete ak-tuelle Themen anbinden oder mit bekannten Ereignissen verknüpfen. Die mit Hintersinn und Wortspielereien gespickten, verfremdeten Postkarten von Plonk & Replonk präsentieren die Schweiz als Hort des Skurrilen und krat-zen mächtig an der Politur erhabener Gipfel, nobler Teppichetagen, stolzer Militärs, ordent-licher Kleinbürger und alter Klischees.

Die Werkschau in Basel zeigt einen Über-blick über die vielfältige künstlerische Arbeit von Plonk & Replonk, die auch die bildhau-erische Auseinandersetzung mit Schweizer Ikonen wie den Schuhen von Rousseau, der Brille von Le Corbusier oder dem Garten-zwerg beinhaltet. Speziell für Basel kreieren Plonk & Replonk ein Kabinett mit einer Serie von Arbeiten zu den Besonderheiten der Stadt am Rheinknie.

Anette Gehrig

BEGLEITVERANSTALTUNGEN—

CAFÉ BELLEVUETreten Sie ein in die gute Stube! Führung

durch die Ausstellung mit anschliessendem Kaffee trinken und Gebäck von der Confiserie Beschle, Basel.

13.4., 11.5., 22.6.2014, 14 Uhr—

INTERNATIONALER MUSEUMSTAG

(K)EINE PERFEKTE SCHWEIZ11 Uhr:

Führung mit der Kuratorin Anette Gehrig14 Uhr:

Workshop mit der Illustratorin Alessia Conidi

Sonntag, 18.5.2014—

Für Schulklassen, Betriebsausflüge und sonstige Gruppenbesuche bieten wir Führungen an.

Mechanisierung des Steuerwesens im Jahre 1899 © Plonk & Replonk

Zehntausend Jahre Basler Geschichte. © Plonk & Replonk

1966: Die feste Installation eines Kreisels erlaubt es, die Rheinschifffahrt flüssig zu halten. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

Die Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen alten Schweizer Viertels. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

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EDITORIAL—

Eine bekannte Schweizer Stiftung mit dem Förderschwerpunkt Wissenschaft unterstützt grundsätzlich nur innovative Initiati-ven. Gefragt seien Projekte «von hoher Relevanz und wissen-schaftlicher Qualität, die durch ‹Originalität›, ‹Wirksamkeit›, ‹Transferpotential› und ‹Interdisziplinarität› abgesichert» sind und sich in der fragilen Phase zwischen Prototyp und Massen-produktion, also im Stadium mit dem emphatischen Namen «Tal der Tränen», befinden. Beeindruckt von diesem Statement, hat sich die Kulturabteilung der Christoph Merian Stiftung im vergangenen Jahr Gedanken darüber gemacht, ob sich diese Förderideen aus den Gefilden der Wissenschaftstechnik auch auf den Bereich der Kultur übertragen lassen. Basierend auf den entsprechenden internen Diskussionen widmet sich der Schwerpunkt der vierten Ausgabe von «Shortcut» den Fragen rund um das Thema von Fortschritt und Innovation, von Er-finden und Vergessen, von Nachhaltigkeit und Wertezerfall in unsrer beschleunigten Warenindustrie. Mit den verschiedenen Beiträgen möchten wir einige kritische, skeptische, aber auch charmant-absurde Antworten geben: Aus der Perspektive der digitalen Kunst, des Buchhandels, der Collagekunst und der Kulturförderung beleuchten wir einige Aspekte zu Novität und Invention – sozusagen direkt aus dem Auge des Orkans.Alexandra Stäheli, Leiterin iaab

EIN FEST DER KÜNSTE IM AUFBRUCH OSLO NIGHT 2014

Einmal im Jahr verwandelt sich der Dreispitz vom Industrieareal zur Festivalzone und die 40-Tönner machen dem interessierten Kunst- und Kulturpublikum Platz. Für die diesjähri-ge Ausgabe der Oslo Night am 24. Mai 2014 schliessen sich die Kulturakteure der Oslo-strasse bereits zum dritten Mal zusammen und präsentieren ein spartenübergreifendes Programm aus Ausstellungen, Performances, Open-Air-Kino, Workshops, Konzerten und Party.

Initiator dieses eintägigen Kunstfestivals ist das seit 2011 auf dem Dreispitz ansässige Haus für elektronische Künste Basel (HeK), das zusammen mit seinen Nachbarn erneut ein gemeinsames Festivalthema erarbeitet hat, um die Aktivitäten der unterschiedlichen In-stitutionen miteinander zu verbinden. Dies sind Radio X, die Fotogalerie Oslo 8, der Kunstraum OSLO10, das Internationale Aus-tausch- und Atelierprogramm Region Basel iaab, das Fotofachlabor Pascale Brügger mit dem Aufziehatelier TRISUL und erstmals

auch die neu auf dem Areal ansässige Hoch-schule für Gestaltung und Kunst FHNW.

Das Motto, auf das man sich für 2014 ge-einigt hat, ist «Aufbruch»: Es verweist auf die grossen Veränderungen, die das Quartier in diesem Jahr erfahren wird. Die HGK / FHNW wird mit allen Instituten und Fakultäten auf das Dreispitzareal ziehen und mit ihren ca. 800 Studierenden und 200 Lehrkräften deutlich zur weiteren Transformation des Quartiers beitragen. Auch das HeK und iaab werden im November 2014 ihre neuen Räume am Freilager-Platz 9/10 beziehen. Schon jetzt ist die Veränderung vor Ort zu spüren – neue gastronomische Angebote entwickeln sich, die Studierenden der Hochschule erforschen ihr neues Quartier und die fertigen «Plätze» und Mini-Parks ziehen erste Flaneure an.

Die beteiligten Partner inszenieren und in-terpretieren diese Aufbruchsituation auf un-terschiedliche Weise. Im HeK wird im Ober-geschoss die Ausstellung «Perspectives on Ima-ginary Futures» gezeigt, welche internationale

künstlerische Positionen beinhalten wird, die sich mit Fragen nach einer möglichen alterna-tiven Zukunft beschäftigen. Gesellschaftliche und ökologische Fragestellungen stehen dabei ebenso im Fokus wie die Veränderungen des Alltags. Gemeinsam ist den verschiedenen Po-sitionen in der Ausstellung ihre unbefangene Herangehensweise, die unsere Vorstellungen der Zukunft einer ironisch-kritischen Prüfung unterziehen.

Die US-Künstlerin Stephanie Rothenberg beispielsweise reflektiert in ihrem Online-Projekt «Laborers of Love/LOL» (2013), wie sich Se-xualität und Lust mit der Entwicklung neuer Medi-en und Technologien und der dadurch ermöglichten Arbeitsauslagerung in Zu-kunft entwickeln werden. Der englische Künstler Tobias Revell thematisiert in seiner fiktiven Doku-mentation «New Mumbai» (2012) die positiven Folgen einer Invasion von Riesen-pilzen auf die Eigenstän-digkeit der Bewohner in den Slums von Mumbai. Wie wir uns in Zukunft alternativ ernähren könn-ten, zeigt das Künstlerduo Burton Nitta aus Grossbri-tannien in seinem Projekt «Algaculture» (2010 – 2014). Sie untersuchen, wie Menschen mit Algen symbiotisch leben und sich so wie Pflanzen von Licht ernähren könnten. Weitere Positi-onen stellen Zukunftsvorstellungen aus der Peripherie von Bamako, der Hauptstadt von Mali, vor (Neil Beloufa, «Kempinski», 2007) oder zeigen auf, wie das Aufziehen von Kin-dern in Zukunft per Roboter funktionieren könnte (Addie Wagenknecht, «Optimization of Parenthood», 2013). Im Untergeschoss des

HeK installiert Raphael Lauper eine Werkstatt und veranstaltet einen «Upcycling» Workshop, den er im Zuge seines Diploms am Hyperwerk entwickelt hat. Kinder und Erwachsene sind dazu eingeladen, Elektroschrott und Abfall-teile zu verarbeiten und ihnen neues Leben einzuhauchen. Um die aktive Beteiligung des Publikums geht es auch in einem vom HeK initiierten Open Call. Bis Ende April werden Video- und Filmbeiträge zum Thema «Ima-ginary Futures» gesammelt, die während der Oslo Night in einem solarbetriebenen Open-

Air-Kino vorgeführt wer-den. Dabei können sowohl eigene Clips als auch ge-fundenes Material einge-reicht werden.

Das mehrstündige Mu-sikprogramm präsentiert aktuelle Tendenzen der elektronischen Musik in einem entspannten Set-ting auf dem Vorplatz der HGK ab 18 Uhr und an der anschliessenden Party ab 23 Uhr im Kunstraum OSLO10. Im Aussenbe-reich spielen S S S S (CH) und Huerco S. (USA). An der Party tritt dann die gesamte Crew des Young Echo Labels aus Bristol auf. Dieser achtköpfige Verbund von Künstlern ge-hört zu einer neuen Welle

von Musikern, die der Tradition Bristols als Stadt der Musik neue Impulse liefert.

Vor der Party kann man die vom Team von OSLO10 zusammen mit Margit Säde kuratier-te Gruppenausstellung «Cats in the throat» sehen. Gleich daneben im Fotofachlabor Pascale Brügger / Aufziehservice Trisul und bei Radio X wird dem Publikum die Möglich-keit geboten, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

IMPRESSUM

Redaktion und TexteZamira Angst, Praktikantin Abteilung Kultur Oliver Bolanz, Leiter Christoph Merian Verlag Anette Gehrig, Leiterin Cartoonmuseum Basel Karin Matt, Vertrieb und Hörbuchprogramm

Christoph Merian Verlag Christoph Meneghetti, Projektleiter Abteilung Kultur

Alexandra Stäheli, Leiterin iaab Beat von Wartburg, Leiter Abteilung Kultur

Gestaltung Hauser, Schwarz – Basel

Druck Gremper AG – Basel / Pratteln

Christoph Merian Stiftung St. Alban-Vorstadt 5

CH-4002 Basel

DAS KULTURMAGAZIN DER CHRISTOPH MERIAN STIFTUNG SHORTCUT

Schwerpunkt:HALBWERTSZEIT

Cartoonmuseum Basel:PLONK & REPLONK

Christoph Merian Verlag:HÖRT DIE BÜCHER!

#4 April 2014

DEUTSCHER HÖRBUCHPREIS FÜR «FALLBEIL FÜR GÄNSEBLÜMCHEN»

In der ersten «Shortcut»-Ausgabe 2013 stellten wir unsere Zusam-menarbeit mit der Stiftung Radio Basel vor. Seit 2007 vergibt sie den internationalen Featurepreis für herausragende Radiofeatures von ARD, ORF und SRF. Das Gewinnerfeature erscheint jeweils auf CD im Hörbuchpro-gramm des Christoph Merian Verlags. Feature ist eine faszinie-rende Form der Radioreportage und «Fallbeil für Gänseblüm-chen» – das Gewinnerfeature von 2012 – ein besonders eindrückli-ches Stück.

September 1955, ein Gerichtssaal irgendwo in Ostberlin: Der Spio-nageprozess gegen Elli Barczatis, Sekretärin des DDR-Ministerprä-sidenten, und ihren Geliebten Karl Laurenz findet unter Aus-schluss der Öffentlichkeit statt. Aus den bisher unveröffentlichten Originaltonaufnahmen der Staats-sicherheit, begleitet von wenigen Kommentaren, entstand dieses Feature. Es zeigt in bewegender und exemplarischer Weise, wie Rechtsprechung in einer Diktatur funktioniert. Noch heute, sechzig Jahre nach der Verhand-lung, sind die Rhetorik und die Fangfragen des Richters kaum zu ertragen, ist die Bedrohung förmlich zu spüren.

Das Hörbuch sorgte bereits im letzten Jahr für viel positives Presse-Echo und wurde gut ver-kauft. Es liegt nun in der zweiten Auflage vor. Ein besonderer Höhepunkt war die Nominierung für den Deutschen Hörbuchpreis, der 2003 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, ein Qualitätssiegel für das Hörbuch zu schaffen. Diese Idee fand – und findet – zahlreiche Befür-

worter. Dies führte im Jahr 2006 zur Gründung des Deutschen Hörbuchpreises e.V. mit weiteren wichtigen Mitgliedern, unter anderem dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem «Focus»-Magazin. Heute sind verschiedene ARD-Anstalten und die Wochenzeitung «Die Zeit» die wichtigsten Partner des mit Abstand bedeutendsten Hörbuch-preises im deutschsprachigen Raum.

Der Christoph Merian Verlag war in den vergangenen Jahren bereits fünfmal für einen Preis in ver-schiedenen Kategorien nominiert, was an sich schon eine grosse Auszeichnung und Anerkennung für ein herausragendes Hörbuch-programm darstellt. Nun hat es geklappt: Das Feature «Fallbeil für Gänseblümchen» setzte sich gegen starke Konkurrenz durch (Egon Bahr: «‹Das musst du erzählen›, Erinnerungen an Willy Brandt» und Peter Handke/ Siegfried Unseld: «Der Brief-wechsel») und wurde als bestes Sachhörbuch ausgezeichnet! Die Jury schreibt zur Begründung: «Die Überfülle des zugrunde liegenden O-Ton-Materials haben Autor und Regisseur auf verdienstvolle Weise gefiltert. Ihr Feature leuchtet nicht nur die Persönlichkeit und Psyche der beiden Angeklagten aus, sondern entlarvt darüber hinaus die schamlose, ideologiekonforme Art der Prozessführung. Die Collage ist ein eindrucksvolles Zeitdoku-ment, spannend und außerordent-lich erschütternd.»

Autor dieses Stücks Zeitgeschich-te ist Maximilian Schönherr, der im Auftrag des WDR das Feature erstellt hat. Aus seinem Projekt «Archivradio» haben

sich umfangreiche und preisge-krönte Features entwickelt, die auf O-Ton-Dokumenten basieren. Für die «Stammheim-Bänder» gewann er im März 2009 erstmals den Deutschen Hörbuchpreis, nun erhielt er bereits zum zweiten Mal diese wichtige Auszeichnung. Dem Christoph Merian Verlag wurde der Preis im Rahmen einer Gala in Köln verliehen. Es ist ein im wahrsten Sinne gewichtiger Preis, den er im März nach Basel brachte: Die Trophäe ist ein Unikat, besteht aus massivem Edelstahl und wiegt stolze sechs Kilogramm!

Oliver Bolanz

www.deutscher-hoerbuchpreis.de

Michael Burton &

Michiko N

itta: Near Future A

lgae Symbiosis Suit, Prototype, 2010 / «Perspectives on Im

aginary Futures» Haus für elektronische K

ünste Baselh

Die Fotogalerie Oslo 8 eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Polis – Bilder von Städten» mit Bildern der Fotografin Christa Ziegler. Während vier Jahren bereiste die Künstlerin zahlreiche Städte vornehmlich ausserhalb Europas und Nordamerikas und entwickelte eine eigenständige Perspektive auf den urbanen Raum. Sie verzichtet auf die Illustration sozialer Brennpunkte und begreift die Stadt vielmehr als eigengesetzlichen Kör-per. «Polis» ist gleichzeitig ein Bildband mit dazugehöriger Textedition, der um 19 Uhr von der Künstlerin selbst vorgestellt wird.

Das Internationale Austausch- und Atelier-programm der Region Basel iaab eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Going Places – Aufbruch ins Weite», die Arbeiten von 20 Kunstschaffenden aus der Region Basel, Süd-baden und Solothurn präsentiert, welche 2013 ein Stipendium für einen Aufenthalt in einem der Partnerateliers im Ausland erhielten. Da-bei wird der Aufbruch nicht nur geografisch im Sinne des Aufbrechens an andere und ferne

Orte thematisiert, sondern, damit verbunden, auch als ein Aufbrechen der gewohnten Zei-chensysteme und scheinbar selbstverständli-chen künstlerischen Praktiken. Beteiligt sind unter anderem Dunja Herzog, Vanessa Safavi, Clare Kenny sowie Monica Studer und Chris-toph van den Berg.

Der Beitrag der Hochschule für Gestaltung und Kunst kommt von der Vereinigung der Alumni HGK. Ehemalige Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen präsen-tieren selbst hergestellte Produkte und zeigen Showcases mit Workshops und partizipativer sowie performativer Kunst.

Auf der Oslostrasse selbst wird den Besu-chern ein ausgesuchtes kulinarisches Angebot offeriert, wobei auch hier das Thema der zu-künftigen Lebenswelten in der Frage «Was wol-len wir essen?» aufgegriffen wird. Leon Heinz, Student am Hyperwerk in Basel und Mitglied der Gastronauten, lädt die Besucher ein, unter professioneller Anleitung eine personalisier-te Wurst aus unterschiedlichsten Zutaten zu

Andere versuchen vorauszuschauen, die Westschweizer Künstlerbrüder und Verleger Hubert und Jacques Froidevaux alias Plonk & Replonk aus La Chaux-de-Fonds blicken entspannt zurück. Sie recyceln alte Postkarten und Fotografien, die sie entweder mit Unter-titeln subtil umdeuten oder in digitalen Bild-bearbeitungsprogrammen neu kombinieren, und schreiben so an ihrer eigenen Version der (helvetischen) Geschichte. Jedes neue Bild von Plonk & Replonk behauptet eine weitere absurde, aber ungemein charmante Wahrheit, die einen Platz in ihrem Koordi-natensystem aus inzwischen Hunderten von thematisch und gestalterisch verwandten Col-lagen findet. Mit ätzendem Humor, wenigen aber entscheidenden Bildmanipulationen und lakonischen bis skurrilen Kommentaren

wird die Vergangenheit umgepolt und der Ge-genwart ans Schienbein getreten. Besonders über Erfindergeist und Verbesserungswahn machen sich Plonk & Replonk mit Verve lus-tig. Scheinbar Modernes, aufgegebene Berufe, überholte Sitten und widerlegte Mythen sind der Stoff, aus dem sie ihre Pointen formen. Ihr schräger Blick auf das Gestern lässt die Betrachter über die Lächerlichkeit alter Stra-tegien schmunzeln und gleichzeitig ahnen, dass die heutigen kaum besser funktionieren. Die Wende zum 20. Jahrhundert, die Plonk & Replonk liebevoll verdreht wieder aufleben lassen, ist unserem hektischen Start ins neue Jahrtausend ähnlicher, als uns lieb ist.

Das Cartoonmuseum Basel würdigt Plonk & Replonk erstmals auf der deutschsprachigen Seite des Röstigrabens mit einer grossen Werk-

ANSICHTEN VON BASEL:

PLONK & REPLONK IM CARTOONMUSEUM

David Semper: Auf der Strecke zwischen Studio und

Old Delhi, Fotografie, 2013Ausstellung iaab:

«Going places – Aufbruch in die Weite»

fertigen und im Anschluss an der gegenüber-liegenden Grillstation zu konsumieren. Im breit gefächerten Angebot an Waren, die für die Wurst ausgesucht werden können – von Fleisch bis hin zu Sauerkraut und Gewürzen –, werden die Geschmacksnerven angeregt und aufgezeigt, wohin die Zukunft der Nahrungs-mittelzubereitung gehen könnte.

Die Initianten der Oslo Night begreifen sich als Pioniere und Mitgestalter eines neu-en urbanen Raumes. Im Format einer or-ganisierten Kollaboration eröffnet sich die Möglichkeit, in einem festlichen Ambiente einem grossen Publikum die Aktivitäten und Programme der einzelnen Partnerinstitutio-nen vorzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Bauarbeiten, den positiven Rück-meldungen des Publikums der letzten Jah-re und dem Zuzug neuer Partner feiert die diesjährige Oslo Night den Neubeginn des Quartiers. Als alljährlicher Fixpunkt im loka-len und überregionalen Kulturkalender kann man auch in Zukunft an der Oslo Night die

Weiterentwicklung der Oslostrasse und des Areals mitverfolgen.

Lukas ZitzerLukas Zitzer ist im Haus für elektronische Künste Basel verantwortlich für die Kommunikation.

c Tobias Revell: New Mumbai Film Still, Video, 2012 Ausstellung HeK: «Perspectives on Imaginary Futures»

g Die Oslostrasse an der Oslo Night 2013 Foto: Stefan Holenstein

heiterem Gespräch die Ereignisse der Zeit kommentierte. Die Wohnung werden Sie wie viele andere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht finden. Doch Margrit Rainer und Ruedi Walter, die für Radio Basel in der satirischen Sendung « Spalebärg 77a» auftraten, schafften mit elfjähriger Laufzeit und weit über 100 Fol-gen mit regelmässigem Hörerrekord einen bis heute einmaligen Erfolg.

Es regnet das ganze Wochenende, Sie liegen krank im Bett oder haben Ihren Frühlings-putz vor sich. Auf jeden Fall haben Sie ohne Probleme 18 Stunden Zeit, sich ein Hörbuch zu Gemüte zu führen? Dann nehmen Sie sich Beat Sterchis «Blösch» vor, einen der wich-tigsten Schweizer Romane der Gegenwart. Er erzählt vom Leben eines Spani-ers, der als Knecht auf einen Schweizer Bauern-hof kommt, von seinem friedlichen Leben mit den Kühen und von den nicht so friedlichen Dorfbe-wohnern. Das von Sebas-tian Mattmüller gelesene und von Raphael Zehnder an Originalschauplätzen (Kuhstall, Weide, Schlacht-hof u.a.) aufgezeichnete Hörbuch beschwört mit der wuchtigen Sprache Sterchis und den authentischen Geräuschkulissen Bilder herauf, die durch Mark und Bein gehen.

Joggen: Aber vielleicht besser nicht im Zolli, denn ein «nulluns macrosalis» ist ausgebüxt! Das verbreitet Angst und Schrecken und ver-setzt den Tierforscher Benno Potzi in Alarm-bereitschaft. Jetzt heisst es Ruhe bewahren und das exotische Wesen zurück in den Käfig locken. Diese Geschichte gibt es im Hörbuch «Lockstoff» von Joachim Rittmeyer zum Mithören und -lachen. Erschrecken Sie nicht, wenn die Geschichte plötzlich unterbrochen werden muss: Eine zoologische Taskforce übernimmt und koordiniert die diffizile Auf-gabe, das Tier wieder einzufangen.

Und zum Schluss: Schaurig schöne Bett-mümpfeli-Geschichten! Am 5. November 1975

drang es zu später Stunde erstmals in die helveti-schen Stuben und Schlaf-zimmer: das Schreck-mümpfeli. Seither gingen gegen tausend dieser iro-nischen Kurzkrimis über den Sender. Der Sendeter-min wurde zur Fixzeit für Hörerinnen und Hörer, die sich ohne beschleunigten Puls und Kribbeln im Bauch nicht mehr unter die Bettdecke verkriechen

mochten. Mittlerweise sind neun verschiedene Schreckmümpfeli-CDs sowie «Das Beste vom Schreckmümpfeli» erschienen, die Sie nicht nur zu bestimmter Sendezeit hören können.

Zamira Angst

HÖREN SIE ZU!HÖRBÜCHER AUS DEM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

FÜR ALLE LEBENSLAGEN

Im Christoph Merian Verlag erscheinen jedes Jahr zahlreiche und vielfältige Hörbücher. Hier seien einige besondere Perlen hervorgehoben. Lassen Sie sich auf die Geschichten ein und geniessen Sie es, vom Alltag abzuschalten. Vorschläge für ein Hörbuchabenteuer.

Im ehemaligen Restaurant Milchhüsli, heute Caffè Bologna: Nehmen Sie Platz im neu von Studierenden betriebenen Caffè Bologna, be-stellen Sie Kaffee und Kuchen und setzen Sie sich die Kopfhörer auf. Kommissär Hunkeler entführt Sie in alte Zeiten, als das Milchhüsli noch die Stammkneipe der Quar-tierbewohner war. Zuerst haben Sie jedoch noch die Qual der Wahl: «Das Paar im Kahn», «Hunkeler macht Sachen», «Hunkeler und der Fall Livius», «Hun-keler und die Augen des Ödipus», «Hunkeler und die goldene Hand» oder doch lieber «Tod einer Ärztin»? Eines ist sicher: Ueli Jäggi – 2004 erhielt er als bester Sprecher den Deutschen Hörbuchpreis – glänzt in der Rolle des kauzigen Kommissärs von Hansjörg Schneider.

Mit Dürrenmatt in die Badewanne: Ein gewag-tes Experiment! Achtung: Das Wasser könn-te kalt werden, ohne dass Sie es bemerken. Denn Friedrich Dürrenmatt schrieb neben Romanen, Erzählungen und Theaterstücken auch Hörspiele, die vielfach ausgezeichnet wurden. Im Klassiker «Die Panne» erzählt er die Geschichte des Durchschnittsmenschen Alfredo Traps, der sich stolz zu einem Ver-

brechen bekennt, das er nicht begangen hat. Und das Beste: Dürrenmatt selbst spricht die Einleitung.

Am Rhein liegen, sich sonnen, vielleicht so-gar die Angelrute auswerfen, mit Arno Came-nischs «Fred und Franz» im Ohr. Die besten Freunde und Brüder im Geiste kämpfen mit dem Alltag. Im Erfolgsroman geht es um die Liebe, die Frauen, den Tod und das Mensch-sein. Ein starkes Stück neue Schweizer Lite-ratur, virtuos als intimes Hörspiel von Geri

Dillier in Zusammenar-beit mit Arno Camenisch umgesetzt.

Im Stau stehen bedeutet nicht unbedingt Zeit ver-lieren. Hören Sie stattdes-sen zu, wenn «Max Frisch spricht». Er wird Sie bes-tens unterhalten mit Aus-zügen aus Originalmit-schnitten seiner Reden, die anlässlich seines 75. Ge-burtstags erschienen sind.

Nicht nur die Reden sind spannend, sondern auch das Gespräch mit Hans Ulrich Probst, in dem sich Frisch zu zentralen Themen seines Werks äussert. Ausserdem ist dieser Autor so aktuell wie nie, hat er doch schon 1965 zur damaligen Zuwanderung in die Schweiz ge-schrieben: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.» Es ist 2014 beson-ders lohnend, Max Frisch wieder einmal genau zuzuhören!

Spalenberg 77a, das ist der Wohnort des Ehe-paars Ehrsam, das ab 1955 jeden dritten Sams-tag nach den Mittagsnachrichten in traulich-

Ein Klassiker im Christoph Merian Verlag: Dürrenmatts «Die Panne»

Unterwegs mit «Max Frisch spricht»

EIN HÖRBUCH VON SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN

IM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

Die BuchBasel 2005 markierte den Startschuss für ein neues Kapitel im Christoph Merian Verlag: Das erste Hörbuchprogramm erschien. Ausgangspunkt war die Vereinbarung einer exklusiven Partnerschaft mit dem Schweizer Radio DRS, um ausgewählte Erwachsenenhör-spiele des Radios als Hörbuch in Lizenz in den Buchhandel zu bringen. Damit verschaffte sich der Verlag auch Zugang zum umfangreichen Archiv des Radios.Mittlerweile ist aus dem Schweizer Radio DRS das «Schweizer Radio und Fernsehen» geworden und die gemeinsame Reihe heisst nun «Ein Hörbuch von Schweizer Radio und Fernsehen im Christoph Merian Verlag». In dieser Edition konnte der CMV erfolgreiche Titel wie die «Schreckmümpfeli»-Reihe oder Gisela Widmers «Zytlupe» auf CD veröffent-lichen. Letztere liegt bereits in der vierten Auflage vor! Einen Schwerpunkt im Hör-buchprogramm bilden Schweizer Autorinnen und Autoren. Das Programm umfasst Werke der beiden «Grossen» Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, Krimiklassiker von Friedrich Glauser oder Hansjörg Schneiders erfolgrei-che Kommissär-Hunkeler-Fälle. Auch Mund-artstücke mit prominenter Besetzung wie zum Beispiel Ruedi Walter und Margrit Rainer in «Spalebärg 77a» dürfen im Programm nicht fehlen, ebensowenig viele Hörspiele von zeit-genössischen Autorinnen und Autoren im Verlagsprogramm.Welche Werke den Weg aus den Archiven auf die CDs und seit einigen Jahren auch auf das Download-Angebot des Verlags finden, wird zusammen mit den Radio-Verantwortlichen aus der Hörspielredaktion entschieden. Bei der Auswahl achten wir zum Beispiel dar-auf, ob eine Produktion grundsätzlich ins Programm passt und ob es einen aktuellen

Anlass gibt, ein bestimmtes Werk gerade jetzt als Hörbuch ins Verlagsprogramm aufzuneh-men: Feiert ein Autor Jubiläum? Gibt es einen neuen Kriminalfall des Publikumslieblings Franz Musil? Welches Hörspiel hat bei der Radioausstrahlung besonders viel positives Echo ausgelöst? Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Auswahl. Das Radio verfügt zwar über die Sen-derechte, nicht aber über diejenigen für kom-merzielle Verwertungen. Oft stehen aufwendi-ge Recherchen und Verhandlungen mit den Rechteinhabern an. Danach werden mit dem Grafiker Hans Sommer von «rébus» die Ideen für jedes einzelne Hörbuch-Cover besprochen. Zusammen mit ihm haben wir die einheitli-che Gestaltung der Hörbuchreihe entwickelt und damit ein Wiedererkennungs- und Qua-litätsmerkmal geschaffen. Danach müssen die Produktionspläne gemacht, die Offerten des Presswerks eingeholt und alle Informationen rund um die Produktionen für die Verlags-vertreter, den Buchhandel und die Medien zusammengetragen werden. Das Erscheinen der Hörbücher wird in den meisten Fällen auf die Buchmessen im Frühling in Leipzig und im Herbst in Frankfurt terminiert. Die CDs können danach überall im Buchhandel in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sowie im SRF-Shop und über unsere Website merianverlag.ch erworben werden.

Karin Matt

schau. Hierzulande erscheinen ihre humoris-tischen Postkarten vor allem im Westschwei-zer Satiremagazin «Vigousse», in «L’Hebdo» und in der Deutschschweiz zeitweise in der Tageszeitung «Der Bund». In Frankreich, wo sie ganze Museen gegen den Strich gebürs-tet haben, sind die beiden Jurassier bestens bekannt und etabliert, dort publizieren sie regelmässig in der linksliberalen Pariser Ta-geszeitung «Libération», in «Charlie Hebdo» und in «L’Humanité».

Plonk & Replonk sind nicht zeichnende Cartoonisten, ihre Collagetechnik orientiert sich an Künstlern wie dem deutschen Foto-montagekünstler John Heartfield (eigent-lich Helmut Herzfeld, 1891 – 1968). Ihr Aus-drucksmittel ist die im Fotobearbeitungspro-gramm Photoshop ausgeführte Collage von Ausschnitten historischer Postkarten und Fotografien. Die im Computer montierten schwarz-weissen, sepiafarbenen oder pseudo-handkolorierten Bilder sind aber nicht perfekt verschmolzen, sondern erkennbar zusammen-gefügt, so dass spätestens auf den zweiten Blick klar wird, dass hier geschummelt wurde. Die Spuren der Bildmontage bleiben bewusst sichtbar, um dem Betrachter der Manipula-tionen die Dechiffrierung der umgedeuteten Zusammenhänge zu ermöglichen. Ebenso wichtig wie die Bilder sind die nur auf den ersten Blick erklärenden Bildlegenden, die lustvoller Kalauer wie hintergründige Pointe sein können. Anstatt den Betrachter zu in-formieren, verleihen diese den arrangierten

Bildern eine weitere, oft kauzige oder gar groteske Qualität. Sie können aber auch die historisch anmutenden Bilder an konkrete ak-tuelle Themen anbinden oder mit bekannten Ereignissen verknüpfen. Die mit Hintersinn und Wortspielereien gespickten, verfremdeten Postkarten von Plonk & Replonk präsentieren die Schweiz als Hort des Skurrilen und krat-zen mächtig an der Politur erhabener Gipfel, nobler Teppichetagen, stolzer Militärs, ordent-licher Kleinbürger und alter Klischees.

Die Werkschau in Basel zeigt einen Über-blick über die vielfältige künstlerische Arbeit von Plonk & Replonk, die auch die bildhau-erische Auseinandersetzung mit Schweizer Ikonen wie den Schuhen von Rousseau, der Brille von Le Corbusier oder dem Garten-zwerg beinhaltet. Speziell für Basel kreieren Plonk & Replonk ein Kabinett mit einer Serie von Arbeiten zu den Besonderheiten der Stadt am Rheinknie.

Anette Gehrig

BEGLEITVERANSTALTUNGEN—

CAFÉ BELLEVUETreten Sie ein in die gute Stube! Führung

durch die Ausstellung mit anschliessendem Kaffee trinken und Gebäck von der Confiserie Beschle, Basel.

13.4., 11.5., 22.6.2014, 14 Uhr—

INTERNATIONALER MUSEUMSTAG

(K)EINE PERFEKTE SCHWEIZ11 Uhr:

Führung mit der Kuratorin Anette Gehrig14 Uhr:

Workshop mit der Illustratorin Alessia Conidi

Sonntag, 18.5.2014—

Für Schulklassen, Betriebsausflüge und sonstige Gruppenbesuche bieten wir Führungen an.

Mechanisierung des Steuerwesens im Jahre 1899 © Plonk & Replonk

Zehntausend Jahre Basler Geschichte. © Plonk & Replonk

1966: Die feste Installation eines Kreisels erlaubt es, die Rheinschifffahrt flüssig zu halten. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

Die Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen alten Schweizer Viertels. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

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�Mechanisierung des Steuerwesens im Jahre 1899 © Plonk & Replonk

1966: Die feste Installation eines Kreisels erlaubt es, die Rheinschifffahrt flüssig zu halten. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

Die Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen alten Schweizer Viertels. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

Zehntausend Jahre Basler Geschichte. © Plonk & Replonk

Page 7: Shortcut 4

EDITORIAL—

Eine bekannte Schweizer Stiftung mit dem Förderschwerpunkt Wissenschaft unterstützt grundsätzlich nur innovative Initiati-ven. Gefragt seien Projekte «von hoher Relevanz und wissen-schaftlicher Qualität, die durch ‹Originalität›, ‹Wirksamkeit›, ‹Transferpotential› und ‹Interdisziplinarität› abgesichert» sind und sich in der fragilen Phase zwischen Prototyp und Massen-produktion, also im Stadium mit dem emphatischen Namen «Tal der Tränen», befinden. Beeindruckt von diesem Statement, hat sich die Kulturabteilung der Christoph Merian Stiftung im vergangenen Jahr Gedanken darüber gemacht, ob sich diese Förderideen aus den Gefilden der Wissenschaftstechnik auch auf den Bereich der Kultur übertragen lassen. Basierend auf den entsprechenden internen Diskussionen widmet sich der Schwerpunkt der vierten Ausgabe von «Shortcut» den Fragen rund um das Thema von Fortschritt und Innovation, von Er-finden und Vergessen, von Nachhaltigkeit und Wertezerfall in unsrer beschleunigten Warenindustrie. Mit den verschiedenen Beiträgen möchten wir einige kritische, skeptische, aber auch charmant-absurde Antworten geben: Aus der Perspektive der digitalen Kunst, des Buchhandels, der Collagekunst und der Kulturförderung beleuchten wir einige Aspekte zu Novität und Invention – sozusagen direkt aus dem Auge des Orkans.Alexandra Stäheli, Leiterin iaab

EIN FEST DER KÜNSTE IM AUFBRUCH OSLO NIGHT 2014

Einmal im Jahr verwandelt sich der Dreispitz vom Industrieareal zur Festivalzone und die 40-Tönner machen dem interessierten Kunst- und Kulturpublikum Platz. Für die diesjähri-ge Ausgabe der Oslo Night am 24. Mai 2014 schliessen sich die Kulturakteure der Oslo-strasse bereits zum dritten Mal zusammen und präsentieren ein spartenübergreifendes Programm aus Ausstellungen, Performances, Open-Air-Kino, Workshops, Konzerten und Party.

Initiator dieses eintägigen Kunstfestivals ist das seit 2011 auf dem Dreispitz ansässige Haus für elektronische Künste Basel (HeK), das zusammen mit seinen Nachbarn erneut ein gemeinsames Festivalthema erarbeitet hat, um die Aktivitäten der unterschiedlichen In-stitutionen miteinander zu verbinden. Dies sind Radio X, die Fotogalerie Oslo 8, der Kunstraum OSLO10, das Internationale Aus-tausch- und Atelierprogramm Region Basel iaab, das Fotofachlabor Pascale Brügger mit dem Aufziehatelier TRISUL und erstmals

auch die neu auf dem Areal ansässige Hoch-schule für Gestaltung und Kunst FHNW.

Das Motto, auf das man sich für 2014 ge-einigt hat, ist «Aufbruch»: Es verweist auf die grossen Veränderungen, die das Quartier in diesem Jahr erfahren wird. Die HGK / FHNW wird mit allen Instituten und Fakultäten auf das Dreispitzareal ziehen und mit ihren ca. 800 Studierenden und 200 Lehrkräften deutlich zur weiteren Transformation des Quartiers beitragen. Auch das HeK und iaab werden im November 2014 ihre neuen Räume am Freilager-Platz 9/10 beziehen. Schon jetzt ist die Veränderung vor Ort zu spüren – neue gastronomische Angebote entwickeln sich, die Studierenden der Hochschule erforschen ihr neues Quartier und die fertigen «Plätze» und Mini-Parks ziehen erste Flaneure an.

Die beteiligten Partner inszenieren und in-terpretieren diese Aufbruchsituation auf un-terschiedliche Weise. Im HeK wird im Ober-geschoss die Ausstellung «Perspectives on Ima-ginary Futures» gezeigt, welche internationale

künstlerische Positionen beinhalten wird, die sich mit Fragen nach einer möglichen alterna-tiven Zukunft beschäftigen. Gesellschaftliche und ökologische Fragestellungen stehen dabei ebenso im Fokus wie die Veränderungen des Alltags. Gemeinsam ist den verschiedenen Po-sitionen in der Ausstellung ihre unbefangene Herangehensweise, die unsere Vorstellungen der Zukunft einer ironisch-kritischen Prüfung unterziehen.

Die US-Künstlerin Stephanie Rothenberg beispielsweise reflektiert in ihrem Online-Projekt «Laborers of Love/LOL» (2013), wie sich Se-xualität und Lust mit der Entwicklung neuer Medi-en und Technologien und der dadurch ermöglichten Arbeitsauslagerung in Zu-kunft entwickeln werden. Der englische Künstler Tobias Revell thematisiert in seiner fiktiven Doku-mentation «New Mumbai» (2012) die positiven Folgen einer Invasion von Riesen-pilzen auf die Eigenstän-digkeit der Bewohner in den Slums von Mumbai. Wie wir uns in Zukunft alternativ ernähren könn-ten, zeigt das Künstlerduo Burton Nitta aus Grossbri-tannien in seinem Projekt «Algaculture» (2010 – 2014). Sie untersuchen, wie Menschen mit Algen symbiotisch leben und sich so wie Pflanzen von Licht ernähren könnten. Weitere Positi-onen stellen Zukunftsvorstellungen aus der Peripherie von Bamako, der Hauptstadt von Mali, vor (Neil Beloufa, «Kempinski», 2007) oder zeigen auf, wie das Aufziehen von Kin-dern in Zukunft per Roboter funktionieren könnte (Addie Wagenknecht, «Optimization of Parenthood», 2013). Im Untergeschoss des

HeK installiert Raphael Lauper eine Werkstatt und veranstaltet einen «Upcycling» Workshop, den er im Zuge seines Diploms am Hyperwerk entwickelt hat. Kinder und Erwachsene sind dazu eingeladen, Elektroschrott und Abfall-teile zu verarbeiten und ihnen neues Leben einzuhauchen. Um die aktive Beteiligung des Publikums geht es auch in einem vom HeK initiierten Open Call. Bis Ende April werden Video- und Filmbeiträge zum Thema «Ima-ginary Futures» gesammelt, die während der Oslo Night in einem solarbetriebenen Open-

Air-Kino vorgeführt wer-den. Dabei können sowohl eigene Clips als auch ge-fundenes Material einge-reicht werden.

Das mehrstündige Mu-sikprogramm präsentiert aktuelle Tendenzen der elektronischen Musik in einem entspannten Set-ting auf dem Vorplatz der HGK ab 18 Uhr und an der anschliessenden Party ab 23 Uhr im Kunstraum OSLO10. Im Aussenbe-reich spielen S S S S (CH) und Huerco S. (USA). An der Party tritt dann die gesamte Crew des Young Echo Labels aus Bristol auf. Dieser achtköpfige Verbund von Künstlern ge-hört zu einer neuen Welle

von Musikern, die der Tradition Bristols als Stadt der Musik neue Impulse liefert.

Vor der Party kann man die vom Team von OSLO10 zusammen mit Margit Säde kuratier-te Gruppenausstellung «Cats in the throat» sehen. Gleich daneben im Fotofachlabor Pascale Brügger / Aufziehservice Trisul und bei Radio X wird dem Publikum die Möglich-keit geboten, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

IMPRESSUM

Redaktion und TexteZamira Angst, Praktikantin Abteilung Kultur Oliver Bolanz, Leiter Christoph Merian Verlag Anette Gehrig, Leiterin Cartoonmuseum Basel Karin Matt, Vertrieb und Hörbuchprogramm

Christoph Merian Verlag Christoph Meneghetti, Projektleiter Abteilung Kultur

Alexandra Stäheli, Leiterin iaab Beat von Wartburg, Leiter Abteilung Kultur

Gestaltung Hauser, Schwarz – Basel

Druck Gremper AG – Basel / Pratteln

Christoph Merian Stiftung St. Alban-Vorstadt 5

CH-4002 Basel

DAS KULTURMAGAZIN DER CHRISTOPH MERIAN STIFTUNG SHORTCUT

Schwerpunkt:HALBWERTSZEIT

Cartoonmuseum Basel:PLONK & REPLONK

Christoph Merian Verlag:HÖRT DIE BÜCHER!

#4 April 2014

DEUTSCHER HÖRBUCHPREIS FÜR «FALLBEIL FÜR GÄNSEBLÜMCHEN»

In der ersten «Shortcut»-Ausgabe 2013 stellten wir unsere Zusam-menarbeit mit der Stiftung Radio Basel vor. Seit 2007 vergibt sie den internationalen Featurepreis für herausragende Radiofeatures von ARD, ORF und SRF. Das Gewinnerfeature erscheint jeweils auf CD im Hörbuchpro-gramm des Christoph Merian Verlags. Feature ist eine faszinie-rende Form der Radioreportage und «Fallbeil für Gänseblüm-chen» – das Gewinnerfeature von 2012 – ein besonders eindrückli-ches Stück.

September 1955, ein Gerichtssaal irgendwo in Ostberlin: Der Spio-nageprozess gegen Elli Barczatis, Sekretärin des DDR-Ministerprä-sidenten, und ihren Geliebten Karl Laurenz findet unter Aus-schluss der Öffentlichkeit statt. Aus den bisher unveröffentlichten Originaltonaufnahmen der Staats-sicherheit, begleitet von wenigen Kommentaren, entstand dieses Feature. Es zeigt in bewegender und exemplarischer Weise, wie Rechtsprechung in einer Diktatur funktioniert. Noch heute, sechzig Jahre nach der Verhand-lung, sind die Rhetorik und die Fangfragen des Richters kaum zu ertragen, ist die Bedrohung förmlich zu spüren.

Das Hörbuch sorgte bereits im letzten Jahr für viel positives Presse-Echo und wurde gut ver-kauft. Es liegt nun in der zweiten Auflage vor. Ein besonderer Höhepunkt war die Nominierung für den Deutschen Hörbuchpreis, der 2003 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, ein Qualitätssiegel für das Hörbuch zu schaffen. Diese Idee fand – und findet – zahlreiche Befür-

worter. Dies führte im Jahr 2006 zur Gründung des Deutschen Hörbuchpreises e.V. mit weiteren wichtigen Mitgliedern, unter anderem dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem «Focus»-Magazin. Heute sind verschiedene ARD-Anstalten und die Wochenzeitung «Die Zeit» die wichtigsten Partner des mit Abstand bedeutendsten Hörbuch-preises im deutschsprachigen Raum.

Der Christoph Merian Verlag war in den vergangenen Jahren bereits fünfmal für einen Preis in ver-schiedenen Kategorien nominiert, was an sich schon eine grosse Auszeichnung und Anerkennung für ein herausragendes Hörbuch-programm darstellt. Nun hat es geklappt: Das Feature «Fallbeil für Gänseblümchen» setzte sich gegen starke Konkurrenz durch (Egon Bahr: «‹Das musst du erzählen›, Erinnerungen an Willy Brandt» und Peter Handke/ Siegfried Unseld: «Der Brief-wechsel») und wurde als bestes Sachhörbuch ausgezeichnet! Die Jury schreibt zur Begründung: «Die Überfülle des zugrunde liegenden O-Ton-Materials haben Autor und Regisseur auf verdienstvolle Weise gefiltert. Ihr Feature leuchtet nicht nur die Persönlichkeit und Psyche der beiden Angeklagten aus, sondern entlarvt darüber hinaus die schamlose, ideologiekonforme Art der Prozessführung. Die Collage ist ein eindrucksvolles Zeitdoku-ment, spannend und außerordent-lich erschütternd.»

Autor dieses Stücks Zeitgeschich-te ist Maximilian Schönherr, der im Auftrag des WDR das Feature erstellt hat. Aus seinem Projekt «Archivradio» haben

sich umfangreiche und preisge-krönte Features entwickelt, die auf O-Ton-Dokumenten basieren. Für die «Stammheim-Bänder» gewann er im März 2009 erstmals den Deutschen Hörbuchpreis, nun erhielt er bereits zum zweiten Mal diese wichtige Auszeichnung. Dem Christoph Merian Verlag wurde der Preis im Rahmen einer Gala in Köln verliehen. Es ist ein im wahrsten Sinne gewichtiger Preis, den er im März nach Basel brachte: Die Trophäe ist ein Unikat, besteht aus massivem Edelstahl und wiegt stolze sechs Kilogramm!

Oliver Bolanz

www.deutscher-hoerbuchpreis.de

Michael Burton &

Michiko N

itta: Near Future A

lgae Symbiosis Suit, Prototype, 2010 / «Perspectives on Im

aginary Futures» Haus für elektronische K

ünste Baselh

Die Fotogalerie Oslo 8 eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Polis – Bilder von Städten» mit Bildern der Fotografin Christa Ziegler. Während vier Jahren bereiste die Künstlerin zahlreiche Städte vornehmlich ausserhalb Europas und Nordamerikas und entwickelte eine eigenständige Perspektive auf den urbanen Raum. Sie verzichtet auf die Illustration sozialer Brennpunkte und begreift die Stadt vielmehr als eigengesetzlichen Kör-per. «Polis» ist gleichzeitig ein Bildband mit dazugehöriger Textedition, der um 19 Uhr von der Künstlerin selbst vorgestellt wird.

Das Internationale Austausch- und Atelier-programm der Region Basel iaab eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Going Places – Aufbruch ins Weite», die Arbeiten von 20 Kunstschaffenden aus der Region Basel, Süd-baden und Solothurn präsentiert, welche 2013 ein Stipendium für einen Aufenthalt in einem der Partnerateliers im Ausland erhielten. Da-bei wird der Aufbruch nicht nur geografisch im Sinne des Aufbrechens an andere und ferne

Orte thematisiert, sondern, damit verbunden, auch als ein Aufbrechen der gewohnten Zei-chensysteme und scheinbar selbstverständli-chen künstlerischen Praktiken. Beteiligt sind unter anderem Dunja Herzog, Vanessa Safavi, Clare Kenny sowie Monica Studer und Chris-toph van den Berg.

Der Beitrag der Hochschule für Gestaltung und Kunst kommt von der Vereinigung der Alumni HGK. Ehemalige Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen präsen-tieren selbst hergestellte Produkte und zeigen Showcases mit Workshops und partizipativer sowie performativer Kunst.

Auf der Oslostrasse selbst wird den Besu-chern ein ausgesuchtes kulinarisches Angebot offeriert, wobei auch hier das Thema der zu-künftigen Lebenswelten in der Frage «Was wol-len wir essen?» aufgegriffen wird. Leon Heinz, Student am Hyperwerk in Basel und Mitglied der Gastronauten, lädt die Besucher ein, unter professioneller Anleitung eine personalisier-te Wurst aus unterschiedlichsten Zutaten zu

Andere versuchen vorauszuschauen, die Westschweizer Künstlerbrüder und Verleger Hubert und Jacques Froidevaux alias Plonk & Replonk aus La Chaux-de-Fonds blicken entspannt zurück. Sie recyceln alte Postkarten und Fotografien, die sie entweder mit Unter-titeln subtil umdeuten oder in digitalen Bild-bearbeitungsprogrammen neu kombinieren, und schreiben so an ihrer eigenen Version der (helvetischen) Geschichte. Jedes neue Bild von Plonk & Replonk behauptet eine weitere absurde, aber ungemein charmante Wahrheit, die einen Platz in ihrem Koordi-natensystem aus inzwischen Hunderten von thematisch und gestalterisch verwandten Col-lagen findet. Mit ätzendem Humor, wenigen aber entscheidenden Bildmanipulationen und lakonischen bis skurrilen Kommentaren

wird die Vergangenheit umgepolt und der Ge-genwart ans Schienbein getreten. Besonders über Erfindergeist und Verbesserungswahn machen sich Plonk & Replonk mit Verve lus-tig. Scheinbar Modernes, aufgegebene Berufe, überholte Sitten und widerlegte Mythen sind der Stoff, aus dem sie ihre Pointen formen. Ihr schräger Blick auf das Gestern lässt die Betrachter über die Lächerlichkeit alter Stra-tegien schmunzeln und gleichzeitig ahnen, dass die heutigen kaum besser funktionieren. Die Wende zum 20. Jahrhundert, die Plonk & Replonk liebevoll verdreht wieder aufleben lassen, ist unserem hektischen Start ins neue Jahrtausend ähnlicher, als uns lieb ist.

Das Cartoonmuseum Basel würdigt Plonk & Replonk erstmals auf der deutschsprachigen Seite des Röstigrabens mit einer grossen Werk-

ANSICHTEN VON BASEL:

PLONK & REPLONK IM CARTOONMUSEUM

David Semper: Auf der Strecke zwischen Studio und

Old Delhi, Fotografie, 2013Ausstellung iaab:

«Going places – Aufbruch in die Weite»

fertigen und im Anschluss an der gegenüber-liegenden Grillstation zu konsumieren. Im breit gefächerten Angebot an Waren, die für die Wurst ausgesucht werden können – von Fleisch bis hin zu Sauerkraut und Gewürzen –, werden die Geschmacksnerven angeregt und aufgezeigt, wohin die Zukunft der Nahrungs-mittelzubereitung gehen könnte.

Die Initianten der Oslo Night begreifen sich als Pioniere und Mitgestalter eines neu-en urbanen Raumes. Im Format einer or-ganisierten Kollaboration eröffnet sich die Möglichkeit, in einem festlichen Ambiente einem grossen Publikum die Aktivitäten und Programme der einzelnen Partnerinstitutio-nen vorzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Bauarbeiten, den positiven Rück-meldungen des Publikums der letzten Jah-re und dem Zuzug neuer Partner feiert die diesjährige Oslo Night den Neubeginn des Quartiers. Als alljährlicher Fixpunkt im loka-len und überregionalen Kulturkalender kann man auch in Zukunft an der Oslo Night die

Weiterentwicklung der Oslostrasse und des Areals mitverfolgen.

Lukas ZitzerLukas Zitzer ist im Haus für elektronische Künste Basel verantwortlich für die Kommunikation.

c Tobias Revell: New Mumbai Film Still, Video, 2012 Ausstellung HeK: «Perspectives on Imaginary Futures»

g Die Oslostrasse an der Oslo Night 2013 Foto: Stefan Holenstein

heiterem Gespräch die Ereignisse der Zeit kommentierte. Die Wohnung werden Sie wie viele andere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht finden. Doch Margrit Rainer und Ruedi Walter, die für Radio Basel in der satirischen Sendung « Spalebärg 77a» auftraten, schafften mit elfjähriger Laufzeit und weit über 100 Fol-gen mit regelmässigem Hörerrekord einen bis heute einmaligen Erfolg.

Es regnet das ganze Wochenende, Sie liegen krank im Bett oder haben Ihren Frühlings-putz vor sich. Auf jeden Fall haben Sie ohne Probleme 18 Stunden Zeit, sich ein Hörbuch zu Gemüte zu führen? Dann nehmen Sie sich Beat Sterchis «Blösch» vor, einen der wich-tigsten Schweizer Romane der Gegenwart. Er erzählt vom Leben eines Spani-ers, der als Knecht auf einen Schweizer Bauern-hof kommt, von seinem friedlichen Leben mit den Kühen und von den nicht so friedlichen Dorfbe-wohnern. Das von Sebas-tian Mattmüller gelesene und von Raphael Zehnder an Originalschauplätzen (Kuhstall, Weide, Schlacht-hof u.a.) aufgezeichnete Hörbuch beschwört mit der wuchtigen Sprache Sterchis und den authentischen Geräuschkulissen Bilder herauf, die durch Mark und Bein gehen.

Joggen: Aber vielleicht besser nicht im Zolli, denn ein «nulluns macrosalis» ist ausgebüxt! Das verbreitet Angst und Schrecken und ver-setzt den Tierforscher Benno Potzi in Alarm-bereitschaft. Jetzt heisst es Ruhe bewahren und das exotische Wesen zurück in den Käfig locken. Diese Geschichte gibt es im Hörbuch «Lockstoff» von Joachim Rittmeyer zum Mithören und -lachen. Erschrecken Sie nicht, wenn die Geschichte plötzlich unterbrochen werden muss: Eine zoologische Taskforce übernimmt und koordiniert die diffizile Auf-gabe, das Tier wieder einzufangen.

Und zum Schluss: Schaurig schöne Bett-mümpfeli-Geschichten! Am 5. November 1975

drang es zu später Stunde erstmals in die helveti-schen Stuben und Schlaf-zimmer: das Schreck-mümpfeli. Seither gingen gegen tausend dieser iro-nischen Kurzkrimis über den Sender. Der Sendeter-min wurde zur Fixzeit für Hörerinnen und Hörer, die sich ohne beschleunigten Puls und Kribbeln im Bauch nicht mehr unter die Bettdecke verkriechen

mochten. Mittlerweise sind neun verschiedene Schreckmümpfeli-CDs sowie «Das Beste vom Schreckmümpfeli» erschienen, die Sie nicht nur zu bestimmter Sendezeit hören können.

Zamira Angst

HÖREN SIE ZU!HÖRBÜCHER AUS DEM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

FÜR ALLE LEBENSLAGEN

Im Christoph Merian Verlag erscheinen jedes Jahr zahlreiche und vielfältige Hörbücher. Hier seien einige besondere Perlen hervorgehoben. Lassen Sie sich auf die Geschichten ein und geniessen Sie es, vom Alltag abzuschalten. Vorschläge für ein Hörbuchabenteuer.

Im ehemaligen Restaurant Milchhüsli, heute Caffè Bologna: Nehmen Sie Platz im neu von Studierenden betriebenen Caffè Bologna, be-stellen Sie Kaffee und Kuchen und setzen Sie sich die Kopfhörer auf. Kommissär Hunkeler entführt Sie in alte Zeiten, als das Milchhüsli noch die Stammkneipe der Quar-tierbewohner war. Zuerst haben Sie jedoch noch die Qual der Wahl: «Das Paar im Kahn», «Hunkeler macht Sachen», «Hunkeler und der Fall Livius», «Hun-keler und die Augen des Ödipus», «Hunkeler und die goldene Hand» oder doch lieber «Tod einer Ärztin»? Eines ist sicher: Ueli Jäggi – 2004 erhielt er als bester Sprecher den Deutschen Hörbuchpreis – glänzt in der Rolle des kauzigen Kommissärs von Hansjörg Schneider.

Mit Dürrenmatt in die Badewanne: Ein gewag-tes Experiment! Achtung: Das Wasser könn-te kalt werden, ohne dass Sie es bemerken. Denn Friedrich Dürrenmatt schrieb neben Romanen, Erzählungen und Theaterstücken auch Hörspiele, die vielfach ausgezeichnet wurden. Im Klassiker «Die Panne» erzählt er die Geschichte des Durchschnittsmenschen Alfredo Traps, der sich stolz zu einem Ver-

brechen bekennt, das er nicht begangen hat. Und das Beste: Dürrenmatt selbst spricht die Einleitung.

Am Rhein liegen, sich sonnen, vielleicht so-gar die Angelrute auswerfen, mit Arno Came-nischs «Fred und Franz» im Ohr. Die besten Freunde und Brüder im Geiste kämpfen mit dem Alltag. Im Erfolgsroman geht es um die Liebe, die Frauen, den Tod und das Mensch-sein. Ein starkes Stück neue Schweizer Lite-ratur, virtuos als intimes Hörspiel von Geri

Dillier in Zusammenar-beit mit Arno Camenisch umgesetzt.

Im Stau stehen bedeutet nicht unbedingt Zeit ver-lieren. Hören Sie stattdes-sen zu, wenn «Max Frisch spricht». Er wird Sie bes-tens unterhalten mit Aus-zügen aus Originalmit-schnitten seiner Reden, die anlässlich seines 75. Ge-burtstags erschienen sind.

Nicht nur die Reden sind spannend, sondern auch das Gespräch mit Hans Ulrich Probst, in dem sich Frisch zu zentralen Themen seines Werks äussert. Ausserdem ist dieser Autor so aktuell wie nie, hat er doch schon 1965 zur damaligen Zuwanderung in die Schweiz ge-schrieben: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.» Es ist 2014 beson-ders lohnend, Max Frisch wieder einmal genau zuzuhören!

Spalenberg 77a, das ist der Wohnort des Ehe-paars Ehrsam, das ab 1955 jeden dritten Sams-tag nach den Mittagsnachrichten in traulich-

Ein Klassiker im Christoph Merian Verlag: Dürrenmatts «Die Panne»

Unterwegs mit «Max Frisch spricht»

EIN HÖRBUCH VON SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN

IM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

Die BuchBasel 2005 markierte den Startschuss für ein neues Kapitel im Christoph Merian Verlag: Das erste Hörbuchprogramm erschien. Ausgangspunkt war die Vereinbarung einer exklusiven Partnerschaft mit dem Schweizer Radio DRS, um ausgewählte Erwachsenenhör-spiele des Radios als Hörbuch in Lizenz in den Buchhandel zu bringen. Damit verschaffte sich der Verlag auch Zugang zum umfangreichen Archiv des Radios.Mittlerweile ist aus dem Schweizer Radio DRS das «Schweizer Radio und Fernsehen» geworden und die gemeinsame Reihe heisst nun «Ein Hörbuch von Schweizer Radio und Fernsehen im Christoph Merian Verlag». In dieser Edition konnte der CMV erfolgreiche Titel wie die «Schreckmümpfeli»-Reihe oder Gisela Widmers «Zytlupe» auf CD veröffent-lichen. Letztere liegt bereits in der vierten Auflage vor! Einen Schwerpunkt im Hör-buchprogramm bilden Schweizer Autorinnen und Autoren. Das Programm umfasst Werke der beiden «Grossen» Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, Krimiklassiker von Friedrich Glauser oder Hansjörg Schneiders erfolgrei-che Kommissär-Hunkeler-Fälle. Auch Mund-artstücke mit prominenter Besetzung wie zum Beispiel Ruedi Walter und Margrit Rainer in «Spalebärg 77a» dürfen im Programm nicht fehlen, ebensowenig viele Hörspiele von zeit-genössischen Autorinnen und Autoren im Verlagsprogramm.Welche Werke den Weg aus den Archiven auf die CDs und seit einigen Jahren auch auf das Download-Angebot des Verlags finden, wird zusammen mit den Radio-Verantwortlichen aus der Hörspielredaktion entschieden. Bei der Auswahl achten wir zum Beispiel dar-auf, ob eine Produktion grundsätzlich ins Programm passt und ob es einen aktuellen

Anlass gibt, ein bestimmtes Werk gerade jetzt als Hörbuch ins Verlagsprogramm aufzuneh-men: Feiert ein Autor Jubiläum? Gibt es einen neuen Kriminalfall des Publikumslieblings Franz Musil? Welches Hörspiel hat bei der Radioausstrahlung besonders viel positives Echo ausgelöst? Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Auswahl. Das Radio verfügt zwar über die Sen-derechte, nicht aber über diejenigen für kom-merzielle Verwertungen. Oft stehen aufwendi-ge Recherchen und Verhandlungen mit den Rechteinhabern an. Danach werden mit dem Grafiker Hans Sommer von «rébus» die Ideen für jedes einzelne Hörbuch-Cover besprochen. Zusammen mit ihm haben wir die einheitli-che Gestaltung der Hörbuchreihe entwickelt und damit ein Wiedererkennungs- und Qua-litätsmerkmal geschaffen. Danach müssen die Produktionspläne gemacht, die Offerten des Presswerks eingeholt und alle Informationen rund um die Produktionen für die Verlags-vertreter, den Buchhandel und die Medien zusammengetragen werden. Das Erscheinen der Hörbücher wird in den meisten Fällen auf die Buchmessen im Frühling in Leipzig und im Herbst in Frankfurt terminiert. Die CDs können danach überall im Buchhandel in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sowie im SRF-Shop und über unsere Website merianverlag.ch erworben werden.

Karin Matt

schau. Hierzulande erscheinen ihre humoris-tischen Postkarten vor allem im Westschwei-zer Satiremagazin «Vigousse», in «L’Hebdo» und in der Deutschschweiz zeitweise in der Tageszeitung «Der Bund». In Frankreich, wo sie ganze Museen gegen den Strich gebürs-tet haben, sind die beiden Jurassier bestens bekannt und etabliert, dort publizieren sie regelmässig in der linksliberalen Pariser Ta-geszeitung «Libération», in «Charlie Hebdo» und in «L’Humanité».

Plonk & Replonk sind nicht zeichnende Cartoonisten, ihre Collagetechnik orientiert sich an Künstlern wie dem deutschen Foto-montagekünstler John Heartfield (eigent-lich Helmut Herzfeld, 1891 – 1968). Ihr Aus-drucksmittel ist die im Fotobearbeitungspro-gramm Photoshop ausgeführte Collage von Ausschnitten historischer Postkarten und Fotografien. Die im Computer montierten schwarz-weissen, sepiafarbenen oder pseudo-handkolorierten Bilder sind aber nicht perfekt verschmolzen, sondern erkennbar zusammen-gefügt, so dass spätestens auf den zweiten Blick klar wird, dass hier geschummelt wurde. Die Spuren der Bildmontage bleiben bewusst sichtbar, um dem Betrachter der Manipula-tionen die Dechiffrierung der umgedeuteten Zusammenhänge zu ermöglichen. Ebenso wichtig wie die Bilder sind die nur auf den ersten Blick erklärenden Bildlegenden, die lustvoller Kalauer wie hintergründige Pointe sein können. Anstatt den Betrachter zu in-formieren, verleihen diese den arrangierten

Bildern eine weitere, oft kauzige oder gar groteske Qualität. Sie können aber auch die historisch anmutenden Bilder an konkrete ak-tuelle Themen anbinden oder mit bekannten Ereignissen verknüpfen. Die mit Hintersinn und Wortspielereien gespickten, verfremdeten Postkarten von Plonk & Replonk präsentieren die Schweiz als Hort des Skurrilen und krat-zen mächtig an der Politur erhabener Gipfel, nobler Teppichetagen, stolzer Militärs, ordent-licher Kleinbürger und alter Klischees.

Die Werkschau in Basel zeigt einen Über-blick über die vielfältige künstlerische Arbeit von Plonk & Replonk, die auch die bildhau-erische Auseinandersetzung mit Schweizer Ikonen wie den Schuhen von Rousseau, der Brille von Le Corbusier oder dem Garten-zwerg beinhaltet. Speziell für Basel kreieren Plonk & Replonk ein Kabinett mit einer Serie von Arbeiten zu den Besonderheiten der Stadt am Rheinknie.

Anette Gehrig

BEGLEITVERANSTALTUNGEN—

CAFÉ BELLEVUETreten Sie ein in die gute Stube! Führung

durch die Ausstellung mit anschliessendem Kaffee trinken und Gebäck von der Confiserie Beschle, Basel.

13.4., 11.5., 22.6.2014, 14 Uhr—

INTERNATIONALER MUSEUMSTAG

(K)EINE PERFEKTE SCHWEIZ11 Uhr:

Führung mit der Kuratorin Anette Gehrig14 Uhr:

Workshop mit der Illustratorin Alessia Conidi

Sonntag, 18.5.2014—

Für Schulklassen, Betriebsausflüge und sonstige Gruppenbesuche bieten wir Führungen an.

Mechanisierung des Steuerwesens im Jahre 1899 © Plonk & Replonk

Zehntausend Jahre Basler Geschichte. © Plonk & Replonk

1966: Die feste Installation eines Kreisels erlaubt es, die Rheinschifffahrt flüssig zu halten. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

Die Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen alten Schweizer Viertels. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

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Eine bekannte Schweizer Stiftung mit dem Förderschwerpunkt Wissenschaft unterstützt grundsätzlich nur innovative Initiati-ven. Gefragt seien Projekte «von hoher Relevanz und wissen-schaftlicher Qualität, die durch ‹Originalität›, ‹Wirksamkeit›, ‹Transferpotential› und ‹Interdisziplinarität› abgesichert» sind und sich in der fragilen Phase zwischen Prototyp und Massen-produktion, also im Stadium mit dem emphatischen Namen «Tal der Tränen», befinden. Beeindruckt von diesem Statement, hat sich die Kulturabteilung der Christoph Merian Stiftung im vergangenen Jahr Gedanken darüber gemacht, ob sich diese Förderideen aus den Gefilden der Wissenschaftstechnik auch auf den Bereich der Kultur übertragen lassen. Basierend auf den entsprechenden internen Diskussionen widmet sich der Schwerpunkt der vierten Ausgabe von «Shortcut» den Fragen rund um das Thema von Fortschritt und Innovation, von Er-finden und Vergessen, von Nachhaltigkeit und Wertezerfall in unsrer beschleunigten Warenindustrie. Mit den verschiedenen Beiträgen möchten wir einige kritische, skeptische, aber auch charmant-absurde Antworten geben: Aus der Perspektive der digitalen Kunst, des Buchhandels, der Collagekunst und der Kulturförderung beleuchten wir einige Aspekte zu Novität und Invention – sozusagen direkt aus dem Auge des Orkans.Alexandra Stäheli, Leiterin iaab

EIN FEST DER KÜNSTE IM AUFBRUCH OSLO NIGHT 2014

Einmal im Jahr verwandelt sich der Dreispitz vom Industrieareal zur Festivalzone und die 40-Tönner machen dem interessierten Kunst- und Kulturpublikum Platz. Für die diesjähri-ge Ausgabe der Oslo Night am 24. Mai 2014 schliessen sich die Kulturakteure der Oslo-strasse bereits zum dritten Mal zusammen und präsentieren ein spartenübergreifendes Programm aus Ausstellungen, Performances, Open-Air-Kino, Workshops, Konzerten und Party.

Initiator dieses eintägigen Kunstfestivals ist das seit 2011 auf dem Dreispitz ansässige Haus für elektronische Künste Basel (HeK), das zusammen mit seinen Nachbarn erneut ein gemeinsames Festivalthema erarbeitet hat, um die Aktivitäten der unterschiedlichen In-stitutionen miteinander zu verbinden. Dies sind Radio X, die Fotogalerie Oslo 8, der Kunstraum OSLO10, das Internationale Aus-tausch- und Atelierprogramm Region Basel iaab, das Fotofachlabor Pascale Brügger mit dem Aufziehatelier TRISUL und erstmals

auch die neu auf dem Areal ansässige Hoch-schule für Gestaltung und Kunst FHNW.

Das Motto, auf das man sich für 2014 ge-einigt hat, ist «Aufbruch»: Es verweist auf die grossen Veränderungen, die das Quartier in diesem Jahr erfahren wird. Die HGK / FHNW wird mit allen Instituten und Fakultäten auf das Dreispitzareal ziehen und mit ihren ca. 800 Studierenden und 200 Lehrkräften deutlich zur weiteren Transformation des Quartiers beitragen. Auch das HeK und iaab werden im November 2014 ihre neuen Räume am Freilager-Platz 9/10 beziehen. Schon jetzt ist die Veränderung vor Ort zu spüren – neue gastronomische Angebote entwickeln sich, die Studierenden der Hochschule erforschen ihr neues Quartier und die fertigen «Plätze» und Mini-Parks ziehen erste Flaneure an.

Die beteiligten Partner inszenieren und in-terpretieren diese Aufbruchsituation auf un-terschiedliche Weise. Im HeK wird im Ober-geschoss die Ausstellung «Perspectives on Ima-ginary Futures» gezeigt, welche internationale

künstlerische Positionen beinhalten wird, die sich mit Fragen nach einer möglichen alterna-tiven Zukunft beschäftigen. Gesellschaftliche und ökologische Fragestellungen stehen dabei ebenso im Fokus wie die Veränderungen des Alltags. Gemeinsam ist den verschiedenen Po-sitionen in der Ausstellung ihre unbefangene Herangehensweise, die unsere Vorstellungen der Zukunft einer ironisch-kritischen Prüfung unterziehen.

Die US-Künstlerin Stephanie Rothenberg beispielsweise reflektiert in ihrem Online-Projekt «Laborers of Love/LOL» (2013), wie sich Se-xualität und Lust mit der Entwicklung neuer Medi-en und Technologien und der dadurch ermöglichten Arbeitsauslagerung in Zu-kunft entwickeln werden. Der englische Künstler Tobias Revell thematisiert in seiner fiktiven Doku-mentation «New Mumbai» (2012) die positiven Folgen einer Invasion von Riesen-pilzen auf die Eigenstän-digkeit der Bewohner in den Slums von Mumbai. Wie wir uns in Zukunft alternativ ernähren könn-ten, zeigt das Künstlerduo Burton Nitta aus Grossbri-tannien in seinem Projekt «Algaculture» (2010 – 2014). Sie untersuchen, wie Menschen mit Algen symbiotisch leben und sich so wie Pflanzen von Licht ernähren könnten. Weitere Positi-onen stellen Zukunftsvorstellungen aus der Peripherie von Bamako, der Hauptstadt von Mali, vor (Neil Beloufa, «Kempinski», 2007) oder zeigen auf, wie das Aufziehen von Kin-dern in Zukunft per Roboter funktionieren könnte (Addie Wagenknecht, «Optimization of Parenthood», 2013). Im Untergeschoss des

HeK installiert Raphael Lauper eine Werkstatt und veranstaltet einen «Upcycling» Workshop, den er im Zuge seines Diploms am Hyperwerk entwickelt hat. Kinder und Erwachsene sind dazu eingeladen, Elektroschrott und Abfall-teile zu verarbeiten und ihnen neues Leben einzuhauchen. Um die aktive Beteiligung des Publikums geht es auch in einem vom HeK initiierten Open Call. Bis Ende April werden Video- und Filmbeiträge zum Thema «Ima-ginary Futures» gesammelt, die während der Oslo Night in einem solarbetriebenen Open-

Air-Kino vorgeführt wer-den. Dabei können sowohl eigene Clips als auch ge-fundenes Material einge-reicht werden.

Das mehrstündige Mu-sikprogramm präsentiert aktuelle Tendenzen der elektronischen Musik in einem entspannten Set-ting auf dem Vorplatz der HGK ab 18 Uhr und an der anschliessenden Party ab 23 Uhr im Kunstraum OSLO10. Im Aussenbe-reich spielen S S S S (CH) und Huerco S. (USA). An der Party tritt dann die gesamte Crew des Young Echo Labels aus Bristol auf. Dieser achtköpfige Verbund von Künstlern ge-hört zu einer neuen Welle

von Musikern, die der Tradition Bristols als Stadt der Musik neue Impulse liefert.

Vor der Party kann man die vom Team von OSLO10 zusammen mit Margit Säde kuratier-te Gruppenausstellung «Cats in the throat» sehen. Gleich daneben im Fotofachlabor Pascale Brügger / Aufziehservice Trisul und bei Radio X wird dem Publikum die Möglich-keit geboten, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

IMPRESSUM

Redaktion und TexteZamira Angst, Praktikantin Abteilung Kultur Oliver Bolanz, Leiter Christoph Merian Verlag Anette Gehrig, Leiterin Cartoonmuseum Basel Karin Matt, Vertrieb und Hörbuchprogramm

Christoph Merian Verlag Christoph Meneghetti, Projektleiter Abteilung Kultur

Alexandra Stäheli, Leiterin iaab Beat von Wartburg, Leiter Abteilung Kultur

Gestaltung Hauser, Schwarz – Basel

Druck Gremper AG – Basel / Pratteln

Christoph Merian Stiftung St. Alban-Vorstadt 5

CH-4002 Basel

DAS KULTURMAGAZIN DER CHRISTOPH MERIAN STIFTUNG SHORTCUT

Schwerpunkt:HALBWERTSZEIT

Cartoonmuseum Basel:PLONK & REPLONK

Christoph Merian Verlag:HÖRT DIE BÜCHER!

#4 April 2014

DEUTSCHER HÖRBUCHPREIS FÜR «FALLBEIL FÜR GÄNSEBLÜMCHEN»

In der ersten «Shortcut»-Ausgabe 2013 stellten wir unsere Zusam-menarbeit mit der Stiftung Radio Basel vor. Seit 2007 vergibt sie den internationalen Featurepreis für herausragende Radiofeatures von ARD, ORF und SRF. Das Gewinnerfeature erscheint jeweils auf CD im Hörbuchpro-gramm des Christoph Merian Verlags. Feature ist eine faszinie-rende Form der Radioreportage und «Fallbeil für Gänseblüm-chen» – das Gewinnerfeature von 2012 – ein besonders eindrückli-ches Stück.

September 1955, ein Gerichtssaal irgendwo in Ostberlin: Der Spio-nageprozess gegen Elli Barczatis, Sekretärin des DDR-Ministerprä-sidenten, und ihren Geliebten Karl Laurenz findet unter Aus-schluss der Öffentlichkeit statt. Aus den bisher unveröffentlichten Originaltonaufnahmen der Staats-sicherheit, begleitet von wenigen Kommentaren, entstand dieses Feature. Es zeigt in bewegender und exemplarischer Weise, wie Rechtsprechung in einer Diktatur funktioniert. Noch heute, sechzig Jahre nach der Verhand-lung, sind die Rhetorik und die Fangfragen des Richters kaum zu ertragen, ist die Bedrohung förmlich zu spüren.

Das Hörbuch sorgte bereits im letzten Jahr für viel positives Presse-Echo und wurde gut ver-kauft. Es liegt nun in der zweiten Auflage vor. Ein besonderer Höhepunkt war die Nominierung für den Deutschen Hörbuchpreis, der 2003 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, ein Qualitätssiegel für das Hörbuch zu schaffen. Diese Idee fand – und findet – zahlreiche Befür-

worter. Dies führte im Jahr 2006 zur Gründung des Deutschen Hörbuchpreises e.V. mit weiteren wichtigen Mitgliedern, unter anderem dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem «Focus»-Magazin. Heute sind verschiedene ARD-Anstalten und die Wochenzeitung «Die Zeit» die wichtigsten Partner des mit Abstand bedeutendsten Hörbuch-preises im deutschsprachigen Raum.

Der Christoph Merian Verlag war in den vergangenen Jahren bereits fünfmal für einen Preis in ver-schiedenen Kategorien nominiert, was an sich schon eine grosse Auszeichnung und Anerkennung für ein herausragendes Hörbuch-programm darstellt. Nun hat es geklappt: Das Feature «Fallbeil für Gänseblümchen» setzte sich gegen starke Konkurrenz durch (Egon Bahr: «‹Das musst du erzählen›, Erinnerungen an Willy Brandt» und Peter Handke/ Siegfried Unseld: «Der Brief-wechsel») und wurde als bestes Sachhörbuch ausgezeichnet! Die Jury schreibt zur Begründung: «Die Überfülle des zugrunde liegenden O-Ton-Materials haben Autor und Regisseur auf verdienstvolle Weise gefiltert. Ihr Feature leuchtet nicht nur die Persönlichkeit und Psyche der beiden Angeklagten aus, sondern entlarvt darüber hinaus die schamlose, ideologiekonforme Art der Prozessführung. Die Collage ist ein eindrucksvolles Zeitdoku-ment, spannend und außerordent-lich erschütternd.»

Autor dieses Stücks Zeitgeschich-te ist Maximilian Schönherr, der im Auftrag des WDR das Feature erstellt hat. Aus seinem Projekt «Archivradio» haben

sich umfangreiche und preisge-krönte Features entwickelt, die auf O-Ton-Dokumenten basieren. Für die «Stammheim-Bänder» gewann er im März 2009 erstmals den Deutschen Hörbuchpreis, nun erhielt er bereits zum zweiten Mal diese wichtige Auszeichnung. Dem Christoph Merian Verlag wurde der Preis im Rahmen einer Gala in Köln verliehen. Es ist ein im wahrsten Sinne gewichtiger Preis, den er im März nach Basel brachte: Die Trophäe ist ein Unikat, besteht aus massivem Edelstahl und wiegt stolze sechs Kilogramm!

Oliver Bolanz

www.deutscher-hoerbuchpreis.de

Michael Burton &

Michiko N

itta: Near Future A

lgae Symbiosis Suit, Prototype, 2010 / «Perspectives on Im

aginary Futures» Haus für elektronische K

ünste Baselh

Die Fotogalerie Oslo 8 eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Polis – Bilder von Städten» mit Bildern der Fotografin Christa Ziegler. Während vier Jahren bereiste die Künstlerin zahlreiche Städte vornehmlich ausserhalb Europas und Nordamerikas und entwickelte eine eigenständige Perspektive auf den urbanen Raum. Sie verzichtet auf die Illustration sozialer Brennpunkte und begreift die Stadt vielmehr als eigengesetzlichen Kör-per. «Polis» ist gleichzeitig ein Bildband mit dazugehöriger Textedition, der um 19 Uhr von der Künstlerin selbst vorgestellt wird.

Das Internationale Austausch- und Atelier-programm der Region Basel iaab eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Going Places – Aufbruch ins Weite», die Arbeiten von 20 Kunstschaffenden aus der Region Basel, Süd-baden und Solothurn präsentiert, welche 2013 ein Stipendium für einen Aufenthalt in einem der Partnerateliers im Ausland erhielten. Da-bei wird der Aufbruch nicht nur geografisch im Sinne des Aufbrechens an andere und ferne

Orte thematisiert, sondern, damit verbunden, auch als ein Aufbrechen der gewohnten Zei-chensysteme und scheinbar selbstverständli-chen künstlerischen Praktiken. Beteiligt sind unter anderem Dunja Herzog, Vanessa Safavi, Clare Kenny sowie Monica Studer und Chris-toph van den Berg.

Der Beitrag der Hochschule für Gestaltung und Kunst kommt von der Vereinigung der Alumni HGK. Ehemalige Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen präsen-tieren selbst hergestellte Produkte und zeigen Showcases mit Workshops und partizipativer sowie performativer Kunst.

Auf der Oslostrasse selbst wird den Besu-chern ein ausgesuchtes kulinarisches Angebot offeriert, wobei auch hier das Thema der zu-künftigen Lebenswelten in der Frage «Was wol-len wir essen?» aufgegriffen wird. Leon Heinz, Student am Hyperwerk in Basel und Mitglied der Gastronauten, lädt die Besucher ein, unter professioneller Anleitung eine personalisier-te Wurst aus unterschiedlichsten Zutaten zu

Andere versuchen vorauszuschauen, die Westschweizer Künstlerbrüder und Verleger Hubert und Jacques Froidevaux alias Plonk & Replonk aus La Chaux-de-Fonds blicken entspannt zurück. Sie recyceln alte Postkarten und Fotografien, die sie entweder mit Unter-titeln subtil umdeuten oder in digitalen Bild-bearbeitungsprogrammen neu kombinieren, und schreiben so an ihrer eigenen Version der (helvetischen) Geschichte. Jedes neue Bild von Plonk & Replonk behauptet eine weitere absurde, aber ungemein charmante Wahrheit, die einen Platz in ihrem Koordi-natensystem aus inzwischen Hunderten von thematisch und gestalterisch verwandten Col-lagen findet. Mit ätzendem Humor, wenigen aber entscheidenden Bildmanipulationen und lakonischen bis skurrilen Kommentaren

wird die Vergangenheit umgepolt und der Ge-genwart ans Schienbein getreten. Besonders über Erfindergeist und Verbesserungswahn machen sich Plonk & Replonk mit Verve lus-tig. Scheinbar Modernes, aufgegebene Berufe, überholte Sitten und widerlegte Mythen sind der Stoff, aus dem sie ihre Pointen formen. Ihr schräger Blick auf das Gestern lässt die Betrachter über die Lächerlichkeit alter Stra-tegien schmunzeln und gleichzeitig ahnen, dass die heutigen kaum besser funktionieren. Die Wende zum 20. Jahrhundert, die Plonk & Replonk liebevoll verdreht wieder aufleben lassen, ist unserem hektischen Start ins neue Jahrtausend ähnlicher, als uns lieb ist.

Das Cartoonmuseum Basel würdigt Plonk & Replonk erstmals auf der deutschsprachigen Seite des Röstigrabens mit einer grossen Werk-

ANSICHTEN VON BASEL:

PLONK & REPLONK IM CARTOONMUSEUM

David Semper: Auf der Strecke zwischen Studio und

Old Delhi, Fotografie, 2013Ausstellung iaab:

«Going places – Aufbruch in die Weite»

fertigen und im Anschluss an der gegenüber-liegenden Grillstation zu konsumieren. Im breit gefächerten Angebot an Waren, die für die Wurst ausgesucht werden können – von Fleisch bis hin zu Sauerkraut und Gewürzen –, werden die Geschmacksnerven angeregt und aufgezeigt, wohin die Zukunft der Nahrungs-mittelzubereitung gehen könnte.

Die Initianten der Oslo Night begreifen sich als Pioniere und Mitgestalter eines neu-en urbanen Raumes. Im Format einer or-ganisierten Kollaboration eröffnet sich die Möglichkeit, in einem festlichen Ambiente einem grossen Publikum die Aktivitäten und Programme der einzelnen Partnerinstitutio-nen vorzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Bauarbeiten, den positiven Rück-meldungen des Publikums der letzten Jah-re und dem Zuzug neuer Partner feiert die diesjährige Oslo Night den Neubeginn des Quartiers. Als alljährlicher Fixpunkt im loka-len und überregionalen Kulturkalender kann man auch in Zukunft an der Oslo Night die

Weiterentwicklung der Oslostrasse und des Areals mitverfolgen.

Lukas ZitzerLukas Zitzer ist im Haus für elektronische Künste Basel verantwortlich für die Kommunikation.

c Tobias Revell: New Mumbai Film Still, Video, 2012 Ausstellung HeK: «Perspectives on Imaginary Futures»

g Die Oslostrasse an der Oslo Night 2013 Foto: Stefan Holenstein

heiterem Gespräch die Ereignisse der Zeit kommentierte. Die Wohnung werden Sie wie viele andere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht finden. Doch Margrit Rainer und Ruedi Walter, die für Radio Basel in der satirischen Sendung « Spalebärg 77a» auftraten, schafften mit elfjähriger Laufzeit und weit über 100 Fol-gen mit regelmässigem Hörerrekord einen bis heute einmaligen Erfolg.

Es regnet das ganze Wochenende, Sie liegen krank im Bett oder haben Ihren Frühlings-putz vor sich. Auf jeden Fall haben Sie ohne Probleme 18 Stunden Zeit, sich ein Hörbuch zu Gemüte zu führen? Dann nehmen Sie sich Beat Sterchis «Blösch» vor, einen der wich-tigsten Schweizer Romane der Gegenwart. Er erzählt vom Leben eines Spani-ers, der als Knecht auf einen Schweizer Bauern-hof kommt, von seinem friedlichen Leben mit den Kühen und von den nicht so friedlichen Dorfbe-wohnern. Das von Sebas-tian Mattmüller gelesene und von Raphael Zehnder an Originalschauplätzen (Kuhstall, Weide, Schlacht-hof u.a.) aufgezeichnete Hörbuch beschwört mit der wuchtigen Sprache Sterchis und den authentischen Geräuschkulissen Bilder herauf, die durch Mark und Bein gehen.

Joggen: Aber vielleicht besser nicht im Zolli, denn ein «nulluns macrosalis» ist ausgebüxt! Das verbreitet Angst und Schrecken und ver-setzt den Tierforscher Benno Potzi in Alarm-bereitschaft. Jetzt heisst es Ruhe bewahren und das exotische Wesen zurück in den Käfig locken. Diese Geschichte gibt es im Hörbuch «Lockstoff» von Joachim Rittmeyer zum Mithören und -lachen. Erschrecken Sie nicht, wenn die Geschichte plötzlich unterbrochen werden muss: Eine zoologische Taskforce übernimmt und koordiniert die diffizile Auf-gabe, das Tier wieder einzufangen.

Und zum Schluss: Schaurig schöne Bett-mümpfeli-Geschichten! Am 5. November 1975

drang es zu später Stunde erstmals in die helveti-schen Stuben und Schlaf-zimmer: das Schreck-mümpfeli. Seither gingen gegen tausend dieser iro-nischen Kurzkrimis über den Sender. Der Sendeter-min wurde zur Fixzeit für Hörerinnen und Hörer, die sich ohne beschleunigten Puls und Kribbeln im Bauch nicht mehr unter die Bettdecke verkriechen

mochten. Mittlerweise sind neun verschiedene Schreckmümpfeli-CDs sowie «Das Beste vom Schreckmümpfeli» erschienen, die Sie nicht nur zu bestimmter Sendezeit hören können.

Zamira Angst

HÖREN SIE ZU!HÖRBÜCHER AUS DEM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

FÜR ALLE LEBENSLAGEN

Im Christoph Merian Verlag erscheinen jedes Jahr zahlreiche und vielfältige Hörbücher. Hier seien einige besondere Perlen hervorgehoben. Lassen Sie sich auf die Geschichten ein und geniessen Sie es, vom Alltag abzuschalten. Vorschläge für ein Hörbuchabenteuer.

Im ehemaligen Restaurant Milchhüsli, heute Caffè Bologna: Nehmen Sie Platz im neu von Studierenden betriebenen Caffè Bologna, be-stellen Sie Kaffee und Kuchen und setzen Sie sich die Kopfhörer auf. Kommissär Hunkeler entführt Sie in alte Zeiten, als das Milchhüsli noch die Stammkneipe der Quar-tierbewohner war. Zuerst haben Sie jedoch noch die Qual der Wahl: «Das Paar im Kahn», «Hunkeler macht Sachen», «Hunkeler und der Fall Livius», «Hun-keler und die Augen des Ödipus», «Hunkeler und die goldene Hand» oder doch lieber «Tod einer Ärztin»? Eines ist sicher: Ueli Jäggi – 2004 erhielt er als bester Sprecher den Deutschen Hörbuchpreis – glänzt in der Rolle des kauzigen Kommissärs von Hansjörg Schneider.

Mit Dürrenmatt in die Badewanne: Ein gewag-tes Experiment! Achtung: Das Wasser könn-te kalt werden, ohne dass Sie es bemerken. Denn Friedrich Dürrenmatt schrieb neben Romanen, Erzählungen und Theaterstücken auch Hörspiele, die vielfach ausgezeichnet wurden. Im Klassiker «Die Panne» erzählt er die Geschichte des Durchschnittsmenschen Alfredo Traps, der sich stolz zu einem Ver-

brechen bekennt, das er nicht begangen hat. Und das Beste: Dürrenmatt selbst spricht die Einleitung.

Am Rhein liegen, sich sonnen, vielleicht so-gar die Angelrute auswerfen, mit Arno Came-nischs «Fred und Franz» im Ohr. Die besten Freunde und Brüder im Geiste kämpfen mit dem Alltag. Im Erfolgsroman geht es um die Liebe, die Frauen, den Tod und das Mensch-sein. Ein starkes Stück neue Schweizer Lite-ratur, virtuos als intimes Hörspiel von Geri

Dillier in Zusammenar-beit mit Arno Camenisch umgesetzt.

Im Stau stehen bedeutet nicht unbedingt Zeit ver-lieren. Hören Sie stattdes-sen zu, wenn «Max Frisch spricht». Er wird Sie bes-tens unterhalten mit Aus-zügen aus Originalmit-schnitten seiner Reden, die anlässlich seines 75. Ge-burtstags erschienen sind.

Nicht nur die Reden sind spannend, sondern auch das Gespräch mit Hans Ulrich Probst, in dem sich Frisch zu zentralen Themen seines Werks äussert. Ausserdem ist dieser Autor so aktuell wie nie, hat er doch schon 1965 zur damaligen Zuwanderung in die Schweiz ge-schrieben: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.» Es ist 2014 beson-ders lohnend, Max Frisch wieder einmal genau zuzuhören!

Spalenberg 77a, das ist der Wohnort des Ehe-paars Ehrsam, das ab 1955 jeden dritten Sams-tag nach den Mittagsnachrichten in traulich-

Ein Klassiker im Christoph Merian Verlag: Dürrenmatts «Die Panne»

Unterwegs mit «Max Frisch spricht»

EIN HÖRBUCH VON SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN

IM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

Die BuchBasel 2005 markierte den Startschuss für ein neues Kapitel im Christoph Merian Verlag: Das erste Hörbuchprogramm erschien. Ausgangspunkt war die Vereinbarung einer exklusiven Partnerschaft mit dem Schweizer Radio DRS, um ausgewählte Erwachsenenhör-spiele des Radios als Hörbuch in Lizenz in den Buchhandel zu bringen. Damit verschaffte sich der Verlag auch Zugang zum umfangreichen Archiv des Radios.Mittlerweile ist aus dem Schweizer Radio DRS das «Schweizer Radio und Fernsehen» geworden und die gemeinsame Reihe heisst nun «Ein Hörbuch von Schweizer Radio und Fernsehen im Christoph Merian Verlag». In dieser Edition konnte der CMV erfolgreiche Titel wie die «Schreckmümpfeli»-Reihe oder Gisela Widmers «Zytlupe» auf CD veröffent-lichen. Letztere liegt bereits in der vierten Auflage vor! Einen Schwerpunkt im Hör-buchprogramm bilden Schweizer Autorinnen und Autoren. Das Programm umfasst Werke der beiden «Grossen» Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, Krimiklassiker von Friedrich Glauser oder Hansjörg Schneiders erfolgrei-che Kommissär-Hunkeler-Fälle. Auch Mund-artstücke mit prominenter Besetzung wie zum Beispiel Ruedi Walter und Margrit Rainer in «Spalebärg 77a» dürfen im Programm nicht fehlen, ebensowenig viele Hörspiele von zeit-genössischen Autorinnen und Autoren im Verlagsprogramm.Welche Werke den Weg aus den Archiven auf die CDs und seit einigen Jahren auch auf das Download-Angebot des Verlags finden, wird zusammen mit den Radio-Verantwortlichen aus der Hörspielredaktion entschieden. Bei der Auswahl achten wir zum Beispiel dar-auf, ob eine Produktion grundsätzlich ins Programm passt und ob es einen aktuellen

Anlass gibt, ein bestimmtes Werk gerade jetzt als Hörbuch ins Verlagsprogramm aufzuneh-men: Feiert ein Autor Jubiläum? Gibt es einen neuen Kriminalfall des Publikumslieblings Franz Musil? Welches Hörspiel hat bei der Radioausstrahlung besonders viel positives Echo ausgelöst? Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Auswahl. Das Radio verfügt zwar über die Sen-derechte, nicht aber über diejenigen für kom-merzielle Verwertungen. Oft stehen aufwendi-ge Recherchen und Verhandlungen mit den Rechteinhabern an. Danach werden mit dem Grafiker Hans Sommer von «rébus» die Ideen für jedes einzelne Hörbuch-Cover besprochen. Zusammen mit ihm haben wir die einheitli-che Gestaltung der Hörbuchreihe entwickelt und damit ein Wiedererkennungs- und Qua-litätsmerkmal geschaffen. Danach müssen die Produktionspläne gemacht, die Offerten des Presswerks eingeholt und alle Informationen rund um die Produktionen für die Verlags-vertreter, den Buchhandel und die Medien zusammengetragen werden. Das Erscheinen der Hörbücher wird in den meisten Fällen auf die Buchmessen im Frühling in Leipzig und im Herbst in Frankfurt terminiert. Die CDs können danach überall im Buchhandel in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sowie im SRF-Shop und über unsere Website merianverlag.ch erworben werden.

Karin Matt

schau. Hierzulande erscheinen ihre humoris-tischen Postkarten vor allem im Westschwei-zer Satiremagazin «Vigousse», in «L’Hebdo» und in der Deutschschweiz zeitweise in der Tageszeitung «Der Bund». In Frankreich, wo sie ganze Museen gegen den Strich gebürs-tet haben, sind die beiden Jurassier bestens bekannt und etabliert, dort publizieren sie regelmässig in der linksliberalen Pariser Ta-geszeitung «Libération», in «Charlie Hebdo» und in «L’Humanité».

Plonk & Replonk sind nicht zeichnende Cartoonisten, ihre Collagetechnik orientiert sich an Künstlern wie dem deutschen Foto-montagekünstler John Heartfield (eigent-lich Helmut Herzfeld, 1891 – 1968). Ihr Aus-drucksmittel ist die im Fotobearbeitungspro-gramm Photoshop ausgeführte Collage von Ausschnitten historischer Postkarten und Fotografien. Die im Computer montierten schwarz-weissen, sepiafarbenen oder pseudo-handkolorierten Bilder sind aber nicht perfekt verschmolzen, sondern erkennbar zusammen-gefügt, so dass spätestens auf den zweiten Blick klar wird, dass hier geschummelt wurde. Die Spuren der Bildmontage bleiben bewusst sichtbar, um dem Betrachter der Manipula-tionen die Dechiffrierung der umgedeuteten Zusammenhänge zu ermöglichen. Ebenso wichtig wie die Bilder sind die nur auf den ersten Blick erklärenden Bildlegenden, die lustvoller Kalauer wie hintergründige Pointe sein können. Anstatt den Betrachter zu in-formieren, verleihen diese den arrangierten

Bildern eine weitere, oft kauzige oder gar groteske Qualität. Sie können aber auch die historisch anmutenden Bilder an konkrete ak-tuelle Themen anbinden oder mit bekannten Ereignissen verknüpfen. Die mit Hintersinn und Wortspielereien gespickten, verfremdeten Postkarten von Plonk & Replonk präsentieren die Schweiz als Hort des Skurrilen und krat-zen mächtig an der Politur erhabener Gipfel, nobler Teppichetagen, stolzer Militärs, ordent-licher Kleinbürger und alter Klischees.

Die Werkschau in Basel zeigt einen Über-blick über die vielfältige künstlerische Arbeit von Plonk & Replonk, die auch die bildhau-erische Auseinandersetzung mit Schweizer Ikonen wie den Schuhen von Rousseau, der Brille von Le Corbusier oder dem Garten-zwerg beinhaltet. Speziell für Basel kreieren Plonk & Replonk ein Kabinett mit einer Serie von Arbeiten zu den Besonderheiten der Stadt am Rheinknie.

Anette Gehrig

BEGLEITVERANSTALTUNGEN—

CAFÉ BELLEVUETreten Sie ein in die gute Stube! Führung

durch die Ausstellung mit anschliessendem Kaffee trinken und Gebäck von der Confiserie Beschle, Basel.

13.4., 11.5., 22.6.2014, 14 Uhr—

INTERNATIONALER MUSEUMSTAG

(K)EINE PERFEKTE SCHWEIZ11 Uhr:

Führung mit der Kuratorin Anette Gehrig14 Uhr:

Workshop mit der Illustratorin Alessia Conidi

Sonntag, 18.5.2014—

Für Schulklassen, Betriebsausflüge und sonstige Gruppenbesuche bieten wir Führungen an.

Mechanisierung des Steuerwesens im Jahre 1899 © Plonk & Replonk

Zehntausend Jahre Basler Geschichte. © Plonk & Replonk

1966: Die feste Installation eines Kreisels erlaubt es, die Rheinschifffahrt flüssig zu halten. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

Die Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen alten Schweizer Viertels. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

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WIE NACHHALTIG IST DIE KULTURFÖRDERUNG

DER ZUKUNFT?Wenn wir über die Zukunft sprechen und wie wir in der Gegenwart handeln sollen, kommen wir nicht um sie herum: die Nachhaltigkeit. In ökologischen und ökonomischen Bereichen wurde in den letzten Jahren unter diesem Begriff ein zweifellos wertvolles Verständnis für langfristige Zusammenhänge entwickelt. Wir interessieren uns heute dafür, dass fahr-lässiger Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen unsere Lebensgrundlage zerstört. Wir bewerten zum Beispiel Bauvorhaben nach ihrer Nachhaltigkeit und erwarten von Inves-toren, dass sie ökologische und soziale Fak-toren respektieren. Sympathisch konkret ist der Soziologe Harald Welzer, der in seinem «Handbuch für eine enkeltaugliche Zukunft»1 gleich eine Sammlung von Beispielen gibt, wie heute schon Menschen erfolgreich wirtschaf-ten und dabei die Bedürfnisse kommender Generationen höher gewichten als die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung.

Darunter sind viele inspirierende Ge-schichten, die deutlich machen, dass es beim nachhaltigen Handeln nicht nur um Normen geht, sondern eben: um gute Geschichten und Vorbilder. Aber sind dies die richtigen Vorbilder für Kulturschaffende und -förde-rer? Soll auch Kultur immer «enkeltauglich» sein? Auch in die Kultur werden private und staatliche Gelder investiert, gerne wird dabei von einer Investition in die Gesellschaft, in die Zukunft, in das kreative Kapital oder in den Standort gesprochen. Die Aussicht auf eine Nachhaltigkeit dieser Investition ist verführe-risch – der Begriff verspricht Dauerhaftigkeit und ein stabiles Gleichgewicht des Systems. Nachhaltigkeit in diesem herkömmlichen Sinn hat aber einen faden Beigeschmack: den des Konservatismus.

Natürlich muss Kultur nicht immer enkel-tauglich sein. Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren ist nur ein (wenn auch teurer) Teil der Aufgaben, die kulturelle Akteure erfül-len, und damit allein ist es nicht getan. Die Gesundheit unseres kulturellen Systems hat mehr mit Wandlungsfähigkeit und Relevanz als mit Permanenz zu tun. Danach sollte sich das Verständnis nachhaltiger Kulturförderung richten. Wenn wir den Konservatismus aus der Nachhaltigkeit streichen, was bleibt übrig? Ei-nen konkreten Vorschlag hat WolfBrown Con-sulting 2011 in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel «Is Sustainability Sustainable?»2 ver-öffentlicht. Sie definieren die Nachhaltigkeit von arts organizations in drei Dimensionen: community relevance, artistic vibrancy und (die-sen untergeordnet) capitalization. In diesen Dimensionen sind die Faktoren für den Erfolg kultureller Unternehmungen zu suchen.

Gehen wir einen Schritt zurück und be-trachten den Kontext der Kulturförderung. In welchem Verhältnis steht das private En-gagement zum staatlichen, und welche Rolle übernimmt der NPO-Sektor, die Non-Profit-Organisationen? Unsere pluralistische Demo-kratie umfasst eine Vielzahl von Lebensfor-men, Sprachen und kulturellen Traditionen. Den einen Gemeinwillen, den die demokrati-sche Gesellschaftsordnung repräsentieren soll, gibt es nicht, sie kann lediglich die Pluralität verwalten und dabei vermeiden, zu stark Po-sition zu beziehen. Staatliche Kulturförderer sind deshalb gespalten in ihrer Rolle, selbst produktive Akteure der Kultur zu sein und gleichzeitig die Vielfalt der partikulären Wil-len gerecht zu beaufsichtigen.3 Gerade private Kulturförderer müssen es also wagen, sich mit den Minderheiten und den (möglicherweise

ERINNERN UND VERGESSEN

ZUR HALBWERTSZEIT DIGITALER KUNST

Für die Generation der Digital Natives ist ein Leben ohne Internet eine unmögliche Vor-stellung. Für sie war das globale Netzwerk schon immer da und ist zugleich prägend für ihre sozialen Interaktionen. Heute ist nahezu jeder mit Smartphone und Tablet-Computer ausgestattet, und die mobile Technologie er-möglicht es, dass wir jederzeit online sind und unsere digitalen Spuren im Netz auf Schritt und Tritt hinterlassen. Bewegungsdaten, Fa-cebook-Einträge – jede Aktivität ist unweiger-lich im globalen Netzwerk gespeichert, und auch so mancher kleine Fauxpas kann sich zum Problem auswachsen, wenn er sich nicht mehr tilgen lässt und auf ewig abrufbar bleibt. Bei all der Vernetzung stellt sich im Zeitalter von PRISM und den bekannt gewordenen staatlichen Übergriffen auf persönliche Da-ten immer zentraler die Frage des öffentlichen Zugriffs auf die digitale «Cloud» und die in ihr gespeicherten Informationen.

Dem digitalen Speicherwahn und der täg-lich wachsenden Datenflut steht im Bereich der digitalen Kultur dagegen das unaufhalt-same Vergessen gegenüber. Unser digitales Zeitalter ist geprägt von der Schnelllebigkeit von Technologien und der rasanten Weiter-entwicklung von Hardware und Software. Neue Geräte erscheinen in immer kürzeren Abständen auf dem Markt. Im Jahresrhythmus werden Smartphones und Betriebssysteme vorgestellt, die ihre Vorgänger an Funktiona-lität übertreffen, besser und schneller sind. Eine zehn Jahre alte Diskette hat da schon eine nahezu steinzeitliche Anmutung.

Zeitgenössische Medienkunst spürte schon immer den Veränderungen des technologi-schen Wandels nach und zeigte die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verände-rungen auf. Von der frühen Computergrafik der Sechzigerjahre bis hin zur Netzkunst der Neunzigerjahre, von Softwarekunst bis

Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit expo-nentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit.

Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, ist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir eine neue Software installiert, will sie aktu-alisiert werden. Kaum hat sich computerba-sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler als Shootingstar gefeiert, verschwindet er schon démodé in der Ver-senkung. Kaum hat das Stadtbuch ein Thema als ultraaktuell aufgegriffen, gerinnt es schon zwischen den Buchdeckeln zu Ge-schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es vom Buchhandel remit-tiert und verschwindet in der anonymen Backlist. Das ist die Kehrseite der «Diktatur der Innovation», der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech-nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als Motoren der Innovation, steigen jedem neuen

Trend nach und hinterlassen mit ihrem Inno-vationszwang einen Berg von halbfinanzierten Projekten und Initiativen.

Wir haben uns im vergangenen Jahr in der Abteilung Kultur zu mehreren internen Workshops zum Thema Innovation getroffen, denn schliesslich muss eine Stiftung wie die

Christoph Merian Stif-tung «open-minded» sein und an vorderster Front Neues fördern. Mit dieser Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen und bei meinen jüngeren Kolleginnen und Kolle-gen auf unerwartete und vehemente Opposition gestossen. Als Historiker, der dem Vergangenen und Vergehenden nähersteht

als der Extrapolierung in die Zukunft, fand ich mich als Apostel der Innovation plötzlich auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht sei krankhaft und bedeute einen unendlichen und unnötigen Druck. Die Anbetung des «Neuen» führe zu einer perversen Missach-tung des Gewachsenen, des Erreichten, des

Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart.

Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbe-reitschaft nicht eine innere Abschottung ge-gen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovati-onsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome?

Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kolle-gen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Inno-vationsdruck verursacht, indem er das Nach-denken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend not-wendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, he-rauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über

die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthe-ma «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und disku-tieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austausch-programm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Küns-ten. Die Illustrationen stammen von den wel-schen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen.

Beat von Wartburg

HALBWERTSZEITSCHWERPUNKT

hin zu interaktiven Installationen wird das Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Medien ausgelotet. Die Nutzung aktuellster Technologien führt zu immer kürzeren Halb-wertszeiten der digitalen und elektronischen Kunst.

Datenträger haben eine sehr begrenzte Le-bensdauer. Die technischen Komponenten ei-nes Werkes sind heute schnell veraltet, die Ge-räte selbst oft nicht mehr zu beschaffen. Ist das Material noch auf alten Datenträgern erhalten, so lässt es sich meist nicht mehr abspielen, da die Abspielgeräte nicht mehr funktionieren. So mancher Restaurator für Medienkunst ist dann schon mal auf Ebay aktiv, um obsolete Technik für alte Werke zu erstehen und wie-der in Betrieb zu nehmen. Hier braucht es Know-how und Expertenwissen, um diese Kunst vor dem endgültigen Verfall zu retten und historische Werke und Meilensteine der kulturhistorischen Entwicklung auch für die Zukunft zu bewahren.

Was also tun, um Werke der computer-basierten Kunst funktionstüchtig zu halten oder vor dem digitalen Verfall zu schützen? Museen und Kulturinstitutionen mit Samm-lungen digitaler und elektronischer Kunst setzen sich seit Jahren für den Fortbestand medialer Kunstformen und die Sicherung die-ser Werke ein. Die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Medienkunst führt dazu, dass individuell für jedes Werk eine passende Stra-tegie für den Erhalt gesucht werden muss. Bei den Videoinstallationen von Nam June Paik spielt der Röhrenmonitor eine zentrale Rolle, und so wird hier vor allem auf den Erhalt der Hardware gesetzt, auch wenn dies zeitlich nur begrenzt möglich ist. Pionierarbeiten der frü-hen Computerkunst stellen wiederum andere Herausforderungen an den Erhalt. Oftmals wird hier mit dem Prinzip der Emulation ge-arbeitet. Das bedeutet die Verwendung neuer Software, die versucht, den «Look and Feel» alter Programme zu erzeugen, um beispiels-weise den Bildaufbau einer Website bewusst

zu verlangsamen und damit die Ästhetik einer früheren Zeit zu reproduzieren. Die Migrati-on von Daten auf neue Betriebssysteme und aktuelle Software ist eine weitere Methode, und manchmal bleibt nur die Dokumenta-tion oder Re-Interpretation eines Werkes als Alternative.

Auch das Haus für elektronische Künste Basel (HeK) engagiert sich mit einer eigenen Sammlung für den Erhalt elektronischer und digitaler Kunst. Im Rahmen des trinationa-len Forschungs- und Restaurierungsprojekts «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» wurde zusammen mit Partnern aus Frankreich und Deutschland über drei Jahre an diesen zentralen Fragestellungen ge-arbeitet. Als Fallstudie wurde vonseiten des HeK das netzbasierte Projekt «TV Bot 2.0» des Schweizer Künstlers Marc Lee angekauft und behandelt. «TV Bot 2.0» von 2010 beruht auf einem von Lee entwickelten Programm, welches im Internet Bild-, Video-, Audio- und Textdaten zusammenträgt, die nicht älter als eine Stunde sind. Aus diesen Materialien aus unterschiedlichsten Kontexten wird live im In-ternet eine Nachrichtensendung generiert. Die Zugänglichkeit im globalen Netz ist ein in-härenter und wesentlicher Aspekt der Arbeit. Schon innerhalb weniger Jahre gab es starke Software-Veränderungen, die die ästhetische Anmutung und Funktionalität der Arbeit ver-ändert haben. Gemeinsam mit dem Künstler wurde am HeK eine Strategie zum Erhalt der ursprünglichen Intention und Ästhetik der Arbeit entwickelt.

Das Sammeln von digitaler Kunst stellt Kuratoren und Konservatoren vor neue Auf-gaben. Neben den genauen Informationen zu den technischen Komponenten einer Arbeit ist die Dokumentation der künstlerischen Idee und Wirkungsabsicht ein zentraler As-pekt, der aufgearbeitet werden muss. Nur so lässt sich später eine Funktionalität im Sinne des ursprünglichen künstlerischen Anliegens sicherstellen, die es den Kuratoren und Kon-

Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk

© Plonk & Replonk

Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit Bildern, Typografien und Prozentzahlen

© Plonk & Replonk

Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk

Diplomierter Abstempler, während eines Weiter bildungskurses dem frontalen Angriff einer

automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk

Lesemeerschweinchen © Plonk & Replonk

servatoren erlaubt, im Zweifelsfall eine Re-Interpretation eines Werks vorzunehmen. Die Herausforderungen sind gross, und es braucht übergreifende Strategien und Konzepte für den Austausch von Wissen und Information. «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» war eines dieser internationalen Projekte, die den fachlichen Diskurs beför-dert haben und gemeinsam Wege aus dem Dilemma des digitalen Verfalls und Vergessens weisen.

Sabine HimmelsbachSabine Himmelsbach ist Leiterin des Hauses für elektronische Künste Basel

a Hervé Graumann, Raoul Pictor cherche son style …,1993 – 1997Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

g Nam June Paik, Internet Dream, 1994 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

ÜBER DIE VERGÄNGLICHKEIT

EIN ESSAY

Wie schnell doch alles entschwindet! In der Welt die Menschen selbst, im Lauf der Zeit ihr Gedächtnis!

Marc Aurel

Seit dem Menschen bewusst ist, dass sein Da-sein ein endliches ist, befasst er sich in den mannigfaltigsten Formen quer durch die Ge-schichte mit dem Thema der Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis und die Auflehnung dage-gen liessen nicht nur Totenkulte entstehen, sondern auch Vorstellungen eines wie immer gearteten Jenseits, Religionen und philosophi-sche Schulen. Ihr verdanken wir grossartige Kunstwerke weit über die Memento-mori-Bildwelt mit ihren Stillleben hinaus, ganze Bibliotheken und reiche Symbolwelten, die ein Lexikon füllen würden. Erwähnt sei hier, beispielhaft, das Grabmal der Maria Magda-lena Langhans in der reformierten Kirche Hindelbank, 1751 von Johann August Nahl geschaffen. Die junge Frau starb bei der Ge-burt ihres Sohnes, der ihr bald nachfolgen soll-te. Durch die aufbrechende Grabplatte sieht man Mutter und Kind, die ihren Blick nach oben richten, eine eigentliche Auferstehungs-szene. Und ebenfalls beispielhaft: Einer der eindrücklichsten unter den Vergänglichkeits-texten findet sich im Alten Testament im Buch Kohelet, beginnend mit den Worten: «Nich-tig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» (Prediger 1,2), was bei Andreas Gryphius in seinem berühmten Vanitas-vanitatum-Gedicht wie folgt klingt:

Ich seh’ wohin ich seh nur Eitelkeit auff ErdenWas dieser heute bawt reist jener morgen ein Wo jtzt die Städte stehn so herrlich hoch vnd feinDa wird in kurtzem gehn ein Hirt mit

seinen Herden: […]

Als Schlüsseltext zum Thema Vergäng-lichkeit kann auch die Geschichte von Adam und Eva gelesen werden: Durch den Genuss des Apfels vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben, werden sie sich ih-rer begrenzten Lebensspanne bewusst; eine Erfahrung um die eigene Endlichkeit, die jeder Mensch einmal – mehr oder weniger schmerzlich – machen muss. Der Möglich-keiten, wie wir damit umgehen, sind viele, und sie prägen oft mit, wie wir zu unserem Leben stehen und wie wir es gestalten. Werden wir zu habgierigen Raffern, zu Hedonisten im heutigen Sinn des Begriffs, verfallen wir in Trauer und Depressionen oder entwickeln wir einen gewissen Gleichmut, der sowohl die fröhlichen Melodien als auch die Basssaiten des Lebens kennt?

Unsere Gesellschaft hat verschiedene Stra-tegien entwickelt, wie mit Vergänglichkeit um-gegangen werden kann. Eine davon besteht im Sammeln und Horten, dem verzweifelten (und letztlich vergeblichen) Versuch, Dinge, Objek-te vor dem Zerfall und Vergehen zu bewahren. Davon zeugen unzählige Museen mit ihren oft schon jetzt aus allen Nähten platzenden Depots. Wer in den letzten Monaten durch die Klus bei Angenstein fuhr, dem bot sich hoch über der Birs ein starkes und zunächst irritierendes Bild, das beispielhaft von diesem

LOB DES ZERFALLS

Der Fortschritt ist ein schielender Engel. Ein geflügeltes Wesen mit lockigem Haar und bemerkenswert kleinen Füssen, aber auch mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ein bleiches Geschöpf, dessen Flügel so weit aufgespannt sind, dass sich in ihnen die Paradieseswinde verfangen, die es unablässig in die Zukunft wehen lassen. So zumindest hat Walter Benjamin in seiner berühmten neunten geschichtsphilosophischen These eine Zeichnung von Paul Klee interpretiert

und damit die ganze Ambivalenz umrissen, mit der uns die Ausläufer der Moderne noch immer umfangen, das lächelnd fletschende Faszinosum tremendum unserer zerrissenen Conditio postpostpost. Während wir dabei aus unsrer kleinen Gegenwart eine Kette von Begebenheiten dicht hinter und dicht vor uns erblicken, die einen logischen Sinn zu ergeben scheinen, sieht Benjamins melancholischer Engel der Geschichte das Werden und Verge-hen all unsrer Errungenschaften buchstäblich

in Windeseile vor sich auf- und wieder nieder-steigen; erschrocken über den steten Zerfall, möchte er die Trümmer wieder zusammenfü-gen, doch der Sturm treibt ihn endlos weiter.

Die Winde des Fortschritts sind seit Er-scheinen von Benjamins Text 1928 bestimmt nicht milder und verdaulicher geworden, viel-mehr haben sie sich im Zuge globalisierter Produktionsprozesse in einen Pesthauch des ewig Neuen verwandelt. Mit den sekündlich auf den Markt poppenden Erzeugnissen der

Warenindustrie wird unsere durchschnittli-che Adrenalinausschüttung dabei so sehr im Fluss gehalten, dass unsere Aufmerksamkeit der Gegenwart immer schon hinterherhin-ken muss. Es ist kein Geheimnis, dass uns die Dinge und Informationen seit langer Zeit in gespenstischer Weise auf allen Kanälen be-drängen, und bis wir jeweils herausgefunden haben, ob es sich bei dem jeweiligen neusten Wunderwerk nun um billigen Trash oder um wertvolle Inputs handelt, ist die Produktion

Drang des Bewahrens spricht: Auf einem Fels-sporn des Blauen steht die Ruine Pfeffingen, eingerüstet, ein Baukran streckt seinen Ausle-ger in den Himmel. Mag das Unterfangen, die Ruine zu erhalten, durchaus zu begrüssen sein, so löst es doch auch Bedenken aus, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Reste der Burg im 18. Jahrhundert als Steinbruch versteigert wurden: andere Zeiten, andere Sitten …

Eine weitere Strategie, der Vergänglich-keit zu trotzen, findet sich in verschiedenen Textformen, in Briefen und Rödeln, in Do-kumenten, Verträgen, Büchern, Chroniken, gesammelt in Archiven und Bibliotheken. Das Sammeln und Bewahren ist das eine, das ande-re das Zugänglichmachen: Ohne Transkriptio-nen, ohne Übersetzungen (ein Lob all denen, die das Erlernen des Lateinischen nach wie vor sinnvoll finden!) und ohne sich immer wieder durch die Seiten mühende Leserschaft gäben uns die Texte früher oder später die gleichen Rätsel auf wie die etruskische Sprache.

Chroniken spielen auch für die Basler Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle. Die wohl einer breiteren Öffentlichkeit bekann-teste ist das Werk von Christian Wurstisen, 1580 bei Sebastian Henricpetri erschienen: ein Genuss, darin zu lesen! Weniger bekannt, aber für die Stadtgeschichte eine grossartige Fundgrube sind die Basler Chroniken, deren erster Band 1872 und deren bisher letzter, der zwölfte, 2009 erschien. Eine Jahreschronik war auch lange Zeit Bestandteil der gedruckten Ausgabe des Basler Stadtbuchs – das dieser Tage zum 134. Mal erschienen ist. Seit 2011 ist dieser Chronikteil in digitaler Form zugäng-lich (www.baslerchronik.ch). Wenn die digi-talisierte Chronik auch nach wie vor versucht, das Wissen über Ereignisse der Nachwelt zu erhalten, so ist sie doch gleichzeitig von einer neuen und beschleunigten Art der Vergäng-lichkeit bedroht.

Dabei haben technische Erfindungen im-mer wieder gesammeltes Wissen in Buchform bedroht, so zum Beispiel die Entwicklung des

Holzschliffverfahrens in der Papierherstel-lung. Die Papiere waren zwar billiger, jedoch auf Kosten der Haltbarkeit, was dazu führ-te, dass ganze Bibliotheken in aufwendigen Verfahren vor dem Zerfall geschützt werden müssen. Bei den digitalen Daten droht nun eine andere Gefahr: Die aktuell verwendeten Datenträger haben eine vergleichsweise kurze Lebensdauer, ebenso die entsprechenden Lese-geräte. Daten müssen deshalb in immer kürze-ren Zeitabständen auf neue Träger überspielt werden. Doch wer entscheidet, was würdig ist, in die Zukunft gerettet zu werden, und was verschwindet endgültig aus dem Gedächtnis der Menschheit?

Nehmen wir’s mit einer gewissen Gelas-senheit und schliessen wir mit Arno Holz’ «Geisterduo»:

Der Zeitgeist brennt wie trocknes StrohUnd singt: «In dulci jubilo!»Der Weltgeist brummt dazu im Baß:«O vanitatum vanitas!»

Lukas HartmannLukas Hartmann ist Gestalter, Dozent und Redaktor des Basler Stadtbuchs.

bereits wieder eingestellt worden. Der Philo-soph und Medientheoretiker Boris Groys hat diese Zusammenhänge in seiner Abhandlung «Über das Neue» (1992) noch entspannt und nur mit einem ganz sanften zynischen Un-terton beschrieben, wenn er in einer typisch postmodernen Wendung behauptete, dass das von der Industrie so fetischisierte Neue eigentlich nur das recyclierte Alte sei; denn die Kategorie des Neuen komme, so Groys, erst in der Moderne mit der Entstehung der grossen Archive und Sammlungen auf: Erst seit man über eine allgemeinere Übersicht fein säuberlich etikettierter Objekte und Gedan-ken verfügt, lassen sich Vergleiche zwischen alten und neuen Dingen ziehen – und dabei, so Groys, lassen sich auch im Archiv gelagerte Ideen wieder hervorholen, neu aufbereiten und als Scoop verkaufen, während der letzte Schrei auf der anderen Seite des Produktions-rades gerade dabei ist, wieder in die Tiefen des kulturellen Fundus zu sinken.

Boris Groys versteht den Fortschritt also, ähnlich wie Walter Benjamin, als einen stets sich weitertreibenden Prozess von Werden und Vergehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es uns in all der trommelnden Neu-heitsakupunktur tatsächlich jemals gelingt, dem Vergehen der Dinge auch nur ein Nano-Mü an Aufmerksamkeit und Hirnschmalz zu widmen? Wann haben wir uns in der Raserei der brennenden Alltagsgeschäfte je die Zeit genommen, uns mit der Würde des Zerfal-lens zu beschäftigen? Und wissen die Objekte überhaupt, wie sie schad- und lautlos in die (endgültige oder vorgelagerte) Hölle der Un-Dinge verschwinden können, sind sie des Zer-rinnens überhaupt fähig? Der amerikanische Fotograf und Filmemacher David LaChapelle

greift diese Fragen in seinen farbenprächtigen Vanitas-Bildern in pointiert ironischer Weise auf, wenn sich unter seinen üppigen, majestä-tisch welkenden Blumensträussen nach dem Vorbild niederländischer Stillleben frisch und unvergänglich zerknautschte PET-Flaschen, glänzende Plastikprothesen und ewig verbun-dene Mobiltelefone recken. Vielleicht besteht die eigentliche Dekadenz unseres Zeitalters ja gerade darin, dass wir nicht mehr ordentlich zerfallen können. Vielleicht würden wir uns weniger ausgepresst fühlen, wenn wir uns pa-rallel zu all den Neuheitshuldigungen ganz still und unauffällig auch dem natürlichen Erschöpfungsprozess aller organischen und anorganischen Materie hingeben könnten. Es mag vielleicht etwas unbescheiden klin-gen, aber im Kern ist es eigentlich genau das, was das Internationale Austauschprogramm iaab mit seinen Auslandstipendien anstrebt: den Prozessen von Entstehen und Vergehen, Ankommen und Dasein Raum zu geben, das Leben zu entschleunigen und den Kunstschaf-fenden eine Auszeit aus der Hektik des ufer-losen Produktions- und Broterwerbszwangs zu ermöglichen.

Alexandra Stäheli

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zukunftsweisenden) Randerscheinungen zu befassen. Als Vertreter eines dritten Sektors, die ihre Rolle zwischen Staat, Gesellschaft und Markt ständig neu verhandeln müssen, stehen NPOs besonders in der Pflicht. NPOs müssen Instrumente entwickeln, mit denen sie gesell-schaftlich relevante Erscheinungen erfassen und gezielt darauf reagieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Geldverwaltern werden, die sich selbst mit bürokratischen Prozessen und formalen Argumentationen lähmen.

Es gibt in der Kulturförderung einen zent-ralen Unterschied zur Ökologie: Kreativität ist keine knappe Ressource. Private und Förderer in NPOs sollten sich für die Sache der Kultur mutig, partikulär und verschwenderisch (statt vorsichtig, gerecht und sparsam) einsetzen, um

die Gesellschaft im Rahmen einer Kultur der Demokratie mitzugestalten. Paradoxerweise bedeutet gerade dies die wahre nachhaltige Kulturförderung.

Christoph Meneghetti

1 Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der Futur-zwei Zukunftsalmanach 2013, Frankfurt 2012.

2 Alan Brown, Joseph Kluger et al.: Is Sustainability Sustainable?, Sounding Board Vol. 30, 2011 (http://wolfbrown.com/insights/41-sounding-board/348-is-sustainability-sustainable)

3 Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Demokratie, in: Public Affairs. Von Beuys bis Zittel: Das Öffentliche in der Kunst, Kunsthaus Zürich (Katalog) 2002 (http://www.publicaffairs.ch/groys_boris.html)

GERANGEL IN REGAL UND INTERNET

ODER: DER WANDEL IM BUCHHANDEL

55 Thesen zur Entwicklung des Buchhandels und der Verlage bis 2025 hat der Börsenver-ein – der Verband der deutschen Verleger und Buchhändler – 2011 aufgestellt. Die The-sen sorgten seinerzeit für grosse Aufregung in der Branche. Mittlerweile weiss man: Die Veränderungen werden noch viel schneller und drastischer kommen als vorhergesagt. Der Grundsatz bleibt derselbe, die beiden Kernaussagen werden sich wohl einfach noch rascher und drastischer bewahrheiten: 1) Der Buchhandel verliert über einen Drittel seiner Verkaufsfläche, sei es durch Schliessung gan-zer Geschäfte oder Umnutzung vorhandener Flächen für andere Waren. 2) Der Verkaufsweg Internet wird stark an Bedeutung zunehmen, mit ihm der Anteil der E-Books, die allerdings das gedruckte Buch nicht verdrängen, jedoch einen Anteil von bis zu dreissig Prozent des Buchmarkts einnehmen werden.

Was bedeutet das für uns Verleger? Noch immer erscheinen jedes Jahr über 90 000 neue deutschsprachige Bücher. Diese Novitäten konkurrieren mit immer weniger Platz in den Regalen der verbliebenen Buchhandlungen. Längst gibt es in den grossen Geschäften ne-ben Druckerzeugnissen Papeterie-, Geschenk-artikel und allerlei Wellness-Schnickschnack (von der Duftkerze über den Badezusatz bis zum Zimmerspringbrunnen) zu kaufen, und die Kinderbuchabteilung ähnelt oft einem Spielzeugladen. Den Buchhändlern darf man deswegen keinen Vorwurf machen: Vie-le kämpfen ums Überleben und müssen auf die veränderten Kaufgewohnheiten der Kon-sumenten reagieren. Fraglich ist aber, ob ein solcher «Gemischtwarenladen» für buchaffine Menschen auf Dauer ein attraktiver Ort zum Bücherkaufen bleibt. Ich fürchte eher nein.

Selbst wenn die vielen Neuerscheinungen die begehrten Plätze in den Regalen und auf den Tischen der Buchhandlungen einnehmen (wo-bei die Stapel direkt bei den Eingängen gerade von Buchhandlungsketten oft von Grossver-lagen mit dem Ziel gekauft werden, populäre Mainstream-Titel noch begehrenswerter er-scheinen zu lassen − man nennt das «Werbe-kostenzuschuss» an die Buchhändler), müssen sich auch diese möglichst rasch verkaufen und am besten täglich in der Verlagsauslieferung nachgeordert werden. Wenn das Warenwirt-

schaftssystem aber meldet, dass ein Titel einige Tage nicht verkauft worden ist, fliegt das Buch aus dem Sortiment oder schafft es bestenfalls noch, als Einzeltitel im Regal eingereiht zu werden. Denn: Jede Woche erscheinen wei-tere Publikationen aus diversen Verlagen, die eben auch in die Regale und auf die Tische drängen. Die Halbwertszeit der Aufmerksam-keit für Neuerscheinungen ist somit oft er-nüchternd kurz. So kann es etwa vorkommen, dass der Katalog einer aktuellen Ausstellung

in einem Basler Museum von der örtlichen Buchhandlung bereits drei bis vier Wochen nach Eröffnung remittiert, d.h. zurück an die Verlagsauslieferung geschickt wird und die Buchhandlung dafür eine Gutschrift erhält.

Das immer wichtiger werdende Online-Geschäft von «echten» Büchern und von E-Books stellt uns als kleinen Schweizer Verlag vor vielfältige Herausforderungen: Das Ge-schäft diktieren wenige grosse, oft internatio-nal agierende Anbieter, die die Konditionen bestimmen, wenn man in den Datenbanken dieser Händler vorkommen will. Der weitaus grösste Online-Buchhändler der Schweiz ist amazon.de. Amazon nutzt seit einiger Zeit den Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz dazu, den Schweizer Kunden die Bücher mit mindestens 20 Prozent Rabatt vom eh schon günstigeren Euro-Preis porto-frei nach Hause zu schicken. Mit der Kosten-struktur von Amazon kann kein Schweizer Buchhändler mithalten. Was das allerdings für die Angestellten bei Amazon bedeutet – näm-lich katastrophale Arbeitsbedingungen und ein unmenschlicher Umgang mit den Mitar-beitenden –, hat ein kontrovers diskutierter ARD-Dokumentarfilm letztes Jahr gezeigt. Beim E-Book dominiert Amazon mit ihren Kindle-Geräten und dem Kindle-Shop seit Jahren ebenfalls den Markt. Es bleibt abzu-warten, ob die gemeinsamen Anstrengungen der Buchhändlerbranche im E-Book-Geschäft (mit den Tolino-Geräten und in der Schweiz auch mit dem E-Book-Angebot des Buchzen-trums Olten) Erfolg haben werden und dem übermächtigen Konkurrenten Amazon die Stirn bieten können.

Und was unternehmen wir als Christoph Merian Verlag, um auf diese Verwerfungen der

Branche im digitalen Zeitalter zu reagieren? Wir wollen einerseits den verbleibenden, enga-gierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern den Rücken stärken und sie bei Veranstaltun-gen, Lesungen etc. unterstützen, damit die Buchhandlung ein Ort der Begegnung und der Buchkompetenz bleibt. «Buy local»-Ini-tiativen etwa, wie sie auch von Basler Buch-handlungen angestossen wurden, sind absolut unterstützenswert. Gleichzeitig werden wir, wenn immer sinnvoll, auch elektronische Ver-sionen unserer Publikationen erstellen, so wie unsere Hörbücher schon seit mehreren Jahren auch per Download erhältlich sind. Darüber hinaus hat die Christoph Merian Stiftung viel in einen neuen Internetauftritt des Verlags investiert, der demnächst online gehen wird, und wir haben die Lieferbedingungen für Di-rektbestellung über unsere Website attraktiver gestaltet, damit eine Bestellung «ab Erzeuger» für unsere Kundinnen und Kunden interes-sant bleibt. Auf www.merianverlag.ch kann man in Bücher reinlesen, Hörbücher probe-hören, E-Books und Hörbücher downloaden und sich über Veranstaltungen informieren.

Das Verlegersein im 21. Jahrhundert ist spannend, herausfordernd und macht Spass: Wir sind Vermittler von Inhalten und The-men, wollen zu Diskussionen anregen und Geschichte lebendig werden lassen − egal in welcher Form: ob als Buch, Hörbuch, DVD, E-Book oder App. Das hat Zukunft!

Oliver Bolanz

— VIELLEICHT BESTEHT DIE EIGENTLICHE DEKADENZ

UNSERES ZEITALTERS JA GERADE DARIN, DASS

WIR NICHT MEHR ORDENTLICH ZERFALLEN

KÖNNEN.—

Abnahme der Menge mit Halbwertszeit

Zeit (T)

Menge

— WENN DAS WAREN­

WIRTSCHAFTSSYSTEM MELDET, DASS

EIN TITEL EINIGE TAGE NICHT VERKAUFT

WORDEN IST, FLIEGT DAS BUCH AUS DEM

SORTIMENT.—

DIE DIKTATUR DER INNOVATION

ODER: MORGEN IST DIE VERGANGENHEIT VON ÜBERMORGEN

Gemeinnützige Stiftungen haben gegenüber Staat und Wirtschaft einen entscheidenden Vorteil: Durch den rechtlich definierten Um-stand, dass Stiftungen ein selbstbestimmtes Zweckvermögen darstellen und sich quasi selbst gehören, sind sie, abgesehen von den Aufsichtsbehörden, niemandem Rechenschaft pflichtig. Dies gibt ihnen eine einzigartige Frei-heit. Abseits von Trends und Zeitgeist können sie das Unbequeme, das Neue, das Innovative fördern. Und sie nutzen ihre Freiheit. Kaum ein Förderkriterium kommt ohne den Ruf nach Pionierhaftem und Innovativem aus. Die Krux dabei ist aber, dass wirklich Neues nur von ganz wenigen gesehen wird, wie bereits Albert Einstein treffend vermerkt hat: «Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausge-schlossen erscheint.» Und damit ist der Mist noch lange nicht geführt. Ob sich eine Idee durchsetzt und sich der Ressourceneinsatz ge-lohnt hat, zeigt immer erst der Blick zurück. Dazwischen liegt ein langer Weg. Stiftungen, die sich der Innovationsförderung verschrie-ben haben, brauchen viel Sachverstand, einen langen Atem, eine grosse Unabhängigkeit im Denken und Entscheiden und eine enorm hohe Risikobereitschaft. Denn was heute in-novativ ist, kann morgen bereits überholt sein. Dies müssen Stiftungen und ihre Entschei-dungsträger aushalten.

Da liegt der Gedanke nahe, dass manche Stiftung gut beraten wäre, anstatt der manch-mal schon fast zwanghaften Forderung nach dem ewig Neuen Bewährtes und Liegengeblie-benes weiter zu fördern. Das Abfallprodukt des Innovationszwanges ist nämlich eine im-mer grösser werdende Halde anschubfinan-zierter Projekte und Initiativen. Vieles darun-

ter ist gut, nur: nicht mehr neu. Aber muss es das denn immer sein? Diese Fragen sollten sich Stiftungen vermehrt stellen. Sind sie nämlich nicht in der Lage, die oben erwähnten Bedin-gungen für wirkliche Innovationsförderung zu erfüllen, stünde es ihnen gut an, nach-haltig und hartnäckig die besten und nicht

immer die neusten Umsetzungen für ihren Stiftungszweck zu suchen. Christian Meyn, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Auridis GmbH, hat dies anlässlich der Präsentation seiner Förderstrategie am Schweizer Stiftungs-symposium 2013 in Basel auf den Punkt ge-bracht: «Es muss nicht immer innovativ sein. Es reicht, wenn es gut ist.»

Beate EckhardtBeate Eckhardt ist Geschäftsführerin von SwissFound-ations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen.

— WAS HEUTE

INNOVATIV IST, KANN MORGEN

BEREITS ÜBERHOLT SEIN.

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WIE NACHHALTIG IST DIE KULTURFÖRDERUNG

DER ZUKUNFT?Wenn wir über die Zukunft sprechen und wie wir in der Gegenwart handeln sollen, kommen wir nicht um sie herum: die Nachhaltigkeit. In ökologischen und ökonomischen Bereichen wurde in den letzten Jahren unter diesem Begriff ein zweifellos wertvolles Verständnis für langfristige Zusammenhänge entwickelt. Wir interessieren uns heute dafür, dass fahr-lässiger Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen unsere Lebensgrundlage zerstört. Wir bewerten zum Beispiel Bauvorhaben nach ihrer Nachhaltigkeit und erwarten von Inves-toren, dass sie ökologische und soziale Fak-toren respektieren. Sympathisch konkret ist der Soziologe Harald Welzer, der in seinem «Handbuch für eine enkeltaugliche Zukunft»1 gleich eine Sammlung von Beispielen gibt, wie heute schon Menschen erfolgreich wirtschaf-ten und dabei die Bedürfnisse kommender Generationen höher gewichten als die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung.

Darunter sind viele inspirierende Ge-schichten, die deutlich machen, dass es beim nachhaltigen Handeln nicht nur um Normen geht, sondern eben: um gute Geschichten und Vorbilder. Aber sind dies die richtigen Vorbilder für Kulturschaffende und -förde-rer? Soll auch Kultur immer «enkeltauglich» sein? Auch in die Kultur werden private und staatliche Gelder investiert, gerne wird dabei von einer Investition in die Gesellschaft, in die Zukunft, in das kreative Kapital oder in den Standort gesprochen. Die Aussicht auf eine Nachhaltigkeit dieser Investition ist verführe-risch – der Begriff verspricht Dauerhaftigkeit und ein stabiles Gleichgewicht des Systems. Nachhaltigkeit in diesem herkömmlichen Sinn hat aber einen faden Beigeschmack: den des Konservatismus.

Natürlich muss Kultur nicht immer enkel-tauglich sein. Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren ist nur ein (wenn auch teurer) Teil der Aufgaben, die kulturelle Akteure erfül-len, und damit allein ist es nicht getan. Die Gesundheit unseres kulturellen Systems hat mehr mit Wandlungsfähigkeit und Relevanz als mit Permanenz zu tun. Danach sollte sich das Verständnis nachhaltiger Kulturförderung richten. Wenn wir den Konservatismus aus der Nachhaltigkeit streichen, was bleibt übrig? Ei-nen konkreten Vorschlag hat WolfBrown Con-sulting 2011 in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel «Is Sustainability Sustainable?»2 ver-öffentlicht. Sie definieren die Nachhaltigkeit von arts organizations in drei Dimensionen: community relevance, artistic vibrancy und (die-sen untergeordnet) capitalization. In diesen Dimensionen sind die Faktoren für den Erfolg kultureller Unternehmungen zu suchen.

Gehen wir einen Schritt zurück und be-trachten den Kontext der Kulturförderung. In welchem Verhältnis steht das private En-gagement zum staatlichen, und welche Rolle übernimmt der NPO-Sektor, die Non-Profit-Organisationen? Unsere pluralistische Demo-kratie umfasst eine Vielzahl von Lebensfor-men, Sprachen und kulturellen Traditionen. Den einen Gemeinwillen, den die demokrati-sche Gesellschaftsordnung repräsentieren soll, gibt es nicht, sie kann lediglich die Pluralität verwalten und dabei vermeiden, zu stark Po-sition zu beziehen. Staatliche Kulturförderer sind deshalb gespalten in ihrer Rolle, selbst produktive Akteure der Kultur zu sein und gleichzeitig die Vielfalt der partikulären Wil-len gerecht zu beaufsichtigen.3 Gerade private Kulturförderer müssen es also wagen, sich mit den Minderheiten und den (möglicherweise

ERINNERN UND VERGESSEN

ZUR HALBWERTSZEIT DIGITALER KUNST

Für die Generation der Digital Natives ist ein Leben ohne Internet eine unmögliche Vor-stellung. Für sie war das globale Netzwerk schon immer da und ist zugleich prägend für ihre sozialen Interaktionen. Heute ist nahezu jeder mit Smartphone und Tablet-Computer ausgestattet, und die mobile Technologie er-möglicht es, dass wir jederzeit online sind und unsere digitalen Spuren im Netz auf Schritt und Tritt hinterlassen. Bewegungsdaten, Fa-cebook-Einträge – jede Aktivität ist unweiger-lich im globalen Netzwerk gespeichert, und auch so mancher kleine Fauxpas kann sich zum Problem auswachsen, wenn er sich nicht mehr tilgen lässt und auf ewig abrufbar bleibt. Bei all der Vernetzung stellt sich im Zeitalter von PRISM und den bekannt gewordenen staatlichen Übergriffen auf persönliche Da-ten immer zentraler die Frage des öffentlichen Zugriffs auf die digitale «Cloud» und die in ihr gespeicherten Informationen.

Dem digitalen Speicherwahn und der täg-lich wachsenden Datenflut steht im Bereich der digitalen Kultur dagegen das unaufhalt-same Vergessen gegenüber. Unser digitales Zeitalter ist geprägt von der Schnelllebigkeit von Technologien und der rasanten Weiter-entwicklung von Hardware und Software. Neue Geräte erscheinen in immer kürzeren Abständen auf dem Markt. Im Jahresrhythmus werden Smartphones und Betriebssysteme vorgestellt, die ihre Vorgänger an Funktiona-lität übertreffen, besser und schneller sind. Eine zehn Jahre alte Diskette hat da schon eine nahezu steinzeitliche Anmutung.

Zeitgenössische Medienkunst spürte schon immer den Veränderungen des technologi-schen Wandels nach und zeigte die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verände-rungen auf. Von der frühen Computergrafik der Sechzigerjahre bis hin zur Netzkunst der Neunzigerjahre, von Softwarekunst bis

Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit expo-nentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit.

Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, ist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir eine neue Software installiert, will sie aktu-alisiert werden. Kaum hat sich computerba-sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler als Shootingstar gefeiert, verschwindet er schon démodé in der Ver-senkung. Kaum hat das Stadtbuch ein Thema als ultraaktuell aufgegriffen, gerinnt es schon zwischen den Buchdeckeln zu Ge-schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es vom Buchhandel remit-tiert und verschwindet in der anonymen Backlist. Das ist die Kehrseite der «Diktatur der Innovation», der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech-nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als Motoren der Innovation, steigen jedem neuen

Trend nach und hinterlassen mit ihrem Inno-vationszwang einen Berg von halbfinanzierten Projekten und Initiativen.

Wir haben uns im vergangenen Jahr in der Abteilung Kultur zu mehreren internen Workshops zum Thema Innovation getroffen, denn schliesslich muss eine Stiftung wie die

Christoph Merian Stif-tung «open-minded» sein und an vorderster Front Neues fördern. Mit dieser Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen und bei meinen jüngeren Kolleginnen und Kolle-gen auf unerwartete und vehemente Opposition gestossen. Als Historiker, der dem Vergangenen und Vergehenden nähersteht

als der Extrapolierung in die Zukunft, fand ich mich als Apostel der Innovation plötzlich auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht sei krankhaft und bedeute einen unendlichen und unnötigen Druck. Die Anbetung des «Neuen» führe zu einer perversen Missach-tung des Gewachsenen, des Erreichten, des

Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart.

Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbe-reitschaft nicht eine innere Abschottung ge-gen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovati-onsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome?

Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kolle-gen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Inno-vationsdruck verursacht, indem er das Nach-denken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend not-wendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, he-rauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über

die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthe-ma «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und disku-tieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austausch-programm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Küns-ten. Die Illustrationen stammen von den wel-schen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen.

Beat von Wartburg

HALBWERTSZEITSCHWERPUNKT

hin zu interaktiven Installationen wird das Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Medien ausgelotet. Die Nutzung aktuellster Technologien führt zu immer kürzeren Halb-wertszeiten der digitalen und elektronischen Kunst.

Datenträger haben eine sehr begrenzte Le-bensdauer. Die technischen Komponenten ei-nes Werkes sind heute schnell veraltet, die Ge-räte selbst oft nicht mehr zu beschaffen. Ist das Material noch auf alten Datenträgern erhalten, so lässt es sich meist nicht mehr abspielen, da die Abspielgeräte nicht mehr funktionieren. So mancher Restaurator für Medienkunst ist dann schon mal auf Ebay aktiv, um obsolete Technik für alte Werke zu erstehen und wie-der in Betrieb zu nehmen. Hier braucht es Know-how und Expertenwissen, um diese Kunst vor dem endgültigen Verfall zu retten und historische Werke und Meilensteine der kulturhistorischen Entwicklung auch für die Zukunft zu bewahren.

Was also tun, um Werke der computer-basierten Kunst funktionstüchtig zu halten oder vor dem digitalen Verfall zu schützen? Museen und Kulturinstitutionen mit Samm-lungen digitaler und elektronischer Kunst setzen sich seit Jahren für den Fortbestand medialer Kunstformen und die Sicherung die-ser Werke ein. Die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Medienkunst führt dazu, dass individuell für jedes Werk eine passende Stra-tegie für den Erhalt gesucht werden muss. Bei den Videoinstallationen von Nam June Paik spielt der Röhrenmonitor eine zentrale Rolle, und so wird hier vor allem auf den Erhalt der Hardware gesetzt, auch wenn dies zeitlich nur begrenzt möglich ist. Pionierarbeiten der frü-hen Computerkunst stellen wiederum andere Herausforderungen an den Erhalt. Oftmals wird hier mit dem Prinzip der Emulation ge-arbeitet. Das bedeutet die Verwendung neuer Software, die versucht, den «Look and Feel» alter Programme zu erzeugen, um beispiels-weise den Bildaufbau einer Website bewusst

zu verlangsamen und damit die Ästhetik einer früheren Zeit zu reproduzieren. Die Migrati-on von Daten auf neue Betriebssysteme und aktuelle Software ist eine weitere Methode, und manchmal bleibt nur die Dokumenta-tion oder Re-Interpretation eines Werkes als Alternative.

Auch das Haus für elektronische Künste Basel (HeK) engagiert sich mit einer eigenen Sammlung für den Erhalt elektronischer und digitaler Kunst. Im Rahmen des trinationa-len Forschungs- und Restaurierungsprojekts «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» wurde zusammen mit Partnern aus Frankreich und Deutschland über drei Jahre an diesen zentralen Fragestellungen ge-arbeitet. Als Fallstudie wurde vonseiten des HeK das netzbasierte Projekt «TV Bot 2.0» des Schweizer Künstlers Marc Lee angekauft und behandelt. «TV Bot 2.0» von 2010 beruht auf einem von Lee entwickelten Programm, welches im Internet Bild-, Video-, Audio- und Textdaten zusammenträgt, die nicht älter als eine Stunde sind. Aus diesen Materialien aus unterschiedlichsten Kontexten wird live im In-ternet eine Nachrichtensendung generiert. Die Zugänglichkeit im globalen Netz ist ein in-härenter und wesentlicher Aspekt der Arbeit. Schon innerhalb weniger Jahre gab es starke Software-Veränderungen, die die ästhetische Anmutung und Funktionalität der Arbeit ver-ändert haben. Gemeinsam mit dem Künstler wurde am HeK eine Strategie zum Erhalt der ursprünglichen Intention und Ästhetik der Arbeit entwickelt.

Das Sammeln von digitaler Kunst stellt Kuratoren und Konservatoren vor neue Auf-gaben. Neben den genauen Informationen zu den technischen Komponenten einer Arbeit ist die Dokumentation der künstlerischen Idee und Wirkungsabsicht ein zentraler As-pekt, der aufgearbeitet werden muss. Nur so lässt sich später eine Funktionalität im Sinne des ursprünglichen künstlerischen Anliegens sicherstellen, die es den Kuratoren und Kon-

Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk

© Plonk & Replonk

Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit Bildern, Typografien und Prozentzahlen

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Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk

Diplomierter Abstempler, während eines Weiter bildungskurses dem frontalen Angriff einer

automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk

Lesemeerschweinchen © Plonk & Replonk

servatoren erlaubt, im Zweifelsfall eine Re-Interpretation eines Werks vorzunehmen. Die Herausforderungen sind gross, und es braucht übergreifende Strategien und Konzepte für den Austausch von Wissen und Information. «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» war eines dieser internationalen Projekte, die den fachlichen Diskurs beför-dert haben und gemeinsam Wege aus dem Dilemma des digitalen Verfalls und Vergessens weisen.

Sabine HimmelsbachSabine Himmelsbach ist Leiterin des Hauses für elektronische Künste Basel

a Hervé Graumann, Raoul Pictor cherche son style …,1993 – 1997Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

g Nam June Paik, Internet Dream, 1994 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

ÜBER DIE VERGÄNGLICHKEIT

EIN ESSAY

Wie schnell doch alles entschwindet! In der Welt die Menschen selbst, im Lauf der Zeit ihr Gedächtnis!

Marc Aurel

Seit dem Menschen bewusst ist, dass sein Da-sein ein endliches ist, befasst er sich in den mannigfaltigsten Formen quer durch die Ge-schichte mit dem Thema der Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis und die Auflehnung dage-gen liessen nicht nur Totenkulte entstehen, sondern auch Vorstellungen eines wie immer gearteten Jenseits, Religionen und philosophi-sche Schulen. Ihr verdanken wir grossartige Kunstwerke weit über die Memento-mori-Bildwelt mit ihren Stillleben hinaus, ganze Bibliotheken und reiche Symbolwelten, die ein Lexikon füllen würden. Erwähnt sei hier, beispielhaft, das Grabmal der Maria Magda-lena Langhans in der reformierten Kirche Hindelbank, 1751 von Johann August Nahl geschaffen. Die junge Frau starb bei der Ge-burt ihres Sohnes, der ihr bald nachfolgen soll-te. Durch die aufbrechende Grabplatte sieht man Mutter und Kind, die ihren Blick nach oben richten, eine eigentliche Auferstehungs-szene. Und ebenfalls beispielhaft: Einer der eindrücklichsten unter den Vergänglichkeits-texten findet sich im Alten Testament im Buch Kohelet, beginnend mit den Worten: «Nich-tig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» (Prediger 1,2), was bei Andreas Gryphius in seinem berühmten Vanitas-vanitatum-Gedicht wie folgt klingt:

Ich seh’ wohin ich seh nur Eitelkeit auff ErdenWas dieser heute bawt reist jener morgen ein Wo jtzt die Städte stehn so herrlich hoch vnd feinDa wird in kurtzem gehn ein Hirt mit

seinen Herden: […]

Als Schlüsseltext zum Thema Vergäng-lichkeit kann auch die Geschichte von Adam und Eva gelesen werden: Durch den Genuss des Apfels vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben, werden sie sich ih-rer begrenzten Lebensspanne bewusst; eine Erfahrung um die eigene Endlichkeit, die jeder Mensch einmal – mehr oder weniger schmerzlich – machen muss. Der Möglich-keiten, wie wir damit umgehen, sind viele, und sie prägen oft mit, wie wir zu unserem Leben stehen und wie wir es gestalten. Werden wir zu habgierigen Raffern, zu Hedonisten im heutigen Sinn des Begriffs, verfallen wir in Trauer und Depressionen oder entwickeln wir einen gewissen Gleichmut, der sowohl die fröhlichen Melodien als auch die Basssaiten des Lebens kennt?

Unsere Gesellschaft hat verschiedene Stra-tegien entwickelt, wie mit Vergänglichkeit um-gegangen werden kann. Eine davon besteht im Sammeln und Horten, dem verzweifelten (und letztlich vergeblichen) Versuch, Dinge, Objek-te vor dem Zerfall und Vergehen zu bewahren. Davon zeugen unzählige Museen mit ihren oft schon jetzt aus allen Nähten platzenden Depots. Wer in den letzten Monaten durch die Klus bei Angenstein fuhr, dem bot sich hoch über der Birs ein starkes und zunächst irritierendes Bild, das beispielhaft von diesem

LOB DES ZERFALLS

Der Fortschritt ist ein schielender Engel. Ein geflügeltes Wesen mit lockigem Haar und bemerkenswert kleinen Füssen, aber auch mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ein bleiches Geschöpf, dessen Flügel so weit aufgespannt sind, dass sich in ihnen die Paradieseswinde verfangen, die es unablässig in die Zukunft wehen lassen. So zumindest hat Walter Benjamin in seiner berühmten neunten geschichtsphilosophischen These eine Zeichnung von Paul Klee interpretiert

und damit die ganze Ambivalenz umrissen, mit der uns die Ausläufer der Moderne noch immer umfangen, das lächelnd fletschende Faszinosum tremendum unserer zerrissenen Conditio postpostpost. Während wir dabei aus unsrer kleinen Gegenwart eine Kette von Begebenheiten dicht hinter und dicht vor uns erblicken, die einen logischen Sinn zu ergeben scheinen, sieht Benjamins melancholischer Engel der Geschichte das Werden und Verge-hen all unsrer Errungenschaften buchstäblich

in Windeseile vor sich auf- und wieder nieder-steigen; erschrocken über den steten Zerfall, möchte er die Trümmer wieder zusammenfü-gen, doch der Sturm treibt ihn endlos weiter.

Die Winde des Fortschritts sind seit Er-scheinen von Benjamins Text 1928 bestimmt nicht milder und verdaulicher geworden, viel-mehr haben sie sich im Zuge globalisierter Produktionsprozesse in einen Pesthauch des ewig Neuen verwandelt. Mit den sekündlich auf den Markt poppenden Erzeugnissen der

Warenindustrie wird unsere durchschnittli-che Adrenalinausschüttung dabei so sehr im Fluss gehalten, dass unsere Aufmerksamkeit der Gegenwart immer schon hinterherhin-ken muss. Es ist kein Geheimnis, dass uns die Dinge und Informationen seit langer Zeit in gespenstischer Weise auf allen Kanälen be-drängen, und bis wir jeweils herausgefunden haben, ob es sich bei dem jeweiligen neusten Wunderwerk nun um billigen Trash oder um wertvolle Inputs handelt, ist die Produktion

Drang des Bewahrens spricht: Auf einem Fels-sporn des Blauen steht die Ruine Pfeffingen, eingerüstet, ein Baukran streckt seinen Ausle-ger in den Himmel. Mag das Unterfangen, die Ruine zu erhalten, durchaus zu begrüssen sein, so löst es doch auch Bedenken aus, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Reste der Burg im 18. Jahrhundert als Steinbruch versteigert wurden: andere Zeiten, andere Sitten …

Eine weitere Strategie, der Vergänglich-keit zu trotzen, findet sich in verschiedenen Textformen, in Briefen und Rödeln, in Do-kumenten, Verträgen, Büchern, Chroniken, gesammelt in Archiven und Bibliotheken. Das Sammeln und Bewahren ist das eine, das ande-re das Zugänglichmachen: Ohne Transkriptio-nen, ohne Übersetzungen (ein Lob all denen, die das Erlernen des Lateinischen nach wie vor sinnvoll finden!) und ohne sich immer wieder durch die Seiten mühende Leserschaft gäben uns die Texte früher oder später die gleichen Rätsel auf wie die etruskische Sprache.

Chroniken spielen auch für die Basler Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle. Die wohl einer breiteren Öffentlichkeit bekann-teste ist das Werk von Christian Wurstisen, 1580 bei Sebastian Henricpetri erschienen: ein Genuss, darin zu lesen! Weniger bekannt, aber für die Stadtgeschichte eine grossartige Fundgrube sind die Basler Chroniken, deren erster Band 1872 und deren bisher letzter, der zwölfte, 2009 erschien. Eine Jahreschronik war auch lange Zeit Bestandteil der gedruckten Ausgabe des Basler Stadtbuchs – das dieser Tage zum 134. Mal erschienen ist. Seit 2011 ist dieser Chronikteil in digitaler Form zugäng-lich (www.baslerchronik.ch). Wenn die digi-talisierte Chronik auch nach wie vor versucht, das Wissen über Ereignisse der Nachwelt zu erhalten, so ist sie doch gleichzeitig von einer neuen und beschleunigten Art der Vergäng-lichkeit bedroht.

Dabei haben technische Erfindungen im-mer wieder gesammeltes Wissen in Buchform bedroht, so zum Beispiel die Entwicklung des

Holzschliffverfahrens in der Papierherstel-lung. Die Papiere waren zwar billiger, jedoch auf Kosten der Haltbarkeit, was dazu führ-te, dass ganze Bibliotheken in aufwendigen Verfahren vor dem Zerfall geschützt werden müssen. Bei den digitalen Daten droht nun eine andere Gefahr: Die aktuell verwendeten Datenträger haben eine vergleichsweise kurze Lebensdauer, ebenso die entsprechenden Lese-geräte. Daten müssen deshalb in immer kürze-ren Zeitabständen auf neue Träger überspielt werden. Doch wer entscheidet, was würdig ist, in die Zukunft gerettet zu werden, und was verschwindet endgültig aus dem Gedächtnis der Menschheit?

Nehmen wir’s mit einer gewissen Gelas-senheit und schliessen wir mit Arno Holz’ «Geisterduo»:

Der Zeitgeist brennt wie trocknes StrohUnd singt: «In dulci jubilo!»Der Weltgeist brummt dazu im Baß:«O vanitatum vanitas!»

Lukas HartmannLukas Hartmann ist Gestalter, Dozent und Redaktor des Basler Stadtbuchs.

bereits wieder eingestellt worden. Der Philo-soph und Medientheoretiker Boris Groys hat diese Zusammenhänge in seiner Abhandlung «Über das Neue» (1992) noch entspannt und nur mit einem ganz sanften zynischen Un-terton beschrieben, wenn er in einer typisch postmodernen Wendung behauptete, dass das von der Industrie so fetischisierte Neue eigentlich nur das recyclierte Alte sei; denn die Kategorie des Neuen komme, so Groys, erst in der Moderne mit der Entstehung der grossen Archive und Sammlungen auf: Erst seit man über eine allgemeinere Übersicht fein säuberlich etikettierter Objekte und Gedan-ken verfügt, lassen sich Vergleiche zwischen alten und neuen Dingen ziehen – und dabei, so Groys, lassen sich auch im Archiv gelagerte Ideen wieder hervorholen, neu aufbereiten und als Scoop verkaufen, während der letzte Schrei auf der anderen Seite des Produktions-rades gerade dabei ist, wieder in die Tiefen des kulturellen Fundus zu sinken.

Boris Groys versteht den Fortschritt also, ähnlich wie Walter Benjamin, als einen stets sich weitertreibenden Prozess von Werden und Vergehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es uns in all der trommelnden Neu-heitsakupunktur tatsächlich jemals gelingt, dem Vergehen der Dinge auch nur ein Nano-Mü an Aufmerksamkeit und Hirnschmalz zu widmen? Wann haben wir uns in der Raserei der brennenden Alltagsgeschäfte je die Zeit genommen, uns mit der Würde des Zerfal-lens zu beschäftigen? Und wissen die Objekte überhaupt, wie sie schad- und lautlos in die (endgültige oder vorgelagerte) Hölle der Un-Dinge verschwinden können, sind sie des Zer-rinnens überhaupt fähig? Der amerikanische Fotograf und Filmemacher David LaChapelle

greift diese Fragen in seinen farbenprächtigen Vanitas-Bildern in pointiert ironischer Weise auf, wenn sich unter seinen üppigen, majestä-tisch welkenden Blumensträussen nach dem Vorbild niederländischer Stillleben frisch und unvergänglich zerknautschte PET-Flaschen, glänzende Plastikprothesen und ewig verbun-dene Mobiltelefone recken. Vielleicht besteht die eigentliche Dekadenz unseres Zeitalters ja gerade darin, dass wir nicht mehr ordentlich zerfallen können. Vielleicht würden wir uns weniger ausgepresst fühlen, wenn wir uns pa-rallel zu all den Neuheitshuldigungen ganz still und unauffällig auch dem natürlichen Erschöpfungsprozess aller organischen und anorganischen Materie hingeben könnten. Es mag vielleicht etwas unbescheiden klin-gen, aber im Kern ist es eigentlich genau das, was das Internationale Austauschprogramm iaab mit seinen Auslandstipendien anstrebt: den Prozessen von Entstehen und Vergehen, Ankommen und Dasein Raum zu geben, das Leben zu entschleunigen und den Kunstschaf-fenden eine Auszeit aus der Hektik des ufer-losen Produktions- und Broterwerbszwangs zu ermöglichen.

Alexandra Stäheli

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zukunftsweisenden) Randerscheinungen zu befassen. Als Vertreter eines dritten Sektors, die ihre Rolle zwischen Staat, Gesellschaft und Markt ständig neu verhandeln müssen, stehen NPOs besonders in der Pflicht. NPOs müssen Instrumente entwickeln, mit denen sie gesell-schaftlich relevante Erscheinungen erfassen und gezielt darauf reagieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Geldverwaltern werden, die sich selbst mit bürokratischen Prozessen und formalen Argumentationen lähmen.

Es gibt in der Kulturförderung einen zent-ralen Unterschied zur Ökologie: Kreativität ist keine knappe Ressource. Private und Förderer in NPOs sollten sich für die Sache der Kultur mutig, partikulär und verschwenderisch (statt vorsichtig, gerecht und sparsam) einsetzen, um

die Gesellschaft im Rahmen einer Kultur der Demokratie mitzugestalten. Paradoxerweise bedeutet gerade dies die wahre nachhaltige Kulturförderung.

Christoph Meneghetti

1 Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der Futur-zwei Zukunftsalmanach 2013, Frankfurt 2012.

2 Alan Brown, Joseph Kluger et al.: Is Sustainability Sustainable?, Sounding Board Vol. 30, 2011 (http://wolfbrown.com/insights/41-sounding-board/348-is-sustainability-sustainable)

3 Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Demokratie, in: Public Affairs. Von Beuys bis Zittel: Das Öffentliche in der Kunst, Kunsthaus Zürich (Katalog) 2002 (http://www.publicaffairs.ch/groys_boris.html)

GERANGEL IN REGAL UND INTERNET

ODER: DER WANDEL IM BUCHHANDEL

55 Thesen zur Entwicklung des Buchhandels und der Verlage bis 2025 hat der Börsenver-ein – der Verband der deutschen Verleger und Buchhändler – 2011 aufgestellt. Die The-sen sorgten seinerzeit für grosse Aufregung in der Branche. Mittlerweile weiss man: Die Veränderungen werden noch viel schneller und drastischer kommen als vorhergesagt. Der Grundsatz bleibt derselbe, die beiden Kernaussagen werden sich wohl einfach noch rascher und drastischer bewahrheiten: 1) Der Buchhandel verliert über einen Drittel seiner Verkaufsfläche, sei es durch Schliessung gan-zer Geschäfte oder Umnutzung vorhandener Flächen für andere Waren. 2) Der Verkaufsweg Internet wird stark an Bedeutung zunehmen, mit ihm der Anteil der E-Books, die allerdings das gedruckte Buch nicht verdrängen, jedoch einen Anteil von bis zu dreissig Prozent des Buchmarkts einnehmen werden.

Was bedeutet das für uns Verleger? Noch immer erscheinen jedes Jahr über 90 000 neue deutschsprachige Bücher. Diese Novitäten konkurrieren mit immer weniger Platz in den Regalen der verbliebenen Buchhandlungen. Längst gibt es in den grossen Geschäften ne-ben Druckerzeugnissen Papeterie-, Geschenk-artikel und allerlei Wellness-Schnickschnack (von der Duftkerze über den Badezusatz bis zum Zimmerspringbrunnen) zu kaufen, und die Kinderbuchabteilung ähnelt oft einem Spielzeugladen. Den Buchhändlern darf man deswegen keinen Vorwurf machen: Vie-le kämpfen ums Überleben und müssen auf die veränderten Kaufgewohnheiten der Kon-sumenten reagieren. Fraglich ist aber, ob ein solcher «Gemischtwarenladen» für buchaffine Menschen auf Dauer ein attraktiver Ort zum Bücherkaufen bleibt. Ich fürchte eher nein.

Selbst wenn die vielen Neuerscheinungen die begehrten Plätze in den Regalen und auf den Tischen der Buchhandlungen einnehmen (wo-bei die Stapel direkt bei den Eingängen gerade von Buchhandlungsketten oft von Grossver-lagen mit dem Ziel gekauft werden, populäre Mainstream-Titel noch begehrenswerter er-scheinen zu lassen − man nennt das «Werbe-kostenzuschuss» an die Buchhändler), müssen sich auch diese möglichst rasch verkaufen und am besten täglich in der Verlagsauslieferung nachgeordert werden. Wenn das Warenwirt-

schaftssystem aber meldet, dass ein Titel einige Tage nicht verkauft worden ist, fliegt das Buch aus dem Sortiment oder schafft es bestenfalls noch, als Einzeltitel im Regal eingereiht zu werden. Denn: Jede Woche erscheinen wei-tere Publikationen aus diversen Verlagen, die eben auch in die Regale und auf die Tische drängen. Die Halbwertszeit der Aufmerksam-keit für Neuerscheinungen ist somit oft er-nüchternd kurz. So kann es etwa vorkommen, dass der Katalog einer aktuellen Ausstellung

in einem Basler Museum von der örtlichen Buchhandlung bereits drei bis vier Wochen nach Eröffnung remittiert, d.h. zurück an die Verlagsauslieferung geschickt wird und die Buchhandlung dafür eine Gutschrift erhält.

Das immer wichtiger werdende Online-Geschäft von «echten» Büchern und von E-Books stellt uns als kleinen Schweizer Verlag vor vielfältige Herausforderungen: Das Ge-schäft diktieren wenige grosse, oft internatio-nal agierende Anbieter, die die Konditionen bestimmen, wenn man in den Datenbanken dieser Händler vorkommen will. Der weitaus grösste Online-Buchhändler der Schweiz ist amazon.de. Amazon nutzt seit einiger Zeit den Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz dazu, den Schweizer Kunden die Bücher mit mindestens 20 Prozent Rabatt vom eh schon günstigeren Euro-Preis porto-frei nach Hause zu schicken. Mit der Kosten-struktur von Amazon kann kein Schweizer Buchhändler mithalten. Was das allerdings für die Angestellten bei Amazon bedeutet – näm-lich katastrophale Arbeitsbedingungen und ein unmenschlicher Umgang mit den Mitar-beitenden –, hat ein kontrovers diskutierter ARD-Dokumentarfilm letztes Jahr gezeigt. Beim E-Book dominiert Amazon mit ihren Kindle-Geräten und dem Kindle-Shop seit Jahren ebenfalls den Markt. Es bleibt abzu-warten, ob die gemeinsamen Anstrengungen der Buchhändlerbranche im E-Book-Geschäft (mit den Tolino-Geräten und in der Schweiz auch mit dem E-Book-Angebot des Buchzen-trums Olten) Erfolg haben werden und dem übermächtigen Konkurrenten Amazon die Stirn bieten können.

Und was unternehmen wir als Christoph Merian Verlag, um auf diese Verwerfungen der

Branche im digitalen Zeitalter zu reagieren? Wir wollen einerseits den verbleibenden, enga-gierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern den Rücken stärken und sie bei Veranstaltun-gen, Lesungen etc. unterstützen, damit die Buchhandlung ein Ort der Begegnung und der Buchkompetenz bleibt. «Buy local»-Ini-tiativen etwa, wie sie auch von Basler Buch-handlungen angestossen wurden, sind absolut unterstützenswert. Gleichzeitig werden wir, wenn immer sinnvoll, auch elektronische Ver-sionen unserer Publikationen erstellen, so wie unsere Hörbücher schon seit mehreren Jahren auch per Download erhältlich sind. Darüber hinaus hat die Christoph Merian Stiftung viel in einen neuen Internetauftritt des Verlags investiert, der demnächst online gehen wird, und wir haben die Lieferbedingungen für Di-rektbestellung über unsere Website attraktiver gestaltet, damit eine Bestellung «ab Erzeuger» für unsere Kundinnen und Kunden interes-sant bleibt. Auf www.merianverlag.ch kann man in Bücher reinlesen, Hörbücher probe-hören, E-Books und Hörbücher downloaden und sich über Veranstaltungen informieren.

Das Verlegersein im 21. Jahrhundert ist spannend, herausfordernd und macht Spass: Wir sind Vermittler von Inhalten und The-men, wollen zu Diskussionen anregen und Geschichte lebendig werden lassen − egal in welcher Form: ob als Buch, Hörbuch, DVD, E-Book oder App. Das hat Zukunft!

Oliver Bolanz

— VIELLEICHT BESTEHT DIE EIGENTLICHE DEKADENZ

UNSERES ZEITALTERS JA GERADE DARIN, DASS

WIR NICHT MEHR ORDENTLICH ZERFALLEN

KÖNNEN.—

Abnahme der Menge mit Halbwertszeit

Zeit (T)

Menge

— WENN DAS WAREN­

WIRTSCHAFTSSYSTEM MELDET, DASS

EIN TITEL EINIGE TAGE NICHT VERKAUFT

WORDEN IST, FLIEGT DAS BUCH AUS DEM

SORTIMENT.—

DIE DIKTATUR DER INNOVATION

ODER: MORGEN IST DIE VERGANGENHEIT VON ÜBERMORGEN

Gemeinnützige Stiftungen haben gegenüber Staat und Wirtschaft einen entscheidenden Vorteil: Durch den rechtlich definierten Um-stand, dass Stiftungen ein selbstbestimmtes Zweckvermögen darstellen und sich quasi selbst gehören, sind sie, abgesehen von den Aufsichtsbehörden, niemandem Rechenschaft pflichtig. Dies gibt ihnen eine einzigartige Frei-heit. Abseits von Trends und Zeitgeist können sie das Unbequeme, das Neue, das Innovative fördern. Und sie nutzen ihre Freiheit. Kaum ein Förderkriterium kommt ohne den Ruf nach Pionierhaftem und Innovativem aus. Die Krux dabei ist aber, dass wirklich Neues nur von ganz wenigen gesehen wird, wie bereits Albert Einstein treffend vermerkt hat: «Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausge-schlossen erscheint.» Und damit ist der Mist noch lange nicht geführt. Ob sich eine Idee durchsetzt und sich der Ressourceneinsatz ge-lohnt hat, zeigt immer erst der Blick zurück. Dazwischen liegt ein langer Weg. Stiftungen, die sich der Innovationsförderung verschrie-ben haben, brauchen viel Sachverstand, einen langen Atem, eine grosse Unabhängigkeit im Denken und Entscheiden und eine enorm hohe Risikobereitschaft. Denn was heute in-novativ ist, kann morgen bereits überholt sein. Dies müssen Stiftungen und ihre Entschei-dungsträger aushalten.

Da liegt der Gedanke nahe, dass manche Stiftung gut beraten wäre, anstatt der manch-mal schon fast zwanghaften Forderung nach dem ewig Neuen Bewährtes und Liegengeblie-benes weiter zu fördern. Das Abfallprodukt des Innovationszwanges ist nämlich eine im-mer grösser werdende Halde anschubfinan-zierter Projekte und Initiativen. Vieles darun-

ter ist gut, nur: nicht mehr neu. Aber muss es das denn immer sein? Diese Fragen sollten sich Stiftungen vermehrt stellen. Sind sie nämlich nicht in der Lage, die oben erwähnten Bedin-gungen für wirkliche Innovationsförderung zu erfüllen, stünde es ihnen gut an, nach-haltig und hartnäckig die besten und nicht

immer die neusten Umsetzungen für ihren Stiftungszweck zu suchen. Christian Meyn, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Auridis GmbH, hat dies anlässlich der Präsentation seiner Förderstrategie am Schweizer Stiftungs-symposium 2013 in Basel auf den Punkt ge-bracht: «Es muss nicht immer innovativ sein. Es reicht, wenn es gut ist.»

Beate EckhardtBeate Eckhardt ist Geschäftsführerin von SwissFound-ations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen.

— WAS HEUTE

INNOVATIV IST, KANN MORGEN

BEREITS ÜBERHOLT SEIN.

WIE NACHHALTIG IST DIE KULTURFÖRDERUNG

DER ZUKUNFT?Wenn wir über die Zukunft sprechen und wie wir in der Gegenwart handeln sollen, kommen wir nicht um sie herum: die Nachhaltigkeit. In ökologischen und ökonomischen Bereichen wurde in den letzten Jahren unter diesem Begriff ein zweifellos wertvolles Verständnis für langfristige Zusammenhänge entwickelt. Wir interessieren uns heute dafür, dass fahr-lässiger Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen unsere Lebensgrundlage zerstört. Wir bewerten zum Beispiel Bauvorhaben nach ihrer Nachhaltigkeit und erwarten von Inves-toren, dass sie ökologische und soziale Fak-toren respektieren. Sympathisch konkret ist der Soziologe Harald Welzer, der in seinem «Handbuch für eine enkeltaugliche Zukunft»1 gleich eine Sammlung von Beispielen gibt, wie heute schon Menschen erfolgreich wirtschaf-ten und dabei die Bedürfnisse kommender Generationen höher gewichten als die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung.

Darunter sind viele inspirierende Ge-schichten, die deutlich machen, dass es beim nachhaltigen Handeln nicht nur um Normen geht, sondern eben: um gute Geschichten und Vorbilder. Aber sind dies die richtigen Vorbilder für Kulturschaffende und -förde-rer? Soll auch Kultur immer «enkeltauglich» sein? Auch in die Kultur werden private und staatliche Gelder investiert, gerne wird dabei von einer Investition in die Gesellschaft, in die Zukunft, in das kreative Kapital oder in den Standort gesprochen. Die Aussicht auf eine Nachhaltigkeit dieser Investition ist verführe-risch – der Begriff verspricht Dauerhaftigkeit und ein stabiles Gleichgewicht des Systems. Nachhaltigkeit in diesem herkömmlichen Sinn hat aber einen faden Beigeschmack: den des Konservatismus.

Natürlich muss Kultur nicht immer enkel-tauglich sein. Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren ist nur ein (wenn auch teurer) Teil der Aufgaben, die kulturelle Akteure erfül-len, und damit allein ist es nicht getan. Die Gesundheit unseres kulturellen Systems hat mehr mit Wandlungsfähigkeit und Relevanz als mit Permanenz zu tun. Danach sollte sich das Verständnis nachhaltiger Kulturförderung richten. Wenn wir den Konservatismus aus der Nachhaltigkeit streichen, was bleibt übrig? Ei-nen konkreten Vorschlag hat WolfBrown Con-sulting 2011 in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel «Is Sustainability Sustainable?»2 ver-öffentlicht. Sie definieren die Nachhaltigkeit von arts organizations in drei Dimensionen: community relevance, artistic vibrancy und (die-sen untergeordnet) capitalization. In diesen Dimensionen sind die Faktoren für den Erfolg kultureller Unternehmungen zu suchen.

Gehen wir einen Schritt zurück und be-trachten den Kontext der Kulturförderung. In welchem Verhältnis steht das private En-gagement zum staatlichen, und welche Rolle übernimmt der NPO-Sektor, die Non-Profit-Organisationen? Unsere pluralistische Demo-kratie umfasst eine Vielzahl von Lebensfor-men, Sprachen und kulturellen Traditionen. Den einen Gemeinwillen, den die demokrati-sche Gesellschaftsordnung repräsentieren soll, gibt es nicht, sie kann lediglich die Pluralität verwalten und dabei vermeiden, zu stark Po-sition zu beziehen. Staatliche Kulturförderer sind deshalb gespalten in ihrer Rolle, selbst produktive Akteure der Kultur zu sein und gleichzeitig die Vielfalt der partikulären Wil-len gerecht zu beaufsichtigen.3 Gerade private Kulturförderer müssen es also wagen, sich mit den Minderheiten und den (möglicherweise

ERINNERN UND VERGESSEN

ZUR HALBWERTSZEIT DIGITALER KUNST

Für die Generation der Digital Natives ist ein Leben ohne Internet eine unmögliche Vor-stellung. Für sie war das globale Netzwerk schon immer da und ist zugleich prägend für ihre sozialen Interaktionen. Heute ist nahezu jeder mit Smartphone und Tablet-Computer ausgestattet, und die mobile Technologie er-möglicht es, dass wir jederzeit online sind und unsere digitalen Spuren im Netz auf Schritt und Tritt hinterlassen. Bewegungsdaten, Fa-cebook-Einträge – jede Aktivität ist unweiger-lich im globalen Netzwerk gespeichert, und auch so mancher kleine Fauxpas kann sich zum Problem auswachsen, wenn er sich nicht mehr tilgen lässt und auf ewig abrufbar bleibt. Bei all der Vernetzung stellt sich im Zeitalter von PRISM und den bekannt gewordenen staatlichen Übergriffen auf persönliche Da-ten immer zentraler die Frage des öffentlichen Zugriffs auf die digitale «Cloud» und die in ihr gespeicherten Informationen.

Dem digitalen Speicherwahn und der täg-lich wachsenden Datenflut steht im Bereich der digitalen Kultur dagegen das unaufhalt-same Vergessen gegenüber. Unser digitales Zeitalter ist geprägt von der Schnelllebigkeit von Technologien und der rasanten Weiter-entwicklung von Hardware und Software. Neue Geräte erscheinen in immer kürzeren Abständen auf dem Markt. Im Jahresrhythmus werden Smartphones und Betriebssysteme vorgestellt, die ihre Vorgänger an Funktiona-lität übertreffen, besser und schneller sind. Eine zehn Jahre alte Diskette hat da schon eine nahezu steinzeitliche Anmutung.

Zeitgenössische Medienkunst spürte schon immer den Veränderungen des technologi-schen Wandels nach und zeigte die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verände-rungen auf. Von der frühen Computergrafik der Sechzigerjahre bis hin zur Netzkunst der Neunzigerjahre, von Softwarekunst bis

Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit expo-nentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit.

Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, ist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir eine neue Software installiert, will sie aktu-alisiert werden. Kaum hat sich computerba-sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler als Shootingstar gefeiert, verschwindet er schon démodé in der Ver-senkung. Kaum hat das Stadtbuch ein Thema als ultraaktuell aufgegriffen, gerinnt es schon zwischen den Buchdeckeln zu Ge-schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es vom Buchhandel remit-tiert und verschwindet in der anonymen Backlist. Das ist die Kehrseite der «Diktatur der Innovation», der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech-nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als Motoren der Innovation, steigen jedem neuen

Trend nach und hinterlassen mit ihrem Inno-vationszwang einen Berg von halbfinanzierten Projekten und Initiativen.

Wir haben uns im vergangenen Jahr in der Abteilung Kultur zu mehreren internen Workshops zum Thema Innovation getroffen, denn schliesslich muss eine Stiftung wie die

Christoph Merian Stif-tung «open-minded» sein und an vorderster Front Neues fördern. Mit dieser Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen und bei meinen jüngeren Kolleginnen und Kolle-gen auf unerwartete und vehemente Opposition gestossen. Als Historiker, der dem Vergangenen und Vergehenden nähersteht

als der Extrapolierung in die Zukunft, fand ich mich als Apostel der Innovation plötzlich auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht sei krankhaft und bedeute einen unendlichen und unnötigen Druck. Die Anbetung des «Neuen» führe zu einer perversen Missach-tung des Gewachsenen, des Erreichten, des

Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart.

Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbe-reitschaft nicht eine innere Abschottung ge-gen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovati-onsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome?

Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kolle-gen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Inno-vationsdruck verursacht, indem er das Nach-denken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend not-wendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, he-rauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über

die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthe-ma «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und disku-tieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austausch-programm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Küns-ten. Die Illustrationen stammen von den wel-schen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen.

Beat von Wartburg

HALBWERTSZEITSCHWERPUNKT

hin zu interaktiven Installationen wird das Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Medien ausgelotet. Die Nutzung aktuellster Technologien führt zu immer kürzeren Halb-wertszeiten der digitalen und elektronischen Kunst.

Datenträger haben eine sehr begrenzte Le-bensdauer. Die technischen Komponenten ei-nes Werkes sind heute schnell veraltet, die Ge-räte selbst oft nicht mehr zu beschaffen. Ist das Material noch auf alten Datenträgern erhalten, so lässt es sich meist nicht mehr abspielen, da die Abspielgeräte nicht mehr funktionieren. So mancher Restaurator für Medienkunst ist dann schon mal auf Ebay aktiv, um obsolete Technik für alte Werke zu erstehen und wie-der in Betrieb zu nehmen. Hier braucht es Know-how und Expertenwissen, um diese Kunst vor dem endgültigen Verfall zu retten und historische Werke und Meilensteine der kulturhistorischen Entwicklung auch für die Zukunft zu bewahren.

Was also tun, um Werke der computer-basierten Kunst funktionstüchtig zu halten oder vor dem digitalen Verfall zu schützen? Museen und Kulturinstitutionen mit Samm-lungen digitaler und elektronischer Kunst setzen sich seit Jahren für den Fortbestand medialer Kunstformen und die Sicherung die-ser Werke ein. Die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Medienkunst führt dazu, dass individuell für jedes Werk eine passende Stra-tegie für den Erhalt gesucht werden muss. Bei den Videoinstallationen von Nam June Paik spielt der Röhrenmonitor eine zentrale Rolle, und so wird hier vor allem auf den Erhalt der Hardware gesetzt, auch wenn dies zeitlich nur begrenzt möglich ist. Pionierarbeiten der frü-hen Computerkunst stellen wiederum andere Herausforderungen an den Erhalt. Oftmals wird hier mit dem Prinzip der Emulation ge-arbeitet. Das bedeutet die Verwendung neuer Software, die versucht, den «Look and Feel» alter Programme zu erzeugen, um beispiels-weise den Bildaufbau einer Website bewusst

zu verlangsamen und damit die Ästhetik einer früheren Zeit zu reproduzieren. Die Migrati-on von Daten auf neue Betriebssysteme und aktuelle Software ist eine weitere Methode, und manchmal bleibt nur die Dokumenta-tion oder Re-Interpretation eines Werkes als Alternative.

Auch das Haus für elektronische Künste Basel (HeK) engagiert sich mit einer eigenen Sammlung für den Erhalt elektronischer und digitaler Kunst. Im Rahmen des trinationa-len Forschungs- und Restaurierungsprojekts «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» wurde zusammen mit Partnern aus Frankreich und Deutschland über drei Jahre an diesen zentralen Fragestellungen ge-arbeitet. Als Fallstudie wurde vonseiten des HeK das netzbasierte Projekt «TV Bot 2.0» des Schweizer Künstlers Marc Lee angekauft und behandelt. «TV Bot 2.0» von 2010 beruht auf einem von Lee entwickelten Programm, welches im Internet Bild-, Video-, Audio- und Textdaten zusammenträgt, die nicht älter als eine Stunde sind. Aus diesen Materialien aus unterschiedlichsten Kontexten wird live im In-ternet eine Nachrichtensendung generiert. Die Zugänglichkeit im globalen Netz ist ein in-härenter und wesentlicher Aspekt der Arbeit. Schon innerhalb weniger Jahre gab es starke Software-Veränderungen, die die ästhetische Anmutung und Funktionalität der Arbeit ver-ändert haben. Gemeinsam mit dem Künstler wurde am HeK eine Strategie zum Erhalt der ursprünglichen Intention und Ästhetik der Arbeit entwickelt.

Das Sammeln von digitaler Kunst stellt Kuratoren und Konservatoren vor neue Auf-gaben. Neben den genauen Informationen zu den technischen Komponenten einer Arbeit ist die Dokumentation der künstlerischen Idee und Wirkungsabsicht ein zentraler As-pekt, der aufgearbeitet werden muss. Nur so lässt sich später eine Funktionalität im Sinne des ursprünglichen künstlerischen Anliegens sicherstellen, die es den Kuratoren und Kon-

Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk

© Plonk & Replonk

Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit Bildern, Typografien und Prozentzahlen

© Plonk & Replonk

Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk

Diplomierter Abstempler, während eines Weiter bildungskurses dem frontalen Angriff einer

automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk

Lesemeerschweinchen © Plonk & Replonk

servatoren erlaubt, im Zweifelsfall eine Re-Interpretation eines Werks vorzunehmen. Die Herausforderungen sind gross, und es braucht übergreifende Strategien und Konzepte für den Austausch von Wissen und Information. «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» war eines dieser internationalen Projekte, die den fachlichen Diskurs beför-dert haben und gemeinsam Wege aus dem Dilemma des digitalen Verfalls und Vergessens weisen.

Sabine HimmelsbachSabine Himmelsbach ist Leiterin des Hauses für elektronische Künste Basel

a Hervé Graumann, Raoul Pictor cherche son style …,1993 – 1997Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

g Nam June Paik, Internet Dream, 1994 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

ÜBER DIE VERGÄNGLICHKEIT

EIN ESSAY

Wie schnell doch alles entschwindet! In der Welt die Menschen selbst, im Lauf der Zeit ihr Gedächtnis!

Marc Aurel

Seit dem Menschen bewusst ist, dass sein Da-sein ein endliches ist, befasst er sich in den mannigfaltigsten Formen quer durch die Ge-schichte mit dem Thema der Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis und die Auflehnung dage-gen liessen nicht nur Totenkulte entstehen, sondern auch Vorstellungen eines wie immer gearteten Jenseits, Religionen und philosophi-sche Schulen. Ihr verdanken wir grossartige Kunstwerke weit über die Memento-mori-Bildwelt mit ihren Stillleben hinaus, ganze Bibliotheken und reiche Symbolwelten, die ein Lexikon füllen würden. Erwähnt sei hier, beispielhaft, das Grabmal der Maria Magda-lena Langhans in der reformierten Kirche Hindelbank, 1751 von Johann August Nahl geschaffen. Die junge Frau starb bei der Ge-burt ihres Sohnes, der ihr bald nachfolgen soll-te. Durch die aufbrechende Grabplatte sieht man Mutter und Kind, die ihren Blick nach oben richten, eine eigentliche Auferstehungs-szene. Und ebenfalls beispielhaft: Einer der eindrücklichsten unter den Vergänglichkeits-texten findet sich im Alten Testament im Buch Kohelet, beginnend mit den Worten: «Nich-tig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» (Prediger 1,2), was bei Andreas Gryphius in seinem berühmten Vanitas-vanitatum-Gedicht wie folgt klingt:

Ich seh’ wohin ich seh nur Eitelkeit auff ErdenWas dieser heute bawt reist jener morgen ein Wo jtzt die Städte stehn so herrlich hoch vnd feinDa wird in kurtzem gehn ein Hirt mit

seinen Herden: […]

Als Schlüsseltext zum Thema Vergäng-lichkeit kann auch die Geschichte von Adam und Eva gelesen werden: Durch den Genuss des Apfels vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben, werden sie sich ih-rer begrenzten Lebensspanne bewusst; eine Erfahrung um die eigene Endlichkeit, die jeder Mensch einmal – mehr oder weniger schmerzlich – machen muss. Der Möglich-keiten, wie wir damit umgehen, sind viele, und sie prägen oft mit, wie wir zu unserem Leben stehen und wie wir es gestalten. Werden wir zu habgierigen Raffern, zu Hedonisten im heutigen Sinn des Begriffs, verfallen wir in Trauer und Depressionen oder entwickeln wir einen gewissen Gleichmut, der sowohl die fröhlichen Melodien als auch die Basssaiten des Lebens kennt?

Unsere Gesellschaft hat verschiedene Stra-tegien entwickelt, wie mit Vergänglichkeit um-gegangen werden kann. Eine davon besteht im Sammeln und Horten, dem verzweifelten (und letztlich vergeblichen) Versuch, Dinge, Objek-te vor dem Zerfall und Vergehen zu bewahren. Davon zeugen unzählige Museen mit ihren oft schon jetzt aus allen Nähten platzenden Depots. Wer in den letzten Monaten durch die Klus bei Angenstein fuhr, dem bot sich hoch über der Birs ein starkes und zunächst irritierendes Bild, das beispielhaft von diesem

LOB DES ZERFALLS

Der Fortschritt ist ein schielender Engel. Ein geflügeltes Wesen mit lockigem Haar und bemerkenswert kleinen Füssen, aber auch mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ein bleiches Geschöpf, dessen Flügel so weit aufgespannt sind, dass sich in ihnen die Paradieseswinde verfangen, die es unablässig in die Zukunft wehen lassen. So zumindest hat Walter Benjamin in seiner berühmten neunten geschichtsphilosophischen These eine Zeichnung von Paul Klee interpretiert

und damit die ganze Ambivalenz umrissen, mit der uns die Ausläufer der Moderne noch immer umfangen, das lächelnd fletschende Faszinosum tremendum unserer zerrissenen Conditio postpostpost. Während wir dabei aus unsrer kleinen Gegenwart eine Kette von Begebenheiten dicht hinter und dicht vor uns erblicken, die einen logischen Sinn zu ergeben scheinen, sieht Benjamins melancholischer Engel der Geschichte das Werden und Verge-hen all unsrer Errungenschaften buchstäblich

in Windeseile vor sich auf- und wieder nieder-steigen; erschrocken über den steten Zerfall, möchte er die Trümmer wieder zusammenfü-gen, doch der Sturm treibt ihn endlos weiter.

Die Winde des Fortschritts sind seit Er-scheinen von Benjamins Text 1928 bestimmt nicht milder und verdaulicher geworden, viel-mehr haben sie sich im Zuge globalisierter Produktionsprozesse in einen Pesthauch des ewig Neuen verwandelt. Mit den sekündlich auf den Markt poppenden Erzeugnissen der

Warenindustrie wird unsere durchschnittli-che Adrenalinausschüttung dabei so sehr im Fluss gehalten, dass unsere Aufmerksamkeit der Gegenwart immer schon hinterherhin-ken muss. Es ist kein Geheimnis, dass uns die Dinge und Informationen seit langer Zeit in gespenstischer Weise auf allen Kanälen be-drängen, und bis wir jeweils herausgefunden haben, ob es sich bei dem jeweiligen neusten Wunderwerk nun um billigen Trash oder um wertvolle Inputs handelt, ist die Produktion

Drang des Bewahrens spricht: Auf einem Fels-sporn des Blauen steht die Ruine Pfeffingen, eingerüstet, ein Baukran streckt seinen Ausle-ger in den Himmel. Mag das Unterfangen, die Ruine zu erhalten, durchaus zu begrüssen sein, so löst es doch auch Bedenken aus, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Reste der Burg im 18. Jahrhundert als Steinbruch versteigert wurden: andere Zeiten, andere Sitten …

Eine weitere Strategie, der Vergänglich-keit zu trotzen, findet sich in verschiedenen Textformen, in Briefen und Rödeln, in Do-kumenten, Verträgen, Büchern, Chroniken, gesammelt in Archiven und Bibliotheken. Das Sammeln und Bewahren ist das eine, das ande-re das Zugänglichmachen: Ohne Transkriptio-nen, ohne Übersetzungen (ein Lob all denen, die das Erlernen des Lateinischen nach wie vor sinnvoll finden!) und ohne sich immer wieder durch die Seiten mühende Leserschaft gäben uns die Texte früher oder später die gleichen Rätsel auf wie die etruskische Sprache.

Chroniken spielen auch für die Basler Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle. Die wohl einer breiteren Öffentlichkeit bekann-teste ist das Werk von Christian Wurstisen, 1580 bei Sebastian Henricpetri erschienen: ein Genuss, darin zu lesen! Weniger bekannt, aber für die Stadtgeschichte eine grossartige Fundgrube sind die Basler Chroniken, deren erster Band 1872 und deren bisher letzter, der zwölfte, 2009 erschien. Eine Jahreschronik war auch lange Zeit Bestandteil der gedruckten Ausgabe des Basler Stadtbuchs – das dieser Tage zum 134. Mal erschienen ist. Seit 2011 ist dieser Chronikteil in digitaler Form zugäng-lich (www.baslerchronik.ch). Wenn die digi-talisierte Chronik auch nach wie vor versucht, das Wissen über Ereignisse der Nachwelt zu erhalten, so ist sie doch gleichzeitig von einer neuen und beschleunigten Art der Vergäng-lichkeit bedroht.

Dabei haben technische Erfindungen im-mer wieder gesammeltes Wissen in Buchform bedroht, so zum Beispiel die Entwicklung des

Holzschliffverfahrens in der Papierherstel-lung. Die Papiere waren zwar billiger, jedoch auf Kosten der Haltbarkeit, was dazu führ-te, dass ganze Bibliotheken in aufwendigen Verfahren vor dem Zerfall geschützt werden müssen. Bei den digitalen Daten droht nun eine andere Gefahr: Die aktuell verwendeten Datenträger haben eine vergleichsweise kurze Lebensdauer, ebenso die entsprechenden Lese-geräte. Daten müssen deshalb in immer kürze-ren Zeitabständen auf neue Träger überspielt werden. Doch wer entscheidet, was würdig ist, in die Zukunft gerettet zu werden, und was verschwindet endgültig aus dem Gedächtnis der Menschheit?

Nehmen wir’s mit einer gewissen Gelas-senheit und schliessen wir mit Arno Holz’ «Geisterduo»:

Der Zeitgeist brennt wie trocknes StrohUnd singt: «In dulci jubilo!»Der Weltgeist brummt dazu im Baß:«O vanitatum vanitas!»

Lukas HartmannLukas Hartmann ist Gestalter, Dozent und Redaktor des Basler Stadtbuchs.

bereits wieder eingestellt worden. Der Philo-soph und Medientheoretiker Boris Groys hat diese Zusammenhänge in seiner Abhandlung «Über das Neue» (1992) noch entspannt und nur mit einem ganz sanften zynischen Un-terton beschrieben, wenn er in einer typisch postmodernen Wendung behauptete, dass das von der Industrie so fetischisierte Neue eigentlich nur das recyclierte Alte sei; denn die Kategorie des Neuen komme, so Groys, erst in der Moderne mit der Entstehung der grossen Archive und Sammlungen auf: Erst seit man über eine allgemeinere Übersicht fein säuberlich etikettierter Objekte und Gedan-ken verfügt, lassen sich Vergleiche zwischen alten und neuen Dingen ziehen – und dabei, so Groys, lassen sich auch im Archiv gelagerte Ideen wieder hervorholen, neu aufbereiten und als Scoop verkaufen, während der letzte Schrei auf der anderen Seite des Produktions-rades gerade dabei ist, wieder in die Tiefen des kulturellen Fundus zu sinken.

Boris Groys versteht den Fortschritt also, ähnlich wie Walter Benjamin, als einen stets sich weitertreibenden Prozess von Werden und Vergehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es uns in all der trommelnden Neu-heitsakupunktur tatsächlich jemals gelingt, dem Vergehen der Dinge auch nur ein Nano-Mü an Aufmerksamkeit und Hirnschmalz zu widmen? Wann haben wir uns in der Raserei der brennenden Alltagsgeschäfte je die Zeit genommen, uns mit der Würde des Zerfal-lens zu beschäftigen? Und wissen die Objekte überhaupt, wie sie schad- und lautlos in die (endgültige oder vorgelagerte) Hölle der Un-Dinge verschwinden können, sind sie des Zer-rinnens überhaupt fähig? Der amerikanische Fotograf und Filmemacher David LaChapelle

greift diese Fragen in seinen farbenprächtigen Vanitas-Bildern in pointiert ironischer Weise auf, wenn sich unter seinen üppigen, majestä-tisch welkenden Blumensträussen nach dem Vorbild niederländischer Stillleben frisch und unvergänglich zerknautschte PET-Flaschen, glänzende Plastikprothesen und ewig verbun-dene Mobiltelefone recken. Vielleicht besteht die eigentliche Dekadenz unseres Zeitalters ja gerade darin, dass wir nicht mehr ordentlich zerfallen können. Vielleicht würden wir uns weniger ausgepresst fühlen, wenn wir uns pa-rallel zu all den Neuheitshuldigungen ganz still und unauffällig auch dem natürlichen Erschöpfungsprozess aller organischen und anorganischen Materie hingeben könnten. Es mag vielleicht etwas unbescheiden klin-gen, aber im Kern ist es eigentlich genau das, was das Internationale Austauschprogramm iaab mit seinen Auslandstipendien anstrebt: den Prozessen von Entstehen und Vergehen, Ankommen und Dasein Raum zu geben, das Leben zu entschleunigen und den Kunstschaf-fenden eine Auszeit aus der Hektik des ufer-losen Produktions- und Broterwerbszwangs zu ermöglichen.

Alexandra Stäheli

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zukunftsweisenden) Randerscheinungen zu befassen. Als Vertreter eines dritten Sektors, die ihre Rolle zwischen Staat, Gesellschaft und Markt ständig neu verhandeln müssen, stehen NPOs besonders in der Pflicht. NPOs müssen Instrumente entwickeln, mit denen sie gesell-schaftlich relevante Erscheinungen erfassen und gezielt darauf reagieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Geldverwaltern werden, die sich selbst mit bürokratischen Prozessen und formalen Argumentationen lähmen.

Es gibt in der Kulturförderung einen zent-ralen Unterschied zur Ökologie: Kreativität ist keine knappe Ressource. Private und Förderer in NPOs sollten sich für die Sache der Kultur mutig, partikulär und verschwenderisch (statt vorsichtig, gerecht und sparsam) einsetzen, um

die Gesellschaft im Rahmen einer Kultur der Demokratie mitzugestalten. Paradoxerweise bedeutet gerade dies die wahre nachhaltige Kulturförderung.

Christoph Meneghetti

1 Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der Futur-zwei Zukunftsalmanach 2013, Frankfurt 2012.

2 Alan Brown, Joseph Kluger et al.: Is Sustainability Sustainable?, Sounding Board Vol. 30, 2011 (http://wolfbrown.com/insights/41-sounding-board/348-is-sustainability-sustainable)

3 Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Demokratie, in: Public Affairs. Von Beuys bis Zittel: Das Öffentliche in der Kunst, Kunsthaus Zürich (Katalog) 2002 (http://www.publicaffairs.ch/groys_boris.html)

GERANGEL IN REGAL UND INTERNET

ODER: DER WANDEL IM BUCHHANDEL

55 Thesen zur Entwicklung des Buchhandels und der Verlage bis 2025 hat der Börsenver-ein – der Verband der deutschen Verleger und Buchhändler – 2011 aufgestellt. Die The-sen sorgten seinerzeit für grosse Aufregung in der Branche. Mittlerweile weiss man: Die Veränderungen werden noch viel schneller und drastischer kommen als vorhergesagt. Der Grundsatz bleibt derselbe, die beiden Kernaussagen werden sich wohl einfach noch rascher und drastischer bewahrheiten: 1) Der Buchhandel verliert über einen Drittel seiner Verkaufsfläche, sei es durch Schliessung gan-zer Geschäfte oder Umnutzung vorhandener Flächen für andere Waren. 2) Der Verkaufsweg Internet wird stark an Bedeutung zunehmen, mit ihm der Anteil der E-Books, die allerdings das gedruckte Buch nicht verdrängen, jedoch einen Anteil von bis zu dreissig Prozent des Buchmarkts einnehmen werden.

Was bedeutet das für uns Verleger? Noch immer erscheinen jedes Jahr über 90 000 neue deutschsprachige Bücher. Diese Novitäten konkurrieren mit immer weniger Platz in den Regalen der verbliebenen Buchhandlungen. Längst gibt es in den grossen Geschäften ne-ben Druckerzeugnissen Papeterie-, Geschenk-artikel und allerlei Wellness-Schnickschnack (von der Duftkerze über den Badezusatz bis zum Zimmerspringbrunnen) zu kaufen, und die Kinderbuchabteilung ähnelt oft einem Spielzeugladen. Den Buchhändlern darf man deswegen keinen Vorwurf machen: Vie-le kämpfen ums Überleben und müssen auf die veränderten Kaufgewohnheiten der Kon-sumenten reagieren. Fraglich ist aber, ob ein solcher «Gemischtwarenladen» für buchaffine Menschen auf Dauer ein attraktiver Ort zum Bücherkaufen bleibt. Ich fürchte eher nein.

Selbst wenn die vielen Neuerscheinungen die begehrten Plätze in den Regalen und auf den Tischen der Buchhandlungen einnehmen (wo-bei die Stapel direkt bei den Eingängen gerade von Buchhandlungsketten oft von Grossver-lagen mit dem Ziel gekauft werden, populäre Mainstream-Titel noch begehrenswerter er-scheinen zu lassen − man nennt das «Werbe-kostenzuschuss» an die Buchhändler), müssen sich auch diese möglichst rasch verkaufen und am besten täglich in der Verlagsauslieferung nachgeordert werden. Wenn das Warenwirt-

schaftssystem aber meldet, dass ein Titel einige Tage nicht verkauft worden ist, fliegt das Buch aus dem Sortiment oder schafft es bestenfalls noch, als Einzeltitel im Regal eingereiht zu werden. Denn: Jede Woche erscheinen wei-tere Publikationen aus diversen Verlagen, die eben auch in die Regale und auf die Tische drängen. Die Halbwertszeit der Aufmerksam-keit für Neuerscheinungen ist somit oft er-nüchternd kurz. So kann es etwa vorkommen, dass der Katalog einer aktuellen Ausstellung

in einem Basler Museum von der örtlichen Buchhandlung bereits drei bis vier Wochen nach Eröffnung remittiert, d.h. zurück an die Verlagsauslieferung geschickt wird und die Buchhandlung dafür eine Gutschrift erhält.

Das immer wichtiger werdende Online-Geschäft von «echten» Büchern und von E-Books stellt uns als kleinen Schweizer Verlag vor vielfältige Herausforderungen: Das Ge-schäft diktieren wenige grosse, oft internatio-nal agierende Anbieter, die die Konditionen bestimmen, wenn man in den Datenbanken dieser Händler vorkommen will. Der weitaus grösste Online-Buchhändler der Schweiz ist amazon.de. Amazon nutzt seit einiger Zeit den Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz dazu, den Schweizer Kunden die Bücher mit mindestens 20 Prozent Rabatt vom eh schon günstigeren Euro-Preis porto-frei nach Hause zu schicken. Mit der Kosten-struktur von Amazon kann kein Schweizer Buchhändler mithalten. Was das allerdings für die Angestellten bei Amazon bedeutet – näm-lich katastrophale Arbeitsbedingungen und ein unmenschlicher Umgang mit den Mitar-beitenden –, hat ein kontrovers diskutierter ARD-Dokumentarfilm letztes Jahr gezeigt. Beim E-Book dominiert Amazon mit ihren Kindle-Geräten und dem Kindle-Shop seit Jahren ebenfalls den Markt. Es bleibt abzu-warten, ob die gemeinsamen Anstrengungen der Buchhändlerbranche im E-Book-Geschäft (mit den Tolino-Geräten und in der Schweiz auch mit dem E-Book-Angebot des Buchzen-trums Olten) Erfolg haben werden und dem übermächtigen Konkurrenten Amazon die Stirn bieten können.

Und was unternehmen wir als Christoph Merian Verlag, um auf diese Verwerfungen der

Branche im digitalen Zeitalter zu reagieren? Wir wollen einerseits den verbleibenden, enga-gierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern den Rücken stärken und sie bei Veranstaltun-gen, Lesungen etc. unterstützen, damit die Buchhandlung ein Ort der Begegnung und der Buchkompetenz bleibt. «Buy local»-Ini-tiativen etwa, wie sie auch von Basler Buch-handlungen angestossen wurden, sind absolut unterstützenswert. Gleichzeitig werden wir, wenn immer sinnvoll, auch elektronische Ver-sionen unserer Publikationen erstellen, so wie unsere Hörbücher schon seit mehreren Jahren auch per Download erhältlich sind. Darüber hinaus hat die Christoph Merian Stiftung viel in einen neuen Internetauftritt des Verlags investiert, der demnächst online gehen wird, und wir haben die Lieferbedingungen für Di-rektbestellung über unsere Website attraktiver gestaltet, damit eine Bestellung «ab Erzeuger» für unsere Kundinnen und Kunden interes-sant bleibt. Auf www.merianverlag.ch kann man in Bücher reinlesen, Hörbücher probe-hören, E-Books und Hörbücher downloaden und sich über Veranstaltungen informieren.

Das Verlegersein im 21. Jahrhundert ist spannend, herausfordernd und macht Spass: Wir sind Vermittler von Inhalten und The-men, wollen zu Diskussionen anregen und Geschichte lebendig werden lassen − egal in welcher Form: ob als Buch, Hörbuch, DVD, E-Book oder App. Das hat Zukunft!

Oliver Bolanz

— VIELLEICHT BESTEHT DIE EIGENTLICHE DEKADENZ

UNSERES ZEITALTERS JA GERADE DARIN, DASS

WIR NICHT MEHR ORDENTLICH ZERFALLEN

KÖNNEN.—

Abnahme der Menge mit Halbwertszeit

Zeit (T)

Menge

— WENN DAS WAREN­

WIRTSCHAFTSSYSTEM MELDET, DASS

EIN TITEL EINIGE TAGE NICHT VERKAUFT

WORDEN IST, FLIEGT DAS BUCH AUS DEM

SORTIMENT.—

DIE DIKTATUR DER INNOVATION

ODER: MORGEN IST DIE VERGANGENHEIT VON ÜBERMORGEN

Gemeinnützige Stiftungen haben gegenüber Staat und Wirtschaft einen entscheidenden Vorteil: Durch den rechtlich definierten Um-stand, dass Stiftungen ein selbstbestimmtes Zweckvermögen darstellen und sich quasi selbst gehören, sind sie, abgesehen von den Aufsichtsbehörden, niemandem Rechenschaft pflichtig. Dies gibt ihnen eine einzigartige Frei-heit. Abseits von Trends und Zeitgeist können sie das Unbequeme, das Neue, das Innovative fördern. Und sie nutzen ihre Freiheit. Kaum ein Förderkriterium kommt ohne den Ruf nach Pionierhaftem und Innovativem aus. Die Krux dabei ist aber, dass wirklich Neues nur von ganz wenigen gesehen wird, wie bereits Albert Einstein treffend vermerkt hat: «Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausge-schlossen erscheint.» Und damit ist der Mist noch lange nicht geführt. Ob sich eine Idee durchsetzt und sich der Ressourceneinsatz ge-lohnt hat, zeigt immer erst der Blick zurück. Dazwischen liegt ein langer Weg. Stiftungen, die sich der Innovationsförderung verschrie-ben haben, brauchen viel Sachverstand, einen langen Atem, eine grosse Unabhängigkeit im Denken und Entscheiden und eine enorm hohe Risikobereitschaft. Denn was heute in-novativ ist, kann morgen bereits überholt sein. Dies müssen Stiftungen und ihre Entschei-dungsträger aushalten.

Da liegt der Gedanke nahe, dass manche Stiftung gut beraten wäre, anstatt der manch-mal schon fast zwanghaften Forderung nach dem ewig Neuen Bewährtes und Liegengeblie-benes weiter zu fördern. Das Abfallprodukt des Innovationszwanges ist nämlich eine im-mer grösser werdende Halde anschubfinan-zierter Projekte und Initiativen. Vieles darun-

ter ist gut, nur: nicht mehr neu. Aber muss es das denn immer sein? Diese Fragen sollten sich Stiftungen vermehrt stellen. Sind sie nämlich nicht in der Lage, die oben erwähnten Bedin-gungen für wirkliche Innovationsförderung zu erfüllen, stünde es ihnen gut an, nach-haltig und hartnäckig die besten und nicht

immer die neusten Umsetzungen für ihren Stiftungszweck zu suchen. Christian Meyn, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Auridis GmbH, hat dies anlässlich der Präsentation seiner Förderstrategie am Schweizer Stiftungs-symposium 2013 in Basel auf den Punkt ge-bracht: «Es muss nicht immer innovativ sein. Es reicht, wenn es gut ist.»

Beate EckhardtBeate Eckhardt ist Geschäftsführerin von SwissFound-ations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen.

— WAS HEUTE

INNOVATIV IST, KANN MORGEN

BEREITS ÜBERHOLT SEIN.

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WIE NACHHALTIG IST DIE KULTURFÖRDERUNG

DER ZUKUNFT?Wenn wir über die Zukunft sprechen und wie wir in der Gegenwart handeln sollen, kommen wir nicht um sie herum: die Nachhaltigkeit. In ökologischen und ökonomischen Bereichen wurde in den letzten Jahren unter diesem Begriff ein zweifellos wertvolles Verständnis für langfristige Zusammenhänge entwickelt. Wir interessieren uns heute dafür, dass fahr-lässiger Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen unsere Lebensgrundlage zerstört. Wir bewerten zum Beispiel Bauvorhaben nach ihrer Nachhaltigkeit und erwarten von Inves-toren, dass sie ökologische und soziale Fak-toren respektieren. Sympathisch konkret ist der Soziologe Harald Welzer, der in seinem «Handbuch für eine enkeltaugliche Zukunft»1 gleich eine Sammlung von Beispielen gibt, wie heute schon Menschen erfolgreich wirtschaf-ten und dabei die Bedürfnisse kommender Generationen höher gewichten als die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung.

Darunter sind viele inspirierende Ge-schichten, die deutlich machen, dass es beim nachhaltigen Handeln nicht nur um Normen geht, sondern eben: um gute Geschichten und Vorbilder. Aber sind dies die richtigen Vorbilder für Kulturschaffende und -förde-rer? Soll auch Kultur immer «enkeltauglich» sein? Auch in die Kultur werden private und staatliche Gelder investiert, gerne wird dabei von einer Investition in die Gesellschaft, in die Zukunft, in das kreative Kapital oder in den Standort gesprochen. Die Aussicht auf eine Nachhaltigkeit dieser Investition ist verführe-risch – der Begriff verspricht Dauerhaftigkeit und ein stabiles Gleichgewicht des Systems. Nachhaltigkeit in diesem herkömmlichen Sinn hat aber einen faden Beigeschmack: den des Konservatismus.

Natürlich muss Kultur nicht immer enkel-tauglich sein. Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren ist nur ein (wenn auch teurer) Teil der Aufgaben, die kulturelle Akteure erfül-len, und damit allein ist es nicht getan. Die Gesundheit unseres kulturellen Systems hat mehr mit Wandlungsfähigkeit und Relevanz als mit Permanenz zu tun. Danach sollte sich das Verständnis nachhaltiger Kulturförderung richten. Wenn wir den Konservatismus aus der Nachhaltigkeit streichen, was bleibt übrig? Ei-nen konkreten Vorschlag hat WolfBrown Con-sulting 2011 in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel «Is Sustainability Sustainable?»2 ver-öffentlicht. Sie definieren die Nachhaltigkeit von arts organizations in drei Dimensionen: community relevance, artistic vibrancy und (die-sen untergeordnet) capitalization. In diesen Dimensionen sind die Faktoren für den Erfolg kultureller Unternehmungen zu suchen.

Gehen wir einen Schritt zurück und be-trachten den Kontext der Kulturförderung. In welchem Verhältnis steht das private En-gagement zum staatlichen, und welche Rolle übernimmt der NPO-Sektor, die Non-Profit-Organisationen? Unsere pluralistische Demo-kratie umfasst eine Vielzahl von Lebensfor-men, Sprachen und kulturellen Traditionen. Den einen Gemeinwillen, den die demokrati-sche Gesellschaftsordnung repräsentieren soll, gibt es nicht, sie kann lediglich die Pluralität verwalten und dabei vermeiden, zu stark Po-sition zu beziehen. Staatliche Kulturförderer sind deshalb gespalten in ihrer Rolle, selbst produktive Akteure der Kultur zu sein und gleichzeitig die Vielfalt der partikulären Wil-len gerecht zu beaufsichtigen.3 Gerade private Kulturförderer müssen es also wagen, sich mit den Minderheiten und den (möglicherweise

ERINNERN UND VERGESSEN

ZUR HALBWERTSZEIT DIGITALER KUNST

Für die Generation der Digital Natives ist ein Leben ohne Internet eine unmögliche Vor-stellung. Für sie war das globale Netzwerk schon immer da und ist zugleich prägend für ihre sozialen Interaktionen. Heute ist nahezu jeder mit Smartphone und Tablet-Computer ausgestattet, und die mobile Technologie er-möglicht es, dass wir jederzeit online sind und unsere digitalen Spuren im Netz auf Schritt und Tritt hinterlassen. Bewegungsdaten, Fa-cebook-Einträge – jede Aktivität ist unweiger-lich im globalen Netzwerk gespeichert, und auch so mancher kleine Fauxpas kann sich zum Problem auswachsen, wenn er sich nicht mehr tilgen lässt und auf ewig abrufbar bleibt. Bei all der Vernetzung stellt sich im Zeitalter von PRISM und den bekannt gewordenen staatlichen Übergriffen auf persönliche Da-ten immer zentraler die Frage des öffentlichen Zugriffs auf die digitale «Cloud» und die in ihr gespeicherten Informationen.

Dem digitalen Speicherwahn und der täg-lich wachsenden Datenflut steht im Bereich der digitalen Kultur dagegen das unaufhalt-same Vergessen gegenüber. Unser digitales Zeitalter ist geprägt von der Schnelllebigkeit von Technologien und der rasanten Weiter-entwicklung von Hardware und Software. Neue Geräte erscheinen in immer kürzeren Abständen auf dem Markt. Im Jahresrhythmus werden Smartphones und Betriebssysteme vorgestellt, die ihre Vorgänger an Funktiona-lität übertreffen, besser und schneller sind. Eine zehn Jahre alte Diskette hat da schon eine nahezu steinzeitliche Anmutung.

Zeitgenössische Medienkunst spürte schon immer den Veränderungen des technologi-schen Wandels nach und zeigte die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verände-rungen auf. Von der frühen Computergrafik der Sechzigerjahre bis hin zur Netzkunst der Neunzigerjahre, von Softwarekunst bis

Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit expo-nentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit.

Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, ist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir eine neue Software installiert, will sie aktu-alisiert werden. Kaum hat sich computerba-sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler als Shootingstar gefeiert, verschwindet er schon démodé in der Ver-senkung. Kaum hat das Stadtbuch ein Thema als ultraaktuell aufgegriffen, gerinnt es schon zwischen den Buchdeckeln zu Ge-schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es vom Buchhandel remit-tiert und verschwindet in der anonymen Backlist. Das ist die Kehrseite der «Diktatur der Innovation», der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech-nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als Motoren der Innovation, steigen jedem neuen

Trend nach und hinterlassen mit ihrem Inno-vationszwang einen Berg von halbfinanzierten Projekten und Initiativen.

Wir haben uns im vergangenen Jahr in der Abteilung Kultur zu mehreren internen Workshops zum Thema Innovation getroffen, denn schliesslich muss eine Stiftung wie die

Christoph Merian Stif-tung «open-minded» sein und an vorderster Front Neues fördern. Mit dieser Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen und bei meinen jüngeren Kolleginnen und Kolle-gen auf unerwartete und vehemente Opposition gestossen. Als Historiker, der dem Vergangenen und Vergehenden nähersteht

als der Extrapolierung in die Zukunft, fand ich mich als Apostel der Innovation plötzlich auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht sei krankhaft und bedeute einen unendlichen und unnötigen Druck. Die Anbetung des «Neuen» führe zu einer perversen Missach-tung des Gewachsenen, des Erreichten, des

Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart.

Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbe-reitschaft nicht eine innere Abschottung ge-gen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovati-onsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome?

Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kolle-gen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Inno-vationsdruck verursacht, indem er das Nach-denken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend not-wendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, he-rauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über

die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthe-ma «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und disku-tieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austausch-programm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Küns-ten. Die Illustrationen stammen von den wel-schen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen.

Beat von Wartburg

HALBWERTSZEITSCHWERPUNKT

hin zu interaktiven Installationen wird das Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Medien ausgelotet. Die Nutzung aktuellster Technologien führt zu immer kürzeren Halb-wertszeiten der digitalen und elektronischen Kunst.

Datenträger haben eine sehr begrenzte Le-bensdauer. Die technischen Komponenten ei-nes Werkes sind heute schnell veraltet, die Ge-räte selbst oft nicht mehr zu beschaffen. Ist das Material noch auf alten Datenträgern erhalten, so lässt es sich meist nicht mehr abspielen, da die Abspielgeräte nicht mehr funktionieren. So mancher Restaurator für Medienkunst ist dann schon mal auf Ebay aktiv, um obsolete Technik für alte Werke zu erstehen und wie-der in Betrieb zu nehmen. Hier braucht es Know-how und Expertenwissen, um diese Kunst vor dem endgültigen Verfall zu retten und historische Werke und Meilensteine der kulturhistorischen Entwicklung auch für die Zukunft zu bewahren.

Was also tun, um Werke der computer-basierten Kunst funktionstüchtig zu halten oder vor dem digitalen Verfall zu schützen? Museen und Kulturinstitutionen mit Samm-lungen digitaler und elektronischer Kunst setzen sich seit Jahren für den Fortbestand medialer Kunstformen und die Sicherung die-ser Werke ein. Die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Medienkunst führt dazu, dass individuell für jedes Werk eine passende Stra-tegie für den Erhalt gesucht werden muss. Bei den Videoinstallationen von Nam June Paik spielt der Röhrenmonitor eine zentrale Rolle, und so wird hier vor allem auf den Erhalt der Hardware gesetzt, auch wenn dies zeitlich nur begrenzt möglich ist. Pionierarbeiten der frü-hen Computerkunst stellen wiederum andere Herausforderungen an den Erhalt. Oftmals wird hier mit dem Prinzip der Emulation ge-arbeitet. Das bedeutet die Verwendung neuer Software, die versucht, den «Look and Feel» alter Programme zu erzeugen, um beispiels-weise den Bildaufbau einer Website bewusst

zu verlangsamen und damit die Ästhetik einer früheren Zeit zu reproduzieren. Die Migrati-on von Daten auf neue Betriebssysteme und aktuelle Software ist eine weitere Methode, und manchmal bleibt nur die Dokumenta-tion oder Re-Interpretation eines Werkes als Alternative.

Auch das Haus für elektronische Künste Basel (HeK) engagiert sich mit einer eigenen Sammlung für den Erhalt elektronischer und digitaler Kunst. Im Rahmen des trinationa-len Forschungs- und Restaurierungsprojekts «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» wurde zusammen mit Partnern aus Frankreich und Deutschland über drei Jahre an diesen zentralen Fragestellungen ge-arbeitet. Als Fallstudie wurde vonseiten des HeK das netzbasierte Projekt «TV Bot 2.0» des Schweizer Künstlers Marc Lee angekauft und behandelt. «TV Bot 2.0» von 2010 beruht auf einem von Lee entwickelten Programm, welches im Internet Bild-, Video-, Audio- und Textdaten zusammenträgt, die nicht älter als eine Stunde sind. Aus diesen Materialien aus unterschiedlichsten Kontexten wird live im In-ternet eine Nachrichtensendung generiert. Die Zugänglichkeit im globalen Netz ist ein in-härenter und wesentlicher Aspekt der Arbeit. Schon innerhalb weniger Jahre gab es starke Software-Veränderungen, die die ästhetische Anmutung und Funktionalität der Arbeit ver-ändert haben. Gemeinsam mit dem Künstler wurde am HeK eine Strategie zum Erhalt der ursprünglichen Intention und Ästhetik der Arbeit entwickelt.

Das Sammeln von digitaler Kunst stellt Kuratoren und Konservatoren vor neue Auf-gaben. Neben den genauen Informationen zu den technischen Komponenten einer Arbeit ist die Dokumentation der künstlerischen Idee und Wirkungsabsicht ein zentraler As-pekt, der aufgearbeitet werden muss. Nur so lässt sich später eine Funktionalität im Sinne des ursprünglichen künstlerischen Anliegens sicherstellen, die es den Kuratoren und Kon-

Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk

© Plonk & Replonk

Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit Bildern, Typografien und Prozentzahlen

© Plonk & Replonk

Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk

Diplomierter Abstempler, während eines Weiter bildungskurses dem frontalen Angriff einer

automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk

Lesemeerschweinchen © Plonk & Replonk

servatoren erlaubt, im Zweifelsfall eine Re-Interpretation eines Werks vorzunehmen. Die Herausforderungen sind gross, und es braucht übergreifende Strategien und Konzepte für den Austausch von Wissen und Information. «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» war eines dieser internationalen Projekte, die den fachlichen Diskurs beför-dert haben und gemeinsam Wege aus dem Dilemma des digitalen Verfalls und Vergessens weisen.

Sabine HimmelsbachSabine Himmelsbach ist Leiterin des Hauses für elektronische Künste Basel

a Hervé Graumann, Raoul Pictor cherche son style …,1993 – 1997Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

g Nam June Paik, Internet Dream, 1994 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

ÜBER DIE VERGÄNGLICHKEIT

EIN ESSAY

Wie schnell doch alles entschwindet! In der Welt die Menschen selbst, im Lauf der Zeit ihr Gedächtnis!

Marc Aurel

Seit dem Menschen bewusst ist, dass sein Da-sein ein endliches ist, befasst er sich in den mannigfaltigsten Formen quer durch die Ge-schichte mit dem Thema der Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis und die Auflehnung dage-gen liessen nicht nur Totenkulte entstehen, sondern auch Vorstellungen eines wie immer gearteten Jenseits, Religionen und philosophi-sche Schulen. Ihr verdanken wir grossartige Kunstwerke weit über die Memento-mori-Bildwelt mit ihren Stillleben hinaus, ganze Bibliotheken und reiche Symbolwelten, die ein Lexikon füllen würden. Erwähnt sei hier, beispielhaft, das Grabmal der Maria Magda-lena Langhans in der reformierten Kirche Hindelbank, 1751 von Johann August Nahl geschaffen. Die junge Frau starb bei der Ge-burt ihres Sohnes, der ihr bald nachfolgen soll-te. Durch die aufbrechende Grabplatte sieht man Mutter und Kind, die ihren Blick nach oben richten, eine eigentliche Auferstehungs-szene. Und ebenfalls beispielhaft: Einer der eindrücklichsten unter den Vergänglichkeits-texten findet sich im Alten Testament im Buch Kohelet, beginnend mit den Worten: «Nich-tig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» (Prediger 1,2), was bei Andreas Gryphius in seinem berühmten Vanitas-vanitatum-Gedicht wie folgt klingt:

Ich seh’ wohin ich seh nur Eitelkeit auff ErdenWas dieser heute bawt reist jener morgen ein Wo jtzt die Städte stehn so herrlich hoch vnd feinDa wird in kurtzem gehn ein Hirt mit

seinen Herden: […]

Als Schlüsseltext zum Thema Vergäng-lichkeit kann auch die Geschichte von Adam und Eva gelesen werden: Durch den Genuss des Apfels vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben, werden sie sich ih-rer begrenzten Lebensspanne bewusst; eine Erfahrung um die eigene Endlichkeit, die jeder Mensch einmal – mehr oder weniger schmerzlich – machen muss. Der Möglich-keiten, wie wir damit umgehen, sind viele, und sie prägen oft mit, wie wir zu unserem Leben stehen und wie wir es gestalten. Werden wir zu habgierigen Raffern, zu Hedonisten im heutigen Sinn des Begriffs, verfallen wir in Trauer und Depressionen oder entwickeln wir einen gewissen Gleichmut, der sowohl die fröhlichen Melodien als auch die Basssaiten des Lebens kennt?

Unsere Gesellschaft hat verschiedene Stra-tegien entwickelt, wie mit Vergänglichkeit um-gegangen werden kann. Eine davon besteht im Sammeln und Horten, dem verzweifelten (und letztlich vergeblichen) Versuch, Dinge, Objek-te vor dem Zerfall und Vergehen zu bewahren. Davon zeugen unzählige Museen mit ihren oft schon jetzt aus allen Nähten platzenden Depots. Wer in den letzten Monaten durch die Klus bei Angenstein fuhr, dem bot sich hoch über der Birs ein starkes und zunächst irritierendes Bild, das beispielhaft von diesem

LOB DES ZERFALLS

Der Fortschritt ist ein schielender Engel. Ein geflügeltes Wesen mit lockigem Haar und bemerkenswert kleinen Füssen, aber auch mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ein bleiches Geschöpf, dessen Flügel so weit aufgespannt sind, dass sich in ihnen die Paradieseswinde verfangen, die es unablässig in die Zukunft wehen lassen. So zumindest hat Walter Benjamin in seiner berühmten neunten geschichtsphilosophischen These eine Zeichnung von Paul Klee interpretiert

und damit die ganze Ambivalenz umrissen, mit der uns die Ausläufer der Moderne noch immer umfangen, das lächelnd fletschende Faszinosum tremendum unserer zerrissenen Conditio postpostpost. Während wir dabei aus unsrer kleinen Gegenwart eine Kette von Begebenheiten dicht hinter und dicht vor uns erblicken, die einen logischen Sinn zu ergeben scheinen, sieht Benjamins melancholischer Engel der Geschichte das Werden und Verge-hen all unsrer Errungenschaften buchstäblich

in Windeseile vor sich auf- und wieder nieder-steigen; erschrocken über den steten Zerfall, möchte er die Trümmer wieder zusammenfü-gen, doch der Sturm treibt ihn endlos weiter.

Die Winde des Fortschritts sind seit Er-scheinen von Benjamins Text 1928 bestimmt nicht milder und verdaulicher geworden, viel-mehr haben sie sich im Zuge globalisierter Produktionsprozesse in einen Pesthauch des ewig Neuen verwandelt. Mit den sekündlich auf den Markt poppenden Erzeugnissen der

Warenindustrie wird unsere durchschnittli-che Adrenalinausschüttung dabei so sehr im Fluss gehalten, dass unsere Aufmerksamkeit der Gegenwart immer schon hinterherhin-ken muss. Es ist kein Geheimnis, dass uns die Dinge und Informationen seit langer Zeit in gespenstischer Weise auf allen Kanälen be-drängen, und bis wir jeweils herausgefunden haben, ob es sich bei dem jeweiligen neusten Wunderwerk nun um billigen Trash oder um wertvolle Inputs handelt, ist die Produktion

Drang des Bewahrens spricht: Auf einem Fels-sporn des Blauen steht die Ruine Pfeffingen, eingerüstet, ein Baukran streckt seinen Ausle-ger in den Himmel. Mag das Unterfangen, die Ruine zu erhalten, durchaus zu begrüssen sein, so löst es doch auch Bedenken aus, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Reste der Burg im 18. Jahrhundert als Steinbruch versteigert wurden: andere Zeiten, andere Sitten …

Eine weitere Strategie, der Vergänglich-keit zu trotzen, findet sich in verschiedenen Textformen, in Briefen und Rödeln, in Do-kumenten, Verträgen, Büchern, Chroniken, gesammelt in Archiven und Bibliotheken. Das Sammeln und Bewahren ist das eine, das ande-re das Zugänglichmachen: Ohne Transkriptio-nen, ohne Übersetzungen (ein Lob all denen, die das Erlernen des Lateinischen nach wie vor sinnvoll finden!) und ohne sich immer wieder durch die Seiten mühende Leserschaft gäben uns die Texte früher oder später die gleichen Rätsel auf wie die etruskische Sprache.

Chroniken spielen auch für die Basler Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle. Die wohl einer breiteren Öffentlichkeit bekann-teste ist das Werk von Christian Wurstisen, 1580 bei Sebastian Henricpetri erschienen: ein Genuss, darin zu lesen! Weniger bekannt, aber für die Stadtgeschichte eine grossartige Fundgrube sind die Basler Chroniken, deren erster Band 1872 und deren bisher letzter, der zwölfte, 2009 erschien. Eine Jahreschronik war auch lange Zeit Bestandteil der gedruckten Ausgabe des Basler Stadtbuchs – das dieser Tage zum 134. Mal erschienen ist. Seit 2011 ist dieser Chronikteil in digitaler Form zugäng-lich (www.baslerchronik.ch). Wenn die digi-talisierte Chronik auch nach wie vor versucht, das Wissen über Ereignisse der Nachwelt zu erhalten, so ist sie doch gleichzeitig von einer neuen und beschleunigten Art der Vergäng-lichkeit bedroht.

Dabei haben technische Erfindungen im-mer wieder gesammeltes Wissen in Buchform bedroht, so zum Beispiel die Entwicklung des

Holzschliffverfahrens in der Papierherstel-lung. Die Papiere waren zwar billiger, jedoch auf Kosten der Haltbarkeit, was dazu führ-te, dass ganze Bibliotheken in aufwendigen Verfahren vor dem Zerfall geschützt werden müssen. Bei den digitalen Daten droht nun eine andere Gefahr: Die aktuell verwendeten Datenträger haben eine vergleichsweise kurze Lebensdauer, ebenso die entsprechenden Lese-geräte. Daten müssen deshalb in immer kürze-ren Zeitabständen auf neue Träger überspielt werden. Doch wer entscheidet, was würdig ist, in die Zukunft gerettet zu werden, und was verschwindet endgültig aus dem Gedächtnis der Menschheit?

Nehmen wir’s mit einer gewissen Gelas-senheit und schliessen wir mit Arno Holz’ «Geisterduo»:

Der Zeitgeist brennt wie trocknes StrohUnd singt: «In dulci jubilo!»Der Weltgeist brummt dazu im Baß:«O vanitatum vanitas!»

Lukas HartmannLukas Hartmann ist Gestalter, Dozent und Redaktor des Basler Stadtbuchs.

bereits wieder eingestellt worden. Der Philo-soph und Medientheoretiker Boris Groys hat diese Zusammenhänge in seiner Abhandlung «Über das Neue» (1992) noch entspannt und nur mit einem ganz sanften zynischen Un-terton beschrieben, wenn er in einer typisch postmodernen Wendung behauptete, dass das von der Industrie so fetischisierte Neue eigentlich nur das recyclierte Alte sei; denn die Kategorie des Neuen komme, so Groys, erst in der Moderne mit der Entstehung der grossen Archive und Sammlungen auf: Erst seit man über eine allgemeinere Übersicht fein säuberlich etikettierter Objekte und Gedan-ken verfügt, lassen sich Vergleiche zwischen alten und neuen Dingen ziehen – und dabei, so Groys, lassen sich auch im Archiv gelagerte Ideen wieder hervorholen, neu aufbereiten und als Scoop verkaufen, während der letzte Schrei auf der anderen Seite des Produktions-rades gerade dabei ist, wieder in die Tiefen des kulturellen Fundus zu sinken.

Boris Groys versteht den Fortschritt also, ähnlich wie Walter Benjamin, als einen stets sich weitertreibenden Prozess von Werden und Vergehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es uns in all der trommelnden Neu-heitsakupunktur tatsächlich jemals gelingt, dem Vergehen der Dinge auch nur ein Nano-Mü an Aufmerksamkeit und Hirnschmalz zu widmen? Wann haben wir uns in der Raserei der brennenden Alltagsgeschäfte je die Zeit genommen, uns mit der Würde des Zerfal-lens zu beschäftigen? Und wissen die Objekte überhaupt, wie sie schad- und lautlos in die (endgültige oder vorgelagerte) Hölle der Un-Dinge verschwinden können, sind sie des Zer-rinnens überhaupt fähig? Der amerikanische Fotograf und Filmemacher David LaChapelle

greift diese Fragen in seinen farbenprächtigen Vanitas-Bildern in pointiert ironischer Weise auf, wenn sich unter seinen üppigen, majestä-tisch welkenden Blumensträussen nach dem Vorbild niederländischer Stillleben frisch und unvergänglich zerknautschte PET-Flaschen, glänzende Plastikprothesen und ewig verbun-dene Mobiltelefone recken. Vielleicht besteht die eigentliche Dekadenz unseres Zeitalters ja gerade darin, dass wir nicht mehr ordentlich zerfallen können. Vielleicht würden wir uns weniger ausgepresst fühlen, wenn wir uns pa-rallel zu all den Neuheitshuldigungen ganz still und unauffällig auch dem natürlichen Erschöpfungsprozess aller organischen und anorganischen Materie hingeben könnten. Es mag vielleicht etwas unbescheiden klin-gen, aber im Kern ist es eigentlich genau das, was das Internationale Austauschprogramm iaab mit seinen Auslandstipendien anstrebt: den Prozessen von Entstehen und Vergehen, Ankommen und Dasein Raum zu geben, das Leben zu entschleunigen und den Kunstschaf-fenden eine Auszeit aus der Hektik des ufer-losen Produktions- und Broterwerbszwangs zu ermöglichen.

Alexandra Stäheli

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zukunftsweisenden) Randerscheinungen zu befassen. Als Vertreter eines dritten Sektors, die ihre Rolle zwischen Staat, Gesellschaft und Markt ständig neu verhandeln müssen, stehen NPOs besonders in der Pflicht. NPOs müssen Instrumente entwickeln, mit denen sie gesell-schaftlich relevante Erscheinungen erfassen und gezielt darauf reagieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Geldverwaltern werden, die sich selbst mit bürokratischen Prozessen und formalen Argumentationen lähmen.

Es gibt in der Kulturförderung einen zent-ralen Unterschied zur Ökologie: Kreativität ist keine knappe Ressource. Private und Förderer in NPOs sollten sich für die Sache der Kultur mutig, partikulär und verschwenderisch (statt vorsichtig, gerecht und sparsam) einsetzen, um

die Gesellschaft im Rahmen einer Kultur der Demokratie mitzugestalten. Paradoxerweise bedeutet gerade dies die wahre nachhaltige Kulturförderung.

Christoph Meneghetti

1 Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der Futur-zwei Zukunftsalmanach 2013, Frankfurt 2012.

2 Alan Brown, Joseph Kluger et al.: Is Sustainability Sustainable?, Sounding Board Vol. 30, 2011 (http://wolfbrown.com/insights/41-sounding-board/348-is-sustainability-sustainable)

3 Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Demokratie, in: Public Affairs. Von Beuys bis Zittel: Das Öffentliche in der Kunst, Kunsthaus Zürich (Katalog) 2002 (http://www.publicaffairs.ch/groys_boris.html)

GERANGEL IN REGAL UND INTERNET

ODER: DER WANDEL IM BUCHHANDEL

55 Thesen zur Entwicklung des Buchhandels und der Verlage bis 2025 hat der Börsenver-ein – der Verband der deutschen Verleger und Buchhändler – 2011 aufgestellt. Die The-sen sorgten seinerzeit für grosse Aufregung in der Branche. Mittlerweile weiss man: Die Veränderungen werden noch viel schneller und drastischer kommen als vorhergesagt. Der Grundsatz bleibt derselbe, die beiden Kernaussagen werden sich wohl einfach noch rascher und drastischer bewahrheiten: 1) Der Buchhandel verliert über einen Drittel seiner Verkaufsfläche, sei es durch Schliessung gan-zer Geschäfte oder Umnutzung vorhandener Flächen für andere Waren. 2) Der Verkaufsweg Internet wird stark an Bedeutung zunehmen, mit ihm der Anteil der E-Books, die allerdings das gedruckte Buch nicht verdrängen, jedoch einen Anteil von bis zu dreissig Prozent des Buchmarkts einnehmen werden.

Was bedeutet das für uns Verleger? Noch immer erscheinen jedes Jahr über 90 000 neue deutschsprachige Bücher. Diese Novitäten konkurrieren mit immer weniger Platz in den Regalen der verbliebenen Buchhandlungen. Längst gibt es in den grossen Geschäften ne-ben Druckerzeugnissen Papeterie-, Geschenk-artikel und allerlei Wellness-Schnickschnack (von der Duftkerze über den Badezusatz bis zum Zimmerspringbrunnen) zu kaufen, und die Kinderbuchabteilung ähnelt oft einem Spielzeugladen. Den Buchhändlern darf man deswegen keinen Vorwurf machen: Vie-le kämpfen ums Überleben und müssen auf die veränderten Kaufgewohnheiten der Kon-sumenten reagieren. Fraglich ist aber, ob ein solcher «Gemischtwarenladen» für buchaffine Menschen auf Dauer ein attraktiver Ort zum Bücherkaufen bleibt. Ich fürchte eher nein.

Selbst wenn die vielen Neuerscheinungen die begehrten Plätze in den Regalen und auf den Tischen der Buchhandlungen einnehmen (wo-bei die Stapel direkt bei den Eingängen gerade von Buchhandlungsketten oft von Grossver-lagen mit dem Ziel gekauft werden, populäre Mainstream-Titel noch begehrenswerter er-scheinen zu lassen − man nennt das «Werbe-kostenzuschuss» an die Buchhändler), müssen sich auch diese möglichst rasch verkaufen und am besten täglich in der Verlagsauslieferung nachgeordert werden. Wenn das Warenwirt-

schaftssystem aber meldet, dass ein Titel einige Tage nicht verkauft worden ist, fliegt das Buch aus dem Sortiment oder schafft es bestenfalls noch, als Einzeltitel im Regal eingereiht zu werden. Denn: Jede Woche erscheinen wei-tere Publikationen aus diversen Verlagen, die eben auch in die Regale und auf die Tische drängen. Die Halbwertszeit der Aufmerksam-keit für Neuerscheinungen ist somit oft er-nüchternd kurz. So kann es etwa vorkommen, dass der Katalog einer aktuellen Ausstellung

in einem Basler Museum von der örtlichen Buchhandlung bereits drei bis vier Wochen nach Eröffnung remittiert, d.h. zurück an die Verlagsauslieferung geschickt wird und die Buchhandlung dafür eine Gutschrift erhält.

Das immer wichtiger werdende Online-Geschäft von «echten» Büchern und von E-Books stellt uns als kleinen Schweizer Verlag vor vielfältige Herausforderungen: Das Ge-schäft diktieren wenige grosse, oft internatio-nal agierende Anbieter, die die Konditionen bestimmen, wenn man in den Datenbanken dieser Händler vorkommen will. Der weitaus grösste Online-Buchhändler der Schweiz ist amazon.de. Amazon nutzt seit einiger Zeit den Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz dazu, den Schweizer Kunden die Bücher mit mindestens 20 Prozent Rabatt vom eh schon günstigeren Euro-Preis porto-frei nach Hause zu schicken. Mit der Kosten-struktur von Amazon kann kein Schweizer Buchhändler mithalten. Was das allerdings für die Angestellten bei Amazon bedeutet – näm-lich katastrophale Arbeitsbedingungen und ein unmenschlicher Umgang mit den Mitar-beitenden –, hat ein kontrovers diskutierter ARD-Dokumentarfilm letztes Jahr gezeigt. Beim E-Book dominiert Amazon mit ihren Kindle-Geräten und dem Kindle-Shop seit Jahren ebenfalls den Markt. Es bleibt abzu-warten, ob die gemeinsamen Anstrengungen der Buchhändlerbranche im E-Book-Geschäft (mit den Tolino-Geräten und in der Schweiz auch mit dem E-Book-Angebot des Buchzen-trums Olten) Erfolg haben werden und dem übermächtigen Konkurrenten Amazon die Stirn bieten können.

Und was unternehmen wir als Christoph Merian Verlag, um auf diese Verwerfungen der

Branche im digitalen Zeitalter zu reagieren? Wir wollen einerseits den verbleibenden, enga-gierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern den Rücken stärken und sie bei Veranstaltun-gen, Lesungen etc. unterstützen, damit die Buchhandlung ein Ort der Begegnung und der Buchkompetenz bleibt. «Buy local»-Ini-tiativen etwa, wie sie auch von Basler Buch-handlungen angestossen wurden, sind absolut unterstützenswert. Gleichzeitig werden wir, wenn immer sinnvoll, auch elektronische Ver-sionen unserer Publikationen erstellen, so wie unsere Hörbücher schon seit mehreren Jahren auch per Download erhältlich sind. Darüber hinaus hat die Christoph Merian Stiftung viel in einen neuen Internetauftritt des Verlags investiert, der demnächst online gehen wird, und wir haben die Lieferbedingungen für Di-rektbestellung über unsere Website attraktiver gestaltet, damit eine Bestellung «ab Erzeuger» für unsere Kundinnen und Kunden interes-sant bleibt. Auf www.merianverlag.ch kann man in Bücher reinlesen, Hörbücher probe-hören, E-Books und Hörbücher downloaden und sich über Veranstaltungen informieren.

Das Verlegersein im 21. Jahrhundert ist spannend, herausfordernd und macht Spass: Wir sind Vermittler von Inhalten und The-men, wollen zu Diskussionen anregen und Geschichte lebendig werden lassen − egal in welcher Form: ob als Buch, Hörbuch, DVD, E-Book oder App. Das hat Zukunft!

Oliver Bolanz

— VIELLEICHT BESTEHT DIE EIGENTLICHE DEKADENZ

UNSERES ZEITALTERS JA GERADE DARIN, DASS

WIR NICHT MEHR ORDENTLICH ZERFALLEN

KÖNNEN.—

Abnahme der Menge mit Halbwertszeit

Zeit (T)

Menge

— WENN DAS WAREN­

WIRTSCHAFTSSYSTEM MELDET, DASS

EIN TITEL EINIGE TAGE NICHT VERKAUFT

WORDEN IST, FLIEGT DAS BUCH AUS DEM

SORTIMENT.—

DIE DIKTATUR DER INNOVATION

ODER: MORGEN IST DIE VERGANGENHEIT VON ÜBERMORGEN

Gemeinnützige Stiftungen haben gegenüber Staat und Wirtschaft einen entscheidenden Vorteil: Durch den rechtlich definierten Um-stand, dass Stiftungen ein selbstbestimmtes Zweckvermögen darstellen und sich quasi selbst gehören, sind sie, abgesehen von den Aufsichtsbehörden, niemandem Rechenschaft pflichtig. Dies gibt ihnen eine einzigartige Frei-heit. Abseits von Trends und Zeitgeist können sie das Unbequeme, das Neue, das Innovative fördern. Und sie nutzen ihre Freiheit. Kaum ein Förderkriterium kommt ohne den Ruf nach Pionierhaftem und Innovativem aus. Die Krux dabei ist aber, dass wirklich Neues nur von ganz wenigen gesehen wird, wie bereits Albert Einstein treffend vermerkt hat: «Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausge-schlossen erscheint.» Und damit ist der Mist noch lange nicht geführt. Ob sich eine Idee durchsetzt und sich der Ressourceneinsatz ge-lohnt hat, zeigt immer erst der Blick zurück. Dazwischen liegt ein langer Weg. Stiftungen, die sich der Innovationsförderung verschrie-ben haben, brauchen viel Sachverstand, einen langen Atem, eine grosse Unabhängigkeit im Denken und Entscheiden und eine enorm hohe Risikobereitschaft. Denn was heute in-novativ ist, kann morgen bereits überholt sein. Dies müssen Stiftungen und ihre Entschei-dungsträger aushalten.

Da liegt der Gedanke nahe, dass manche Stiftung gut beraten wäre, anstatt der manch-mal schon fast zwanghaften Forderung nach dem ewig Neuen Bewährtes und Liegengeblie-benes weiter zu fördern. Das Abfallprodukt des Innovationszwanges ist nämlich eine im-mer grösser werdende Halde anschubfinan-zierter Projekte und Initiativen. Vieles darun-

ter ist gut, nur: nicht mehr neu. Aber muss es das denn immer sein? Diese Fragen sollten sich Stiftungen vermehrt stellen. Sind sie nämlich nicht in der Lage, die oben erwähnten Bedin-gungen für wirkliche Innovationsförderung zu erfüllen, stünde es ihnen gut an, nach-haltig und hartnäckig die besten und nicht

immer die neusten Umsetzungen für ihren Stiftungszweck zu suchen. Christian Meyn, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Auridis GmbH, hat dies anlässlich der Präsentation seiner Förderstrategie am Schweizer Stiftungs-symposium 2013 in Basel auf den Punkt ge-bracht: «Es muss nicht immer innovativ sein. Es reicht, wenn es gut ist.»

Beate EckhardtBeate Eckhardt ist Geschäftsführerin von SwissFound-ations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen.

— WAS HEUTE

INNOVATIV IST, KANN MORGEN

BEREITS ÜBERHOLT SEIN.

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WIE NACHHALTIG IST DIE KULTURFÖRDERUNG

DER ZUKUNFT?Wenn wir über die Zukunft sprechen und wie wir in der Gegenwart handeln sollen, kommen wir nicht um sie herum: die Nachhaltigkeit. In ökologischen und ökonomischen Bereichen wurde in den letzten Jahren unter diesem Begriff ein zweifellos wertvolles Verständnis für langfristige Zusammenhänge entwickelt. Wir interessieren uns heute dafür, dass fahr-lässiger Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen unsere Lebensgrundlage zerstört. Wir bewerten zum Beispiel Bauvorhaben nach ihrer Nachhaltigkeit und erwarten von Inves-toren, dass sie ökologische und soziale Fak-toren respektieren. Sympathisch konkret ist der Soziologe Harald Welzer, der in seinem «Handbuch für eine enkeltaugliche Zukunft»1 gleich eine Sammlung von Beispielen gibt, wie heute schon Menschen erfolgreich wirtschaf-ten und dabei die Bedürfnisse kommender Generationen höher gewichten als die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung.

Darunter sind viele inspirierende Ge-schichten, die deutlich machen, dass es beim nachhaltigen Handeln nicht nur um Normen geht, sondern eben: um gute Geschichten und Vorbilder. Aber sind dies die richtigen Vorbilder für Kulturschaffende und -förde-rer? Soll auch Kultur immer «enkeltauglich» sein? Auch in die Kultur werden private und staatliche Gelder investiert, gerne wird dabei von einer Investition in die Gesellschaft, in die Zukunft, in das kreative Kapital oder in den Standort gesprochen. Die Aussicht auf eine Nachhaltigkeit dieser Investition ist verführe-risch – der Begriff verspricht Dauerhaftigkeit und ein stabiles Gleichgewicht des Systems. Nachhaltigkeit in diesem herkömmlichen Sinn hat aber einen faden Beigeschmack: den des Konservatismus.

Natürlich muss Kultur nicht immer enkel-tauglich sein. Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren ist nur ein (wenn auch teurer) Teil der Aufgaben, die kulturelle Akteure erfül-len, und damit allein ist es nicht getan. Die Gesundheit unseres kulturellen Systems hat mehr mit Wandlungsfähigkeit und Relevanz als mit Permanenz zu tun. Danach sollte sich das Verständnis nachhaltiger Kulturförderung richten. Wenn wir den Konservatismus aus der Nachhaltigkeit streichen, was bleibt übrig? Ei-nen konkreten Vorschlag hat WolfBrown Con-sulting 2011 in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel «Is Sustainability Sustainable?»2 ver-öffentlicht. Sie definieren die Nachhaltigkeit von arts organizations in drei Dimensionen: community relevance, artistic vibrancy und (die-sen untergeordnet) capitalization. In diesen Dimensionen sind die Faktoren für den Erfolg kultureller Unternehmungen zu suchen.

Gehen wir einen Schritt zurück und be-trachten den Kontext der Kulturförderung. In welchem Verhältnis steht das private En-gagement zum staatlichen, und welche Rolle übernimmt der NPO-Sektor, die Non-Profit-Organisationen? Unsere pluralistische Demo-kratie umfasst eine Vielzahl von Lebensfor-men, Sprachen und kulturellen Traditionen. Den einen Gemeinwillen, den die demokrati-sche Gesellschaftsordnung repräsentieren soll, gibt es nicht, sie kann lediglich die Pluralität verwalten und dabei vermeiden, zu stark Po-sition zu beziehen. Staatliche Kulturförderer sind deshalb gespalten in ihrer Rolle, selbst produktive Akteure der Kultur zu sein und gleichzeitig die Vielfalt der partikulären Wil-len gerecht zu beaufsichtigen.3 Gerade private Kulturförderer müssen es also wagen, sich mit den Minderheiten und den (möglicherweise

ERINNERN UND VERGESSEN

ZUR HALBWERTSZEIT DIGITALER KUNST

Für die Generation der Digital Natives ist ein Leben ohne Internet eine unmögliche Vor-stellung. Für sie war das globale Netzwerk schon immer da und ist zugleich prägend für ihre sozialen Interaktionen. Heute ist nahezu jeder mit Smartphone und Tablet-Computer ausgestattet, und die mobile Technologie er-möglicht es, dass wir jederzeit online sind und unsere digitalen Spuren im Netz auf Schritt und Tritt hinterlassen. Bewegungsdaten, Fa-cebook-Einträge – jede Aktivität ist unweiger-lich im globalen Netzwerk gespeichert, und auch so mancher kleine Fauxpas kann sich zum Problem auswachsen, wenn er sich nicht mehr tilgen lässt und auf ewig abrufbar bleibt. Bei all der Vernetzung stellt sich im Zeitalter von PRISM und den bekannt gewordenen staatlichen Übergriffen auf persönliche Da-ten immer zentraler die Frage des öffentlichen Zugriffs auf die digitale «Cloud» und die in ihr gespeicherten Informationen.

Dem digitalen Speicherwahn und der täg-lich wachsenden Datenflut steht im Bereich der digitalen Kultur dagegen das unaufhalt-same Vergessen gegenüber. Unser digitales Zeitalter ist geprägt von der Schnelllebigkeit von Technologien und der rasanten Weiter-entwicklung von Hardware und Software. Neue Geräte erscheinen in immer kürzeren Abständen auf dem Markt. Im Jahresrhythmus werden Smartphones und Betriebssysteme vorgestellt, die ihre Vorgänger an Funktiona-lität übertreffen, besser und schneller sind. Eine zehn Jahre alte Diskette hat da schon eine nahezu steinzeitliche Anmutung.

Zeitgenössische Medienkunst spürte schon immer den Veränderungen des technologi-schen Wandels nach und zeigte die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verände-rungen auf. Von der frühen Computergrafik der Sechzigerjahre bis hin zur Netzkunst der Neunzigerjahre, von Softwarekunst bis

Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit expo-nentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit.

Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, ist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir eine neue Software installiert, will sie aktu-alisiert werden. Kaum hat sich computerba-sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler als Shootingstar gefeiert, verschwindet er schon démodé in der Ver-senkung. Kaum hat das Stadtbuch ein Thema als ultraaktuell aufgegriffen, gerinnt es schon zwischen den Buchdeckeln zu Ge-schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es vom Buchhandel remit-tiert und verschwindet in der anonymen Backlist. Das ist die Kehrseite der «Diktatur der Innovation», der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech-nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als Motoren der Innovation, steigen jedem neuen

Trend nach und hinterlassen mit ihrem Inno-vationszwang einen Berg von halbfinanzierten Projekten und Initiativen.

Wir haben uns im vergangenen Jahr in der Abteilung Kultur zu mehreren internen Workshops zum Thema Innovation getroffen, denn schliesslich muss eine Stiftung wie die

Christoph Merian Stif-tung «open-minded» sein und an vorderster Front Neues fördern. Mit dieser Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen und bei meinen jüngeren Kolleginnen und Kolle-gen auf unerwartete und vehemente Opposition gestossen. Als Historiker, der dem Vergangenen und Vergehenden nähersteht

als der Extrapolierung in die Zukunft, fand ich mich als Apostel der Innovation plötzlich auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht sei krankhaft und bedeute einen unendlichen und unnötigen Druck. Die Anbetung des «Neuen» führe zu einer perversen Missach-tung des Gewachsenen, des Erreichten, des

Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart.

Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbe-reitschaft nicht eine innere Abschottung ge-gen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovati-onsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome?

Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kolle-gen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Inno-vationsdruck verursacht, indem er das Nach-denken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend not-wendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, he-rauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über

die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthe-ma «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und disku-tieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austausch-programm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Küns-ten. Die Illustrationen stammen von den wel-schen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen.

Beat von Wartburg

HALBWERTSZEITSCHWERPUNKT

hin zu interaktiven Installationen wird das Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Medien ausgelotet. Die Nutzung aktuellster Technologien führt zu immer kürzeren Halb-wertszeiten der digitalen und elektronischen Kunst.

Datenträger haben eine sehr begrenzte Le-bensdauer. Die technischen Komponenten ei-nes Werkes sind heute schnell veraltet, die Ge-räte selbst oft nicht mehr zu beschaffen. Ist das Material noch auf alten Datenträgern erhalten, so lässt es sich meist nicht mehr abspielen, da die Abspielgeräte nicht mehr funktionieren. So mancher Restaurator für Medienkunst ist dann schon mal auf Ebay aktiv, um obsolete Technik für alte Werke zu erstehen und wie-der in Betrieb zu nehmen. Hier braucht es Know-how und Expertenwissen, um diese Kunst vor dem endgültigen Verfall zu retten und historische Werke und Meilensteine der kulturhistorischen Entwicklung auch für die Zukunft zu bewahren.

Was also tun, um Werke der computer-basierten Kunst funktionstüchtig zu halten oder vor dem digitalen Verfall zu schützen? Museen und Kulturinstitutionen mit Samm-lungen digitaler und elektronischer Kunst setzen sich seit Jahren für den Fortbestand medialer Kunstformen und die Sicherung die-ser Werke ein. Die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Medienkunst führt dazu, dass individuell für jedes Werk eine passende Stra-tegie für den Erhalt gesucht werden muss. Bei den Videoinstallationen von Nam June Paik spielt der Röhrenmonitor eine zentrale Rolle, und so wird hier vor allem auf den Erhalt der Hardware gesetzt, auch wenn dies zeitlich nur begrenzt möglich ist. Pionierarbeiten der frü-hen Computerkunst stellen wiederum andere Herausforderungen an den Erhalt. Oftmals wird hier mit dem Prinzip der Emulation ge-arbeitet. Das bedeutet die Verwendung neuer Software, die versucht, den «Look and Feel» alter Programme zu erzeugen, um beispiels-weise den Bildaufbau einer Website bewusst

zu verlangsamen und damit die Ästhetik einer früheren Zeit zu reproduzieren. Die Migrati-on von Daten auf neue Betriebssysteme und aktuelle Software ist eine weitere Methode, und manchmal bleibt nur die Dokumenta-tion oder Re-Interpretation eines Werkes als Alternative.

Auch das Haus für elektronische Künste Basel (HeK) engagiert sich mit einer eigenen Sammlung für den Erhalt elektronischer und digitaler Kunst. Im Rahmen des trinationa-len Forschungs- und Restaurierungsprojekts «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» wurde zusammen mit Partnern aus Frankreich und Deutschland über drei Jahre an diesen zentralen Fragestellungen ge-arbeitet. Als Fallstudie wurde vonseiten des HeK das netzbasierte Projekt «TV Bot 2.0» des Schweizer Künstlers Marc Lee angekauft und behandelt. «TV Bot 2.0» von 2010 beruht auf einem von Lee entwickelten Programm, welches im Internet Bild-, Video-, Audio- und Textdaten zusammenträgt, die nicht älter als eine Stunde sind. Aus diesen Materialien aus unterschiedlichsten Kontexten wird live im In-ternet eine Nachrichtensendung generiert. Die Zugänglichkeit im globalen Netz ist ein in-härenter und wesentlicher Aspekt der Arbeit. Schon innerhalb weniger Jahre gab es starke Software-Veränderungen, die die ästhetische Anmutung und Funktionalität der Arbeit ver-ändert haben. Gemeinsam mit dem Künstler wurde am HeK eine Strategie zum Erhalt der ursprünglichen Intention und Ästhetik der Arbeit entwickelt.

Das Sammeln von digitaler Kunst stellt Kuratoren und Konservatoren vor neue Auf-gaben. Neben den genauen Informationen zu den technischen Komponenten einer Arbeit ist die Dokumentation der künstlerischen Idee und Wirkungsabsicht ein zentraler As-pekt, der aufgearbeitet werden muss. Nur so lässt sich später eine Funktionalität im Sinne des ursprünglichen künstlerischen Anliegens sicherstellen, die es den Kuratoren und Kon-

Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk

© Plonk & Replonk

Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit Bildern, Typografien und Prozentzahlen

© Plonk & Replonk

Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk

Diplomierter Abstempler, während eines Weiter bildungskurses dem frontalen Angriff einer

automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk

Lesemeerschweinchen © Plonk & Replonk

servatoren erlaubt, im Zweifelsfall eine Re-Interpretation eines Werks vorzunehmen. Die Herausforderungen sind gross, und es braucht übergreifende Strategien und Konzepte für den Austausch von Wissen und Information. «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» war eines dieser internationalen Projekte, die den fachlichen Diskurs beför-dert haben und gemeinsam Wege aus dem Dilemma des digitalen Verfalls und Vergessens weisen.

Sabine HimmelsbachSabine Himmelsbach ist Leiterin des Hauses für elektronische Künste Basel

a Hervé Graumann, Raoul Pictor cherche son style …,1993 – 1997Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

g Nam June Paik, Internet Dream, 1994 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

ÜBER DIE VERGÄNGLICHKEIT

EIN ESSAY

Wie schnell doch alles entschwindet! In der Welt die Menschen selbst, im Lauf der Zeit ihr Gedächtnis!

Marc Aurel

Seit dem Menschen bewusst ist, dass sein Da-sein ein endliches ist, befasst er sich in den mannigfaltigsten Formen quer durch die Ge-schichte mit dem Thema der Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis und die Auflehnung dage-gen liessen nicht nur Totenkulte entstehen, sondern auch Vorstellungen eines wie immer gearteten Jenseits, Religionen und philosophi-sche Schulen. Ihr verdanken wir grossartige Kunstwerke weit über die Memento-mori-Bildwelt mit ihren Stillleben hinaus, ganze Bibliotheken und reiche Symbolwelten, die ein Lexikon füllen würden. Erwähnt sei hier, beispielhaft, das Grabmal der Maria Magda-lena Langhans in der reformierten Kirche Hindelbank, 1751 von Johann August Nahl geschaffen. Die junge Frau starb bei der Ge-burt ihres Sohnes, der ihr bald nachfolgen soll-te. Durch die aufbrechende Grabplatte sieht man Mutter und Kind, die ihren Blick nach oben richten, eine eigentliche Auferstehungs-szene. Und ebenfalls beispielhaft: Einer der eindrücklichsten unter den Vergänglichkeits-texten findet sich im Alten Testament im Buch Kohelet, beginnend mit den Worten: «Nich-tig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» (Prediger 1,2), was bei Andreas Gryphius in seinem berühmten Vanitas-vanitatum-Gedicht wie folgt klingt:

Ich seh’ wohin ich seh nur Eitelkeit auff ErdenWas dieser heute bawt reist jener morgen ein Wo jtzt die Städte stehn so herrlich hoch vnd feinDa wird in kurtzem gehn ein Hirt mit

seinen Herden: […]

Als Schlüsseltext zum Thema Vergäng-lichkeit kann auch die Geschichte von Adam und Eva gelesen werden: Durch den Genuss des Apfels vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben, werden sie sich ih-rer begrenzten Lebensspanne bewusst; eine Erfahrung um die eigene Endlichkeit, die jeder Mensch einmal – mehr oder weniger schmerzlich – machen muss. Der Möglich-keiten, wie wir damit umgehen, sind viele, und sie prägen oft mit, wie wir zu unserem Leben stehen und wie wir es gestalten. Werden wir zu habgierigen Raffern, zu Hedonisten im heutigen Sinn des Begriffs, verfallen wir in Trauer und Depressionen oder entwickeln wir einen gewissen Gleichmut, der sowohl die fröhlichen Melodien als auch die Basssaiten des Lebens kennt?

Unsere Gesellschaft hat verschiedene Stra-tegien entwickelt, wie mit Vergänglichkeit um-gegangen werden kann. Eine davon besteht im Sammeln und Horten, dem verzweifelten (und letztlich vergeblichen) Versuch, Dinge, Objek-te vor dem Zerfall und Vergehen zu bewahren. Davon zeugen unzählige Museen mit ihren oft schon jetzt aus allen Nähten platzenden Depots. Wer in den letzten Monaten durch die Klus bei Angenstein fuhr, dem bot sich hoch über der Birs ein starkes und zunächst irritierendes Bild, das beispielhaft von diesem

LOB DES ZERFALLS

Der Fortschritt ist ein schielender Engel. Ein geflügeltes Wesen mit lockigem Haar und bemerkenswert kleinen Füssen, aber auch mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ein bleiches Geschöpf, dessen Flügel so weit aufgespannt sind, dass sich in ihnen die Paradieseswinde verfangen, die es unablässig in die Zukunft wehen lassen. So zumindest hat Walter Benjamin in seiner berühmten neunten geschichtsphilosophischen These eine Zeichnung von Paul Klee interpretiert

und damit die ganze Ambivalenz umrissen, mit der uns die Ausläufer der Moderne noch immer umfangen, das lächelnd fletschende Faszinosum tremendum unserer zerrissenen Conditio postpostpost. Während wir dabei aus unsrer kleinen Gegenwart eine Kette von Begebenheiten dicht hinter und dicht vor uns erblicken, die einen logischen Sinn zu ergeben scheinen, sieht Benjamins melancholischer Engel der Geschichte das Werden und Verge-hen all unsrer Errungenschaften buchstäblich

in Windeseile vor sich auf- und wieder nieder-steigen; erschrocken über den steten Zerfall, möchte er die Trümmer wieder zusammenfü-gen, doch der Sturm treibt ihn endlos weiter.

Die Winde des Fortschritts sind seit Er-scheinen von Benjamins Text 1928 bestimmt nicht milder und verdaulicher geworden, viel-mehr haben sie sich im Zuge globalisierter Produktionsprozesse in einen Pesthauch des ewig Neuen verwandelt. Mit den sekündlich auf den Markt poppenden Erzeugnissen der

Warenindustrie wird unsere durchschnittli-che Adrenalinausschüttung dabei so sehr im Fluss gehalten, dass unsere Aufmerksamkeit der Gegenwart immer schon hinterherhin-ken muss. Es ist kein Geheimnis, dass uns die Dinge und Informationen seit langer Zeit in gespenstischer Weise auf allen Kanälen be-drängen, und bis wir jeweils herausgefunden haben, ob es sich bei dem jeweiligen neusten Wunderwerk nun um billigen Trash oder um wertvolle Inputs handelt, ist die Produktion

Drang des Bewahrens spricht: Auf einem Fels-sporn des Blauen steht die Ruine Pfeffingen, eingerüstet, ein Baukran streckt seinen Ausle-ger in den Himmel. Mag das Unterfangen, die Ruine zu erhalten, durchaus zu begrüssen sein, so löst es doch auch Bedenken aus, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Reste der Burg im 18. Jahrhundert als Steinbruch versteigert wurden: andere Zeiten, andere Sitten …

Eine weitere Strategie, der Vergänglich-keit zu trotzen, findet sich in verschiedenen Textformen, in Briefen und Rödeln, in Do-kumenten, Verträgen, Büchern, Chroniken, gesammelt in Archiven und Bibliotheken. Das Sammeln und Bewahren ist das eine, das ande-re das Zugänglichmachen: Ohne Transkriptio-nen, ohne Übersetzungen (ein Lob all denen, die das Erlernen des Lateinischen nach wie vor sinnvoll finden!) und ohne sich immer wieder durch die Seiten mühende Leserschaft gäben uns die Texte früher oder später die gleichen Rätsel auf wie die etruskische Sprache.

Chroniken spielen auch für die Basler Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle. Die wohl einer breiteren Öffentlichkeit bekann-teste ist das Werk von Christian Wurstisen, 1580 bei Sebastian Henricpetri erschienen: ein Genuss, darin zu lesen! Weniger bekannt, aber für die Stadtgeschichte eine grossartige Fundgrube sind die Basler Chroniken, deren erster Band 1872 und deren bisher letzter, der zwölfte, 2009 erschien. Eine Jahreschronik war auch lange Zeit Bestandteil der gedruckten Ausgabe des Basler Stadtbuchs – das dieser Tage zum 134. Mal erschienen ist. Seit 2011 ist dieser Chronikteil in digitaler Form zugäng-lich (www.baslerchronik.ch). Wenn die digi-talisierte Chronik auch nach wie vor versucht, das Wissen über Ereignisse der Nachwelt zu erhalten, so ist sie doch gleichzeitig von einer neuen und beschleunigten Art der Vergäng-lichkeit bedroht.

Dabei haben technische Erfindungen im-mer wieder gesammeltes Wissen in Buchform bedroht, so zum Beispiel die Entwicklung des

Holzschliffverfahrens in der Papierherstel-lung. Die Papiere waren zwar billiger, jedoch auf Kosten der Haltbarkeit, was dazu führ-te, dass ganze Bibliotheken in aufwendigen Verfahren vor dem Zerfall geschützt werden müssen. Bei den digitalen Daten droht nun eine andere Gefahr: Die aktuell verwendeten Datenträger haben eine vergleichsweise kurze Lebensdauer, ebenso die entsprechenden Lese-geräte. Daten müssen deshalb in immer kürze-ren Zeitabständen auf neue Träger überspielt werden. Doch wer entscheidet, was würdig ist, in die Zukunft gerettet zu werden, und was verschwindet endgültig aus dem Gedächtnis der Menschheit?

Nehmen wir’s mit einer gewissen Gelas-senheit und schliessen wir mit Arno Holz’ «Geisterduo»:

Der Zeitgeist brennt wie trocknes StrohUnd singt: «In dulci jubilo!»Der Weltgeist brummt dazu im Baß:«O vanitatum vanitas!»

Lukas HartmannLukas Hartmann ist Gestalter, Dozent und Redaktor des Basler Stadtbuchs.

bereits wieder eingestellt worden. Der Philo-soph und Medientheoretiker Boris Groys hat diese Zusammenhänge in seiner Abhandlung «Über das Neue» (1992) noch entspannt und nur mit einem ganz sanften zynischen Un-terton beschrieben, wenn er in einer typisch postmodernen Wendung behauptete, dass das von der Industrie so fetischisierte Neue eigentlich nur das recyclierte Alte sei; denn die Kategorie des Neuen komme, so Groys, erst in der Moderne mit der Entstehung der grossen Archive und Sammlungen auf: Erst seit man über eine allgemeinere Übersicht fein säuberlich etikettierter Objekte und Gedan-ken verfügt, lassen sich Vergleiche zwischen alten und neuen Dingen ziehen – und dabei, so Groys, lassen sich auch im Archiv gelagerte Ideen wieder hervorholen, neu aufbereiten und als Scoop verkaufen, während der letzte Schrei auf der anderen Seite des Produktions-rades gerade dabei ist, wieder in die Tiefen des kulturellen Fundus zu sinken.

Boris Groys versteht den Fortschritt also, ähnlich wie Walter Benjamin, als einen stets sich weitertreibenden Prozess von Werden und Vergehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es uns in all der trommelnden Neu-heitsakupunktur tatsächlich jemals gelingt, dem Vergehen der Dinge auch nur ein Nano-Mü an Aufmerksamkeit und Hirnschmalz zu widmen? Wann haben wir uns in der Raserei der brennenden Alltagsgeschäfte je die Zeit genommen, uns mit der Würde des Zerfal-lens zu beschäftigen? Und wissen die Objekte überhaupt, wie sie schad- und lautlos in die (endgültige oder vorgelagerte) Hölle der Un-Dinge verschwinden können, sind sie des Zer-rinnens überhaupt fähig? Der amerikanische Fotograf und Filmemacher David LaChapelle

greift diese Fragen in seinen farbenprächtigen Vanitas-Bildern in pointiert ironischer Weise auf, wenn sich unter seinen üppigen, majestä-tisch welkenden Blumensträussen nach dem Vorbild niederländischer Stillleben frisch und unvergänglich zerknautschte PET-Flaschen, glänzende Plastikprothesen und ewig verbun-dene Mobiltelefone recken. Vielleicht besteht die eigentliche Dekadenz unseres Zeitalters ja gerade darin, dass wir nicht mehr ordentlich zerfallen können. Vielleicht würden wir uns weniger ausgepresst fühlen, wenn wir uns pa-rallel zu all den Neuheitshuldigungen ganz still und unauffällig auch dem natürlichen Erschöpfungsprozess aller organischen und anorganischen Materie hingeben könnten. Es mag vielleicht etwas unbescheiden klin-gen, aber im Kern ist es eigentlich genau das, was das Internationale Austauschprogramm iaab mit seinen Auslandstipendien anstrebt: den Prozessen von Entstehen und Vergehen, Ankommen und Dasein Raum zu geben, das Leben zu entschleunigen und den Kunstschaf-fenden eine Auszeit aus der Hektik des ufer-losen Produktions- und Broterwerbszwangs zu ermöglichen.

Alexandra Stäheli

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zukunftsweisenden) Randerscheinungen zu befassen. Als Vertreter eines dritten Sektors, die ihre Rolle zwischen Staat, Gesellschaft und Markt ständig neu verhandeln müssen, stehen NPOs besonders in der Pflicht. NPOs müssen Instrumente entwickeln, mit denen sie gesell-schaftlich relevante Erscheinungen erfassen und gezielt darauf reagieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Geldverwaltern werden, die sich selbst mit bürokratischen Prozessen und formalen Argumentationen lähmen.

Es gibt in der Kulturförderung einen zent-ralen Unterschied zur Ökologie: Kreativität ist keine knappe Ressource. Private und Förderer in NPOs sollten sich für die Sache der Kultur mutig, partikulär und verschwenderisch (statt vorsichtig, gerecht und sparsam) einsetzen, um

die Gesellschaft im Rahmen einer Kultur der Demokratie mitzugestalten. Paradoxerweise bedeutet gerade dies die wahre nachhaltige Kulturförderung.

Christoph Meneghetti

1 Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der Futur-zwei Zukunftsalmanach 2013, Frankfurt 2012.

2 Alan Brown, Joseph Kluger et al.: Is Sustainability Sustainable?, Sounding Board Vol. 30, 2011 (http://wolfbrown.com/insights/41-sounding-board/348-is-sustainability-sustainable)

3 Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Demokratie, in: Public Affairs. Von Beuys bis Zittel: Das Öffentliche in der Kunst, Kunsthaus Zürich (Katalog) 2002 (http://www.publicaffairs.ch/groys_boris.html)

GERANGEL IN REGAL UND INTERNET

ODER: DER WANDEL IM BUCHHANDEL

55 Thesen zur Entwicklung des Buchhandels und der Verlage bis 2025 hat der Börsenver-ein – der Verband der deutschen Verleger und Buchhändler – 2011 aufgestellt. Die The-sen sorgten seinerzeit für grosse Aufregung in der Branche. Mittlerweile weiss man: Die Veränderungen werden noch viel schneller und drastischer kommen als vorhergesagt. Der Grundsatz bleibt derselbe, die beiden Kernaussagen werden sich wohl einfach noch rascher und drastischer bewahrheiten: 1) Der Buchhandel verliert über einen Drittel seiner Verkaufsfläche, sei es durch Schliessung gan-zer Geschäfte oder Umnutzung vorhandener Flächen für andere Waren. 2) Der Verkaufsweg Internet wird stark an Bedeutung zunehmen, mit ihm der Anteil der E-Books, die allerdings das gedruckte Buch nicht verdrängen, jedoch einen Anteil von bis zu dreissig Prozent des Buchmarkts einnehmen werden.

Was bedeutet das für uns Verleger? Noch immer erscheinen jedes Jahr über 90 000 neue deutschsprachige Bücher. Diese Novitäten konkurrieren mit immer weniger Platz in den Regalen der verbliebenen Buchhandlungen. Längst gibt es in den grossen Geschäften ne-ben Druckerzeugnissen Papeterie-, Geschenk-artikel und allerlei Wellness-Schnickschnack (von der Duftkerze über den Badezusatz bis zum Zimmerspringbrunnen) zu kaufen, und die Kinderbuchabteilung ähnelt oft einem Spielzeugladen. Den Buchhändlern darf man deswegen keinen Vorwurf machen: Vie-le kämpfen ums Überleben und müssen auf die veränderten Kaufgewohnheiten der Kon-sumenten reagieren. Fraglich ist aber, ob ein solcher «Gemischtwarenladen» für buchaffine Menschen auf Dauer ein attraktiver Ort zum Bücherkaufen bleibt. Ich fürchte eher nein.

Selbst wenn die vielen Neuerscheinungen die begehrten Plätze in den Regalen und auf den Tischen der Buchhandlungen einnehmen (wo-bei die Stapel direkt bei den Eingängen gerade von Buchhandlungsketten oft von Grossver-lagen mit dem Ziel gekauft werden, populäre Mainstream-Titel noch begehrenswerter er-scheinen zu lassen − man nennt das «Werbe-kostenzuschuss» an die Buchhändler), müssen sich auch diese möglichst rasch verkaufen und am besten täglich in der Verlagsauslieferung nachgeordert werden. Wenn das Warenwirt-

schaftssystem aber meldet, dass ein Titel einige Tage nicht verkauft worden ist, fliegt das Buch aus dem Sortiment oder schafft es bestenfalls noch, als Einzeltitel im Regal eingereiht zu werden. Denn: Jede Woche erscheinen wei-tere Publikationen aus diversen Verlagen, die eben auch in die Regale und auf die Tische drängen. Die Halbwertszeit der Aufmerksam-keit für Neuerscheinungen ist somit oft er-nüchternd kurz. So kann es etwa vorkommen, dass der Katalog einer aktuellen Ausstellung

in einem Basler Museum von der örtlichen Buchhandlung bereits drei bis vier Wochen nach Eröffnung remittiert, d.h. zurück an die Verlagsauslieferung geschickt wird und die Buchhandlung dafür eine Gutschrift erhält.

Das immer wichtiger werdende Online-Geschäft von «echten» Büchern und von E-Books stellt uns als kleinen Schweizer Verlag vor vielfältige Herausforderungen: Das Ge-schäft diktieren wenige grosse, oft internatio-nal agierende Anbieter, die die Konditionen bestimmen, wenn man in den Datenbanken dieser Händler vorkommen will. Der weitaus grösste Online-Buchhändler der Schweiz ist amazon.de. Amazon nutzt seit einiger Zeit den Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz dazu, den Schweizer Kunden die Bücher mit mindestens 20 Prozent Rabatt vom eh schon günstigeren Euro-Preis porto-frei nach Hause zu schicken. Mit der Kosten-struktur von Amazon kann kein Schweizer Buchhändler mithalten. Was das allerdings für die Angestellten bei Amazon bedeutet – näm-lich katastrophale Arbeitsbedingungen und ein unmenschlicher Umgang mit den Mitar-beitenden –, hat ein kontrovers diskutierter ARD-Dokumentarfilm letztes Jahr gezeigt. Beim E-Book dominiert Amazon mit ihren Kindle-Geräten und dem Kindle-Shop seit Jahren ebenfalls den Markt. Es bleibt abzu-warten, ob die gemeinsamen Anstrengungen der Buchhändlerbranche im E-Book-Geschäft (mit den Tolino-Geräten und in der Schweiz auch mit dem E-Book-Angebot des Buchzen-trums Olten) Erfolg haben werden und dem übermächtigen Konkurrenten Amazon die Stirn bieten können.

Und was unternehmen wir als Christoph Merian Verlag, um auf diese Verwerfungen der

Branche im digitalen Zeitalter zu reagieren? Wir wollen einerseits den verbleibenden, enga-gierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern den Rücken stärken und sie bei Veranstaltun-gen, Lesungen etc. unterstützen, damit die Buchhandlung ein Ort der Begegnung und der Buchkompetenz bleibt. «Buy local»-Ini-tiativen etwa, wie sie auch von Basler Buch-handlungen angestossen wurden, sind absolut unterstützenswert. Gleichzeitig werden wir, wenn immer sinnvoll, auch elektronische Ver-sionen unserer Publikationen erstellen, so wie unsere Hörbücher schon seit mehreren Jahren auch per Download erhältlich sind. Darüber hinaus hat die Christoph Merian Stiftung viel in einen neuen Internetauftritt des Verlags investiert, der demnächst online gehen wird, und wir haben die Lieferbedingungen für Di-rektbestellung über unsere Website attraktiver gestaltet, damit eine Bestellung «ab Erzeuger» für unsere Kundinnen und Kunden interes-sant bleibt. Auf www.merianverlag.ch kann man in Bücher reinlesen, Hörbücher probe-hören, E-Books und Hörbücher downloaden und sich über Veranstaltungen informieren.

Das Verlegersein im 21. Jahrhundert ist spannend, herausfordernd und macht Spass: Wir sind Vermittler von Inhalten und The-men, wollen zu Diskussionen anregen und Geschichte lebendig werden lassen − egal in welcher Form: ob als Buch, Hörbuch, DVD, E-Book oder App. Das hat Zukunft!

Oliver Bolanz

— VIELLEICHT BESTEHT DIE EIGENTLICHE DEKADENZ

UNSERES ZEITALTERS JA GERADE DARIN, DASS

WIR NICHT MEHR ORDENTLICH ZERFALLEN

KÖNNEN.—

Abnahme der Menge mit Halbwertszeit

Zeit (T)

Menge

— WENN DAS WAREN­

WIRTSCHAFTSSYSTEM MELDET, DASS

EIN TITEL EINIGE TAGE NICHT VERKAUFT

WORDEN IST, FLIEGT DAS BUCH AUS DEM

SORTIMENT.—

DIE DIKTATUR DER INNOVATION

ODER: MORGEN IST DIE VERGANGENHEIT VON ÜBERMORGEN

Gemeinnützige Stiftungen haben gegenüber Staat und Wirtschaft einen entscheidenden Vorteil: Durch den rechtlich definierten Um-stand, dass Stiftungen ein selbstbestimmtes Zweckvermögen darstellen und sich quasi selbst gehören, sind sie, abgesehen von den Aufsichtsbehörden, niemandem Rechenschaft pflichtig. Dies gibt ihnen eine einzigartige Frei-heit. Abseits von Trends und Zeitgeist können sie das Unbequeme, das Neue, das Innovative fördern. Und sie nutzen ihre Freiheit. Kaum ein Förderkriterium kommt ohne den Ruf nach Pionierhaftem und Innovativem aus. Die Krux dabei ist aber, dass wirklich Neues nur von ganz wenigen gesehen wird, wie bereits Albert Einstein treffend vermerkt hat: «Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausge-schlossen erscheint.» Und damit ist der Mist noch lange nicht geführt. Ob sich eine Idee durchsetzt und sich der Ressourceneinsatz ge-lohnt hat, zeigt immer erst der Blick zurück. Dazwischen liegt ein langer Weg. Stiftungen, die sich der Innovationsförderung verschrie-ben haben, brauchen viel Sachverstand, einen langen Atem, eine grosse Unabhängigkeit im Denken und Entscheiden und eine enorm hohe Risikobereitschaft. Denn was heute in-novativ ist, kann morgen bereits überholt sein. Dies müssen Stiftungen und ihre Entschei-dungsträger aushalten.

Da liegt der Gedanke nahe, dass manche Stiftung gut beraten wäre, anstatt der manch-mal schon fast zwanghaften Forderung nach dem ewig Neuen Bewährtes und Liegengeblie-benes weiter zu fördern. Das Abfallprodukt des Innovationszwanges ist nämlich eine im-mer grösser werdende Halde anschubfinan-zierter Projekte und Initiativen. Vieles darun-

ter ist gut, nur: nicht mehr neu. Aber muss es das denn immer sein? Diese Fragen sollten sich Stiftungen vermehrt stellen. Sind sie nämlich nicht in der Lage, die oben erwähnten Bedin-gungen für wirkliche Innovationsförderung zu erfüllen, stünde es ihnen gut an, nach-haltig und hartnäckig die besten und nicht

immer die neusten Umsetzungen für ihren Stiftungszweck zu suchen. Christian Meyn, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Auridis GmbH, hat dies anlässlich der Präsentation seiner Förderstrategie am Schweizer Stiftungs-symposium 2013 in Basel auf den Punkt ge-bracht: «Es muss nicht immer innovativ sein. Es reicht, wenn es gut ist.»

Beate EckhardtBeate Eckhardt ist Geschäftsführerin von SwissFound-ations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen.

— WAS HEUTE

INNOVATIV IST, KANN MORGEN

BEREITS ÜBERHOLT SEIN.

WIE NACHHALTIG IST DIE KULTURFÖRDERUNG

DER ZUKUNFT?Wenn wir über die Zukunft sprechen und wie wir in der Gegenwart handeln sollen, kommen wir nicht um sie herum: die Nachhaltigkeit. In ökologischen und ökonomischen Bereichen wurde in den letzten Jahren unter diesem Begriff ein zweifellos wertvolles Verständnis für langfristige Zusammenhänge entwickelt. Wir interessieren uns heute dafür, dass fahr-lässiger Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen unsere Lebensgrundlage zerstört. Wir bewerten zum Beispiel Bauvorhaben nach ihrer Nachhaltigkeit und erwarten von Inves-toren, dass sie ökologische und soziale Fak-toren respektieren. Sympathisch konkret ist der Soziologe Harald Welzer, der in seinem «Handbuch für eine enkeltaugliche Zukunft»1 gleich eine Sammlung von Beispielen gibt, wie heute schon Menschen erfolgreich wirtschaf-ten und dabei die Bedürfnisse kommender Generationen höher gewichten als die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung.

Darunter sind viele inspirierende Ge-schichten, die deutlich machen, dass es beim nachhaltigen Handeln nicht nur um Normen geht, sondern eben: um gute Geschichten und Vorbilder. Aber sind dies die richtigen Vorbilder für Kulturschaffende und -förde-rer? Soll auch Kultur immer «enkeltauglich» sein? Auch in die Kultur werden private und staatliche Gelder investiert, gerne wird dabei von einer Investition in die Gesellschaft, in die Zukunft, in das kreative Kapital oder in den Standort gesprochen. Die Aussicht auf eine Nachhaltigkeit dieser Investition ist verführe-risch – der Begriff verspricht Dauerhaftigkeit und ein stabiles Gleichgewicht des Systems. Nachhaltigkeit in diesem herkömmlichen Sinn hat aber einen faden Beigeschmack: den des Konservatismus.

Natürlich muss Kultur nicht immer enkel-tauglich sein. Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren ist nur ein (wenn auch teurer) Teil der Aufgaben, die kulturelle Akteure erfül-len, und damit allein ist es nicht getan. Die Gesundheit unseres kulturellen Systems hat mehr mit Wandlungsfähigkeit und Relevanz als mit Permanenz zu tun. Danach sollte sich das Verständnis nachhaltiger Kulturförderung richten. Wenn wir den Konservatismus aus der Nachhaltigkeit streichen, was bleibt übrig? Ei-nen konkreten Vorschlag hat WolfBrown Con-sulting 2011 in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel «Is Sustainability Sustainable?»2 ver-öffentlicht. Sie definieren die Nachhaltigkeit von arts organizations in drei Dimensionen: community relevance, artistic vibrancy und (die-sen untergeordnet) capitalization. In diesen Dimensionen sind die Faktoren für den Erfolg kultureller Unternehmungen zu suchen.

Gehen wir einen Schritt zurück und be-trachten den Kontext der Kulturförderung. In welchem Verhältnis steht das private En-gagement zum staatlichen, und welche Rolle übernimmt der NPO-Sektor, die Non-Profit-Organisationen? Unsere pluralistische Demo-kratie umfasst eine Vielzahl von Lebensfor-men, Sprachen und kulturellen Traditionen. Den einen Gemeinwillen, den die demokrati-sche Gesellschaftsordnung repräsentieren soll, gibt es nicht, sie kann lediglich die Pluralität verwalten und dabei vermeiden, zu stark Po-sition zu beziehen. Staatliche Kulturförderer sind deshalb gespalten in ihrer Rolle, selbst produktive Akteure der Kultur zu sein und gleichzeitig die Vielfalt der partikulären Wil-len gerecht zu beaufsichtigen.3 Gerade private Kulturförderer müssen es also wagen, sich mit den Minderheiten und den (möglicherweise

ERINNERN UND VERGESSEN

ZUR HALBWERTSZEIT DIGITALER KUNST

Für die Generation der Digital Natives ist ein Leben ohne Internet eine unmögliche Vor-stellung. Für sie war das globale Netzwerk schon immer da und ist zugleich prägend für ihre sozialen Interaktionen. Heute ist nahezu jeder mit Smartphone und Tablet-Computer ausgestattet, und die mobile Technologie er-möglicht es, dass wir jederzeit online sind und unsere digitalen Spuren im Netz auf Schritt und Tritt hinterlassen. Bewegungsdaten, Fa-cebook-Einträge – jede Aktivität ist unweiger-lich im globalen Netzwerk gespeichert, und auch so mancher kleine Fauxpas kann sich zum Problem auswachsen, wenn er sich nicht mehr tilgen lässt und auf ewig abrufbar bleibt. Bei all der Vernetzung stellt sich im Zeitalter von PRISM und den bekannt gewordenen staatlichen Übergriffen auf persönliche Da-ten immer zentraler die Frage des öffentlichen Zugriffs auf die digitale «Cloud» und die in ihr gespeicherten Informationen.

Dem digitalen Speicherwahn und der täg-lich wachsenden Datenflut steht im Bereich der digitalen Kultur dagegen das unaufhalt-same Vergessen gegenüber. Unser digitales Zeitalter ist geprägt von der Schnelllebigkeit von Technologien und der rasanten Weiter-entwicklung von Hardware und Software. Neue Geräte erscheinen in immer kürzeren Abständen auf dem Markt. Im Jahresrhythmus werden Smartphones und Betriebssysteme vorgestellt, die ihre Vorgänger an Funktiona-lität übertreffen, besser und schneller sind. Eine zehn Jahre alte Diskette hat da schon eine nahezu steinzeitliche Anmutung.

Zeitgenössische Medienkunst spürte schon immer den Veränderungen des technologi-schen Wandels nach und zeigte die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verände-rungen auf. Von der frühen Computergrafik der Sechzigerjahre bis hin zur Netzkunst der Neunzigerjahre, von Softwarekunst bis

Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit expo-nentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit.

Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, ist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir eine neue Software installiert, will sie aktu-alisiert werden. Kaum hat sich computerba-sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler als Shootingstar gefeiert, verschwindet er schon démodé in der Ver-senkung. Kaum hat das Stadtbuch ein Thema als ultraaktuell aufgegriffen, gerinnt es schon zwischen den Buchdeckeln zu Ge-schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es vom Buchhandel remit-tiert und verschwindet in der anonymen Backlist. Das ist die Kehrseite der «Diktatur der Innovation», der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech-nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als Motoren der Innovation, steigen jedem neuen

Trend nach und hinterlassen mit ihrem Inno-vationszwang einen Berg von halbfinanzierten Projekten und Initiativen.

Wir haben uns im vergangenen Jahr in der Abteilung Kultur zu mehreren internen Workshops zum Thema Innovation getroffen, denn schliesslich muss eine Stiftung wie die

Christoph Merian Stif-tung «open-minded» sein und an vorderster Front Neues fördern. Mit dieser Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen und bei meinen jüngeren Kolleginnen und Kolle-gen auf unerwartete und vehemente Opposition gestossen. Als Historiker, der dem Vergangenen und Vergehenden nähersteht

als der Extrapolierung in die Zukunft, fand ich mich als Apostel der Innovation plötzlich auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht sei krankhaft und bedeute einen unendlichen und unnötigen Druck. Die Anbetung des «Neuen» führe zu einer perversen Missach-tung des Gewachsenen, des Erreichten, des

Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart.

Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbe-reitschaft nicht eine innere Abschottung ge-gen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovati-onsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome?

Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kolle-gen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Inno-vationsdruck verursacht, indem er das Nach-denken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend not-wendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, he-rauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über

die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthe-ma «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und disku-tieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austausch-programm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Küns-ten. Die Illustrationen stammen von den wel-schen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen.

Beat von Wartburg

HALBWERTSZEITSCHWERPUNKT

hin zu interaktiven Installationen wird das Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Medien ausgelotet. Die Nutzung aktuellster Technologien führt zu immer kürzeren Halb-wertszeiten der digitalen und elektronischen Kunst.

Datenträger haben eine sehr begrenzte Le-bensdauer. Die technischen Komponenten ei-nes Werkes sind heute schnell veraltet, die Ge-räte selbst oft nicht mehr zu beschaffen. Ist das Material noch auf alten Datenträgern erhalten, so lässt es sich meist nicht mehr abspielen, da die Abspielgeräte nicht mehr funktionieren. So mancher Restaurator für Medienkunst ist dann schon mal auf Ebay aktiv, um obsolete Technik für alte Werke zu erstehen und wie-der in Betrieb zu nehmen. Hier braucht es Know-how und Expertenwissen, um diese Kunst vor dem endgültigen Verfall zu retten und historische Werke und Meilensteine der kulturhistorischen Entwicklung auch für die Zukunft zu bewahren.

Was also tun, um Werke der computer-basierten Kunst funktionstüchtig zu halten oder vor dem digitalen Verfall zu schützen? Museen und Kulturinstitutionen mit Samm-lungen digitaler und elektronischer Kunst setzen sich seit Jahren für den Fortbestand medialer Kunstformen und die Sicherung die-ser Werke ein. Die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Medienkunst führt dazu, dass individuell für jedes Werk eine passende Stra-tegie für den Erhalt gesucht werden muss. Bei den Videoinstallationen von Nam June Paik spielt der Röhrenmonitor eine zentrale Rolle, und so wird hier vor allem auf den Erhalt der Hardware gesetzt, auch wenn dies zeitlich nur begrenzt möglich ist. Pionierarbeiten der frü-hen Computerkunst stellen wiederum andere Herausforderungen an den Erhalt. Oftmals wird hier mit dem Prinzip der Emulation ge-arbeitet. Das bedeutet die Verwendung neuer Software, die versucht, den «Look and Feel» alter Programme zu erzeugen, um beispiels-weise den Bildaufbau einer Website bewusst

zu verlangsamen und damit die Ästhetik einer früheren Zeit zu reproduzieren. Die Migrati-on von Daten auf neue Betriebssysteme und aktuelle Software ist eine weitere Methode, und manchmal bleibt nur die Dokumenta-tion oder Re-Interpretation eines Werkes als Alternative.

Auch das Haus für elektronische Künste Basel (HeK) engagiert sich mit einer eigenen Sammlung für den Erhalt elektronischer und digitaler Kunst. Im Rahmen des trinationa-len Forschungs- und Restaurierungsprojekts «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» wurde zusammen mit Partnern aus Frankreich und Deutschland über drei Jahre an diesen zentralen Fragestellungen ge-arbeitet. Als Fallstudie wurde vonseiten des HeK das netzbasierte Projekt «TV Bot 2.0» des Schweizer Künstlers Marc Lee angekauft und behandelt. «TV Bot 2.0» von 2010 beruht auf einem von Lee entwickelten Programm, welches im Internet Bild-, Video-, Audio- und Textdaten zusammenträgt, die nicht älter als eine Stunde sind. Aus diesen Materialien aus unterschiedlichsten Kontexten wird live im In-ternet eine Nachrichtensendung generiert. Die Zugänglichkeit im globalen Netz ist ein in-härenter und wesentlicher Aspekt der Arbeit. Schon innerhalb weniger Jahre gab es starke Software-Veränderungen, die die ästhetische Anmutung und Funktionalität der Arbeit ver-ändert haben. Gemeinsam mit dem Künstler wurde am HeK eine Strategie zum Erhalt der ursprünglichen Intention und Ästhetik der Arbeit entwickelt.

Das Sammeln von digitaler Kunst stellt Kuratoren und Konservatoren vor neue Auf-gaben. Neben den genauen Informationen zu den technischen Komponenten einer Arbeit ist die Dokumentation der künstlerischen Idee und Wirkungsabsicht ein zentraler As-pekt, der aufgearbeitet werden muss. Nur so lässt sich später eine Funktionalität im Sinne des ursprünglichen künstlerischen Anliegens sicherstellen, die es den Kuratoren und Kon-

Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk

© Plonk & Replonk

Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit Bildern, Typografien und Prozentzahlen

© Plonk & Replonk

Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk

Diplomierter Abstempler, während eines Weiter bildungskurses dem frontalen Angriff einer

automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk

Lesemeerschweinchen © Plonk & Replonk

servatoren erlaubt, im Zweifelsfall eine Re-Interpretation eines Werks vorzunehmen. Die Herausforderungen sind gross, und es braucht übergreifende Strategien und Konzepte für den Austausch von Wissen und Information. «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» war eines dieser internationalen Projekte, die den fachlichen Diskurs beför-dert haben und gemeinsam Wege aus dem Dilemma des digitalen Verfalls und Vergessens weisen.

Sabine HimmelsbachSabine Himmelsbach ist Leiterin des Hauses für elektronische Künste Basel

a Hervé Graumann, Raoul Pictor cherche son style …,1993 – 1997Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

g Nam June Paik, Internet Dream, 1994 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

ÜBER DIE VERGÄNGLICHKEIT

EIN ESSAY

Wie schnell doch alles entschwindet! In der Welt die Menschen selbst, im Lauf der Zeit ihr Gedächtnis!

Marc Aurel

Seit dem Menschen bewusst ist, dass sein Da-sein ein endliches ist, befasst er sich in den mannigfaltigsten Formen quer durch die Ge-schichte mit dem Thema der Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis und die Auflehnung dage-gen liessen nicht nur Totenkulte entstehen, sondern auch Vorstellungen eines wie immer gearteten Jenseits, Religionen und philosophi-sche Schulen. Ihr verdanken wir grossartige Kunstwerke weit über die Memento-mori-Bildwelt mit ihren Stillleben hinaus, ganze Bibliotheken und reiche Symbolwelten, die ein Lexikon füllen würden. Erwähnt sei hier, beispielhaft, das Grabmal der Maria Magda-lena Langhans in der reformierten Kirche Hindelbank, 1751 von Johann August Nahl geschaffen. Die junge Frau starb bei der Ge-burt ihres Sohnes, der ihr bald nachfolgen soll-te. Durch die aufbrechende Grabplatte sieht man Mutter und Kind, die ihren Blick nach oben richten, eine eigentliche Auferstehungs-szene. Und ebenfalls beispielhaft: Einer der eindrücklichsten unter den Vergänglichkeits-texten findet sich im Alten Testament im Buch Kohelet, beginnend mit den Worten: «Nich-tig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» (Prediger 1,2), was bei Andreas Gryphius in seinem berühmten Vanitas-vanitatum-Gedicht wie folgt klingt:

Ich seh’ wohin ich seh nur Eitelkeit auff ErdenWas dieser heute bawt reist jener morgen ein Wo jtzt die Städte stehn so herrlich hoch vnd feinDa wird in kurtzem gehn ein Hirt mit

seinen Herden: […]

Als Schlüsseltext zum Thema Vergäng-lichkeit kann auch die Geschichte von Adam und Eva gelesen werden: Durch den Genuss des Apfels vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben, werden sie sich ih-rer begrenzten Lebensspanne bewusst; eine Erfahrung um die eigene Endlichkeit, die jeder Mensch einmal – mehr oder weniger schmerzlich – machen muss. Der Möglich-keiten, wie wir damit umgehen, sind viele, und sie prägen oft mit, wie wir zu unserem Leben stehen und wie wir es gestalten. Werden wir zu habgierigen Raffern, zu Hedonisten im heutigen Sinn des Begriffs, verfallen wir in Trauer und Depressionen oder entwickeln wir einen gewissen Gleichmut, der sowohl die fröhlichen Melodien als auch die Basssaiten des Lebens kennt?

Unsere Gesellschaft hat verschiedene Stra-tegien entwickelt, wie mit Vergänglichkeit um-gegangen werden kann. Eine davon besteht im Sammeln und Horten, dem verzweifelten (und letztlich vergeblichen) Versuch, Dinge, Objek-te vor dem Zerfall und Vergehen zu bewahren. Davon zeugen unzählige Museen mit ihren oft schon jetzt aus allen Nähten platzenden Depots. Wer in den letzten Monaten durch die Klus bei Angenstein fuhr, dem bot sich hoch über der Birs ein starkes und zunächst irritierendes Bild, das beispielhaft von diesem

LOB DES ZERFALLS

Der Fortschritt ist ein schielender Engel. Ein geflügeltes Wesen mit lockigem Haar und bemerkenswert kleinen Füssen, aber auch mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ein bleiches Geschöpf, dessen Flügel so weit aufgespannt sind, dass sich in ihnen die Paradieseswinde verfangen, die es unablässig in die Zukunft wehen lassen. So zumindest hat Walter Benjamin in seiner berühmten neunten geschichtsphilosophischen These eine Zeichnung von Paul Klee interpretiert

und damit die ganze Ambivalenz umrissen, mit der uns die Ausläufer der Moderne noch immer umfangen, das lächelnd fletschende Faszinosum tremendum unserer zerrissenen Conditio postpostpost. Während wir dabei aus unsrer kleinen Gegenwart eine Kette von Begebenheiten dicht hinter und dicht vor uns erblicken, die einen logischen Sinn zu ergeben scheinen, sieht Benjamins melancholischer Engel der Geschichte das Werden und Verge-hen all unsrer Errungenschaften buchstäblich

in Windeseile vor sich auf- und wieder nieder-steigen; erschrocken über den steten Zerfall, möchte er die Trümmer wieder zusammenfü-gen, doch der Sturm treibt ihn endlos weiter.

Die Winde des Fortschritts sind seit Er-scheinen von Benjamins Text 1928 bestimmt nicht milder und verdaulicher geworden, viel-mehr haben sie sich im Zuge globalisierter Produktionsprozesse in einen Pesthauch des ewig Neuen verwandelt. Mit den sekündlich auf den Markt poppenden Erzeugnissen der

Warenindustrie wird unsere durchschnittli-che Adrenalinausschüttung dabei so sehr im Fluss gehalten, dass unsere Aufmerksamkeit der Gegenwart immer schon hinterherhin-ken muss. Es ist kein Geheimnis, dass uns die Dinge und Informationen seit langer Zeit in gespenstischer Weise auf allen Kanälen be-drängen, und bis wir jeweils herausgefunden haben, ob es sich bei dem jeweiligen neusten Wunderwerk nun um billigen Trash oder um wertvolle Inputs handelt, ist die Produktion

Drang des Bewahrens spricht: Auf einem Fels-sporn des Blauen steht die Ruine Pfeffingen, eingerüstet, ein Baukran streckt seinen Ausle-ger in den Himmel. Mag das Unterfangen, die Ruine zu erhalten, durchaus zu begrüssen sein, so löst es doch auch Bedenken aus, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Reste der Burg im 18. Jahrhundert als Steinbruch versteigert wurden: andere Zeiten, andere Sitten …

Eine weitere Strategie, der Vergänglich-keit zu trotzen, findet sich in verschiedenen Textformen, in Briefen und Rödeln, in Do-kumenten, Verträgen, Büchern, Chroniken, gesammelt in Archiven und Bibliotheken. Das Sammeln und Bewahren ist das eine, das ande-re das Zugänglichmachen: Ohne Transkriptio-nen, ohne Übersetzungen (ein Lob all denen, die das Erlernen des Lateinischen nach wie vor sinnvoll finden!) und ohne sich immer wieder durch die Seiten mühende Leserschaft gäben uns die Texte früher oder später die gleichen Rätsel auf wie die etruskische Sprache.

Chroniken spielen auch für die Basler Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle. Die wohl einer breiteren Öffentlichkeit bekann-teste ist das Werk von Christian Wurstisen, 1580 bei Sebastian Henricpetri erschienen: ein Genuss, darin zu lesen! Weniger bekannt, aber für die Stadtgeschichte eine grossartige Fundgrube sind die Basler Chroniken, deren erster Band 1872 und deren bisher letzter, der zwölfte, 2009 erschien. Eine Jahreschronik war auch lange Zeit Bestandteil der gedruckten Ausgabe des Basler Stadtbuchs – das dieser Tage zum 134. Mal erschienen ist. Seit 2011 ist dieser Chronikteil in digitaler Form zugäng-lich (www.baslerchronik.ch). Wenn die digi-talisierte Chronik auch nach wie vor versucht, das Wissen über Ereignisse der Nachwelt zu erhalten, so ist sie doch gleichzeitig von einer neuen und beschleunigten Art der Vergäng-lichkeit bedroht.

Dabei haben technische Erfindungen im-mer wieder gesammeltes Wissen in Buchform bedroht, so zum Beispiel die Entwicklung des

Holzschliffverfahrens in der Papierherstel-lung. Die Papiere waren zwar billiger, jedoch auf Kosten der Haltbarkeit, was dazu führ-te, dass ganze Bibliotheken in aufwendigen Verfahren vor dem Zerfall geschützt werden müssen. Bei den digitalen Daten droht nun eine andere Gefahr: Die aktuell verwendeten Datenträger haben eine vergleichsweise kurze Lebensdauer, ebenso die entsprechenden Lese-geräte. Daten müssen deshalb in immer kürze-ren Zeitabständen auf neue Träger überspielt werden. Doch wer entscheidet, was würdig ist, in die Zukunft gerettet zu werden, und was verschwindet endgültig aus dem Gedächtnis der Menschheit?

Nehmen wir’s mit einer gewissen Gelas-senheit und schliessen wir mit Arno Holz’ «Geisterduo»:

Der Zeitgeist brennt wie trocknes StrohUnd singt: «In dulci jubilo!»Der Weltgeist brummt dazu im Baß:«O vanitatum vanitas!»

Lukas HartmannLukas Hartmann ist Gestalter, Dozent und Redaktor des Basler Stadtbuchs.

bereits wieder eingestellt worden. Der Philo-soph und Medientheoretiker Boris Groys hat diese Zusammenhänge in seiner Abhandlung «Über das Neue» (1992) noch entspannt und nur mit einem ganz sanften zynischen Un-terton beschrieben, wenn er in einer typisch postmodernen Wendung behauptete, dass das von der Industrie so fetischisierte Neue eigentlich nur das recyclierte Alte sei; denn die Kategorie des Neuen komme, so Groys, erst in der Moderne mit der Entstehung der grossen Archive und Sammlungen auf: Erst seit man über eine allgemeinere Übersicht fein säuberlich etikettierter Objekte und Gedan-ken verfügt, lassen sich Vergleiche zwischen alten und neuen Dingen ziehen – und dabei, so Groys, lassen sich auch im Archiv gelagerte Ideen wieder hervorholen, neu aufbereiten und als Scoop verkaufen, während der letzte Schrei auf der anderen Seite des Produktions-rades gerade dabei ist, wieder in die Tiefen des kulturellen Fundus zu sinken.

Boris Groys versteht den Fortschritt also, ähnlich wie Walter Benjamin, als einen stets sich weitertreibenden Prozess von Werden und Vergehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es uns in all der trommelnden Neu-heitsakupunktur tatsächlich jemals gelingt, dem Vergehen der Dinge auch nur ein Nano-Mü an Aufmerksamkeit und Hirnschmalz zu widmen? Wann haben wir uns in der Raserei der brennenden Alltagsgeschäfte je die Zeit genommen, uns mit der Würde des Zerfal-lens zu beschäftigen? Und wissen die Objekte überhaupt, wie sie schad- und lautlos in die (endgültige oder vorgelagerte) Hölle der Un-Dinge verschwinden können, sind sie des Zer-rinnens überhaupt fähig? Der amerikanische Fotograf und Filmemacher David LaChapelle

greift diese Fragen in seinen farbenprächtigen Vanitas-Bildern in pointiert ironischer Weise auf, wenn sich unter seinen üppigen, majestä-tisch welkenden Blumensträussen nach dem Vorbild niederländischer Stillleben frisch und unvergänglich zerknautschte PET-Flaschen, glänzende Plastikprothesen und ewig verbun-dene Mobiltelefone recken. Vielleicht besteht die eigentliche Dekadenz unseres Zeitalters ja gerade darin, dass wir nicht mehr ordentlich zerfallen können. Vielleicht würden wir uns weniger ausgepresst fühlen, wenn wir uns pa-rallel zu all den Neuheitshuldigungen ganz still und unauffällig auch dem natürlichen Erschöpfungsprozess aller organischen und anorganischen Materie hingeben könnten. Es mag vielleicht etwas unbescheiden klin-gen, aber im Kern ist es eigentlich genau das, was das Internationale Austauschprogramm iaab mit seinen Auslandstipendien anstrebt: den Prozessen von Entstehen und Vergehen, Ankommen und Dasein Raum zu geben, das Leben zu entschleunigen und den Kunstschaf-fenden eine Auszeit aus der Hektik des ufer-losen Produktions- und Broterwerbszwangs zu ermöglichen.

Alexandra Stäheli

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zukunftsweisenden) Randerscheinungen zu befassen. Als Vertreter eines dritten Sektors, die ihre Rolle zwischen Staat, Gesellschaft und Markt ständig neu verhandeln müssen, stehen NPOs besonders in der Pflicht. NPOs müssen Instrumente entwickeln, mit denen sie gesell-schaftlich relevante Erscheinungen erfassen und gezielt darauf reagieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Geldverwaltern werden, die sich selbst mit bürokratischen Prozessen und formalen Argumentationen lähmen.

Es gibt in der Kulturförderung einen zent-ralen Unterschied zur Ökologie: Kreativität ist keine knappe Ressource. Private und Förderer in NPOs sollten sich für die Sache der Kultur mutig, partikulär und verschwenderisch (statt vorsichtig, gerecht und sparsam) einsetzen, um

die Gesellschaft im Rahmen einer Kultur der Demokratie mitzugestalten. Paradoxerweise bedeutet gerade dies die wahre nachhaltige Kulturförderung.

Christoph Meneghetti

1 Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der Futur-zwei Zukunftsalmanach 2013, Frankfurt 2012.

2 Alan Brown, Joseph Kluger et al.: Is Sustainability Sustainable?, Sounding Board Vol. 30, 2011 (http://wolfbrown.com/insights/41-sounding-board/348-is-sustainability-sustainable)

3 Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Demokratie, in: Public Affairs. Von Beuys bis Zittel: Das Öffentliche in der Kunst, Kunsthaus Zürich (Katalog) 2002 (http://www.publicaffairs.ch/groys_boris.html)

GERANGEL IN REGAL UND INTERNET

ODER: DER WANDEL IM BUCHHANDEL

55 Thesen zur Entwicklung des Buchhandels und der Verlage bis 2025 hat der Börsenver-ein – der Verband der deutschen Verleger und Buchhändler – 2011 aufgestellt. Die The-sen sorgten seinerzeit für grosse Aufregung in der Branche. Mittlerweile weiss man: Die Veränderungen werden noch viel schneller und drastischer kommen als vorhergesagt. Der Grundsatz bleibt derselbe, die beiden Kernaussagen werden sich wohl einfach noch rascher und drastischer bewahrheiten: 1) Der Buchhandel verliert über einen Drittel seiner Verkaufsfläche, sei es durch Schliessung gan-zer Geschäfte oder Umnutzung vorhandener Flächen für andere Waren. 2) Der Verkaufsweg Internet wird stark an Bedeutung zunehmen, mit ihm der Anteil der E-Books, die allerdings das gedruckte Buch nicht verdrängen, jedoch einen Anteil von bis zu dreissig Prozent des Buchmarkts einnehmen werden.

Was bedeutet das für uns Verleger? Noch immer erscheinen jedes Jahr über 90 000 neue deutschsprachige Bücher. Diese Novitäten konkurrieren mit immer weniger Platz in den Regalen der verbliebenen Buchhandlungen. Längst gibt es in den grossen Geschäften ne-ben Druckerzeugnissen Papeterie-, Geschenk-artikel und allerlei Wellness-Schnickschnack (von der Duftkerze über den Badezusatz bis zum Zimmerspringbrunnen) zu kaufen, und die Kinderbuchabteilung ähnelt oft einem Spielzeugladen. Den Buchhändlern darf man deswegen keinen Vorwurf machen: Vie-le kämpfen ums Überleben und müssen auf die veränderten Kaufgewohnheiten der Kon-sumenten reagieren. Fraglich ist aber, ob ein solcher «Gemischtwarenladen» für buchaffine Menschen auf Dauer ein attraktiver Ort zum Bücherkaufen bleibt. Ich fürchte eher nein.

Selbst wenn die vielen Neuerscheinungen die begehrten Plätze in den Regalen und auf den Tischen der Buchhandlungen einnehmen (wo-bei die Stapel direkt bei den Eingängen gerade von Buchhandlungsketten oft von Grossver-lagen mit dem Ziel gekauft werden, populäre Mainstream-Titel noch begehrenswerter er-scheinen zu lassen − man nennt das «Werbe-kostenzuschuss» an die Buchhändler), müssen sich auch diese möglichst rasch verkaufen und am besten täglich in der Verlagsauslieferung nachgeordert werden. Wenn das Warenwirt-

schaftssystem aber meldet, dass ein Titel einige Tage nicht verkauft worden ist, fliegt das Buch aus dem Sortiment oder schafft es bestenfalls noch, als Einzeltitel im Regal eingereiht zu werden. Denn: Jede Woche erscheinen wei-tere Publikationen aus diversen Verlagen, die eben auch in die Regale und auf die Tische drängen. Die Halbwertszeit der Aufmerksam-keit für Neuerscheinungen ist somit oft er-nüchternd kurz. So kann es etwa vorkommen, dass der Katalog einer aktuellen Ausstellung

in einem Basler Museum von der örtlichen Buchhandlung bereits drei bis vier Wochen nach Eröffnung remittiert, d.h. zurück an die Verlagsauslieferung geschickt wird und die Buchhandlung dafür eine Gutschrift erhält.

Das immer wichtiger werdende Online-Geschäft von «echten» Büchern und von E-Books stellt uns als kleinen Schweizer Verlag vor vielfältige Herausforderungen: Das Ge-schäft diktieren wenige grosse, oft internatio-nal agierende Anbieter, die die Konditionen bestimmen, wenn man in den Datenbanken dieser Händler vorkommen will. Der weitaus grösste Online-Buchhändler der Schweiz ist amazon.de. Amazon nutzt seit einiger Zeit den Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz dazu, den Schweizer Kunden die Bücher mit mindestens 20 Prozent Rabatt vom eh schon günstigeren Euro-Preis porto-frei nach Hause zu schicken. Mit der Kosten-struktur von Amazon kann kein Schweizer Buchhändler mithalten. Was das allerdings für die Angestellten bei Amazon bedeutet – näm-lich katastrophale Arbeitsbedingungen und ein unmenschlicher Umgang mit den Mitar-beitenden –, hat ein kontrovers diskutierter ARD-Dokumentarfilm letztes Jahr gezeigt. Beim E-Book dominiert Amazon mit ihren Kindle-Geräten und dem Kindle-Shop seit Jahren ebenfalls den Markt. Es bleibt abzu-warten, ob die gemeinsamen Anstrengungen der Buchhändlerbranche im E-Book-Geschäft (mit den Tolino-Geräten und in der Schweiz auch mit dem E-Book-Angebot des Buchzen-trums Olten) Erfolg haben werden und dem übermächtigen Konkurrenten Amazon die Stirn bieten können.

Und was unternehmen wir als Christoph Merian Verlag, um auf diese Verwerfungen der

Branche im digitalen Zeitalter zu reagieren? Wir wollen einerseits den verbleibenden, enga-gierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern den Rücken stärken und sie bei Veranstaltun-gen, Lesungen etc. unterstützen, damit die Buchhandlung ein Ort der Begegnung und der Buchkompetenz bleibt. «Buy local»-Ini-tiativen etwa, wie sie auch von Basler Buch-handlungen angestossen wurden, sind absolut unterstützenswert. Gleichzeitig werden wir, wenn immer sinnvoll, auch elektronische Ver-sionen unserer Publikationen erstellen, so wie unsere Hörbücher schon seit mehreren Jahren auch per Download erhältlich sind. Darüber hinaus hat die Christoph Merian Stiftung viel in einen neuen Internetauftritt des Verlags investiert, der demnächst online gehen wird, und wir haben die Lieferbedingungen für Di-rektbestellung über unsere Website attraktiver gestaltet, damit eine Bestellung «ab Erzeuger» für unsere Kundinnen und Kunden interes-sant bleibt. Auf www.merianverlag.ch kann man in Bücher reinlesen, Hörbücher probe-hören, E-Books und Hörbücher downloaden und sich über Veranstaltungen informieren.

Das Verlegersein im 21. Jahrhundert ist spannend, herausfordernd und macht Spass: Wir sind Vermittler von Inhalten und The-men, wollen zu Diskussionen anregen und Geschichte lebendig werden lassen − egal in welcher Form: ob als Buch, Hörbuch, DVD, E-Book oder App. Das hat Zukunft!

Oliver Bolanz

— VIELLEICHT BESTEHT DIE EIGENTLICHE DEKADENZ

UNSERES ZEITALTERS JA GERADE DARIN, DASS

WIR NICHT MEHR ORDENTLICH ZERFALLEN

KÖNNEN.—

Abnahme der Menge mit Halbwertszeit

Zeit (T)

Menge

— WENN DAS WAREN­

WIRTSCHAFTSSYSTEM MELDET, DASS

EIN TITEL EINIGE TAGE NICHT VERKAUFT

WORDEN IST, FLIEGT DAS BUCH AUS DEM

SORTIMENT.—

DIE DIKTATUR DER INNOVATION

ODER: MORGEN IST DIE VERGANGENHEIT VON ÜBERMORGEN

Gemeinnützige Stiftungen haben gegenüber Staat und Wirtschaft einen entscheidenden Vorteil: Durch den rechtlich definierten Um-stand, dass Stiftungen ein selbstbestimmtes Zweckvermögen darstellen und sich quasi selbst gehören, sind sie, abgesehen von den Aufsichtsbehörden, niemandem Rechenschaft pflichtig. Dies gibt ihnen eine einzigartige Frei-heit. Abseits von Trends und Zeitgeist können sie das Unbequeme, das Neue, das Innovative fördern. Und sie nutzen ihre Freiheit. Kaum ein Förderkriterium kommt ohne den Ruf nach Pionierhaftem und Innovativem aus. Die Krux dabei ist aber, dass wirklich Neues nur von ganz wenigen gesehen wird, wie bereits Albert Einstein treffend vermerkt hat: «Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausge-schlossen erscheint.» Und damit ist der Mist noch lange nicht geführt. Ob sich eine Idee durchsetzt und sich der Ressourceneinsatz ge-lohnt hat, zeigt immer erst der Blick zurück. Dazwischen liegt ein langer Weg. Stiftungen, die sich der Innovationsförderung verschrie-ben haben, brauchen viel Sachverstand, einen langen Atem, eine grosse Unabhängigkeit im Denken und Entscheiden und eine enorm hohe Risikobereitschaft. Denn was heute in-novativ ist, kann morgen bereits überholt sein. Dies müssen Stiftungen und ihre Entschei-dungsträger aushalten.

Da liegt der Gedanke nahe, dass manche Stiftung gut beraten wäre, anstatt der manch-mal schon fast zwanghaften Forderung nach dem ewig Neuen Bewährtes und Liegengeblie-benes weiter zu fördern. Das Abfallprodukt des Innovationszwanges ist nämlich eine im-mer grösser werdende Halde anschubfinan-zierter Projekte und Initiativen. Vieles darun-

ter ist gut, nur: nicht mehr neu. Aber muss es das denn immer sein? Diese Fragen sollten sich Stiftungen vermehrt stellen. Sind sie nämlich nicht in der Lage, die oben erwähnten Bedin-gungen für wirkliche Innovationsförderung zu erfüllen, stünde es ihnen gut an, nach-haltig und hartnäckig die besten und nicht

immer die neusten Umsetzungen für ihren Stiftungszweck zu suchen. Christian Meyn, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Auridis GmbH, hat dies anlässlich der Präsentation seiner Förderstrategie am Schweizer Stiftungs-symposium 2013 in Basel auf den Punkt ge-bracht: «Es muss nicht immer innovativ sein. Es reicht, wenn es gut ist.»

Beate EckhardtBeate Eckhardt ist Geschäftsführerin von SwissFound-ations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen.

— WAS HEUTE

INNOVATIV IST, KANN MORGEN

BEREITS ÜBERHOLT SEIN.

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WIE NACHHALTIG IST DIE KULTURFÖRDERUNG

DER ZUKUNFT?Wenn wir über die Zukunft sprechen und wie wir in der Gegenwart handeln sollen, kommen wir nicht um sie herum: die Nachhaltigkeit. In ökologischen und ökonomischen Bereichen wurde in den letzten Jahren unter diesem Begriff ein zweifellos wertvolles Verständnis für langfristige Zusammenhänge entwickelt. Wir interessieren uns heute dafür, dass fahr-lässiger Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen unsere Lebensgrundlage zerstört. Wir bewerten zum Beispiel Bauvorhaben nach ihrer Nachhaltigkeit und erwarten von Inves-toren, dass sie ökologische und soziale Fak-toren respektieren. Sympathisch konkret ist der Soziologe Harald Welzer, der in seinem «Handbuch für eine enkeltaugliche Zukunft»1 gleich eine Sammlung von Beispielen gibt, wie heute schon Menschen erfolgreich wirtschaf-ten und dabei die Bedürfnisse kommender Generationen höher gewichten als die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung.

Darunter sind viele inspirierende Ge-schichten, die deutlich machen, dass es beim nachhaltigen Handeln nicht nur um Normen geht, sondern eben: um gute Geschichten und Vorbilder. Aber sind dies die richtigen Vorbilder für Kulturschaffende und -förde-rer? Soll auch Kultur immer «enkeltauglich» sein? Auch in die Kultur werden private und staatliche Gelder investiert, gerne wird dabei von einer Investition in die Gesellschaft, in die Zukunft, in das kreative Kapital oder in den Standort gesprochen. Die Aussicht auf eine Nachhaltigkeit dieser Investition ist verführe-risch – der Begriff verspricht Dauerhaftigkeit und ein stabiles Gleichgewicht des Systems. Nachhaltigkeit in diesem herkömmlichen Sinn hat aber einen faden Beigeschmack: den des Konservatismus.

Natürlich muss Kultur nicht immer enkel-tauglich sein. Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren ist nur ein (wenn auch teurer) Teil der Aufgaben, die kulturelle Akteure erfül-len, und damit allein ist es nicht getan. Die Gesundheit unseres kulturellen Systems hat mehr mit Wandlungsfähigkeit und Relevanz als mit Permanenz zu tun. Danach sollte sich das Verständnis nachhaltiger Kulturförderung richten. Wenn wir den Konservatismus aus der Nachhaltigkeit streichen, was bleibt übrig? Ei-nen konkreten Vorschlag hat WolfBrown Con-sulting 2011 in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel «Is Sustainability Sustainable?»2 ver-öffentlicht. Sie definieren die Nachhaltigkeit von arts organizations in drei Dimensionen: community relevance, artistic vibrancy und (die-sen untergeordnet) capitalization. In diesen Dimensionen sind die Faktoren für den Erfolg kultureller Unternehmungen zu suchen.

Gehen wir einen Schritt zurück und be-trachten den Kontext der Kulturförderung. In welchem Verhältnis steht das private En-gagement zum staatlichen, und welche Rolle übernimmt der NPO-Sektor, die Non-Profit-Organisationen? Unsere pluralistische Demo-kratie umfasst eine Vielzahl von Lebensfor-men, Sprachen und kulturellen Traditionen. Den einen Gemeinwillen, den die demokrati-sche Gesellschaftsordnung repräsentieren soll, gibt es nicht, sie kann lediglich die Pluralität verwalten und dabei vermeiden, zu stark Po-sition zu beziehen. Staatliche Kulturförderer sind deshalb gespalten in ihrer Rolle, selbst produktive Akteure der Kultur zu sein und gleichzeitig die Vielfalt der partikulären Wil-len gerecht zu beaufsichtigen.3 Gerade private Kulturförderer müssen es also wagen, sich mit den Minderheiten und den (möglicherweise

ERINNERN UND VERGESSEN

ZUR HALBWERTSZEIT DIGITALER KUNST

Für die Generation der Digital Natives ist ein Leben ohne Internet eine unmögliche Vor-stellung. Für sie war das globale Netzwerk schon immer da und ist zugleich prägend für ihre sozialen Interaktionen. Heute ist nahezu jeder mit Smartphone und Tablet-Computer ausgestattet, und die mobile Technologie er-möglicht es, dass wir jederzeit online sind und unsere digitalen Spuren im Netz auf Schritt und Tritt hinterlassen. Bewegungsdaten, Fa-cebook-Einträge – jede Aktivität ist unweiger-lich im globalen Netzwerk gespeichert, und auch so mancher kleine Fauxpas kann sich zum Problem auswachsen, wenn er sich nicht mehr tilgen lässt und auf ewig abrufbar bleibt. Bei all der Vernetzung stellt sich im Zeitalter von PRISM und den bekannt gewordenen staatlichen Übergriffen auf persönliche Da-ten immer zentraler die Frage des öffentlichen Zugriffs auf die digitale «Cloud» und die in ihr gespeicherten Informationen.

Dem digitalen Speicherwahn und der täg-lich wachsenden Datenflut steht im Bereich der digitalen Kultur dagegen das unaufhalt-same Vergessen gegenüber. Unser digitales Zeitalter ist geprägt von der Schnelllebigkeit von Technologien und der rasanten Weiter-entwicklung von Hardware und Software. Neue Geräte erscheinen in immer kürzeren Abständen auf dem Markt. Im Jahresrhythmus werden Smartphones und Betriebssysteme vorgestellt, die ihre Vorgänger an Funktiona-lität übertreffen, besser und schneller sind. Eine zehn Jahre alte Diskette hat da schon eine nahezu steinzeitliche Anmutung.

Zeitgenössische Medienkunst spürte schon immer den Veränderungen des technologi-schen Wandels nach und zeigte die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verände-rungen auf. Von der frühen Computergrafik der Sechzigerjahre bis hin zur Netzkunst der Neunzigerjahre, von Softwarekunst bis

Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit expo-nentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit.

Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, ist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir eine neue Software installiert, will sie aktu-alisiert werden. Kaum hat sich computerba-sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler als Shootingstar gefeiert, verschwindet er schon démodé in der Ver-senkung. Kaum hat das Stadtbuch ein Thema als ultraaktuell aufgegriffen, gerinnt es schon zwischen den Buchdeckeln zu Ge-schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es vom Buchhandel remit-tiert und verschwindet in der anonymen Backlist. Das ist die Kehrseite der «Diktatur der Innovation», der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech-nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als Motoren der Innovation, steigen jedem neuen

Trend nach und hinterlassen mit ihrem Inno-vationszwang einen Berg von halbfinanzierten Projekten und Initiativen.

Wir haben uns im vergangenen Jahr in der Abteilung Kultur zu mehreren internen Workshops zum Thema Innovation getroffen, denn schliesslich muss eine Stiftung wie die

Christoph Merian Stif-tung «open-minded» sein und an vorderster Front Neues fördern. Mit dieser Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen und bei meinen jüngeren Kolleginnen und Kolle-gen auf unerwartete und vehemente Opposition gestossen. Als Historiker, der dem Vergangenen und Vergehenden nähersteht

als der Extrapolierung in die Zukunft, fand ich mich als Apostel der Innovation plötzlich auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht sei krankhaft und bedeute einen unendlichen und unnötigen Druck. Die Anbetung des «Neuen» führe zu einer perversen Missach-tung des Gewachsenen, des Erreichten, des

Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart.

Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbe-reitschaft nicht eine innere Abschottung ge-gen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovati-onsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome?

Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kolle-gen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Inno-vationsdruck verursacht, indem er das Nach-denken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend not-wendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, he-rauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über

die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthe-ma «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und disku-tieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austausch-programm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Küns-ten. Die Illustrationen stammen von den wel-schen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen.

Beat von Wartburg

HALBWERTSZEITSCHWERPUNKT

hin zu interaktiven Installationen wird das Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Medien ausgelotet. Die Nutzung aktuellster Technologien führt zu immer kürzeren Halb-wertszeiten der digitalen und elektronischen Kunst.

Datenträger haben eine sehr begrenzte Le-bensdauer. Die technischen Komponenten ei-nes Werkes sind heute schnell veraltet, die Ge-räte selbst oft nicht mehr zu beschaffen. Ist das Material noch auf alten Datenträgern erhalten, so lässt es sich meist nicht mehr abspielen, da die Abspielgeräte nicht mehr funktionieren. So mancher Restaurator für Medienkunst ist dann schon mal auf Ebay aktiv, um obsolete Technik für alte Werke zu erstehen und wie-der in Betrieb zu nehmen. Hier braucht es Know-how und Expertenwissen, um diese Kunst vor dem endgültigen Verfall zu retten und historische Werke und Meilensteine der kulturhistorischen Entwicklung auch für die Zukunft zu bewahren.

Was also tun, um Werke der computer-basierten Kunst funktionstüchtig zu halten oder vor dem digitalen Verfall zu schützen? Museen und Kulturinstitutionen mit Samm-lungen digitaler und elektronischer Kunst setzen sich seit Jahren für den Fortbestand medialer Kunstformen und die Sicherung die-ser Werke ein. Die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Medienkunst führt dazu, dass individuell für jedes Werk eine passende Stra-tegie für den Erhalt gesucht werden muss. Bei den Videoinstallationen von Nam June Paik spielt der Röhrenmonitor eine zentrale Rolle, und so wird hier vor allem auf den Erhalt der Hardware gesetzt, auch wenn dies zeitlich nur begrenzt möglich ist. Pionierarbeiten der frü-hen Computerkunst stellen wiederum andere Herausforderungen an den Erhalt. Oftmals wird hier mit dem Prinzip der Emulation ge-arbeitet. Das bedeutet die Verwendung neuer Software, die versucht, den «Look and Feel» alter Programme zu erzeugen, um beispiels-weise den Bildaufbau einer Website bewusst

zu verlangsamen und damit die Ästhetik einer früheren Zeit zu reproduzieren. Die Migrati-on von Daten auf neue Betriebssysteme und aktuelle Software ist eine weitere Methode, und manchmal bleibt nur die Dokumenta-tion oder Re-Interpretation eines Werkes als Alternative.

Auch das Haus für elektronische Künste Basel (HeK) engagiert sich mit einer eigenen Sammlung für den Erhalt elektronischer und digitaler Kunst. Im Rahmen des trinationa-len Forschungs- und Restaurierungsprojekts «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» wurde zusammen mit Partnern aus Frankreich und Deutschland über drei Jahre an diesen zentralen Fragestellungen ge-arbeitet. Als Fallstudie wurde vonseiten des HeK das netzbasierte Projekt «TV Bot 2.0» des Schweizer Künstlers Marc Lee angekauft und behandelt. «TV Bot 2.0» von 2010 beruht auf einem von Lee entwickelten Programm, welches im Internet Bild-, Video-, Audio- und Textdaten zusammenträgt, die nicht älter als eine Stunde sind. Aus diesen Materialien aus unterschiedlichsten Kontexten wird live im In-ternet eine Nachrichtensendung generiert. Die Zugänglichkeit im globalen Netz ist ein in-härenter und wesentlicher Aspekt der Arbeit. Schon innerhalb weniger Jahre gab es starke Software-Veränderungen, die die ästhetische Anmutung und Funktionalität der Arbeit ver-ändert haben. Gemeinsam mit dem Künstler wurde am HeK eine Strategie zum Erhalt der ursprünglichen Intention und Ästhetik der Arbeit entwickelt.

Das Sammeln von digitaler Kunst stellt Kuratoren und Konservatoren vor neue Auf-gaben. Neben den genauen Informationen zu den technischen Komponenten einer Arbeit ist die Dokumentation der künstlerischen Idee und Wirkungsabsicht ein zentraler As-pekt, der aufgearbeitet werden muss. Nur so lässt sich später eine Funktionalität im Sinne des ursprünglichen künstlerischen Anliegens sicherstellen, die es den Kuratoren und Kon-

Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk

© Plonk & Replonk

Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit Bildern, Typografien und Prozentzahlen

© Plonk & Replonk

Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk

Diplomierter Abstempler, während eines Weiter bildungskurses dem frontalen Angriff einer

automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk

Lesemeerschweinchen © Plonk & Replonk

servatoren erlaubt, im Zweifelsfall eine Re-Interpretation eines Werks vorzunehmen. Die Herausforderungen sind gross, und es braucht übergreifende Strategien und Konzepte für den Austausch von Wissen und Information. «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» war eines dieser internationalen Projekte, die den fachlichen Diskurs beför-dert haben und gemeinsam Wege aus dem Dilemma des digitalen Verfalls und Vergessens weisen.

Sabine HimmelsbachSabine Himmelsbach ist Leiterin des Hauses für elektronische Künste Basel

a Hervé Graumann, Raoul Pictor cherche son style …,1993 – 1997Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

g Nam June Paik, Internet Dream, 1994 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

ÜBER DIE VERGÄNGLICHKEIT

EIN ESSAY

Wie schnell doch alles entschwindet! In der Welt die Menschen selbst, im Lauf der Zeit ihr Gedächtnis!

Marc Aurel

Seit dem Menschen bewusst ist, dass sein Da-sein ein endliches ist, befasst er sich in den mannigfaltigsten Formen quer durch die Ge-schichte mit dem Thema der Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis und die Auflehnung dage-gen liessen nicht nur Totenkulte entstehen, sondern auch Vorstellungen eines wie immer gearteten Jenseits, Religionen und philosophi-sche Schulen. Ihr verdanken wir grossartige Kunstwerke weit über die Memento-mori-Bildwelt mit ihren Stillleben hinaus, ganze Bibliotheken und reiche Symbolwelten, die ein Lexikon füllen würden. Erwähnt sei hier, beispielhaft, das Grabmal der Maria Magda-lena Langhans in der reformierten Kirche Hindelbank, 1751 von Johann August Nahl geschaffen. Die junge Frau starb bei der Ge-burt ihres Sohnes, der ihr bald nachfolgen soll-te. Durch die aufbrechende Grabplatte sieht man Mutter und Kind, die ihren Blick nach oben richten, eine eigentliche Auferstehungs-szene. Und ebenfalls beispielhaft: Einer der eindrücklichsten unter den Vergänglichkeits-texten findet sich im Alten Testament im Buch Kohelet, beginnend mit den Worten: «Nich-tig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» (Prediger 1,2), was bei Andreas Gryphius in seinem berühmten Vanitas-vanitatum-Gedicht wie folgt klingt:

Ich seh’ wohin ich seh nur Eitelkeit auff ErdenWas dieser heute bawt reist jener morgen ein Wo jtzt die Städte stehn so herrlich hoch vnd feinDa wird in kurtzem gehn ein Hirt mit

seinen Herden: […]

Als Schlüsseltext zum Thema Vergäng-lichkeit kann auch die Geschichte von Adam und Eva gelesen werden: Durch den Genuss des Apfels vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben, werden sie sich ih-rer begrenzten Lebensspanne bewusst; eine Erfahrung um die eigene Endlichkeit, die jeder Mensch einmal – mehr oder weniger schmerzlich – machen muss. Der Möglich-keiten, wie wir damit umgehen, sind viele, und sie prägen oft mit, wie wir zu unserem Leben stehen und wie wir es gestalten. Werden wir zu habgierigen Raffern, zu Hedonisten im heutigen Sinn des Begriffs, verfallen wir in Trauer und Depressionen oder entwickeln wir einen gewissen Gleichmut, der sowohl die fröhlichen Melodien als auch die Basssaiten des Lebens kennt?

Unsere Gesellschaft hat verschiedene Stra-tegien entwickelt, wie mit Vergänglichkeit um-gegangen werden kann. Eine davon besteht im Sammeln und Horten, dem verzweifelten (und letztlich vergeblichen) Versuch, Dinge, Objek-te vor dem Zerfall und Vergehen zu bewahren. Davon zeugen unzählige Museen mit ihren oft schon jetzt aus allen Nähten platzenden Depots. Wer in den letzten Monaten durch die Klus bei Angenstein fuhr, dem bot sich hoch über der Birs ein starkes und zunächst irritierendes Bild, das beispielhaft von diesem

LOB DES ZERFALLS

Der Fortschritt ist ein schielender Engel. Ein geflügeltes Wesen mit lockigem Haar und bemerkenswert kleinen Füssen, aber auch mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ein bleiches Geschöpf, dessen Flügel so weit aufgespannt sind, dass sich in ihnen die Paradieseswinde verfangen, die es unablässig in die Zukunft wehen lassen. So zumindest hat Walter Benjamin in seiner berühmten neunten geschichtsphilosophischen These eine Zeichnung von Paul Klee interpretiert

und damit die ganze Ambivalenz umrissen, mit der uns die Ausläufer der Moderne noch immer umfangen, das lächelnd fletschende Faszinosum tremendum unserer zerrissenen Conditio postpostpost. Während wir dabei aus unsrer kleinen Gegenwart eine Kette von Begebenheiten dicht hinter und dicht vor uns erblicken, die einen logischen Sinn zu ergeben scheinen, sieht Benjamins melancholischer Engel der Geschichte das Werden und Verge-hen all unsrer Errungenschaften buchstäblich

in Windeseile vor sich auf- und wieder nieder-steigen; erschrocken über den steten Zerfall, möchte er die Trümmer wieder zusammenfü-gen, doch der Sturm treibt ihn endlos weiter.

Die Winde des Fortschritts sind seit Er-scheinen von Benjamins Text 1928 bestimmt nicht milder und verdaulicher geworden, viel-mehr haben sie sich im Zuge globalisierter Produktionsprozesse in einen Pesthauch des ewig Neuen verwandelt. Mit den sekündlich auf den Markt poppenden Erzeugnissen der

Warenindustrie wird unsere durchschnittli-che Adrenalinausschüttung dabei so sehr im Fluss gehalten, dass unsere Aufmerksamkeit der Gegenwart immer schon hinterherhin-ken muss. Es ist kein Geheimnis, dass uns die Dinge und Informationen seit langer Zeit in gespenstischer Weise auf allen Kanälen be-drängen, und bis wir jeweils herausgefunden haben, ob es sich bei dem jeweiligen neusten Wunderwerk nun um billigen Trash oder um wertvolle Inputs handelt, ist die Produktion

Drang des Bewahrens spricht: Auf einem Fels-sporn des Blauen steht die Ruine Pfeffingen, eingerüstet, ein Baukran streckt seinen Ausle-ger in den Himmel. Mag das Unterfangen, die Ruine zu erhalten, durchaus zu begrüssen sein, so löst es doch auch Bedenken aus, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Reste der Burg im 18. Jahrhundert als Steinbruch versteigert wurden: andere Zeiten, andere Sitten …

Eine weitere Strategie, der Vergänglich-keit zu trotzen, findet sich in verschiedenen Textformen, in Briefen und Rödeln, in Do-kumenten, Verträgen, Büchern, Chroniken, gesammelt in Archiven und Bibliotheken. Das Sammeln und Bewahren ist das eine, das ande-re das Zugänglichmachen: Ohne Transkriptio-nen, ohne Übersetzungen (ein Lob all denen, die das Erlernen des Lateinischen nach wie vor sinnvoll finden!) und ohne sich immer wieder durch die Seiten mühende Leserschaft gäben uns die Texte früher oder später die gleichen Rätsel auf wie die etruskische Sprache.

Chroniken spielen auch für die Basler Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle. Die wohl einer breiteren Öffentlichkeit bekann-teste ist das Werk von Christian Wurstisen, 1580 bei Sebastian Henricpetri erschienen: ein Genuss, darin zu lesen! Weniger bekannt, aber für die Stadtgeschichte eine grossartige Fundgrube sind die Basler Chroniken, deren erster Band 1872 und deren bisher letzter, der zwölfte, 2009 erschien. Eine Jahreschronik war auch lange Zeit Bestandteil der gedruckten Ausgabe des Basler Stadtbuchs – das dieser Tage zum 134. Mal erschienen ist. Seit 2011 ist dieser Chronikteil in digitaler Form zugäng-lich (www.baslerchronik.ch). Wenn die digi-talisierte Chronik auch nach wie vor versucht, das Wissen über Ereignisse der Nachwelt zu erhalten, so ist sie doch gleichzeitig von einer neuen und beschleunigten Art der Vergäng-lichkeit bedroht.

Dabei haben technische Erfindungen im-mer wieder gesammeltes Wissen in Buchform bedroht, so zum Beispiel die Entwicklung des

Holzschliffverfahrens in der Papierherstel-lung. Die Papiere waren zwar billiger, jedoch auf Kosten der Haltbarkeit, was dazu führ-te, dass ganze Bibliotheken in aufwendigen Verfahren vor dem Zerfall geschützt werden müssen. Bei den digitalen Daten droht nun eine andere Gefahr: Die aktuell verwendeten Datenträger haben eine vergleichsweise kurze Lebensdauer, ebenso die entsprechenden Lese-geräte. Daten müssen deshalb in immer kürze-ren Zeitabständen auf neue Träger überspielt werden. Doch wer entscheidet, was würdig ist, in die Zukunft gerettet zu werden, und was verschwindet endgültig aus dem Gedächtnis der Menschheit?

Nehmen wir’s mit einer gewissen Gelas-senheit und schliessen wir mit Arno Holz’ «Geisterduo»:

Der Zeitgeist brennt wie trocknes StrohUnd singt: «In dulci jubilo!»Der Weltgeist brummt dazu im Baß:«O vanitatum vanitas!»

Lukas HartmannLukas Hartmann ist Gestalter, Dozent und Redaktor des Basler Stadtbuchs.

bereits wieder eingestellt worden. Der Philo-soph und Medientheoretiker Boris Groys hat diese Zusammenhänge in seiner Abhandlung «Über das Neue» (1992) noch entspannt und nur mit einem ganz sanften zynischen Un-terton beschrieben, wenn er in einer typisch postmodernen Wendung behauptete, dass das von der Industrie so fetischisierte Neue eigentlich nur das recyclierte Alte sei; denn die Kategorie des Neuen komme, so Groys, erst in der Moderne mit der Entstehung der grossen Archive und Sammlungen auf: Erst seit man über eine allgemeinere Übersicht fein säuberlich etikettierter Objekte und Gedan-ken verfügt, lassen sich Vergleiche zwischen alten und neuen Dingen ziehen – und dabei, so Groys, lassen sich auch im Archiv gelagerte Ideen wieder hervorholen, neu aufbereiten und als Scoop verkaufen, während der letzte Schrei auf der anderen Seite des Produktions-rades gerade dabei ist, wieder in die Tiefen des kulturellen Fundus zu sinken.

Boris Groys versteht den Fortschritt also, ähnlich wie Walter Benjamin, als einen stets sich weitertreibenden Prozess von Werden und Vergehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es uns in all der trommelnden Neu-heitsakupunktur tatsächlich jemals gelingt, dem Vergehen der Dinge auch nur ein Nano-Mü an Aufmerksamkeit und Hirnschmalz zu widmen? Wann haben wir uns in der Raserei der brennenden Alltagsgeschäfte je die Zeit genommen, uns mit der Würde des Zerfal-lens zu beschäftigen? Und wissen die Objekte überhaupt, wie sie schad- und lautlos in die (endgültige oder vorgelagerte) Hölle der Un-Dinge verschwinden können, sind sie des Zer-rinnens überhaupt fähig? Der amerikanische Fotograf und Filmemacher David LaChapelle

greift diese Fragen in seinen farbenprächtigen Vanitas-Bildern in pointiert ironischer Weise auf, wenn sich unter seinen üppigen, majestä-tisch welkenden Blumensträussen nach dem Vorbild niederländischer Stillleben frisch und unvergänglich zerknautschte PET-Flaschen, glänzende Plastikprothesen und ewig verbun-dene Mobiltelefone recken. Vielleicht besteht die eigentliche Dekadenz unseres Zeitalters ja gerade darin, dass wir nicht mehr ordentlich zerfallen können. Vielleicht würden wir uns weniger ausgepresst fühlen, wenn wir uns pa-rallel zu all den Neuheitshuldigungen ganz still und unauffällig auch dem natürlichen Erschöpfungsprozess aller organischen und anorganischen Materie hingeben könnten. Es mag vielleicht etwas unbescheiden klin-gen, aber im Kern ist es eigentlich genau das, was das Internationale Austauschprogramm iaab mit seinen Auslandstipendien anstrebt: den Prozessen von Entstehen und Vergehen, Ankommen und Dasein Raum zu geben, das Leben zu entschleunigen und den Kunstschaf-fenden eine Auszeit aus der Hektik des ufer-losen Produktions- und Broterwerbszwangs zu ermöglichen.

Alexandra Stäheli

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zukunftsweisenden) Randerscheinungen zu befassen. Als Vertreter eines dritten Sektors, die ihre Rolle zwischen Staat, Gesellschaft und Markt ständig neu verhandeln müssen, stehen NPOs besonders in der Pflicht. NPOs müssen Instrumente entwickeln, mit denen sie gesell-schaftlich relevante Erscheinungen erfassen und gezielt darauf reagieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Geldverwaltern werden, die sich selbst mit bürokratischen Prozessen und formalen Argumentationen lähmen.

Es gibt in der Kulturförderung einen zent-ralen Unterschied zur Ökologie: Kreativität ist keine knappe Ressource. Private und Förderer in NPOs sollten sich für die Sache der Kultur mutig, partikulär und verschwenderisch (statt vorsichtig, gerecht und sparsam) einsetzen, um

die Gesellschaft im Rahmen einer Kultur der Demokratie mitzugestalten. Paradoxerweise bedeutet gerade dies die wahre nachhaltige Kulturförderung.

Christoph Meneghetti

1 Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der Futur-zwei Zukunftsalmanach 2013, Frankfurt 2012.

2 Alan Brown, Joseph Kluger et al.: Is Sustainability Sustainable?, Sounding Board Vol. 30, 2011 (http://wolfbrown.com/insights/41-sounding-board/348-is-sustainability-sustainable)

3 Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Demokratie, in: Public Affairs. Von Beuys bis Zittel: Das Öffentliche in der Kunst, Kunsthaus Zürich (Katalog) 2002 (http://www.publicaffairs.ch/groys_boris.html)

GERANGEL IN REGAL UND INTERNET

ODER: DER WANDEL IM BUCHHANDEL

55 Thesen zur Entwicklung des Buchhandels und der Verlage bis 2025 hat der Börsenver-ein – der Verband der deutschen Verleger und Buchhändler – 2011 aufgestellt. Die The-sen sorgten seinerzeit für grosse Aufregung in der Branche. Mittlerweile weiss man: Die Veränderungen werden noch viel schneller und drastischer kommen als vorhergesagt. Der Grundsatz bleibt derselbe, die beiden Kernaussagen werden sich wohl einfach noch rascher und drastischer bewahrheiten: 1) Der Buchhandel verliert über einen Drittel seiner Verkaufsfläche, sei es durch Schliessung gan-zer Geschäfte oder Umnutzung vorhandener Flächen für andere Waren. 2) Der Verkaufsweg Internet wird stark an Bedeutung zunehmen, mit ihm der Anteil der E-Books, die allerdings das gedruckte Buch nicht verdrängen, jedoch einen Anteil von bis zu dreissig Prozent des Buchmarkts einnehmen werden.

Was bedeutet das für uns Verleger? Noch immer erscheinen jedes Jahr über 90 000 neue deutschsprachige Bücher. Diese Novitäten konkurrieren mit immer weniger Platz in den Regalen der verbliebenen Buchhandlungen. Längst gibt es in den grossen Geschäften ne-ben Druckerzeugnissen Papeterie-, Geschenk-artikel und allerlei Wellness-Schnickschnack (von der Duftkerze über den Badezusatz bis zum Zimmerspringbrunnen) zu kaufen, und die Kinderbuchabteilung ähnelt oft einem Spielzeugladen. Den Buchhändlern darf man deswegen keinen Vorwurf machen: Vie-le kämpfen ums Überleben und müssen auf die veränderten Kaufgewohnheiten der Kon-sumenten reagieren. Fraglich ist aber, ob ein solcher «Gemischtwarenladen» für buchaffine Menschen auf Dauer ein attraktiver Ort zum Bücherkaufen bleibt. Ich fürchte eher nein.

Selbst wenn die vielen Neuerscheinungen die begehrten Plätze in den Regalen und auf den Tischen der Buchhandlungen einnehmen (wo-bei die Stapel direkt bei den Eingängen gerade von Buchhandlungsketten oft von Grossver-lagen mit dem Ziel gekauft werden, populäre Mainstream-Titel noch begehrenswerter er-scheinen zu lassen − man nennt das «Werbe-kostenzuschuss» an die Buchhändler), müssen sich auch diese möglichst rasch verkaufen und am besten täglich in der Verlagsauslieferung nachgeordert werden. Wenn das Warenwirt-

schaftssystem aber meldet, dass ein Titel einige Tage nicht verkauft worden ist, fliegt das Buch aus dem Sortiment oder schafft es bestenfalls noch, als Einzeltitel im Regal eingereiht zu werden. Denn: Jede Woche erscheinen wei-tere Publikationen aus diversen Verlagen, die eben auch in die Regale und auf die Tische drängen. Die Halbwertszeit der Aufmerksam-keit für Neuerscheinungen ist somit oft er-nüchternd kurz. So kann es etwa vorkommen, dass der Katalog einer aktuellen Ausstellung

in einem Basler Museum von der örtlichen Buchhandlung bereits drei bis vier Wochen nach Eröffnung remittiert, d.h. zurück an die Verlagsauslieferung geschickt wird und die Buchhandlung dafür eine Gutschrift erhält.

Das immer wichtiger werdende Online-Geschäft von «echten» Büchern und von E-Books stellt uns als kleinen Schweizer Verlag vor vielfältige Herausforderungen: Das Ge-schäft diktieren wenige grosse, oft internatio-nal agierende Anbieter, die die Konditionen bestimmen, wenn man in den Datenbanken dieser Händler vorkommen will. Der weitaus grösste Online-Buchhändler der Schweiz ist amazon.de. Amazon nutzt seit einiger Zeit den Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz dazu, den Schweizer Kunden die Bücher mit mindestens 20 Prozent Rabatt vom eh schon günstigeren Euro-Preis porto-frei nach Hause zu schicken. Mit der Kosten-struktur von Amazon kann kein Schweizer Buchhändler mithalten. Was das allerdings für die Angestellten bei Amazon bedeutet – näm-lich katastrophale Arbeitsbedingungen und ein unmenschlicher Umgang mit den Mitar-beitenden –, hat ein kontrovers diskutierter ARD-Dokumentarfilm letztes Jahr gezeigt. Beim E-Book dominiert Amazon mit ihren Kindle-Geräten und dem Kindle-Shop seit Jahren ebenfalls den Markt. Es bleibt abzu-warten, ob die gemeinsamen Anstrengungen der Buchhändlerbranche im E-Book-Geschäft (mit den Tolino-Geräten und in der Schweiz auch mit dem E-Book-Angebot des Buchzen-trums Olten) Erfolg haben werden und dem übermächtigen Konkurrenten Amazon die Stirn bieten können.

Und was unternehmen wir als Christoph Merian Verlag, um auf diese Verwerfungen der

Branche im digitalen Zeitalter zu reagieren? Wir wollen einerseits den verbleibenden, enga-gierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern den Rücken stärken und sie bei Veranstaltun-gen, Lesungen etc. unterstützen, damit die Buchhandlung ein Ort der Begegnung und der Buchkompetenz bleibt. «Buy local»-Ini-tiativen etwa, wie sie auch von Basler Buch-handlungen angestossen wurden, sind absolut unterstützenswert. Gleichzeitig werden wir, wenn immer sinnvoll, auch elektronische Ver-sionen unserer Publikationen erstellen, so wie unsere Hörbücher schon seit mehreren Jahren auch per Download erhältlich sind. Darüber hinaus hat die Christoph Merian Stiftung viel in einen neuen Internetauftritt des Verlags investiert, der demnächst online gehen wird, und wir haben die Lieferbedingungen für Di-rektbestellung über unsere Website attraktiver gestaltet, damit eine Bestellung «ab Erzeuger» für unsere Kundinnen und Kunden interes-sant bleibt. Auf www.merianverlag.ch kann man in Bücher reinlesen, Hörbücher probe-hören, E-Books und Hörbücher downloaden und sich über Veranstaltungen informieren.

Das Verlegersein im 21. Jahrhundert ist spannend, herausfordernd und macht Spass: Wir sind Vermittler von Inhalten und The-men, wollen zu Diskussionen anregen und Geschichte lebendig werden lassen − egal in welcher Form: ob als Buch, Hörbuch, DVD, E-Book oder App. Das hat Zukunft!

Oliver Bolanz

— VIELLEICHT BESTEHT DIE EIGENTLICHE DEKADENZ

UNSERES ZEITALTERS JA GERADE DARIN, DASS

WIR NICHT MEHR ORDENTLICH ZERFALLEN

KÖNNEN.—

Abnahme der Menge mit Halbwertszeit

Zeit (T)

Menge

— WENN DAS WAREN­

WIRTSCHAFTSSYSTEM MELDET, DASS

EIN TITEL EINIGE TAGE NICHT VERKAUFT

WORDEN IST, FLIEGT DAS BUCH AUS DEM

SORTIMENT.—

DIE DIKTATUR DER INNOVATION

ODER: MORGEN IST DIE VERGANGENHEIT VON ÜBERMORGEN

Gemeinnützige Stiftungen haben gegenüber Staat und Wirtschaft einen entscheidenden Vorteil: Durch den rechtlich definierten Um-stand, dass Stiftungen ein selbstbestimmtes Zweckvermögen darstellen und sich quasi selbst gehören, sind sie, abgesehen von den Aufsichtsbehörden, niemandem Rechenschaft pflichtig. Dies gibt ihnen eine einzigartige Frei-heit. Abseits von Trends und Zeitgeist können sie das Unbequeme, das Neue, das Innovative fördern. Und sie nutzen ihre Freiheit. Kaum ein Förderkriterium kommt ohne den Ruf nach Pionierhaftem und Innovativem aus. Die Krux dabei ist aber, dass wirklich Neues nur von ganz wenigen gesehen wird, wie bereits Albert Einstein treffend vermerkt hat: «Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausge-schlossen erscheint.» Und damit ist der Mist noch lange nicht geführt. Ob sich eine Idee durchsetzt und sich der Ressourceneinsatz ge-lohnt hat, zeigt immer erst der Blick zurück. Dazwischen liegt ein langer Weg. Stiftungen, die sich der Innovationsförderung verschrie-ben haben, brauchen viel Sachverstand, einen langen Atem, eine grosse Unabhängigkeit im Denken und Entscheiden und eine enorm hohe Risikobereitschaft. Denn was heute in-novativ ist, kann morgen bereits überholt sein. Dies müssen Stiftungen und ihre Entschei-dungsträger aushalten.

Da liegt der Gedanke nahe, dass manche Stiftung gut beraten wäre, anstatt der manch-mal schon fast zwanghaften Forderung nach dem ewig Neuen Bewährtes und Liegengeblie-benes weiter zu fördern. Das Abfallprodukt des Innovationszwanges ist nämlich eine im-mer grösser werdende Halde anschubfinan-zierter Projekte und Initiativen. Vieles darun-

ter ist gut, nur: nicht mehr neu. Aber muss es das denn immer sein? Diese Fragen sollten sich Stiftungen vermehrt stellen. Sind sie nämlich nicht in der Lage, die oben erwähnten Bedin-gungen für wirkliche Innovationsförderung zu erfüllen, stünde es ihnen gut an, nach-haltig und hartnäckig die besten und nicht

immer die neusten Umsetzungen für ihren Stiftungszweck zu suchen. Christian Meyn, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Auridis GmbH, hat dies anlässlich der Präsentation seiner Förderstrategie am Schweizer Stiftungs-symposium 2013 in Basel auf den Punkt ge-bracht: «Es muss nicht immer innovativ sein. Es reicht, wenn es gut ist.»

Beate EckhardtBeate Eckhardt ist Geschäftsführerin von SwissFound-ations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen.

— WAS HEUTE

INNOVATIV IST, KANN MORGEN

BEREITS ÜBERHOLT SEIN.

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WIE NACHHALTIG IST DIE KULTURFÖRDERUNG

DER ZUKUNFT?Wenn wir über die Zukunft sprechen und wie wir in der Gegenwart handeln sollen, kommen wir nicht um sie herum: die Nachhaltigkeit. In ökologischen und ökonomischen Bereichen wurde in den letzten Jahren unter diesem Begriff ein zweifellos wertvolles Verständnis für langfristige Zusammenhänge entwickelt. Wir interessieren uns heute dafür, dass fahr-lässiger Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen unsere Lebensgrundlage zerstört. Wir bewerten zum Beispiel Bauvorhaben nach ihrer Nachhaltigkeit und erwarten von Inves-toren, dass sie ökologische und soziale Fak-toren respektieren. Sympathisch konkret ist der Soziologe Harald Welzer, der in seinem «Handbuch für eine enkeltaugliche Zukunft»1 gleich eine Sammlung von Beispielen gibt, wie heute schon Menschen erfolgreich wirtschaf-ten und dabei die Bedürfnisse kommender Generationen höher gewichten als die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung.

Darunter sind viele inspirierende Ge-schichten, die deutlich machen, dass es beim nachhaltigen Handeln nicht nur um Normen geht, sondern eben: um gute Geschichten und Vorbilder. Aber sind dies die richtigen Vorbilder für Kulturschaffende und -förde-rer? Soll auch Kultur immer «enkeltauglich» sein? Auch in die Kultur werden private und staatliche Gelder investiert, gerne wird dabei von einer Investition in die Gesellschaft, in die Zukunft, in das kreative Kapital oder in den Standort gesprochen. Die Aussicht auf eine Nachhaltigkeit dieser Investition ist verführe-risch – der Begriff verspricht Dauerhaftigkeit und ein stabiles Gleichgewicht des Systems. Nachhaltigkeit in diesem herkömmlichen Sinn hat aber einen faden Beigeschmack: den des Konservatismus.

Natürlich muss Kultur nicht immer enkel-tauglich sein. Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren ist nur ein (wenn auch teurer) Teil der Aufgaben, die kulturelle Akteure erfül-len, und damit allein ist es nicht getan. Die Gesundheit unseres kulturellen Systems hat mehr mit Wandlungsfähigkeit und Relevanz als mit Permanenz zu tun. Danach sollte sich das Verständnis nachhaltiger Kulturförderung richten. Wenn wir den Konservatismus aus der Nachhaltigkeit streichen, was bleibt übrig? Ei-nen konkreten Vorschlag hat WolfBrown Con-sulting 2011 in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel «Is Sustainability Sustainable?»2 ver-öffentlicht. Sie definieren die Nachhaltigkeit von arts organizations in drei Dimensionen: community relevance, artistic vibrancy und (die-sen untergeordnet) capitalization. In diesen Dimensionen sind die Faktoren für den Erfolg kultureller Unternehmungen zu suchen.

Gehen wir einen Schritt zurück und be-trachten den Kontext der Kulturförderung. In welchem Verhältnis steht das private En-gagement zum staatlichen, und welche Rolle übernimmt der NPO-Sektor, die Non-Profit-Organisationen? Unsere pluralistische Demo-kratie umfasst eine Vielzahl von Lebensfor-men, Sprachen und kulturellen Traditionen. Den einen Gemeinwillen, den die demokrati-sche Gesellschaftsordnung repräsentieren soll, gibt es nicht, sie kann lediglich die Pluralität verwalten und dabei vermeiden, zu stark Po-sition zu beziehen. Staatliche Kulturförderer sind deshalb gespalten in ihrer Rolle, selbst produktive Akteure der Kultur zu sein und gleichzeitig die Vielfalt der partikulären Wil-len gerecht zu beaufsichtigen.3 Gerade private Kulturförderer müssen es also wagen, sich mit den Minderheiten und den (möglicherweise

ERINNERN UND VERGESSEN

ZUR HALBWERTSZEIT DIGITALER KUNST

Für die Generation der Digital Natives ist ein Leben ohne Internet eine unmögliche Vor-stellung. Für sie war das globale Netzwerk schon immer da und ist zugleich prägend für ihre sozialen Interaktionen. Heute ist nahezu jeder mit Smartphone und Tablet-Computer ausgestattet, und die mobile Technologie er-möglicht es, dass wir jederzeit online sind und unsere digitalen Spuren im Netz auf Schritt und Tritt hinterlassen. Bewegungsdaten, Fa-cebook-Einträge – jede Aktivität ist unweiger-lich im globalen Netzwerk gespeichert, und auch so mancher kleine Fauxpas kann sich zum Problem auswachsen, wenn er sich nicht mehr tilgen lässt und auf ewig abrufbar bleibt. Bei all der Vernetzung stellt sich im Zeitalter von PRISM und den bekannt gewordenen staatlichen Übergriffen auf persönliche Da-ten immer zentraler die Frage des öffentlichen Zugriffs auf die digitale «Cloud» und die in ihr gespeicherten Informationen.

Dem digitalen Speicherwahn und der täg-lich wachsenden Datenflut steht im Bereich der digitalen Kultur dagegen das unaufhalt-same Vergessen gegenüber. Unser digitales Zeitalter ist geprägt von der Schnelllebigkeit von Technologien und der rasanten Weiter-entwicklung von Hardware und Software. Neue Geräte erscheinen in immer kürzeren Abständen auf dem Markt. Im Jahresrhythmus werden Smartphones und Betriebssysteme vorgestellt, die ihre Vorgänger an Funktiona-lität übertreffen, besser und schneller sind. Eine zehn Jahre alte Diskette hat da schon eine nahezu steinzeitliche Anmutung.

Zeitgenössische Medienkunst spürte schon immer den Veränderungen des technologi-schen Wandels nach und zeigte die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verände-rungen auf. Von der frühen Computergrafik der Sechzigerjahre bis hin zur Netzkunst der Neunzigerjahre, von Softwarekunst bis

Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit expo-nentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit.

Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, ist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir eine neue Software installiert, will sie aktu-alisiert werden. Kaum hat sich computerba-sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler als Shootingstar gefeiert, verschwindet er schon démodé in der Ver-senkung. Kaum hat das Stadtbuch ein Thema als ultraaktuell aufgegriffen, gerinnt es schon zwischen den Buchdeckeln zu Ge-schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es vom Buchhandel remit-tiert und verschwindet in der anonymen Backlist. Das ist die Kehrseite der «Diktatur der Innovation», der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech-nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als Motoren der Innovation, steigen jedem neuen

Trend nach und hinterlassen mit ihrem Inno-vationszwang einen Berg von halbfinanzierten Projekten und Initiativen.

Wir haben uns im vergangenen Jahr in der Abteilung Kultur zu mehreren internen Workshops zum Thema Innovation getroffen, denn schliesslich muss eine Stiftung wie die

Christoph Merian Stif-tung «open-minded» sein und an vorderster Front Neues fördern. Mit dieser Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen und bei meinen jüngeren Kolleginnen und Kolle-gen auf unerwartete und vehemente Opposition gestossen. Als Historiker, der dem Vergangenen und Vergehenden nähersteht

als der Extrapolierung in die Zukunft, fand ich mich als Apostel der Innovation plötzlich auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht sei krankhaft und bedeute einen unendlichen und unnötigen Druck. Die Anbetung des «Neuen» führe zu einer perversen Missach-tung des Gewachsenen, des Erreichten, des

Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart.

Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbe-reitschaft nicht eine innere Abschottung ge-gen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovati-onsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome?

Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kolle-gen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Inno-vationsdruck verursacht, indem er das Nach-denken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend not-wendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, he-rauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über

die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthe-ma «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und disku-tieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austausch-programm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Küns-ten. Die Illustrationen stammen von den wel-schen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen.

Beat von Wartburg

HALBWERTSZEITSCHWERPUNKT

hin zu interaktiven Installationen wird das Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Medien ausgelotet. Die Nutzung aktuellster Technologien führt zu immer kürzeren Halb-wertszeiten der digitalen und elektronischen Kunst.

Datenträger haben eine sehr begrenzte Le-bensdauer. Die technischen Komponenten ei-nes Werkes sind heute schnell veraltet, die Ge-räte selbst oft nicht mehr zu beschaffen. Ist das Material noch auf alten Datenträgern erhalten, so lässt es sich meist nicht mehr abspielen, da die Abspielgeräte nicht mehr funktionieren. So mancher Restaurator für Medienkunst ist dann schon mal auf Ebay aktiv, um obsolete Technik für alte Werke zu erstehen und wie-der in Betrieb zu nehmen. Hier braucht es Know-how und Expertenwissen, um diese Kunst vor dem endgültigen Verfall zu retten und historische Werke und Meilensteine der kulturhistorischen Entwicklung auch für die Zukunft zu bewahren.

Was also tun, um Werke der computer-basierten Kunst funktionstüchtig zu halten oder vor dem digitalen Verfall zu schützen? Museen und Kulturinstitutionen mit Samm-lungen digitaler und elektronischer Kunst setzen sich seit Jahren für den Fortbestand medialer Kunstformen und die Sicherung die-ser Werke ein. Die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Medienkunst führt dazu, dass individuell für jedes Werk eine passende Stra-tegie für den Erhalt gesucht werden muss. Bei den Videoinstallationen von Nam June Paik spielt der Röhrenmonitor eine zentrale Rolle, und so wird hier vor allem auf den Erhalt der Hardware gesetzt, auch wenn dies zeitlich nur begrenzt möglich ist. Pionierarbeiten der frü-hen Computerkunst stellen wiederum andere Herausforderungen an den Erhalt. Oftmals wird hier mit dem Prinzip der Emulation ge-arbeitet. Das bedeutet die Verwendung neuer Software, die versucht, den «Look and Feel» alter Programme zu erzeugen, um beispiels-weise den Bildaufbau einer Website bewusst

zu verlangsamen und damit die Ästhetik einer früheren Zeit zu reproduzieren. Die Migrati-on von Daten auf neue Betriebssysteme und aktuelle Software ist eine weitere Methode, und manchmal bleibt nur die Dokumenta-tion oder Re-Interpretation eines Werkes als Alternative.

Auch das Haus für elektronische Künste Basel (HeK) engagiert sich mit einer eigenen Sammlung für den Erhalt elektronischer und digitaler Kunst. Im Rahmen des trinationa-len Forschungs- und Restaurierungsprojekts «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» wurde zusammen mit Partnern aus Frankreich und Deutschland über drei Jahre an diesen zentralen Fragestellungen ge-arbeitet. Als Fallstudie wurde vonseiten des HeK das netzbasierte Projekt «TV Bot 2.0» des Schweizer Künstlers Marc Lee angekauft und behandelt. «TV Bot 2.0» von 2010 beruht auf einem von Lee entwickelten Programm, welches im Internet Bild-, Video-, Audio- und Textdaten zusammenträgt, die nicht älter als eine Stunde sind. Aus diesen Materialien aus unterschiedlichsten Kontexten wird live im In-ternet eine Nachrichtensendung generiert. Die Zugänglichkeit im globalen Netz ist ein in-härenter und wesentlicher Aspekt der Arbeit. Schon innerhalb weniger Jahre gab es starke Software-Veränderungen, die die ästhetische Anmutung und Funktionalität der Arbeit ver-ändert haben. Gemeinsam mit dem Künstler wurde am HeK eine Strategie zum Erhalt der ursprünglichen Intention und Ästhetik der Arbeit entwickelt.

Das Sammeln von digitaler Kunst stellt Kuratoren und Konservatoren vor neue Auf-gaben. Neben den genauen Informationen zu den technischen Komponenten einer Arbeit ist die Dokumentation der künstlerischen Idee und Wirkungsabsicht ein zentraler As-pekt, der aufgearbeitet werden muss. Nur so lässt sich später eine Funktionalität im Sinne des ursprünglichen künstlerischen Anliegens sicherstellen, die es den Kuratoren und Kon-

Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk

© Plonk & Replonk

Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit Bildern, Typografien und Prozentzahlen

© Plonk & Replonk

Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk

Diplomierter Abstempler, während eines Weiter bildungskurses dem frontalen Angriff einer

automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk

Lesemeerschweinchen © Plonk & Replonk

servatoren erlaubt, im Zweifelsfall eine Re-Interpretation eines Werks vorzunehmen. Die Herausforderungen sind gross, und es braucht übergreifende Strategien und Konzepte für den Austausch von Wissen und Information. «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» war eines dieser internationalen Projekte, die den fachlichen Diskurs beför-dert haben und gemeinsam Wege aus dem Dilemma des digitalen Verfalls und Vergessens weisen.

Sabine HimmelsbachSabine Himmelsbach ist Leiterin des Hauses für elektronische Künste Basel

a Hervé Graumann, Raoul Pictor cherche son style …,1993 – 1997Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

g Nam June Paik, Internet Dream, 1994 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

ÜBER DIE VERGÄNGLICHKEIT

EIN ESSAY

Wie schnell doch alles entschwindet! In der Welt die Menschen selbst, im Lauf der Zeit ihr Gedächtnis!

Marc Aurel

Seit dem Menschen bewusst ist, dass sein Da-sein ein endliches ist, befasst er sich in den mannigfaltigsten Formen quer durch die Ge-schichte mit dem Thema der Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis und die Auflehnung dage-gen liessen nicht nur Totenkulte entstehen, sondern auch Vorstellungen eines wie immer gearteten Jenseits, Religionen und philosophi-sche Schulen. Ihr verdanken wir grossartige Kunstwerke weit über die Memento-mori-Bildwelt mit ihren Stillleben hinaus, ganze Bibliotheken und reiche Symbolwelten, die ein Lexikon füllen würden. Erwähnt sei hier, beispielhaft, das Grabmal der Maria Magda-lena Langhans in der reformierten Kirche Hindelbank, 1751 von Johann August Nahl geschaffen. Die junge Frau starb bei der Ge-burt ihres Sohnes, der ihr bald nachfolgen soll-te. Durch die aufbrechende Grabplatte sieht man Mutter und Kind, die ihren Blick nach oben richten, eine eigentliche Auferstehungs-szene. Und ebenfalls beispielhaft: Einer der eindrücklichsten unter den Vergänglichkeits-texten findet sich im Alten Testament im Buch Kohelet, beginnend mit den Worten: «Nich-tig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» (Prediger 1,2), was bei Andreas Gryphius in seinem berühmten Vanitas-vanitatum-Gedicht wie folgt klingt:

Ich seh’ wohin ich seh nur Eitelkeit auff ErdenWas dieser heute bawt reist jener morgen ein Wo jtzt die Städte stehn so herrlich hoch vnd feinDa wird in kurtzem gehn ein Hirt mit

seinen Herden: […]

Als Schlüsseltext zum Thema Vergäng-lichkeit kann auch die Geschichte von Adam und Eva gelesen werden: Durch den Genuss des Apfels vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben, werden sie sich ih-rer begrenzten Lebensspanne bewusst; eine Erfahrung um die eigene Endlichkeit, die jeder Mensch einmal – mehr oder weniger schmerzlich – machen muss. Der Möglich-keiten, wie wir damit umgehen, sind viele, und sie prägen oft mit, wie wir zu unserem Leben stehen und wie wir es gestalten. Werden wir zu habgierigen Raffern, zu Hedonisten im heutigen Sinn des Begriffs, verfallen wir in Trauer und Depressionen oder entwickeln wir einen gewissen Gleichmut, der sowohl die fröhlichen Melodien als auch die Basssaiten des Lebens kennt?

Unsere Gesellschaft hat verschiedene Stra-tegien entwickelt, wie mit Vergänglichkeit um-gegangen werden kann. Eine davon besteht im Sammeln und Horten, dem verzweifelten (und letztlich vergeblichen) Versuch, Dinge, Objek-te vor dem Zerfall und Vergehen zu bewahren. Davon zeugen unzählige Museen mit ihren oft schon jetzt aus allen Nähten platzenden Depots. Wer in den letzten Monaten durch die Klus bei Angenstein fuhr, dem bot sich hoch über der Birs ein starkes und zunächst irritierendes Bild, das beispielhaft von diesem

LOB DES ZERFALLS

Der Fortschritt ist ein schielender Engel. Ein geflügeltes Wesen mit lockigem Haar und bemerkenswert kleinen Füssen, aber auch mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ein bleiches Geschöpf, dessen Flügel so weit aufgespannt sind, dass sich in ihnen die Paradieseswinde verfangen, die es unablässig in die Zukunft wehen lassen. So zumindest hat Walter Benjamin in seiner berühmten neunten geschichtsphilosophischen These eine Zeichnung von Paul Klee interpretiert

und damit die ganze Ambivalenz umrissen, mit der uns die Ausläufer der Moderne noch immer umfangen, das lächelnd fletschende Faszinosum tremendum unserer zerrissenen Conditio postpostpost. Während wir dabei aus unsrer kleinen Gegenwart eine Kette von Begebenheiten dicht hinter und dicht vor uns erblicken, die einen logischen Sinn zu ergeben scheinen, sieht Benjamins melancholischer Engel der Geschichte das Werden und Verge-hen all unsrer Errungenschaften buchstäblich

in Windeseile vor sich auf- und wieder nieder-steigen; erschrocken über den steten Zerfall, möchte er die Trümmer wieder zusammenfü-gen, doch der Sturm treibt ihn endlos weiter.

Die Winde des Fortschritts sind seit Er-scheinen von Benjamins Text 1928 bestimmt nicht milder und verdaulicher geworden, viel-mehr haben sie sich im Zuge globalisierter Produktionsprozesse in einen Pesthauch des ewig Neuen verwandelt. Mit den sekündlich auf den Markt poppenden Erzeugnissen der

Warenindustrie wird unsere durchschnittli-che Adrenalinausschüttung dabei so sehr im Fluss gehalten, dass unsere Aufmerksamkeit der Gegenwart immer schon hinterherhin-ken muss. Es ist kein Geheimnis, dass uns die Dinge und Informationen seit langer Zeit in gespenstischer Weise auf allen Kanälen be-drängen, und bis wir jeweils herausgefunden haben, ob es sich bei dem jeweiligen neusten Wunderwerk nun um billigen Trash oder um wertvolle Inputs handelt, ist die Produktion

Drang des Bewahrens spricht: Auf einem Fels-sporn des Blauen steht die Ruine Pfeffingen, eingerüstet, ein Baukran streckt seinen Ausle-ger in den Himmel. Mag das Unterfangen, die Ruine zu erhalten, durchaus zu begrüssen sein, so löst es doch auch Bedenken aus, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Reste der Burg im 18. Jahrhundert als Steinbruch versteigert wurden: andere Zeiten, andere Sitten …

Eine weitere Strategie, der Vergänglich-keit zu trotzen, findet sich in verschiedenen Textformen, in Briefen und Rödeln, in Do-kumenten, Verträgen, Büchern, Chroniken, gesammelt in Archiven und Bibliotheken. Das Sammeln und Bewahren ist das eine, das ande-re das Zugänglichmachen: Ohne Transkriptio-nen, ohne Übersetzungen (ein Lob all denen, die das Erlernen des Lateinischen nach wie vor sinnvoll finden!) und ohne sich immer wieder durch die Seiten mühende Leserschaft gäben uns die Texte früher oder später die gleichen Rätsel auf wie die etruskische Sprache.

Chroniken spielen auch für die Basler Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle. Die wohl einer breiteren Öffentlichkeit bekann-teste ist das Werk von Christian Wurstisen, 1580 bei Sebastian Henricpetri erschienen: ein Genuss, darin zu lesen! Weniger bekannt, aber für die Stadtgeschichte eine grossartige Fundgrube sind die Basler Chroniken, deren erster Band 1872 und deren bisher letzter, der zwölfte, 2009 erschien. Eine Jahreschronik war auch lange Zeit Bestandteil der gedruckten Ausgabe des Basler Stadtbuchs – das dieser Tage zum 134. Mal erschienen ist. Seit 2011 ist dieser Chronikteil in digitaler Form zugäng-lich (www.baslerchronik.ch). Wenn die digi-talisierte Chronik auch nach wie vor versucht, das Wissen über Ereignisse der Nachwelt zu erhalten, so ist sie doch gleichzeitig von einer neuen und beschleunigten Art der Vergäng-lichkeit bedroht.

Dabei haben technische Erfindungen im-mer wieder gesammeltes Wissen in Buchform bedroht, so zum Beispiel die Entwicklung des

Holzschliffverfahrens in der Papierherstel-lung. Die Papiere waren zwar billiger, jedoch auf Kosten der Haltbarkeit, was dazu führ-te, dass ganze Bibliotheken in aufwendigen Verfahren vor dem Zerfall geschützt werden müssen. Bei den digitalen Daten droht nun eine andere Gefahr: Die aktuell verwendeten Datenträger haben eine vergleichsweise kurze Lebensdauer, ebenso die entsprechenden Lese-geräte. Daten müssen deshalb in immer kürze-ren Zeitabständen auf neue Träger überspielt werden. Doch wer entscheidet, was würdig ist, in die Zukunft gerettet zu werden, und was verschwindet endgültig aus dem Gedächtnis der Menschheit?

Nehmen wir’s mit einer gewissen Gelas-senheit und schliessen wir mit Arno Holz’ «Geisterduo»:

Der Zeitgeist brennt wie trocknes StrohUnd singt: «In dulci jubilo!»Der Weltgeist brummt dazu im Baß:«O vanitatum vanitas!»

Lukas HartmannLukas Hartmann ist Gestalter, Dozent und Redaktor des Basler Stadtbuchs.

bereits wieder eingestellt worden. Der Philo-soph und Medientheoretiker Boris Groys hat diese Zusammenhänge in seiner Abhandlung «Über das Neue» (1992) noch entspannt und nur mit einem ganz sanften zynischen Un-terton beschrieben, wenn er in einer typisch postmodernen Wendung behauptete, dass das von der Industrie so fetischisierte Neue eigentlich nur das recyclierte Alte sei; denn die Kategorie des Neuen komme, so Groys, erst in der Moderne mit der Entstehung der grossen Archive und Sammlungen auf: Erst seit man über eine allgemeinere Übersicht fein säuberlich etikettierter Objekte und Gedan-ken verfügt, lassen sich Vergleiche zwischen alten und neuen Dingen ziehen – und dabei, so Groys, lassen sich auch im Archiv gelagerte Ideen wieder hervorholen, neu aufbereiten und als Scoop verkaufen, während der letzte Schrei auf der anderen Seite des Produktions-rades gerade dabei ist, wieder in die Tiefen des kulturellen Fundus zu sinken.

Boris Groys versteht den Fortschritt also, ähnlich wie Walter Benjamin, als einen stets sich weitertreibenden Prozess von Werden und Vergehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es uns in all der trommelnden Neu-heitsakupunktur tatsächlich jemals gelingt, dem Vergehen der Dinge auch nur ein Nano-Mü an Aufmerksamkeit und Hirnschmalz zu widmen? Wann haben wir uns in der Raserei der brennenden Alltagsgeschäfte je die Zeit genommen, uns mit der Würde des Zerfal-lens zu beschäftigen? Und wissen die Objekte überhaupt, wie sie schad- und lautlos in die (endgültige oder vorgelagerte) Hölle der Un-Dinge verschwinden können, sind sie des Zer-rinnens überhaupt fähig? Der amerikanische Fotograf und Filmemacher David LaChapelle

greift diese Fragen in seinen farbenprächtigen Vanitas-Bildern in pointiert ironischer Weise auf, wenn sich unter seinen üppigen, majestä-tisch welkenden Blumensträussen nach dem Vorbild niederländischer Stillleben frisch und unvergänglich zerknautschte PET-Flaschen, glänzende Plastikprothesen und ewig verbun-dene Mobiltelefone recken. Vielleicht besteht die eigentliche Dekadenz unseres Zeitalters ja gerade darin, dass wir nicht mehr ordentlich zerfallen können. Vielleicht würden wir uns weniger ausgepresst fühlen, wenn wir uns pa-rallel zu all den Neuheitshuldigungen ganz still und unauffällig auch dem natürlichen Erschöpfungsprozess aller organischen und anorganischen Materie hingeben könnten. Es mag vielleicht etwas unbescheiden klin-gen, aber im Kern ist es eigentlich genau das, was das Internationale Austauschprogramm iaab mit seinen Auslandstipendien anstrebt: den Prozessen von Entstehen und Vergehen, Ankommen und Dasein Raum zu geben, das Leben zu entschleunigen und den Kunstschaf-fenden eine Auszeit aus der Hektik des ufer-losen Produktions- und Broterwerbszwangs zu ermöglichen.

Alexandra Stäheli

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zukunftsweisenden) Randerscheinungen zu befassen. Als Vertreter eines dritten Sektors, die ihre Rolle zwischen Staat, Gesellschaft und Markt ständig neu verhandeln müssen, stehen NPOs besonders in der Pflicht. NPOs müssen Instrumente entwickeln, mit denen sie gesell-schaftlich relevante Erscheinungen erfassen und gezielt darauf reagieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Geldverwaltern werden, die sich selbst mit bürokratischen Prozessen und formalen Argumentationen lähmen.

Es gibt in der Kulturförderung einen zent-ralen Unterschied zur Ökologie: Kreativität ist keine knappe Ressource. Private und Förderer in NPOs sollten sich für die Sache der Kultur mutig, partikulär und verschwenderisch (statt vorsichtig, gerecht und sparsam) einsetzen, um

die Gesellschaft im Rahmen einer Kultur der Demokratie mitzugestalten. Paradoxerweise bedeutet gerade dies die wahre nachhaltige Kulturförderung.

Christoph Meneghetti

1 Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der Futur-zwei Zukunftsalmanach 2013, Frankfurt 2012.

2 Alan Brown, Joseph Kluger et al.: Is Sustainability Sustainable?, Sounding Board Vol. 30, 2011 (http://wolfbrown.com/insights/41-sounding-board/348-is-sustainability-sustainable)

3 Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Demokratie, in: Public Affairs. Von Beuys bis Zittel: Das Öffentliche in der Kunst, Kunsthaus Zürich (Katalog) 2002 (http://www.publicaffairs.ch/groys_boris.html)

GERANGEL IN REGAL UND INTERNET

ODER: DER WANDEL IM BUCHHANDEL

55 Thesen zur Entwicklung des Buchhandels und der Verlage bis 2025 hat der Börsenver-ein – der Verband der deutschen Verleger und Buchhändler – 2011 aufgestellt. Die The-sen sorgten seinerzeit für grosse Aufregung in der Branche. Mittlerweile weiss man: Die Veränderungen werden noch viel schneller und drastischer kommen als vorhergesagt. Der Grundsatz bleibt derselbe, die beiden Kernaussagen werden sich wohl einfach noch rascher und drastischer bewahrheiten: 1) Der Buchhandel verliert über einen Drittel seiner Verkaufsfläche, sei es durch Schliessung gan-zer Geschäfte oder Umnutzung vorhandener Flächen für andere Waren. 2) Der Verkaufsweg Internet wird stark an Bedeutung zunehmen, mit ihm der Anteil der E-Books, die allerdings das gedruckte Buch nicht verdrängen, jedoch einen Anteil von bis zu dreissig Prozent des Buchmarkts einnehmen werden.

Was bedeutet das für uns Verleger? Noch immer erscheinen jedes Jahr über 90 000 neue deutschsprachige Bücher. Diese Novitäten konkurrieren mit immer weniger Platz in den Regalen der verbliebenen Buchhandlungen. Längst gibt es in den grossen Geschäften ne-ben Druckerzeugnissen Papeterie-, Geschenk-artikel und allerlei Wellness-Schnickschnack (von der Duftkerze über den Badezusatz bis zum Zimmerspringbrunnen) zu kaufen, und die Kinderbuchabteilung ähnelt oft einem Spielzeugladen. Den Buchhändlern darf man deswegen keinen Vorwurf machen: Vie-le kämpfen ums Überleben und müssen auf die veränderten Kaufgewohnheiten der Kon-sumenten reagieren. Fraglich ist aber, ob ein solcher «Gemischtwarenladen» für buchaffine Menschen auf Dauer ein attraktiver Ort zum Bücherkaufen bleibt. Ich fürchte eher nein.

Selbst wenn die vielen Neuerscheinungen die begehrten Plätze in den Regalen und auf den Tischen der Buchhandlungen einnehmen (wo-bei die Stapel direkt bei den Eingängen gerade von Buchhandlungsketten oft von Grossver-lagen mit dem Ziel gekauft werden, populäre Mainstream-Titel noch begehrenswerter er-scheinen zu lassen − man nennt das «Werbe-kostenzuschuss» an die Buchhändler), müssen sich auch diese möglichst rasch verkaufen und am besten täglich in der Verlagsauslieferung nachgeordert werden. Wenn das Warenwirt-

schaftssystem aber meldet, dass ein Titel einige Tage nicht verkauft worden ist, fliegt das Buch aus dem Sortiment oder schafft es bestenfalls noch, als Einzeltitel im Regal eingereiht zu werden. Denn: Jede Woche erscheinen wei-tere Publikationen aus diversen Verlagen, die eben auch in die Regale und auf die Tische drängen. Die Halbwertszeit der Aufmerksam-keit für Neuerscheinungen ist somit oft er-nüchternd kurz. So kann es etwa vorkommen, dass der Katalog einer aktuellen Ausstellung

in einem Basler Museum von der örtlichen Buchhandlung bereits drei bis vier Wochen nach Eröffnung remittiert, d.h. zurück an die Verlagsauslieferung geschickt wird und die Buchhandlung dafür eine Gutschrift erhält.

Das immer wichtiger werdende Online-Geschäft von «echten» Büchern und von E-Books stellt uns als kleinen Schweizer Verlag vor vielfältige Herausforderungen: Das Ge-schäft diktieren wenige grosse, oft internatio-nal agierende Anbieter, die die Konditionen bestimmen, wenn man in den Datenbanken dieser Händler vorkommen will. Der weitaus grösste Online-Buchhändler der Schweiz ist amazon.de. Amazon nutzt seit einiger Zeit den Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz dazu, den Schweizer Kunden die Bücher mit mindestens 20 Prozent Rabatt vom eh schon günstigeren Euro-Preis porto-frei nach Hause zu schicken. Mit der Kosten-struktur von Amazon kann kein Schweizer Buchhändler mithalten. Was das allerdings für die Angestellten bei Amazon bedeutet – näm-lich katastrophale Arbeitsbedingungen und ein unmenschlicher Umgang mit den Mitar-beitenden –, hat ein kontrovers diskutierter ARD-Dokumentarfilm letztes Jahr gezeigt. Beim E-Book dominiert Amazon mit ihren Kindle-Geräten und dem Kindle-Shop seit Jahren ebenfalls den Markt. Es bleibt abzu-warten, ob die gemeinsamen Anstrengungen der Buchhändlerbranche im E-Book-Geschäft (mit den Tolino-Geräten und in der Schweiz auch mit dem E-Book-Angebot des Buchzen-trums Olten) Erfolg haben werden und dem übermächtigen Konkurrenten Amazon die Stirn bieten können.

Und was unternehmen wir als Christoph Merian Verlag, um auf diese Verwerfungen der

Branche im digitalen Zeitalter zu reagieren? Wir wollen einerseits den verbleibenden, enga-gierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern den Rücken stärken und sie bei Veranstaltun-gen, Lesungen etc. unterstützen, damit die Buchhandlung ein Ort der Begegnung und der Buchkompetenz bleibt. «Buy local»-Ini-tiativen etwa, wie sie auch von Basler Buch-handlungen angestossen wurden, sind absolut unterstützenswert. Gleichzeitig werden wir, wenn immer sinnvoll, auch elektronische Ver-sionen unserer Publikationen erstellen, so wie unsere Hörbücher schon seit mehreren Jahren auch per Download erhältlich sind. Darüber hinaus hat die Christoph Merian Stiftung viel in einen neuen Internetauftritt des Verlags investiert, der demnächst online gehen wird, und wir haben die Lieferbedingungen für Di-rektbestellung über unsere Website attraktiver gestaltet, damit eine Bestellung «ab Erzeuger» für unsere Kundinnen und Kunden interes-sant bleibt. Auf www.merianverlag.ch kann man in Bücher reinlesen, Hörbücher probe-hören, E-Books und Hörbücher downloaden und sich über Veranstaltungen informieren.

Das Verlegersein im 21. Jahrhundert ist spannend, herausfordernd und macht Spass: Wir sind Vermittler von Inhalten und The-men, wollen zu Diskussionen anregen und Geschichte lebendig werden lassen − egal in welcher Form: ob als Buch, Hörbuch, DVD, E-Book oder App. Das hat Zukunft!

Oliver Bolanz

— VIELLEICHT BESTEHT DIE EIGENTLICHE DEKADENZ

UNSERES ZEITALTERS JA GERADE DARIN, DASS

WIR NICHT MEHR ORDENTLICH ZERFALLEN

KÖNNEN.—

Abnahme der Menge mit Halbwertszeit

Zeit (T)

Menge

— WENN DAS WAREN­

WIRTSCHAFTSSYSTEM MELDET, DASS

EIN TITEL EINIGE TAGE NICHT VERKAUFT

WORDEN IST, FLIEGT DAS BUCH AUS DEM

SORTIMENT.—

DIE DIKTATUR DER INNOVATION

ODER: MORGEN IST DIE VERGANGENHEIT VON ÜBERMORGEN

Gemeinnützige Stiftungen haben gegenüber Staat und Wirtschaft einen entscheidenden Vorteil: Durch den rechtlich definierten Um-stand, dass Stiftungen ein selbstbestimmtes Zweckvermögen darstellen und sich quasi selbst gehören, sind sie, abgesehen von den Aufsichtsbehörden, niemandem Rechenschaft pflichtig. Dies gibt ihnen eine einzigartige Frei-heit. Abseits von Trends und Zeitgeist können sie das Unbequeme, das Neue, das Innovative fördern. Und sie nutzen ihre Freiheit. Kaum ein Förderkriterium kommt ohne den Ruf nach Pionierhaftem und Innovativem aus. Die Krux dabei ist aber, dass wirklich Neues nur von ganz wenigen gesehen wird, wie bereits Albert Einstein treffend vermerkt hat: «Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausge-schlossen erscheint.» Und damit ist der Mist noch lange nicht geführt. Ob sich eine Idee durchsetzt und sich der Ressourceneinsatz ge-lohnt hat, zeigt immer erst der Blick zurück. Dazwischen liegt ein langer Weg. Stiftungen, die sich der Innovationsförderung verschrie-ben haben, brauchen viel Sachverstand, einen langen Atem, eine grosse Unabhängigkeit im Denken und Entscheiden und eine enorm hohe Risikobereitschaft. Denn was heute in-novativ ist, kann morgen bereits überholt sein. Dies müssen Stiftungen und ihre Entschei-dungsträger aushalten.

Da liegt der Gedanke nahe, dass manche Stiftung gut beraten wäre, anstatt der manch-mal schon fast zwanghaften Forderung nach dem ewig Neuen Bewährtes und Liegengeblie-benes weiter zu fördern. Das Abfallprodukt des Innovationszwanges ist nämlich eine im-mer grösser werdende Halde anschubfinan-zierter Projekte und Initiativen. Vieles darun-

ter ist gut, nur: nicht mehr neu. Aber muss es das denn immer sein? Diese Fragen sollten sich Stiftungen vermehrt stellen. Sind sie nämlich nicht in der Lage, die oben erwähnten Bedin-gungen für wirkliche Innovationsförderung zu erfüllen, stünde es ihnen gut an, nach-haltig und hartnäckig die besten und nicht

immer die neusten Umsetzungen für ihren Stiftungszweck zu suchen. Christian Meyn, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Auridis GmbH, hat dies anlässlich der Präsentation seiner Förderstrategie am Schweizer Stiftungs-symposium 2013 in Basel auf den Punkt ge-bracht: «Es muss nicht immer innovativ sein. Es reicht, wenn es gut ist.»

Beate EckhardtBeate Eckhardt ist Geschäftsführerin von SwissFound-ations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen.

— WAS HEUTE

INNOVATIV IST, KANN MORGEN

BEREITS ÜBERHOLT SEIN.

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WIE NACHHALTIG IST DIE KULTURFÖRDERUNG

DER ZUKUNFT?Wenn wir über die Zukunft sprechen und wie wir in der Gegenwart handeln sollen, kommen wir nicht um sie herum: die Nachhaltigkeit. In ökologischen und ökonomischen Bereichen wurde in den letzten Jahren unter diesem Begriff ein zweifellos wertvolles Verständnis für langfristige Zusammenhänge entwickelt. Wir interessieren uns heute dafür, dass fahr-lässiger Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen unsere Lebensgrundlage zerstört. Wir bewerten zum Beispiel Bauvorhaben nach ihrer Nachhaltigkeit und erwarten von Inves-toren, dass sie ökologische und soziale Fak-toren respektieren. Sympathisch konkret ist der Soziologe Harald Welzer, der in seinem «Handbuch für eine enkeltaugliche Zukunft»1 gleich eine Sammlung von Beispielen gibt, wie heute schon Menschen erfolgreich wirtschaf-ten und dabei die Bedürfnisse kommender Generationen höher gewichten als die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung.

Darunter sind viele inspirierende Ge-schichten, die deutlich machen, dass es beim nachhaltigen Handeln nicht nur um Normen geht, sondern eben: um gute Geschichten und Vorbilder. Aber sind dies die richtigen Vorbilder für Kulturschaffende und -förde-rer? Soll auch Kultur immer «enkeltauglich» sein? Auch in die Kultur werden private und staatliche Gelder investiert, gerne wird dabei von einer Investition in die Gesellschaft, in die Zukunft, in das kreative Kapital oder in den Standort gesprochen. Die Aussicht auf eine Nachhaltigkeit dieser Investition ist verführe-risch – der Begriff verspricht Dauerhaftigkeit und ein stabiles Gleichgewicht des Systems. Nachhaltigkeit in diesem herkömmlichen Sinn hat aber einen faden Beigeschmack: den des Konservatismus.

Natürlich muss Kultur nicht immer enkel-tauglich sein. Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren ist nur ein (wenn auch teurer) Teil der Aufgaben, die kulturelle Akteure erfül-len, und damit allein ist es nicht getan. Die Gesundheit unseres kulturellen Systems hat mehr mit Wandlungsfähigkeit und Relevanz als mit Permanenz zu tun. Danach sollte sich das Verständnis nachhaltiger Kulturförderung richten. Wenn wir den Konservatismus aus der Nachhaltigkeit streichen, was bleibt übrig? Ei-nen konkreten Vorschlag hat WolfBrown Con-sulting 2011 in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel «Is Sustainability Sustainable?»2 ver-öffentlicht. Sie definieren die Nachhaltigkeit von arts organizations in drei Dimensionen: community relevance, artistic vibrancy und (die-sen untergeordnet) capitalization. In diesen Dimensionen sind die Faktoren für den Erfolg kultureller Unternehmungen zu suchen.

Gehen wir einen Schritt zurück und be-trachten den Kontext der Kulturförderung. In welchem Verhältnis steht das private En-gagement zum staatlichen, und welche Rolle übernimmt der NPO-Sektor, die Non-Profit-Organisationen? Unsere pluralistische Demo-kratie umfasst eine Vielzahl von Lebensfor-men, Sprachen und kulturellen Traditionen. Den einen Gemeinwillen, den die demokrati-sche Gesellschaftsordnung repräsentieren soll, gibt es nicht, sie kann lediglich die Pluralität verwalten und dabei vermeiden, zu stark Po-sition zu beziehen. Staatliche Kulturförderer sind deshalb gespalten in ihrer Rolle, selbst produktive Akteure der Kultur zu sein und gleichzeitig die Vielfalt der partikulären Wil-len gerecht zu beaufsichtigen.3 Gerade private Kulturförderer müssen es also wagen, sich mit den Minderheiten und den (möglicherweise

ERINNERN UND VERGESSEN

ZUR HALBWERTSZEIT DIGITALER KUNST

Für die Generation der Digital Natives ist ein Leben ohne Internet eine unmögliche Vor-stellung. Für sie war das globale Netzwerk schon immer da und ist zugleich prägend für ihre sozialen Interaktionen. Heute ist nahezu jeder mit Smartphone und Tablet-Computer ausgestattet, und die mobile Technologie er-möglicht es, dass wir jederzeit online sind und unsere digitalen Spuren im Netz auf Schritt und Tritt hinterlassen. Bewegungsdaten, Fa-cebook-Einträge – jede Aktivität ist unweiger-lich im globalen Netzwerk gespeichert, und auch so mancher kleine Fauxpas kann sich zum Problem auswachsen, wenn er sich nicht mehr tilgen lässt und auf ewig abrufbar bleibt. Bei all der Vernetzung stellt sich im Zeitalter von PRISM und den bekannt gewordenen staatlichen Übergriffen auf persönliche Da-ten immer zentraler die Frage des öffentlichen Zugriffs auf die digitale «Cloud» und die in ihr gespeicherten Informationen.

Dem digitalen Speicherwahn und der täg-lich wachsenden Datenflut steht im Bereich der digitalen Kultur dagegen das unaufhalt-same Vergessen gegenüber. Unser digitales Zeitalter ist geprägt von der Schnelllebigkeit von Technologien und der rasanten Weiter-entwicklung von Hardware und Software. Neue Geräte erscheinen in immer kürzeren Abständen auf dem Markt. Im Jahresrhythmus werden Smartphones und Betriebssysteme vorgestellt, die ihre Vorgänger an Funktiona-lität übertreffen, besser und schneller sind. Eine zehn Jahre alte Diskette hat da schon eine nahezu steinzeitliche Anmutung.

Zeitgenössische Medienkunst spürte schon immer den Veränderungen des technologi-schen Wandels nach und zeigte die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verände-rungen auf. Von der frühen Computergrafik der Sechzigerjahre bis hin zur Netzkunst der Neunzigerjahre, von Softwarekunst bis

Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit expo-nentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit.

Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, ist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir eine neue Software installiert, will sie aktu-alisiert werden. Kaum hat sich computerba-sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler als Shootingstar gefeiert, verschwindet er schon démodé in der Ver-senkung. Kaum hat das Stadtbuch ein Thema als ultraaktuell aufgegriffen, gerinnt es schon zwischen den Buchdeckeln zu Ge-schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es vom Buchhandel remit-tiert und verschwindet in der anonymen Backlist. Das ist die Kehrseite der «Diktatur der Innovation», der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech-nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als Motoren der Innovation, steigen jedem neuen

Trend nach und hinterlassen mit ihrem Inno-vationszwang einen Berg von halbfinanzierten Projekten und Initiativen.

Wir haben uns im vergangenen Jahr in der Abteilung Kultur zu mehreren internen Workshops zum Thema Innovation getroffen, denn schliesslich muss eine Stiftung wie die

Christoph Merian Stif-tung «open-minded» sein und an vorderster Front Neues fördern. Mit dieser Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen und bei meinen jüngeren Kolleginnen und Kolle-gen auf unerwartete und vehemente Opposition gestossen. Als Historiker, der dem Vergangenen und Vergehenden nähersteht

als der Extrapolierung in die Zukunft, fand ich mich als Apostel der Innovation plötzlich auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht sei krankhaft und bedeute einen unendlichen und unnötigen Druck. Die Anbetung des «Neuen» führe zu einer perversen Missach-tung des Gewachsenen, des Erreichten, des

Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart.

Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbe-reitschaft nicht eine innere Abschottung ge-gen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovati-onsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome?

Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kolle-gen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Inno-vationsdruck verursacht, indem er das Nach-denken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend not-wendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, he-rauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über

die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthe-ma «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und disku-tieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austausch-programm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Küns-ten. Die Illustrationen stammen von den wel-schen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen.

Beat von Wartburg

HALBWERTSZEITSCHWERPUNKT

hin zu interaktiven Installationen wird das Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Medien ausgelotet. Die Nutzung aktuellster Technologien führt zu immer kürzeren Halb-wertszeiten der digitalen und elektronischen Kunst.

Datenträger haben eine sehr begrenzte Le-bensdauer. Die technischen Komponenten ei-nes Werkes sind heute schnell veraltet, die Ge-räte selbst oft nicht mehr zu beschaffen. Ist das Material noch auf alten Datenträgern erhalten, so lässt es sich meist nicht mehr abspielen, da die Abspielgeräte nicht mehr funktionieren. So mancher Restaurator für Medienkunst ist dann schon mal auf Ebay aktiv, um obsolete Technik für alte Werke zu erstehen und wie-der in Betrieb zu nehmen. Hier braucht es Know-how und Expertenwissen, um diese Kunst vor dem endgültigen Verfall zu retten und historische Werke und Meilensteine der kulturhistorischen Entwicklung auch für die Zukunft zu bewahren.

Was also tun, um Werke der computer-basierten Kunst funktionstüchtig zu halten oder vor dem digitalen Verfall zu schützen? Museen und Kulturinstitutionen mit Samm-lungen digitaler und elektronischer Kunst setzen sich seit Jahren für den Fortbestand medialer Kunstformen und die Sicherung die-ser Werke ein. Die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Medienkunst führt dazu, dass individuell für jedes Werk eine passende Stra-tegie für den Erhalt gesucht werden muss. Bei den Videoinstallationen von Nam June Paik spielt der Röhrenmonitor eine zentrale Rolle, und so wird hier vor allem auf den Erhalt der Hardware gesetzt, auch wenn dies zeitlich nur begrenzt möglich ist. Pionierarbeiten der frü-hen Computerkunst stellen wiederum andere Herausforderungen an den Erhalt. Oftmals wird hier mit dem Prinzip der Emulation ge-arbeitet. Das bedeutet die Verwendung neuer Software, die versucht, den «Look and Feel» alter Programme zu erzeugen, um beispiels-weise den Bildaufbau einer Website bewusst

zu verlangsamen und damit die Ästhetik einer früheren Zeit zu reproduzieren. Die Migrati-on von Daten auf neue Betriebssysteme und aktuelle Software ist eine weitere Methode, und manchmal bleibt nur die Dokumenta-tion oder Re-Interpretation eines Werkes als Alternative.

Auch das Haus für elektronische Künste Basel (HeK) engagiert sich mit einer eigenen Sammlung für den Erhalt elektronischer und digitaler Kunst. Im Rahmen des trinationa-len Forschungs- und Restaurierungsprojekts «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» wurde zusammen mit Partnern aus Frankreich und Deutschland über drei Jahre an diesen zentralen Fragestellungen ge-arbeitet. Als Fallstudie wurde vonseiten des HeK das netzbasierte Projekt «TV Bot 2.0» des Schweizer Künstlers Marc Lee angekauft und behandelt. «TV Bot 2.0» von 2010 beruht auf einem von Lee entwickelten Programm, welches im Internet Bild-, Video-, Audio- und Textdaten zusammenträgt, die nicht älter als eine Stunde sind. Aus diesen Materialien aus unterschiedlichsten Kontexten wird live im In-ternet eine Nachrichtensendung generiert. Die Zugänglichkeit im globalen Netz ist ein in-härenter und wesentlicher Aspekt der Arbeit. Schon innerhalb weniger Jahre gab es starke Software-Veränderungen, die die ästhetische Anmutung und Funktionalität der Arbeit ver-ändert haben. Gemeinsam mit dem Künstler wurde am HeK eine Strategie zum Erhalt der ursprünglichen Intention und Ästhetik der Arbeit entwickelt.

Das Sammeln von digitaler Kunst stellt Kuratoren und Konservatoren vor neue Auf-gaben. Neben den genauen Informationen zu den technischen Komponenten einer Arbeit ist die Dokumentation der künstlerischen Idee und Wirkungsabsicht ein zentraler As-pekt, der aufgearbeitet werden muss. Nur so lässt sich später eine Funktionalität im Sinne des ursprünglichen künstlerischen Anliegens sicherstellen, die es den Kuratoren und Kon-

Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk

© Plonk & Replonk

Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit Bildern, Typografien und Prozentzahlen

© Plonk & Replonk

Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk

Diplomierter Abstempler, während eines Weiter bildungskurses dem frontalen Angriff einer

automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk

Lesemeerschweinchen © Plonk & Replonk

servatoren erlaubt, im Zweifelsfall eine Re-Interpretation eines Werks vorzunehmen. Die Herausforderungen sind gross, und es braucht übergreifende Strategien und Konzepte für den Austausch von Wissen und Information. «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» war eines dieser internationalen Projekte, die den fachlichen Diskurs beför-dert haben und gemeinsam Wege aus dem Dilemma des digitalen Verfalls und Vergessens weisen.

Sabine HimmelsbachSabine Himmelsbach ist Leiterin des Hauses für elektronische Künste Basel

a Hervé Graumann, Raoul Pictor cherche son style …,1993 – 1997Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

g Nam June Paik, Internet Dream, 1994 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

ÜBER DIE VERGÄNGLICHKEIT

EIN ESSAY

Wie schnell doch alles entschwindet! In der Welt die Menschen selbst, im Lauf der Zeit ihr Gedächtnis!

Marc Aurel

Seit dem Menschen bewusst ist, dass sein Da-sein ein endliches ist, befasst er sich in den mannigfaltigsten Formen quer durch die Ge-schichte mit dem Thema der Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis und die Auflehnung dage-gen liessen nicht nur Totenkulte entstehen, sondern auch Vorstellungen eines wie immer gearteten Jenseits, Religionen und philosophi-sche Schulen. Ihr verdanken wir grossartige Kunstwerke weit über die Memento-mori-Bildwelt mit ihren Stillleben hinaus, ganze Bibliotheken und reiche Symbolwelten, die ein Lexikon füllen würden. Erwähnt sei hier, beispielhaft, das Grabmal der Maria Magda-lena Langhans in der reformierten Kirche Hindelbank, 1751 von Johann August Nahl geschaffen. Die junge Frau starb bei der Ge-burt ihres Sohnes, der ihr bald nachfolgen soll-te. Durch die aufbrechende Grabplatte sieht man Mutter und Kind, die ihren Blick nach oben richten, eine eigentliche Auferstehungs-szene. Und ebenfalls beispielhaft: Einer der eindrücklichsten unter den Vergänglichkeits-texten findet sich im Alten Testament im Buch Kohelet, beginnend mit den Worten: «Nich-tig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» (Prediger 1,2), was bei Andreas Gryphius in seinem berühmten Vanitas-vanitatum-Gedicht wie folgt klingt:

Ich seh’ wohin ich seh nur Eitelkeit auff ErdenWas dieser heute bawt reist jener morgen ein Wo jtzt die Städte stehn so herrlich hoch vnd feinDa wird in kurtzem gehn ein Hirt mit

seinen Herden: […]

Als Schlüsseltext zum Thema Vergäng-lichkeit kann auch die Geschichte von Adam und Eva gelesen werden: Durch den Genuss des Apfels vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben, werden sie sich ih-rer begrenzten Lebensspanne bewusst; eine Erfahrung um die eigene Endlichkeit, die jeder Mensch einmal – mehr oder weniger schmerzlich – machen muss. Der Möglich-keiten, wie wir damit umgehen, sind viele, und sie prägen oft mit, wie wir zu unserem Leben stehen und wie wir es gestalten. Werden wir zu habgierigen Raffern, zu Hedonisten im heutigen Sinn des Begriffs, verfallen wir in Trauer und Depressionen oder entwickeln wir einen gewissen Gleichmut, der sowohl die fröhlichen Melodien als auch die Basssaiten des Lebens kennt?

Unsere Gesellschaft hat verschiedene Stra-tegien entwickelt, wie mit Vergänglichkeit um-gegangen werden kann. Eine davon besteht im Sammeln und Horten, dem verzweifelten (und letztlich vergeblichen) Versuch, Dinge, Objek-te vor dem Zerfall und Vergehen zu bewahren. Davon zeugen unzählige Museen mit ihren oft schon jetzt aus allen Nähten platzenden Depots. Wer in den letzten Monaten durch die Klus bei Angenstein fuhr, dem bot sich hoch über der Birs ein starkes und zunächst irritierendes Bild, das beispielhaft von diesem

LOB DES ZERFALLS

Der Fortschritt ist ein schielender Engel. Ein geflügeltes Wesen mit lockigem Haar und bemerkenswert kleinen Füssen, aber auch mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ein bleiches Geschöpf, dessen Flügel so weit aufgespannt sind, dass sich in ihnen die Paradieseswinde verfangen, die es unablässig in die Zukunft wehen lassen. So zumindest hat Walter Benjamin in seiner berühmten neunten geschichtsphilosophischen These eine Zeichnung von Paul Klee interpretiert

und damit die ganze Ambivalenz umrissen, mit der uns die Ausläufer der Moderne noch immer umfangen, das lächelnd fletschende Faszinosum tremendum unserer zerrissenen Conditio postpostpost. Während wir dabei aus unsrer kleinen Gegenwart eine Kette von Begebenheiten dicht hinter und dicht vor uns erblicken, die einen logischen Sinn zu ergeben scheinen, sieht Benjamins melancholischer Engel der Geschichte das Werden und Verge-hen all unsrer Errungenschaften buchstäblich

in Windeseile vor sich auf- und wieder nieder-steigen; erschrocken über den steten Zerfall, möchte er die Trümmer wieder zusammenfü-gen, doch der Sturm treibt ihn endlos weiter.

Die Winde des Fortschritts sind seit Er-scheinen von Benjamins Text 1928 bestimmt nicht milder und verdaulicher geworden, viel-mehr haben sie sich im Zuge globalisierter Produktionsprozesse in einen Pesthauch des ewig Neuen verwandelt. Mit den sekündlich auf den Markt poppenden Erzeugnissen der

Warenindustrie wird unsere durchschnittli-che Adrenalinausschüttung dabei so sehr im Fluss gehalten, dass unsere Aufmerksamkeit der Gegenwart immer schon hinterherhin-ken muss. Es ist kein Geheimnis, dass uns die Dinge und Informationen seit langer Zeit in gespenstischer Weise auf allen Kanälen be-drängen, und bis wir jeweils herausgefunden haben, ob es sich bei dem jeweiligen neusten Wunderwerk nun um billigen Trash oder um wertvolle Inputs handelt, ist die Produktion

Drang des Bewahrens spricht: Auf einem Fels-sporn des Blauen steht die Ruine Pfeffingen, eingerüstet, ein Baukran streckt seinen Ausle-ger in den Himmel. Mag das Unterfangen, die Ruine zu erhalten, durchaus zu begrüssen sein, so löst es doch auch Bedenken aus, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Reste der Burg im 18. Jahrhundert als Steinbruch versteigert wurden: andere Zeiten, andere Sitten …

Eine weitere Strategie, der Vergänglich-keit zu trotzen, findet sich in verschiedenen Textformen, in Briefen und Rödeln, in Do-kumenten, Verträgen, Büchern, Chroniken, gesammelt in Archiven und Bibliotheken. Das Sammeln und Bewahren ist das eine, das ande-re das Zugänglichmachen: Ohne Transkriptio-nen, ohne Übersetzungen (ein Lob all denen, die das Erlernen des Lateinischen nach wie vor sinnvoll finden!) und ohne sich immer wieder durch die Seiten mühende Leserschaft gäben uns die Texte früher oder später die gleichen Rätsel auf wie die etruskische Sprache.

Chroniken spielen auch für die Basler Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle. Die wohl einer breiteren Öffentlichkeit bekann-teste ist das Werk von Christian Wurstisen, 1580 bei Sebastian Henricpetri erschienen: ein Genuss, darin zu lesen! Weniger bekannt, aber für die Stadtgeschichte eine grossartige Fundgrube sind die Basler Chroniken, deren erster Band 1872 und deren bisher letzter, der zwölfte, 2009 erschien. Eine Jahreschronik war auch lange Zeit Bestandteil der gedruckten Ausgabe des Basler Stadtbuchs – das dieser Tage zum 134. Mal erschienen ist. Seit 2011 ist dieser Chronikteil in digitaler Form zugäng-lich (www.baslerchronik.ch). Wenn die digi-talisierte Chronik auch nach wie vor versucht, das Wissen über Ereignisse der Nachwelt zu erhalten, so ist sie doch gleichzeitig von einer neuen und beschleunigten Art der Vergäng-lichkeit bedroht.

Dabei haben technische Erfindungen im-mer wieder gesammeltes Wissen in Buchform bedroht, so zum Beispiel die Entwicklung des

Holzschliffverfahrens in der Papierherstel-lung. Die Papiere waren zwar billiger, jedoch auf Kosten der Haltbarkeit, was dazu führ-te, dass ganze Bibliotheken in aufwendigen Verfahren vor dem Zerfall geschützt werden müssen. Bei den digitalen Daten droht nun eine andere Gefahr: Die aktuell verwendeten Datenträger haben eine vergleichsweise kurze Lebensdauer, ebenso die entsprechenden Lese-geräte. Daten müssen deshalb in immer kürze-ren Zeitabständen auf neue Träger überspielt werden. Doch wer entscheidet, was würdig ist, in die Zukunft gerettet zu werden, und was verschwindet endgültig aus dem Gedächtnis der Menschheit?

Nehmen wir’s mit einer gewissen Gelas-senheit und schliessen wir mit Arno Holz’ «Geisterduo»:

Der Zeitgeist brennt wie trocknes StrohUnd singt: «In dulci jubilo!»Der Weltgeist brummt dazu im Baß:«O vanitatum vanitas!»

Lukas HartmannLukas Hartmann ist Gestalter, Dozent und Redaktor des Basler Stadtbuchs.

bereits wieder eingestellt worden. Der Philo-soph und Medientheoretiker Boris Groys hat diese Zusammenhänge in seiner Abhandlung «Über das Neue» (1992) noch entspannt und nur mit einem ganz sanften zynischen Un-terton beschrieben, wenn er in einer typisch postmodernen Wendung behauptete, dass das von der Industrie so fetischisierte Neue eigentlich nur das recyclierte Alte sei; denn die Kategorie des Neuen komme, so Groys, erst in der Moderne mit der Entstehung der grossen Archive und Sammlungen auf: Erst seit man über eine allgemeinere Übersicht fein säuberlich etikettierter Objekte und Gedan-ken verfügt, lassen sich Vergleiche zwischen alten und neuen Dingen ziehen – und dabei, so Groys, lassen sich auch im Archiv gelagerte Ideen wieder hervorholen, neu aufbereiten und als Scoop verkaufen, während der letzte Schrei auf der anderen Seite des Produktions-rades gerade dabei ist, wieder in die Tiefen des kulturellen Fundus zu sinken.

Boris Groys versteht den Fortschritt also, ähnlich wie Walter Benjamin, als einen stets sich weitertreibenden Prozess von Werden und Vergehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es uns in all der trommelnden Neu-heitsakupunktur tatsächlich jemals gelingt, dem Vergehen der Dinge auch nur ein Nano-Mü an Aufmerksamkeit und Hirnschmalz zu widmen? Wann haben wir uns in der Raserei der brennenden Alltagsgeschäfte je die Zeit genommen, uns mit der Würde des Zerfal-lens zu beschäftigen? Und wissen die Objekte überhaupt, wie sie schad- und lautlos in die (endgültige oder vorgelagerte) Hölle der Un-Dinge verschwinden können, sind sie des Zer-rinnens überhaupt fähig? Der amerikanische Fotograf und Filmemacher David LaChapelle

greift diese Fragen in seinen farbenprächtigen Vanitas-Bildern in pointiert ironischer Weise auf, wenn sich unter seinen üppigen, majestä-tisch welkenden Blumensträussen nach dem Vorbild niederländischer Stillleben frisch und unvergänglich zerknautschte PET-Flaschen, glänzende Plastikprothesen und ewig verbun-dene Mobiltelefone recken. Vielleicht besteht die eigentliche Dekadenz unseres Zeitalters ja gerade darin, dass wir nicht mehr ordentlich zerfallen können. Vielleicht würden wir uns weniger ausgepresst fühlen, wenn wir uns pa-rallel zu all den Neuheitshuldigungen ganz still und unauffällig auch dem natürlichen Erschöpfungsprozess aller organischen und anorganischen Materie hingeben könnten. Es mag vielleicht etwas unbescheiden klin-gen, aber im Kern ist es eigentlich genau das, was das Internationale Austauschprogramm iaab mit seinen Auslandstipendien anstrebt: den Prozessen von Entstehen und Vergehen, Ankommen und Dasein Raum zu geben, das Leben zu entschleunigen und den Kunstschaf-fenden eine Auszeit aus der Hektik des ufer-losen Produktions- und Broterwerbszwangs zu ermöglichen.

Alexandra Stäheli

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zukunftsweisenden) Randerscheinungen zu befassen. Als Vertreter eines dritten Sektors, die ihre Rolle zwischen Staat, Gesellschaft und Markt ständig neu verhandeln müssen, stehen NPOs besonders in der Pflicht. NPOs müssen Instrumente entwickeln, mit denen sie gesell-schaftlich relevante Erscheinungen erfassen und gezielt darauf reagieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Geldverwaltern werden, die sich selbst mit bürokratischen Prozessen und formalen Argumentationen lähmen.

Es gibt in der Kulturförderung einen zent-ralen Unterschied zur Ökologie: Kreativität ist keine knappe Ressource. Private und Förderer in NPOs sollten sich für die Sache der Kultur mutig, partikulär und verschwenderisch (statt vorsichtig, gerecht und sparsam) einsetzen, um

die Gesellschaft im Rahmen einer Kultur der Demokratie mitzugestalten. Paradoxerweise bedeutet gerade dies die wahre nachhaltige Kulturförderung.

Christoph Meneghetti

1 Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der Futur-zwei Zukunftsalmanach 2013, Frankfurt 2012.

2 Alan Brown, Joseph Kluger et al.: Is Sustainability Sustainable?, Sounding Board Vol. 30, 2011 (http://wolfbrown.com/insights/41-sounding-board/348-is-sustainability-sustainable)

3 Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Demokratie, in: Public Affairs. Von Beuys bis Zittel: Das Öffentliche in der Kunst, Kunsthaus Zürich (Katalog) 2002 (http://www.publicaffairs.ch/groys_boris.html)

GERANGEL IN REGAL UND INTERNET

ODER: DER WANDEL IM BUCHHANDEL

55 Thesen zur Entwicklung des Buchhandels und der Verlage bis 2025 hat der Börsenver-ein – der Verband der deutschen Verleger und Buchhändler – 2011 aufgestellt. Die The-sen sorgten seinerzeit für grosse Aufregung in der Branche. Mittlerweile weiss man: Die Veränderungen werden noch viel schneller und drastischer kommen als vorhergesagt. Der Grundsatz bleibt derselbe, die beiden Kernaussagen werden sich wohl einfach noch rascher und drastischer bewahrheiten: 1) Der Buchhandel verliert über einen Drittel seiner Verkaufsfläche, sei es durch Schliessung gan-zer Geschäfte oder Umnutzung vorhandener Flächen für andere Waren. 2) Der Verkaufsweg Internet wird stark an Bedeutung zunehmen, mit ihm der Anteil der E-Books, die allerdings das gedruckte Buch nicht verdrängen, jedoch einen Anteil von bis zu dreissig Prozent des Buchmarkts einnehmen werden.

Was bedeutet das für uns Verleger? Noch immer erscheinen jedes Jahr über 90 000 neue deutschsprachige Bücher. Diese Novitäten konkurrieren mit immer weniger Platz in den Regalen der verbliebenen Buchhandlungen. Längst gibt es in den grossen Geschäften ne-ben Druckerzeugnissen Papeterie-, Geschenk-artikel und allerlei Wellness-Schnickschnack (von der Duftkerze über den Badezusatz bis zum Zimmerspringbrunnen) zu kaufen, und die Kinderbuchabteilung ähnelt oft einem Spielzeugladen. Den Buchhändlern darf man deswegen keinen Vorwurf machen: Vie-le kämpfen ums Überleben und müssen auf die veränderten Kaufgewohnheiten der Kon-sumenten reagieren. Fraglich ist aber, ob ein solcher «Gemischtwarenladen» für buchaffine Menschen auf Dauer ein attraktiver Ort zum Bücherkaufen bleibt. Ich fürchte eher nein.

Selbst wenn die vielen Neuerscheinungen die begehrten Plätze in den Regalen und auf den Tischen der Buchhandlungen einnehmen (wo-bei die Stapel direkt bei den Eingängen gerade von Buchhandlungsketten oft von Grossver-lagen mit dem Ziel gekauft werden, populäre Mainstream-Titel noch begehrenswerter er-scheinen zu lassen − man nennt das «Werbe-kostenzuschuss» an die Buchhändler), müssen sich auch diese möglichst rasch verkaufen und am besten täglich in der Verlagsauslieferung nachgeordert werden. Wenn das Warenwirt-

schaftssystem aber meldet, dass ein Titel einige Tage nicht verkauft worden ist, fliegt das Buch aus dem Sortiment oder schafft es bestenfalls noch, als Einzeltitel im Regal eingereiht zu werden. Denn: Jede Woche erscheinen wei-tere Publikationen aus diversen Verlagen, die eben auch in die Regale und auf die Tische drängen. Die Halbwertszeit der Aufmerksam-keit für Neuerscheinungen ist somit oft er-nüchternd kurz. So kann es etwa vorkommen, dass der Katalog einer aktuellen Ausstellung

in einem Basler Museum von der örtlichen Buchhandlung bereits drei bis vier Wochen nach Eröffnung remittiert, d.h. zurück an die Verlagsauslieferung geschickt wird und die Buchhandlung dafür eine Gutschrift erhält.

Das immer wichtiger werdende Online-Geschäft von «echten» Büchern und von E-Books stellt uns als kleinen Schweizer Verlag vor vielfältige Herausforderungen: Das Ge-schäft diktieren wenige grosse, oft internatio-nal agierende Anbieter, die die Konditionen bestimmen, wenn man in den Datenbanken dieser Händler vorkommen will. Der weitaus grösste Online-Buchhändler der Schweiz ist amazon.de. Amazon nutzt seit einiger Zeit den Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz dazu, den Schweizer Kunden die Bücher mit mindestens 20 Prozent Rabatt vom eh schon günstigeren Euro-Preis porto-frei nach Hause zu schicken. Mit der Kosten-struktur von Amazon kann kein Schweizer Buchhändler mithalten. Was das allerdings für die Angestellten bei Amazon bedeutet – näm-lich katastrophale Arbeitsbedingungen und ein unmenschlicher Umgang mit den Mitar-beitenden –, hat ein kontrovers diskutierter ARD-Dokumentarfilm letztes Jahr gezeigt. Beim E-Book dominiert Amazon mit ihren Kindle-Geräten und dem Kindle-Shop seit Jahren ebenfalls den Markt. Es bleibt abzu-warten, ob die gemeinsamen Anstrengungen der Buchhändlerbranche im E-Book-Geschäft (mit den Tolino-Geräten und in der Schweiz auch mit dem E-Book-Angebot des Buchzen-trums Olten) Erfolg haben werden und dem übermächtigen Konkurrenten Amazon die Stirn bieten können.

Und was unternehmen wir als Christoph Merian Verlag, um auf diese Verwerfungen der

Branche im digitalen Zeitalter zu reagieren? Wir wollen einerseits den verbleibenden, enga-gierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern den Rücken stärken und sie bei Veranstaltun-gen, Lesungen etc. unterstützen, damit die Buchhandlung ein Ort der Begegnung und der Buchkompetenz bleibt. «Buy local»-Ini-tiativen etwa, wie sie auch von Basler Buch-handlungen angestossen wurden, sind absolut unterstützenswert. Gleichzeitig werden wir, wenn immer sinnvoll, auch elektronische Ver-sionen unserer Publikationen erstellen, so wie unsere Hörbücher schon seit mehreren Jahren auch per Download erhältlich sind. Darüber hinaus hat die Christoph Merian Stiftung viel in einen neuen Internetauftritt des Verlags investiert, der demnächst online gehen wird, und wir haben die Lieferbedingungen für Di-rektbestellung über unsere Website attraktiver gestaltet, damit eine Bestellung «ab Erzeuger» für unsere Kundinnen und Kunden interes-sant bleibt. Auf www.merianverlag.ch kann man in Bücher reinlesen, Hörbücher probe-hören, E-Books und Hörbücher downloaden und sich über Veranstaltungen informieren.

Das Verlegersein im 21. Jahrhundert ist spannend, herausfordernd und macht Spass: Wir sind Vermittler von Inhalten und The-men, wollen zu Diskussionen anregen und Geschichte lebendig werden lassen − egal in welcher Form: ob als Buch, Hörbuch, DVD, E-Book oder App. Das hat Zukunft!

Oliver Bolanz

— VIELLEICHT BESTEHT DIE EIGENTLICHE DEKADENZ

UNSERES ZEITALTERS JA GERADE DARIN, DASS

WIR NICHT MEHR ORDENTLICH ZERFALLEN

KÖNNEN.—

Abnahme der Menge mit Halbwertszeit

Zeit (T)

Menge

— WENN DAS WAREN­

WIRTSCHAFTSSYSTEM MELDET, DASS

EIN TITEL EINIGE TAGE NICHT VERKAUFT

WORDEN IST, FLIEGT DAS BUCH AUS DEM

SORTIMENT.—

DIE DIKTATUR DER INNOVATION

ODER: MORGEN IST DIE VERGANGENHEIT VON ÜBERMORGEN

Gemeinnützige Stiftungen haben gegenüber Staat und Wirtschaft einen entscheidenden Vorteil: Durch den rechtlich definierten Um-stand, dass Stiftungen ein selbstbestimmtes Zweckvermögen darstellen und sich quasi selbst gehören, sind sie, abgesehen von den Aufsichtsbehörden, niemandem Rechenschaft pflichtig. Dies gibt ihnen eine einzigartige Frei-heit. Abseits von Trends und Zeitgeist können sie das Unbequeme, das Neue, das Innovative fördern. Und sie nutzen ihre Freiheit. Kaum ein Förderkriterium kommt ohne den Ruf nach Pionierhaftem und Innovativem aus. Die Krux dabei ist aber, dass wirklich Neues nur von ganz wenigen gesehen wird, wie bereits Albert Einstein treffend vermerkt hat: «Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausge-schlossen erscheint.» Und damit ist der Mist noch lange nicht geführt. Ob sich eine Idee durchsetzt und sich der Ressourceneinsatz ge-lohnt hat, zeigt immer erst der Blick zurück. Dazwischen liegt ein langer Weg. Stiftungen, die sich der Innovationsförderung verschrie-ben haben, brauchen viel Sachverstand, einen langen Atem, eine grosse Unabhängigkeit im Denken und Entscheiden und eine enorm hohe Risikobereitschaft. Denn was heute in-novativ ist, kann morgen bereits überholt sein. Dies müssen Stiftungen und ihre Entschei-dungsträger aushalten.

Da liegt der Gedanke nahe, dass manche Stiftung gut beraten wäre, anstatt der manch-mal schon fast zwanghaften Forderung nach dem ewig Neuen Bewährtes und Liegengeblie-benes weiter zu fördern. Das Abfallprodukt des Innovationszwanges ist nämlich eine im-mer grösser werdende Halde anschubfinan-zierter Projekte und Initiativen. Vieles darun-

ter ist gut, nur: nicht mehr neu. Aber muss es das denn immer sein? Diese Fragen sollten sich Stiftungen vermehrt stellen. Sind sie nämlich nicht in der Lage, die oben erwähnten Bedin-gungen für wirkliche Innovationsförderung zu erfüllen, stünde es ihnen gut an, nach-haltig und hartnäckig die besten und nicht

immer die neusten Umsetzungen für ihren Stiftungszweck zu suchen. Christian Meyn, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Auridis GmbH, hat dies anlässlich der Präsentation seiner Förderstrategie am Schweizer Stiftungs-symposium 2013 in Basel auf den Punkt ge-bracht: «Es muss nicht immer innovativ sein. Es reicht, wenn es gut ist.»

Beate EckhardtBeate Eckhardt ist Geschäftsführerin von SwissFound-ations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen.

— WAS HEUTE

INNOVATIV IST, KANN MORGEN

BEREITS ÜBERHOLT SEIN.

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WIE NACHHALTIG IST DIE KULTURFÖRDERUNG

DER ZUKUNFT?Wenn wir über die Zukunft sprechen und wie wir in der Gegenwart handeln sollen, kommen wir nicht um sie herum: die Nachhaltigkeit. In ökologischen und ökonomischen Bereichen wurde in den letzten Jahren unter diesem Begriff ein zweifellos wertvolles Verständnis für langfristige Zusammenhänge entwickelt. Wir interessieren uns heute dafür, dass fahr-lässiger Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen unsere Lebensgrundlage zerstört. Wir bewerten zum Beispiel Bauvorhaben nach ihrer Nachhaltigkeit und erwarten von Inves-toren, dass sie ökologische und soziale Fak-toren respektieren. Sympathisch konkret ist der Soziologe Harald Welzer, der in seinem «Handbuch für eine enkeltaugliche Zukunft»1 gleich eine Sammlung von Beispielen gibt, wie heute schon Menschen erfolgreich wirtschaf-ten und dabei die Bedürfnisse kommender Generationen höher gewichten als die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung.

Darunter sind viele inspirierende Ge-schichten, die deutlich machen, dass es beim nachhaltigen Handeln nicht nur um Normen geht, sondern eben: um gute Geschichten und Vorbilder. Aber sind dies die richtigen Vorbilder für Kulturschaffende und -förde-rer? Soll auch Kultur immer «enkeltauglich» sein? Auch in die Kultur werden private und staatliche Gelder investiert, gerne wird dabei von einer Investition in die Gesellschaft, in die Zukunft, in das kreative Kapital oder in den Standort gesprochen. Die Aussicht auf eine Nachhaltigkeit dieser Investition ist verführe-risch – der Begriff verspricht Dauerhaftigkeit und ein stabiles Gleichgewicht des Systems. Nachhaltigkeit in diesem herkömmlichen Sinn hat aber einen faden Beigeschmack: den des Konservatismus.

Natürlich muss Kultur nicht immer enkel-tauglich sein. Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren ist nur ein (wenn auch teurer) Teil der Aufgaben, die kulturelle Akteure erfül-len, und damit allein ist es nicht getan. Die Gesundheit unseres kulturellen Systems hat mehr mit Wandlungsfähigkeit und Relevanz als mit Permanenz zu tun. Danach sollte sich das Verständnis nachhaltiger Kulturförderung richten. Wenn wir den Konservatismus aus der Nachhaltigkeit streichen, was bleibt übrig? Ei-nen konkreten Vorschlag hat WolfBrown Con-sulting 2011 in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel «Is Sustainability Sustainable?»2 ver-öffentlicht. Sie definieren die Nachhaltigkeit von arts organizations in drei Dimensionen: community relevance, artistic vibrancy und (die-sen untergeordnet) capitalization. In diesen Dimensionen sind die Faktoren für den Erfolg kultureller Unternehmungen zu suchen.

Gehen wir einen Schritt zurück und be-trachten den Kontext der Kulturförderung. In welchem Verhältnis steht das private En-gagement zum staatlichen, und welche Rolle übernimmt der NPO-Sektor, die Non-Profit-Organisationen? Unsere pluralistische Demo-kratie umfasst eine Vielzahl von Lebensfor-men, Sprachen und kulturellen Traditionen. Den einen Gemeinwillen, den die demokrati-sche Gesellschaftsordnung repräsentieren soll, gibt es nicht, sie kann lediglich die Pluralität verwalten und dabei vermeiden, zu stark Po-sition zu beziehen. Staatliche Kulturförderer sind deshalb gespalten in ihrer Rolle, selbst produktive Akteure der Kultur zu sein und gleichzeitig die Vielfalt der partikulären Wil-len gerecht zu beaufsichtigen.3 Gerade private Kulturförderer müssen es also wagen, sich mit den Minderheiten und den (möglicherweise

ERINNERN UND VERGESSEN

ZUR HALBWERTSZEIT DIGITALER KUNST

Für die Generation der Digital Natives ist ein Leben ohne Internet eine unmögliche Vor-stellung. Für sie war das globale Netzwerk schon immer da und ist zugleich prägend für ihre sozialen Interaktionen. Heute ist nahezu jeder mit Smartphone und Tablet-Computer ausgestattet, und die mobile Technologie er-möglicht es, dass wir jederzeit online sind und unsere digitalen Spuren im Netz auf Schritt und Tritt hinterlassen. Bewegungsdaten, Fa-cebook-Einträge – jede Aktivität ist unweiger-lich im globalen Netzwerk gespeichert, und auch so mancher kleine Fauxpas kann sich zum Problem auswachsen, wenn er sich nicht mehr tilgen lässt und auf ewig abrufbar bleibt. Bei all der Vernetzung stellt sich im Zeitalter von PRISM und den bekannt gewordenen staatlichen Übergriffen auf persönliche Da-ten immer zentraler die Frage des öffentlichen Zugriffs auf die digitale «Cloud» und die in ihr gespeicherten Informationen.

Dem digitalen Speicherwahn und der täg-lich wachsenden Datenflut steht im Bereich der digitalen Kultur dagegen das unaufhalt-same Vergessen gegenüber. Unser digitales Zeitalter ist geprägt von der Schnelllebigkeit von Technologien und der rasanten Weiter-entwicklung von Hardware und Software. Neue Geräte erscheinen in immer kürzeren Abständen auf dem Markt. Im Jahresrhythmus werden Smartphones und Betriebssysteme vorgestellt, die ihre Vorgänger an Funktiona-lität übertreffen, besser und schneller sind. Eine zehn Jahre alte Diskette hat da schon eine nahezu steinzeitliche Anmutung.

Zeitgenössische Medienkunst spürte schon immer den Veränderungen des technologi-schen Wandels nach und zeigte die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verände-rungen auf. Von der frühen Computergrafik der Sechzigerjahre bis hin zur Netzkunst der Neunzigerjahre, von Softwarekunst bis

Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit expo-nentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit.

Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, ist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir eine neue Software installiert, will sie aktu-alisiert werden. Kaum hat sich computerba-sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler als Shootingstar gefeiert, verschwindet er schon démodé in der Ver-senkung. Kaum hat das Stadtbuch ein Thema als ultraaktuell aufgegriffen, gerinnt es schon zwischen den Buchdeckeln zu Ge-schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es vom Buchhandel remit-tiert und verschwindet in der anonymen Backlist. Das ist die Kehrseite der «Diktatur der Innovation», der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech-nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als Motoren der Innovation, steigen jedem neuen

Trend nach und hinterlassen mit ihrem Inno-vationszwang einen Berg von halbfinanzierten Projekten und Initiativen.

Wir haben uns im vergangenen Jahr in der Abteilung Kultur zu mehreren internen Workshops zum Thema Innovation getroffen, denn schliesslich muss eine Stiftung wie die

Christoph Merian Stif-tung «open-minded» sein und an vorderster Front Neues fördern. Mit dieser Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen und bei meinen jüngeren Kolleginnen und Kolle-gen auf unerwartete und vehemente Opposition gestossen. Als Historiker, der dem Vergangenen und Vergehenden nähersteht

als der Extrapolierung in die Zukunft, fand ich mich als Apostel der Innovation plötzlich auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht sei krankhaft und bedeute einen unendlichen und unnötigen Druck. Die Anbetung des «Neuen» führe zu einer perversen Missach-tung des Gewachsenen, des Erreichten, des

Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart.

Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbe-reitschaft nicht eine innere Abschottung ge-gen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovati-onsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome?

Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kolle-gen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Inno-vationsdruck verursacht, indem er das Nach-denken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend not-wendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, he-rauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über

die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthe-ma «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und disku-tieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austausch-programm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Küns-ten. Die Illustrationen stammen von den wel-schen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen.

Beat von Wartburg

HALBWERTSZEITSCHWERPUNKT

hin zu interaktiven Installationen wird das Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Medien ausgelotet. Die Nutzung aktuellster Technologien führt zu immer kürzeren Halb-wertszeiten der digitalen und elektronischen Kunst.

Datenträger haben eine sehr begrenzte Le-bensdauer. Die technischen Komponenten ei-nes Werkes sind heute schnell veraltet, die Ge-räte selbst oft nicht mehr zu beschaffen. Ist das Material noch auf alten Datenträgern erhalten, so lässt es sich meist nicht mehr abspielen, da die Abspielgeräte nicht mehr funktionieren. So mancher Restaurator für Medienkunst ist dann schon mal auf Ebay aktiv, um obsolete Technik für alte Werke zu erstehen und wie-der in Betrieb zu nehmen. Hier braucht es Know-how und Expertenwissen, um diese Kunst vor dem endgültigen Verfall zu retten und historische Werke und Meilensteine der kulturhistorischen Entwicklung auch für die Zukunft zu bewahren.

Was also tun, um Werke der computer-basierten Kunst funktionstüchtig zu halten oder vor dem digitalen Verfall zu schützen? Museen und Kulturinstitutionen mit Samm-lungen digitaler und elektronischer Kunst setzen sich seit Jahren für den Fortbestand medialer Kunstformen und die Sicherung die-ser Werke ein. Die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Medienkunst führt dazu, dass individuell für jedes Werk eine passende Stra-tegie für den Erhalt gesucht werden muss. Bei den Videoinstallationen von Nam June Paik spielt der Röhrenmonitor eine zentrale Rolle, und so wird hier vor allem auf den Erhalt der Hardware gesetzt, auch wenn dies zeitlich nur begrenzt möglich ist. Pionierarbeiten der frü-hen Computerkunst stellen wiederum andere Herausforderungen an den Erhalt. Oftmals wird hier mit dem Prinzip der Emulation ge-arbeitet. Das bedeutet die Verwendung neuer Software, die versucht, den «Look and Feel» alter Programme zu erzeugen, um beispiels-weise den Bildaufbau einer Website bewusst

zu verlangsamen und damit die Ästhetik einer früheren Zeit zu reproduzieren. Die Migrati-on von Daten auf neue Betriebssysteme und aktuelle Software ist eine weitere Methode, und manchmal bleibt nur die Dokumenta-tion oder Re-Interpretation eines Werkes als Alternative.

Auch das Haus für elektronische Künste Basel (HeK) engagiert sich mit einer eigenen Sammlung für den Erhalt elektronischer und digitaler Kunst. Im Rahmen des trinationa-len Forschungs- und Restaurierungsprojekts «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» wurde zusammen mit Partnern aus Frankreich und Deutschland über drei Jahre an diesen zentralen Fragestellungen ge-arbeitet. Als Fallstudie wurde vonseiten des HeK das netzbasierte Projekt «TV Bot 2.0» des Schweizer Künstlers Marc Lee angekauft und behandelt. «TV Bot 2.0» von 2010 beruht auf einem von Lee entwickelten Programm, welches im Internet Bild-, Video-, Audio- und Textdaten zusammenträgt, die nicht älter als eine Stunde sind. Aus diesen Materialien aus unterschiedlichsten Kontexten wird live im In-ternet eine Nachrichtensendung generiert. Die Zugänglichkeit im globalen Netz ist ein in-härenter und wesentlicher Aspekt der Arbeit. Schon innerhalb weniger Jahre gab es starke Software-Veränderungen, die die ästhetische Anmutung und Funktionalität der Arbeit ver-ändert haben. Gemeinsam mit dem Künstler wurde am HeK eine Strategie zum Erhalt der ursprünglichen Intention und Ästhetik der Arbeit entwickelt.

Das Sammeln von digitaler Kunst stellt Kuratoren und Konservatoren vor neue Auf-gaben. Neben den genauen Informationen zu den technischen Komponenten einer Arbeit ist die Dokumentation der künstlerischen Idee und Wirkungsabsicht ein zentraler As-pekt, der aufgearbeitet werden muss. Nur so lässt sich später eine Funktionalität im Sinne des ursprünglichen künstlerischen Anliegens sicherstellen, die es den Kuratoren und Kon-

Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk

© Plonk & Replonk

Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit Bildern, Typografien und Prozentzahlen

© Plonk & Replonk

Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk

Diplomierter Abstempler, während eines Weiter bildungskurses dem frontalen Angriff einer

automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk

Lesemeerschweinchen © Plonk & Replonk

servatoren erlaubt, im Zweifelsfall eine Re-Interpretation eines Werks vorzunehmen. Die Herausforderungen sind gross, und es braucht übergreifende Strategien und Konzepte für den Austausch von Wissen und Information. «Digital Art Works. The Challenges of Con-servation» war eines dieser internationalen Projekte, die den fachlichen Diskurs beför-dert haben und gemeinsam Wege aus dem Dilemma des digitalen Verfalls und Vergessens weisen.

Sabine HimmelsbachSabine Himmelsbach ist Leiterin des Hauses für elektronische Künste Basel

a Hervé Graumann, Raoul Pictor cherche son style …,1993 – 1997Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

g Nam June Paik, Internet Dream, 1994 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht

ÜBER DIE VERGÄNGLICHKEIT

EIN ESSAY

Wie schnell doch alles entschwindet! In der Welt die Menschen selbst, im Lauf der Zeit ihr Gedächtnis!

Marc Aurel

Seit dem Menschen bewusst ist, dass sein Da-sein ein endliches ist, befasst er sich in den mannigfaltigsten Formen quer durch die Ge-schichte mit dem Thema der Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis und die Auflehnung dage-gen liessen nicht nur Totenkulte entstehen, sondern auch Vorstellungen eines wie immer gearteten Jenseits, Religionen und philosophi-sche Schulen. Ihr verdanken wir grossartige Kunstwerke weit über die Memento-mori-Bildwelt mit ihren Stillleben hinaus, ganze Bibliotheken und reiche Symbolwelten, die ein Lexikon füllen würden. Erwähnt sei hier, beispielhaft, das Grabmal der Maria Magda-lena Langhans in der reformierten Kirche Hindelbank, 1751 von Johann August Nahl geschaffen. Die junge Frau starb bei der Ge-burt ihres Sohnes, der ihr bald nachfolgen soll-te. Durch die aufbrechende Grabplatte sieht man Mutter und Kind, die ihren Blick nach oben richten, eine eigentliche Auferstehungs-szene. Und ebenfalls beispielhaft: Einer der eindrücklichsten unter den Vergänglichkeits-texten findet sich im Alten Testament im Buch Kohelet, beginnend mit den Worten: «Nich-tig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» (Prediger 1,2), was bei Andreas Gryphius in seinem berühmten Vanitas-vanitatum-Gedicht wie folgt klingt:

Ich seh’ wohin ich seh nur Eitelkeit auff ErdenWas dieser heute bawt reist jener morgen ein Wo jtzt die Städte stehn so herrlich hoch vnd feinDa wird in kurtzem gehn ein Hirt mit

seinen Herden: […]

Als Schlüsseltext zum Thema Vergäng-lichkeit kann auch die Geschichte von Adam und Eva gelesen werden: Durch den Genuss des Apfels vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben, werden sie sich ih-rer begrenzten Lebensspanne bewusst; eine Erfahrung um die eigene Endlichkeit, die jeder Mensch einmal – mehr oder weniger schmerzlich – machen muss. Der Möglich-keiten, wie wir damit umgehen, sind viele, und sie prägen oft mit, wie wir zu unserem Leben stehen und wie wir es gestalten. Werden wir zu habgierigen Raffern, zu Hedonisten im heutigen Sinn des Begriffs, verfallen wir in Trauer und Depressionen oder entwickeln wir einen gewissen Gleichmut, der sowohl die fröhlichen Melodien als auch die Basssaiten des Lebens kennt?

Unsere Gesellschaft hat verschiedene Stra-tegien entwickelt, wie mit Vergänglichkeit um-gegangen werden kann. Eine davon besteht im Sammeln und Horten, dem verzweifelten (und letztlich vergeblichen) Versuch, Dinge, Objek-te vor dem Zerfall und Vergehen zu bewahren. Davon zeugen unzählige Museen mit ihren oft schon jetzt aus allen Nähten platzenden Depots. Wer in den letzten Monaten durch die Klus bei Angenstein fuhr, dem bot sich hoch über der Birs ein starkes und zunächst irritierendes Bild, das beispielhaft von diesem

LOB DES ZERFALLS

Der Fortschritt ist ein schielender Engel. Ein geflügeltes Wesen mit lockigem Haar und bemerkenswert kleinen Füssen, aber auch mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ein bleiches Geschöpf, dessen Flügel so weit aufgespannt sind, dass sich in ihnen die Paradieseswinde verfangen, die es unablässig in die Zukunft wehen lassen. So zumindest hat Walter Benjamin in seiner berühmten neunten geschichtsphilosophischen These eine Zeichnung von Paul Klee interpretiert

und damit die ganze Ambivalenz umrissen, mit der uns die Ausläufer der Moderne noch immer umfangen, das lächelnd fletschende Faszinosum tremendum unserer zerrissenen Conditio postpostpost. Während wir dabei aus unsrer kleinen Gegenwart eine Kette von Begebenheiten dicht hinter und dicht vor uns erblicken, die einen logischen Sinn zu ergeben scheinen, sieht Benjamins melancholischer Engel der Geschichte das Werden und Verge-hen all unsrer Errungenschaften buchstäblich

in Windeseile vor sich auf- und wieder nieder-steigen; erschrocken über den steten Zerfall, möchte er die Trümmer wieder zusammenfü-gen, doch der Sturm treibt ihn endlos weiter.

Die Winde des Fortschritts sind seit Er-scheinen von Benjamins Text 1928 bestimmt nicht milder und verdaulicher geworden, viel-mehr haben sie sich im Zuge globalisierter Produktionsprozesse in einen Pesthauch des ewig Neuen verwandelt. Mit den sekündlich auf den Markt poppenden Erzeugnissen der

Warenindustrie wird unsere durchschnittli-che Adrenalinausschüttung dabei so sehr im Fluss gehalten, dass unsere Aufmerksamkeit der Gegenwart immer schon hinterherhin-ken muss. Es ist kein Geheimnis, dass uns die Dinge und Informationen seit langer Zeit in gespenstischer Weise auf allen Kanälen be-drängen, und bis wir jeweils herausgefunden haben, ob es sich bei dem jeweiligen neusten Wunderwerk nun um billigen Trash oder um wertvolle Inputs handelt, ist die Produktion

Drang des Bewahrens spricht: Auf einem Fels-sporn des Blauen steht die Ruine Pfeffingen, eingerüstet, ein Baukran streckt seinen Ausle-ger in den Himmel. Mag das Unterfangen, die Ruine zu erhalten, durchaus zu begrüssen sein, so löst es doch auch Bedenken aus, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Reste der Burg im 18. Jahrhundert als Steinbruch versteigert wurden: andere Zeiten, andere Sitten …

Eine weitere Strategie, der Vergänglich-keit zu trotzen, findet sich in verschiedenen Textformen, in Briefen und Rödeln, in Do-kumenten, Verträgen, Büchern, Chroniken, gesammelt in Archiven und Bibliotheken. Das Sammeln und Bewahren ist das eine, das ande-re das Zugänglichmachen: Ohne Transkriptio-nen, ohne Übersetzungen (ein Lob all denen, die das Erlernen des Lateinischen nach wie vor sinnvoll finden!) und ohne sich immer wieder durch die Seiten mühende Leserschaft gäben uns die Texte früher oder später die gleichen Rätsel auf wie die etruskische Sprache.

Chroniken spielen auch für die Basler Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle. Die wohl einer breiteren Öffentlichkeit bekann-teste ist das Werk von Christian Wurstisen, 1580 bei Sebastian Henricpetri erschienen: ein Genuss, darin zu lesen! Weniger bekannt, aber für die Stadtgeschichte eine grossartige Fundgrube sind die Basler Chroniken, deren erster Band 1872 und deren bisher letzter, der zwölfte, 2009 erschien. Eine Jahreschronik war auch lange Zeit Bestandteil der gedruckten Ausgabe des Basler Stadtbuchs – das dieser Tage zum 134. Mal erschienen ist. Seit 2011 ist dieser Chronikteil in digitaler Form zugäng-lich (www.baslerchronik.ch). Wenn die digi-talisierte Chronik auch nach wie vor versucht, das Wissen über Ereignisse der Nachwelt zu erhalten, so ist sie doch gleichzeitig von einer neuen und beschleunigten Art der Vergäng-lichkeit bedroht.

Dabei haben technische Erfindungen im-mer wieder gesammeltes Wissen in Buchform bedroht, so zum Beispiel die Entwicklung des

Holzschliffverfahrens in der Papierherstel-lung. Die Papiere waren zwar billiger, jedoch auf Kosten der Haltbarkeit, was dazu führ-te, dass ganze Bibliotheken in aufwendigen Verfahren vor dem Zerfall geschützt werden müssen. Bei den digitalen Daten droht nun eine andere Gefahr: Die aktuell verwendeten Datenträger haben eine vergleichsweise kurze Lebensdauer, ebenso die entsprechenden Lese-geräte. Daten müssen deshalb in immer kürze-ren Zeitabständen auf neue Träger überspielt werden. Doch wer entscheidet, was würdig ist, in die Zukunft gerettet zu werden, und was verschwindet endgültig aus dem Gedächtnis der Menschheit?

Nehmen wir’s mit einer gewissen Gelas-senheit und schliessen wir mit Arno Holz’ «Geisterduo»:

Der Zeitgeist brennt wie trocknes StrohUnd singt: «In dulci jubilo!»Der Weltgeist brummt dazu im Baß:«O vanitatum vanitas!»

Lukas HartmannLukas Hartmann ist Gestalter, Dozent und Redaktor des Basler Stadtbuchs.

bereits wieder eingestellt worden. Der Philo-soph und Medientheoretiker Boris Groys hat diese Zusammenhänge in seiner Abhandlung «Über das Neue» (1992) noch entspannt und nur mit einem ganz sanften zynischen Un-terton beschrieben, wenn er in einer typisch postmodernen Wendung behauptete, dass das von der Industrie so fetischisierte Neue eigentlich nur das recyclierte Alte sei; denn die Kategorie des Neuen komme, so Groys, erst in der Moderne mit der Entstehung der grossen Archive und Sammlungen auf: Erst seit man über eine allgemeinere Übersicht fein säuberlich etikettierter Objekte und Gedan-ken verfügt, lassen sich Vergleiche zwischen alten und neuen Dingen ziehen – und dabei, so Groys, lassen sich auch im Archiv gelagerte Ideen wieder hervorholen, neu aufbereiten und als Scoop verkaufen, während der letzte Schrei auf der anderen Seite des Produktions-rades gerade dabei ist, wieder in die Tiefen des kulturellen Fundus zu sinken.

Boris Groys versteht den Fortschritt also, ähnlich wie Walter Benjamin, als einen stets sich weitertreibenden Prozess von Werden und Vergehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es uns in all der trommelnden Neu-heitsakupunktur tatsächlich jemals gelingt, dem Vergehen der Dinge auch nur ein Nano-Mü an Aufmerksamkeit und Hirnschmalz zu widmen? Wann haben wir uns in der Raserei der brennenden Alltagsgeschäfte je die Zeit genommen, uns mit der Würde des Zerfal-lens zu beschäftigen? Und wissen die Objekte überhaupt, wie sie schad- und lautlos in die (endgültige oder vorgelagerte) Hölle der Un-Dinge verschwinden können, sind sie des Zer-rinnens überhaupt fähig? Der amerikanische Fotograf und Filmemacher David LaChapelle

greift diese Fragen in seinen farbenprächtigen Vanitas-Bildern in pointiert ironischer Weise auf, wenn sich unter seinen üppigen, majestä-tisch welkenden Blumensträussen nach dem Vorbild niederländischer Stillleben frisch und unvergänglich zerknautschte PET-Flaschen, glänzende Plastikprothesen und ewig verbun-dene Mobiltelefone recken. Vielleicht besteht die eigentliche Dekadenz unseres Zeitalters ja gerade darin, dass wir nicht mehr ordentlich zerfallen können. Vielleicht würden wir uns weniger ausgepresst fühlen, wenn wir uns pa-rallel zu all den Neuheitshuldigungen ganz still und unauffällig auch dem natürlichen Erschöpfungsprozess aller organischen und anorganischen Materie hingeben könnten. Es mag vielleicht etwas unbescheiden klin-gen, aber im Kern ist es eigentlich genau das, was das Internationale Austauschprogramm iaab mit seinen Auslandstipendien anstrebt: den Prozessen von Entstehen und Vergehen, Ankommen und Dasein Raum zu geben, das Leben zu entschleunigen und den Kunstschaf-fenden eine Auszeit aus der Hektik des ufer-losen Produktions- und Broterwerbszwangs zu ermöglichen.

Alexandra Stäheli

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zukunftsweisenden) Randerscheinungen zu befassen. Als Vertreter eines dritten Sektors, die ihre Rolle zwischen Staat, Gesellschaft und Markt ständig neu verhandeln müssen, stehen NPOs besonders in der Pflicht. NPOs müssen Instrumente entwickeln, mit denen sie gesell-schaftlich relevante Erscheinungen erfassen und gezielt darauf reagieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Geldverwaltern werden, die sich selbst mit bürokratischen Prozessen und formalen Argumentationen lähmen.

Es gibt in der Kulturförderung einen zent-ralen Unterschied zur Ökologie: Kreativität ist keine knappe Ressource. Private und Förderer in NPOs sollten sich für die Sache der Kultur mutig, partikulär und verschwenderisch (statt vorsichtig, gerecht und sparsam) einsetzen, um

die Gesellschaft im Rahmen einer Kultur der Demokratie mitzugestalten. Paradoxerweise bedeutet gerade dies die wahre nachhaltige Kulturförderung.

Christoph Meneghetti

1 Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der Futur-zwei Zukunftsalmanach 2013, Frankfurt 2012.

2 Alan Brown, Joseph Kluger et al.: Is Sustainability Sustainable?, Sounding Board Vol. 30, 2011 (http://wolfbrown.com/insights/41-sounding-board/348-is-sustainability-sustainable)

3 Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Demokratie, in: Public Affairs. Von Beuys bis Zittel: Das Öffentliche in der Kunst, Kunsthaus Zürich (Katalog) 2002 (http://www.publicaffairs.ch/groys_boris.html)

GERANGEL IN REGAL UND INTERNET

ODER: DER WANDEL IM BUCHHANDEL

55 Thesen zur Entwicklung des Buchhandels und der Verlage bis 2025 hat der Börsenver-ein – der Verband der deutschen Verleger und Buchhändler – 2011 aufgestellt. Die The-sen sorgten seinerzeit für grosse Aufregung in der Branche. Mittlerweile weiss man: Die Veränderungen werden noch viel schneller und drastischer kommen als vorhergesagt. Der Grundsatz bleibt derselbe, die beiden Kernaussagen werden sich wohl einfach noch rascher und drastischer bewahrheiten: 1) Der Buchhandel verliert über einen Drittel seiner Verkaufsfläche, sei es durch Schliessung gan-zer Geschäfte oder Umnutzung vorhandener Flächen für andere Waren. 2) Der Verkaufsweg Internet wird stark an Bedeutung zunehmen, mit ihm der Anteil der E-Books, die allerdings das gedruckte Buch nicht verdrängen, jedoch einen Anteil von bis zu dreissig Prozent des Buchmarkts einnehmen werden.

Was bedeutet das für uns Verleger? Noch immer erscheinen jedes Jahr über 90 000 neue deutschsprachige Bücher. Diese Novitäten konkurrieren mit immer weniger Platz in den Regalen der verbliebenen Buchhandlungen. Längst gibt es in den grossen Geschäften ne-ben Druckerzeugnissen Papeterie-, Geschenk-artikel und allerlei Wellness-Schnickschnack (von der Duftkerze über den Badezusatz bis zum Zimmerspringbrunnen) zu kaufen, und die Kinderbuchabteilung ähnelt oft einem Spielzeugladen. Den Buchhändlern darf man deswegen keinen Vorwurf machen: Vie-le kämpfen ums Überleben und müssen auf die veränderten Kaufgewohnheiten der Kon-sumenten reagieren. Fraglich ist aber, ob ein solcher «Gemischtwarenladen» für buchaffine Menschen auf Dauer ein attraktiver Ort zum Bücherkaufen bleibt. Ich fürchte eher nein.

Selbst wenn die vielen Neuerscheinungen die begehrten Plätze in den Regalen und auf den Tischen der Buchhandlungen einnehmen (wo-bei die Stapel direkt bei den Eingängen gerade von Buchhandlungsketten oft von Grossver-lagen mit dem Ziel gekauft werden, populäre Mainstream-Titel noch begehrenswerter er-scheinen zu lassen − man nennt das «Werbe-kostenzuschuss» an die Buchhändler), müssen sich auch diese möglichst rasch verkaufen und am besten täglich in der Verlagsauslieferung nachgeordert werden. Wenn das Warenwirt-

schaftssystem aber meldet, dass ein Titel einige Tage nicht verkauft worden ist, fliegt das Buch aus dem Sortiment oder schafft es bestenfalls noch, als Einzeltitel im Regal eingereiht zu werden. Denn: Jede Woche erscheinen wei-tere Publikationen aus diversen Verlagen, die eben auch in die Regale und auf die Tische drängen. Die Halbwertszeit der Aufmerksam-keit für Neuerscheinungen ist somit oft er-nüchternd kurz. So kann es etwa vorkommen, dass der Katalog einer aktuellen Ausstellung

in einem Basler Museum von der örtlichen Buchhandlung bereits drei bis vier Wochen nach Eröffnung remittiert, d.h. zurück an die Verlagsauslieferung geschickt wird und die Buchhandlung dafür eine Gutschrift erhält.

Das immer wichtiger werdende Online-Geschäft von «echten» Büchern und von E-Books stellt uns als kleinen Schweizer Verlag vor vielfältige Herausforderungen: Das Ge-schäft diktieren wenige grosse, oft internatio-nal agierende Anbieter, die die Konditionen bestimmen, wenn man in den Datenbanken dieser Händler vorkommen will. Der weitaus grösste Online-Buchhändler der Schweiz ist amazon.de. Amazon nutzt seit einiger Zeit den Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz dazu, den Schweizer Kunden die Bücher mit mindestens 20 Prozent Rabatt vom eh schon günstigeren Euro-Preis porto-frei nach Hause zu schicken. Mit der Kosten-struktur von Amazon kann kein Schweizer Buchhändler mithalten. Was das allerdings für die Angestellten bei Amazon bedeutet – näm-lich katastrophale Arbeitsbedingungen und ein unmenschlicher Umgang mit den Mitar-beitenden –, hat ein kontrovers diskutierter ARD-Dokumentarfilm letztes Jahr gezeigt. Beim E-Book dominiert Amazon mit ihren Kindle-Geräten und dem Kindle-Shop seit Jahren ebenfalls den Markt. Es bleibt abzu-warten, ob die gemeinsamen Anstrengungen der Buchhändlerbranche im E-Book-Geschäft (mit den Tolino-Geräten und in der Schweiz auch mit dem E-Book-Angebot des Buchzen-trums Olten) Erfolg haben werden und dem übermächtigen Konkurrenten Amazon die Stirn bieten können.

Und was unternehmen wir als Christoph Merian Verlag, um auf diese Verwerfungen der

Branche im digitalen Zeitalter zu reagieren? Wir wollen einerseits den verbleibenden, enga-gierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern den Rücken stärken und sie bei Veranstaltun-gen, Lesungen etc. unterstützen, damit die Buchhandlung ein Ort der Begegnung und der Buchkompetenz bleibt. «Buy local»-Ini-tiativen etwa, wie sie auch von Basler Buch-handlungen angestossen wurden, sind absolut unterstützenswert. Gleichzeitig werden wir, wenn immer sinnvoll, auch elektronische Ver-sionen unserer Publikationen erstellen, so wie unsere Hörbücher schon seit mehreren Jahren auch per Download erhältlich sind. Darüber hinaus hat die Christoph Merian Stiftung viel in einen neuen Internetauftritt des Verlags investiert, der demnächst online gehen wird, und wir haben die Lieferbedingungen für Di-rektbestellung über unsere Website attraktiver gestaltet, damit eine Bestellung «ab Erzeuger» für unsere Kundinnen und Kunden interes-sant bleibt. Auf www.merianverlag.ch kann man in Bücher reinlesen, Hörbücher probe-hören, E-Books und Hörbücher downloaden und sich über Veranstaltungen informieren.

Das Verlegersein im 21. Jahrhundert ist spannend, herausfordernd und macht Spass: Wir sind Vermittler von Inhalten und The-men, wollen zu Diskussionen anregen und Geschichte lebendig werden lassen − egal in welcher Form: ob als Buch, Hörbuch, DVD, E-Book oder App. Das hat Zukunft!

Oliver Bolanz

— VIELLEICHT BESTEHT DIE EIGENTLICHE DEKADENZ

UNSERES ZEITALTERS JA GERADE DARIN, DASS

WIR NICHT MEHR ORDENTLICH ZERFALLEN

KÖNNEN.—

Abnahme der Menge mit Halbwertszeit

Zeit (T)

Menge

— WENN DAS WAREN­

WIRTSCHAFTSSYSTEM MELDET, DASS

EIN TITEL EINIGE TAGE NICHT VERKAUFT

WORDEN IST, FLIEGT DAS BUCH AUS DEM

SORTIMENT.—

DIE DIKTATUR DER INNOVATION

ODER: MORGEN IST DIE VERGANGENHEIT VON ÜBERMORGEN

Gemeinnützige Stiftungen haben gegenüber Staat und Wirtschaft einen entscheidenden Vorteil: Durch den rechtlich definierten Um-stand, dass Stiftungen ein selbstbestimmtes Zweckvermögen darstellen und sich quasi selbst gehören, sind sie, abgesehen von den Aufsichtsbehörden, niemandem Rechenschaft pflichtig. Dies gibt ihnen eine einzigartige Frei-heit. Abseits von Trends und Zeitgeist können sie das Unbequeme, das Neue, das Innovative fördern. Und sie nutzen ihre Freiheit. Kaum ein Förderkriterium kommt ohne den Ruf nach Pionierhaftem und Innovativem aus. Die Krux dabei ist aber, dass wirklich Neues nur von ganz wenigen gesehen wird, wie bereits Albert Einstein treffend vermerkt hat: «Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausge-schlossen erscheint.» Und damit ist der Mist noch lange nicht geführt. Ob sich eine Idee durchsetzt und sich der Ressourceneinsatz ge-lohnt hat, zeigt immer erst der Blick zurück. Dazwischen liegt ein langer Weg. Stiftungen, die sich der Innovationsförderung verschrie-ben haben, brauchen viel Sachverstand, einen langen Atem, eine grosse Unabhängigkeit im Denken und Entscheiden und eine enorm hohe Risikobereitschaft. Denn was heute in-novativ ist, kann morgen bereits überholt sein. Dies müssen Stiftungen und ihre Entschei-dungsträger aushalten.

Da liegt der Gedanke nahe, dass manche Stiftung gut beraten wäre, anstatt der manch-mal schon fast zwanghaften Forderung nach dem ewig Neuen Bewährtes und Liegengeblie-benes weiter zu fördern. Das Abfallprodukt des Innovationszwanges ist nämlich eine im-mer grösser werdende Halde anschubfinan-zierter Projekte und Initiativen. Vieles darun-

ter ist gut, nur: nicht mehr neu. Aber muss es das denn immer sein? Diese Fragen sollten sich Stiftungen vermehrt stellen. Sind sie nämlich nicht in der Lage, die oben erwähnten Bedin-gungen für wirkliche Innovationsförderung zu erfüllen, stünde es ihnen gut an, nach-haltig und hartnäckig die besten und nicht

immer die neusten Umsetzungen für ihren Stiftungszweck zu suchen. Christian Meyn, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Auridis GmbH, hat dies anlässlich der Präsentation seiner Förderstrategie am Schweizer Stiftungs-symposium 2013 in Basel auf den Punkt ge-bracht: «Es muss nicht immer innovativ sein. Es reicht, wenn es gut ist.»

Beate EckhardtBeate Eckhardt ist Geschäftsführerin von SwissFound-ations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen.

— WAS HEUTE

INNOVATIV IST, KANN MORGEN

BEREITS ÜBERHOLT SEIN.

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EDITORIAL—

Eine bekannte Schweizer Stiftung mit dem Förderschwerpunkt Wissenschaft unterstützt grundsätzlich nur innovative Initiati-ven. Gefragt seien Projekte «von hoher Relevanz und wissen-schaftlicher Qualität, die durch ‹Originalität›, ‹Wirksamkeit›, ‹Transferpotential› und ‹Interdisziplinarität› abgesichert» sind und sich in der fragilen Phase zwischen Prototyp und Massen-produktion, also im Stadium mit dem emphatischen Namen «Tal der Tränen», befinden. Beeindruckt von diesem Statement, hat sich die Kulturabteilung der Christoph Merian Stiftung im vergangenen Jahr Gedanken darüber gemacht, ob sich diese Förderideen aus den Gefilden der Wissenschaftstechnik auch auf den Bereich der Kultur übertragen lassen. Basierend auf den entsprechenden internen Diskussionen widmet sich der Schwerpunkt der vierten Ausgabe von «Shortcut» den Fragen rund um das Thema von Fortschritt und Innovation, von Er-finden und Vergessen, von Nachhaltigkeit und Wertezerfall in unsrer beschleunigten Warenindustrie. Mit den verschiedenen Beiträgen möchten wir einige kritische, skeptische, aber auch charmant-absurde Antworten geben: Aus der Perspektive der digitalen Kunst, des Buchhandels, der Collagekunst und der Kulturförderung beleuchten wir einige Aspekte zu Novität und Invention – sozusagen direkt aus dem Auge des Orkans.Alexandra Stäheli, Leiterin iaab

EIN FEST DER KÜNSTE IM AUFBRUCH

OSLO NIGHT 2014

Einmal im Jahr verwandelt sich der Dreispitz vom Industrieareal zur Festivalzone und die 40-Tönner machen dem interessierten Kunst- und Kulturpublikum Platz. Für die diesjähri-ge Ausgabe der Oslo Night am 24. Mai 2014 schliessen sich die Kulturakteure der Oslo-strasse bereits zum dritten Mal zusammen und präsentieren ein spartenübergreifendes Programm aus Ausstellungen, Performances, Open-Air-Kino, Workshops, Konzerten und Party.

Initiator dieses eintägigen Kunstfestivals ist das seit 2011 auf dem Dreispitz ansässige Haus für elektronische Künste Basel (HeK), das zusammen mit seinen Nachbarn erneut ein gemeinsames Festivalthema erarbeitet hat, um die Aktivitäten der unterschiedlichen In-stitutionen miteinander zu verbinden. Dies sind Radio X, die Fotogalerie Oslo 8, der Kunstraum OSLO10, das Internationale Aus-tausch- und Atelierprogramm Region Basel iaab, das Fotofachlabor Pascale Brügger mit dem Aufziehatelier TRISUL und erstmals

auch die neu auf dem Areal ansässige Hoch-schule für Gestaltung und Kunst FHNW.

Das Motto, auf das man sich für 2014 ge-einigt hat, ist «Aufbruch»: Es verweist auf die grossen Veränderungen, die das Quartier in diesem Jahr erfahren wird. Die HGK / FHNW wird mit allen Instituten und Fakultäten auf das Dreispitzareal ziehen und mit ihren ca. 800 Studierenden und 200 Lehrkräften deutlich zur weiteren Transformation des Quartiers beitragen. Auch das HeK und iaab werden im November 2014 ihre neuen Räume am Freilager-Platz 9/10 beziehen. Schon jetzt ist die Veränderung vor Ort zu spüren – neue gastronomische Angebote entwickeln sich, die Studierenden der Hochschule erforschen ihr neues Quartier und die fertigen «Plätze» und Mini-Parks ziehen erste Flaneure an.

Die beteiligten Partner inszenieren und in-terpretieren diese Aufbruchsituation auf un-terschiedliche Weise. Im HeK wird im Ober-geschoss die Ausstellung «Perspectives on Ima-ginary Futures» gezeigt, welche internationale

künstlerische Positionen beinhalten wird, die sich mit Fragen nach einer möglichen alterna-tiven Zukunft beschäftigen. Gesellschaftliche und ökologische Fragestellungen stehen dabei ebenso im Fokus wie die Veränderungen des Alltags. Gemeinsam ist den verschiedenen Po-sitionen in der Ausstellung ihre unbefangene Herangehensweise, die unsere Vorstellungen der Zukunft einer ironisch-kritischen Prüfung unterziehen.

Die US-Künstlerin Stephanie Rothenberg beispielsweise reflektiert in ihrem Online-Projekt «Laborers of Love/LOL» (2013), wie sich Se-xualität und Lust mit der Entwicklung neuer Medi-en und Technologien und der dadurch ermöglichten Arbeitsauslagerung in Zu-kunft entwickeln werden. Der englische Künstler Tobias Revell thematisiert in seiner fiktiven Doku-mentation «New Mumbai» (2012) die positiven Folgen einer Invasion von Riesen-pilzen auf die Eigenstän-digkeit der Bewohner in den Slums von Mumbai. Wie wir uns in Zukunft alternativ ernähren könn-ten, zeigt das Künstlerduo Burton Nitta aus Grossbri-tannien in seinem Projekt «Algaculture» (2010 – 2014). Sie untersuchen, wie Menschen mit Algen symbiotisch leben und sich so wie Pflanzen von Licht ernähren könnten. Weitere Positi-onen stellen Zukunftsvorstellungen aus der Peripherie von Bamako, der Hauptstadt von Mali, vor (Neil Beloufa, «Kempinski», 2007) oder zeigen auf, wie das Aufziehen von Kin-dern in Zukunft per Roboter funktionieren könnte (Addie Wagenknecht, «Optimization of Parenthood», 2013). Im Untergeschoss des

HeK installiert Raphael Lauper eine Werkstatt und veranstaltet einen «Upcycling» Workshop, den er im Zuge seines Diploms am Hyperwerk entwickelt hat. Kinder und Erwachsene sind dazu eingeladen, Elektroschrott und Abfall-teile zu verarbeiten und ihnen neues Leben einzuhauchen. Um die aktive Beteiligung des Publikums geht es auch in einem vom HeK initiierten Open Call. Bis Ende April werden Video- und Filmbeiträge zum Thema «Ima-ginary Futures» gesammelt, die während der Oslo Night in einem solarbetriebenen Open-

Air-Kino vorgeführt wer-den. Dabei können sowohl eigene Clips als auch ge-fundenes Material einge-reicht werden.

Das mehrstündige Mu-sikprogramm präsentiert aktuelle Tendenzen der elektronischen Musik in einem entspannten Set-ting auf dem Vorplatz der HGK ab 18 Uhr und an der anschliessenden Party ab 23 Uhr im Kunstraum OSLO10. Im Aussenbe-reich spielen S S S S (CH) und Huerco S. (USA). An der Party tritt dann die gesamte Crew des Young Echo Labels aus Bristol auf. Dieser achtköpfige Verbund von Künstlern ge-hört zu einer neuen Welle

von Musikern, die der Tradition Bristols als Stadt der Musik neue Impulse liefert.

Vor der Party kann man die vom Team von OSLO10 zusammen mit Margit Säde kuratier-te Gruppenausstellung «Cats in the throat» sehen. Gleich daneben im Fotofachlabor Pascale Brügger / Aufziehservice Trisul und bei Radio X wird dem Publikum die Möglich-keit geboten, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

IMPRESSUM

Redaktion und TexteZamira Angst, Praktikantin Abteilung Kultur Oliver Bolanz, Leiter Christoph Merian Verlag Anette Gehrig, Leiterin Cartoonmuseum Basel Karin Matt, Vertrieb und Hörbuchprogramm

Christoph Merian Verlag Christoph Meneghetti, Projektleiter Abteilung Kultur

Alexandra Stäheli, Leiterin iaab Beat von Wartburg, Leiter Abteilung Kultur

Gestaltung Hauser, Schwarz – Basel

Druck Gremper AG – Basel / Pratteln

Christoph Merian Stiftung St. Alban-Vorstadt 5

CH-4002 Basel

DAS KULTURMAGAZIN DER CHRISTOPH MERIAN STIFTUNG

SHORTCUTSchwerpunkt:

HALBWERTSZEITCartoonmuseum Basel:PLONK & REPLONK

Christoph Merian Verlag:HÖRT DIE BÜCHER!

#4April 2014

DEUTSCHER HÖRBUCHPREIS FÜR «FALLBEIL FÜR GÄNSEBLÜMCHEN»

In der ersten «Shortcut»-Ausgabe 2013 stellten wir unsere Zusam-menarbeit mit der Stiftung Radio Basel vor. Seit 2007 vergibt sie den internationalen Featurepreis für herausragende Radiofeatures von ARD, ORF und SRF. Das Gewinnerfeature erscheint jeweils auf CD im Hörbuchpro-gramm des Christoph Merian Verlags. Feature ist eine faszinie-rende Form der Radioreportage und «Fallbeil für Gänseblüm-chen» – das Gewinnerfeature von 2012 – ein besonders eindrückli-ches Stück.

September 1955, ein Gerichtssaal irgendwo in Ostberlin: Der Spio-nageprozess gegen Elli Barczatis, Sekretärin des DDR-Ministerprä-sidenten, und ihren Geliebten Karl Laurenz findet unter Aus-schluss der Öffentlichkeit statt. Aus den bisher unveröffentlichten Originaltonaufnahmen der Staats-sicherheit, begleitet von wenigen Kommentaren, entstand dieses Feature. Es zeigt in bewegender und exemplarischer Weise, wie Rechtsprechung in einer Diktatur funktioniert. Noch heute, sechzig Jahre nach der Verhand-lung, sind die Rhetorik und die Fangfragen des Richters kaum zu ertragen, ist die Bedrohung förmlich zu spüren.

Das Hörbuch sorgte bereits im letzten Jahr für viel positives Presse-Echo und wurde gut ver-kauft. Es liegt nun in der zweiten Auflage vor. Ein besonderer Höhepunkt war die Nominierung für den Deutschen Hörbuchpreis, der 2003 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, ein Qualitätssiegel für das Hörbuch zu schaffen. Diese Idee fand – und findet – zahlreiche Befür-

worter. Dies führte im Jahr 2006 zur Gründung des Deutschen Hörbuchpreises e.V. mit weiteren wichtigen Mitgliedern, unter anderem dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem «Focus»-Magazin. Heute sind verschiedene ARD-Anstalten und die Wochenzeitung «Die Zeit» die wichtigsten Partner des mit Abstand bedeutendsten Hörbuch-preises im deutschsprachigen Raum.

Der Christoph Merian Verlag war in den vergangenen Jahren bereits fünfmal für einen Preis in ver-schiedenen Kategorien nominiert, was an sich schon eine grosse Auszeichnung und Anerkennung für ein herausragendes Hörbuch-programm darstellt. Nun hat es geklappt: Das Feature «Fallbeil für Gänseblümchen» setzte sich gegen starke Konkurrenz durch (Egon Bahr: «‹Das musst du erzählen›, Erinnerungen an Willy Brandt» und Peter Handke/ Siegfried Unseld: «Der Brief-wechsel») und wurde als bestes Sachhörbuch ausgezeichnet! Die Jury schreibt zur Begründung: «Die Überfülle des zugrunde liegenden O-Ton-Materials haben Autor und Regisseur auf verdienstvolle Weise gefiltert. Ihr Feature leuchtet nicht nur die Persönlichkeit und Psyche der beiden Angeklagten aus, sondern entlarvt darüber hinaus die schamlose, ideologiekonforme Art der Prozessführung. Die Collage ist ein eindrucksvolles Zeitdoku-ment, spannend und außerordent-lich erschütternd.»

Autor dieses Stücks Zeitgeschich-te ist Maximilian Schönherr, der im Auftrag des WDR das Feature erstellt hat. Aus seinem Projekt «Archivradio» haben

sich umfangreiche und preisge-krönte Features entwickelt, die auf O-Ton-Dokumenten basieren. Für die «Stammheim-Bänder» gewann er im März 2009 erstmals den Deutschen Hörbuchpreis, nun erhielt er bereits zum zweiten Mal diese wichtige Auszeichnung. Dem Christoph Merian Verlag wurde der Preis im Rahmen einer Gala in Köln verliehen. Es ist ein im wahrsten Sinne gewichtiger Preis, den er im März nach Basel brachte: Die Trophäe ist ein Unikat, besteht aus massivem Edelstahl und wiegt stolze sechs Kilogramm!

Oliver Bolanz

www.deutscher-hoerbuchpreis.de

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Die Fotogalerie Oslo 8 eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Polis – Bilder von Städten» mit Bildern der Fotografin Christa Ziegler. Während vier Jahren bereiste die Künstlerin zahlreiche Städte vornehmlich ausserhalb Europas und Nordamerikas und entwickelte eine eigenständige Perspektive auf den urbanen Raum. Sie verzichtet auf die Illustration sozialer Brennpunkte und begreift die Stadt vielmehr als eigengesetzlichen Kör-per. «Polis» ist gleichzeitig ein Bildband mit dazugehöriger Textedition, der um 19 Uhr von der Künstlerin selbst vorgestellt wird.

Das Internationale Austausch- und Atelier-programm der Region Basel iaab eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Going Places – Aufbruch ins Weite», die Arbeiten von 20 Kunstschaffenden aus der Region Basel, Süd-baden und Solothurn präsentiert, welche 2013 ein Stipendium für einen Aufenthalt in einem der Partnerateliers im Ausland erhielten. Da-bei wird der Aufbruch nicht nur geografisch im Sinne des Aufbrechens an andere und ferne

Orte thematisiert, sondern, damit verbunden, auch als ein Aufbrechen der gewohnten Zei-chensysteme und scheinbar selbstverständli-chen künstlerischen Praktiken. Beteiligt sind unter anderem Dunja Herzog, Vanessa Safavi, Clare Kenny sowie Monica Studer und Chris-toph van den Berg.

Der Beitrag der Hochschule für Gestaltung und Kunst kommt von der Vereinigung der Alumni HGK. Ehemalige Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen präsen-tieren selbst hergestellte Produkte und zeigen Showcases mit Workshops und partizipativer sowie performativer Kunst.

Auf der Oslostrasse selbst wird den Besu-chern ein ausgesuchtes kulinarisches Angebot offeriert, wobei auch hier das Thema der zu-künftigen Lebenswelten in der Frage «Was wol-len wir essen?» aufgegriffen wird. Leon Heinz, Student am Hyperwerk in Basel und Mitglied der Gastronauten, lädt die Besucher ein, unter professioneller Anleitung eine personalisier-te Wurst aus unterschiedlichsten Zutaten zu

Andere versuchen vorauszuschauen, die Westschweizer Künstlerbrüder und Verleger Hubert und Jacques Froidevaux alias Plonk & Replonk aus La Chaux-de-Fonds blicken entspannt zurück. Sie recyceln alte Postkarten und Fotografien, die sie entweder mit Unter-titeln subtil umdeuten oder in digitalen Bild-bearbeitungsprogrammen neu kombinieren, und schreiben so an ihrer eigenen Version der (helvetischen) Geschichte. Jedes neue Bild von Plonk & Replonk behauptet eine weitere absurde, aber ungemein charmante Wahrheit, die einen Platz in ihrem Koordi-natensystem aus inzwischen Hunderten von thematisch und gestalterisch verwandten Col-lagen findet. Mit ätzendem Humor, wenigen aber entscheidenden Bildmanipulationen und lakonischen bis skurrilen Kommentaren

wird die Vergangenheit umgepolt und der Ge-genwart ans Schienbein getreten. Besonders über Erfindergeist und Verbesserungswahn machen sich Plonk & Replonk mit Verve lus-tig. Scheinbar Modernes, aufgegebene Berufe, überholte Sitten und widerlegte Mythen sind der Stoff, aus dem sie ihre Pointen formen. Ihr schräger Blick auf das Gestern lässt die Betrachter über die Lächerlichkeit alter Stra-tegien schmunzeln und gleichzeitig ahnen, dass die heutigen kaum besser funktionieren. Die Wende zum 20. Jahrhundert, die Plonk & Replonk liebevoll verdreht wieder aufleben lassen, ist unserem hektischen Start ins neue Jahrtausend ähnlicher, als uns lieb ist.

Das Cartoonmuseum Basel würdigt Plonk & Replonk erstmals auf der deutschsprachigen Seite des Röstigrabens mit einer grossen Werk-

ANSICHTEN VON BASEL:

PLONK & REPLONK IM CARTOONMUSEUM

David Semper: Auf der Strecke zwischen Studio und

Old Delhi, Fotografie, 2013Ausstellung iaab:

«Going places – Aufbruch in die Weite»

fertigen und im Anschluss an der gegenüber-liegenden Grillstation zu konsumieren. Im breit gefächerten Angebot an Waren, die für die Wurst ausgesucht werden können – von Fleisch bis hin zu Sauerkraut und Gewürzen –, werden die Geschmacksnerven angeregt und aufgezeigt, wohin die Zukunft der Nahrungs-mittelzubereitung gehen könnte.

Die Initianten der Oslo Night begreifen sich als Pioniere und Mitgestalter eines neu-en urbanen Raumes. Im Format einer or-ganisierten Kollaboration eröffnet sich die Möglichkeit, in einem festlichen Ambiente einem grossen Publikum die Aktivitäten und Programme der einzelnen Partnerinstitutio-nen vorzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Bauarbeiten, den positiven Rück-meldungen des Publikums der letzten Jah-re und dem Zuzug neuer Partner feiert die diesjährige Oslo Night den Neubeginn des Quartiers. Als alljährlicher Fixpunkt im loka-len und überregionalen Kulturkalender kann man auch in Zukunft an der Oslo Night die

Weiterentwicklung der Oslostrasse und des Areals mitverfolgen.

Lukas ZitzerLukas Zitzer ist im Haus für elektronische Künste Basel verantwortlich für die Kommunikation.

c Tobias Revell: New Mumbai Film Still, Video, 2012 Ausstellung HeK: «Perspectives on Imaginary Futures»

g Die Oslostrasse an der Oslo Night 2013 Foto: Stefan Holenstein

heiterem Gespräch die Ereignisse der Zeit kommentierte. Die Wohnung werden Sie wie viele andere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht finden. Doch Margrit Rainer und Ruedi Walter, die für Radio Basel in der satirischen Sendung « Spalebärg 77a» auftraten, schafften mit elfjähriger Laufzeit und weit über 100 Fol-gen mit regelmässigem Hörerrekord einen bis heute einmaligen Erfolg.

Es regnet das ganze Wochenende, Sie liegen krank im Bett oder haben Ihren Frühlings-putz vor sich. Auf jeden Fall haben Sie ohne Probleme 18 Stunden Zeit, sich ein Hörbuch zu Gemüte zu führen? Dann nehmen Sie sich Beat Sterchis «Blösch» vor, einen der wich-tigsten Schweizer Romane der Gegenwart. Er erzählt vom Leben eines Spani-ers, der als Knecht auf einen Schweizer Bauern-hof kommt, von seinem friedlichen Leben mit den Kühen und von den nicht so friedlichen Dorfbe-wohnern. Das von Sebas-tian Mattmüller gelesene und von Raphael Zehnder an Originalschauplätzen (Kuhstall, Weide, Schlacht-hof u.a.) aufgezeichnete Hörbuch beschwört mit der wuchtigen Sprache Sterchis und den authentischen Geräuschkulissen Bilder herauf, die durch Mark und Bein gehen.

Joggen: Aber vielleicht besser nicht im Zolli, denn ein «nulluns macrosalis» ist ausgebüxt! Das verbreitet Angst und Schrecken und ver-setzt den Tierforscher Benno Potzi in Alarm-bereitschaft. Jetzt heisst es Ruhe bewahren und das exotische Wesen zurück in den Käfig locken. Diese Geschichte gibt es im Hörbuch «Lockstoff» von Joachim Rittmeyer zum Mithören und -lachen. Erschrecken Sie nicht, wenn die Geschichte plötzlich unterbrochen werden muss: Eine zoologische Taskforce übernimmt und koordiniert die diffizile Auf-gabe, das Tier wieder einzufangen.

Und zum Schluss: Schaurig schöne Bett-mümpfeli-Geschichten! Am 5. November 1975

drang es zu später Stunde erstmals in die helveti-schen Stuben und Schlaf-zimmer: das Schreck-mümpfeli. Seither gingen gegen tausend dieser iro-nischen Kurzkrimis über den Sender. Der Sendeter-min wurde zur Fixzeit für Hörerinnen und Hörer, die sich ohne beschleunigten Puls und Kribbeln im Bauch nicht mehr unter die Bettdecke verkriechen

mochten. Mittlerweise sind neun verschiedene Schreckmümpfeli-CDs sowie «Das Beste vom Schreckmümpfeli» erschienen, die Sie nicht nur zu bestimmter Sendezeit hören können.

Zamira Angst

HÖREN SIE ZU! HÖRBÜCHER AUS DEM CHRISTOPH MERIAN VERLAG FÜR ALLE LEBENSLAGEN

Im Christoph Merian Verlag erscheinen jedes Jahr zahlreiche und vielfältige Hörbücher. Hier seien einige besondere Perlen hervorgehoben. Lassen Sie sich auf die Geschichten ein und geniessen Sie es, vom Alltag abzuschalten. Vorschläge für ein Hörbuchabenteuer.

Im ehemaligen Restaurant Milchhüsli, heute Caffè Bologna: Nehmen Sie Platz im neu von Studierenden betriebenen Caffè Bologna, be-stellen Sie Kaffee und Kuchen und setzen Sie sich die Kopfhörer auf. Kommissär Hunkeler entführt Sie in alte Zeiten, als das Milchhüsli noch die Stammkneipe der Quar-tierbewohner war. Zuerst haben Sie jedoch noch die Qual der Wahl: «Das Paar im Kahn», «Hunkeler macht Sachen», «Hunkeler und der Fall Livius», «Hun-keler und die Augen des Ödipus», «Hunkeler und die goldene Hand» oder doch lieber «Tod einer Ärztin»? Eines ist sicher: Ueli Jäggi – 2004 erhielt er als bester Sprecher den Deutschen Hörbuchpreis – glänzt in der Rolle des kauzigen Kommissärs von Hansjörg Schneider.

Mit Dürrenmatt in die Badewanne: Ein gewag-tes Experiment! Achtung: Das Wasser könn-te kalt werden, ohne dass Sie es bemerken. Denn Friedrich Dürrenmatt schrieb neben Romanen, Erzählungen und Theaterstücken auch Hörspiele, die vielfach ausgezeichnet wurden. Im Klassiker «Die Panne» erzählt er die Geschichte des Durchschnittsmenschen Alfredo Traps, der sich stolz zu einem Ver-

brechen bekennt, das er nicht begangen hat. Und das Beste: Dürrenmatt selbst spricht die Einleitung.

Am Rhein liegen, sich sonnen, vielleicht so-gar die Angelrute auswerfen, mit Arno Came-nischs «Fred und Franz» im Ohr. Die besten Freunde und Brüder im Geiste kämpfen mit dem Alltag. Im Erfolgsroman geht es um die Liebe, die Frauen, den Tod und das Mensch-sein. Ein starkes Stück neue Schweizer Lite-ratur, virtuos als intimes Hörspiel von Geri

Dillier in Zusammenar-beit mit Arno Camenisch umgesetzt.

Im Stau stehen bedeutet nicht unbedingt Zeit ver-lieren. Hören Sie stattdes-sen zu, wenn «Max Frisch spricht». Er wird Sie bes-tens unterhalten mit Aus-zügen aus Originalmit-schnitten seiner Reden, die anlässlich seines 75. Ge-burtstags erschienen sind.

Nicht nur die Reden sind spannend, sondern auch das Gespräch mit Hans Ulrich Probst, in dem sich Frisch zu zentralen Themen seines Werks äussert. Ausserdem ist dieser Autor so aktuell wie nie, hat er doch schon 1965 zur damaligen Zuwanderung in die Schweiz ge-schrieben: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.» Es ist 2014 beson-ders lohnend, Max Frisch wieder einmal genau zuzuhören!

Spalenberg 77a, das ist der Wohnort des Ehe-paars Ehrsam, das ab 1955 jeden dritten Sams-tag nach den Mittagsnachrichten in traulich-

Ein Klassiker im Christoph Merian Verlag: Dürrenmatts «Die Panne»

Unterwegs mit «Max Frisch spricht»

EIN HÖRBUCH VON SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN

IM CHRISTOPH MERIAN VERLAG

Die BuchBasel 2005 markierte den Startschuss für ein neues Kapitel im Christoph Merian Verlag: Das erste Hörbuchprogramm erschien. Ausgangspunkt war die Vereinbarung einer exklusiven Partnerschaft mit dem Schweizer Radio DRS, um ausgewählte Erwachsenenhör-spiele des Radios als Hörbuch in Lizenz in den Buchhandel zu bringen. Damit verschaffte sich der Verlag auch Zugang zum umfangreichen Archiv des Radios.Mittlerweile ist aus dem Schweizer Radio DRS das «Schweizer Radio und Fernsehen» geworden und die gemeinsame Reihe heisst nun «Ein Hörbuch von Schweizer Radio und Fernsehen im Christoph Merian Verlag». In dieser Edition konnte der CMV erfolgreiche Titel wie die «Schreckmümpfeli»-Reihe oder Gisela Widmers «Zytlupe» auf CD veröffent-lichen. Letztere liegt bereits in der vierten Auflage vor! Einen Schwerpunkt im Hör-buchprogramm bilden Schweizer Autorinnen und Autoren. Das Programm umfasst Werke der beiden «Grossen» Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, Krimiklassiker von Friedrich Glauser oder Hansjörg Schneiders erfolgrei-che Kommissär-Hunkeler-Fälle. Auch Mund-artstücke mit prominenter Besetzung wie zum Beispiel Ruedi Walter und Margrit Rainer in «Spalebärg 77a» dürfen im Programm nicht fehlen, ebensowenig viele Hörspiele von zeit-genössischen Autorinnen und Autoren im Verlagsprogramm.Welche Werke den Weg aus den Archiven auf die CDs und seit einigen Jahren auch auf das Download-Angebot des Verlags finden, wird zusammen mit den Radio-Verantwortlichen aus der Hörspielredaktion entschieden. Bei der Auswahl achten wir zum Beispiel dar-auf, ob eine Produktion grundsätzlich ins Programm passt und ob es einen aktuellen

Anlass gibt, ein bestimmtes Werk gerade jetzt als Hörbuch ins Verlagsprogramm aufzuneh-men: Feiert ein Autor Jubiläum? Gibt es einen neuen Kriminalfall des Publikumslieblings Franz Musil? Welches Hörspiel hat bei der Radioausstrahlung besonders viel positives Echo ausgelöst? Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Auswahl. Das Radio verfügt zwar über die Sen-derechte, nicht aber über diejenigen für kom-merzielle Verwertungen. Oft stehen aufwendi-ge Recherchen und Verhandlungen mit den Rechteinhabern an. Danach werden mit dem Grafiker Hans Sommer von «rébus» die Ideen für jedes einzelne Hörbuch-Cover besprochen. Zusammen mit ihm haben wir die einheitli-che Gestaltung der Hörbuchreihe entwickelt und damit ein Wiedererkennungs- und Qua-litätsmerkmal geschaffen. Danach müssen die Produktionspläne gemacht, die Offerten des Presswerks eingeholt und alle Informationen rund um die Produktionen für die Verlags-vertreter, den Buchhandel und die Medien zusammengetragen werden. Das Erscheinen der Hörbücher wird in den meisten Fällen auf die Buchmessen im Frühling in Leipzig und im Herbst in Frankfurt terminiert. Die CDs können danach überall im Buchhandel in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sowie im SRF-Shop und über unsere Website merianverlag.ch erworben werden.

Karin Matt

schau. Hierzulande erscheinen ihre humoris-tischen Postkarten vor allem im Westschwei-zer Satiremagazin «Vigousse», in «L’Hebdo» und in der Deutschschweiz zeitweise in der Tageszeitung «Der Bund». In Frankreich, wo sie ganze Museen gegen den Strich gebürs-tet haben, sind die beiden Jurassier bestens bekannt und etabliert, dort publizieren sie regelmässig in der linksliberalen Pariser Ta-geszeitung «Libération», in «Charlie Hebdo» und in «L’Humanité».

Plonk & Replonk sind nicht zeichnende Cartoonisten, ihre Collagetechnik orientiert sich an Künstlern wie dem deutschen Foto-montagekünstler John Heartfield (eigent-lich Helmut Herzfeld, 1891 – 1968). Ihr Aus-drucksmittel ist die im Fotobearbeitungspro-gramm Photoshop ausgeführte Collage von Ausschnitten historischer Postkarten und Fotografien. Die im Computer montierten schwarz-weissen, sepiafarbenen oder pseudo-handkolorierten Bilder sind aber nicht perfekt verschmolzen, sondern erkennbar zusammen-gefügt, so dass spätestens auf den zweiten Blick klar wird, dass hier geschummelt wurde. Die Spuren der Bildmontage bleiben bewusst sichtbar, um dem Betrachter der Manipula-tionen die Dechiffrierung der umgedeuteten Zusammenhänge zu ermöglichen. Ebenso wichtig wie die Bilder sind die nur auf den ersten Blick erklärenden Bildlegenden, die lustvoller Kalauer wie hintergründige Pointe sein können. Anstatt den Betrachter zu in-formieren, verleihen diese den arrangierten

Bildern eine weitere, oft kauzige oder gar groteske Qualität. Sie können aber auch die historisch anmutenden Bilder an konkrete ak-tuelle Themen anbinden oder mit bekannten Ereignissen verknüpfen. Die mit Hintersinn und Wortspielereien gespickten, verfremdeten Postkarten von Plonk & Replonk präsentieren die Schweiz als Hort des Skurrilen und krat-zen mächtig an der Politur erhabener Gipfel, nobler Teppichetagen, stolzer Militärs, ordent-licher Kleinbürger und alter Klischees.

Die Werkschau in Basel zeigt einen Über-blick über die vielfältige künstlerische Arbeit von Plonk & Replonk, die auch die bildhau-erische Auseinandersetzung mit Schweizer Ikonen wie den Schuhen von Rousseau, der Brille von Le Corbusier oder dem Garten-zwerg beinhaltet. Speziell für Basel kreieren Plonk & Replonk ein Kabinett mit einer Serie von Arbeiten zu den Besonderheiten der Stadt am Rheinknie.

Anette Gehrig

BEGLEITVERANSTALTUNGEN—

CAFÉ BELLEVUETreten Sie ein in die gute Stube! Führung

durch die Ausstellung mit anschliessendem Kaffee trinken und Gebäck von der Confiserie Beschle, Basel.

13.4., 11.5., 22.6.2014, 14 Uhr—

INTERNATIONALER MUSEUMSTAG

(K)EINE PERFEKTE SCHWEIZ11 Uhr:

Führung mit der Kuratorin Anette Gehrig14 Uhr:

Workshop mit der Illustratorin Alessia Conidi

Sonntag, 18.5.2014—

Für Schulklassen, Betriebsausflüge und sonstige Gruppenbesuche bieten wir Führungen an.

Mechanisierung des Steuerwesens im Jahre 1899 © Plonk & Replonk

Zehntausend Jahre Basler Geschichte. © Plonk & Replonk

1966: Die feste Installation eines Kreisels erlaubt es, die Rheinschifffahrt flüssig zu halten. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

Die Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen alten Schweizer Viertels. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel

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